31.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (5) - Transmission



THE TEA PARTY - TRANSMISSION


"The fact that Tea Party are not on the same popularity level as Muse/Coldplay/etc. just shows that the music industry has seriously succumbed to mediocrity." 
- PJ Hakimi via Youtube

Das oben stehende Zitat ist inhaltlich natürlich Quatsch mit Ratsch. Nicht das Musikbusiness hat sich der Mittelmäßigkeit verschrieben, es sind die Menschen, die sich eben immer am offensichtlichsten und einfachsten Allgemeinplatz abholen lassen und sich in der Folge solch einen infernalischen Scheißdreck wie fucking Coldplay aufschwatzen lassen. Und es ist auch in der zeitlichen Einordnung als neue Entwicklung falsch - das gab es schon immer. Wie sonst konnte uns ein Unfall wie Modern Talking passieren?

Im Subtext liegt PJ Hakimi hingegen nicht so irrsinnig weit daneben. The Tea Party waren im Vergleich mit den beiden genannten Rolemodels für halbsteifen Schwiegermutterrock nicht nur oberflächlich betrachtet vielschichtiger und würdevoller, sie waren auch in der Auseinandersetzung mit ihrer Kunst emotional viel verbundener und engagierter. Vielleicht war der Ansatz, praktisch jeden Ton und jedes Wort mit Spiritualität, Literatur, Gemälden und Gedanken innerer Einkehr energetisch aufzuladen zu ehrgeizig, aber es half dabei, eine Verbindung mit dieser Band aufzubauen, sofern man selbst daran interessiert war, sein Leben nicht lässig abdampfend im bewegungslosen Raum zu verbringen. Wer nach Sinn suchte, möglicherweise sogar den Sinn der eigenen Existenz, der rannte bei einem wie Martin offene Türen ein. Nach seinen LSD-Experimenten gab er sich in vollem Bewusstsein härteren Drogen hin, um zu sehen, wie weit es ihn trägt, wie weit er gehen kann und an welche Orte des eigenen Bewusstseins es ihn führt. Das Ergebnis war "Transmission", ein schwarz glühendes Meisterwerk der neunziger Jahre, ein Gedankenexperiment mit eigens errichteten Klanglabyrinthen, die mich auch heute noch sowohl an das Ende des Regenbogens, als auch in den letzten Winkel totaler Agonie führen können. "Transmission" ist mein persönliches Highlight im Schaffen dieser Band, und es ist sicher kein Zufall, dass ich "Under Influence" bekehrt wurde, und es ist ebensowenig aus dem heiteren Himmel geplumpst, weil "Transmission" das bis dato modernste Werk des Trios war. Großen Anteil daran hatte die Entscheidung Martins, den elektronischen Sounds mehr Räume zu schenken; eine Entscheidung, die in erster Linie durch den "Sister Awake"-Remix des Front Line Assembly-Mitglieds Rhys Fulber inspiriert wurde. Die Band fragte sogar bei Fulber an, "Transmission" mit Martin zusammen zu co-produzieren, der lehnte aber nach dem Hören der Demos mit der Begründung ab, er wisse nicht, wie er diese Songs noch besser machen könne.

Das Klangbild der Truppe erschien auf "Transmission" bedeutend aggressiver als zuvor. Samples und Loops hinterließen eine wahrnehmbare Industrial-Geschmacksnote, während die fernöstlichen, arabischen Elemente den Sound nachwievor prägen konnten und in der Verschmelzung mit modernen Einflüssen eine einzigartige, packende Musik zum Leben erweckte. Martin leistete auch hinsichtlich der Produktion ganze Arbeit - wie auf allen Tea Party Alben wohnt auch in "Transmission" ein explizit auf Sound, Wort und Vision abgestimmter und zugeschnittener Geist - klaustrophobisch, paranoid, dekadent, versunken, nervös. Martin erklärte später, "Transmission" musste genau so klingen, weil genau das sein Leben zur damaligen Zeit war. Martin war "Larger than Life". Größer wurde zeitgleich auch die Band: "Transmission", übrigens mit einem von Basser und Kunstsammler Stuart Chatwood entworfenen Gemälde namens "The Earth We Inherit" auf dem Cover, erreichte in Kanada Doppelplatin.

Es scheint töricht, explizit Höhepunkte zu erwähnen, aber um einen Song komme ich trotzdem nicht herum: der Titeltrack gehört für mich zu den zehn besten Tracks aller Zeiten und die Studioversion, im Dunkeln und unter Kopfhörern verschlungen, veränderte mein Leben und mein Denken. Die unten verlinkte Liveversion ist in gleichem Maße beeindruckend. Dass die betäubten Teenie-Faulpelze im Publikum angesichts dieses mächtigen Songs nicht das Studio auseinandernahmen, ist trotz des verordneten Spaß- und Bewegungsverbots auf Liveshows der neunziger Jahre doch ein bisschen überraschend.

Vielleicht hörten die aber sonst alle nur Modern Talking.





Erschienen auf EMI, 1997.

27.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (4) - The Edges Of Twilight



THE TEA PARTY - THE EDGES OF TWILIGHT


"Jeff Martin lived in a spooky old house in Montreal, grew too fond of mind-altering drugs and claimed that supernatural forces were at work on his mind. He even experienced “yogic flying.”

"The Edges Of Twilight" gilt bis heute unter Fans wie Kritikern gleichermaßen als unumstrittenes Highlight der Band - und das aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Zum einen löste man sich, trotz eindeutiger Bluestracks wie "Drawing Down The Moon", im Allgemeinen etwas von den allzu gegenwärtigen Einflüssen des Blues, was automatisch in eine grundlegende Verjüngung des kompletten Sounds mündete. Zum anderen weitete Songschreiber Jeff Martin die orientalischen und indischen Elemente seiner Musik aus, was dem Trio eine noch mystischere, fast schon esoterische Aura verlieh. Die Hinzunahme exotischer, vornehmlich in Indien verwendeter Instrumente wie Sarod, Santoor, Sitar und Tambura sowie afrikanischer Percussions, insgesamt kamen auf "The Edges Of Twilight" 31 Instrumente zum Einsatz, ergab eine spirituelle, tiefgehende, komplexe und einzigartige Mixtur aus dunklem, riffbasiertem Rock'n'Roll mit weiterhin existenter Led Zeppelin-Klangfarbe und perfekt arrangierter und inszenierter fernöstlicher und afrikanischer Musik, die niemals aufgesetzt wirkte, und die Kritiker außerdem dazu motivierte, die neue Schublade "Moroccan Roll" aufzumachen. Auf dieser Basis zeigten die drei Musiker auch völlig unprätentiös ihre exzellenten musikalischen Fähigkeiten - weniger in der Demonstration filigraner Spieltechnik, sondern im Zusammenspiel, in den feinen Nuancen: Drummer Jeff Burrows und sein monströser Groove und sein kraftstrotzendes, dabei gleichzeitig sehr subtiles Spiel, Bassist und Elektronikfachmann Stuart Chatwood mit Bassläufen, die Mammutbäume zum Zittern bringen würden, Jeff Martin mit den virtuosesten und auf mehreren Ebenen, sorgsam aufgefächerten Soli und Riffkaskaden - "The Edges Of Twilight" darf sich mit Recht den "Klassiker"-Button an die Les Paul pappen lassen.

Martin experimentierte während der Sessions zu diesem, nach einem Kapital in Tom Cowans Roman "Fire in the Head" betitelten Album mit LSD, um zu sehen, wie weit ihn sein Verstand bringen würde und bezeichnet heute das zweite Album als seinen persönlichen Favoriten:“You think about how old we were then, we were 25 years old, and we came up with that record." Und selbst Ed Stasium, der die Platte mit Jeff Martin gemeinsam produzierte - übrigens bis zum späteren "Seven Circles" auch ein Ausnahmefall für die Band, da Martin ansonsten die Zügel immer alleine in der Hand hielt -, malte einen Heiligenschein um das Album:"Ich glaube, daß ich das Album aufgenommen habe, auf das ich gewartet habe, seitdem mir klar wurde, daß man Sounds und Visionen mittels Aufnahmetechnik auf Tonträgern umsetzen kann. Mit THE TEA PARTY zu arbeiten, hat mir neue Einblicke und Hoffnungen gegeben."

"The Edges Of Twilight" erreichte in Australien und im Heimatland Kanada Platinstatus - der Rest der Welt hörte mal wieder nicht so richtig hin.

Erschienen auf Chrysalis, 1995.


P.S.: Wie begehrt die 1995 in Mini-Auflage erschienene Vinylversion dieser Platte auch bei Sammlern ist, ließ sich vor etwa einem halben Jahr gut erkennen, als wie aus dem Nichts Vinyl-Bootlegs von "The Edges Of Twilight" auf Ebay auftauchten und, zumindest in den ersten Auktionen, zu absoluten Mondpreisen über den virtuellen Kassentisch wanderten. Genauer gesagt zu exakt den Preisen, zu denen die Originalversion käuflich zu erwerben ist: ab stolzen 180 bis 200 Euro geht's los, nach oben sind dabei nur wenige Grenzen gesetzt. Dabei ist der Bootleg rein visuell überraschend sauber gearbeitet, wenngleich das (sogar auf Hochglanzpapier gedruckte) Inlay mit Texten und Fotos nur als Einleger fungiert, was gleichzeitig das Erkennungsmerkmal der Fälschung ist. Hinsichtlich des Sounds wird die Luft hingegen sehr schnell sehr dünn, und "dünn" ist hier das Wort der Wahl. Das ist vermutlich das leiseste und fisseligste Mastering aller Zeiten. Wenn man sich an dem wunderbaren Artwork nicht sattsehen will oder kann und darüber hinaus 20 Euro zuviel in der Tasche hat, ist der Kauf durchaus eine Option, wenn man mich fragt. Aber wer fragt mich schon?!

25.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (3) - Splendor Solis



THE TEA PARTY - SPLENDOR SOLIS

“A lovely, innocent little record.” - Jeff Martin

Nachdem die kanadische Abteilung der EMI zuschnappte und der Band einen Plattenvertrag anbot, war mit der Veröffentlichung des Debuts der Grundstein für eine ausgesprochen erfolgreiche Karriere gelegt. Zugegeben, ich bin persönlich kein allzu euphorischer Fan von "Splendor Solis"; es besteht viel mehr ein zurückhaltendes und ambivalentes Verhältnis zu einer Platte, die zwar einige der ersten legendären Hits des Trios auffährt, gleichzeitig aber neben des etwas gewöhnungsbedürftigen, leicht mumpfigen Sounds eine Portion "Hippie/Artrock/Landjugend Herne-West"-Aura abbekommen hat, die mir etwas zu sättigend erscheint. Die Band steckt noch deutlich tief im Doors/Zeppelin-Sumpf, wenngleich sie kurioserweise dabei höchst eigenständig klingt. Denkt man zudem an das musikalische Klima im Jahr 1993 zurück, ist es so oder so ein kleines Wunder, dass die Band überhaupt ein Publikum erreichen konnte.

Wie bereits auf dem Indie-Debut stehen auch auf "Splendor Solis" Songs, die ob ihrer schieren Schönheit aufhorchen lassen: das Triple "Midsummer Day", "A Certain Slant Of Light" und "Winter Solstice" oder auch die traumhafte Ballade "In This Time" sind hochromantische Kompositonen, ausstaffiert mit wunderbaren Harmonien und brillianter Gitarrenarbeit. "Save Me", bis heute fester Bestandteil einer jeden Liveshow, fungiert mit einem dramaturgisch perfekt inszenierten Spannungsbogen als theatralischer Höhepunkt einer Platte, die als logischer erster Schritt der Band betrachtet werden darf. Der große Donnerschlag folgte bereits mit dem zwei Jahre später erschienenen Nachfolger "The Edges Of Twilight".

Erschienen auf EMI, 1993.

21.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (2)



THE TEA PARTY - THE TEA PARTY


"At 12, Martin was introduced to a whole new world of music when he first listened to the George Harrison track Within You Without You, off the Beatles' album, Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band. It was the first time he'd heard eastern-influenced music and he was smitten, even trying to imitate the sound of a sitar with his guitar."

Die Karriere des Trios begann 1991 mit der auf dem eigenen Eternal Discs-Label veröffentlichten und selbstbetitelten "The Tea Party"-CD. Zunächst als ein Demo für die Plattenfirmen gedacht, entschied sich die Band nach Ausbleiben positiver Rückmeldungen dazu, die Platte in Eigenregie und ohne weitere Unterstützung von Labels oder Agenturen herauszubringen. Unter den Fans ist die auf 3500 Stück limitierte Platte, darunter ist auch ein großer Batzen als Kassette erschienen, auch unter dem Titel "Indie-Album" bekannt und bis heute schwer gesucht: bei Discogs lässt sich gerade ein Tape für schlappe 68 Euro kaufen.

Inhaltlich lassen sich auf "The Tea Party" die ersten Anzeichen dessen erkennen, zu was die Band zu einem späteren Zeitpunkt noch alles in der Lage sein sollte. Das Lo-Fi (un)produzierte Werk beinhaltet einige Tracks, die das Trio für das erste Majorlabel-Debut "Splendor Solis" nochmal neu einspielte, und auch wenn natürlich keine Single ausgekoppelt wurde, so drehte man dennoch überraschenderweise ein Video zum Opener "Let Me Show You The Door". Die musikalischen Einflüsse sind hier bereits gut erkennbar; Sänger/Gitarrist Jeff Martin sieht nicht nur aus wie die 90er Jahre Ausgabe von Jim Morrisson, auch im Songwriting gab es auffällig viele Parallelen mit der schlimmsten Band der Welt: den verdammten Doors.

Außerdem klebte Martin praktisch über jedes seiner Gitarrenriffs den großen "Ich find' Led Zeppelin gar nicht so übel"-Aufkleber, verknüpfte all das zusätzlich noch mit einem enormen, modernen Groove und bluesiger Romantik. Sicherlich keine Sternstunde, mithin noch unausgereift, aber wer wissen will, wo die Band herkam und warum sie später so klang, wie sie klang, der kann bereits hier einiges entdecken.





Erschienen auf Eternal Discs, 1991.

19.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (1)



THE TEA PARTY - Intro

with your arms around me
you're singing softly
and i fade from memories
and move on

Wenn ein Song einer Band zum offiziellen Hochzeitstanz und also -lied auserwählt wird, dann dürfte sich die Überraschung über (m)ein unwürdiges Dasein als entlangwürmelnder Fanboy in überschaubaren Grenzen halten. Tatsächlich besteht das musikalische Fundament unserer nun seit fast zwölf Jahre dauernden Ehe streng genommen aus zwei Bands: die eine heißt Dark Angel, deren Musik die Herzallerliebste zwar nicht vollkommen vorurteilsfrei begegnet, was jetzt schon der Euphemismus des Jahrtausends ist, die aber trotzdem zu einem überwältigend großen Teil dafür verantwortlich ist, dass wir uns damals überhaupt begegneten: der Herr Dreikommaviernull, anno 1999 hauptsächlich im alten Chat des Rock Hard Magazins herumgammelnd, verirrte sich wie viele der damaligen Rock Hard-Insassen auf die Chatseite der mittlerweile eingestellten Frauenzeitschrift Allegra (die älteren werden sich erinnern), um ein wenig herum zu kaspern - und kasperte also an einem bedeutungsschwangeren Tag im Juni 1999 unter dem Pseudonym "Dark Angel" zwischen Latte Macchiato- und New Economy-Flitzpiepen umher. Währenddessen, im Computerraum der Universität Erlangen, war eine junge Dame gerade dabei, ihre sieben Sachen zu packen und nach Hause zu fahren. Nur noch einen letzten kurzen Blick in den ebenfalls unregelmäßig genutzten Allegra-Chat werfen, vielleicht ist ja jemand da, den man kennt. Jetzt kommt der Moment, an dem es selbst für uns und heute noch umheimlich wird: aus zehn verschiedenen Chaträumen schaut die junge Dame ausgerechnet in die Anwesenheitsliste jenes Raums, in dem der spätpubertäre Herr Florian vor sich hin armorphelt, und entschließt sich alleine ob der Anziehungskraft des Namens "Dark Angel" kurzfristig dazu, als Gegenpol unter dem Namen "Blue Angel" ebenjenen Raum zu entern. Die Folge: 15 wunderbare Jahre.

Was zwischendrin liegt: eine Hochzeit im Jahr 2002. Eine Hochzeit von zwei Menschen, die nur ein paar Monate zuvor immerhin noch dachten, dass Heiraten nur etwas für spießige CDU-Wähler sei, die auf spritzige Sektspiele stehen und die Bibel unter dem Kopfkissen liegen haben. Die Lebenssituation half indes bei der Entscheidung: ich lag seit Monaten im Krankenhaus und es war irgendwie klar, dass wir, wenn ich diesen Scheißdreck schon überlebe, im Grunde nur eine Wahl haben. Es erschien plötzlich als das normalste der Welt - allerdings weiterhin ohne die CDU, ohne Anpinkeln und ohne die verdammte Bibel.

Zwei Wochen nach der abschließenden Mammutoperation, bei der zwar kein Mammut, dafür aber die Tumor-Mistsau vollständig und final und ultimativ aus meinem Körper herausgekratzt wurde, standen wir mit 50 Gästen im Standesamt Wiesbaden. Ich sah aus wie ein frisch geschlüpfter Zombie mit Frack und Fliege, aber immerhin einer, der am Abend, zwar unter Schmerzmitteln, aber die machen ja manchmal auch ganz schön viel Spaß, den Hochzeitstanz tanzte. Der Song hieß "These Living Arms" und gespielt wurde er von der "Triptych"-CD von The Tea Party, einem 1990 gegründeten Power-Trio aus dem kanadischen Toronto. Wir hatten das Exklusivitätsrecht, denn niemand der Anwesenden kannte den Song. Das mag jetzt alles schwer nach "Du Guter!" klingen, aber selbst wenn wir uns das nicht alle fünf Minuten immer wieder sagen müssen, ist es bis heute ein ganz besonderes Lied einer ganz besonderen Band für uns.

Eine Band, die in guten Zeiten besser war als fast alles andere.

Mittlerweile sind wir beide zwölf Jahre älter, die Kapelle hatte sich nach dem Album "Seven Circles" im Jahr 2005 aufgelöst, und es zeigte sich, dass man sich auch mit der Auflösung einer ehemaligen Lieblingsband durchaus arrangieren kann.

2012 kamen die drei Musiker, nach dem ein oder anderen Soloalbum und weiteren Bandarrangements, wieder zusammen, veröffentlichten zum feierlichen Anlass gleich mal eine im zweiten Heimatland Australien aufgenommene Liveplatte und haben tatsächlich ein neues Album geschrieben. Als wir uns gestern die erste Single "Water's On Fire" anhörten, ergab sich eine ausufernde Diskussion darüber, ob sich wirklich die Musik, oder doch nur das eigene Leben und die eigene Wahrnehmung verändert - man kann alleine hier herauslesen, dass wir beide von dem ersten neuen Tea Party Track seit neun Jahren nicht wirklich begeistert sind und uns vor Erregung die Kleider vom Leib rissen. Allerdings hatte die Auseinandersetzung darüber auch etwas Gutes: zum einen frug ich mich, warum ich hier noch fast niemals ein Wort über die Kanadier verloren hatte (was sich hiermit nun ändert), zum anderen war es eine schöne Zeitreise in eine wilde, spannende und emotional so überwältigende Zeit.

Da sollte ich mit einer neuerlichen Albumreview-Serie nutzen. Die letzten ihrer Art liegen ja nun auch wieder eine ganze Weile zurück. Stay Tuned. 

14.07.2014

Deep Diggin'



ELMO HOPE ENSEMBLE - SOUNDS FROM RIKERS ISLAND

Wenn einer, der mit Stars wie John Coltrane, Sonny Rollins und Jackie McLean und vielen anderen mehr Platten aufgenommen und bei Labels wie Blue Note und Prestige und Riverside die Aufnahmen unter seiner Führung veröffentlicht hat, dabei aber bis heute derart unter jedem Jazzradar hindurchfliegt, dann bin ich sofort elektrisiert. Der US-Amerikaner Elmo Hope ist ein solcher Fall, den die Jazz-Fans einfach immer übersehen hatten: seine außergewöhnliche Spieltechnik, bluesbeeinflusst und subtil nuanciert, feingliedrig und unvorhersehbar, mag wohl ein Grund dafür gewesen sein.

Seine anhaltenden Probleme mit Heroin, die zu einem Entzug der Spiellizenz in New York und einem folgerichtigen Umzug nach Los Angeles führten, überschatteten immer wieder sein Talent - und seinen Erfolg. In den Liner Notes zu dieser Platte, auf der übrigens ausschließlich ehemalige Insassen des berüchtigten Gefängnisses auf Rikers Island spielen (Lawrence Jackson, Trompete; Freddie Douglas, Saxofon; John Gilmore, Tenorsax; Ronnie Boykins, Bass - übrigens hier schon mal erwähnt -  und Philly Joe Jones, Drums, dazu spendieren Earl Coleman und Marcelle Daniels ihre Stimmen bei einigen Stücken), zitiert Nat Hentoff den Pianisten zu seiner Situation und seiner Sucht:
“All that time I was off (drugs) I worked hard. Everybody can tell you I worked hard. But jobs were hard to get and harder to keep. Some of the guys I worked for even seemed disappointed that I didn’t goof. Yet I stayed straight. But there were so many disappointments and so much scuffling and personal problems besides. So I got my problem again. I’m going to try to kick again. It might be too late. I might have to pay more dues. But I know I can’t get back to where I ought to be if I don’t stop entirely. Some guys wear the stuff well. At least, they can function while they’re on. Me, the minute I take the first taste, my troubles start. And with all the other tensions going on, I know I’m going to fall apart if I don’t get off. Music is the most important thing in life to me. And yet I’ve been goofing that life away for nothing.

“These days I’m out on the street with no crib. And there’s a new breed using now. I sit in one of those basement apartments and I see guys around me who don’t even have a dream, man. They’re real bitter people. I don’t want to get like that. But where do I go? I need some analysis. I need something to help me straighten out. But with what money? And if I stay with the habit, sooner or later I’ll get busted. And then, I could get put away for a long time. Now what sense does that make? Putting a man away when, if you tried to help him, he could still create. He could still be a credit to himself and everyone else. The only crime I commit, man, is reaching for the bag. And when I want to stop that, where do I turn? And you can see, even with all this pressure, I’ve got something going. I’ve got my own thing musically.”

Elmo Hope starb im Mai 1967 im Alter von nur 43 Jahren an Herzversagen. "Hope From Rikers Island" ist auf 180g schweren Vinyl wiederveröffentlicht worden und eine Art Blaupause für spirituellen Soul-Hardbop-Jazz, was stilistisch umso bemerkenswerter ist, wenn man weiß, dass diese Aufnahmen aus dem Jahr 1963 stammen und sich der Souljazz erst Ende der 60er Jahre etablieren konnte.

Erschienen auf Audio Fidelity, 1963.
Re-Issue erschienen auf Chiaroscuro, 2014.

11.07.2014

Die Reise zum Mittelpunkt



THIEVERY CORPORATION - SAUDADE

Bei jedem neuen Album der Thievery Corporation gibt's Gemecker: es sei immer wieder der selbe alte Soundkleister und außerdem brauche niemand eine neue Thievery-Platte, wenn er die alten, richtig coolen Scheiben im Schrank stehen hat. Bei den letzten drei Werken "The Cosmic Game", "Radio Retaliation" und "Culture Of Fear" musste mancher sogar noch darauf hinweisen, dass die politische Ausrichtung in Text und Bild ja überhaupt nicht zu der "megaentspannten Kuschelmusik" (Bild der Frau) passe, und dass man sowas ja gar nicht hören will, wenn man sich gerade ein Fass Cuba Libre von innen anschaut. Muss super sein, wenn man im Oberstübchen soviel kühlenden Magerquark hat.

Im Grunde kann man sich angesichts des neunten Studioalbums von Rob Garza und Eric Hilton von all dem verabschieden: "Saudade" ist, zumindest auf den ersten Blick, frei von Politik, und etwas Neues gibt's auch. Also, was neues Altes, aber immerhin. Und weil das alte Neue (sic!) die Komfortzone verlässt, wird jetzt in den Kommentarspalten des Internets der Ruf nach dem "guten, alten Thievery-Sound" laut - was doppelt paradox ist: "Saudade" geht mit seiner hundertprozentigen Fixierung auf den Bossa Nova exakt zu den Wurzeln des Duos zurück. Das ist der "gute, alte Thievery-Sound". Gleichzeitig verzichtet man fast vollständig auf all zu elektronische Dub- und Downbeat-Elemente der Vorgänger und betritt insgesamt durchaus neues Terrain. Was "Saudade" außerdem bietet: wundervolle Stimmen! Melancholie! Euphorie! Schwermütiges Seufzen! Es ist die Lust am Leben im Ascheregen. Und damit ist es streng genommen ja durchaus schwer politisch, gesellschaftspolitisch sowieso. Ein introspektiver Blick auf die Existenz und deren Vergänglichkeit in diesen chaotischen Zeiten. Philosphisch, tiefgründig, nachdenklich.

Ich twitterte beim ersten Anhören des neunten Studioalbums im April, dass man "Saudade" am besten nachts und bei 30°C am Strand Deiner Wahl hören sollte. Damit's noch eine Spur schöner wird, lege ich nach intensiverer Auseinandersetzung in den letzten Wochen noch ein Päckchen Antidepressiva mit in den Sand.

Erschienen auf ESL Music, 2014.

08.07.2014

You like Foie Gras? Then fuck you!

Klick auf das Bild für eine größere Ansicht




Warnung: schau' Dir das Video nicht an, wenn Du abscheuliche Gewalt gegen Tiere nicht sehen willst (und sowohl Dein Blutdruck als auch Dein Mageninhalt da bleiben sollen, wo sie gerade sind).





Selbst in einer Umgebung, die nicht gerade arm an abseitiger und perverser und widerwärtiger Scheiße ist, ist die "Herstellung" von Foie Gras wohl die abseitigste und perverseste und widerwärtigste Scheiße ever.

Und wenn Du das Zeug kaufst oder frisst, dann bist Du ein Riesenarschloch. 

Case closed. 



06.07.2014

Italian Fuzz




SANDRO BRUGNOLINI - UNDERGROUND

Keine Ahnung, was in den siebziger Jahren bei den sonntäglichen Gottesdiensten in Rom so alles in die Hostie eingebacken wurde, aber man darf es mir auch zuschicken, wenn's recht ist. Sandro Brugnolini, ein italienischer Komponist, Alt-Saxofonist, Jazzer und in all diesen Funktionen ganz besonders für Soundtracks zuständig, hat 1970 mit fast identischer Backing Band zwei Instrumentalplatten eingespielt, die mittlerweile beide Kultstatus besitzen: "Overground" wechselt dabei auch mal für ein bisschen Kleingeld den Besitzer und wurde einen Monat vor seinem Counterpart "Underground" veröffentlicht. Ebenjener ist nun wiederveröffentlicht worden und bietet einige Weirdo-Abfahrten in die Fliegenpilz-Zuchtanlange in Psych-Jazzhausen und Psych-Funkstadt. 

Die funkigen Bassläufe spielen Dich selbst in einer Telefonzelle schwindelig, die Gitarre von Silvano Chimenti (u.a. Zusammenarbeit mit Ennio Morricone, Gitarrist auf dem Soundtrack zu "Mein Name ist Nobody") tupft ein psychedelisches Netz aus Freejazz- und Wah-Wah-Fuzz-Sounds zusammen, darüber groovt der Beat einen Oberlippenschnauzer in jede Bikinizone. Ein dolles Ding - und der inoffizielle Anfang der progressiven, psychedelischen Musik Italiens. Und was kann bei diesen Songtiteln schon schief gehen:

Psichefreelico, Impressianico, Reiteratoico, Uauaico, Diacromeico, Africaneidico, Bacharachico, Respondico, Ciaciastico, Velocipedeico, Dimandico.





Wie ich eben gerade gesehen habe, ist "Overground" mittlerweile ebenfalls wiederveröffentlicht worden - allerdings ist selbst dieser Re-Issue mit 28 Euro unverschämt teuer.


Erschienen auf Sincro Edizioni Musicali, 1970.
Re-Issue erschienen auf Sonor Musiceditions, 2014.


04.07.2014

Dirty Schneewittchen



ESPERS - II


Erster Gedanke: Haha, Rollenspielmusik. Zweiter Gedanke: Räucherstäbchen. Dritter Gedanke: Licht aus, Hosen runter.

Abteilung "Wiederentdeckung". Espers aus Philadelphia hatten es anfangs gar nicht mal so leicht, die Schutzmauer einzureißen, die ich angesichts vermeintlicher Musik für Menschen, die in Rüschenhemden zum Lidl gehen und Totenkopfaschenbescher auf dem Wohnzimmertisch stehen haben, hektisch errichtet hatte. Und so ganz ist es ihnen auch immer noch nicht gelungen, wenn auch mittlerweile nur noch die Grundmauern stehen. Die zarten Akustikgitarrenklänge, das entrückte Stimmchen von Meg Baird, das Robin Hood-Cello, das durch die Songs schleicht, die knisternde Lagerfeuerromantik - bei allem Respekt, aber unter normalen Umständen halte ich sowas nicht lange durch.

Mit der Zeit begann allerdings das Zwiebelprinzip für die Band zu arbeiten, und die Songs begannen, ihre ganze Pracht auszubreiten. Espers arbeiten auf dem Nachfolger ihres selbstbetitelten Debuts aus dem Jahr 2005 großflächig mit dem ewigen Gezerre der Gegenspieler Licht und Schatten, die sie allerdings so fein miteinander verweben, dass sie keine Gegner mehr sind, sondern Partner. In conclusio: Es ist neblig hier. Ein bisschen esoterisch. Die teilweise bis zu neun Minuten langen Songs zeigen einen kruden Mix aus traditionellem Folk, dunklem, obskurem Siebziger-Jahre Progressive Rock und spiritueller New Age Musik. In "Cruel Storm" legt man sogar eine astreine Nick Drake Performance auf den Laser, die einem fast die Freudentränen in die Augen treibt, sofern man sich von dem allzu tief in Hippiegeschunkel verorteten Opener "Dead Queen" lösen konnte. Dies sind die Kehrseiten einer Platte, die im Grunde viel Potential hat, es manchmal sogar ausschöpft und trotzdem Assoziationen hervorruft, für die ich im Grunde Amnesty International anfunken müsste. Trotzdem gefällt mir das heute alles bedeutend besser als früher. Woran's wohl liegen mag?

Würden der mittlerweile mehrheitlich auf Schlössern und Burgen umherspringende Richie Blackmore und die bezaubernd unwirkliche Elfe Loreena McKennith eine akustische, dreistündige Version von Deep Purples "Space Truckin" auf Psychopilzen 'runterhobeln, vielleicht kämen wir dann ziemlich genau zu dem, was Espers im faszinierenden "Dead King" erbauen, in dem es in der zweiten Hälfte sogar mal laut wird. Oder im reichlich offen und nach Jam-Session klingenden Mittelteil des programmatisch betitelten "Mansfield And Cyclops", bei dem Greg Weeks die Les Paul Gassi führen und mit Feedback herumlärmen darf. Je öfter ich "Espers II" hörte, desto mehr entdeckte ich die Tiefe und Spiritualität dieser Platte. Ich werde mit zunehmendem Alter auch irgendwie komisch.

Erschienen auf V2 Records, 2006.

02.07.2014

You Were Cool



THE MOUNTAIN GOATS - YOU WERE COOL

Sie begleiten mein musikalisches Dasein jetzt schon eine ganze Weile, die Mountain Goats um Sänger, Gitarrist und Texter John Darnielle. Vor sechs Jahren ließ ich mich angesichts einer grandiosen Darbietung des Hits "No Children" sogar zu einem "Es geht kaum größer." hinreißen und der unten anhängende Auftritt beim Newport Folk Festival im Jahr 2013 bestätigt die Jubelarie.

Es ist vor allem das bislang unveröffentlichte "You Were Cool" (startet bei 7:22), das mich einerseits leise wimmernd dahinschmelzen lässt, andererseits emotional komplett aufwühlt. Darnielle sagt, der Song sei einer ganz besonderen Person gewidmet, mit der er tatsächlich damals in der High School war, und er erzählt die Geschichte von zwei Außenseitern so rührend, dass es nicht nur ihn bei jeder Performance im letzten Drittel des Songs förmlich aus dem Sakko sprengt. Ich bin regelmäßig den Freudentränen nahe.


This is a song with the same four chords
I use most of the time
When I've got something on my mind
And I don't want to squander the moment
Trying to come up with a better way
To say what I want to say

People were mean to you
But I always thought you were cool
Clicking down the concrete hallways
In your spiked heels
Back in high school

It's good to be young, but let's not kid ourselves
It's better to pass on through those years and come out the other side
With our hearts still beating
Having stared down demons
Come back breathing

People were mean to you
But I always thought you were cool
Clicking down the concrete hallways
In your spiked heels
Back in high school

You deserved better than you got
Someone's got to say it sometime because it's true
People should have told you you were awesome
Instead of taking advantage of you
I hope you love your life now
Like I love mine
I hope the painful memories only flex their power over you a little of the time
We held on to hope of better days coming
And when we did we were right
I hope the people who did you wrong
Have trouble sleeping at night

People were mean to you
But I always thought you were cool
Clicking down the concrete hallways
In your spiked heels
Back in high school


Das ist aber noch nicht alles. Es lohnt sich, nach "You Were Cool" noch dranzubleiben: ein kleines Kind aus dem Publikum wünscht sich lautstark "Cubs In Five" aus dem Album "Nine Black Poppies", und Darnielle sagt

"You magnificent young person, we do not know this one as a group."

- der 1995 geschriebene Song über die Chicago Cubs, ein US-amerikanisches Baseball-Team, das trotz chronischer Erfolglosigkeit sehr beliebt ist und auch zärtlich "Lovable Loosers" genannt wird, ist zwei Dritteln der Truppe nicht bekannt. Aber sie schaffen es trotzdem, "Cubs In Five" für dieses Kind zu spielen.

Ein großartiger Moment.

they're gonna find intelligent life up there on the moon
and the canterbury tales will shoot up to the top of the best seller list
and stay there for 27 weeks

and the chicago cubs will beat every team in the league
and the tampa bay bucs will make it the way to january
and i will love you again
i will love you, like i used to
i will love you again
i will love you, like i used to


the stars are gonna spell out the answers to tommorow's crosswords
and the phillips corporation will admit that they've made an awful mistake
and bill gates
will single handedly spearhead the heaven seventeen revival


and the chicago cubs will beat every team in the league
and the tampa bay bucs will take it all the way to the top
and i will love you again
i will love you, like i used to
and i will love you again
i will love you, like i used to



Und - wie unfassbar cool sind bitte die Aufnäher auf Darnielles Jacke? Order From Chaos! Mercyful Fate! Sarcofago! SARCOFAGO! Da geht man doch kaputt?!




30.06.2014

Falling In Love



SHEILA JORDAN - PORTRAIT OF SHEILA

Eine echte kleine Rarität, und das auf mehreren Ebenen. "Portraits Of Sheila" der US-amerikanischen Jazz-Sängerin Sheila Jordan ist eine von nur zwei Vocal Jazz-Aufnahmen, die Blue Note, das vielleicht berühmteste Jazzlabel der Welt, unter der Ägide der beiden Gründer Francis Wolff und Alfred Lion veröffentlichte (das andere stammt von Dodo Greene, heißt "My Hour of Need" und erschien im Jahr 1963 - wäre nebenbei gesagt auch mal schön, darüber zu schreiben, wäre es nicht?). Blue Note hatte bis zur Veröffentlichung von "Portrait Of Sheila" im Jahr 1962 die strikte Regel, keine Gesangsaufnahmen zu veröffentlichen. Nachdem Alfred Lion Jordan allerdings im Page Three Club in Greenwich Village live sehen und hören konnte, wurde die Regel zum ersten - und nach Dodo Greenes Album für die nächsten acht Jahre auch einzigen Mal gebrochen: 1970 hieß die Platte "Worth Waiting For..." und wurde von Joe Williams eingesungen; da war Blue Note aber schon an Liberty Records verkauft worden und Lion, der sich innerhalb der größeren Liberty-Organisation nicht zurechtfand, ab 1967 bereits in Rente. Heute sind die genannten Labels übrigens unter dem Scheißhausdach von Universal Music versammelt. Schon toll, diese globalisierte Weiterentwicklung.
"The more I heard her, the more moved I was by her extraordinairy talent." 
(Alfred Lion)

Jordan selbst, im Jahr 1928 geboren, lehnte bis zu dem Angebot seitens Blue Note jede Offerte für eine Aufnahme ab, weil sie ihre künstlerische Freiheit von den Label-A&Rs bedroht sah. Alfred Lion ließ ihr indes künstlerisch komplett freie Hand, sieht man davon ab, dass er Jordan von der Umsetzung der ursprünglichen Idee abriet, das Album ausschließlich mit Bass und Stimme einzuspielen. Es dauerte nach "Portrait Of Sheila" bis ins Jahr 1975, bis Jordan die zweite Platte unter eigener Führung veröffentlichte: "Confirmation" auf East Wind Records, einem 1977 aufgelösten Jazz Label aus Japan.

Als drittes Mosaik im angesprochenen Raritätenstadl fungiert zuguterletzt die Tatsache, dass Herr Dreikommaviernull das Album in sein Herz geschlossen hat, obwohl sich eine Jazzgitarre durch die 12 Kompositionen würmelt. Für mich ist das üblicherweise Grund genug, nicht mal im Ansatz Interesse auch nur vorzugaukeln, auf "Portrait Of Sheila" ist das etwas anders. Denn es ist in erster Linie Jordans umwerfende Stimme, die dieses Album prägt und es dirigiert, und es sind auch die Arrangements, gerade zwischen dem Bassspiel von Steve Swallow und Sheila, die hier jeden Ton angeben. Umwerfend ist in diesem Sinne das intime und auch irgendwie naive "Dat Dere", das tatsächlich nur mit Bass und Stimme eingespielt wurde. Mit welcher Elastizität und mit welchem Verve Jordan mit ihrer Stimme spielt, wie sie hüpft und immer wieder auf dem exakten Ton ankommt, wie sie kreiselt, spricht, klettert und wieder fällt ist besonders bei detaillierter Beschäftigung ein Hochgenuss. Es ist in diesem Zusammenhang keine große Überraschung mehr, dass ihre Stimme durch das Nachsingen der Trompete Charlie Parkers gestählt wurde. Wer "Dat Dere" hört weiß, was ich meine.

Ich erwähnte eben die Intimität und dies ist auch darüber hinaus ein gutes Stichwort. Besonders die Balladen ziehen mich in ihren Bann, so sparsam instrumentiert sie auch immer sein mögen. Die Produktion von Rudy van Gelder lässt ihnen so viel Luft wie möglich, die die Band, mit dabei sind neben Swallow außerdem Gitarrist Barry Galbraith und Drummer Denzil Best, nicht etwa im Sinne einer Überlast, sondern im genauen Gegenteil: im Weglassen von Noten ausfüllt. Hier entstehen die beeindruckendsten Momente dieser Aufnahme, wie beispielsweise in "Who Can I Turn To Now", einer feingliedrigen und doch so mächtigen, eindringlichen Komposition.

Wer nun eine Schwäche für alte Vocal Jazz Aufnahmen hat, übersehene Perlen des Blue Note Katalogs neu entdecken will oder auch nur den Unterschied zu dem Mainstream Gewäsch des heutigen Blue-Note-Universal-Major-Label-Holladrios erforschen möchte, dem hat das auf Reissues spezialisierte Label Heavenly Sweetness einen großen Gefallen getan: die Platten sind hübsch aufgemacht, klingen hervorragend und erscheinen auf schwerem 180 Vinyl. Zusätzlich sind es in aller Regel die übersehenen, längst vergriffenen Werke, die sich das Label zur Wiederbelebung ausgesucht hat, unter anderem auch das grandiose zweite (und leider letzte) Blue Note Album von Posaunist Grachan Moncur III "Some Other Stuff". Viele gute Gründe.


Erschienen auf Blue Note, 1963.
Reissue erschienen auf Heavenly Sweetness, 2014.

27.06.2014

Zurück in die Zukunft



ALICE COOPER - BRUTAL PLANET

Ich bin zugegebenermaßen nicht über Gebühr mit dem Oevre von Alice Cooper vertraut. Die ollen Kamellen haben mich selbst in der Zeit nicht gejuckt, in der ich noch dachte, jede Plattensammlung müsse aus Prinzip mindestens ein Album der Beatles, Deep Purples oder Led Zeppelins ausweisen, und nach seinen beiden erfolgreichen und unvermeidlichen Werken "Trash" und "Hey Stoopid" habe ich den von Mama und Papa Vincent Damon Furnier genannten Sänger auch flugs wieder aus den Augen verloren - mit einer Ausnahme: sein im Jahr 2000 erschienenes Album "Brutal Planet" machte mir zur Jahrtausendwende und für den Zeitraum von ein paar Wochen verflucht viel Spaß. Auch 14 Jahre später sind es immerhin noch eine Handvoll Songs, die mich nonchalant zum Mitwippen provozieren.

Sechs Jahre nach dem 1994er Album "The Last Temptation" versuchte Alice offensichtlich den Industrial/Alternative Markt zu knacken. Als Produzent holte er sich Bob Marlette ins Boot, der sich zuvor schon einen Namen mit Rob Halfords "Industrial-Light"-Projekt 2wo gemacht hatte und zur damaligen Zeit einen ähnlichen Ruf hatte wie Bruce Dickinson Kumpel Roy Z: aus eher traditionellen und teils abgehalfterten Rock- und Metalmusikern modern und taufrisch klingende Hipster-Opas zu formen. Als Gitarrist fungierte außerdem der spätere Marilyn Manson Axtschwinger John 5 aka John Lowery für Alice' Jungbrunnen-Experiment. Trotzdem war "Brutal Planet" im Grunde viel zu spät dran für den Industrial Boom, und wäre Cooper ähnlich im Gedächtnis-Pleistozän des Heavy Metal vergraben gewesen wie beispielsweise Rob Halford, dann hätten ihn die von Metal-Betonköpfen geworfenen Kübel voller Scheiße ähnlich hart getroffen wie die Judas Priest-Ikone. Cooper war indes nie der Vorzeigemetaller. Cooper war Rocker und Entertainer, meinetwegen auch für weite Teile der Metalszene eine Legende, darüberhinaus - stilistisch - aber im Grunde irrelevant. Somit war die einzige milde Strafe, die das Publikum gegen "Brutal Planet" aussprach weitgehende Ignoranz. Und das hat die Platte, by any means, nicht verdient.

Wenn man das stilistisch offensichtliche und auch ein bisschen peinliche Kalkül außer acht lässt und einzig die Songs und die eigenen Ohren entscheiden lässt, dann kann "Brutal Planet" ordentlich frischen Wind ins Cooper'sche, von Desmond Child und Mainstream-Balladen ausgefranste Repertoire blasen, denn er klang niemals härter und kraftvoller und ernsthafter als auf dieser Platte. Das tief in den Knien hockende, groovende Riffing, die zum Teil programmierten, mechanischen Beats und die kalte, strenge Atmosphäre kann man zwar auch auf Marilyn Manson-Platten hören, Cooper ist aber einer vom alten Schlag, einer, der Melodien schätzt. So zeigt sein 21.Studioalbum einen fast perfekten Spagat zwischen moderner Frische und den klassischen Wurzeln seiner Karriere: hinter jedem Aggroriff steckt eine satte Hookline, hinter jedem eisfrischen Ambossschlag ein großer Melodiebogen, der die Wolkendecke aufreißt. Und Pathos. Pathos finden wir auch eine ganze Menge. Nicht immer von Vorteil, wie ich hinzufügen möchte.

Man kann das für einen damals 62-jährigen Altrocker vermutlich durchaus deplatziert und kläglich finden, keinen Zweifel gibt es indes an der Kohärenz und an dem roten Faden des Konzepts: "Brutal Planet" ist sorgsam austariert und hat mit dem auch aktuell immer wieder in seinen Livesets auftauchenden Titeltrack, "Sanctuary", "Blow Me A Kiss", "Eat Some More" und dem fantastischen "Cold Machines", ein ultimativ provoziertes Manson-Rip-Off, nur mit Struktur, Melodie und Substanz, mindestens fünf Songs, die aus meiner persönlichen Sicht sein übriges mir bekanntes Repertoire klar in den Schatten stellen. Wenn man nicht gerade zu "Poison" oder "Burning Our Beds" am Rumfummeln ist, versteht sich. Minuspunkte gibt es nur für die Texte, denn: oh boy! Klischee reiht sich an Klischee und trotz durchaus ernster und valider gesellschaftlicher Themen wie Hunger, Krieg, Depression und Konsum, bleibt Alice nur an der Oberfläche und gammelt am Allgemeinplatz herum. Das ist nicht so schlimm, dass es einem die Platte verhagelt, und die Zielgruppe war vermutlich sowieso schon damit entweder heillos überfordert oder zu Tode gelangweilt, aber das hätte schon alles einen Funken schlauer gemacht werden dürfen. Andererseits: der Mann ist strengreligiöser Republikaner. What to expect?




Erschienen auf Spitfire, 2000.