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30.10.2016

Demo Für Alle, Hirn für Keinen

Bis vor wenigen Monaten konnte ich noch mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Durchgeknallten in Baden-Württemberg und deren Protest gegen den Bildungsplan der grün-roten Landesregierung deuten, die grünversifften Gutmenschenneger planten die "Frühsexualisierung" ihrer Kinder, die "Zerstörung der Ehe zwischen Mann und Frau als tragende Stütze unserer Gesellschaft" und außerdem die Einführung der Homo-Ehe für alle, so dass also auch demnächst das brave Christenwürschtel mit am Herd festgeketteten Eheweib einem seiner Geschlechtsgenossen vor dem Traualtar einen blasen muss, weil es das Gesetz eben so will; anders ist diese Komplettvernagelung des Dachgeschosses ja auch wirklich kaum zu erklären: "Wir planen die Einführung einer rechtsverbindlichen Spermainjektion und einer daraus resultierenden Oberschenkelschwangerschaft für alle männlichen Christen bis zum 45.Lebensjahr und wer nicht mitmacht, wird erschossen!" (Winfried "Kretsche" Kretschmann, Zitat ähnlich).

Mittlerweile ist der Lobotomierten-Virus aber auch auf Hessen übergesprungen, und das fühlt sich auch an einem eigentlich sonnigen und friedlichen Sonntag wirklich richtig ekelhaft an: Das Aktionsbündnis "Demo Für Alle" mit dem "Edler Vollquatsch in Nuss"-Motto

"Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder"

und geführt von der lückenlos formidabel benamten Hedwig Freifrau von Beverfoerde, einer konservativ-katholischen und in der CDU beheimateten Kaltmamsell, die sich nicht zu schade war, sich diesen frechdummen Quadratscheiß gemeinsam mit der pathologisch verrückten Mausausrutscherin Beatrix von Storch von der AFD auszuschnapsen; wohlgemerkt also mit einer Frau, die via Twitter, Facebook und Wolfsschanzen-Kutscher Andeutungen dergestalt machte, die Grenzen des großdeutschen Reichs notfalls auch mit dem ausgesprochenen Scheiß, pardon: Schießbefehl für und auf Frauen und Kinder zu sichern - denn wenn man nur die Männer abknallt, ist's nur halb so tragisch, wie es an der Empörungsskala der deutschen Qualitätspresse abzulesen und mehr oder minder frei interpretierbar ist:





In der Selbstbeschreibung von "Demo Für Alle" heißt es:

Veranstalter der DEMO FÜR ALLE ist ein Aktionsbündnis verschiedener Familienorganisationen, politischer Vereine, engagierter Einzelpersonen und Initiativen aus ganz Deutschland. Wir treten ein für Ehe und Familie, auf die unsere Gesellschaft seit Jahrtausenden gründet, und wenden uns gegen die alles durchdringenden Umerziehungsversuche gut organisierter Lobbygruppen und Ideologen.

Nun ist es gute Tradition konservativer Parteien, Vereine und Thinktanks, die Einnahme von Tabletten zur Behandlung von Halluzinationen früher abzusetzen als vom Onkel Doktor empfohlen, und die Ergebnisse sind immer die gleichen, wenn nicht selben: der Weltuntergang steht kurz bevor, weil Frauen sich gegenseitig die Mumu und Männer sich gegenseitig den Pumu lecken, der Pfarrer nur noch strukturellen Kindesmissbrauch betreiben aber immer seltener Mann und Frau trauen kann und weil ein politischer Bildungsplan eines Bundeslandes vorsieht, das Recht auf sexuelle Freiheit und das Ausleben derselben zu "akzeptieren" und nicht etwa zu "tolerieren". Ein progressiver Sexualkundeunterricht an deutschen Schulen ist "Indoktrination im Sinne des Gender-Mainstreaming", und die "Homo-Lobby" plant die "Aufhebung aller sexuellen Normen" im Rahmen ihrer "kulturrevolutionären Strategie". Die drei letzten Zitate stammen allesamt von Gabriele Kuby, einer Fundamentalisten-Furie aus Rechtsauslegerhausen, die sich die als Faltensack getarnte Denkvorrichtung noch nicht glattbügeln konnte, denn für Madame Kabelbrand ist Homosexualität nicht nur Sünde, sondern auch heilbar:












In Wiesbaden hat "Demo Für Alle" zum heutigen Sonntag zur großen "Anti-Indoktrinations-Demo" geladen, unterstützt vom Who-Is-Who christlich-konservativer Organisationen und Initiativen:




Während sich die hessische CDU offiziell vornehm zurückhält und der Demo weder beiwohnt noch sie unterstützt - schließlich hat sie das zur Diskussion stehende Papier ja in erster Linie zu verantworten - sehen das Arbeitskreise der Union und die ihr nahe stehenden politischen Gruppierungen ganz offensichtlich anders - und als ob wir wirklich noch einen zusätzlichen Grund benötigen würden, um sämtliche Gedanken, Ideen, Visionen in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus dem Umfeld dieser Partei und ihrer Wähler immer und immer wieder zu 100% abzulehnen: hier hätten wir ihn dann. Sicherer Begleiter solcher Argumentation ist das klägliche und überaus bedauernswerte Zurückziehen in die Opferrolle, samt Negierung sämtlicher Realitäten. So wird etwa von eingeschränkter und unterdrückter Meinungsfreiheit schwadroniert, von struktureller Diskreditierung, von politischen Verschwörungen. Die arme kleine unterdrückte, an den Rand gedrängte, zum Schweigen gebrachte Minderheit - die sich zum freien Demonstrieren jeden Sonntag auf irgendeinem Rathausplatz treffen darf - und sei die geist'ge Armut im Brägen noch so groß, die Gedanken noch so wirr und das Mikrofon noch so laut: das absurde Gefühl, man befinde sich in der Minderheit, werden diese Menschen nicht mehr los. Dabei wird andersrum ein Schuh draus, denn die Minderheit IST tatsächlich Opfer von Diskriminierung:

Eine Online-Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ermittelte 2013 für Deutschland unter anderem folgende Zahlen: 46 % der Befragten LGBT (von engl. lesbian, gay, bisexual, and transgender) fühlten sich in Deutschland im letzten Jahr diskriminiert, 68 % haben ihre sexuelle Identität oft oder immer während der Schulzeit versteckt. 6 % der LGBT wurden im letzten Jahr Opfer von physischer oder sexueller Gewalt. Nur 4 % der gleichgeschlechtlichen Paare wagen, sich Händchen haltend in der deutschen Öffentlichkeit zu bewegen, während dies 68 % der heterosexuellen Paare tun. (Wikipedia, Homosexualität in Deutschland)


Was wir hier beobachten sind letzten Endes verzweifelte Versuche, den eh schon bröckelnden Status Quo eines veralteten gesellschaftlichen Dogmas um jeden Preis am Leben zu erhalten, während der Rest von uns sich längst von einem reaktionären, altmodischen, Realitäten nicht anerkennenden Format des Zusammenlebens verabschiedet hat. Ich habe in den letzten Monaten so manch gelupfte Augenbraue präsentiert bekommen, als ich meine Hoffnung zum besten gab, die Welt und die Menschen befänden sich auf einem guten Weg: wie könne ich denn im Zeitalter des Untergangs und vor dem Hintergrund solch großer, existentieller Probleme der Menschheit davon reden, dass schon alles gut gehen würde; ich sei ja ein naiv-verblendeter "Hippiearsch" (Rodgau Monotones) und hätte wohl die Seiten gewechselt - weil wenn die Gegenseite schon aus bloßer Faulheit nicht differenziert, dann muss man es selbst schließlich auch nicht machen. 

Die Antwort lässt sich am oben beschriebenen Phänomen bestens illustrieren: weil wir als Gesellschaft solche bösartigen, reaktionären Sackgesichter hinter uns lassen und schon gelassen haben.

Sie spielen keine Rolle mehr. 

Sie sind egal.

Sie sind vergessen.

Die progressive Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind viele. Und bald sind wir alle. Und der Rest soll sich solange wegficken. 


20.09.2015

Iron Maiden - The Book Of Half-Assed Souls




IRON MAIDEN - THE BOOK OF SOULS



- PROLOG -


Wer meinen kleinen Blog nicht erst seit gestern beobachtet, dem wird meine mittlerweile in voller Blüte stehende Hassliebe zur britischen Heavy Metal Legende Iron Maiden durchaus geläufig sein. Liebe, weil das Flagschiff einst dafür verantwortlich war, dass der kleine Florian auf den Pfad der elektrisch verstärkten Gitarre einerseits und großer, bunter, Mutti Angst machender Monster andererseits gebracht, und also Roland Kaiser nahezu wortwörtlich eingemottet wurde - jedenfalls seine Platten. Liebe aber auch deshalb, weil mein erstes besuchtes Rockkonzert jenes von Bruce Dickinson in der Frankfurter Batchkapp war, das zweite von Iron Maiden in der Frankfurter Festhalle gespielt wurde, und weil ich den Buben über fünfundzwanzig Jahre hinweg beinahe völlig blind folgte und so gut wie alles abnickte, was sie mir zum Fraß vor die Füße warfen. Und wenn es, ganz besonders im Rückblick, ein noch so großer, bitterer Haufen "Gammelmusik mit X, das war wohl nix" - pun intended - war: ich liebte und kaufte alles. 

Die Sache mit dem Hass ist schwieriger zu erklären, aber ich habe es zumindest hier und da versucht, zu erläutern. Der Versuch einer Kurzform: Iron Maiden sind nicht erst seit heute, aber es zeigt sich offensichtlicher als früher, ein millionenschweres Wirtschaftsunternehmen mit perfekter Vermarktung, dessen erstes Ziel es schon lange nicht mehr ist, besonders kreative Musik zu erfinden; eine Einlassung, die sämtliche Widersprüche beinhaltet, die aus dem Spannungsfeld zwischen prominent dargestellter Fannähe und dem "Höher, Schneller, Weiter"-Prinzip von BWL-Studenten entstehen können. Das wissen sowohl die beiden Managementköpfe Andy Taylor und Rod Smallwood, als auch Chef-Jungfrau Steve Harris, die sich längst allesamt ein ganzes Kaufhaus in der Größe einer Pazifikinsel mit goldenen Nasen drin kaufen könnten. Ich neide ihnen das nicht, denn eine Band - eine Heavy Metal Band zumal, die zu keinem Zeitpunkt ihrer Karriere und somit anders als beispielsweise Metallica mit "Nothing Else Matters" oder AC/DC mit "You Shook Me All Night Long" ein millionenfaches Mainstreampublikum erreichte - über einen Zeitraum von über 35 Jahren nicht nur an die Spitze zu führen, sondern sie auch noch dort noch für die nächsten geschätzten 3,4 Millionen Generationen einzubetonieren, und dabei über die gesamte Karriere hinweg als glaubwürdig zu gelten, ist eine wirklich unfassbare Leistung. Das ist ihr Lebenswerk, und ich muss davor alle verfügbaren Hüte ziehen. 

All das führt auf der anderen Seite auch dazu, dass man erstens sein Publikum ganz genau kennt (und kennen muss), und zweitens weiß, dass man sich auf dem Niveau, auf dem sich Maiden allerspätestens seit der Reunion mit Sänger Bruce Dickinson und Gitarrist Adrian Smith im Jahr 1999 bewegen, künstlerisch keine Beine mehr ausreißen muss, um die Stadion- und Arenashows auszuverkaufen, die in Zeiten von Download- und Streamingangeboten sowieso bedeutend lukrativer sind als Plattenverkäufe. 

Beide beschriebenen Pole sind aus meiner Sicht notwendig, um sich dem kürzlich erschienenen neuen Album "The Book of Souls" zu nähern, denn die Konsequenz ist offensichtlich: ich schaue Maiden ganz besonders gerne über die kreative, kommerzielle und strategische Schulter und kann für beide Extreme gleichermaßen leidenschaftlich werden.


- DAS OBJEKT - 


Mit "The Book Of Souls" hat die Band erstmals in ihrer Karriere ein Doppelalbum veröffentlicht. Aufgenommen im Sommer/Herbst 2014 in Paris unter der Regie von Kevin Shirley, bietet das Opus überdenkenswerte 92 Minuten neuer Musik, die ebenfalls erstmals fast vollständig im Studio geschrieben wurde.  Schenkt man den Worten von Gitarrist Dave Murray Glauben, war der kreative Songwritingprozess gar so ergiebig, dass die Truppe die Sessions willentlich abbrach, weil sie ansonsten zuviel Material geschrieben hätte - und das geht bei Iron Maiden nun wirklich nicht, denn die Stechuhr hat gerufen, und die B-Seiten der Singleauskopplungen werden gefälligst mit überflüssigen und unausgegorenen Demoversionen vollgenagelt, die man in irgendeiner Rumpelkammer seit Jahren am Rumgammeln hat. Wäre ja sonst alles noch schöner. 

Es gibt noch mehr Außergewöhnliches zu erzählen. Auf "The Book Of Souls" finden sich insgesamt elf neue Songs, von denen ganze vier ohne Beteiligung des Bandleaders und Bassisten Steve Harris entstanden, ein angesichts Harris' Charakter als sturer Controlfreak beinahe revolutionärer Wert: das letzte Mal, als es eine ähnliche Anzahl von "No Steve"-Songs auf ein Maiden-Album schaffte, schrieben wir das Jahr 1992 und die Platte hieß "Fear Of The Dark". Damals waren es gar fünf Kompositionen, die sich die übrigen drei Songwriter Murray, Gers und Dickinson auf die Fahne kritzeln durften und was dabei herauskam, wissen wir heute: ein orientierungsloses, zerfahrenes Werk, das streng genommen nur wegen des alles überstrahlenden Titelsongs eine Daseinsberechtigung hat; Text und Musik übrigens Steve Harris, bitte, danke. 

Diesen Fehler sollte Harris bis in das Jahr 2015 nicht mehr zulassen. Auf den nächsten sechs Studioalben, vom 1995er "The X-Factor" bis zu "The Final Frontier" aus dem Jahr 2010 ließ der Bassist insgesamt nur drei Tracks durch die Qualitätskontrolle wurschteln, die ohne seine Beteiligung komponiert wurden: "Man On The Edge" von "The X-Factor", "Como Esta Amigos?" von "Virtual XI" und die Nicko McBrain Premierenidee "New Frontier" auf "Dance Of Death". In einem aktuellen Interview zu "The Book Of Souls" im britischen Metal Hammer sprach Harris davon, zwei ihm sehr nahe stehende Menschen verloren zu haben, was die Aufnahmen zu "den schwersten seiner Karriere" machten. Was nebenbei eine Erkenntnis ist, die der GRÖBAZ bereits nach den Aufnahmen zu "The X-Factor" in jedes Journalistenmikrofon trompetete, weil er im Scheidungsprozess mit seiner damaligen Ehefrau steckte.  

Auch in Sachen Songwriting und - im weitesten Sinne - Sound gibt es die ein oder andere Überraschung, die so nicht zu erwarten war: der Opener "If Eternity Should Fail", von Bruce Dickinson im Alleingang und ursprünglich für eines seiner Soloalben geschrieben, brachte das Sextett zum ersten Mal dazu, die Gitarren mittels des "Dropped-D"-Tunings herunter zu stimmen - unter großen Schmerzen und Bedenken zwar, aber immerhin. Wer auch nur ahnt, wie groß die Angst der Band mittlerweile ist, ihre Anhänger Schrägstrich Kontostände mit derlei Experimenten zu verunsichern, und seien sie noch so schreiend banal, wie beispielsweise eine verfluchte Gitarrensaite einen Ton nach unten zu stimmen, kann ermessen, welche Kämpfe ausgefochten werden mussten. Zweiter großer Hinhörer: der über 18-minütige Schlusspunkt "Empire Of The Clouds", von Dickinson ebenfalls im Alleingang über mehrere Jahre ausgebrütet und nun für "The Book Of Souls" zum Leben erweckt, ist nicht nur der längste Maiden-Song aller Zeiten, sondern auch der erste, der ein Klavier präsentiert. Dazu aber später mehr.

Auch für Dickinson selbst waren die Aufnahmen bemerkenswert: kurz nach Abschluss der Sessions wurde bei ihm ein bösartiger Tumor in der Größe eines Golfballs an der Wurzel seiner Zunge festgestellt, zusätzlich hatte auch ein Lymphknoten etwas abbekommen. Als er im Mai 2015 von seinen Ärzten grünes Licht bekam, hatte der 57-jährige Sänger eine mehrmonatige Chemotherapie- und Bestrahlungstortur hinter sich, von welchen er sich aktuell erholt - und gemessen an den bislang gesehenen Videointerviews hat es die Air Raid Siren auch bitter nötig. Das heißt aber auch: Dickinson hatte während der "The Book Of Souls"-Aufnahmen einen Golfball im Hals, mit dem er sang. Das kann man diskussionswürdig finden. 

Tatsächlich produziert seine Stimme die erste wirkliche Auffälligkeit dieses Albums, eine, die man sich fast nicht auszusprechen traut: der Mann wird alt, und dies ist die erste Platte, auf der man es deutlich hört. Sein gesamtes Timbre klingt rauher, dunkler und gerade in höheren Lagen auch signifikant schwerfälliger. Das ist nicht tragisch, weil er immer noch fast jeden anderen Sängerdarsteller an die Wand singt; außerdem schwärmte die Band in diesem Zusammenhang auch von der Motivation und dem Antrieb Dickinsons, der im Studio darauf bestand, keine Tricks anzuwenden - weder elektronische, noch analoge. So erzählte Gitarrist Adrian Smith, Dickinson habe es vehement abgelehnt, die Songs in eine andere Tonart zu transponieren, um seiner Stimme damit entgegenzukommen. Nur bei den letzten Strophen seiner erwähnten Mammutkomposition "Empire Of The Clouds" stößt Dickinson hörbar an seine Grenzen.



- DAS SUBJEKT -


Dass neue Platten großer und seit vielen Jahren existierender, erfolgreicher  Bands auf ewig mit ihren klassischen Frühwerken verglichen werden, ist Gesetz. Das ist selten sinnvoll, gerecht ist es hingegen fast nie. Die songschreiberische Lebensrealität von einem 20jährigen, dem die Welt frisch zu Füßen liegt, ist eine andere als jene eines knapp 60jährigen, der schon vor 25 Jahren sämtliche Instrumente und Ambitionen an den Nagel hätte hängen können, um sich auf einer einsamen Insel dem Geschlechtsverkehr mit einem Kürbisfeld zu widmen. Auch Maiden gingen durch die ein oder andere Transformation in den letzten 35 Jahren, und wenn sich die Betonköpfe auch bis zum Sankt Nimmerleinstag "Alles wie immer!" schreiend im Kreis drehen wollen, so liegen sie damit immer noch falsch. Manche Justierung des Maiden-Sounds war subtil, manch andere überdeutlich - aber es gab sie. 

Seit dem 2000er Reunionalbum "Brave New World" sind wir eher im Subtilen angekommen: die Band scheint ihren Sound nach den drei bis vier großen Zäsuren ihrer Karriere, die fast immer mit signifikanten Lineup-Wechseln einhergingen, endgültig gefunden zu haben: Die Besetzung bleibt seitdem stabil, hinter dem Mischpult scheint es ebenfalls keine Veränderungen mehr zu geben und die kaum zu bändigende kreative Kraft, die Alben wie "Powerslave" oder "Somewhere In Time" möglich machte, ist mittlerweile auch erloschen. Variationen an dieser Post-"Brave New World"-Ausrichtung sind mittlerweile die absolute Ausnahme. Stattdessen hat man es sich in einer netten und außerdem gut bezahlten Sitzecke bequem gemacht, die einen kompositorisch progressiven Ansatz aus teils überlangen Songs und ausladenden Instrumentalpassagen mit einem straightem Rock- und Metal-Gemisch verbindet, der vor allem im klanglichen Bereich und der grundlegenden Ausrichtung einer Produktion von Kevin Shirley auffällig im Seventies Rock verwurzelt ist. 

In dieser Hinsicht sind die nun fünf Post-Reunionalben durchaus miteinander zu vergleichen, qualitativ hingegen hat die Band mal bessere, mal schlechtere Momente: einem guten Album wie "Brave New World", auf dem allerdings nach 15 Jahren auch nicht mehr alles so richtig irre hell glänzt, folgte ein fast durchgängig Desinteressiertes und erschreckend Kleinkariertes wie "Dance Of Death". Auf "A Matter Of Life And Death", das den Sechser im kreativen Hoch und in voller Kraft zeigte, folgte mit "The Final Frontier" immerhin die erste Maidenveröffentlichung in 25 Jahren, die ich nicht mal in Erwägung zog, zu kaufen. Gäbe es nicht das bodenlose "Virtual XI", hätte diese furchtbare Platte zweifellos erstklassigen Anspruch auf die rote Laterne in ihrer Diskografie. 

Es ist selbst für einen wie mich, der Iron Maiden praktisch in- und auswendig kennt und angesichts dessen auch wirklich nicht mehr viel erwartet, eine dicke Überraschung, dass "The Book Of Souls" die erwähnte Berg- und Talfahrt konsequent fortsetzt - dieses Mal eben wieder in die richtige Richtung und das zumindest für die ersten 60 Minuten. Die erste Albumseite ist trotz der beinahe gewohnten Unzulänglichkeiten wie dem grotesken Intro/Outro-Quatsch mit teils erschütternd unbeholfenen Breaks, der vor allem im Schlagzeugbereich nicht wirklich sattelfest klingenden Produktion, das minutenlange und wenig gekonnte Auswalzen einer halben Handvoll Ideen, die nie dagewesene Zitatesammlung von "Rime Of The Ancient Mariner" über "Moonchild" und "Losfer Words" bis hin zu "The Clansman" und "Man On The Edge", den etwas peinlichen "Ohohohoooo"-Chören, den bereits 1988 veraltet kligenden, aber immer noch stur eingesetzten Keyboardsounds und den deutlich hörbaren Timingschwankungen Nicko McBrains, die besten knapp 50 Minuten Musik dieser Band seit - Achtung, festhalten: "Seventh Son Of A Seventh Son". Wohlwissend, dass ich mir dann diesen Tweet, rausgehauen immerhin fünf Tage vor Albumveröffentlichung, schön ans Knie nageln kann:


Andererseits bin ich der erste, der die eigenen Fehler mit Freude zugibt. Ich drehe diese sechs Songs seit knapp drei Wochen durch den Florian'schen Ohrenwolf, raufe mir über so manche Stelle auch wirklich immer noch die Haare (ganz besonders erschreckend: das hilflos zusammengestümperte Break in "The Great Unknown" vor dem ruhigen Outro bringt mich jedes Mal zur Ra-ser-ei!), kann mich andererseits aber auch nicht dagegen wehren, diese Songs immer und immer wieder hören zu wollen. Selbst die vorab veröffentlichte und nicht gerade Begeisterungsstürme verursachende Single "Speed Of Light" ist im Albumkontext eine frische, topmotiviert klingende und satte Hau-Den-Lukas-Hymne, ohne die Tradition harmloser Tralala-Singles wie "Wildest Dreams", "Rainmaker" oder "Different World" fortzuführen. Auch sonst: Unwiderstehliche Gitarrenduelle, ergreifende Melodien, eine hellwach klingende Band, bisweilen überraschend komplexe Strukturen in insgesamt großartig komponierten Songs. 

Die zweite Seite fällt dagegen etwas ab. "Death Or Glory" und "Shadows Of The Valley" sind noch gute Rocker, die Probleme beginnen bei "Tears Of A Clown", ein fürchterlich getexteter Vorstoß in seichte Gewässer der "Wasting Love"-Liga, dem nicht sorgfältig auskomponierten Beitrag von Dave Murray "The Man Of Sorrows" und Dickinsons "Empire Of The Clouds", das in Gänze das Problem mit den Iron Maiden des 21.Jahrhunderts demonstriert. In Sachen Ideengebung und Song- und Soundästhetik, also das, was eine Produktion in meinen Ohren wirklich ausmacht, das exakte Zuschneiden von Klang und Atmosphäre, das wirkliche Erkennen der Richtung eines Songs - da versagen Shirley und/oder die Band in den letzten Jahren. Die zweifellos zu erkennende Dramaturgie von "Empire Of The Souls" wird zu keinem Zeitpunkt der 18 Minuten eingefangen: die Keyboards und Streicher klingen dünn und unausgereift, als Piano verwendete man tatsächlich nur ein MIDI-Keyboard, das auch genau so klingt, wie ihr es euch jetzt vorstellt und die Gitarren wirken gerade dann, wenn man aufgrund des Storytellings hofft, dass es jetzt endlich mal ordentlich losbatscht, wie ein Schatten ihrer selbst. Das ist nicht kreativ, nicht detailliert, nicht konsequent, sondern eher auf halbem Wege stehen geblieben und - dare I say it: lieblos. Es ist kein Wunder, dass einige Fans eine Nähe zum Billo-Pompös-Quatsch der 90er Jahre-Alben von Savatage erkennen, denn auch deren Produzent Paul O'Neill, der es mittlerweile durch die Kitschbombe des Trans-Siberian Orchestras zum mehrfachen Millionär gebracht hat, hat schon mal was von Effektivität und Effizienz gehört: minimaler Aufwand bei maximalem Ertrag. Oder umgekehrt, wie es eben beliebt. 



- EPILOG -


Maiden fahren seit Jahren nur mit halber kreativer Kraft, was insbesondere deshalb schreiend schade ist, weil die Ideen noch in ihnen toben. Kein Faulpelz dieser Welt würde sich einen 18-Minuten-Klumpen ausdenken, kein Sesselpupser ein durchdachtes Arrangement wie im atemberaubenden Titelsong - und welche Band, die ihre Zeit wirklich lieber mit Golfspielen und Angeln verbringt, weil sie eben keine Musik mehr machen muss, um ein finanziell sorgenfreies Leben zu führen, schreibt im Jahr 2015 noch ein 92-minütiges Doppelabum? Ein über weite Strecken auch noch ziemlich fantastisches dazu? 

Die Umsetzung ist indes eine ganz andere Diskussion, und da hat Shirley wohl ebenfalls der Karriere und dem Alter der Truppe angemessen keine Autorität wie sie ein Martin Birch in den achtziger Jahren hatte. Ein Martin Birch, der ganz besonders Bruce Dickinson über Tage in der Gesangskabine einsperrte, bis dieser vor Wut regelrecht glühte und den letzten finalen Take mit solcher Verve und Präzision einsang, dass Birch letztlich doch zufrieden nickte. Ein Martin Birch, der an dem Sound von Alben wie "Powerslave" und "Somewhere In Time" akribisch herumtüftelte, der mit der Band zusammen die Vision und die zu erzählende Geschichte zusammenpuzzelte. Die Zeiten sind längst vorbei. Heute trifft man sich für acht Wochen in Paris, winkt McBrain'sche Stockfehler genauso durch wie das weitgehend uninspirierte Solospiel von Dave Murray, und häkelt DEN Longtrack der Band eben so flott zusammen, dass die nächste Studiowoche nicht mehr gebucht werden muss und man wieder zu Weinkeller, Golfplatz und Flugzeughangar zurückkehren kann. Nicht, dass ich es nicht verstehen könnte - und Hawaii soll ja auch total schöne Ecken haben. 

Bei aller echter und aufrichtiger Begeisterung über die ersten 60 Minuten von "The Book Of Souls" und bei aller Akzeptanz, dass man es nach 40 nimmermüden Jahren im Musikbusiness auch mal ein bisschen ruhiger angehen kann - mich ärgert das. 

Weil ich die Band, und sei es auch nur ganz ein bisschen und möglicherweise vielleicht, dann doch immer noch zu sehr liebe.


Erschienen auf Parlophone/Warner Music, 2015.


17.04.2015

"Wir haben kein Informationsdefizit, wir haben ein Aktionsdefizit." - Gedanken zum Record Store Day 2015 - Teil 2





Alles, was ich im letzten Jahr zum Record Store Day, dieser gigantischen Cash Cow für Majorlabels geschrieben hatte, ist nicht nur nachwievor gültig, es bleibt sogar, weil nicht davon auszugehen ist, dass sich das Rad in den nächsten Jahren langsamer drehen wird, auf absehbare Zeit relevant:

3,40qm zum Record Store Day 2014 

"Was als weithin unschuldiges Konzept zur Rettung der lokalen und unabhängigen Plattenläden begann, ist mittlerweile und zum großen Teil eine von Majorlabels gekaperte und durchkommerzialisierte Peinlichkeit geworden, die die für gewöhnlich mit Spinnweben versehenen Kartoffelpupser aus ihren 40qm Heimat herauslockt, damit die neuen Sammlerstücke bald einziehen dürfen. 500 vermeintlich exklusive Veröffentlichungen waren es im Jahr 2014, und mal ganz davon abgesehen, dass man sich schon fragt, wer diesen ganzen Scheiß mit Reis eigentlich kaufen soll(...)."

"So groß die Faszination für Schallplatten und das Abtauchen in die Parallelwelt Plattenladen auch sein mögen, so unsinnig ist mittlerweile der ursprüngliche Ansatz geworden. Der Record Store Day fördert nicht den Erhalt lokaler Plattenhändler, er fördert viel mehr den Sammel- und Exklusivitätswahn, der seit dem Vinyl-Revival so oder so schon jeden 2nd Hand Dealer in Beschlag genommen hat. Dem man allerdings im Zweifelsfall keinen Vorwurf machen kann: wenn jemand einen dreistelligen Eurobetrag für eine Schallplatte bezahlen mag, die er an anderer Stelle auch für 20 Euro bekommen kann, dann ist das nicht seine Schuld."


Wie jedes Jahr gibt es einsame Rufer in der Wüste, die uns mitteilen, dass die Entwicklung des Konzepts nicht nur Milch und Honig für alle Beteiligten bereithält. In diesem Jahr fanden sich zwei (!) Independent Labels aus England, die die weiße Flagge hissen - vor allem wegen der entstehenden Blockade der Schallplattenpresswerke. Die Pressen laufen schon ohne den Record Store Day Tag und Nacht, in den drei Monaten vor dem großen Tag haben sich mittlerweile die zahlungskräftigen und geschäftskritischen Major Labels mit breiten Ellenbogen vor die Türen der Presswerke platziert, um Tausende Bruce Springsteen Reissues pressen zu lassen. Die kleinen unabhängigen Indielabels gucken derweil in die Röhre, denn die Aufträge für ihre Bands werden den Majorbestellungen untergeordnet. 

Zuerst machen wir 20.000 Mal "Born In The USA", dann kommt ihr an die Reihe.


The result will leave small labels such as Sonic Cathedral, from London, and Bristol-based Howling Owl Records unable to compete, “so we won’t compete”, they said, adding: “Record Store Day really isn’t fun, and it’s certainly not beneficial to small, backs-to-the-wall labels.”

A combined statement from the two revealed plans to release a split single and, rather than limiting it to the one day, one copy would be released every day for 365 days –  as “every day should be Record Store Day”.

“This is not a protest against record shops,” they said, or even a protest against the annual day itself. “It’s what Record Store Day has become: just another event in the music industry circus.”

Auf der Seite http://www.recordstoredayisdying.com/ ist das inoffizielle offizielle Statement hinterlegt.


Es geht weiter:

If it’s a protest against anything, it’s what Record Store Day has become: just another event in the annual music industry circus that begins with the BBC Sound Of… list and ends with the Mercury Prize, co-opted by major labels and used as another marketing stepping stone, like an appearance on ‘Later… With Jools Holland’ or bagging the sunset slot at Glasto. If you want to queue up from the early hours of April 18 to buy Mumford & Sons’ 7” or an overpriced Noel Gallagher 12” to flip on eBay, then fine, but what the hell has it got to do with us? U2 have already shat their album into our iTunes, why should they constipate the world’s pressing plants with it too? And there’s a picture disc of A-ha’s ‘Take On Me’ as well. Of course it’s a fine pop single, but there’s bound to be a copy in the Oxfam around the corner.

No, because of the rules and regulations (minimum pressing amounts, no direct to customer sales, blah blah blah) Record Store Day really isn’t fun, and it’s certainly not beneficial to small, backs to the wall labels like Sonic Cathedral and Howling Owl. But we are still affected by it. Badly. There are currently no copies of Spectres’ album Dying on vinyl in the shops because the repress is somewhere towards the back of the queue after some Foo Fighters studio scrapings, a host of EPs by The 1975 and about a million heavyweight ‘heritage rock’ reissues that no-one really needs. Less Cheap Trick, more bloody expensive con.


Womit alles gesagt ist.

Fast alles. Als Simon und ich uns vergangene Woche in Kölns Plattenläden umschauten und mitlauschten, wie der Verkäufer in einem größeren, durchaus bekannten Plattenladen einem Pärchen mitteilte, dass die von ihnen bestellte und so arg gewünschte 7-Inch Single um die 40 Euro kosten wird, und den daraufhin mit einem erstaunten Gesichtsausdruck ausgestatteten Musikfreunden erläuterte, der Record Store Day habe sich eher zu einem Major Label Day entwickelt, weil die Damen und Herren von der Musikindustrie für diesen Tag mittlerweile nahezu jeden Preis aufrufen könnten - wenn die Platte nur angemessen als rar und damit exklusiv vermarktet wird, wird jeder Preis bezahlt.

In conclusio: ich werde den Zirkus in diesem Jahr nicht mitmachen. Es steht indes zu befürchten, dass ich auch trotz dieser Entscheidung danach noch weiteratmen und ein total prima Leben haben werde.

Aber man muss auch mal in die Aktion kommen. Selbst wenn es nur darum geht, ebenjene zu verweigern.


12.04.2015

"Wir haben kein Informationsdefizit, wir haben ein Aktionsdefizit." - Gedanken zum Record Store Day 2015 - Teil 1





Jegliche Argumente, die aus guten Gründen gegen die Institution des Record Store Days gerichtet werden können, wo nicht müssen, werden von mir höchstpersönlich und in schöner Regelmäßigkeit torpediert, und das macht das alles nicht einfacher. 2014 war ich mit drei Platten auf dem Einkaufszettelchen noch als Katastrophentourist unterwegs, und keine dieser drei Auserwählten ließ sich in den Frankfurter Plattenläden finden. Eine davon, Gil Scott Herons "Nothing New", eine Solo-Neuaufnahme seiner eher unbekannteren Songs, gab es der Legende nach nur in England und den USA, offenbar mit einer ungleichen Verteilung mit deutlicher Tendenz in Richtung Übersee. Die Scheibe hätte ich schon gerne gehabt, weil ich Gil für einen der allergrößten Persönlichkeiten und Musiker und Texter halte - aber muss man sich dafür wirklich so verarschen lassen? Die Preise für ein Exemplar waren schon am Record Store Day selbst jenseits von gut und böse, und was man später auf Ebay und Discogs fand, löschte dann endgültig jeden Funken Mentalhygiene und Menschenverstand aus meinem Kopf. Dazu dieses unwürdige Herumrennen und Fragen und sich zum Affen machen. Es ist nur eine Schallplatte, for fuck's sake!

Ich hielt "Nothing New" einige Zeit auf allen möglichen Wunschzetteln, aber weder gingen die Preise signifikant nach unten, noch mochte ich die drölf Trilliarden Euro Versandkosten nebst den Zollgebühren aus den USA berappen. Ende des letzten Jahres zog ich die Konsequenz und löschte alle Einträge. Ich sollte die Platte wohl einfach nicht bekommen, damit muss und kann ich leben. Außerdem ist es lohnenswert, sich in den Situationen den Satz von Freund Simon immer wieder aufzusagen:"Man braucht einfach nur ein bisschen Geduld."

Um den weiteren Verlauf abzukürzen:



Tatort: Second Hand Records in Stuttgart. Tatzeit: Anfang März 2015. Preis: obszön, aber der persönlichen Wichtigkeit angemessen. Vielleicht. So setzte ich mich für 15 Minuten in den Ladensessel und betrachtete die Platte. Darf ich das? Soll ich das? Werde ich zur Züchtigung am Abend die Sitzbänke im Dampfbad des Hotels ablecken, sollte ich hier jetzt nicht zugreifen?

Wir kennen mittlerweile die Antwort. Und wieder eine persönliche Niederlage. Eingeknickt. Dafür allerdings ohne Geschlechtskrankheit im Gesicht. Das muss anders werden. Also nicht das mit ausbleibenden Geschlechtskrankheit, aber...ihr wisst schon. Time for a change. Man muss doch auch mal in die Aktion kommen.

Bis es soweit ist: "Nothing New" präsentiert sehr intime und spartanische  Versionen seiner alten Songs. Nur Gil und sein Piano. Es ist darüber hinaus eine Songauswahl, die auch seine eher unbekannten Alben wie "1980" oder "Moving Target" berücksichtigt. Aufgenommen von Richard Russell, der sich auch für die Produktion des Combebacks "I'm New Here" aus dem Jahr 2010 verantwortlich zeichnet.

Es hat etwas gedauert, bis ich mich traute, die Plastikfolie zu entfernen und die Platte wirklich aufzulegen. Als ich es tat, lief sie für 9 Stunden auf Endlosschleife. Da fällt der Blick auf das moralische Dilemma schon ziemlich schwer.

"Was haben wir uns nicht gut arrangiert."(Blank When Zero)

Im zweiten Teil: warum der Record Store Day sterben muss, damit die Schallplatte leben kann und warum Verweigerung die einzige Option ist.


...to be continued...

28.10.2014

Fuck Tradition. Fuck Religion.



When it comes to bullshit, big-time, major league bullshit, you have to stand in awe of the all-time champion of false promises and exaggerated claims, religion. No contest. No contest. Religion. Religion easily has the greatest bullshit story ever told. Think about it. Religion has actually convinced people that there's an invisible man living in the sky who watches everything you do, every minute of every day. And the invisible man has a special list of ten things he does not want you to do. And if you do any of these ten things, he has a special place, full of fire and smoke and burning and torture and anguish, where he will send you to live and suffer and burn and choke and scream and cry forever and ever 'til the end of time!

But He loves you. He loves you, and He needs money! He always needs money! He's all-powerful, all-perfect, all-knowing, and all-wise, somehow just can't handle money! Religion takes in billions of dollars, they pay no taxes, and they always need a little more. Now, you talk about a good bullshit story. Holy Shit!
(George Carlin)


Es gibt allerhand Beispiele von Tieropferungen im Rahmen besinnungslos religiösen Kladderadatschs, dieser trüben Traditions- und Kulturgut-Soße, der man auch im Jahr 2014 immer noch nicht den Stöpsel aus der Badewanne ziehen kann. Das islamische Opferfest, in dem vor allem Paarhufer - Schweine haben wenigstens in dieser Hinsicht mal ausnahmsweise Glück gehabt - geschlachtet und rituell geschächtet werden, wahrscheinlich für gute Verdauung, saubere Unterhosen und einen straff nach oben gerichteten Penis oder was weiß ich, das Judentum darf für seine fünf in der Tora erwähnten Opferarten Olah, Mincha, Sebach, Chattat und Ascham unter anderem Rinder, Schafe und Widder vollständig verbrennen oder wie im Chattat einer Ziege (!) die Sünden des Menschen per Handauflegen (!!)  übertragen, das Tier anschließend schlachten und sein Blut auf den Altar und dem Vorhang im Tempel verspritzen. In dem obszönen Märchenonkelbuch "Die Bibel", der ein oder andere hat vielleicht schon mal davon gehört, ein kräftig lasziver Schmöker voller Gewalt, Inzucht und Bananendildo-Userbewertungen, wimmelt es natürlich auch nur so von gottloser Unterbelichtung: "Die Tiere, die für Opfer verwendet wurden, waren immer Haustiere. Sie mussten fehlerlos, einjährig und männlich sein." - andernfalls wäre der als Hochstapler verurteilte Jesu S. (32, wohnhaft in Gütersloh, dritte Kloake rechts, Hotel "Die Wicherts", vier Mal klopfen) nicht wieder auferstanden oder hätte aus Wasser keinen Wein, sondern ein schönes Grützwurstrisotto mit gelbem Schmackes gezaubert.

Wer noch alle Klöppel in der Glocke hat, greift sich angesichts dieses rituellen Boheis mindestens mal schön an den Kopf und wundert sich, was Jahrtausende kompletter Vollverstrahlung mit dem menschlichen Gehirn und der Seele so alles anstellen können. Wir haben es tatsächlich ziemlich anerkennenswert sehr weit gebracht, beziehungsweise mal gerade vom Esstisch zum donnernden Klingonenfurz auf der Keramik, und es ist geradezu bedauerlich zu beobachten, dass sich vor allem der vermeintlich ideologiefreie und progressive Teil der Bevölkerung hierzulande in Sachen religiöser Hirnverknotung noch immer, und in den letzten Jahren dank Papst und Gauck erschütternderweise sogar immer mehr, mit der Bullenlederpeitsche vor den Altar und in den Beichtstuhl treiben lässt - meinetwegen gerne im übertragenen Sinne, aber wie viele dieser Rituale immer noch so wunderbar kräftig am Leben sind und mit aller Macht an selbigem erhalten bleiben müssen, ist einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft unwürdig.

Nun zeigt ja der deutsche Kleinmümmelmannbürger gerne mal mit dem Finger auf die anderen, in erster Linie und gerade in diesen Tagen mit stetig wachsender Begeisterung auf die, die im westlichen und nicht offiziellen Kastensystem weit unter ihm selbst stehen, denn der über den ganz großen Kamm geschorene Deutsche tritt traditionell gerne nach unten und spreizt im Gegenzug für "die da oben" die Arschbacken weit auseinander; was zu verstehen ist, denn die Angst ist ein Meister aus Deutschland, und das gilt für mehr als nur eine Ebene. Auf meiner Ebene hier unten zeige ich heute mit allen elf Fingern auf Nepal und das dort Ende November stattfindende Gadhimai Tieropferfest. Obwohl das Opfern von Tieren im Hinduismus keine Regel ist, gibt es Mitglieder von einzelnen Stämmen und Clans, die einen Kübel Traditionsschlamm im Brägen herumtragen. Seit 260 Jahren werden alle fünf Jahre bis zu, Achtung festhalten: 500.000 Tiere über den Lauf eines Monats rituell geopfert, lässt man den rhetorischen Weichzeichner weg: massakriert und abgeschlachtet. Die blutgeilen, besoffenen und derangierten Sackgesichter stehen inmitten von Tausenden, teils über Tage zum Tempel getriebenen Tieren mit stumpfen Messern und köpfen Wasserbüffel, Ziegen, Hühner, Tauben, Enten und Ratten; als besonderes Spezialfeature darf man sogar seine eigenen Tiere mitbringen und vor Ort meucheln, damit ihnen die Gadhima, die "Goddess of Power" wohlgesonnen sein wird. Die Times Of India schrieb beim letzten Festival der Liebe:

The name on everyone's lips on Tuesday, when the slaughter of buffaloes started, was that of Raman Thakur, a farmer from Sitamarhi in Bihar who sacrificed 105 buffaloes to show his gratitude. The goddess, Thakur said, had answered the prayer he had made five years ago by granting him a son. 


Für den Rest zitiere ich den Text der deutschen Tierrechtsgruppe Animal Equality:

Es sind Bilder, wie wir sie uns kaum vorstellen können: Hunderttausende Tiere werden auf einem Feld zusammen getrieben und von hunderten Menschen niedergemetzelt. Alle diese Tiere sterben einen langsamen, qualvollen Tod, da die Menschen, die sie töten, sehr unerfahren sind und zumeist stumpfe Messer verwenden. Zwischen toten und sterbenden Tieren stehen verstört die Tiere, die noch am Leben sind. Sie müssen zusehen, wie ihre Artgenossen vor ihren Augen sterben müssen.(...)

Mehr als 500.000 unschuldige Tiere sollen im November 2014 beim weltgrößten Opferfest in Nepal sterben. Das Gadhimai Tieropferfest folgt einer hinduistischen Tradition, die seit ungefähr 260 Jahren in Bariyapur, im Süden Nepals, praktiziert wird. Bei diesem Fest werden alle fünf Jahre über die Dauer von einem Monat hunderttausende Tiere der Göttin Gadhimai geopfert. Wasserbüffel, Ziegen, Lämmer und Tauben sind als Opfer vorgesehen - tatsächlich aber befinden sich alle Tiere in der Umgebung des Veranstaltungsortes in Gefahr niedergemetzelt zu werden.

Viele der Tiere werden in indischen Dörfern gekauft und über lange Entfernungen zum Gadhimai-Tempel getrieben. Die Besucher, bei denen circa 70% aus dem Nachbarland Indien kommen, können die von ihnen mitgebrachten Tiere auf jede beliebige Art und Weise auf dem Schlachtplatz töten. Die Tiere müssen dabei eine Tortur von bis zu zwei Stunden durchleiden, da sie mit stumpfen Messern und von unerfahrenen Personen getötet werden. Die Menschen, die an dem Tieropferfest teilnehmen, konsumieren oft große Mengen Alkohol, so dass sie betrunken sind, wenn sie die Tiere töten. Häufig sind kleine Kinder bei den Opferungen anwesend.

http://www.animalequality.de/neuigkeiten/gadhimai

Petition unterzeichnen:

http://massaker-beenden.org/


Bilder und Videos erspare ich Euch wenigstens auf meiner Seite, sonst kommt uns allen das kalte Kotzen.

"There will be Zero Tolerance."(Chuck Schuldiner)

22.10.2014

Let The Shyce Flow - Iron Maiden von unten (Teil 2)



Es ist kein Geheimnis, dass Harris und Dickinson allerhöchstens ein professionelles Verhältnis pflegen: auf der einen Seite der wilde, rastlose, kreative, neugierige Flummi Dickinson, auf der anderen Seite der konservative Sturkopf Harris - das wird keine Liebe mehr. Nach Dickinsons Rückkehr kittet allerdings der gigantische Erfolg wie schon vor 30 Jahren die Risse zwischen dem Sänger und dem Bassisten, weil man für ein paar Millionen Britische Pfund auch drei Monate im Jahr mal so tun kann, als sei man ganz dicke miteinander. Die restliche Band profitiert von der Geschäftsbeziehung des Trios Smallwood/Harris/ Dickinson, ist aber im Grunde mittlerweile nur noch schmückendes, wenngleich notwendiges Beiwerk - eine Änderung der Besetzung scheint mittlerweile völlig ausgeschlossen und würde neben dem Image der Band als starke Einheit in der Folge auch deren Erfolgsaussichten nachhaltig ramponieren.

Seit der 1999er Reunion mit Dickinson und Gitarrist Adrian Smith, dem die Kohle nach einigen gefloppten Projekten (A.S.A.P. und Psycho Motel) wohl auch so langsam ausging, hat die Band vier Studioalben, fünf Livealben (u.a. das legendär miese und kurz nach einer Halserkrankung Dickinsons aufgenommene "Death On The Road", das im Studio so grotesk schlecht nachbearbeitet wurde, dass man schon einen panierten Blumenkohl im Ohr haben muss, um sowas auch nur mitleidig abzunicken), vier Best Of-Zusammenstellungen, von denen eine, "Edward The Great", sogar nur drei Jahre nach der im Jahr 2002 erschienenen ersten Ausgabe in einer aktualisierten Version neu aufgelegt wurde, und 13 Singles, fast alle in unterschiedlichen Formaten, veröffentlicht.

Hinzu kamen außerdem noch insgesamt neun(!) DVDs, bei denen auch hier "Death On The Road" auf Jahrzehnte die rote Laterne behalten wird: wer angesichts des Bildschnitts alleine die ersten zehn Minuten ohne epileptischen Anfall aushält, steht sowieso schon unter permanenter Medikation. Maiden gingen im erwähnten Zeitraum mehrfach auf Tournee, und wenn es kein Album zu promoten gab, dann gab es Resteverwertung oller Kamellen à la carte: 2003 nahm man sich die ersten vier Alben vor, 2008 ließ man unter dem Banner "Somewhere Back In Time" die "Live After Death"-Ära wieder auferstehen und beschloss den Krempel im Jahr 2012 mit "Maiden England" und der "Seventh Son"-Phase. Zu der man natürlich, man kann es sich erlauben, auch das Titelstück der schwachen "Fear Of The Dark" Scheibe von 1992 zählte.

Nicht eingerechnet sind die Wiederveröffentlichung der alten Alben sowohl auf CD als auch auf Vinyl, aber genau das war tatsächlich der Ausgangspunkt meines, äh, Ausbruchs. So veröffentlichte man nicht nur jedes Studio-, Live- und Best Of-Album als sackteure und oftmals qualitativ minderwertige Picture Disc-Pressung (Höhepunkt: die völlig vergeigte erste Seite der "The Final Frontier"-Erstauflage), man nahm sich, befeuert durch den Vinyl-Hype auch den Backkatalog vor: 2012 und 2013 gab es Picture Discs der ersten sieben Studioalben, nun legt man im Herbst 2014 nach.

In diesen Tagen sind erneut (!!) die ersten sieben Studioalben plus die 1985er "Live After Death" Doppel-LP  plus alle aus den Alben ausgekoppelten Singles als 7-inches (!) an der Reihe, dieses Mal indes auf schwarzem Vinyl. Gesammelt werden kann die Rohstoffverschwendung in einer LP-Box, die es mit dem ersten Wurf der ersten drei Alben zum Preis von knapp 60 Euro zu kaufen gibt. Die nachfolgenden Scheiben sind in der bewährten Salamitaktik bis zum Jahresende zu erstehen. Am Ende stehen also acht Platten im Schrank, Gesamtpreis mindestens 160 Euro, die Singles nicht mit eingerechnet. Angeblich ist jede Platte auf 2500 Stück "streng limitiert", aber das sieht man im Hause Maiden traditionell nicht ganz so eng: es wird seit Jahren gemunkelt, dass die auf 10000 Stück limitierte Erstpressung der "Best Of The Beast"-4LP-Box nochmal ganz streng nach oben limitiert wurde, nachdem der erste Schwung ausverkauft war.

Jetzt könnte man mir natürlich den üblichen "Du musst es ja nicht kaufen"-Reflex an den Kopf werfen, und läge damit grundlegend auch völlig richtig. Es dürfte auch kaum verwundern, dass ich mir die Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung nicht ins Regal stellen werde. Ich halte es allerdings immer öfter für tragisch, dass eine der ehemals besten Metal-Bands aller Zeiten so durchschaubar die immer wieder kolportierte Fan-Nähe torpediert - absurderweise in dem sie angebliche Fan-Nähe demonstriert.

Iron Maiden Platten sind mittlerweile die Musikentsprechung zu Klamotten von KiK oder Primark. Oder zum Essen von fucking McDonalds. Künstlerisch muss man schon lange keine Bäume mehr ausreißen oder sich mal wieder einen Funken anstrengen. Sie müssen niemanden mehr überzeugen, sie müssen nur noch regelmäßig Platten abliefern. Und Konzerte abspulen. In diesem Zusammenhang ist die immer wieder derart penetrant in den Vordergrund geschobene Exklusivität und die vermeintlich hohe, wertige Qualität und die unausweichliche "Fan-Nähe", dieser "Value For Money"-Gestus und dieses Underdog-Blabla noch perfider.


Wie hart mich dieser verlogene Konsumterrordreck mittlerweile am Arsch lecken kann.


Der Autor: Florian E., 37, verheiratet. Mit 9 Jahren zum Maiden-Anbeter geworden, nachdem er die letzten 15 Minuten des "Live After Death" Videos sah. Von 1986 bis 2006 ausdauernder und unterwürfiger Sammler von Maiden-Artikeln (Bootlegs, T-Shirts, Schweißbänder, Konzertkarten, LPs, CDs). Von 2006 bis 2009 im Status "Kritischer Fan" verweilend. Im Mai 2009 Empfänger einer Abmahnung seitens der von Iron Maiden Holdings  beauftragten Anwaltskanzlei Sasse und Partner(*). Mit einer Zahlung von 1700 Euro freigekauft. Seitdem bisweilen harter Kritiker mit problematischem, ambivalentem Verhältnis zur Band, der der ganzen Blase in schwachen Momenten gerne eine Backpfeifenpolka (12-Inch, Extended Version, Repeat-Modus) vorspielen würde, sich allerdings ihre guten Momente immer noch mit großer Freude anhören kann. Zu Steve Harris' berühmter Bootlegsammlung sollte er indes niemals unbeaufsichtigt mit einer Kettensäge Zutritt erhalten. Und "Killers" ist ihre geilste Platte. So.

(*): Heise.de schloss den damaligen Artikel zur Abmahnwelle übrigens mit folgendem Absatz:


Weil dieser abmahnende Anwalt sowohl gegenüber Telepolis als auch gegenüber dem Spiegel darauf hinwies, dass jemand, der "sicher gehen" wolle, "im Zweifelsfall einfach gar keine alten Iron-Maiden-Produkte verkaufen" solle, vermutet der Ettlinger Heavy-Metal-Fan, dass die Abmahnungen auch dem Zweck dienen könnten, Personen, die ihre alten CDs verkaufen möchten, zu verunsichern, um so das Gebrauchtangebot an legalen Tonträgern zu verknappen, damit potentielle Käufer eher zu Neupressungen greifen, an denen die Band und die Rechteverwerterindustrie nochmals Geld verdienen.

"Mehr hab' ich nicht hinzuzufügen."(G.Polt)

19.10.2014

Let The Shyce Flow - Iron Maiden von unten (Teil 1)



Die New Wave Of British Heavy Metal-Legende Iron Maiden, seit ihrer Reunion mit Leadsänger Bruce Dickinson wieder dick im Geschäft, um nicht zu sagen dicker denn je, macht zumindest unter dem kritischeren Teil der Anhängerschaft, also weltweit immerhin circa 7 Personen, seit mehreren Jahren in erster Linie mit einer zweifelhaften Veröffentlichungspolitik Furore - mehr jedenfalls als mit neuer Musik oder Tourneen: das letzte Scheißalbum "The Final Frontier" war vor allem ein Scheißalbum, und die Liveauftritte sind angesichts des Stellenwertes der Band einerseits und im Vergleich mit den Showelementen anderer Größen wie Rush, AC/DC oder auch Metallica andererseits, allenfalls solide. Wie ein Abend im Pub mit Labberbier aus dem Eigenurin-Katheterbeutel oder Pommes rot/weiß. Man weiß eben, was man bekommt: eine meistens gähnend-sacköde Setlist, seit Jahren/Jahrzehnten altbekannte Backdrops, eine Lightshow wie 1985 aus der Long Beach Arena geplumpst und ein drei Meter großes Modell von Maskottchen Eddie, das drei Minuten über die Bühne stakst. Es überrascht in diesem Sinne nur die übersichtlich talentierten Maiden-Fans, dass die Band, obwohl sie sich immer entsprechend in Szene setzten, aus technologischer Sicht niemals Vorreiter war. Zur Unterstützung der These schauen wir auf drei Stationen ihrer Karriere:

Erstens: 1996 wurde das Videospiel "Melt" monatelang mit überschwänglichem Tam-Tam angekündigt, anschließend bis auf zwei Sätze und damit praktisch kommentarlos ("It was crap. Maiden want to give their fans something to blow them away.") eingestampft und später durch "Ed Hunter" ersetzt; ein Spiel, das schon 1996 wirkte, als hätte es ein Commodore Amiga 500-Entwickler als Hobby zwischen zwei Valiumtrips an Weihnachten 1987 ersonnen - was Steve Harris selbstverständlich nicht davon abhielt, folgendes zu Protokoll zu geben: "It's the most amazing thing I've ever seen. I don't get shocked very often, but Ed Hunter was so good." Es soll Menschen geben, die heute noch darüber lachen. Über das Spiel. Und über Steve Harris. 


Zweitens: das Album "Dance Of Death", nicht nur eine musikalische ("Wildest Dreams") und textliche ("Age of Innocence"), sondern auch visuelle Unverschämtheit, die mit der dazu passenden Hintergrundgeschichte gar zu einer tragischen Angelegenheit wird:

"Der erste Entwurf zeigte Eddie als Sensenmann mit vier Mönchen im Hintergrund. Um dem Cover etwas Pep zu verleihen, beauftragte Rod Smallwood, der Manager der Band, einen Mitarbeiter von ironmaiden.com, die Charaktere um Eddie herum auszuarbeiten. Der Entwurf wurde an Patchett zurückgesandt. Da dieser mit dem Resultat nicht zufrieden war, bat er darum, nicht im Booklet erwähnt zu werden. Als das Cover im Internet veröffentlicht wurde dachten viele Fans, dass die Band ihnen einen Streich spielen wollte." 
(http://de.wikipedia.org/wiki/Dance_of_Death_(Album)#Hintergrund). 

Sowas passiert also, wenn Maiden mit "neuer" CGI/3-D-Computergrafik experimentieren. 


Drittes Zeugnis von der ziemlichen Komplettahnungslosigkeit, wie es im nicht mehr ganz so neuen Jahrtausend läuft, ist das Video des Titeltracks von "The Final Frontier", zusätzlich auch noch der Song mit der beknacktesten Textzeile des gesamten Backkatalogs, überraschenderweise noch vor "Bring your daughter to the slaughter": 

"But I wish I could talk to my family and tell them one last goodbye"

Wie miteinander verwachsen natürlich mit einer irrsinnig miesen Melodyline kombiniert. 

Bon, Maiden-Videos waren niemals Sternstunden der Kreativität, sehr oft sogar ziemlich hell strahlende Intelligenzdetonationen, und dazu muss ich nicht nur auf den unfassbaren und peinlicherweise offiziellen "Wildest Dreams"-Clip verweisen, auf den ich nicht mal verlinken kann, weil es wahrscheinlich selbst für Youtube zu beschämend war, das Ding zu hosten. Oder auf das "Holy Smoke"-Video. Oder - Alex Meier Fußballgott steh' mir bei - auf "Virus", konsequenterweise auch der nicht nur vielleicht furchtbarste Maiden-Song aller Zeiten, trotz gummiharter Konkurrenz von "The Angel And The Gambler". Aber können sich die Typen nicht mal wenigstens ein bisschen anstrengen? Es gibt so viele kreative, junge Menschen, warum muss man sich diese fremdschamverursachenden Hilflosigkeit von Harris' Gärtner oder künstlerischen Dinosauriern wie Smallwood einflüstern lassen? Mein lieber Herr Gesangsverein. 




Normalerweise macht man sich damit zum Gespött der Leute, bei Maiden klingelt immer noch und wieder die Kasse. Dazu gibt's auf der Bühne die gleichen Ansagen, die gleichen Posen und die selbe kumpelhafte Anbiederei seit 35 Jahren. "Wir sind Maiden, ihr seid die Besten und wir wären nichts ohne Euch!". Damit ist die Band immerhin nicht alleine, und wer sich zumindest ein bisschen im via der "Early Years" DVD öffentlich ausgebreiteten Gedankenkosmos von Bassist Steve Harris und Manager Rod Smallwood auskennt, seit jeher die beiden Kapitäne im Millionen-Euro-Dampfer Iron Maiden Ltd., dürfte von der Sucht nach Publicity und Anerkennung dieser beiden Alphatiere auch nicht wirklich überrascht sein.

Nach jahrelanger und tatsächlich sehr harter Arbeit beim Aufbau einer kleinen englischen Pub-Kapelle zu einer der erfolgreichsten Metal-Bands aller Zeiten in den achtziger Jahren, war der durch sinkende Relevanz in Folge des Sängerwechsels von Aushängeschild Bruce Dickinson hin zum bemühten, aber überforderten Ersatz Blaze Bayley ausgelöste Schmerz beim Duo Harris/Smallwood am Ende sogar so unaushaltbar, dass man sich nach dem Abschluss der "Virtual XI"-Tournee 1999 mit dem ehemals zur persona non grata erklärten Dickinson versöhnte - und die Kulissen der "Truman-Show" wieder in die Szenerie rollen konnte.

Dazu gibt es mehr in der zweiten Folge zu lesen.