"I dream of beheadings and goose-feather bedding on fire" (Nailah Hunter)
Als vor vier Jahren die Debut-EP "Spells" der Harfenistin Nailah Hunter erschien, kam ich über verschlungene Pfade zum Plattensammlerportal Discogs, oder präziser: zu einer Rezension über "Spells", die sich ausnahmsweise mal nicht mit der Qualität der Vinylpressung, sondern tatsächlich mit der Musik auseinandersetzte. Ein Satz aus dieser Rezension lautete:
"Like taking acid and going to Rivendell."
Ich möchte offen sprechen: danach musste ich nicht mal mehr eine Reinhörvorrichtung bemühen, um die Platte umgehend in mein Warenkörbchen zu legen. Alleine ob der vagen Aussicht darauf, das Debut dieser US-amerikanischen Allrounderin könnte auch nur entfernt so klingen, wie es dieser eine Satz versprach, war also bereits ein veritabler Kontrollverlust einzukalkulieren. Aber es wurde sogar noch besser, als das Versprechen tatsächlich eingelöst wurde. Welch Raffinesse in der Gestaltung. Welch Gespür für die Instrumentierung. Außerweltlich. Außerkörperlich. Erneuerung. Expansion. Eine Platte wie ein Märchen aus einem verzauberten Wald, in dem alles Stoffliche zum Leben erwacht. In einer anderen Zeit, in einer anderen Welt. Eine fantastische Reise. Man reiche mir bitte die Pappen.
Drei Jahre später, Hunter ist mittlerweile zum Label Fat Possum Records gewechselt und hat die EP "Quietude" und einige Singles ihrer Diskografie hinzugefügt, erscheint ihr Albumdebut "Lovegaze" - und ich bin noch immer fasziniert von dieser Musik. Einiges wirkt aufgeräumter, im Sinne von klarer, als noch auf "Spells", vor allem hinsichtlich der sich deutlicher abzeichnenden Pop-Umrisse. Der vor diesem Hintergrund durchaus geschickt gewählte Einstieg mit "Sweet Delights" überrascht dann sogleich mit vollmundigem Pop- und Jazz-Appeal und erleichtert das Eintauchen in diese Platte. Denn, soviel sei gesagt: so geht's nicht unbedingt durchgängig weiter. Von weiteren Ausnahmen wie dem Titelsong oder "Garden" abgesehen, die melodisch greifbarer sind, baut Hunter ihre Kompositionen mit Hilfe komplexer und zugleich flüchtiger Arrangements, die der geheimnisvollen Ausstrahlung ihrer Musik stets weitere Ebenen hinzufügen. In "Through The Din" lamentiert Hunters entrückt wirkende Stimme über Trip Hop-Ruinen durch den Märchenwald, "Finding Mirrors" weckt mit schwüler LA-Hitze aufgeladenem Post-Soul Erinnerungen an das immer noch fantastische Debut von INC, während Songs wie "Cloudbreath" - ein völlig durchlässiges und schwereloses Ambient-Instrumental - oder "000" sich so weit draußen in den Obertönen bewegen, dass sie nur schwer zu erfassen sind. Das ist der Plan: die Zwischenwelten besetzen und niemals die Schwingung unterbrechen. Mir scheinen hier speziell Hunters Gesangslinien von großer Bedeutung zu sein, operieren sie doch besonders in den experimentellen Stückes des Albums nicht selten im Verborgenen. Sie erwecken den Anschein, als seien sie just in den Momenten erfunden worden, in denen die Musikerin sich zunächst in Trance versetzte, bevor Produzentin Cicely Goulder den Aufnahmeknopf drückte. So unmittelbar wie vergänglich. Eigentlich weiß man nie so recht, was man gerade gehört hat. Aber je tiefer sich die Verbindung zwischen "Lovegaze" und der eigenen Realität ins Bewusstsein eingräbt, desto stärker lichtet sich die Konsternation.
Wir kommen schon wieder einfach nicht drum herum - wir brauchen Zeit. Und Geduld. Und vielleicht am Wichtigsten: Gefühl.
"Ich esse überhaupt nur noch, um danach mit umso größerem Vergnügen rauchen zu können."
(Thomas Mann)
Am Ufer eines Sees. Eingebettet zwischen Bergen, deren schneebedeckte Gipfel sich im Wasser spiegeln. Stille. Windstille. Stillleben. Auf dem Wasser: keine Konturen, keine Bewegung, kein Wellchen. Fast ein wenig surreal. Hat jemand den Pauseknopf gedrückt, oder buffert mein Gehirn noch die Eindrücke? Give me something to cling to.
Der Stein trifft die Wasseroberfläche. Rasch breiten sich die Wellen über die gesamte Oberfläche aus. Sehr schnell direkt um die Eintrittsstelle, mit langsamer werdendem Tempo je weiter sie sich in die Tiefe des Wassers graben. Und in die Breite. Fokus. Nicht blinzeln. Wir suchen das Bild im Bild. Dimensionen-Bingo im Schatten des Großglockners. Ayahuasca, DMT - olé, olé.
Im peripheren Sichtfeld ist nun alles vor uns liegende in sanfter Bewegung. Ein zartes Schaukeln überall, in vollem Einklang mit der Umgebung. Mehr noch: es schluckt die Umgebung, es macht sie ganz. Und es wird damit so offensichtlich, dass erst die von der Erschütterung ausgelöste Schwingung das zusammenfügen kann, was durch die Unbeweglichkeit, die Starre nicht zusammenfinden konnte. Erst jetzt sind sie zu erkennen, die feinen Details, die tieferen Ebenen, die subtilen Turbulenzen - aber auch die Unberührtheiten. Was ehemals Alles und gleichzeitig Nichts war, weil das eingefrorene Bild auf der großen Leinwand keinerlei Impuls zur Durchlässigkeit preisgab, erleben wir nun Entfaltung und Verdichtung durch Bewegung und Überwindung.
Das zweite Album der britischen Musikerin, Produzentin, Multi-Instrumentalistin Nala Sinephro heißt "Endlessness". Zehn Titel, allesamt unter dem Namen "Continuum" durchnummeriert. Der Stein fällt zur Sekunde 1 ins Wasser und möglicherweise endet die Schwingung mit dem atemberaubenden Crescendo im abschließenden "Continuum 10", möglicherweise endet sie aber auch in der Unendlichkeit. Das große Ensemble, das "Endlessness" stets auch über das triviale Ende des Werks hinaus in der Bewegung hält, unter anderem mit der Saxofonistin Nubya Garcia, dem Schlagzeuger Morgan Simpson (u.a. bei Black Midi), Ezra Collectives James Mollison, Lyle Barton am Piano, Sheila Maurice-Grey am Flügelhorn, Natcyet Wakili, Dwayne Kilvington und dem 21-köpfigen Streichorchester Orchestrate, definiert stets nur den Auftakt, niemals das Ende. So gesehen besteht "Endlessness" auch lediglich aus Ursprüngen, aus immer neu erkannten und aufgenommenen Ideen und Impulsen, die stets die kreative Stunde Null wiedergeben und sich ununterbrochen in die Breite verästeln. Beinahe fühlt es sich so an, als müsse man sich wegen des unwiderstehlichen Sogs selbst mitverästeln. Die Natur der Dinge.
Alles hört irgendwann einmal auf zu existieren. Aber Nichts hat ein Ende.
“We are all connected; To each other, biologically. To the earth, chemically. To the rest of the universe atomically.” (Neil DeGrasse Tyson)
Ich bin geneigt, an dieser Stelle von einem "brandheißen Tipp" für alle Ambient-Jünger*innen zu schreiben, aber so brandheiß ist diese im vergangenen Sommer erschienene Platte im Frühling 2025 dann leider auch nicht mehr. Und ich bitte davon abzusehen, mir die zwar berechtigte Frage zu stellen, warum "Beyond A Moonless Night" denn nicht in meiner Top 20 auftauchte, weil ich außer der Feststellung, dass die Konkurrenz nun wirklich groß war, keine passende Antwort ausformuliert habe.
Inhmost's Simon Huxtable ist auf 3,40qm kein Unbekannter mehr, hatte ich hier doch schon mehrfach auf das außergewöhnliche Talent des britischen Produzenten hingewiesen. Der aus Belgien stammende Pierre Nesi aka Owl kam mir erstmals mit seinem 2021 auf Silent Season erschienene Album "Infinite Horizon" aufs Radar. Die Wege der Herren kreuzten sich in den letzten Jahren unter anderem über Veröffentlichungen auf den Labels re:st und Huinali. "Beyond A Moonless Night" ist die erst Zusammenarbeit der beiden Musiker.
Ich möchte heute auf dieses kleine Juwel hinweisen, nicht zuletzt deshalb, weil ich die Befürchtung habe, hier könnte ein bemerkenswertes Album in der Flut von Veröffentlichungen schlicht untergehen. Wie eingangs ausgeführt, weiß ich leider, wovon ich spreche. Der US-Amerikanische Musikkritiker Anthony Fantano berichtete vor wenigen Monaten, dass an einem Tag des Jahres 2024 soviel Musik veröffentlicht wurde wie im ganzen Jahr 1989. Welche Auswirkungen die schiere Menge an neuer Musik in Verbindung mit den programmierten Algorithmen sozialer Medien, einer gesunkenen Aufmerksamkeitsspanne und veränderten Lebensrealitäten der Zielgruppe auf Aspekte wie Vermittlung und Einordnung, also auf den generellen Diskurs haben, sehen wir seit einigen Jahren in der immer weiter voranschreitenden Auflösung von ehemals etablierten Medien und Plattformen und damit letzten Endes Diskursräumen, sowie gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen und Standards. Ich bin beispielsweise immer (noch) überrascht, wenn die eigene Recherche zu Musikern und ihren Werken mittlerweile in den meisten Fällen auf den Seiten von Mailorderplattformen endet, stets lediglich kombiniert mit den übernommenen Promotexten der Plattenfirmen. Das ist oft diktiert von den jeweiligen Genres; über das letzte Album von The Cure schreibt natürlich immer noch jede*r, auch mit der Gewissheit, dass die Texte wenn schon nicht gelesen, dann immerhin angeklickt werden. Über Ambientproduktionen gleichermaßen zu lesen und zu schreiben kann hingegen ein bisschen einsam machen.
Nun ist Einsamkeit ja traditionell eines der großen Markenzeichen auf 3,40qm, und auch das verraten mir sowohl die Zugriffszahlen als auch meine Postingfrequenz auf diesem seit 18 Jahren existierenden Blog, und ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass zwischen diesen beiden Messgrößen ein kausaler Zusammenhang besteht. Neben den viel zu langen, ungelenk formulierten, mit diskussionswürdigem Humor und permanenter Überwärmung versehenen Texten und ihren stilistischen Katastrophen, versteht sich. Und bevor uns allen, und ganz besonders mir, jeden Moment die Tränen in die Augen schießen, lassen Sie mich noch schnell einige Worte zu "Beyond A Moonless Night" verlieren.
Was sich auf diesem Album bereits gleich zu Beginn offenbart, ist der außergewöhnlich immersive Klang dieser Aufnahme. Das ist der erste Anker, den "Beyond A Moonless Night" setzt. Das Eintauchen in dieses Universum ist unmittelbar. Es ist warm und weich, dabei kristallklar und durchlässig. Die sich überlagernden Schichten ihrer Musik öffnen unentwegt neue Räume für Visionen. Ich habe bei der Auseinandersetzung bemerkt, dass die Platte sich ganz hervorragend für die Momente des Zwielichts eignet, für die Augenblicke zwischen Wachen und Schlafen, zwischen Bewusstheit und Intuition. Ich sehe große Vogelschwärme, die in der Dämmerung wie von einer unsichtbaren Entität geführt in Bruchteilen von Sekunden Flugrichtungen wechseln, ich sehe sich in einer sanften Brise wiegenden Palmen, ich spüre die Verbindung und das Miteinander. In "Dusk Settled Over The Mountains" stehe ich mit Lisa Gerrard und Brendan Perry in einer gotischen Kathedrale auf dem Saturn. Das kann eine außerordentlich befreiende, angstlösende Wirkung haben. Dabei hilft es, dass Inhmost und Owl sich viel Zeit für die Entwicklung ihrer Ideen lassen und die Musik behutsam expandieren, ohne dafür die Struktur zu opfern. Hier fließt nichts in Ungewisse, weil jede Bewegung Richtung und Bestimmung hat.
“Consensus Programming is dangerous to your health. The brainwashed do not know they are being brainwashed.” (Wendy O'Williams)
Es lebt etwas ungemein Anziehendes in dieser Musik. In den vergangenen vier Monaten kam mir keine andere Platte so oft auf den Plattenspieler wie "Dark Portrait" und es hatte bisweilen den Anschein, als könne die Platte zunächst mein Innenleben scannen und anschließend die aufgenommenen Schwingungen ganz selbstverständlich in genau die Töne umwandeln, die mein System gerade benötigte. Du findest diese Platte nicht, sie findet Dich.
Und das tut sie mit Präzision. Was umso erstaunlicher ist, denn hier ist zunächst mal fast alles Vibe, alles Schwebung. In die Aura getupft, hintergründig, in sich versunken. Vernebelte Zeitlupensounds im Teilchenbeschleuniger. Bereits im somnabulen Eröffnungsstück "Unsuitable" wird mit dem Kontrast zwischen kargen Trip Hop-Reflexen in Verbindung mit dem Selbstzweifel in Text und Stimme erstmals die Indifferenz deutlich, die sich durch das gesamte Album zieht. "I was just trying to accept that I'm not a good person towards everyone all the time" sagt Soela im Interview mit Bruce Tantum (DJ Mag). "I'm somtimes not even a good person to myself."
Und selbst die lebhaften Momente wie in "Through The Windows" oder die Kollaboration mit Dial-Gründer Lawrence in "February Is Not Going To Be Forever", in denen die Beats mehr Raum einnehmen und die Energie in Richtung Tanzfläche ziehen, sind niemals gerade, sondern stets gebrochen vom emotionalen Treibholz, sie halten inne und schauen sich um. Alles geht nach innen - und über jene Einkehr werden die Brücken zum sinistren Grundrauschen gebaut, das ständig in uns allen zu hören ist. Wir spüren, dass wir uns fallen lassen können in diesen tiefen, melancholischen Strudel. Mit Grundvertrauen.
"Dark Portrait" ist der elegische Blick über nächtliches Großstadtgeflacker und gleichzeitig mystischer Ambientnebel auf einer Waldlichtung. Der Soundtrack für die schier endlose Suche nach dem innersten Kern des Lebens. Wer wir waren - und wer wir sind. Und, vielleicht noch wichtiger, wer wir sein wollen.
Erschienen auf Scissor & Thread, 2024.
Über Soelas Albumdebut "Genuine Silk" berichteten wir bereits HIER.
"Most of us will reach a certain point in our living where if we can't figure out how and where to place our nostalgia it will completely overwhelm us." (Renee Gladman)
NOSTALGIE
Substantiv, feminin [die]
vom Unbehagen an der Gegenwart ausgelöste, von unbestimmter Sehnsucht erfüllte Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu einer vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit äußert, deren Mode, Kunst, Musik o. Ä. man wieder belebt
Der dritte und letzte Teil der Wardown-Trilogie des britischen Produzenten Pete Rogers erschien Mitte Dezember des vergangenen Jahres und kam mir damit für die offizielle Bestenliste leider zu spät auf den Plattenteller. Die beiden Vorgänger I und II zählen für mich zu den beeindruckendsten Elektronik-Alben der letzten fünf Jahre. Zum einen, weil die hier behandelten Themen der "Sehnsucht", ein Begriff, den Rogers in Interviews oftmals explizit auf Deutsch verwendet, weil die englische Sprache keine adäquate Übersetzung vorhält, sich bis in die hintersten Ecken meiner eigenen Echokammer ausbreiten konnten und dort sofort Verbindung mit mir aufnahmen. Zum anderen, weil die gesamte Ästhetik, von den Cover-Artworks bis hin zu den ausgewählten Sounds für diesen Ambient- und Drum 'n' Bass-Hybriden, sein Storytelling so überzeugend und transparent machte. Ich verstand damit tief im Innern, was Rogers mit diesen Projekten aussagen wollte, und je älter ich werde und je klarer sich damit das Sentiment der Nostalgie auch in mir selbst zeigt, desto größer wird die Anziehung, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen.
Das war und ist erstens nicht immer angenehm - das eigene Spiegelbild zeigt bei entsprechenden Lichtverhältnissen und Perspektiven leider nur zu ungnädig auch jene Bereiche, die man am liebsten gar vor sich selbst versteckt hält, ganz zu schweigen von der Außenwelt. Was sagt es über mich, wenn die Gegenwart offenbar so unerträglich scheint, dass selbst die Reise ins bereits Ge- und Erlebte, ins Vergilbte, Ausgegraute und Vergangene mehr Attraktion verspricht, mehr Reizpunkte triggert und gleichzeitig paradoxerweise als stark wirkendes Sedativum Einsatz findet? Es zeigt mir zweitens auch, wie flüchtig diese Empfindungen tatsächlich sind. Sie offenbaren sich im Grunde fast immer nur als diffuses Grundrauschen, das sich einer konzentrierten Anschauung stets in dem Moment entzieht, in dem eine Struktur oder ein Muster vergrößert werden will. Rogers beschreibt dieses Phänomen in seinem lesenswerten Interview mit Ryan Griffin von A Strangely Isolated Place wie folgt:
"But it’s a very hard thing to accurately pin down and describe. I sometimes feel as though to get a sense of it I have to look out of the corner of my eye, as when I try and focus directly on it, it disappears. It’s often a very fleeting feeling brought on by certain scenes in the world, weather, photographs, old films. A kind of bittersweet, melancholy feeling about the past and things that have been lost. But quite often it’s a longing for things I’ve never personally experienced or may never have even happened."
Wardown III erscheint mir im Vergleich mit den beiden Vorgängern etwas schwieriger zu dechiffrieren zu sein. Blickte Rogers auf dem Debut in seine eigene Vergangenheit zurück und vertonte weichgezeichnete Kindheitserinnerungen mit bittersüßem Schmelz, beschrieb er für "II" die Zukunft aus der Perspektive früherer Generationen und stellte damit eine Form der Nostalgie in den Mittelpunkt, die als seitenverkehrtes Negativ die unbekümmerte Naivität und Euphorie aus der Vergangenheit mit einer trostlosen Gegenwartsanschauung verknüpfte, in der all die hoffnungsvollen Visionen als unerreichbare Utopien, als Fiktion entlarvt wurden. Für "III" zeichnet es sich hingegen ab, als sei Rogers nun endgültig auf der Rückseite einer Landschaft angekommen. Die Stimmung ist trüber als zuvor, so als wäre man von der Erkenntnis überrannt worden, dass der zweite Teil des Wortes "Sehnsucht" der eigentliche Bedeutungsvektor ist: eine Sucht. Eine Flucht. Ein Eskapismus. Vielleicht auch eine Überlebensstrategie; der letzte Strohhalm, an den sich geklammert wird, weil die Kälte und Gleichgültigkeit der Gegenwart mit der Erinnerung an eine Vergangenheit kollidiert, in der Bedeutung und Bestimmung die zumindest virtuellen Grenzen der Zielkorridors waren. "Everything has their cycle. They have their beginning, they have their end." heißt es in "39 to Beam Up". Und anschließend, über unheilbeschwörendes Sirenengeheul: "Planet Earth. About to be recycled. Your only chance to evacuate is to leave...with us."
Der Klappentext zu "III" liefert zusätzlich zwei Zitate als potentielle Leuchtfeuer.
Nummer eins stammt aus dem Buch "The Ruins Of Nostalgia" der Autorin Donna Stonecipher aus dem Jahr 2024:
"We felt like nostalgic futurists, one half of our bodies aimed with hope at the prospect of future utopias, one half aimed with dread at the prospect of future utopias, torquing ever backward at an inexorably receding past"
Nummer zwei wurde dem im Jahr 1975 erschienenen Buch "Light Years" des US-amerikanischen Schriftstellers James Salter entnommen:
“We’re entering the underground river,” she said. “Do you know what I mean?”
“Yes, I know.”
“It’s ahead of us. All I can tell you is, not even courage will help..."
Mir erscheint vor allem der Verweis auf "Light Years" zentral für die Entschlüsselung zu sein. Salters Roman beschreibt vordergründig den langsamen Zerfall einer Ehe und erzählt von einem scheinbar perfekten und idyllischen Leben einer Familie im Osten Amerikas, über das sich über die Jahre flächendeckend Risse ausbreiten, das sich entzweit und immer weiter in Kleinpartikel zerstreut bis hin zur schlussendlichen Auflösung und Auslöschung. Die Unterströmung von "Light Years" hinterfragt hingegen jene Aspekte unseres Lebens, den wir als essentiell an- und hinnehmen, denen wir eine oberflächliche Relevanz beimessen, ohne die eigentliche Tragweite ihrer existenziellen Bedeutung erfassen zu können. Deren Gewicht bestimmt ist von performativem Verhalten, von falscher Loyalität, vom Festhalten am Status Quo. Und deren Betrachtung letzten Endes von Zukunftsängsten und von der oft so tiefsitzenden Furcht von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung bestimmt ist.
Ich empfinde das Eintauchen in die Themenwelt der Wardown-Alben als großes Glück. Es fordert mich heraus. Es provoziert mich. Gleichzeitig gibt es mir einen Anker zur Reflektion und einen Ausblick darauf, wie ich leben möchte.
Und wer sich jetzt fragt, ob's denn nicht auch eine Nummer kleiner ginge...?!
Wenn etwas aussieht wie eine Deppenfrage, es sich liest wie eine Deppenfrage und es außerdem nach Deppenfrage schmeckt (Überbacken, 200°C in Backofen), dann ist es eine Deppenfrage mit dem Markus Lanz-Qualitätssiegel:
Sind "wir" eigentlich "noch" in der "Lage", einen "Klassiker" zu "erkennen"?
Der Musik-Kanon im Allgemeinen und der Metal-Kanon im Besonderen sind selbst in den abseitigen Nischen vollgestopft mit Alben, auf die sich die Mehrheit der Szenegänger über die letzten fünf Jahrzehnte in Hinblick auf Parameter wie außergewöhnliche Qualität, dem Willen und Mut zur Innovation und dem wegweisenden Einfluss auf die künftige musikalische Entwicklung einigen konnten, oder weniger hoheitlich formuliert: Alben, die von der Musikjournaille so lange nach oben gejazzt wurden, bis es auch den letzten Neil Dylan-Harrison-Überlebenden, James Hetfield-Yeeeaaah-Yeaaaah-Kuttenjürgens und Eddie Vedders Surflehrern ins kollektive Gedächtnis eingehämmert wurde, was dIe_SzEnE gefälligst für die nächsten Dekaden für einen "Klassiker" halten soll. Seit dem Auftauchen des Bermuda-Dreiecks aus "Musik ist überverfügbar", "Kein Mensch unter 40 liest Musikmagazine" und "Social Media - Der Todesstoß" hat sich DiE_sZeNe allerdings längst in Luft aufgelöst, sieht man von den üblichen ein, zwei gallischen Subkultur-Dörfern ab, in denen aber auch schon länger nicht mehr jeden Abend gemeinsam ums Feuer sitzend Wildschweine gefressen werden, sondern jede*r Wurzelsepp*in mit W-LAN und Shitify-Abo alleine in der frisch geklinkerten Höhle hockt und sich via TikTok das anhört, was man mit einigem Hang zum Absurden als die letzten noch dampfenden Ruinen dessen bezeichnen könnte, was in der Eisenzeit mal unter "Musik" verstanden wurde. Die Gemeinschaft ist am Arsch, liebe Freunde! Und wo die Gemeinschaft am Arsch ist, wird sich auch auf nix mehr geeinigt. Vereinzelung olé! Als ob wir heute noch ein zweites "Reign In Blood" oder "The Number Of The Beast" entdecken könnten, oder auch nur entdecken wollten. Ich beantworte mir die eingangs gestellte Quatschfrage mal flott selbst, sonst gibt's Hirnverknotung mit Sahne: Nein, "wir" "erkennen" keine "Klassiker" mehr.
--
Plot-Twit: außer diesem hier, natürlich. Auf "Absolute Elsewhere" konnten sich im letzten Jahr eigentlich alle einigen. Ein Umstand, dem ich üblicherweise mit ausgeprägter Skepsis begegne; man sieht's mir bittschön nach, nicht schon wieder das olle Hildebrandt-Zitat zu bringen. Und wenn dann auch noch die Feuilletons plötzlich aufwachen und ausgerechnet in jenem Genre große Kunst wittern, das traditionell im besten Fall allerhöchstens belächelt wird - und ich füge hinzu: Zurecht! Wenn vor allem der heutige Heavy Metal eines verdient hat, dann dass man sich 24/7 über ihn lustig macht, for fuck's sake - jedenfalls: es wird dann sehr ernst.
Wer die Entwicklung Blood Incantations besonders angesichts des 2019er Albums "Hidden History Of The Human Race" und dem reinen Ambientprojekt "Timewave Zero" begleitet hat, wird von der stilistischen Bandbreite, die "Absolute Elsewhere" abdeckt, eventuell nicht mehr ganz so vehement aus den Schuhen gesprengt werden. Die Band hatte seit jeher ein Faible für Science Fiction in ihren Texten und kosmische Nuancen in ihrer Musik, und präsentierte jene Einflüsse sehr anschaulich in der überaus empfehlenswerten "What's In My Bag"-Folge des in Los Angeles ansässigen Plattenladens Amoeba Music. "We don't play games, man!" sagte Sänger und Gitarrist Paul Riedl zur Veröffentlichung des kontrovers diskutierten "Timewave Zero" Werks - und um das Zitat im Jahr 2024 weiterzuführen, könnte man im Zuge von "Absolute Elsewhere" ein "Now it's getting serious." hinzufügen.
Die Band hat für das in der Berliner Hansa Studios aufgenommene aktuelle Album in jeder Hinsicht alles aus sich herausgeholt. In knapp 44 Minuten und zwei Songs, die in jeweils drei sogenannte Tablets unterteilt sind, sprengen Blood Incantation im Prinzip ein ganzes Genre in die Luft. Wir sitzen auf den Trümmern und fliegen mit diesen vier Irren ins Weltall - man verzeiht mir bitte die abgeschmackte Metapher, aber sorry: sie haben's ja auch irgendwie provoziert. "Absolute Elsewhere" ist ein fremder, weit entfernter Ort. Death Metal der etwas älteren Schule, von der ehemals Bands wie Morbid Angel, Gorguts und Death in den 1990er Jahren abgingen (ich habe möglicherweise relativ exklusiv die Wahrnehmung, dass insbesondere letztgenannte in jenen Momenten, deren Farbauftrag den klassischen Heavy Metal etwas deutlicher durchscheinen lässt, häufiger als Referenz auftauchen), amalgamiert sich mit den Haschkrümeln, die aus den Zottelbärten Pink Floyds, Tangerine Dreams und King Crimsons herausgepurzelt sind, also kosmischer Musik und Progressive Rock der 1970 Jahre, tippt den Hut in Richtung der wegweisenden Science Fiction Metal-Legende Voivod (The Stargate Tablet III, ab Minute 3:42) und lässt obendrein Tangerine Dreams Thorsten Quaesching auf "The Star „The Stargate [Tablet II]“ sich über ein paar Minuten an der Synthiebatterie austoben. Das Songwriting ist dabei derart raffiniert, dass der Band trotz der beiden überlangen Kompositionen zu keiner Sekunde weder der Spannungsbogen abhanden kommt, noch die eigentlich unmöglich zu meisternden Übergänge zwischen dem Death- und Grind-Gehacke und den außerweltlichen, psychedelischen Klangsphären aus der Pilzpfanne des Druiden Deines Vertrauens misslingen. Ich mag mir kaum vorstellen, wie viel Arbeit in diese 44 Minuten geflossen sein muss, um das so punktgenau in unsere Realität zu bugsieren. Ein Wahnsinn.
Ich darf abschließend anmerken:
Erstens: das Break und dessen Aufbau in "The Stargate [Tablet II]" bei Minute 4:11 gehören zum besten, was ich in 40 Jahren Rockmusik gehört habe.
Zweitens: das Abschlussriff von "The Stargate [Tablet III]" ab Minute 4:59 dampfwalzt mich jedes fucking Mal in Richtung Erdkern. Möchte ich auf Lautsprechern hören, die so groß sind wie die Cheops-Pyramide.
Drittens: was für ein Sound! Was für eine Produktion! Achtung, sprechen Sie mir jetzt laut nach: "WAS FÜR EIN SOUND! WAS FÜR EINE PRODUKTION!"
Viertens: Der Übergang von "The Message [Tablet II]" in das einleitende klassische Speed Metal Riff von "The Message [Tablet III] verursacht schwere Schweißausbrüche. Darf man eigentlich nur unter Aufsicht und nach der Starkstromtherapie hören.
Fünftens: das wird womöglich niemand so recht nachvollziehen können, aber das Ende von "The Stargate" klingt für mich, als wäre eine eben noch heißlaufende und kurz vor der Explosion stehende Höllenmaschine (schlimmer Verdacht: das Stargate?) im allerletzten Moment vor der Vernichtung des Universums mittels Plastik-Kippschalter (Hornbach, 99 cent) ausgeschaltet worden und wäre nun allmählich dabei, zunächst herunterzufahren und anschließend abzukühlen. Die Videosequenzen (siehe unten) verstärken den Eindruck noch und ich kann mich daran weder satthören noch sattdenken. Es gibt keinen Zweifel: ich bin wieder 13 Jahre alt.
Sechstens: Die (Death) Metal-Passagen sind bei weitem nicht so abgedreht, technisch und verkopft, wie in so mancher Besprechung zu lesen ist, und wer mit den früh- bis mittneunziger Alben von Death und Morbid Angel sozialisiert wurde, wird hier sehr sanft gebettet. Fans von beispielsweise Nile oder Beneath The Massacre könnten hingegen wegschnarchen.
Siebtens: Der Eros des Überlegenen, umgehend alles in Schubladen einzusortieren und Vergleiche zu finden, ist erstens laaaaangweilig und zweitens vor allem im vorliegenden Fall auch obsolet - mit was willst Du so eine Platte bitte vergleichen? Ich habe aus meiner Hirnverletzung indes nie einen Hehl gemacht, weshalb ich zum großen ABER ansetze: in einem Musikforum stolperte ich letzthin über einen Ansatz, der für mich bis heute so viel Sinn ergibt, dass ich mir nicht zu schade bin, ihn hier zu erwähnen. Obliveons "From This Day Forward" (1990, Active Recrds) klingt in Sachen Vision und Vibe wie ein Prototyp dessen, was 35 Jahre später als das große Universums-Upgrade von Blood Incantation eingespielt wurde. Sowohl Band als auch Album sollten die Zielgruppe so oder so kennen, ganz besonders im Kontext mit "Absolute Elsewhere" könnten vielleicht ein paar Lampen angehen. Hopp-Hopp!
Ich hab's nun schon ein paar Mal ins Internet reingeschrieben und fuck it, ich mach's nochmal: Mutige und visionäre Bands wie Blood Incantation sind Weltkulturerbe. Es scheint, als hätten wir endlich die geistigen Nachfolger Voivods gefunden.
"I knew I wasn't making music to release it, it was more of a way to provide myself a safe space and I didn't expect anything to happen, but it looks like it did. My safe space is now out for others to join." (Eftihis aka Theef)
Ich hatte es an anderer Stelle schonmal erwähnt, dass 2024 aus musikalischer Sicht eigentlich ein sehr rockiges Jahr für mich war, und auch wenn die bisherige Bestenliste bislang nur wenige Beweise für jene These ausspuckte, hörte ich im vergangenen Jahr soviel - im weitesten Sinne - Rock wie schon lange nicht mehr. Irgendein altes und verrostetes Scharnier hatte sich wohl wieder ein bisschen gelockert. Ich hatte wieder mehr Lust auf etwas Lautes und Dreckiges, auf Ausgelassenheit und Extrovertiertheit. Ich will nicht über Gebühr mit den vermeintlichen Gründen für diese Entwicklung langweilen, aber ich hielt mich seit Juni 2024 sehr regelmäßig in unserer modrigen Gartenlaube zum Training auf und die Deadlifts gehen mir mit Krach deutlich einfacher von der Hand als mit introspektiven Ambientsounds. Dabei war ja auch nicht alles Rock, was rockte: geradliniger four to the floor Techno mit viel Drive eignet sich zum Heimtrainer-Irrsinn mindestens genauso gut. Und genau hier tanzt "Sun & Smoke" aufs Radar.
"Sun & Smoke" ist eines jener Alben, die schon beim allerersten Kontakt einen Anker setzten, irgendwas war hier schon ab den ersten Sekunden des noch recht ätherischen Openers "Sky Textures" besonders - und um die weitere Entwicklung gleich vorwegzunehmen: es sollte noch besser, noch eindrücklicher werden. Denn "Sun And Smoke" ist nicht zuletzt für A Strangely Isolated Place-Verhältnisse außergewöhnlich lebhaft; in Sachen hypnotisierender Intensität und Dancefloor-Kompatibilität lassen sich, um im Labelkontext zu bleiben, höchstens Vergleiche mit Yagya's "Stormur" ziehen. Banger folgt auf fuckin' Banger. Mich traf das sofort ins Herz. Es macht ungeheuren Spaß, diese Platte zu hören. Bei allem Drive, bei aller Ausdauer, bei aller Tanzbarkeit liegen hier doch viel mehr Komplexität und ein profundes Verständnis von visionärem Sounddesign unter der Oberfläche.
Dabei erschien "Sun & Smoke" schon 2019 als zweistündiges Mixtape auf Soundcloud und Youtube, wo es in Szenekreisen einigen Staub aufwirbeln konnte. Theef, ein bis dato relativ unbekannter Produzent aus Griechenland, stellte seine unveröffentlichten Tracks für das Set zusammen - und Ryan von A Strangely Isolated Place bekam Wind von der Sache. In den späten Abendstunden wurde "Sun & Smoke" zu seinem regelmäßigen musikalischen Begleiter, sodass er Theef schließlich kontaktierte und die beiden über eine Zusammenarbeit sprachen. Ryan pickte anschließend die favorisierten Tracks für eine Vinylveröffentlichung aus. Auf Bandcamp ist auch der vollständige, zwei Stunden laufende Mix verfügbar, der übrigens nicht nur beim Training, sondern auch ganz hervorragend beim Arbeiten funktioniert. Man darf mir vertrauen, ich hab's in unzähligen Excelsessions für euch getestet. Die Platte war gar so erfolgreich, dass das Label ausnahmsweise einen Repress nachschob, um die Nachfrage zu bedienen.
File under: Wenn Jean Michel Jarre im Jahr 2024 ein Technoalbum produzieren würde.
MARY LATTIMORE & WALT McCLEMENTS - RAIN ON THE ROAD
"There's a thing called accountability and you need to open up an account." (Sam Loudermilk)
Und da saß ich eines Morgens auf unserer durchgesessenen, alten Couch mit der ersten Tasse Kaffee des Tages. Es ist 8:30 Uhr. Juni. Der Frühling schwingt noch ganz leise nach, die Luft vibriert noch ein bisschen vom Wiedererwachen des Lebens nach dem Winter. Das Licht ist frühlingshell, selbst wenn es heute eigentlich kein Durchkommen gibt. Der Regen hat nachgelassen, es riecht nach Petrichor und nach nassem Holz. Die letzten vom Dach perlenden Wassertropfen fallen auf den Efeu auf der Terrasse und nach jedem leisen *ping* mischt sich der Duft von in den Händen zerriebenen Blättern in die Atmosphäre.
Ich habe gerade "Rain On The Road" aufgelegt und es läuft der zweite, fast 13-minütige Song "The Poppies, The Wild Mustard, The Blue-Eyed Grass". Ich lese den politischen Essay von Stefan Gärtner in der aktuellen Ausgabe der Titanic, "Some Of Us: Strangers", und in die ohnehin trübe Stimmung wegen des bevorstehenden Arbeitstages vermengt sich noch die Ohnmacht über die Zustände von praktisch allem, Welt, Leben, Menschen, das ganze Scheißuniversum ist einfach fucked.
Und da saß ich also eines Morgens auf unserer durchgesessenen Couch und baller' mir die erste Tasse heißes Agonie-Gulasch in den gierigen Schlund - und plötzlich kippt hier etwas, irgendwas im Raum scheint sich zu verändern. Mein Blick ist jetzt nicht mehr auf Gärtners Text gerichtet, sondern auf den Plattenspieler. Mein Oberkörper fällt nach hinten ins weiche Kissen. Ich höre zu. Habe das Gefühl, ich höre dabei zu, wie sich Leben anhört. Wie sich Erleben anhört.
Mary Lattimore an der Harfe und Walt McClements am Akkordeon haben "Rain On The Road" in einem verregneten Dezember in Los Angeles aufgenommen. Geschrieben wurden die fünf Exkursionen ins Licht auf gemeinsamen Tourneen. Ihre Kompositionen entwickeln sich aus leisen, dürr verästelten Field Recordings und Tontupfern aus Lattimores Harfe und McClements Akkordeon zu magischen, hypnotischen Wellen und Mustern, die in ihren intensivsten Momenten eine bemerkenswerte erzählerische Kraft entwickeln. Viel Demut, viel Faszination - ja, viel Bewusstsein für die Wunder dieser Welt.
After rape, abortion, lover's betrayal, child's birth, child's death,
husband's abuse
Tricking to buy baby shoes
She must
Be called a muse
Which is just a synonym for use
Put upon pedestals
Dainty and protected
And because of that disrespected
Victorianized
Made a paradox of famous anonymity
Left to go insane with too much femininity
Staring at yellow wallpaper
(Ursula Rucker, "What A Woman Must Do", 2003)
"Socha" ist eine Messe. Ich meine das nicht im religiösen Sinne. Wobei, vielleicht...doch?! Es hat einen ganz besonderen Pull, einen Drang zur Ernsthaftigkeit, auch etwas Asketisches. Vor allem letzteres mag auf den ersten Blick eine irritierende Einschätzung sein, denn eigentlich gibt das die Musik nicht so recht her. Die ist zwar minimalistisch, aber nicht selten dennoch theatralisch, brodelnd, gewaltig und verbindlich. Ganz bestimmt ist sie in der Schattenwelt zu Hause, in alten, dunklen Gemäuern, deren Inneres von an der Wand hängenden Fackeln erhellt werden.
Das Bild kommt nicht von ungefähr, weil es sich manchmal so anfühlt, als würde ich nachts durch ein Kloster laufen, und zwar im 17.Jahrhundert. Ich werde garantiert daran scheitern, hier präzise herauszuarbeiten, wie sich Fülle und Minimalismus, Askese und Sinnlichkeit auf "Socha" miteinander verbinden, also nähern wir uns lieber mit einem Zitat an. Johan Edlund von der Heavy Metal Band Tiamat sagte mal über Dead Can Dance, deren Musik würde ihn an die unterschiedlichsten Orte versetzen, mal stehe er in einer riesigen Kathedrale, mal in einem tiefen Wald. Meine Theorie dazu ist, dass Musik in solchen Ausnahmefällen irgendeine Verbindung ins Innere findet und dort an gelebte Leben andockt, an Erinnerungen, Ängste, vielleicht auch ans Unterbewusstsein oder einfach nur an die Dose mit veganem Heringssalat, der das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hatte, whoopsy - und dort eine Art Feedbackloop erzeugt, der dann mit Bildern antwortet.
"Socha" gelingt ein ähnlicher Verbindungsaufbau. Vielleicht sind es die zahlreichen Spoken Word Passagen, die mystischen Gesänge aus unterirdischen Höhlensystemen, die Atemgeräusche, die aus der Ferne über offene Felder rituell-donnernden Trommeln, die "Socha" auf mich so...sakral wirken lassen.
Ein ganz bemerkenswertes, hintergründiges und inspirierendes Album.
"Zu Deutschland noch eins: Wenn man Kriege verhindern will, darf man nicht der drittgrößte Waffenexporteur sein wie Deutschland und an jedem Krieg verdienen." (Gregor Gysi)
Erst in allerletzter Sekunde ist mir diese Neuinterpretation von Warmths Album "Parallel" in die Jahresendabrechnung geschlittert. Das Original erschien im Jahr 2018 und gilt für Genrefreunde mittlerweile als kleiner Klassiker des minimalistischen Ambient. Wie bereits auf seinem Album "Essay" gelang dem aus Valencia stammenden Produzenten Agus Mena auf "Parallel" die Inszenierung seiner Musik mit majestätischer Eleganz, ohne jeden Anflug von Dramatik. Die Weichheit seines Sounds und die außerordentlich subtilen und geschmackvollen Verschiebungen in den unterliegenden Schichten sind legendär, weshalb "Parallel" sich auch bestens für Schlafmusik eignet. Um Missverständnisse zu vermeiden: das ist alles andere als despektierlich gemeint. In diesen Zeiten sollten wir glücklich über alles sein, was uns diesen ganzen Schwachsinn da draußen für wenigstens ein paar Stunden entfliehen lässt, ohne alle zehn Minuten schweißgebadet aufzuwachen.
Für diesen im September 2024 erschienenen zweiten Blick auf das Album hat Warmth im Vergleich zum Originalwerk mehr Lichtschattierungen, mehr Reflektionen (pun intended) eingehäkelt, die die Stimmung für mein Empfinden etwas mehr in die nicht mehr ganz so frühen Morgenstunden schweben lassen. Mehr Hoffnung, mehr Bewusstheit, mehr Vertrauen. Alles für einen neuen Tag.
Der medizinische Einsatz von "Parallel (Reflection)" zur Behandlung von Angstzuständen sollte in Betracht gezogen werden.
"Experiences are the most precious thing you have." (Mark Burgess)
Ein Koloss. Über fast 90 Minuten hat der US-Amerikaner Drew Sullivan glitzernden Sterbenstaub über diese Platte rieseln lassen, der sich in den höchsten Sphären mit den eigenen Lebensreminiszenzen verbindet und sich dort vernetzt, eins wird mit den internen Schaltkreisen, mit Hoffnungen, Ängsten, Glücksgefühlen, Trauer, Liebe.
Drew nennt seinen Sound "Glambiant" und als ich ihm kürzlich via Instagram mitteilte, wie einzigartig und originell dieser Ansatz ist, antwortete er: "Yes indeed as I’ve always loved the glam esthetic that can be applied to ambient in ways that make everything just bigger!" - und auf "Do We Become Sky?" wirkt tatsächlich alles ein bisschen größer. Nicht notwendigerweise im Sinne eines Brock van Wey/bvdub, der schon im Leerlauf auf der Hochebene operiert und von dort wahre Orkane über das Land zu schicken vermag. Drews Musik existiert im Kern in einem Kokon, sie ist introspektiv, zurückhaltend und fürsorglich. Ihm gelingt auf "Do We Become Sky?" die behutsame Expansion aus diesem Geflecht. Er öffnet damit den kleinen Raum der Einkehr, macht ihn durchlässiger für Austausch, für Wachstum, für Licht.
Im dreizehnminütigen Herzstück des Albums "Devastation Is The Path To Recreation" trifft dieses Licht mit fast ungebrochener Wucht auf den sich ausdehnenden Raum und macht ihn damit begehbar. Spürbar. Eigentlich schaut man seinem eigenen Universum beim Urknall zu.
"I like the idea that something’s rare and ‘unobtainable’, and that’s all fine and good and all that shit. But I’m not making this music for the records to sit on the shelf; they’re meant to be heard and shared with other people, they’re meant to be danced to, to be played so much they get worn out and you gotta buy another copy; that’s why I re-press!" (Theo Parrish)
Schon der erste Ton des Openers "OPEN, OPEN" ist ikonisch. Und er ist laut. Er schafft Aufmerksamkeit, Bewusstsein für das, was kommt. Über die nächsten vier Minuten des Tracks bleibt das Thema im Raum und schafft Weite und Tiefe, bevor sich weitere Türen öffnen und sich mittels bedrohlich nähernden Bassdrones erstmals die Farben drastisch ändern. Dunkelheit zieht ein.
Das Spiel mit Licht und Schatten, Perspektiven und Brennweiten dominiert den weiteren Verlauf von Ø. Von Autechre-inspiriertem IDM, dem das Konzept immanent ist, mit minimalen Verschiebungen den maximalen Effekt der Expansion zu erreichen, über heavy duty Bass-Glitches mit dystopischer Soundtrack-Atmosphäre, trüb und kalt wirkenden Ambientexkursionen, über denen ein seltsam nostalgischer Grauschleier liegt, so als würde man in eine bereits gelebte Parallelwelt hineinschauen bis hin zu Unterwasser-Techno in "Coil", hat Salvatore das Konzept von Ø praktisch am lebenden Objekt durchgespielt: "How do you start from a place of nothingness, again and again?"
Die erste Frage lautet möglicherweise, ob es denn diesen Ort des Nichts tatsächlich gibt, denn was hier aus jedem Beat, aus jedem Klick, aus jeder angedeuteten Melodie, aus jeder Spannung heraustropft sind Überzeugung und Klarheit. Sie sind das Substrat, aus dem Mercatante seine Tracks baut, sie verästelt - und sie immer weiter unnachgiebig verfeinert. Externe Einflüsse sind genau das: extern. Das Innere lässt sich hingegen weder aufhalten noch ausschalten.
"Unsere Existenzform ist die Rasanz. Das ist das Therapeutische am Leben im Medium des Smartphones. Wenn wir in den Städten auf die Straße traten, hatte der Kampf um unsere Aufmerksamkeit schon eingesetzt. Alles Großaufnahme, alles äußere Steigungsform, und wir dazwischen, die umkämpften Abgekämpften.” (Roger Willemsen)
Manchmal erwischt es mich einfach eiskalt. Und zwar mit einem Overkill an Wärme und Geborgenheit. Alles ist Herz, nichts ist Kopf. Arutanis viertes Album, seinem dritten auf Laut & Luise, rannte mir alle offenen Türen ein und wurde zu DER Sommerplatte des Jahres. So simpel es sich auch anhören mag, aber immer, wenn der Himmel rosarot, das Gras saftiggrün und der Kaffee heißschwarz war, wollte ich diese Platte auflegen. Besser noch: ich hab sie dann einfach aufgelegt, ha! Ich habe gerade auch gar keine Lust darauf, das mit besonders tiefsinnigen und verkopften Schachtelsätzen zu erklären, ich habe keine Lust auf Metaebene und gespreizte Metaphern. Weil ich gemerkt habe, dass die Wahrheit an sich viel einfacher ist. Es mag vielleicht etwas heikel sein, dafür die passenden Worte zu finden, aber so geht's einem eben von Zeit zu Zeit. Das Einfachste ist am Schwersten zu erklären.
Sowohl Songs als auch Sound von "Who We Used To Be" sind - und jetzt kommt doch eine Metapher, fuck it - Wärmelampen für Herz und Seele. Introvertierte Tanzmusik für emotionale, reflektierte, melancholische, liebenswerte Menschen. Für innige Umarmungen. Für blindes Verständnis. Ich konnte mich nicht so recht dagegen wehren, dass sich hier und da dann doch der Kopf einschaltete und ein paar unangenehme Fragen stellte, sowas wie "Ist das nicht alles ein bisschen zu arg Weichzeichner? Willst Du nicht doch lieber die großen Geschichtenerzähler hören, die so ein bisschen artsy sind? Die kompliziert und ausschweifend sind, mit viel Tiefe und Raum?"
Das ist alles Quatsch. Weil: wie viel tiefer kann's denn noch gehen, als die direkte Verbindung dieser Musik zum eigenen Leben zu spüren? Und, bitte: Wie entwaffnender kann eine Wahrheit sein?
“I’ve lost a lot of battles, but I’ve never lost sight of the war. My goal is to fight my way to a day when we’re old and gray and she looks at me and says ‘I’m glad you never gave up.’ Until then, I fight. No retreat, baby. No surrender.” (Hank Moody)
Es benötigte nur wenige Sekunden des pluckernden Ambient Technos von "Scalar", um mich hektisch nach Bezugsmöglichkeiten für die Schallplatte umzuschauen - und um im Handumdrehen festzustellen, dass ich für die Version auf transparentem Vinyl bereits zu spät war. Denn wer sich im Kosmos elektronischer Musik ein bisschen auskennt, kennt Tren und kauft ihre Platten. Ich kannte Tren bis dahin nicht, daher dürfen meine geschätzten Leser*innen sich jetzt ihren Teil über meine Kompetenz denken - und zwar im Stillen, bitte sehr!
Spätestens nach dem Debut "The Rising and Setting of the Heavenly Bodies" war die Zielgruppe jedenfalls angespitzt und wer ein bis zwei Ohren auf den Nachfolger wirft, versteht, warum im spätkapitalistischen Rat Race Geschwindigkeit gefragt war: "The Passages Of Space And Time" ist ein melancholischer, bittersüßer, romantischer Trip. Vom erwähnten Ambient Techno in "Scalar" und "Tensor", über Schlafmohn-IDM in "Sands Of Time" und dem Höhepunkt "Mono No Aware" mit seinem 90er Jahre Autechre/Boards Of Canada-Vibe und der verrückten Reise im fliegenden Untertassensynthie von "The Immensity Of The Heavens" tanzt hier alles in und auf dem obersten Regal. "The Passages Through Space And Time" hat die bemerkenswerte Fähigkeit, die im tiefsten Kern dieser Musik einprogrammierte distinguierte Distanziertheit mit einer empathischen und wärmenden Ansprache zu überwinden. Es ist hier und da ein klein wenig ambivalent, aber ich habe mich übers Jahr oft an dieses Album gekuschelt.
Eine meiner meistgehörtesten Platten des letzten Jahres.
"Nice guys, but absolutely clueless." (Vic Fontaine)
Ein kompletter Blindflug war zunächst das Debutalbum von Xenia Reaper - und ich weiß bis heute nicht, wer sich hinter dieser Produktion verbirgt. Außer einer Handvoll Singles/EPs seit dem Jahr 2022 (u.a. auf XENOPLEX) gibt es praktisch keine Informationen. Ähnlich rätselhaft ist die Musik. In die mal schwerelosen und eisgekühlten, mal mysteriös und tiefschwarzen Ambientflächen reißen heftige Bass-Exzesse und Drum 'n' Bass-Laser tiefe Schluchten, hinzu wirft Reaper unheilvolles Geknister, tiefes Brodeln und flüchtiges Stimmengewirr in diesen wilden, herausfordernden Mix. Unvergessen jener eindrückliche Moment, als mir der erste Bass von "Sued" in die Glieder fuhr und es sich anfühlte, als würden die umgebenden vier Wände zunächst vibrieren und dann kollabieren.
Vom wilden Gefuchtel mit brechenden Soundartefakten in "Lust05", Stop-And-Go-Jungle-Reminiszenzen mit eingeschalteten Nebelleuchten in "MxB" bis hin zum intensiven Sci-Fi Geballer im Höhepunkt "Lllaao3", für das ich gerne den Kopf in die größte Bassbox des Universums stecken möchte, während der Alien-Barkeeper mir einen Ketamin-Rucola-Smoothie mixt, wirkt "Luvaphy" einerseits wie eine Dehnungsübung für wilden Zeitgeist-Shit, andererseits baut es irgendwie neue Nervenbahnen ins Dachgeschoss.
Man fühlt sich hinterher ein ganz kleines bisschen schlauer.
Ich schwör': ein allerletztes Mal gibt's den Blick zurück ins Jahr 2023.
Danach...ohjehmine und spoiler alert: geht er sogar noch ein paar Jahre weiter zurück.
Machen wir also jetzt final den Deckel auf 2023, is' ja auch schon bald August. Grundgütiger.
---
EARTH HOUSE HOLD - HOW DEEP IS YOUR DEVOTION
Eigentlich war diese Werkschau von Brock van Wey's Earth House Hold-Projekt für lange Zeit meine Nummer 1 des Jahres 2023, bis ich mich schlussendlich dagegen entschied, eine Compilation in die Bestenliste zu wuchten, noch dazu auf die Spitzenposition. Dann ist es allerdings heute umso wichtiger, über "How Deep Is Your Devotion" zu sprechen. Während ich diese Zeilen schreibe, ist es 10 Uhr an einem Sonntag im Juli 2024. Es ist sonnig, aber glücklicherweise nicht zu warm. Das Fenster ist sperrangelweit offen und in Sossenheim herrscht eine Ruhe, wie ich sie als Kind von den sommerlichen Besuchen bei meinen Großeltern im pfälzischen Nirgendwo kenne. Man spürt das Nichts mehr, als dass man es hört. Es duftet nach schwarzem Kaffee mit einem Hauch Bergamotte. "How Deep Is Your Devotion" läuft, und ich wünsche mir, dass die Zeit stehenbleibt. Die Entwicklung zu verfolgen, die Brock über die vier EHH-Alben auf die muskalische Leinwand gezaubert hat, das Abdriften eines so oder so schon sehr speziellen Deep House-Ansatzes in eine immer weiter gedehnte, dekonstruierte, eigentlich sich in Auflösung befindliche Version mit solch skurriler Schönheit und mehr versteckten, vergrabenen, vernebelten Zwischentönen, als ich jemals hören könnte, ist das Eine. Das andere ist, dass man sich wünscht, diese Musik würde nie enden. Dieser Moment würde nie enden.
Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2023.
---
FILM SCHOOL - FIELD
Shoegazing in LA. Das kalifornische Sextett um Bandgründer und Chef im Ring Greg Bertens fiel mir erstmals mit ihrem zweiten Album "Film School" im Jahr 2006 positiv auf, und ich bin hocherfreut, dass die Truppe über die ganzen Jahre durchgehalten hat - das gilt umso mehr, wenn noch so starke Platten wie "Field" in ihren Herzen und Köpfen schlummern. Wer vom aktuellen Slowdive-Album auch so enttäuscht wurde, darf schon mal entspannt das nächste Tütchen drehen: "Field" ist ultrakompakt komponiert, hat einen guten Drive und trotzdem soviel Tiefe, dass einem Songs wie "Up Spacecraft" oder "Don't You Ever" (mit einem 1995er Monster Magnet-Gedächtnisriff) sofort unter die Haut kriechen.
Erschienen auf Felte, 2023.
---
RAY ALDER - II
Soloalben sind immer so eine Sache. Eigentlich stehen sie schon ab dem Moment der Ankündigung ein paar Stufen unter dem Output der Hauptband. Das Solodebut von Fates Warning-Wundersänger Ray Alder "What The Water Wants" aus dem Jahr 2019 war im Rückblick und abgesehen von Alders gewohnt brillantem Gesang eine Enttäuschung. Zu zahm, zu oberflächlich, und irgendwie auch zu egal. Folglich waren meine an "II" geknüpften Erwartungen von leichter Unterkühlung geprägt, aber siehe da - "II" ist um Welten besser als das Debut, ist zu gleichen Teilen emotionaler als auch heavier. Insgesamt inszeniert Alder seine Musik natürlich gradliniger als im Kontext von Fates Warning, und sein immer noch vollkommen intaktes Gespür für einnehmende Gesangsmelodien im Zusammenspiel mit bisweilen satt tiefergelegtem Unterwasser-Riffing, erzeugen ein ums andere Mal echte Überraschungsmomente. Das gilt mittlerweile nicht mehr für Alders Gesangsleistung: man erwartet Übermenschliches - und das bekommt man dann auch. Weiß Gott keine Selbstverständlichkeit, aber das hat er nun davon, so fucking gut zu sein. SO FUCKING GUT!
Erschienen auf Inside Out, 2023.
---
DANNY PAUL GRODY - ARC OF DAY
Und nochmal Kalifornien, dieses Mal San Francisco. Sein Album "In Search Of Light" aus dem Jahr 2011 hatte ich seinerzeit als "Sorgenbrecher" bezeichnet, und seine Musik ist auch 13 Jahre später noch immer genau das. Ich hatte es leider versäumt, über sein 2021er Werk "Furniture Music II" zu berichten, das mir in der Pandemie Hoffnung und Licht ins Sossenheimer Outback brachte, aber das passiert mir nicht nochmal. Die Ruhe und die Kontemplation, die vom inneren Kern von "Arc Of Day" ausstrahlt, macht mein Leben besser. Ich schmecke die Luft an der US-amerikanischen Nordwestküste, spüre den Sand zwischen den Zehen, die Sonne auf der Haut. Eigentlich ist das Psychotherapie, nur ohne Reden. Zuhören sollte man aber.
Erschienen auf Three Lobed Recordings, 2023.
---
AYAAVAAKI & PURL - ANCIENT SKIES
Purl sagte kürzlich über "Ancient Skies", es sei eine der einzigartigsten Platten, die er je aufgenommen hat - und wer sich darüber im Klaren ist, wie viele Alben dieser Kosmopolit schon veröffentlichte und wie bescheiden er für gewöhnlich auftritt, mag erahnen, wie wichtig ihm ausgerechnet dieses Werk ist. Gleichzeitig kann der Eindruck entstehen, "Ancient Skies" sei ein wenig vom Radar der Ambientfans gerutscht und damit also unterschätzt und/oder übersehen - und das muss ich für meine Wenigkeit leider bestätigen. Es gibt einfach viel zu viel Musik und das Leben raubt mir viel zu viel Zeit - und dann legt Purl eben noch immer ein atemberaubendes Veröffentlichungstempo vor. Hinzu kommt: "Ancient Skies" ist in der (digitalen) Orginalfassung fast zweieinhalb Stunden lang, und einfach zu hören ist das nicht unbedingt. "Ancient Skies" ist einerseits dramatisch und opulent, andererseits spielt sich so viel unter den hörbaren Schwingungen dieser Musik ab, ist subtil, manchmal mystisch. Wenn der halbe westliche Planet damit beschäftigt zu sein scheint, das durchs Social Media-Dauerfeuer schön herangezüchtete ADHS zu füttern, erscheint es lohnenswerter denn je, sich einfach mal für zwei Stunden auszuklinken.
Hinweis: die Doppel-LP hat lediglich acht (statt vierzehn) Songs in zum Vergleich zur digitalen Version editierten Fassungen.