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01.08.2021

Blast From The Past: The Sea And Cake (2007)

 


THE SEA AND CAKE

Viel ist aus meiner aktiven Zeit als Textidiot Redakteur beim Hamburger Tinnitus-Magazin nicht übrig geblieben, wenigstens nicht in der virtuell erreichbaren Welt: Chef Haiko hatte den Laden irgendwann zu Beginn der zehner Jahre dichtgemacht und alle Inhalte ratzeputz und hottehü vom Netz genommen, bevor er sich von Rockmusik im weiteren Sinne verabschiedete und Techno-DJ wurde. Ich selbst habe im Rahmen von mehreren Laptopwechseln seit meinem Ausscheiden 2007 sicherlich den ein oder anderen Text ans Daten-Nirwana verloren, was mir normalerweise keine schlaflosen Nächte bereitet. Aber es ist ein bisschen vergleichbar mit meinen regelmäßigen CD- und Plattenverkäufen. Man vermisst eigentlich nichts - bis zu dem Moment, an dem man etwas vermisst. "Wo habe ich denn nur...?!"

In einigen Fällen finde ich es aber tatsächlich etwas schade, die Texte nicht mehr zur Verfügung zu haben. Das betrifft meistens jene, die ich im Rahmen von geführten Interviews zusammenstellte, was auch immer ein ganz besonderer Aufwand war - mal ganz davon abgesehen, dass ich mit Personen sprechen durfte, deren Musik mir außerordentlich viel bedeutete (und in vielen Fällen gilt das sogar bis heute). 

Ich kam kürzlich mit einem weiteren Freund von The Sea And Cake ins virtuelle Gespräch, und nachdem ein Wort das andere ergab, war irgendwann offensichtlich, dass wir beide an diesem kühlen und regnerischen Juniabend des Jahres 2007 nicht nur dasselbe Konzert sahen und uns also beide in den Räumlichkeiten der Frankfurter Brotfabrik aufhielten, sondern auch noch beide ein Interview mit der Band führten: er mit Sänger/Gitarrist Sam Prekop, ich mit Gitarrist Archer Prewitt. Potztausend! Dass ich mich angesichts der journalistischen Qualität des Textes des Kollegen tatsächlich noch auf die Suche nach meinem eigenen holzigen Textgestümper machte, sagt einiges über die eigene Hybris aus, die ich immer so gerne ins Tal der Mythen schicken will, lol, ja, am Arsch; aber es gab "Hoffnung": eine fix durchgeführte Recherche auf den noch im Zugriff befindlichen Geräten ergab: et perdidisti. Die Datei ist weg, verschluckt, weggeflogen, vor Scham selbst in Flammen aufgegangen, was weiß ich.   

Es war daher hocherfreulich schockierend, dass eine Suche auf den Seiten des Internet Archives nach dem Prinzip "Topfschlagen unter 13 Promille" tatsächlich einen Treffer ergab - unter den über 150 Milliarden gespeicherten Webseiten befindet sich doch wirklich diese eine aus dem Juni 2007, es ist geradezu verrückt. Und da kann man auch mal sehen, mit welchem Schrott hier wertvoller Cloudspace verrammelt wird, das ist ja absurd.

Nun ist es außerdem ja so: wen interessiert denn im Sommer 2021 wirklich noch ein vierzehn Jahre altes Interview mit Archer Prewitt? 

Und Hurra, ich habe die Antwort: es ist mir scheißegal! 

Hier ist es, enjoy!

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Von der Leichtigkeit des Black Metal

Es war ein denkwürdiger Tag. The Sea And Cake sind für mich sowas wie der ganz persönliche Trendsetter. Die erste Zusammenkunft mit ihrer Musik, mit dem 2001er Album "Oui" vor knapp drei Jahren, war das Überschreiten des point of no return, der neue Weg, nach dem ich schon lange gesucht habe. Ihr feingliedriges Songwriting, das so erfrischend ohne die große Pose auskommt, diese gänzlich machofreie Mischung aus Jazz, Pop und Indie: spätestens das war der der endgültige Anfang von Ende von über 15 Jahren Rock und Metal-Sozialisation. Man soll sowas ja nicht schreiben, weil es angeblich so unprofessionell klingt, aber ich tu es trotzdem.
Ja, ich bin Fan. Und an diesem sackkalten Juniabend trifft dieser Fan auf eine seiner Lieblingsbands. Genauer gesagt auf Gitarrist Archer Prewitt, der im Rahmen der Europatournee des Quartetts so freundlich war, mir meine Fragen zu beantworten. Mr.Prewitt ist ein ruhiger, schüchterner und sympatischer Mensch, bietet mir sofort Kaffee an und spurtet umgehend los, als mir gleich zu Beginn der Schreck in alle Glieder fährt: Das Aufnahmegerät will nicht mehr. Sind's die Batterien? Die sollten doch eigentlich noch funktionieren. Egal, Archer springt sofort auf und hält Ausschau nach dem Roadie der Frankfurter Brotfabrik und fragt nach neuen Stromlieferanten. Als die neuen Teile auf sich warten lassen, bedient er sich eines alten Hausmittels, nimmt meine leeren Batterien und reibt sie sich über die Hose.

"Let's try it the good old way..." grinst er. Und tatsächlich, es klappt. Jetzt steht einem entspannten Plausch nichts mehr im Wege.


"Das Publikum reagiert hervorragend auf die neuen Songs. Wir können uns nicht beklagen über die Tour. Bis jetzt läuft alles fantastisch. An manchen Abenden sind die Leute während der Show eher zurückhaltend und klatschen nur höflich nach den Songs. Und wenn wir dann das erste Mal von der Bühne gehen, flippen sie förmlich aus und wollen eine Zugabe nach der anderen. Wir sind dann immer sehr überrascht darüber, weil wir das während des Gigs eigentlich kaum mitbekommen, wie die Zuschauer drauf sind. Es ist sowieso immer sehr überraschend. Ich meine, die meisten Gigs liefen gut, aber es gibt Abende, die herausstechen. In Paris zum Beispiel drehten die Leute wirklich durch. Du weißt eben nie, wie ein Abend läuft."

"Everybody" ist der Anlass für die erste Rundreise seit knapp vier Jahren, passend zum ersten Album seit ebenso langer Zeit. Eine erneut zum Weinen großartige Scheibe, gespickt mit den vielleicht besten und straightesten Songs, die der Chicago-Vierer bis dato geschrieben hat. Obgleich "Everybody" rockiger erscheint als die Vorgänger, zieht ihr doch sicherlich kein typisches Rockpublikum an, oder?

"Errr, maybe not, haha. Oftmals gibt es zwischen den Songs sowas wie respektvolles Schweigen. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber ich mag das eigentlich ganz gerne, weil es zeigt, dass die Leute wirklich zuhören."

Was ist eigentlich in der langen Zeit zwischen eurem letzten Album "One Bedroom" und dem aktuellen Werk passiert? Und warum hat es solange gedauert, bis man wieder etwas von euch gehört hat?

"Nun, jedes Mal, wenn du ein Album veröffentlichst, gehst du dafür natürlich auf Tour und wir taten dies für "One Bedroom" sehr ausgiebig. Dann nahm ich mein erstes Soloalbum "Wilderness" auf und ging dafür ebenfalls auf Tournee. Und fast zeitgleich brachte Sam (Prekop, Sea And Cake-Sänger - F.E.) seine zweite Soloplatte "Who's Your New Professor" heraus, auf der ich ebenfalls Gitarre spielte und später dann auch mit ihm auf Tour ging. Es war also eine ständige Zeit des Musikmachens, wenn auch nicht immer unter dem The Sea And Cake-Banner. Außerdem arbeitete auch John (McEntire, TSAC-Drummer - F.E.) in seinem Studio mit seiner Band Tortoise an neuem Material und unser Bassist Eric Claridge verkaufte hunderte seiner Bilder über seine Homepage www.ericclaridge.com. Wir haben also im Grunde niemals pausiert, wir hatten alle viel zu tun. Aber nach den Erfahrungen mit "Everybody" planen wir, Ende des Jahres gleich wieder ins Studio zu gehen, um das nächste Sea And Cake-Album aufzunehmen."

Aber es stand nie zur Debatte die Band aufzulösen, oder? Ich meine, vier Jahre sind eine lange Zeit, selbst wenn ihr alle in unterschiedlichen Projekten involviert wart...

Nein, die gab es nicht. Wir nehmen uns einfach diese Auszeiten. Wir haben das jetzt schon ein paar mal gemacht und ich muss zugeben, dass wir uns vorgenommen haben, etwas produktiver zu sein, weil wir das Gefühl haben, dass es dem Wohl der Band nicht besonders förderlich ist, wenn wir uns immer so lange Zeit lassen. Davon abgesehen ist es ja auch für die Fans nicht das Wahre.

Lass uns ein wenig auf das neue Album "Everybody" zu sprechen kommen. Sam Prekop sagt darüber, es sei ein Rock-Album und tatsächlich ist es das mit Sicherheit rockigste und auch straighteste Album, das ihr je aufgenommen habt. Denkst du, dass es etwas damit zu tun hat, dass ihr so lange nicht mehr miteinander Musik gemacht habt?

Ja, ich denke, dass man da durchaus einen Link setzen kann. Es war ein bisschen so wie unsere frühere Herangehensweise an Musik. Einfach einen Song heraus zu hauen, ihn aufzunehmen und fertig. "The Biz" (aus dem Jahr 1995 - F.E.) war diesbezüglich nicht unähnlich. Wir legten weniger Wert auf die Post-Production, sondern achteten auf das Songwriting und die Ausarbeitung eines Titels bevor wir ihn überhaupt aufnahmen. Es erschien uns sinnvoll, dass wir uns nach so langer Zeit in erster Linie unseren musikalischen Fähigkeiten vertrauen sollten, anstatt der Studiotechnik. Das wir mehr Wert auf das legen, was wir schreiben und produzieren können, noch bevor wir das Material dann tatsächlich aufnehmen. Ich denke, das war ein guter Ansatz für "Everybody". Wir arbeiteten sehr hart daran, vierzehn oder fünfzehn Songs zu haben, bevor wir uns an die Aufnahmen machten, und es zahlte sich auch hinsichtlich der Moral innerhalb der Band aus. Du liegst mit deiner Vermutung sicherlich richtig, dass diese Arbeitsweise und letztlich diese Platte aus der Tatsache geboren wurde, dass wir seit knapp vier Jahren zumindest die kollektive Studiosituation nicht mehr hatten.

Ich las einen Bericht über "Everybody", in dem ihr dahingehend zitiert wurdet, dass die Zeit im Studio sehr intensiv gewesen sei, und dass ihr alle hochkonzentriert an der Platte arbeiten konntet. Obgleich waren die Songs schon fertig, bevor ihr ins Studio gegangen seid. Wie entstanden die Titel denn? Wie muss man sich das vorstellen?

Meistens war es Sam, der mit einem Entwurf zu einem Song ankam. Dann schrieben wir die Gitarren- und Bassparts zusammen, trugen den Song in eine neue Richtung, legten Sachen wie Tempo oder Länge fest, schauten, wie die einzelnen Parts zusammen passen. Aber ursprünglich kommen die Ideen von Sam, bevor Eric und ich uns daran machen, den Ansatz weiter aus zu bauen. Bei "One Bedroom" haben wir John McEntire gleich zu Beginn in den Songwritingprozess miteinbezogen und ich hatte das Gefühl, dass es mich dazu brachte die Gitarre minimalistischer ein zu setzen. Das war ein interessanter Weg, weil da plötzlich soviel Information in einer Songskizze war, dass ich mich ganz automatisch mehr zurückhielt, was die Musik auf eine ganz spezielle Art öffnete. Aber grundsätzlich denke ich, dass der eigentliche Sea And Cake-Sound aus der Zusammenarbeit von Sam, Eric und mir entsteht und unsere Art die Akkorde ineinander zu verweben den Sound in erster Linie prägen. "Everybody" ist demzufolge eine Rückkehr zur alten Arbeitsweise, a return to form.





Es hat so oder so den Anschein, als wäre exakt diese Art Musik zu machen in euren Genen verankert. Ein blindes Verständnis darüber, wie The Sea And Cake zu klingen haben. Wenn man euch alle in einen Raum einsperren und euch die Augen verbinden würdet, käme wohl immer genau dieser ganz spezielle Sound dabei heraus.

Ja, ich weiß was du meinst. Ich glaube, dass liegt daran, dass Eric, Sam und ich alle Autodidakten sind und unser Sound das widerspiegelt, was wir seit Jahren tun, wie wir es tun und wie wir es uns gegenseitig beibrachten zu spielen. Wir haben über die vielen Jahre ein eigenes Vokabular erschaffen, das uns von der ersten Sekunde an, in der wir miteinander Musik machten, passend und angemessen erschien. Und glücklicherweise fanden wir damals in dem Studio in dem wir unsere erste Platte aufnahmen John McEntire. Ursprünglich hatten wir ja mit Brad Wood einen anderen Drummer, der auf unserem Debut spielte. Aber wir hatten bei ein paar Songs das Gefühl, dass die Drums etwas pampig klangen, obwohl sie eigentlich etwas abheben und luftiger klingen sollten, verstehst du? John fragte also, ob er es mal versuchen solle und als er loslegte machte es sofort *klick* und der spezielle Sea And Cake-Sound war geboren.

Ein Sound, der oft als der perfekte Sonntagmorgen-Frühstück-Sonne-Scheint-Durchs-Fenster-Sound bezeichnet wird. Fühlt ihr euch damit eigentlich wohl?

Also ich schon, haha. Ich finde, das passt schon ganz gut. Wir klingen ja auch sehr sonnig. Allerdings muss ich die Einschränkung machen, dass unser Klangbild ja nicht durchgängig leicht und breezy ist. Versteh' mich nicht falsch, ich will mich dagegen gar nicht verteidigen, aber ich denke es ist nicht angebracht, Sea And Cake auf ausschließlich diese Seite zu reduzieren. Es gibt leichtere und schwerere Songs und es gibt leichte Themen und schwerere Themen.

Vor einiger Zeit gab es in einem deutschen Musikmagazin en Interview mit Sam zu lesen, in dem er sagte, dass er der Meinung ist, dass sich unter der Oberfläche viele Zweifel und viel Melancholie verbergen. Um das zu erkennen müsse man aber sehr genau hinschauen. Wie macht ihr das, dass diese schwermütigeren Themen so subtil in euren Sound eingeflochten werden?

Ich denke, dass es einfach im Songwritingprozess so passiert und diese Seite von Sea And Cake genauso zu unserem Sound gehört. Bei dem Song "Transparent" auf "Everybody" waren wir zum einen alle sehr überrascht, dass er sich zu einer solch eher komplexen Struktur entwickelte, aber ich denke zum anderen, dass gerade dieser Song ein sehr gutes Beispiel dafür ist, dass wir zwei Seiten miteinander verbinden: die sonnige und die melancholisch-zweifelnde. Des Weiteren denke ich, dass Sams Texte die Musk unendlich bereichern, auch gerade hinsichtlich dieser zwei Emotionen. Ich weiß, dass viele sagen, unsere Texte seien nicht so wichtig oder gar zu gefällig, aber ich verwehre mich gegen den Standpunkt, dass sie nichts aussagen würden. Sie bedeuten etwas, und Sam wählt die Wörter sehr sorgfältig aus, die er singt. Ich war schon immer ein großer Fan seiner Texte und ich glaube, dass gerade sie es sind, die die dunkleren Nuancen wie Melancholie oder auch Frustration in unsere Musik bringen. Es gibt immer einen Gegenspieler, der das Gegenteil aufnimmt und ihm den Ball wieder zurückspielt.

Diskutiert ihr eigentlich die Texte mit Sam oder ist das ausschließlich sein Ding?

Oh, Eric und ich haben früher sogar selbst Texte geschrieben oder Sachen zu Sams Lyrics beigesteuert, als wir noch etwas produktiver waren. Aber mittlerweile sehen wir dazu keine Veranlassung mehr. Sam singt und greift dabei auch auf seinen Notizblock zurück, auf dem er immer wieder einzelne Phrasen und Worte notiert...er hat also genug davon, denke ich, haha. Es kommt vor, dass ich einige Stellen kommentiere, wenn alles vorbei ist. Im Sinne von "Oh, das ist aber ziemlich düster, oder?". Man kann eigentlich leicht die Bedeutung der Worte außen vor lassen und einfach nicht darauf achten, aber ich achte bei Sam immer darauf. So lassen sich viele interessante Aspekte erkennen.

Es wurde berichtet, dass ihr wenig Overdubs für "Everybody" verwendet habt, und dass außerdem John McEntire erstmals nicht so stark in die Produktionspflichten eingebunden wurde wie zuvor, sodass er sich mehr auf sein Schlagzeugspiel konzentrieren konnte. Wie lief das ab?

Es hatte jedenfalls nicht soviel damit zu tun, dass Brian Paulson die Platte produzierte, weil im Grunde es immer noch wir waren, die Hand anlegten. Und wir sind es auch immer noch die im letzten Schritt entscheiden, was der Song benötigt. Ob hier oder da noch Keyboards notwendig sind...solche Sachen. Aber wir versuchten uns ein wenig mit diesen Sachen zurück zu halten. Wenn wir einen Song geschrieben hatten, hatten wir meist das Gefühl, es sei bereits alles da, was er benötigt. Das war auch ein Vorteil, den Brian ins Spiel brachte. Er ist eher direkt in seiner Arbeitsweise und nimmt alles recht zielstrebig auf. Nichtsdestotrotz hat auch er seine Ideen eingebracht, die man auch auf dem Album hören kann. Er hatte auch großen Anteil an dieser Platte. Es war eine Gemeinschaftsarbeit. Eigentlich arbeiteten wir den Song bis an die Spitze aus. Bis zu dem Punkt, an dem wir dachten "Okay, das war's!" und DANN gingen wir erst dazu über zu überlegen, ob noch etwas fehlt. Das war sehr hilfreich, um den Blick frei zu bekommen. Du läufst irgendwann Gefahr, die Übersicht zu verlieren, wenn du einen Keyboardteppich über den anderen stapelst und dir davon einen besseren Song erhoffst. Und irgendwann schüttelst du nur noch mit dem Kopf und denkst "alles muss hier wieder weg". Da war unsere Taktik wesentlich besser.

Und ich gehe davon aus, dass du mit "Everybody" sehr glücklich bist?!

Ja, absolut. Sehr glücklich.

Das ist gut. Ich nämlich auch.

Hahaha. Es ist interessant, dass wir eigentlich alle sehr zufrieden sind. Ich meine, du wirst immer Situationen haben, gerade wenn du auf Tour bist und das Material jeden Abend spielst, dass du denkst, dass die ein oder andere Passage vielleicht schneller sein müsste. Wenn du auf der Bühne dann das Tempo anziehst und merkst, dass es besser klingt, dann wünschst du dir, dass du auf der Platte schon diesen Einfall gehabt hättest. Aber das ist das Übliche, damit ärgern sich noch ganz andere herum, wenn die Scheibe erstmal im Kasten ist.

Findest du es eigentlich auch so bemerkenswert, dass die Reviews zu jeder neuen Platte im Grunde immer wieder dasselbe sagen? Meistens heißt es doch "Es gibt hier nichts Neues zu hören, aber wahrscheinlich ist diese neue Sea And Cake-Platte die schönste, die sie bisher aufgenommen haben.", und dieser Gegensatz zwischen "Nichts Neues, aber schöner als der Rest." ist doch sehr interessant, gerade hinsichtlich der Rezeption eurer Musik. Wie siehst du das?

Es wird mehr und mehr frustrierend. Wir als Band sehen sehr wohl eine Entwicklung, wir sehen sehr wohl eine Form von Wachstum, von Verfeinerung. Und wir sehen auch die veränderten Entscheidungen, wie wir sie von Platte zu Platte einer neuen Form anpassen. Wenn ich "frustrierend" sage, meine ich das auch in Hinblick auf andere Bands, bei denen eine sogenannte fehlende Weiterentwicklung in der öffentlichen Meinung niemals eine Rolle spielt, obgleich sie einen viel stärkeren Drang nach einem gradlinigen Klang besitzen. Man beginnt daran zu glauben, dass viele Journalisten eher nach Information und Bestätigung suchen, weil sich dieser Vorwurf so oft wiederholt und weil er überall auftaucht. Wir denken dann immer "Okay everybody! We get it!". Aber wir gehen niemals mit diesen Gedanken im Kopf an die Arbeiten zu einem neuen Album. Unser Gefühl dazu ist eher in der Art von "Lasst uns ein Album machen, das wir gerne hören würden."





Zumal es gerade in Bezug auf "One Bedroom" sehr wohl eine nicht zu unterschätzende Entwicklung in eurem Sound gibt. "Everybody" ist detailreicher, zugleich fokussierter und die offensivste Sea And Cake-Veröffentlichung bis jetzt.

Da stimme ich dir zu. Bei jedem neuen Album werden die Anforderungen an die Band größer. Meine beiden Lieblingsplatten sind "Everything" und "Oui" (aus dem Jahr 2001 - F.E.). Ich bin sehr stolz auf diese beiden Platten und all die Zeit, die wir damit verbrachten sie fertig zu stellen war es wert. Ich höre mir unsere alten Scheiben eigentlich nie mehr an, wenn wir sie veröffentlicht haben, aber diese beiden liebe ich dennoch. Sie sind für mich wie Meilensteine, und wir arbeiteten sehr hart für diese Platten.

"All The Photos" von "Oui" ist einer meiner Lieblingssongs von Euch. Spielt ihr den auch live auf dieser Tour?

Ich muss dich leider enttäuschen, den spielen wir nicht, weil er so viele Keyboards benötigt. Weißt du, wir dachten uns für diese Tour, dass wir mit demselben Ansatz an sie herangehen sollten, wie wir auch dem neuen Album begegnet sind. Eben direkter. Und es fühlt sich ganz gut an, muss ich sagen. Es ist mehr Raum und Luft für die Songs da, es gibt mehr Freiräume und nicht diese ganzen Töne, die jedes Loch zumauern wollen. Das ist auch spannender für uns auf der Bühne. Wir sind eine eher introvertierte und bescheidene Band, die nicht um jeden Preis die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss, wirklich nicht. Es fühlte sich manchmal schon sehr merkwürdig an, wenn wir Gastmusiker auf der Bühne hatten, damit wir möglichst nah an den Klang der Platte auf CD kamen. Dieses Mal hatten wir alle das Gefühl, dass wir all das hinter uns lassen sollten. Ich wollte immer eine raffinierte Vertracktheit entwickeln, sodass deine Ohren immer nach einer neuen Information suchen und nicht vor Langeweile einschlafen. Ich möchte mich selbst herausfordern, den Song herausfordern...

Ist das der Ansatz, den du beim Schreiben der Gitarrenparts für "Everybody" im Sinn hattest? Du spielst auf der neuen Platte viel detaillierter, viel "tiefer"...

Ja, ganz bestimmt. Um nochmal auf die Entstehung von "One Bedroom" zurück zu kommen: gerade der Unterschied von dieser zur neuen Platte ist ziemlich auffallend, was die Gitarren betrifft. Meine Gitarre war auf "One Bedroom" sehr minimalistisch, deswegen finde ich sie vom Standpunkt eines Gitarristen jetzt auch nicht übermäßig interessant. Es ist richtig, wenn du sagst, dass ich auf "Everybody" wieder etwas präsenter und detaillierter vorgehe. Wobei es damals wie heute Situationen gibt, in denen ich einige Passagen lieber weglasse, vor allem dann, wenn wir nachdem Sam seinen Gesang beisteuerte merken, dass es besser passt, wenn die Gitarre wegfällt. Bei "One Bedroom" haben wir sie beispielsweise oft durch Keyboards ersetzt und bei "Exact To Me" auf dem neuen Album habe ich das Riff der Art von Sams Gesang angepasst. Und es klingt so viel interessanter als vorher.

In eurer Musik schlagen für meine Begriffe zwei Herzen: eines, das sich eher in einem urbanen Großstadtfeeling widerspiegelt, während das andere sich für die hippieske Selbstversorgerfarm entschieden hat. Ich finde auch diesen Gegensatz in eurem Sound sehr inspirierend und er steuert viel zu der Faszination von The Sea And Cake bei, wie ich finde. Wie siehst du das?

Ähnlich. Ich denke, The Sea And Cake sind einerseits sehr distanziert, andererseits aber auch sehr einnehmend mit einer Art von entwaffnender Intimität, die dich ganz nah heranzieht. Manche Leute sagen, es sei organisch. Ich finde, dass es ein ganz netter Ort ist, an dem man sich als Band aufhalten kann.

Das GQ-Magazin beschrieb euch mit den Worten "Musik, die ihren Kopf über den Wolken und ihre Füße auf dem Boden hat", was ein angemessenes Bild ist, wie ich meine.

Wir achten vor allem immer auf eine gute Melodie, weißt du?! Wenn du keine gute Melodie hast, fällt alles in sich zusammen...

Dann könntet ihr ja auch gleich Black Metal spielen...was eh keiner will, aber...

Haha, ja. Wir albern immer herum und sagen, dass wir endlich mal ein Black Metal-Album machen wollen um all den Kritikern das Maul zu stopfen, die immer wieder "alles wie immer" schreiben, hahaha.

Es gibt besonders hier in Deutschland seit einigen Jahren sogar unter den Intellektuellen den Drang dieser Musik ein Image des Anspruchsvollen, des Intelligenten und des Geistreichen zu verleihen, was ich niemals auch nur im Ansatz verstanden habe, und das trotz meiner Metal-Sozialisation. Ihr könntet also mit eurer Black Metal Platte voll durchstarten, haha.

Was ich davon gehört habe klingt sehr oberflächlich und lächerlich. Obwohl es wie eine Karikatur von Musik klingt, gibt es dort nicht einen Funken Humor, was mich wirklich immer wieder schockiert. Aber für viele Menschen ist das ein verführerischer Ort, diese Dunkelheit, der Hass, die Konfusion. Aber es ist gleichzeitig eben auch ein sehr einfacher Weg, den man damit geht, egal über welche Kunstform wir jetzt sprechen. Dunkelheit und Hass sind die einfachsten Emotionen, die man auswählen kann, eine billige Partie. Ich habe daran kein Interesse. Weißt du, ein gut ausgearbeiteter Song hat genau den Anteil Dunkelheit und Zweifel in sich, den er benötigt um ein guter Song zu sein. So machen zumindest wir unsere Musik.


Mr.Prewitt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Die Web-Ansicht auf den Seiten des Internet Archives ist HIER zu finden


 

04.05.2021

The Story Of thOught industry

Meine leider etwas holzig formulierte Lobeshymne auf eine der interessantesten, mutigsten, vielseitigsten, technisch versiertesten und scheißrein, ich sag's jetzt: besten Bands der 1990er Jahre ist schockierenderweise beinahe volle 12 Jahre alt, und es ist einer jener Texte, bei denen ich mir heute wünsche, ich hätte sie etwas später geschrieben. Es zeigt sich wiederholt, dass zwischen "gut gemeint" und "gut gemacht" zwei bis drei Enden der Welt liegen können; zumindestens gilt das für die frühen Texte des "Flohihaan" (Monaco Franze) - und manchmal sogar immer noch für das aktuell Erbrochene. Sad.

Inhaltlich gibt es indes nur wenig zu mäkeln, auch wenn meine Ergebenheit gegenüber ihrer Musik im Jahr 2021 sicherlich noch größer ist und im Falle eines heute geschriebenen Textes eine nochmal bedeutend euphorischere Wortwahl verwendet werden müsste. thOught industry stehen in meiner Realität in jener Reihe großer Bands, denen der "OK, Boomer!"-Sticker mit der Aufschrift "Solche Bands werden heute nicht mehr gebaut" bestens zu Gesicht stehen würden. Und verfickt nochmal, ich sag's jetzt nochmal, und zwar laut:


SOLCHE BANDS WERDEN HEUTE NICHT MEHR GEBAUT!!!1111eins1


Ich habe mich über die Jahre sehr oft gefragt, was die ehemaligen Mitglieder wohl heute so treiben mögen und auch wenn ich darauf immer noch keine Antwort habe, kam ich dem Mysterium dieser Irren kürzlich ein bisschen mehr auf die Schliche: Der Youtube-Kanal STAUNCH T.V. hat tatsächlich den früheren Gitarristen Christopher Lee Simmonds ausfindig gemacht und ihn eine knappe dreiviertel Stunde über die Geschichte der Band erzählen lassen. Es bieten sich so faszinierende wie abstoßende Einblicke in die Welt der thOught industry. Die wichtigsten Erkenntnisse, erstens: man muss nicht miteinander befreundet sein, um großartige Musik zu machen. Zweitens: Metal Blade waren (?) offenbar mal ein totaler Saftladen. Drittens: Suff und Drogen killen jede große Band, es ist schlicht erschütternd. 

Wer die Band bislang nicht auf dem Radar hatte und nun Lust auf ihre Musik bekommen haben sollte: es ist egal, welches ihrer Alben man anwählt - sie sind alle (!) großartig. Kein Witz. Isso.


 


 

04.06.2018

Mind: Blown

Da musste ich mich erst neulich von einem, man muss es so deutlich sagen, eher übersichtlich veranlagten Zeitgenossen darauf hinweisen lassen, dass ich ja tatsächlich einen Blog betreibe - den despiktierlichen Unterton, damit im Jahr 2018 ja ungefähr so cool zu sein wie der olle Otto-Witz mit dem pinkelnden Eskimo, habe ich wohl wahrgenommen, viel schlimmer war aber die dadurch ausgelöste Erinnerung daran, wie lange hier schon wieder nichts passiert ist. Denn: mit uncool sein kenne ich mich aus, ich hatte beinahe 41 Jahre Übung darin und gebe immer noch keinen fickenden Fick; während es mit Disziplinlosigkeit und trotz aller zur Perfektion getriebenen und seit Jahrzehnten gepflegten Prokrastination etwas schwieriger wird.

In der Zwischenzeit wird aber jede Disziplin von der Lohnarbeit aufgesaugt, was zu solch absurden Entscheidungen führt, an einem Sonntag und bei 35°C doch lieber mal sechs Stunden am Arbeitsrechner zu verbringen, anstatt unter dem auf der Terrasse aufgespannten und freilich ausschließlich für den sensiblen Ehemann erworbenen und also lästige Mücken abhaltenden Fliegennetz zu sitzen, oder die klassischerweise rund um den eigenen Geburtstag genommene Urlaubswoche, wie bestellt ausgerechnet am Ehrentage, für eine quadratbekloppte Fahrt nach Köln zu unterbrechen, weil da jemand im Anzug etwas von mir will, und sei es nur, mir den Hintern zu versohlen, verbal versteht sich. Dass der Hirnkasten angesichts dieser Monstrositäten zwischendrin lieber die Notbeleuchtung anknipst, bon - aber ich darf wenigstens feststellen, dass ich damit immer noch Schwierigkeiten habe. Habe im Dunkeln so oder so oft Angst.

Die hier seit Monaten feierlich und mit einigem Remmidemmirapimmelrapammelrapumm angekündigten Ideen müssen sich also noch etwas gedulden, und ich bin mittlerweile auch nicht mehr so bescheuert, hier noch weitere Versprechen i.S.v. "hier geht's ganz bestimmt bald wieder weiter" hinaus zu trompeten. "Es kommt, wie es kommt!" wusste schon das Stückchen Dönerfleisch im Oberlippenbart von Wolfgang Niedeken, wo wir es doch eh gerade von Köln hatten.

Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, eine Einlassung vorab: ich schaue/höre seit einigen Wochen sehr regelmäßig den Joe Rogan Podcast auf dessen Youtube-Kanal. Rogan ist für mich aus einem ganz speziellen Punkt inspirierend: er passt in keine meiner vorgefertigten Schubladen und fordert mich dazu heraus, mal ein paar Schritte zurückzugehen und die durch meinen nunmehr zwanzigjährigen Internetkonsum etwas verkrüppelten Empathieantennen wieder zu polieren (kein Euphemismus!). Rogan vertritt in der Hauptsache liberale Standpunkte, gehört aber trotzdem nicht zum Hollywood-Establishment: Er ist Jäger und zählt sich zu der "Eat What You Kill" Bewegung und würde mir unter normalen Umständen durch jedes vorhandene Raster in den großen "Arschloch!"-Sack plumpsen. Andererseits ist er offener Nutzer von Marihuana und setzt sich für die Legalisierung ein. Er ist Martial Arts-Experte. Spirituell, aber mit Religion nix an der Frisur. Eigentich ist Rogan eine Mischung aus einem mit den eigenen Vorurteilen vollbeladenen Ami-Redneck-Klischee und einem sehr wachen, offenen, lebensbejahenden und bewussten Geist. Wie soll das alles zusammenpassen? Ich stimme ganz sicher nicht immer mit ihm überein, aber es kann eine sehr befreiende Wirkung haben, wenn man beginnt festzustellen, dass man das nicht muss.

Wie dem auch sei, ich kann es sehr empfehlen - auch seine Interviews mit Paul Stanley von Kiss und James Hetfield von Metallica waren überragend interessant und ich habe sie vollständig angeschaut. Und ich bin nicht mal Fan von Kiss. Oder von Metallica.

Warum das alles jetzt, hier und heute genannt wird: Rogan hatte im November 2017 den Wissenschaftler Paul Stamets in seinem Podcast zu Gast. Stamets ist ein in den USA nicht unbekannter Mykologe - die über 2.2 Millionen Views seines Auftritts im Rogan-Podcast alleine auf Youtube könnten dafür gesorgt haben, dass er mittlerweile sogar noch etwas bekannter wurde.

Ich kann und will hier nicht im Detail auf das Gespräch eingehen, außer, dass ich das Interview mittlerweile schon drei Mal gehört und gesehen habe. Ich möchte am Ende eigentlich nur sagen: diese zwei Stunden werden euer Mind blowen. Und zwar die ganze fucking Zeit.






15.12.2015

Tropfsteinhöhle. Part II




Ich darf einen sehr schönen Nachschlag in Sachen Colleen präsentieren.

Die Website She Does Podacst, betrieben von den beiden Dokumentarfilmerinnen Elaine Sheldon und Sarah Ginsburg, kümmert sich in den produzierten Podcasts um kreative Köpfe aus der Medienwelt: Musikerinnen, Schauspielerinnen, Autorinnen, Künstlerinnen.

Each episode centers around an intimate conversation yet digs deeper into each woman's background, philosophy and process through artful audio documentaries soundtracked by music made by women.

In der aktuellen Ausgabe haben die beiden einen interessanten und einfach großartigen Bericht über Colleen, ihre Arbeit, ihre derzeitige Heimatstadt, und ihre Musik zur Verfügung gestellt.

Enjoy.



23.11.2015

Und die Moral von der Geschicht'....

Ich bin heute weitaus weniger versessen auf politisches Kabarett als noch vor ein paar Jahren - einerseits fiel der Umgang mit der nahtlos einsetzenden Ohnmacht nicht immer zum Vorteil meiner Mentalhygiene aus, andererseits überschnitten sich oft nicht nur die Themen, sondern auch die Arten des Vortrags - und beides entwickelte sich mit der Zeit und kerzengerade folgerichtig nicht gerade zu einem Thriller, dem man nicht mehr entkommen kann. Zusätzlich bekam der Vorwurf, politisches Kabarett hole in seiner ihm innewohnenden Selbstgerechtigkeit sowieso nur das aus systemisch felsenfest verankerten Wohlstandsschranzen bestehende Publikum ab, und arbeitet somit weiter in der Kostümierung als "Useful Idiot" fleißig an der Zementierung der Verhältnisse, dass also "oben" auch weiterhin oben und "unten" um Himmels Willen nicht nach da "oben" kommen soll, in dieser Zeit auch immer mehr Gewicht. Ich mag natürlich noch einige Protagonisten wie zum Beispiel Hagen Rether, dessen Auftritt im April 2014 im Wiesbadener Kurhaus mir noch in guter Erinnerung ist, weil ich mir nicht nur für fast vier Stunden (netto!) und in aller Seelenruhe verbal die - Pardon! - Fresse polieren ließ und dafür auch noch Geld bezahlte, sondern weil der Abend in seiner aufreizend ruhig vorgetragenen Gnadenlosigkeit etwas in mir veränderte und meine Sicht auf den ganzen Irrsinn da draußen verschob. Der Auftritt geriet beinahe zu einem Vertigo der Sinne; es gab praktisch niemanden der gut 1000 Besucher, der nach diesen vier Stunden und der gleich mehrfach ausgelösten Sprinkleranlage im Hirn noch klar bei Verstand gewesen wäre - mir erging es da nicht anders. Wir hatten alle nur noch Pudding im Hirn, so mancher möglicherweise schon bevor das Saallicht um 20 Uhr zum ersten Mal gedimmt wurde. Auf der Heimfahrt versuchten Al und ich zu ergründen, was das gerade war und wie es uns damit ging und vor allem: was künftig auf gar keinen Fall mehr gehen sollte. Wenn dieser Abend einen Fokus neu ausrichtete, dann den auf das eigene Sein, Denken und Handeln - und ganz besonders auf das Handeln. Es war uns klar, dass wir uns nicht mehr 4 Stunden lang im weichen Polstersessel die eigene Unzulänglichkeit diktieren lassen wollten, um am Ende auch noch herzhaft darüber zu lachen.

"Toller Abend, und die Schnittchen waren auch super. Und wie weich das Toilettenpapier war. Stößchen!"

Man kennt das alles, man weiß das alles und wenn man es nicht weiß, ist es mit zwei Klicks zu Hause - jetzt muss man auch endlich was tun. Sich entscheiden, zum Beispiel. Ich kann nicht sagen, dass ich immer und überall durchhalte - aus dem schlauen Gedanken in die schlaue Aktion zu kommen ist weder das Einfachste der Welt noch ganz grundsätzlich für Jedermann gedacht, während es komischerweise aus dem dummen Gedanken in die dumme Aktion immer und überall wie ein eingeöltes Zäpfchen auf die große Reise geht. Eine Reise, die selten gut endet - es sei denn, das Zäpfchen stillt Schmerzen und lässt Dich rosa Elefanten sehen.

Jedenfalls: Ich tat etwas, und das war die Glotze und das Internet immer öfter auszulassen. Mehr Musik, mehr Einkehr, mehr Reflektion, mehr Aktion. Klappt mal mehr, mal weniger - aber der Ausgangspunkt, und sei es nur der argumentative oder noch trivialer: der Abend im April 2014, der war immer im Kopf.


Nichtsdestotrotz habe die neue Inkarnation der Anstalt, angeführt von Claus von Wagner und Max Uthoff, bereits im Sommer 2014 lobend erwähnt, nachdem sie im Rahmen einer ihrer Sendungen auf den Korruptionssumpf der FIFA in Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft im Fußball 2014 aufmerksam machten, und das mitten im teutonischen Jubeltaumel. Weil "so gehen die Deutschen", und das tun sie am liebsten immer noch über Leichenberge, die sie in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten an- und also aufgehäuft haben.

Ab und an bekomme ich noch eine Ausgabe der Anstalt mit und immer, wenn ich sie sehe, bin ich beeindruckt von ihrem Bestreben, die Wut und die Ohnmacht, zwei der gefürchtesten Endgegner des real existierenden Chaos' in neue Bahnen zu lenken - vor allem in emotionale. Die Sendungen gleichen mehr und mehr künstlerischen Theateraufführungen mit sorgfältig inszenierter Dramatik, die den roten Faden bis zum emotionalen Höhepunkt zum Schluss begleitet. Weniger Klamauk als mit Urban Priol, weniger vom rasenden Zorn eines Georg Schramm, weniger vom lokalkolorierten Weichzeichner eines Frank-Markus Barwasser, dafür mehr dediziert und beharrlich vorgetragene Angriffslust, in der Ansprache etwas ruhiger als ihre Vorgänger, aber mit größerer inhaltlicher Wucht. Moralisch? Ganz bestimmt.

Ich schreibe diesen Text heute sehr spontan, weil ich die letzte Ausgabe vom 17.11.2015 anschaute und die letzten 5 Minuten praktisch durchheulte. Schon wieder. Ich finde, es ist sehr lohnenswert, diese Sendung zu sehen. Ich bin weder besonders wütend noch ohnmächtig als viel mehr im Herzen getroffen - und aus dieser Motivation heraus erscheint es für den Moment durchaus leichter zu sein, einen neuen Weg, eine neue Tür zu entdecken, als mit Schaum vorm Mund und mit 300 Puls "wie vernagelt" (Polt) zu sein. Ich bin nicht weniger empört, aber die Lust auf eine Veränderung, auf eine Entscheidung - die ist größer. Und apropos Empörung: in der Konkret erschien kürzlich ein sehr lesenswertes und inspirierendes Interview mit Anstaltsleiter Max Uthoff.







04.04.2015

Rock Hard, Ride Blöd

Wenn es in der für mich so wichtigen und wegweisenden Phase meiner Adoleszenz ein Magazin gab, das ich vermutlich sogar manches Mal über Gebühr verschlungen und ernstgenommen habe, das mir unzählige neue Bands ans pubertäre Herz legte, das die frühen Entwicklungen im Death Metal ganz selbstverständlich mit der aufkeimenden Alternative- und Grunge-Szene verknüpfte und in einem Heft abbildete, und also auch in dieser Hinsicht dafür sorgte, dass ich innerhalb der harten Rockmusik keine Scheuklappen kannte und eben alles hörte, was mir Stratmann, Kühnemund, Schäfer, Albrecht und Trojan auf dem Silbertablett anboten; mit genau dessen Schreibern ich mich identifizierte und von denen ich annahm, sie seien zwar irgendwie "Kritiker", aber eben in erster Linie Fans, die vor allem hinsichtlich der bedenklichen politischen Auswüchse in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre eine klare und unbeugsame Haltung hatten, und die sich darüber hinaus über die Vorbildfunktion und ihren "Auftrag" als Sprachrohr der deutschen Metalszene im Klaren waren, dass sich die braune Brut nämlich gefälligst aus genau dieser Szene verpissen soll, auch weil sie keine Andockstelle finden wird, um ihre Ideologie unter den Metalkids zu streuen, denn dafür würden sie, das Magazin und seine Schreiber, schon sorgen - dann war es das in Dortmund ansässige Rock Hard.

Und ich las jedes erschienene Heft im Zeitraum zwischen 1988 und 2001 bis zur letzten Zeile leer.

Für ein erstes Stirnrunzeln unter jener Leserschaft, die das Rock Hard vor allem für seine Undergroundtipps im Bereich der abseitigen, noch in den Kinderschuhen steckenden Subgenres liebten, sorgte die schon sehr früh platzierte Hofberichterstattung für die Knallköppe der Böhsen Onkelz, die in erster Linie vom damaligen Chefredakteur Götz Kühnemund ins Blatt gedrückt wurde, gerne auch unter dem Schleier des ernsthaften und kritischen Journalismus: "Wir tun das, was sich keiner traut und setzen uns mit der Band auseinander. Wir glauben nicht die Verleumdungen der Massenmedien. Wir stellen kritische Fragen. Wir bilden uns selbst ein Urteil." Dass die Redaktion damit an dem Masterplan von Oberonkel Weidner begeistert mitstrickte und insofern selbst instrumentalisiert wurde - bon, das konnte man als schreibender Fan dann wohl nicht mehr erkennen. Dafür konnte man sich nach dem endgültigen Durchbruch der Band schön ans Revers heften, schon ganz früh mit dabei gewesen zu sein. Auch Fans haben dann und wann ein Ego, das befriedigt werden will.

Als die Frankfurter zum ersten Mal auf dem Titel des Rock Hard zu finden waren, konnte ich es kaum glauben. Was war passiert? Die haben doch jahrelang dafür geschrieben und gekämpft, dass Dumpfbacken wie David Vincent aus dem Heft verschwanden, haben Interviews mit damaligen Vollidioten wie Glen Benton und Dark Throne wegen immanent zur schau gestellter Vollverblödung vorzeitig beendet - und jetzt kommen die Onkelz auf den Titel? Wir sprachen doch eben noch von Dream Theater, Voivod, Watchtower, Atheist, von Heir Apparent, Hades, der emotionalen Kraft von Pearl Jam und Alice In Chains, der Innovation und Progressivität von Janes Addiction und Ministry, von Kunst und Hochkultur - jetzt kommt also die Eisenzeit ins Heft? Niemand, der damals ohne zu Stolpern bis 4 zählen konnte, konnte das verstehen. Die Onkelz waren in meiner "alten" Szene niemals akzeptiert. Auch dieser redaktionelle Offenbarungseid konnte daran nichts ändern.

Die Jahre nach 2001 sind schnell erzählt: ich las das Heft nicht mehr. Zum einen war die Hysterie um die Onkelz auf dem Höhepunkt angekommen, zum anderen war ich vom Metal und vom Heft furchtbar gelangweilt. Meine Hörgewohnheiten änderten sich, die Zeit des Rock Hard war vorbei.

Und sie ist es bis heute, wenngleich ich immer noch, und sei es nur emotional und trotz mittlerweile ausgetauschter Führungsmannschaft und Redaktion, noch mit dem Heft verbunden bin. Jedes Mal, wenn ich "Facelift" von Alice In Chains auf den Plattenteller lege, muss ich an Kühnemunds Schlusssatz der Rezension denken - "Echter Rock'n'Roll kommt immer noch von der Straße, mitten aus dem Dreck - und ALICE IN CHAINS stinken wie die Schweine! " - und daran, dass er in Ermangelung einer passenden Schublade die Band in den Bereich des "Street-Metal" einsortierte (was auch die Frage provoziert, was zum Fick denn jemals Street Metal gewesen sein soll). Bei jedem Hören von "Killing In The Name" von Rage Against The Machine flüstert mir Herausgeber Stratmann ins Ohr, dass die Platte demnächst in jeder guten "Alternative-Zappelbude" laufen wird. Und er hatte recht. Stratmann hatte zu jener Zeit Anfang der neunziger Jahre immer ein gutes Näschen für die neuen Hits. Stratmann hatte wenigstens eine Idee von Geschmack. Stratmann wusste was geht - und was nicht geht.

Gebröckelt hat diese Fähigkeit zur unfallfreien Navigation durch die Untiefen einer im schlechtesten Sinne mehr und mehr indifferent gewordenen Szene in den letzten Jahren, in denen ich die Inhalte und Entwicklungen im Heft noch am Rande mitverfolgte, mehr als ein Mal, und so holte man sich so einige Musiker und Bands ins Heft, die in dem ein oder anderen Genre eine monatelange Diskussion zur Grauzone ins Rollen gebracht hätten - in der Metalszene der Nuller Jahre herrscht dagegen weitgehend stoische Lethargie. Watain, Drudkh ("zwielichtig (...), aber besonders gelungen" - Dorian Gorr), Burzum - letztgenannte wurden als Erschaffer einiger echter Meilensteine des Black Metal gefeiert; textlich vielleicht nicht ganz einwandfrei, ideologischer Fixpunkt des National Socialist Black Metal (NSBM) aber hey: die Platten sind legendäre Szeneklassiker.

Und sie sind natürlich ein rechter, faschistischer, menschenverachtender Quadratscheiß, dafür aber einer, der mittlerweile in der Mitte der Szene angekommen ist. Es ist absurd (no pun intended!), dass wir einerseits davon sprechen, wie sehr Metal als Kunstform mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert ist, während andererseits die politische Debatte über den Standpunkt der Szene vollkommen zum Erliegen gekommen ist.

"Metal war schon immer unpolitisch." - Ja, und Du warst offenbar intellektuell schon immer ziemlich übersichtlich veranlagt, denn es geht sich halt einfach partout nicht aus: mein Metal war nie unpolitisch. Er war albern, pubertär, manchmal geschmacklos - aber er war eben nie unpolitisch.


Stratmann hat mittlerweile sein Mojo wohl endgültig verloren.

Ich habe gestern gesehen, dass nach einem Interview in Ausgabe 304 aus dem Jahr 2012 im aktuellen Heft tatsächlich schon wieder ein Interview mit den Schwachstromelektronikern von Freiwild zu finden ist. Geführt von Jan Jaedike, der seit 1993 für das Heft schreibt und traditionell aus dem Punk- und Hardcorebereich kommt - Discharge, 7 Seconds, Napalm Death, Leatherface, The Exploited - jetzt also Freiwild:

"Die Mischung aus Rock, Punk, Pathos und einer nach wie vor unüberhörbaren Schlager-Affinität funktioniert auf dem Doppelalbum (!) besser denn je. Die erste Single ´Wir brechen eure Seelen´ entpuppte sich bereits als Ohrwurm mit anständigem Punch, und auch sonst servieren der kreative Alleinherrscher Phillip Burger (g./v.) und seine Mitstreiter einen Reigen, der zwar immer wieder in latenter Schunkelei wildert, aber - jetzt mal ehrlich - das gesamte Gedöns ähnlich gestrickter Top-Ten-Konkurrenten locker in die Tasche steckt." (Jan Jaedike)

Spätestens jetzt darf man überlegen, dem Dortmunder Magazin beide emporgereckte Mittelfinger zu zeigen.

Jungs, Ihr habt echt den Schuss nicht mehr gehört.

21.04.2014

"I’m in this for life."

Ein sehr ausführliches Headphone Commute-Interview mit Brock van Wey aka BVDUB, East Of Oceans und Earth House Hold ist unter dem folgenden Link zu finden:

In the studio with Brock Van Wey

Brock beschreibt darin seinen kompositorischen Ansatz, seine Sicht auf seine (sehr raren) Livegigs, die Umgebung, in der er seine Songs produziert und wenigstens am Rande auch sein technisches Setup, wenngleich auffällig ist, dass er bei diesen Fragen sehr schnell die Abfahrt nimmt, die ihn weg von der technischen Komponente führt. Allerdings, und das gibt's als Teaser bereits hier zu lesen, ist seine Laptop-Geschichte ein Traum:


I only use Asus computers (I currently have 5, 3 for music production, 1 for live shows, and 1 for everyday use). In the city I live in, the woman who runs the Asus store is a friend of mine, so she pulled a bunch of strings and allowed me to go to the Asus factory (it’s about an hour from where I live) and not only work with them to build custom laptops purely designed completely to my specifications (anyone who knows laptops knows that’s nearly impossible), complete with custom-made motherboards and nearly all custom-made hardware all built directly at the factory and specially designed to optimally sync with each other – but she then hired out her best tech guy to work solely for me, and who is a complete magician, to build me a custom version of Windows 7 from scratch (meaning he modeled it after Windows 7 but it’s completely custom-built and written from the ground up) that can only run what I use to play a show. It can’t get on the internet, it can’t run any other software, and it has zero other capabilities or functions… Hell, it can’t even type text outside of specifically designated parameters limited to what I use for the show. So it has literally zero things running in the background, and the CPU is always 100% dedicated to whatever I’m doing musically. My three music machines are set up the same way, but with those ones he adapted the system to be slightly more flexible, so I can add in new operations, software, hardware, and functions as needed. And I can type stuff in a few more situations, otherwise it’s kinda hard to keep track of finished tracks (haha). But the amount of unbridled power and unshakable focus those things can generate is frightening.

05.08.2007

Von der Leichtigkeit des Black Metal

Sollten Sie gerade ein paar Minuten Zeit haben und dem unten stehenden Link folgen, entdecken Sie ein Interview mit Archer Prewitt, dem Gitarristen der amerikanischen Band The Sea And Cake.

Ich konnte das Gespräch mit diesem außergewöhnlich ausgeglichenen Menschen im Rahmen der Europatournee der Band führen. Es war ein ganz besonderer Tag.

http://www.tinnitus-mag.de/interviews.php?id=272