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01.01.2021

Die besten Vinyl-Reissues 2020 (4): Jackie McLean - It's Time

 




JACKIE MCLEAN - IT'S TIME


Über Blue Notes im Jahr 2019 gestartete Tone Poet-Reihe gäbe es genügend Gründe, um bis nächsten März durchzuschreiben und ich muss mich ein ganz kleines bisschen beherrschen, es nicht wirklich zu tun. Vielleicht braucht es demnächst an dieser Stelle mal etwas Ausführlicheres zu der ein oder anderen Platte.  

Die in die Fußstapfen des eigentlich im Jahr 2018 gestoppten und im Jahr 2019 mit einem Verweis auf das neu eingesetzte SRX Vinyl, ausgeschrieben "Silent Running Xperience" - dafuq r u talkin' about?! - überraschend wieder gestarteten Music Matters-Projekts (Neupreis 75 Dollar pro Platte, natürlich alles längst ausverkauft) tretende Tone Poets-Serie soll vermutlich den Markt der Viertel- bis Halbstarken audiophilen Zielgruppe bedienen und bietet eine sich sehr wertig anfühlende und -hörende Schallplatte auf 180g schwerem Vinyl, gepresst von Record Technology Incorporated in Kalifornien, zu Hause in einem dicken Tip-On Gatefold-Cover mit eleganten und großformatigen Schwarzweiß-Fotografien. 

Gemastert von Kevin Gray von den originalen Mastertapes unter der künstlerischen Aufsicht von Music Matters-Gründer Joe Harley soll sich Tone Poet hinsichtlich der Titelauswahl in erster Linie auf die eher unbekannten oder gar obskuren Alben aus dem Blue Note Katalog konzentrieren. Die erste Veröffentlichung im Februar 2019 war gleich ein solch obskurer Fall: Wayne Shorters "Etcetera" wurde ursprünglich 1965 aufgenommen, von den damaligen Verantwortlichen Blue Notes aber aus unbekannten Gründen bis ins Jahr 1980 in den Safe gesteckt und erst dann mit einem zu jener Zeit so typischen wie hässlichen Blue Note-Artwork herausgebracht. Ein Großteil der danach erschienenen Tone Poet-Editionen machen es dem Beobachter indes nicht ganz so leicht, einen roten Faden in der Auswahl der Titel zu entdecken. So ist mir auch der Hintergrund für "It's Time" nicht ganz klar. Das Album war bis in die 1980er Jahre hinein verfügbar und wurde erst 2016 für den europäischen Markt von Elemental Music (Spanien) lizenziert und mit einer ebenfalls als "audiophil" vermarkteten Pressung von GZ Media (lol) veröffentlicht. Unabhängig von den ganzen Fragezeichen über die unterschiedlichen Pressungen ist "It's Time" aber ein weiteres beachtenswertes und für die Zeit der Aufnahme sowohl typisches als auch untypisches McLean Album. Zwei der drei Tracks von Trompeter Charles Tolliver, hier auf seiner vermeintlich allerersten Plattenaufnahme überhaupt zu hören, wagen sich vor allem in den Solopassagen in den Bereich des Free Jazz vor, folgen dabei allerdings einer greifbareren Ästhetik als es McLean auf seinen ebenfalls freieren Alben jener Zeit wie "One Step Beyond" oder "Destination...Out" getan hat. Weniger tonale Überforderung als freigetupfte, windschiefe Arrangements (Grachan Moncur, Grachan Moncur, Grachan fucking Moncur!). Auf "It's Time" ist es vor allem Herbie Hancock zu verdanken, den Rest der Rasselbande nicht zu weit draußen wildern zu lassen; er knüpft das Band zum Hard Bop und hält es zumeist fest in der Hand. Das Quartett arbeitet also nicht selten in einer Art Zwischenwelt - und dort kannte sich McLean zu jener Zeit besonders gut aus.   

Alles an dieser Veröffentlichung ist zum Heulen schön: die Musik, die Pressung, das Artwork - man möchte sich geradewegs reinlegen. Was nicht so schön ist, ist der in Europa sehr hohe Preis von knapp 40 Euro pro Exemplar der Tone Poet-Serie. Gemessen an den mittlerweile aufgerufenen Preisen für die bekannteren Titel der Music Matters Reihe ist das freilich ein Schnäppchen. Aber ich frage mich trotzdem die ganze Zeit: werde ich hier eigentlich kolossal verarscht? Und, viel schlimmer: Interessiert mich das wirklich?


 



Erschienen auf Blue Note 1965/2020. 


30.07.2018

Stone Cold Dub



SLY & ROBBIE, NILS PETTER MOLVAER, EIVIND AARSET & VLADISLAV DELAY - NORDUB


Glaubt man erst, wenn man es hört: die Jamaikanischen Dub-Kings Sly & Robbie, den besser informierten noch aus ihrer großen Phase mit der noch viel größeren Grace Jones bekannt, haben sich mit den norwegischen Trompeter Nils Petter Molvaer und dem Finnen Vladislav Delay zusammengetan - den letztgenannten kennen die noch besser informierten möglicherweise noch aus genau diesem Blog, der Delays Album "Whistleblower" vor 11 Jahren mal auf ein ziemlich weit gespanntes Hochplateau nagelte. Der Norweger Eivind Aarset bedient zusätzlich die Gitarre. 

Ich glaube es mittlerweile, und ich kann es bestätigen: das Hören dieser Musik hilft dem Verständnis tatsächlich nachhaltig auf die Sprünge. Was zunächst und mit viel Optimismus nach wenig mehr als einem Gimmick klingt, nach einer fixen Idee von cleveren Marketingmanagern halbgroßer Plattenfirmen, die aus der aufgespannten Exotik und der zu erwartenden Provokation der Pleistozän-Jazzer, die bereits bei Kamasi Washingtons "The Epic" einen deutlich wahrnehmbaren Engpass in der zerebralen Sauerstoffzufuhr erleiden mussten, einen kommerziell erfolgreichen "Szenediskurs" (Bushido, nach dem Schlaganfall) erwarten, blättert bei der aufmerksamen Auseinandersetzung mit "Nordub" zwar nicht im Handumdrehen, aber wenigstens kontinuierlich immer weiter ab. Die zunächst imaginierte Scharade löst sich am einfachsten, indem man die so liebgewonnenen Schubladen mit achtfachem Panzertape umwickelt und damit gar nicht in Versuchung kommt, die beiden Fixpunkte Dub und Jazz krampfhaft in die Hirnkamera zu halten und miteinander aufzulösen - das ist nicht immer einfach, weil beide Seiten sehr viel Aufmerksamkeit in dieser Musik einfordern, weniger drängelnd als selbstverständlich - aber durchaus getrennt vom Gegenüber und nur selten als eine echte Verbindung. Die Musiker lassen zur Unterstützung der angedachten Amalgamierung viel expandierenden Raum durch das Album fließen, ziehen die dichten Drum'n'Bass-Kaskaden aus Jamaika wie Kaugummi über Delays teils barock anmutende Avantgarde, lassen Molvaers Trompete einen tiefen Zug durch kristallklares und eiskaltes Wasser nehmen, durch Gebirgsketten und am Horizont diffundierende Wolken schrapnellen. Das ist vielleicht das beeindruckendste Merkmal dieser Platte: der Versuch, die hypnotisierende Kraft der Monotonie mit der neutralisierenden Macht der Klarheit und der Distanziertheit zu verbinden. Improvisation trifft auf eine geradewegs bodenlose Sturheit, freies Spiel auf Verdichtung im Bassgestrüpp.

Dabei hilft die Vogelperspektive: there is no dub, there is no jazz, there is no ambient. "Nordub" ist weniger Endstation als Entwicklung, mehr Mut als Zurückhaltung. Es erzählt mehr vom Forschen und Scheitern, weniger vom Interieur eines Refugiums für eine Horde Zyniker. Und ab genau jener Erkenntnis wird "Nordub" plötzlich interessanter als gedacht. 




Erschienen auf Okeh Records, 2018.


08.04.2017

2016 ° Platz 4 ° Esperanza Spalding - Emily's D + Evolution




Obwohl ich die Karriere der US-amerikanischen Bassistin Esperanza Spalding seit dem Album "Esperanza" aus dem Jahr 2008 verfolge und mich ihr scheinbar grenzenloses Talent in bisweilen strenges bis sehr ungläubiges Staunen versetzte - wer es schon nicht mit einer ihrer Studioaufnahmen versuchen will, soll sich bitt'schön recht dringend einer Livebehandlung unterziehen - hat mich bislang noch keines ihrer Alben auf die volle Distanz überzeugen können. Die gerade mal 32-jährige Musikerin war und ist der Shooting Star der Jazzszene, wurde mit Grammys überhäuft und spielte bereits mehrfach für den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama im Rahmen verschiedener Festivitäten des Weißen Hauses - dass Spalding damit knietief im Jazz-Establishment steht, kann dem weniger Wohlgesonnenen einen gewissen Sicherheitsabstand einnehmen lassen. Tatsächlich waren die bisherigen Alben, darunter die beiden kommerziell erfolgreichsten Werke "Chamber Music Society" und "Radio Music Society" wie gemacht für den Mainstreamigen US-Jazz: etwas bieder, glatt und gleichförmig. Freilich herausragend gespielt und gesungen, ebenso fraglos mit einigen umwerfenden Songs ausgestattet (Tipp: "Black Gold"), aber mir fehlte immer das gewisse Etwas über die gesamte Spieldauer. 

"Emily's D + Evolution" ist nun eine deutliche Zäsur ihres Schaffens und es ist in dieser Hinsicht kaum verwunderlich, dass meine Jahresbestenliste bis zu Spaldings fünftem Staudioalbum warten musste, um im Sturm genommen zu werden. Spalding hat sich bewusst neu erfunden und möglicherweise im Rahmen dieses Prozesses den Abnabelungsprozess vom Mainstream eingeleitet - es wäre ihr angesichts der Frische und Klasse dieses Werks wirklich zu wünschen. Esperanza suchte nach neuen Wegen, nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, nach neuen Konzepten, zog in ihre Heimatstadt Portland um und sich für volle zwei Jahre aus dem Hamsterrad Musikbusiness zurück, um die kreativen Batterien nicht nur aufzuladen, sondern gleich das ganze Akkupack auszutauschen. Spalding agiert auf "Emily's D + Evolution" als die Stimme ihres Alter Egos Emily, die den Hörer dazu bringen soll, die Regeln des Systems in Frage zu stellen und für Frieden und Stille zu kämpfen, um die Verbindung zum eigenen spirituellen Zentrum wieder herstellen zu können. 

"Emily "is a spirit, or a being, or an aspect who I met, or became aware of. I recognize that my job … is to be her arms and ears and voice and body." 

Auch wenn der Stilwechsel bedeuten konnte, sich aus der eingerichteten Komfortzone mit all den schönen Grammynominierungen zu verabschieden, ging Spalding den Weg erstaunlich konsequent. Unterstützt wurde die Produktion vom langjährigen David Bowie-Intimus und -Produzenten Tony Visconti, dessen Einfluss man hören kann: "Emily's D + Evolution" ist künstlerisch, schräg, intellektuell, offen und damit ziemlich viele Universen von dem entfernt, was sich im Mainstream derzeit tummelt: nicht nur hat Spalding offenbar eine Büchse mit ein paar psychedelischen Muntermachern geöffnet, sondern auch den ihr so oder so lieb gewonnenen Fusion-Sound mit einigen verspulten, bisweilen überraschend harten Gitarrenriffs sehr promiment in den Sound eingebaut. Als hätten Jimmy Hendrix, Frank Zappa, Prince und Joni Mitchell zu einer großen Jamsession im Jenseits eingeladen. Ich persönlich nehme bisweilen noch einen dezenten Einfluss der Rockmusik von Beginn der neunziger Jahre wahr, und sei es nur in der visionären Ausrichtung, der Kühnheit wirklich etwas Neues zu wagen. Ich kann es vermutlich nicht über den eben genannten Rahmen hinaus erklären, aber mir kommen immer wieder die frühen Janes Addiction in den Sinn, wenn es darum geht, die Stimmung dieser Produktion zu beschreiben. Dass mir aber jetzt bloß keiner auf die Idee kommt, "Ritual De Lo Habitual" musikalisch mit Esperanza Spalding zu vergleichen. Wir sind ja nicht bescheuert. 

Und weil also kreativer Mut in diesen Zeiten, in denen er zwar nicht ausgestorben, sich dafür aber so rar gemacht hat, dass die Menschen nichts mehr mit ihm anzufangen wissen, und der in der Folge auch gerne mal sanktioniert wird, beispielsweise mit schlechten Verkaufszahlen, hat sich "Emily's D + Evolution" nach dem Erfolg des Vorgängers und dessen zehnten Platz in den US-amerikanischen Alben-Charts, beziehungsweise gar dem ersten Platz in den US-Jazz-Charts, nach einem enttäuschenden 88.Platz sehr schnell wieder von der Billboard-Bühne verabschiedet. Um das auch nur lose einzuordnen: das entspricht etwa 2500 verkaufter Platten in der ersten Woche nach Veröffentlichung. Es werden seitdem nicht gerade Millionen hinzugekommen sein. Oder auch nur Tausende. 

Die Kritik und die Sossenheimer Blogbanane indes: jubeln.  




Erschienen auf Concord Records, 2016.


20.11.2016

Arbeit & Struktur




GOGO PENGUIN - MAN MADE OBJECT


Als ich vor einigen Jahren Nik Bärtsch's Ronin auf der Bühne im Innenhof des Historischen Museums in Frankfurt sah, an einem schrecklich unpassend strahlend sonnigen Sonntagmorgen und zudem zu einer Zeit, die mein Vater und seine Kumpels bis an ihr aller Lebensende als "Frühschoppen" in jeden Terminkalender reingekritzelt hätten, gab es ein großes Hallo, als dem Moderator nach dem Auftritt des Züricher Quintetts beim Vorlesen des Konzertplans für die kommenden Tage der Nachsatz "...dann gibt's auch wieder richtigen Jazz" aus den Stimmritzen fiel. Die Band, noch auf der Bühne stehend und den warmen Applaus der Zuschauer empfangend, lächelte gequält, ein paar ganz eiserne Betonköpfe auf den Bierbänken johlten laut auf und Herr Dreikommaviernull, in charmanter Begleitung der Herzallerliebsten, gab den Captain Picard. 

Etwas ähnliches hätte an diesem Sommertag in Frankfurt aus dem Trio aus Manchester passieren können. GoGo Penguin veröffentlichten zunächst zwei Alben auf Matthew Halsalls Label Gondwana Records, ehe die französische Abteilung des großen Majors zuschlug. Blue Note, nach außerordentlich bewegter Geschichte mittlerweile unter dem Dach der Universal Music Group angekommen, ließ kaum die Tinte unter dem Vertrag trocknen und veröffentlichte alsbald das dritte Album "Man Made Object" im Frühjahr 2016. 

Jazz ist das nicht. Oder doch?

Pianist Chris Illingworth, Bassist Nick Blacka und Rob Turner am Schlagzeug verbinden eine Mixtur aus Post Rock, Trip Hop und Drum'n'Bass mit einem klassischen Jazz-Pianotrio und zaubern daraus einen elektroakustischen Zaubertrank. Ein atmosphärisch nokturnes, nur von den hypnotisierenden, virtuosen und ganz zentral arrangierten Pianomelodien aufgehelltes Verschachtelungsmonstrum, in dem Rob Turner einen dicht verästelten Wald aus Beats, Fills und Wirbeln entstehen lässt. Und Nick Blacka ist bei Weitem nicht nur dafür da, mal untenrum schnell beizuschneiden und ansonsten den Jahresringen beim Wachsen zuzuschauen - er ist möglicherweise der eigentliche Puls dieser Band, dirigiert die Songs durch hyperaktiv getackertes Gestrüpp wie durch ozeanische Weite und Leere und setzt sowohl harmonisch als auch tonal immer wieder entscheidende Akzente. Die Virtuosität und das Talent des Trios reißen mich immer wieder zu heiseren Jubelschreien hin - denn auch wenn GoGo Penguin sich weniger um die Entwicklung ihres Sounds im Sinne eines freien Spiels mit Möglichkeiten und dem Erforschen von Grenzen, als viel mehr um feste Strukturen, auskomponierte und bei aller Komplexität durchaus aufgeräumte Songs kümmern, ist es ein Erlebnis diesen Wahnsinnigen zuzuhören. Und gleichfalls, wie im April im Offenbacher Hafen 2 geschehen, ihnen zuzuschauen. Ein schüchterner, in sich versunkener und introvertierter kleiner Haufen Briten, die zwar "nur" ohne große Worte ihren Stiefel runterspielten, aber: so einzigartig stiefelt gerade auch kein anderer. 




Erschienen auf Blue Note, 2016.

04.09.2016

Herzschlag




CHARLIE HADEN & ANTONIO FORCIONE - HEARTPLAY


Beeindruckende Momente der Tiefe, der Einkehr und der Schönheit. Auf diesem im Jahr 2006 aufgenommenen Album spielen sich Bassist Charlie Haden und Antonio Forcione an der Gitarre in einen waren Tiefenrausch. Wer mal die Zeit anhalten will, vorzugsweise nachts gegen drei Uhr bei einer Tasse Kaffee und in gedimmten Licht, der hört "Heartplay" - dessen Faszination umso größer wird, hört man den beiden Musikern aufmerksam zu. Das mag gespreizt und prätentiös klingen, aber wie so oft bei Jazz steigt jedenfalls meine beinahe extatische Begeisterung, wenn ich die Wege der Musiker genau verfolge, ihr Zusammenspiel, die Raffinesse, das Einfühlvermögen. In solchen Momenten erscheint plötzlich sehr vieles, was sich im heimischen Plattenschrank vor allem unter dem Moniker "Uff, Rockmusik!" tummelt als fad, eintönig und there I said it: stumpf. Das ist im Grunde kein Problem für mich, schließlich mag ich es auch gerne stumpf, genau genommen bin ich sogar schon stumpf aufgewachsen, "ich weiß, wovon ich rede."(Polt), jedenfalls: der Reichtum von "Heartbeat" wächst exponentiell mit der Aufmerksamkeit, die man ihm entgegenbringt. 

Forciones Talent für gleichzeitig in der emotionalen Ansprache üppige wie in der Ausführung sparsam eingesetzte Melodik konnte ich erstmal 1994 im Neuen Theater in Frankfurt-Höchst bewundern, als er mit seinem Partner Marcial Heredia unter dem Programm "Flamencomedy" eine abendfüllende Mischung aus Musik, Artistik und Humor präsentierte. 

Teil 1:





Teil 2:





Die an diesem Abend erstandene CD, Forciones "Acoustic Revenge", zählt seither zu den unumstößlichen Grundpfeilern meiner musikalischen Adoleszenz, ganz besonders zeigt der Abschlusstrack "Heart Beat" die ganze Palette seines Könnens. Forcione bearbeitet in seinem Spiel jeden Quadratzentimeter seiner Gitarre, nutzt Boden, Decke, Hals und selbst die Mechanik als perkussives Instrument und lässt gleichzeitig viel Raum für die Entfaltung von Melodien und Stimmungen. 






Über Kontrabasslegende Charlie Haden muss man indes nicht mehr so irre viele Worte verlieren. Der 2014 verstorbene Bassist war einer der einflussreichsten Musiker der letzten 50 Jahre, dazu ein kritischer, politischer, aktiver Geist, der nicht zuletzt mit seiner Beteiligung an Ornette Colemans "Free Jazz" und seinem Meilenstein nebst namengebendem Projekt "Liberaton Music Orchestra" stilprägend für folgende Musikergenerationen sein sollte. Außerdem ist mir sein Album "Nocturne" seit Jahren ein treuer Begleiter in warmen Sommernächten.






Acht Kompositionen stehen auf "Heartplay", vier davon stammen aus der Feder des italienischen Gitarristen, drei von Haden, dazu gesellt sich eine Coverversion von Fred Herschs "Child's Song". Hadens bekannte Stilistik, eine Mischung aus Verweigerung und Vereinfachung von Ton und Technik und dabei einer Haltung wie jener von Pianist Thelonious Monk nicht unähnlich, erhält hier eine neue Blaupause. Ganz besonders in Forciones Songs entwickelt Hadens fast schon stoisches Herumschlurfen einen ganz speziellen Puls, eine subtile, unterbewusst wahrnehmbare Rythmik - und Forcione reagiert darauf mit seinem ausgeprägten Gespür für Melodik und Raum. Die Ballade "Snow" und das folgende "Nocturne", die beide gegen Ende so leise und ätherisch werden, dass sie beinahe auseinanderfallen, sind Paradebeispiele für die Ausrichtung von "Heartplay". 

Ein weises, introvertiertes, sparsames Album für Nächte im flackernden Kerzenschein. Klischees my ass. 




Erschienen auf The Naim Label, 2015.


P.S.: Die Aufnahmen wurden in den Londonder Abbey Road Studios speziell für die Veröffentlichung auf Vinyl gemastert - leider ist die Pressung auf 180g Virgin Vinyl zumindest auf meinem Exemplar nicht frei von Problemen, was sich an durchgängigem, zwar sehr dezentem, aber eben doch wahrnehmbarem Knistern zeigt. Mich persönlich stört das nicht, manchmal gar ganz im Gegenteil, und ich würde die Langspielplatte auch nachwievor uneingeschränkt empfehlen, aber wer sich von der oben stehenden Lobhudelei genötigt fühlt, die LP-Version von "Heartplay" zu erstehen und dabei einen ausgeprägten Reinraum-Soundfimmel hat, ist hiermit leise vorgewarnt. 

11.06.2016

Roots Bloody Roots




TYRONE WASHINGTON - ROOTS


Aufmerksame Leser von Dreikommaviernull und jene mit einem guten Erinnerungsvermögen besinnen sich vielleicht noch an meine warmen Worte zur großartigen "BLACK FIRE! NEW SPIRITS!"-Zusammenstellung aus dem vergangenen Jahr und an den dort erwähnten Namen Tyrone Washington:

Das intensivste Stück von "Black Fire! New Spirits!" ist sicherlich "Universal Spiritual Revolt" von Tyrone Washington. Ein zunächst ausgelassen beginnender funky Jazztune, der urplötzlich in einen wilden Orkan mit Glocken, irrem Gebläse und "Freedom!, Freedom!" Geschrei umschlägt und am Ende wieder beschwingt in das Eingangsthema wechselt, als wäre nichts geschehen. "Universal Spiritual Revolt" hat eine unbändige Kraft, laut abgespielt kann man während dieser neun Minuten kaum stillsitzen. Washington nahm Ende 1967 sogar eine Platte für das Blue Note Label auf ("Natural Essence"), spielte Sessions mit Jackie McLean, Woody Shaw und Herbie Hancock - wenngleich die "Train Wreck Sessions" genannten Aufnahmen mit letztgenanntem nie offiziell veröffentlicht wurden - und verließ nach seiner letzten, 1974 erschienenen Platte "Do Right" und der Konvertierung zum Islam die Musikwelt.

Das erwähnte Blue Note-Album Washingtons "Natural Essence" habe ich mir mittlerweile auf Vinyl gegönnt: eine hochinteressante, weil vordergründig klassische Blue Note-Post Bop Jazzplatte der späten 1960er Jahr, die aber in der detaillierteren Auseinandersetzung mit einem ungewöhnlichen Twist in den Kompositionen überrascht. Von den beiden Nachfolgern "Roots" und "Do Right" ist bislang leider nur erstgenannte als wahrscheinlich unautorisierter Repress auf Vinyl wiederveröffentlicht worden, für den Schlusspunkt "Do Right" muss selbst für die 2006 erstmals erschienene CD schon etwas tiefer in die Tasche gegriffen werden. Für die Original-LP sollte man inklusive der Versandkosten nach Deutschland einen dreistelligen Betrag einplanen. Aber vielleicht kommt auch hier bald das Counterfeit.


In der Zwischenzeit ist nun auch immerhin der Counterfeit von "Roots" bei mir eingetroffen und liegt regelmäßig auf dem Plattenteller. Erschienen 1973 auf Perception Records, einem obskuren und mysteriösen Label, das nur für etwa fünf Jahre bestand und praktisch nichts für die Nachwelt hinterließ. DJ Spinna wird im Zuge seiner Perception-Retrospektive (siehe Mixcloud Link weiter unten) wie folgt zitiert:

“There’s no tapes, no multi-tracks or masters. Everything on the compilation for the most part came off of records, so something happened somewhere."





Washington war schon zu Blue Note Zeiten ein kritischer Geist. In den Liner Notes zu "Natural Essence" ist folgender Abschnitt zu finden, wohlgemerkt aus dem Jahr 1968:

“Man has lost himself in technological and materialistic creation. We can offer music as a new currency in a sense, and if man can dig that, then he might be able to save himself from suicidal mass destruction.”


Die Liner Notes von "Roots" sucht man dagegen vergebens. Stattdessen gibt es nur folgende zwei Sätze zu lesen:

“Liner notes on this album are totally unnecessary. Tyrone Washington is incredible.”


Die letzte bekannte Aufnahme Washington ist auf dem Roswell Rudd Album "Blown Bone" zu hören, aufgenommen im März 1976 und erschienen im gleichen Jahr auf Philips Records. Bob Washington, der in einer Kundenrezension (!) auf der Übersee-Seite von Amazon (!!) angibt, Tyrones Bruder zu sein, sagt, dass der Tenorsaxofonist mit den großen Karrierechancen sich 1976 komplett aus der Musikszene zurückzog und seinen Namen in Bialar Mohammed änderte, um seitdem seine religiösen Überzeugungen in Newark, New Jersey zu verbreiten. Weiterführende Informationen zu seinem Verbleib sind rar, um nicht zu sagen: nicht existent.

"Roots" ist auf mehreren Ebenen ein überaus interessantes, zwischen Post Bop, zarten Free Jazz Ausläufern im möglicherweise prophetischen Abräumer "1980",  Frühsiebziger-Soul und unausgesprochenen politischen Statements hin und her pendelndes Album. Der Einstieg mit der Coverversion von Stevie Wonders "You Are The Sunshine Of My Life" gerät noch beschwingt. Aber der Schein trügt, denn schon mit dem folgenden "Spiritual Light of the Universe" segelt das Quartett mit dem Bassisten Stafford James, Schlagzeuger Clifford Barconadhii und Pianist Hubert Eaves in abseitigeren Gewässern: melodisch abgedunkelt und ein verzwicktes und ungewöhnliches Arrangement, das schon nach fünf Minuten den Kreis wieder schließt und zum Ende kommt. 

Das vielleicht bekannteste Stück Washingtons ist "Submission". Der die A-Seite von "Roots" abschließende Tune wurde mehrfach von Hip Hop Acts gesampelt, unter anderen von Ikone Madlib - damals noch unter seinem Alter Ego Quasimoto - im Jahr 2000 für sein "Return of the Loop Digga" oder auch von A Tribe Called Quest für "Can I Kick It? (Spirit Mix)".




Wer also in die Arbeiten einer der mysteriösesten Musiker der 1960er und 1970er Jahre hineinschnuppern will - ein musikalisch hochinteressantes, nach dem Aufkauf von Liberty entstandenes Blue Note Album mit gleichfalls attraktiver Besetzung ("Natural Essence"), ein vergessenes Album auf einem obskuren Jazz/Rock-Label von 1973 ("Roots") und ein letztes Werk mit künstlerischem Befreiungsschlag ("Do Right") sowie dem selbst gewählten Abtauchen ins religiöse Nirwana - ist mit Tyrone Washington bestens bedient. 




Und hier die "Natural Essence"-LP in voller Länge:




Erschienen auf Perception Records, 1973.


25.03.2016

Kanaworms - Die Nachzügler 2015 (5)




BLACK FIRE! NEW SPIRITS! 
Deep and Radical Jazz in the USA 1957-82


Im März des vergangenen Jahres schrieb ich gleichfalls in der beliebten Kanaworms-Kolumne über die von DJ und Technolegende Theo Parrish zusammengestellte und 2014 veröffentlichte Werkschau des Black Jazz Labels: "Theo Parrish's Back Jazz Signatures", und ich möchte für das nun schon etwas länger abgelaufene Jahr 2015 eine weitere, Ende 2014 erschienene Jazz-Kompilation aufs Radar feuern. 

Über "BLACK FIRE! NEW SPIRITS! Deep and Radical Jazz in the USA 1957-82" hatte ich bereits im letzten Juni alles gesagt, was gesagt werden muss:

"Black Fire! New Spirits!" verteilt auf zwei CDs oder drei LPs insgesamt vierzehn Tracks aus den turbulenten Jahren der amerikanischen Jazzmusik und hält dabei eine gute Balance zwischen bekannteren Musikern wie Archie Shepp (hier zusammen mit Jeanne Lee), Yusef Lateef, Don Cherry, Joe Henderson und Grachan Moncur III und den obskuren und vergessenen Künstlern wie Tyron Washington, David Lee Jr. oder Pheeroan Aklaff. Die wie von Souljazz gewohnt ausführlichen Liner Notes zu jedem einzelnen Musiker setzen Stein für Stein das Mosaik der damaligen Zeit (und auch dieser Compilation) zusammen.

Es mag in diesem Zusammenhang überraschen, dass viele vertretene Musiker aus Detroit stammen. Baker schreibt dazu, dass die Motor City eine wichtige Rolle in der Radikalisierung des Jazz spielte. Angetrieben durch den experimentell ausgerichteten Detroit Artists Workshop in den 1960er Jahren wurden nicht nur Musikerkollektive und Plattenlabels wie Strata oder Tribe gefördert, der vom Jazzkritiker, White Panther-Aktivisten und späteren Manager der skandalträchtigen Rockband MC5 John Sinclair organisierte Free Jazz/Hard Rock Workshop brachte außerdem einige merkwürdige, aber interessante Zusammenstellungen ans Tageslicht: So war beispielsweise der Jazztrompeter Charles Moore für einige Zeit Bandmitglied bei den MC5.

Das intensivste Stück von "Black Fire! New Spirits!" ist sicherlich "Universal Spiritual Revolt" von Tyrone Washington. Ein zunächst ausgelassen beginnender funky Jazztune, der urplötzlich in einen wilden Orkan mit Glocken, irrem Gebläse und "Freedom!, Freedom!" Geschrei umschlägt und am Ende wieder beschwingt in das Eingangsthema wechselt, als wäre nichts geschehen. "Universal Spiritual Revolt" hat eine unbändige Kraft, laut abgespielt kann man während dieser neun Minuten kaum stillsitzen. Washington nahm Ende 1967 sogar eine Platte für das Blue Note Label auf ("Natural Essence"), spielte Sessions mit Jackie McLean, Woody Shaw und Herbie Hancock - wenngleich die "Train Wreck Sessions" genannten Aufnahmen mit letztgenanntem nie offiziell veröffentlicht wurden - und verließ nach seiner letzten, 1974 erschienenen Platte "Do Right" und der Konvertierung zum Islam die Musikwelt.

Das erwähnte Blue Note-Album Washingtons "Natural Essence" habe ich mir mittlerweile auf Vinyl gegönnt: eine hochinteressante, weil vordergründig klassische Blue Note-Post Bop Jazzplatte der späten 1960er Jahr, die aber in der detaillierteren Auseinandersetzung mit einem ungewöhnlichen Twist in den Kompositionen überrascht. Von den beiden Nachfolgern "Roots" und "Do Right" ist bislang leider nur erstgenannte als wahrscheinlich unautorisierter Repress auf Vinyl wiederveröffentlicht worden, für den Schlusspunkt "Do Right" muss selbst für die 2006 erstmals erschienene CD schon etwas tiefer in die Tasche gegriffen werden. Für die Original-LP sollte man inklusive der Versandkosten nach Deutschland einen dreistelligen Betrag einplanen. Aber vielleicht kommt auch hier bald das Counterfeit. 

"BLACK FIRE! NEW SPIRITS!" ist eine essentielle Zusammenstellung über die Entwicklung des freien und spirituellen Jazz und seiner unbekannteren, dafür aber mit viel Mystik aufgeladenen Protagonisten. Es gibt noch viel zu entdecken.





Erschienen auf Souljazz Records, 2014.

30.06.2015

Freedom Throughout The Universe




BLACK FIRE! NEW SPIRITS! 
Deep and Radical Jazz in the USA 1957-82



"Der in den späten fünfziger Jahren in den USA aufgekommene Free Jazz, der später auch in Europa eine spezifische Ausprägung fand, entstand als Ausbruch aus den vorgegebenen musikalischen Konventionen und reflektierte gleichzeitig den Befreiungskampf der afro-amerikanischen Bevölkerung." (Wolfgang Sterneck) 

Diese Ende 2014 auf Souljazz Records veröffentlichte Compilation war schon längere Zeit auf meinem Zettel, und um ein Haar hätte ich bei unserem Plattenladenbummel durch die Domstadt bei Parallel Records zugegriffen - ich entschied mich dann aber doch in buchstäblich letzter Sekunde für das Debut von Gil Scott Heron. Nun liegt das schwere 3-LP Set trotzdem auf meinem Tisch und Plattenspieler, nachdem meine beiden Bandjungs in einer heimtückischen Nacht- und Nebelaktion die Herzallerliebste meine 13 virtuell verteilten Wunschzettel durchwühlen ließen und es mir zum Geburtstagsgeschenk machten. Tränen der Rührung. Echt.

In Ermangelung technischer Kenntnisse über Jazz und der ipso facto ausbleibenden hysterischen Schreie über Tonleitern, Harmonielehre oder Geschwindigkeitsexzesse blieb mir ab meiner ersten Jazzerleuchtung via Coltranes "A Love Supreme", und man läute jetzt bitte hektisch die Klischeebimmel, nicht viel mehr als Atmosphäre, Zusammenspiel, Klang, Tiefe und für den Kontext: das Leben der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA der sechziger Jahre, die Civil Rights Bewegung, Black Panthers und Dr.Martin Luther King.

"During this phase of its history, jazz music was in a state of revolution. The music and lives of African-American artists radicalised at the start of the 1960s by the civil rights movement, Black Power and a new spiritual awakening, the consequences of which would be felt for many years." (S.Baker in den Liner Notes)

"Black Fire! New Spirits!" verteilt auf zwei CDs oder drei LPs insgesamt vierzehn Tracks aus den turbulenten Jahren der amerikanischen Jazzmusik und hält dabei eine gute Balance zwischen bekannteren Musikern wie Archie Shepp (hier zusammen mit Jeanne Lee), Yusef Lateef, Don Cherry, Joe Henderson und Grachan Moncur III und den obskuren und vergessenen Künstlern wie Tyron Washington, David Lee Jr. oder Pheeroan Aklaff. Die wie von Souljazz gewohnt ausführlichen Liner Notes zu jedem einzelnen Musiker setzen Stein für Stein das Mosaik der damaligen Zeit (und auch dieser Compilation) zusammen.

Es mag in diesem Zusammenhang überraschen, dass viele vertretene Musiker aus Detroit stammen. Baker schreibt dazu, dass die Motor City eine wichtige Rolle in der Radikalisierung des Jazz spielte. Angetrieben durch den experimentell ausgerichteten Detroit Artists Workshop in den 1960er Jahren wurden nicht nur Musikerkollektive und Plattenlabels wie Strata oder Tribe gefördert, der vom Jazzkritiker, White Panther-Aktivisten und späteren Manager der skandalträchtigen Rockband MC5 John Sinclair organisierte Free Jazz/Hard Rock Workshop brachte außerdem einige merkwürdige, aber interessante Zusammenstellungen ans Tageslicht: So war beispielsweise der Jazztrompeter Charles Moore für einige Zeit Bandmitglied bei den MC5.

Das intensivste Stück von "Black Fire! New Spirits!" ist sicherlich "Universal Spiritual Revolt" von Tyron Washington. Ein zunächst ausgelassen beginnender funky Jazztune, der urplötzlich in einen wilden Orkan mit Glocken, irrem Gebläse und "Freedom!, Freedom!" Geschrei umschlägt und am Ende wieder beschwingt in das Eingangsthema wechselt, als wäre nichts geschehen. "Universal Spiritual Revolt" hat eine unbändige Kraft, laut abgespielt kann man während dieser neun Minuten kaum stillsitzen. Washington nahm Ende 1967 sogar eine Platte für das Blue Note Label auf ("Natural Essence"), spielte Sessions mit Jackie McLean, Woody Shaw und Herbie Hancock - wenngleich die "Train Wreck Sessions" genannten Aufnahmen mit letztgenanntem nie offiziell veröffentlicht wurden - und verließ nach seiner letzten, 1974 erschienenen Platte "Do Right" und der Konvertierung zum Islam die Musikwelt.

Es sind solche Geschichten, die mich magisch anziehen. Und es sind auch solche Platten wie von Washington, dem Creative Arts Ensemble oder von Lloyd McNeill und Marshall Hawkins ("Tanner Suite", demnächst mehr), die mich faszinieren und mich in die Plattenläden treiben, sowohl die virtuellen als auch die letzten Überlebenden in unseren Städten.

"Kennzeichnend für einen beträchtlichen Teil der MusikerInnen war ein systemkritisches Bewußtsein. Schon der Free Jazz als musikalische Stilform an sich, setzte die Bereitschaft voraus, aus den gängigen gesellschaftlichen Konventionen auszubrechen und sich einer freieren, undogmatischen Ausdrucksform zu öffnen. Darüber hinausgehend kam oftmals es zu einem klaren Bekenntnis zu revolutionären Positionen. Der Saxophonist Archie Shepp faßte diese Haltung 1968 in einer plakativen Weise zusammen: ”Der Jazz gehört zu den gesellschaftlich und ästhetisch wichtigsten Beiträgen Amerikas. Er ist gegen den Vietnam-Krieg; er ist für Kuba; er ist für die Befreiung aller Völker. Das ist die Natur des Jazz, ohne daß man da allzu weit zu suchen brauchte. Warum? Weil der Jazz selber eine Musik ist, die aus der Unterdrückung, aus der Versklavung meines Volkes hervorgegangen ist.” (Wolfgang Sterneck)


Es gibt noch viel zu tun. Und viel zu hören. Und viel zu lernen.






Erschienen auf Souljazz Records, 2014.

01.05.2015

New York Is Now



ORNETTE COLEMAN - NEW YORK IS NOW


Ich frage mich gar nicht mal so selten, ob es überhaupt Menschen gibt, die "New York Is Now" schätzen. Ich kenne niemanden, der Ornette Colemans Album von 1968 wirklich in sein Herz geschlossen hat - dafür ist es allerdings in der genaueren Betrachtung emotional viel zu distanziert, ich wäre um ein Haar gar versucht zu sagen, es ist gefühlskalt. Nun verbindet mich mit Colemans Stil seit jeher eine Art Hassliebe, und wo ich seine Experimentierfreudigkeit und seinen Humor mag, so empfinde ich seinen Stil immer als bewusst hakelig und seinen Ton als krude und unförmig. "New York Is Now" ist hierfür keine Ausnahme. Schon der Opener "The Garden Of Souls" ist in der kompletten Anlage schleppend und in sich verschoben, zerfasert. Dabei ist das Line-Up der von Francis Wolff für das Blue Note Label aufgenommene Session ein Hingucker, wenn nicht -hörer: die Rythmusabteilung mit Elvin Jones an den Drums und Jimmy Garrison hat sich Coleman vollständig von John Coltranes legendärsten Bandgefüge gemopst, dazu kommt mit Dewey Redman ein versierter und wieselflinker Tenorsaxofonist, der mit Coleman als Leader bis ins Jahr 1972 noch bei sechs weiteren Arbeiten an dessen Seite sein sollte. Das Lineup mit Garrison und Jones hielt immerhin noch für ein weiteres Album "Love Call", das aus den selben Session wie "New York Is Now" entstand. 

Ich habe über die letzten Jahre einen Narren an dieser Aufnahme gefressen, obwohl es nicht immer ein reiner Genuss ist, "New York Is Now" zu hören. Zum einen, und das mag seltsam klingen, aber wer ohne Knick im Hirn ist, der werfe den ersten Operationsbericht, mag ich schlicht den Albumtitel. "New York Is Now" ist unmittelbar und urban, klingt nach Aufbruch und Revolution. Zum anderen ist mir das Coverartwork mit der Großaufnahme Colemans und Garrison mit Zigarette im Hintergrund ans Herz gewachsen - in der aktuellen Wiederveröffentlichung als Vinylversion erscheint das Cover noch größer und einnehmender. Und das Backcover mit Blick auf die Skyline New York und mit den erloschenen Leuchtbuchstaben des Hotel Manhattan trägt viel zur Stimmung dieses Albums bei. 

Es liegt selbstverständlich auch eine große Faszination in der Musik, die mich das Album sehr regelmäßig aus dem Regal ziehen lässt, aber hier wird die Erläuterung schwieriger. Vielleicht ist es die dunkle Aura der Aufnahme, die so anziehend ist. Vielleicht ist es das diffuse Gefühl, als wären alle Beteiligten in einer Art Traumwelt gefangen gewesen, als die Bänder mitliefen. Vielleicht kamen Garrison und Jones wirklich nicht mit dem Stil Colemans zurecht, waren herausgefordert und musste so reagieren, wie sie es nicht gewohnt waren. Thom Yurek schrieb dazu, dass insbesondere Elvin Jones den Eindruck mache, als wüsste er wegen des reduzierten Tempos nichts mit sich anzufangen. "New York Is Now" ist eine aufgerauhte, alles andere als zugängliche Session postmodalen Jazz, der rythmisch wie so oft bei Coleman im Blues verharrt, gleichzeitig im Aufbrechen von Harmonien und im Experimentieren mit melodischen Elementen immer an der Stelle zum Free Jazz entlangschlingert. 

Erschienen auf Blue Note Records, 1968.

14.07.2014

Deep Diggin'



ELMO HOPE ENSEMBLE - SOUNDS FROM RIKERS ISLAND

Wenn einer, der mit Stars wie John Coltrane, Sonny Rollins und Jackie McLean und vielen anderen mehr Platten aufgenommen und bei Labels wie Blue Note und Prestige und Riverside die Aufnahmen unter seiner Führung veröffentlicht hat, dabei aber bis heute derart unter jedem Jazzradar hindurchfliegt, dann bin ich sofort elektrisiert. Der US-Amerikaner Elmo Hope ist ein solcher Fall, den die Jazz-Fans einfach immer übersehen hatten: seine außergewöhnliche Spieltechnik, bluesbeeinflusst und subtil nuanciert, feingliedrig und unvorhersehbar, mag wohl ein Grund dafür gewesen sein.

Seine anhaltenden Probleme mit Heroin, die zu einem Entzug der Spiellizenz in New York und einem folgerichtigen Umzug nach Los Angeles führten, überschatteten immer wieder sein Talent - und seinen Erfolg. In den Liner Notes zu dieser Platte, auf der übrigens ausschließlich ehemalige Insassen des berüchtigten Gefängnisses auf Rikers Island spielen (Lawrence Jackson, Trompete; Freddie Douglas, Saxofon; John Gilmore, Tenorsax; Ronnie Boykins, Bass - übrigens hier schon mal erwähnt -  und Philly Joe Jones, Drums, dazu spendieren Earl Coleman und Marcelle Daniels ihre Stimmen bei einigen Stücken), zitiert Nat Hentoff den Pianisten zu seiner Situation und seiner Sucht:
“All that time I was off (drugs) I worked hard. Everybody can tell you I worked hard. But jobs were hard to get and harder to keep. Some of the guys I worked for even seemed disappointed that I didn’t goof. Yet I stayed straight. But there were so many disappointments and so much scuffling and personal problems besides. So I got my problem again. I’m going to try to kick again. It might be too late. I might have to pay more dues. But I know I can’t get back to where I ought to be if I don’t stop entirely. Some guys wear the stuff well. At least, they can function while they’re on. Me, the minute I take the first taste, my troubles start. And with all the other tensions going on, I know I’m going to fall apart if I don’t get off. Music is the most important thing in life to me. And yet I’ve been goofing that life away for nothing.

“These days I’m out on the street with no crib. And there’s a new breed using now. I sit in one of those basement apartments and I see guys around me who don’t even have a dream, man. They’re real bitter people. I don’t want to get like that. But where do I go? I need some analysis. I need something to help me straighten out. But with what money? And if I stay with the habit, sooner or later I’ll get busted. And then, I could get put away for a long time. Now what sense does that make? Putting a man away when, if you tried to help him, he could still create. He could still be a credit to himself and everyone else. The only crime I commit, man, is reaching for the bag. And when I want to stop that, where do I turn? And you can see, even with all this pressure, I’ve got something going. I’ve got my own thing musically.”

Elmo Hope starb im Mai 1967 im Alter von nur 43 Jahren an Herzversagen. "Hope From Rikers Island" ist auf 180g schweren Vinyl wiederveröffentlicht worden und eine Art Blaupause für spirituellen Soul-Hardbop-Jazz, was stilistisch umso bemerkenswerter ist, wenn man weiß, dass diese Aufnahmen aus dem Jahr 1963 stammen und sich der Souljazz erst Ende der 60er Jahre etablieren konnte.

Erschienen auf Audio Fidelity, 1963.
Re-Issue erschienen auf Chiaroscuro, 2014.

30.06.2014

Falling In Love



SHEILA JORDAN - PORTRAIT OF SHEILA

Eine echte kleine Rarität, und das auf mehreren Ebenen. "Portraits Of Sheila" der US-amerikanischen Jazz-Sängerin Sheila Jordan ist eine von nur zwei Vocal Jazz-Aufnahmen, die Blue Note, das vielleicht berühmteste Jazzlabel der Welt, unter der Ägide der beiden Gründer Francis Wolff und Alfred Lion veröffentlichte (das andere stammt von Dodo Greene, heißt "My Hour of Need" und erschien im Jahr 1963 - wäre nebenbei gesagt auch mal schön, darüber zu schreiben, wäre es nicht?). Blue Note hatte bis zur Veröffentlichung von "Portrait Of Sheila" im Jahr 1962 die strikte Regel, keine Gesangsaufnahmen zu veröffentlichen. Nachdem Alfred Lion Jordan allerdings im Page Three Club in Greenwich Village live sehen und hören konnte, wurde die Regel zum ersten - und nach Dodo Greenes Album für die nächsten acht Jahre auch einzigen Mal gebrochen: 1970 hieß die Platte "Worth Waiting For..." und wurde von Joe Williams eingesungen; da war Blue Note aber schon an Liberty Records verkauft worden und Lion, der sich innerhalb der größeren Liberty-Organisation nicht zurechtfand, ab 1967 bereits in Rente. Heute sind die genannten Labels übrigens unter dem Scheißhausdach von Universal Music versammelt. Schon toll, diese globalisierte Weiterentwicklung.
"The more I heard her, the more moved I was by her extraordinairy talent." 
(Alfred Lion)

Jordan selbst, im Jahr 1928 geboren, lehnte bis zu dem Angebot seitens Blue Note jede Offerte für eine Aufnahme ab, weil sie ihre künstlerische Freiheit von den Label-A&Rs bedroht sah. Alfred Lion ließ ihr indes künstlerisch komplett freie Hand, sieht man davon ab, dass er Jordan von der Umsetzung der ursprünglichen Idee abriet, das Album ausschließlich mit Bass und Stimme einzuspielen. Es dauerte nach "Portrait Of Sheila" bis ins Jahr 1975, bis Jordan die zweite Platte unter eigener Führung veröffentlichte: "Confirmation" auf East Wind Records, einem 1977 aufgelösten Jazz Label aus Japan.

Als drittes Mosaik im angesprochenen Raritätenstadl fungiert zuguterletzt die Tatsache, dass Herr Dreikommaviernull das Album in sein Herz geschlossen hat, obwohl sich eine Jazzgitarre durch die 12 Kompositionen würmelt. Für mich ist das üblicherweise Grund genug, nicht mal im Ansatz Interesse auch nur vorzugaukeln, auf "Portrait Of Sheila" ist das etwas anders. Denn es ist in erster Linie Jordans umwerfende Stimme, die dieses Album prägt und es dirigiert, und es sind auch die Arrangements, gerade zwischen dem Bassspiel von Steve Swallow und Sheila, die hier jeden Ton angeben. Umwerfend ist in diesem Sinne das intime und auch irgendwie naive "Dat Dere", das tatsächlich nur mit Bass und Stimme eingespielt wurde. Mit welcher Elastizität und mit welchem Verve Jordan mit ihrer Stimme spielt, wie sie hüpft und immer wieder auf dem exakten Ton ankommt, wie sie kreiselt, spricht, klettert und wieder fällt ist besonders bei detaillierter Beschäftigung ein Hochgenuss. Es ist in diesem Zusammenhang keine große Überraschung mehr, dass ihre Stimme durch das Nachsingen der Trompete Charlie Parkers gestählt wurde. Wer "Dat Dere" hört weiß, was ich meine.

Ich erwähnte eben die Intimität und dies ist auch darüber hinaus ein gutes Stichwort. Besonders die Balladen ziehen mich in ihren Bann, so sparsam instrumentiert sie auch immer sein mögen. Die Produktion von Rudy van Gelder lässt ihnen so viel Luft wie möglich, die die Band, mit dabei sind neben Swallow außerdem Gitarrist Barry Galbraith und Drummer Denzil Best, nicht etwa im Sinne einer Überlast, sondern im genauen Gegenteil: im Weglassen von Noten ausfüllt. Hier entstehen die beeindruckendsten Momente dieser Aufnahme, wie beispielsweise in "Who Can I Turn To Now", einer feingliedrigen und doch so mächtigen, eindringlichen Komposition.

Wer nun eine Schwäche für alte Vocal Jazz Aufnahmen hat, übersehene Perlen des Blue Note Katalogs neu entdecken will oder auch nur den Unterschied zu dem Mainstream Gewäsch des heutigen Blue-Note-Universal-Major-Label-Holladrios erforschen möchte, dem hat das auf Reissues spezialisierte Label Heavenly Sweetness einen großen Gefallen getan: die Platten sind hübsch aufgemacht, klingen hervorragend und erscheinen auf schwerem 180 Vinyl. Zusätzlich sind es in aller Regel die übersehenen, längst vergriffenen Werke, die sich das Label zur Wiederbelebung ausgesucht hat, unter anderem auch das grandiose zweite (und leider letzte) Blue Note Album von Posaunist Grachan Moncur III "Some Other Stuff". Viele gute Gründe.


Erschienen auf Blue Note, 1963.
Reissue erschienen auf Heavenly Sweetness, 2014.

07.06.2013

Bizarre Tribe - Access Denied

Vor etwa neun Monaten war es mir ein inneres Bedürfnis, auf eine wunderbare Platte aus dem Gummy Soul-Labelstall hinzuweisen: "Bizarre Tribe", ein Mashup aus Samples von A Tribe Called Quest und The Pharcyde, war und ist umwerfend oldschool und positiv, und es ist deshalb auch keine Überraschung, dass die Platte bis heute sehr regelmäßig auf meinen Kopfhörern landet. Viel überraschender ist's indes, dass mir "Bizzare Tribe" mittlerweile viel mehr ans Herz gewachen ist, als es zu erwarten gewesen wäre - meine Beziehung mit Hip Hop ist schließlich nach wie vor mit "ambivalent" (G.Polt) recht wohlwollend beschrieben.

Nun haben die Jungs von der mehr oder weniger One-Man-Independent-Show von Gummy Soul eine schöne Abmahnung von den Major-Arschgeigen von Sony unter der Tür durchgeschoben bekommen, woraufhin sich das Label gezwungen sah, den kostenlosen Download des Albums via Bandcamp zunächst zu stoppen. Die Betonung liegt auf "zunächst", denn der offene Brief Gummy Souls an die sechs (!) Anwälte des auf goliathischen Schwachsinn spezialisierten Unterhaltungsgiganten lässt darauf hoffen, dass die Sache ohne größere Verletzungen für den David ablaufen wird. Der Hintergrund des Major-Gewimmers liegt freilich irgendwo im Dickicht des Urheberrechts vergraben, weil auf "Bizarre Tribe" nach Aussage von Sony urheberrechtlich geschützte Samples verwendet werden, die dem Katalog der ehemaligen Schützlinge von A Tribe Called Quest zugeteilt sind. Dass die Wahrheit ganz anders aussieht, könnt ihr im unten stehenden Statement lesen.

Ich möchte den offenen Brief an Sony im Folgenden posten.

Und wenn mir noch eine persönliche Anmerkung erlaubt ist: geh' endlich sterben, Musikindustrie.

@ Gummy Soul: Keep It Up!


Dear Sony Music,

Thanks for reaching out. The fact that our small independent label warranted the resources of your legal team speaks to our work ethic and we appreciate the validation.

In response to your copyright infringement claim over Gummy Soul’s Bizarre Tribe; A Quest To The Pharcyde by Amerigo Gazaway (“Bizarre Tribe”), understand the vast majority of the samples used to create Bizarre Tribe were not taken from the catalog of A Tribe Called Quest (“ATCQ”). What your diligence failed to uncover is that Gummy Soul is not in the business of merging one artist’s instrumentals with vocals of another. Had one of the six Sony attorneys copied in your email deemed it necessary to listen to Bizarre Tribe before pursuing legal action, you would know that our projects are much more nuanced.

To be clear, the re-orchestrated instrumentals on Bizarre Tribe were sourced from the original jazz, soul, and funk recordings SAMPLED by ATCQ, allowing Amerigo to create his own, distinct production within a similar framework. Given the brief and limited use of ATCQ material on Bizarre Tribe (around 2 minutes of material out of a 55 minute album), and the method by which our reinterpretations are created, it is clear that Amerigo’s effort is protected under the fair use exception of copyright infringement.

We would further add that the presence of documentary style sound-bites, interviews, and news clips included on Bizarre Tribe to provide a narrative of the group’s history and commentary on their work only further protects us under the fair use exception, undermines your claim against us, and provides a clearer distinction as to the uniqueness of what we do at Gummy Soul. As you know, Sony is no stranger to the fair use exception as you have relied on it many times yourselves. Most recently when Sony Pictures was accused of copyright infringement by the Estate of William Faulkner, a member of the Sony legal team stated:

“This is a frivolous lawsuit and we are confident we will prevail in defending it. There is no question this brief reference (10 words) to a quote from a public speech Faulkner gave constitutes fair use and any claim to the contrary is without merit.” *The quote in question is actually a passage from Faulkner’s book, Requiem for a Nun.*

With the defense presented in your statement, either Gummy Soul and Sony Music are both protected under our shared interpretation of fair use, or you believe the law should apply differently to small, independent record labels than it does to giant, mega conglomerates like Sony Music.

As to your charge of offering this product for sale, we do not, and have never, sold the album in any capacity be it physical or digital. We bear no responsibility for the vinyl bootlegging of Bizarre Tribe, nor do we receive any monetary benefits from their sales. The majority of our digital products, including Bizarre Tribe, are offered free of cost and is stated as such on any platform for which we control and have made Bizarre Tribe available.

In that regard, it is worth noting that our tiny label, with limited budget and resources, has clearly demonstrated the existence of a market for our unique brand of deconstructed reinterpretations. As such, instead of repeating the industry’s history of perpetual catch-up while forward thinking start-ups like Gummy Soul find new and innovative ways to create art and leverage digital media to our advantage, take this opportunity to stop the war on artists like Amerigo and their pursuit of creative fulfillment by encouraging creative expression and alternative revenue streams for your artists.

If a shoestring label with no employees other than a label manager, the two artist co-founders and a part-time contributor were able to build a 60,000 person email list, earn over 100,000 in downloads, garner your attention and that of countless mainstream publications and marque music outlets with our unique projects, why not leverage our success to your benefit while helping to push a reasonable dialogue for copyright reform?

Gummy Soul would welcome the opportunity to work with Sony in a mutually beneficial capacity. In an effort to be proactive, we offer the following “everyone wins” model as a helpful starting place for you and the other industry powerhouses who repeatedly go after those that are shaping this industry’s future. Rather than wasting your resources on an expensive lawsuit, apply those resources to purchase the rights to Bizarre Tribe to distribute and promote the project yourselves. In doing so, you would effectively provide a solution where all parties, including Sony, the original sampled artist, and emerging artists like Amerigo would benefit.

While we have taken Bizarre Tribe down to avoid a merit-less and costly lawsuit, you should know that we have placed a copy of the album in the archives of the Center for Popular Music at Middle Tennessee State University. It will now be available indefinitely for research under “fair use” provisions, fully keeping with the Center’s mission “to promote research and scholarship on American vernacular music and to foster an understanding of the nation’s diverse musical culture and its global reach.”

- Gummy Soul


Wer Spenden will, kann das übrigens hier (unter "4.Contribute") tun.


12.03.2013

Schöne Neue Welt



JOSÉ JAMES - NO BEGINNING NO END

Die Welt scheint gerade ein bisschen wegen des kleinen Kuschelsängers José James auszuflippen, und so gerne ich dabei mitmachen würde: ich kann es nicht. Wirklich nicht. Ich habe es jetzt sechs Wochen versucht, aber "No Beginning No End" ist eine Enttäuschung, gegen die sogar das letzte, selbst nicht ganz fehlerfreie Album "Blackmagic" dasteht wie in Grammy-Gold gegossen.

"No Beginning No End" fehlt das, was es per Genredefinition eigentlich haben sollte: Seele und Tiefgang. Erstens mag ich Josés Stimme wirklich gerne, sie ist smooth wie ein Mango-Lassi, der optimal temperiert durch dein Schallgesims tröpfelt. Aber eines ist sie nicht: variabel. James flüsternölt sich fast gänzlich ohne Abwechslung durch die quälend langen 65 Minuten seines dritten Albums, und dass einer wie sein Entdecker Gilles Peterson den Vergleich mit Gil Scott-Heron heranzieht, und die New York fucking Times dasselbe dann gleich nochmal vom Sticker, der links oben auf dem Album klebt, abschreibt, ist selbst diplomatisch am besten mit "bizarr" beschrieben. Von den Unterschieden in der textlichen Ausrichtung, hier Kuschelfummelbungabunga, da "The first time I heard them talking about trouble in the middle east, I thought they were talking about Pittsburgh.", mal ganz (GANZ!) abgesehen. Zweitens fehlt ebenjene Abwechslung in den Kompositionen, die "Blackmagic" dank Produzenten wie Flying Lotus oder Moodyman liefern konnte. Was auf "No Beginning No End" regiert ist der saloppe Laissez-Faire Schunkelschmuser für eine Nescafe-Latte to go (ganz weit weg) und das macht er gut und richtig und angenehm und säuselnd und wer schnellstmöglich zum Beischlaf mit irgendwem kommen möchte, der legt am besten diese Platte auf. Aber er regiert mit durchgelegenen Betten, verwelkten Rosensträußen und einem Karamell-Knoblauch-Tee, dieser Schunkelschmuser. Und ja, es ist wirklich genau die Soße, nach der es sich wegen meines Geschreibsels gerade anfühlt. Drittens: José ist jetzt bei Blue Note. Und wer auch immer dieses Album produziert hat, es ist so glatt wie eine Bowlingbahn. Vielleicht müssen Platten auf Blue Note glatt wie eine Bowlingbahn klingen, aber ich bekomme auf Bowlingbahnen immer Fußpilz. Also, nicht direkt. Aber dann später.

Vielleicht wird es ja in den hoffentlich sehr bald anstehenden lauen Sommernächten noch etwas mit mir und "No Beginning No End", ich will's nicht ausschließen, denn ich bin José James eigentlich sehr wohlgesonnen und ich mochte seine Platten. Bis dahin bleibt sein Debut "The Dreamer" aus dem Jahr 2008 nachwievor sein tiefstes und damit auch sein bestes Album.

Erschienen auf Blue Note, 2013.


P.S.: Hallo crazy-abgespacete Blue Note-Mitarbeiter: 2013, Downloadcode, anyone? Das ist nun wirklich keine Raketentechnik; das kann man doch mal in Betracht ziehen, kann man nicht? Oder sind die 20 Cent pro Scheibe, die es bei diesen Auflagenzahlen dann erwartbar kosten wird, wirklich und einfach: zuviel? Weil der Shareholdervalue so drückt? Weil es sonst einen Monat keinen Kaffee im Büro gibt? Weil der Chef sonst seine Frau verkaufen muss? Reißt Euch doch mal zusammen.

07.01.2013

2012 ° Platz 17 ° Robert Glasper Experiment - Black Radio



ROBERT GLASPER EXPERIMENT - BLACK RADIO


"Black Radio" war 2012 nicht nur Stammgast in dem mittlerweile legendären Plattenstapel vor der Anlage, sondern auch auf dem Plattenteller. Auch wenn Freund Jens mich vorwarnte, dass ich bei der Coverversion von "Smells Like Teen Spirit" wohl mit gerissener Halsschlagader in die Lautsprecher klettern würde, hinterlässt die Musik dieses von Glasper zusammengestellten Kollektivs nichts als ein zufriedenes Lächeln auf meinem Gesicht. Der Fluss dieses extrasanften Fonds aus Jazz, Hip Hop und Soul ist hochgradig infektiös: immer, wenn ich "Black Radio" auflegte, hörte ich es von Anfang bis Ende durch und es wurde fast zu einem Ritual, sich auf die gute Stunde voller Ohren- und Seelenschmeichler einzulassen. Der 34-jährige Pianist aus Texas hält dabei zu jeder Zeit die zusammenlaufenden Fäden von Gaststars wie Erykah Badu, Lalah Hataway, Lupe Fiasco, Mos Def und Bilal dicht an der Komposition und thront über dem Vibe jeder gespielten Note. Ich verbrachte einige wunderbare Abend- und Nachtstunden im Sommer des Jahres mit seiner nokturnen und doch strahlenden Musik. Und sogar "Smells Like Teen Spirit" ist, zu meiner eigenen Überraschung, kein Grund für einen mittelschweren Tobsuchtanfall. Eher schon der Pressfehler auf der D-Seite, der die Nadel zum zweimaligen Hüpfen zwingt. Sowas muss doch nicht sein, Blue Note.

Erschienen auf Blue Note, 2012.

02.09.2012

Tout Nouveau Tout Beau (5)



ROBERT GLASPER EXPERIMENT - BLACK RADIO

Die Puristen schreien schon, und wenn die Puristen schreien, dann ist's meistens angesagt, die Ohren zu spitzen - es kann sich nur lohnen. Als viel zu glatt und harmlos wird das neue Studioalbum des Rober Glasper Experiments in den einschlägigen Foren der Die Hard-Jazzer abgekanzelt, und ohne mir allzuviel anzumaßen, aber dann haben sie halt immer noch nicht gelernt, über den Tellerrand hinauszublicken und dann haben sie es in der Folge auch nicht besser verdient. "Black Radio" ist genau so, wie ich es nach dem auf Youtube hinterlegten Trailer erwartet habe, und das finde ich einigermaßen überraschend: ein spirituelles Zusammentreffen von vielen Gaststars (u.a. Erikah Badu, Lalah Hathaway, Ledisi, Bilal), die ihr Herz und ihre Seele in diese Produktion gelegt haben. Ein dunkles, rauchiges, verwurzeltes Hip Hop Meets Jazz meets Soul Fusion-Album mit einer sehr erfreulichen, weil unmodernen Produktion, die vor allem den Bass und das Schlagzeug alles andere als sauber, steril und aufgeräumt präsentiert. Vor der Coverversion von Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" hatte ich zwar Angst und ich komme nicht umhin, das wenigstens kritisch zu bewerten, aber ganz im Ernst: ich hätte diese Version um einiges lieber auf dem 20-Jahre-Nevermind-Tribute-Sampler gehabt, als das lahme Gewürmel der Meat Puppets. Ein tolles Album mit einem beeindruckenden Flow.




Erschienen auf Blue Note, 2012.




BVDUB - STRANGERS NO MORE

Brock Van Wey ist ein Workaholic. Der Mann scheint unablässig zu produzieren und nicht nur das: er veröffentlicht die Ergebnisse auch noch in immer kürzer werdenden Abständen. Das aktuelle Jahr 2012 nahm bereits drei Alben in Empfang, dazu gab's Samplerbeiträge, Remixe und für das Restjahr stehen außerdem nochmals drei Alben auf der Matte (besonders erwähnenswert ist "Home", das auf Echospace erscheinen wird). "Strangers No More" ist die aktuelle 12-Inch auf With Or Without You, und ich habe den Eindruck, dass seine Musik im Vergleich zu den letztjährigen Werken bis einschließlich "I Remember" etwas optimistischer, aber ganz bestimmt beatlastiger wird. Was sich auf "Resistance Is Beautiful" und "Then" bereits andeutete, findet wie bereits auf "Serenity" auch bei "Strangers No More" seine Fortsetzung. Die Arrangements sind nicht mehr allzu grau, und die Melancholie ist nun nicht mehr in tiefem schwarz auf einer Hochzeit, sondern schwebt auch mal entrückt einen halben Meter über der Tanzfläche. Zwei Tracks mit einer Spielzeit von 25 Minuten stehen auf dieser Maxi (sagt man das eigentlich noch? Maxi?) und wo ich bei den letzten Alben etwas den Faden verloren hatte, kann ich ihn hier wieder beruhigt aufnehmen. Immer noch eine ganz außergewöhnliche Musik eines außergewöhnlichen Menschen.

Erschienen auf With Or Without You, 2012.





SIMONE WHITE - SILVER SILVER


Singer/Songwriter-Folk auf Honest John's? Surely some mistake! Normalerweise, und der Satz wird umso richtiger, je öfter ich ihn wiederhole, normalerweise ist das sensible Gesäusel von unterforderten Musikern mit Akustikgitarre also nicht unbedingt mein Metier. Und ich erinnere mich auch noch daran, dass ich vor einigen Wochen in die bereitgestellten Snippets von "Silver, Silver" 'reinlauschte und an in erster Linie an meiner eigenen Erwartungshaltung scheiterte. Ein neuer Versuch vor wenigen Tagen ergab ein anderes Bild: das ist eine niedliche, sommerschwüle Urlaubsplatte - nicht nur wegen des Covers, das an einen Familienurlaub in den frühen achtziger Jahren erinnert (Riccione, Italien, Vollpension, Essen bis zum Platzen, 38°C, 25 Mark pro Nacht), sondern auch wegen der liebevoll zusammengepuzzelten Musik, die einerseits in strategisch sicherer Umlaufbahn die üblichen Spielchen spielt, andererseits auch den berühmten Schritt weitergeht und viel mit Stimmungen und Gebrizzel und Gebrazzel experimentiert. Diese Musik schmerzt freilich nicht, "Silver, Silver" läuft dennoch nicht Gefahr, in den gefälligen Kitschsektor der süßen Indiebratzen abzugleiten, die vor lauter Kalkül in ihren Köpfen keinen Platz mehr für Leidenschaft finden können. Eine manchmal subtil-verdrehte, schwummrige und trotzdem wache und aufgeräumte Platte. Die wird noch ein paar Mal auf dem Plattenteller landen.

Erschienen auf Honest John's, 2012.

23.05.2012

Dream Team




JACKIE MCLEAN - ONE STEP BEYOND


Es ist merkwürdig, ist es nicht? Vor einigen Jahren entdeckte ich den Jazz für mich und im Zuge der Abenteuerreise durch die Jazzplatten dieser Welt rempelten mich die Insassen des Jazzforums von Frank Schindelbeck irgendwann an den Saxofonisten Jackie McLean an. Das war der Startschuss für eine langanhaltende Liebesbeziehung zwischen mir und einem Mann, der letzten Endes zusammen mit vielleicht einer Handvoll weiterer Jazzmusiker dafür verantwortlich ist, dass ich auch heute noch jeden Besuch eines Plattenladens niemals abschließe, ohne nach mindestens eine seiner Platten gefragt zu haben. Überflüssig zu erwähnen, dass ich meistens leer ausgehe; zwar wurden viele seiner Blue Note und Prestige-Arbeiten auf CD wiederveröffentlicht, auf Vinyl wird es aber entweder zappenduster oder zappenteuer. Also blieb mir oft nichts anderes über, als zur schnöden CD zu greifen. Wie auch in diesem Fall.

Was nun merkwürdig ist: "One Step Beyond" steht seit über drei Jahren im Umkreis des CD Players herum, und seit drei Jahren versuche ich erstens diese Musik zu entschlüsseln und zweitens im Anschluss darüber zu schreiben. Und ich habe es bis heute nicht getan - was daran liegen könnte, dass mir für so vieles, was hier passiert tatsächlich die Worte fehlen. Dabei löst alleine die Aufzählung des Line-Ups Lustschreie aus: Neben dem Leader McLean spielen Eddie Khan am Bass, Tony Williams am Schlagzeug, der großartige Bobby Hutcherson am Vibraphon und mein erklärter Liebling Grachan Moncur III an der Posaune. Eine Besetzung, die in ähnlicher Zusammenstellung noch für zwei weitere Alben Bestand hat: McLeans "Destination Out" und Moncurs Meilenstein "Evolution" (hier noch zusätzlich mit Lee Morgan an der Trompete) tapezieren im Prinzip ein ganzes Genre neu zusammen, und wie soll ich's beschreiben? Auf "One Step Beyond" lassen sich zwei Kompositionen des Saxofonisten finden - "Saturday And Sunday", ein flotter Opener mit halsbrecherischem Drumming von Williams, dessen Tom- und Ridebeckenarbeit den Song mit derart viel Drive füttert, dass Eddie Khan im nur im Eiltempo folgen kann. Es wäre ein Erlebnis, alleine die Rythmusspuren dieses Titels zu hören. Dass Kahn zu diesem Zeitpunkt erst seit ein paar Jahren den Bass spielte, erscheint gänzlich unglaublich, aber es ist wahr: er wechselte erst wenige Jahre zuvor vom Saxofon zum Bass. Interessant ist der wahrnehmbare Schnitt zwischen dem, was den Samstag darstellen soll, nämlich eine offene, freundliche Stimmung, während der Sonntag McLeans Erfahrungen seiner Kindheit widerspiegelt, mit zwei Stunden Sonntagsschule und einem anschließenden, dreistündigen Aufenthalt in der Kirche. "After four hours in church, everyone looked like Frankenstein's with whigs and dresses." Die zweite McLean Komposition heißt "Blue Rondo", einer seiner Klassiker und ebenfalls ein wieselflinkes Uptempo-Stück mit stattlicher Hooklinemelodie, die Moncur und McLean spontan entwickelten, während sie mit ein paar Ideen und Melodien herumalberten.

Die große Stunde von Grachan Moncur III schlägt in seinen Beiträgen "Frankenstein" und "Ghost Town". Ersterer ist ein Walzer in dunkel schimmernder Schönheit, "its beauty stands for everything that Frankenstein does not." (McLean), dessen Auftakt und Abschluss wie eine Revuenummer from outer space klingt. Es ist eine schleppende, weite und kaputt wirkende Sause von über 8 Minuten Länge - megakompakt, aber es sind vor allem Hutcherson und Moncur, die paradoxerweise atmosphärisch und tonal diese immensen Lücken reißen. Das ultimativ betitelte "Ghost Town" von Moncur III setzt "One Step Beyond" die Krone auf. Moncur sagte mal in einem Interview, dass er den Songwritingprozess immer als einen Prozess des Malens von Bildern betrachtete, und hier hat er die Geisterstadt punktgenau getroffen. Es weht ein Hauch von Traurigkeit und Isolation durch dieses Bild, die verlassenen und mittlerweile windschiefen Hütten haben bessere Tage gesehen, die Türen und Fenster hängen aus den Angeln - aber da ist auch ein abstrakter und morbider Humor, der sein Werk führt - nicht nur im Besonderen, sondern auch im Grundsätzlichen. Diese fünf jungen Burschen haben damals wirklich nach einem neuen Sound geforscht, ohne gleich die Coleman'sche Freejazz-Keule herauszuholen. Der Weg, den Jackie McLean mit diesem Linie-Up eingeschlagen hat, ist gleichermaßen provokativ wie auch versöhnlich und künstlerisch gleich ein paar Schritte vor der versammelten Konkurrenz der damaligen Szene. Schließlich ist der Titel sicher nicht ohne Bedacht gewählt. "One Step Beyond" wird im April 2013 unglaubliche 50 Jahre alt - bis heute ist es keinen Tag gealtert.


Erschienen auf Blue Note, 1963.