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01.02.2025

Best Of 2024 ° Platz 9: Alex Albrecht - Allambie




ALEX ALBRECHT - ALLAMBIE


"The ideal subject of totalitarian rule is not the convinced Nazi or the convinced Communist, but people for whom the distinction between fact and fiction (i.e., the reality of experience) and the distinction between true and false (i.e., the standards of thought) no longer exist." 
(Hannah Arendt, 1951)


"Muss es eigentlich immer nur dieser Schönklang sein? Muss immer alles in dieser rosaroten Watte eingepackt sein, die die fiese Fresse dieser eiskalten, verlogenen, verdreckten Scheißwelt da draußen stopft? Wo ist denn bitte Dein Nihilismus hin? Wo ist Dein Zorn? Du furzt nur noch Deine Couch voll, Florian! Teilst Bilder von Deinen Scheißplatten im Internet und zeigst stolz Deine "Fuck Capitalism"- Tasche. Die Ironie erkennste, ne?!" 

Kinder, das kann alles sein, aber hört euch doch mal bitte "Green Shade" vom aktuellen Album von Alex Albrecht an. Oder "Minak Reserve". Und jetzt machen wir uns alle mal einen schönen Kaffee, machen das Fenster weit auf, schnurzpiep, dass es da draußen gerade schneit, ziehen entspannt einen durch und dann unterhalten wir uns nochmal über Nihilismus. Nice try, gelle?! Das geht dann nämlich gar nicht mehr. Wegen der Genetik, oder so. Klingt wissenschaftlich, muss demnach also stimmen. Gibt's bestimmt einen Podcast von zwei weißen Super-Bros drüber, die ihre Sätze mit "Ich hab ja letztens gelesen, wo war das gleich - stimmt, in der WELT!" beginnen. 

Die Wahrheit ist aber eine andere, denn Alex Albrecht bringt uns die Schönheit des australischen Dschungels ins Wohnzimmer. Oder auch aufs Gästeklo, wenn Du willst. Das ist dem Alex nämlich egal, wo Du das Licht siehst. Stellt Dich mal auf die kommenden Endgegner ein: Field Recordings von zwitschernden Vögeln, murmelnden Pflanzen (Farne! FARNE!), knarzenden Mammutbäumen, quietschendem Moos, ein in Sepia getupftes Piano, die frischkäsigsten Basslines, die hypnotischsten Tribalbeats und die Sonne auf halb acht am Abend. Ich erinnere mich an meine Kindheit und das Herumtollen mit meinen Buddies an einem Sommerabend in den späten 1980ern in einem Frankfurter Vorort, als die Luft nach Sonne schmeckte. 

Die Sache ist die: Jeder hat seine eigene Geschichte. Der in Perth geborene Produzent vertont die seine auf Alben und in DJ Sets. Meistens improvisiert er über eine vorab ausgewählte Palette von Beats, pickt sich die passende Tonart heraus und geht auf seine Reise durch die Natur. Und da gehen wir dann eben einfach mit. Unseren Nihilismus und unsere Verzweiflung tragen wir von mir aus im Rucksack mit uns herum, aber ich muss mich doch nicht die ganze Zeit anschreien lassen. 

Wenn ich Kopfweh habe, nehm' ich auch 'ne Tablette.


  


Erschienen auf Analogue Attic, 2024 


22.04.2024

Best of 2023 ° Platz 5: Alex Albrecht - Coles Ridge




ALEX ALBRECHT - COLES RIDGE


"You know, if you take everything I've accomplished in my entire life and condense it down into one day, it looks decent." (George Costanza)


Erinnert sich noch jemand an Seaworthys "Map In Hand"-Meisterwerk aus dem Jahr 2006? Vieles, was ich damals (und heute eigentlich immer noch) über dieses so leise und subtile aber mit großer emotionaler Wucht inszenierte Album schrieb, gilt auch für das zweite Album des ebenfalls aus Australien stammenden Produzenten Alex Albrecht - obwohl "Coles Ridge" zumindest vordergründig nicht immer leise und subtil ist. Stattdessen wird es bisweilen sogar überraschend lebhaft, wie im sechsminütigen Ambient House-Schwoofer "Behind The Break", wie gemacht für die berüchtigten Panflöten-Ketamin-Bärlauch-Smoothies bei der After-Work-Party im Frankfurter Bankenviertel Bahnhofsviertel. Dennoch geht es hier nicht um sowas banales wie Tempo. It's the vibe, dude! Was "Map In Hand" und "Coles Ridge" eint, ist die Fähigkeit, diese ganz spezifisch aus der Natur entnommenen Atmosphären einzufangen und sie so präzise zu vertonen. Das erscheint mir beinahe einmalig zu sein. 

Eine Idee zur Auflösung: Die Romantik infiltriert die Ratio, der Wille zur Exaktheit diffundiert das Pathos. Nichts davon ist statisch, besonders Albrechts Musik ist eine einzige Elastizitätsübung: vom perlenden Piano-Sepia zu komplexen rythmischen Figuren, vom jazzig gehackten Downbeatkraut aus Richard Dorfmeisters Stash hin zu auf die Tanzfläche drängenden House-Akzenten spannt "Coles Ridge" aus musikalischer Sicht einen weiten Bogen. Das ist das eine. 

Das andere ist, wie die Perspektive von Erlebnissen und Situationen sich innerhalb dieses inneren Klanguniversums ändert and anpasst, ohne dabei die Erzählung zu verfälschen; dem Bild also plötzlich eine andere Tönung, ein anderes Licht zu geben, aber die emotionale Spannung zu fixieren. So entstehen zwei unterschiedliche Ebenen der Ansprache, deren Unabhängigkeit voneinander nur in der engsten Verbindung und gleichzeitig der größtmöglichen Freiheit existieren. 

Die Inspiration zu "Coles Ridge" entnahm Alex seinen Reisen durch die Dandenong Ranges, einer etwa 35 Kilometer östlich von Melbourne liegenden Bergkette. Selbst wenn ich noch nie in Australien war, und ich bezweifle, diesen Status jemals ändern zu können oder auch nur zu wollen, kann ich beinahe die feuchte Luft auf dem Gipfel des Mount Dandenong schmecken. 

Was für ein Trip!





Erschienen auf Analogue Attic Recordings, 2023.