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07.02.2021

Best of 2020 ° Platz 17 ° nthng - Hypnotherapy




NTHNG - HYPNOTHERAPY

So I'ma build a bunker now
In the underground, surviving with that other sound
(Oddisee)


Techno hat's unter Corona vielleicht so hart getroffen wie kein anderes Genre, denn das, was unter normalen Umständen in den Clubs dieser Welt gespielt wird, ist auch genau für diesen Ort produziert worden. Elektronische Tanzmusik ist zum, Achtung, festhalten: Tanzen gemacht, im besten Fall in einer Gemeinschaft, in einem dunklen, heißen, feuchten Raum; die Hände zum Himmel, Koks von der Klobrille, Herpes vom Mojito, geiles Leben, Feierei. Aber was macht man eigentlich mit Techno, wenn niemand mehr tanzt? 

Na logo: man verwächst zu Hause mit der Couch, baut sich ein Rohrpost-System zum Kühlschrank und legt das ungeliebte Techno-Album auf. Autoren-Techno. Prätentiöser Kackmist, wer will sowas denn hören? Elfmeter ohne Tormann: sicherlich sehr viel mehr, wenn es denn nur mehr richtig gute Platten gäbe. 

nthng kann es jedenfalls. Hat er 2015 mit dem Debut "It Never Ends" auf Lobster Theremin bewiesen, einem konzeptionell überraschend stringent arrangierten, motivischen Album. Seitdem gab es vom niederländischen DJ und Produzenten eine Handvoll 12-Inches (u.a. auf Mörk und Delsin) und nun im Corona-Scheißjahr 2020 mit einem extrem miesen Timing die zweite Sammlung "Hypnotherapy". Eine Tour zum Album kann man sich schön in die Haare schmieren, hinzu kam ein Leak bereits Wochen vor dem offiziellen Release. Wie's so geht? NA, EXZELLENT!

"Hypnotherapy" lebt weniger vom Konzept, ich mag darüber hinaus bezweifeln, dass es überhaupt eines gab, als von erstens: einer unglaublichen stilistischen Bandbreite, zweitens: sehr, sehr starken Einzelsongs und drittens einer über dieser Platte schwebenden Leichtigkeit und Freiheit. Und wenn drittens das Konzept ist: bon, approuvé!

Vom luftigen, von skurrilen "Many Men (Wish Death)"-Sprachsamples durchzogenen und damit die Atmosphäre brechenden Ambient-Einstieg "50 Flower" über Trance-Strahlemänner wie den absoluten Höhepunkt "Heifft" mit seinem halsbrecherischem Tempo, straighten Hits wie "I Just Am" (mit Whitney Houston-Sample) und dem funkelnden "Spirit Of Ecstasy" oder den New Age streifenden Titeltrack mit flächig-bebendem Finale bis hin zum Ambient in "Beautiful Love" und dem weich und entrückt wegdämmernden Abschluss "With You" hat das Album durchgängig Stil, Eleganz und Klasse. Jeder Track ein Hit - und alles funktioniert bestens in den eigenen vier Wänden. 

Liegend - oder zappelnd.

--

Pressung: Vielleicht die ärgerlichste Pressung des Jahres 2020. Die beiden großartigen, subtilen Ambienttracks "Beautiful Love" und ganz besonders "With You" sind ohne Tobsuchtsanfall praktisch nicht zu hören. Ich weiß nicht, wie es mit der schwarzen Vinylversion ausschaut, aber es würde mich schwer wundern, wenn die problemfrei liefe. Abhorrent. (+)

Ausstattung: Die reine Optik der colorierten Version ist zum Dahinschmelzen. Keine gefütterten Innenhüllen, kein Downloadcode. Bei Bandcamp kostet der digitale Download nochmal satte 10 Pfund. (++)


   


Erschienen auf Lobster Theremin, 2020. 


08.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 13 ° 36 - Fade To Grey




36 - FADE TO GREY


Alben von 36, die auf Vinyl via A Strangely Isolated Place erscheinen, sind meist in Windeseile ausverkauft, und wer verspätet zum Vorverkauf erscheint, darf nur wenige Tage später den Blutsaugern auf Discogs die Ehre (und ein schön leergeräumtes Konto) erweisen. So erging es mir mit "Fade To Grey", weshalb ich zur Strafe einen grotesk hohen Betrag in Richtung, na klar: Berlin überweisen sollte. Immerhin noch bevor sich die Bandscheibe unseres Hundes meldete und ganz alleine den Jahresbonus auffraß. No food, just wax and dogs. 

Dennis Huddleston ist einer der Stars der Ambientszene und in solchen Momenten zeigt es sich auch abseits des Sammel- und Exklusivitätswahns heutiger Schallplattensammler. "Fade To Grey" ist der Einsamkeit und der Isolation gewidmet, die aus unserem Social Media-Kladderadatsch entsteht, die uns von unserem Selbst entfernt, uns sowohl durchlässig und verletzlich, als auch hart wie Beton macht. Es ist ein elegisches Werk für eine Zeit ohne Empathie. Ein Werk, das den leeren, emotionslosen Blick gegen die weiße Wand vertont, gleich einer Embryonalstellung der Seele gegen den Weltschmerz. Interessanterweise klingt "Fade To Grey" dabei nicht dunkel oder abgründig, sondern leuchtet im Gegenteil hell und heiter - wie ein Abbild unserer Realität zwischen sinnbetäubender Euphorie und bodenloser Tristesse. 

Einer wird gewinnen.

"Considering the landscape of our own world right now, where a handful of companies control everything we consume, where convenience is more important than privacy, where personal choice is pre-determined by algorithms analyzing our behavior, and where the internet has become a battleground for influence and propaganda... It's not a stretch of the imagination to believe we're already witnessing our very own dystopia."




Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2019.

06.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 14 ° Segue - The Island




SEGUE - THE ISLAND


Und wieder mal passt alles zusammen. Das atmosphärische Cover-Artwork, das DIE_INSEL inmitten eines ruhig liegenden Meeres zeigt, inklusive leichter Diesigkeit und einem ja auch irgendwie kitschigen Sternenhimmel, Jordan Sauers immer noch von Sonne, Waldboden und "Aqua" (Lagerfeld) geküsste Musik und das Label Silent Season, das die musikalische Auseinandersetzung mit der Natur zur Voraussetzung für jede Veröffentlichung macht. 

Zu "The Island" heißt es: 

"Four thousand years ago, Western Canada's First Nations people migrated into the fjords and rainforests carved out by the retreating glaciation of the last Ice Age. The Island is a tribute to Canada's prehistory and the spiritual journey of a people entering a forever-altered landscape to call their home." 

Dabei hat Segue ähnlich wie die Labelkollegen von Wanderwelle die exklusive Dub Techno Schublade längst hinter sich gelassen und verwendet bisweilen nur noch vage herumflirrende Erinnerungen aus seinem Instrumentenkoffer. Was Sauer in dieser Hinsicht vielleicht so gut kann wie kaum ein anderer: seine Sounds und Songs malen Bilder in deinen Kopf. Lassen dich Wärme und Kälte spüren, manchmal sogar die Luft von der Umgebung schmecken, in die er dich gerade hineingezogen hat. 

"The Island" schickt dich in Urlaub, in die unberührte, raue Natur. Soziale Isolation in der Verbundenheit mit Mutter Erde - ich finde das selbst 6 Jahre nach dem Klassiker "Pacifica" noch immer hoffnungslos attraktiv. 




Erschienen auf Silent Season, 2019.

30.12.2019

Best Of 2019 ° Platz 19 ° Araceae - Resonance Of The Absolute




ARACEAE - RESONANCE OF THE ABSOLUTE


Die Sache mit Dub Techno ist und bleibt eine Schwierige. Im Trend liegt das Genre nicht (mehr) wirklich; ich habe eher das Gefühl, dass es sich nur noch um eine relativ kleine, dafür eingeschworene Community handelt, die diesen Sound sowohl produziert als auch immer noch hört. Teil des Problems ist die überschaubare Anzahl jener Produzenten, die einen Ausweg aus dem Dilemma des straffen stilistischen Korsetts suchen und sich um Weiterentwicklung bemühen. Araceae geht sicher nicht so weit wie beispielsweise das belgische Duo Wanderwelle, dafür lässt die auf "Resonance Of The Absolute" präsentierte Bandbreite mein Herz höher schlagen: Ambient, Drone, Field Recordings und Modern Classical/Minimal mischt sich mit naturnahem, rauem und urwüchsigem Dub Techno wie im Highlight "Rocky Shore". Über ein Jahr hat Ryan Malony an diesem Album gearbeitet, das Archves-Sublabel Faint hat es auf Tape, CD und Digital veröffentlicht (leider kein Vinyl). Ein mit viel Liebe zum Detail und einem exzellenten Gespür für dramaturgische Texturen zusammengestelltes Werk.  



Erschienen auf Faint, 2019.

17.04.2016

Dune




DISCOVERER - TUNNELS


Eine kleine Ausgrabung aus meinem Archiv an einem lazy Sunday afternoon with German Gemütlichkeit, Fencheltee mit Honig und Duftkerzen (Amaretto-Kirsch-Schweinebraten) und, ganz wichtig, dem über der Krankencouch schwebenden Binge-Watching Geist von Agent Mulder und Agent Scully aus dem Hause Akte X, und ich hätte mindestens einen Extra-Sprühstoß aus dem Nasenschleimhautabschwellungsspray verwettet, dass ich hier, i.S.v. "hier" schon mal über "Tunnels" ein paar warme Worte zur Huldigung haben fallen lassen, aber: "So kann man sich täuschen" (Gerhard Schröder).

Discoverer ist das Projekt von Brandon Knocke aus dem US-amerikanischen Kansas und die namentliche Nähe zum Raumfahrtprogramm der NASA ist angesichts seines Sounds auf "Tunnels" sicher nur ein kleiner Zufall. "Tunnels" ist futuristischer Synthiepop, gleichzeitig eine Reminiszenz an die Vergangenheit als auch an die Zukunft, die wir uns in der Vergangenheit als Zukunft imaginierten. Skelettös, funky und tanzbar, aber mit mehr als einem Bein im Melancholie-Herbst des Uranus watend, zwischen öder Wüstenlandschaft mit Bayern 3-Telekolleg-Schachbrettästhetik und postmoderner Naivität, die mit einem Lächeln den richtigen Weg versucht zu finden. Das besondere Highlight in diesem Zusammenhang heißt "Personal Clone": Do the robot dance on a cold Wednesday morning. And be sure to wear flowers in your hair. 

Die Herzallerliebste, an besagtem Sonntag ebenfalls im Rotzekoma gefangen, und Herr Dreikommaviernull waren sich einig: das ist eine wirklich schöne Platte - auch und gar in erster Linie deshalb, weil das hier irgendwie nach einer Lebensaufgabe klingt, die nun endlich abgehakt werden kann. Es wurde hart gearbeitet. Herzblut. 





Erschienen auf Digitalis, 2012. 

15.12.2015

Tropfsteinhöhle. Part II




Ich darf einen sehr schönen Nachschlag in Sachen Colleen präsentieren.

Die Website She Does Podacst, betrieben von den beiden Dokumentarfilmerinnen Elaine Sheldon und Sarah Ginsburg, kümmert sich in den produzierten Podcasts um kreative Köpfe aus der Medienwelt: Musikerinnen, Schauspielerinnen, Autorinnen, Künstlerinnen.

Each episode centers around an intimate conversation yet digs deeper into each woman's background, philosophy and process through artful audio documentaries soundtracked by music made by women.

In der aktuellen Ausgabe haben die beiden einen interessanten und einfach großartigen Bericht über Colleen, ihre Arbeit, ihre derzeitige Heimatstadt, und ihre Musik zur Verfügung gestellt.

Enjoy.



13.12.2015

Tropfsteinhöhle




COLLEEN - CAPTAIN OF NONE


Ob es "Captain Of None" in meine Jahresbestenliste schafft, ist noch nicht entschieden - was auch gleichzeitiger Hinweis auf die mich jedes Jahr aufs Neue komplett überfordernde Herausforderung ist, dieses Bündel toller Musik am Ende des Jahres zu sortieren und zu bewerten. Und an dieser Herausforderung werde ich auch 2015, und damit wie in den vorausgegangenen Jahren bis spät in den Dezember hinein, kläglich scheitern. Aber immerhin habe ich damit eine Aufgabe, "etwas Eigenes" (Loriot) und bin "von der Straße weg" (Mutti). 

Colleen ist das Pseudonym von Cecile Schott, einer aktuell im spanischen San Sebastian lebenden französischen Multiinstrumentalistin, die mit ihrer Viola da gamba und ihrer Stimme ein mystisches und fremdartig wirkendes Album zusammengebastelt hat, das sich stilistisch weit in Richtung Einzigartigkeit lehnt. Irgendwo zwischen Avantgarde und Popmusik, mal offensichtlich durchkomponiert, mal vogelfrei experimentierend, im Grunde nicht zu dechiffrierende Spurenelemente von Dub, mediterraner Kultur und sogar Krautrock aufgreifend. Schotts Stimme würde der Engländer ohne mit dem Guinnessfass zu zucken als "haunting" beschreiben, und er läge damit ausnahmsweise goldrichtig. 

Ich habe "Captain Of None" gerade in den vergangenen Tagen ein ums andere Mal auf den Plattenteller gelegt. Zum sonntäglichen und mehrere Stunden dauernden Frühstück bei grauem Novemberschleier vor der Tür war es eine bemerkenswert stimmige Erfahrung und ein passender Soundtrack. Hat sicherlich ein paar Plätze aufgeholt. 

Eine merkwürdig ungreifbare, aber dafür hochinteressante Musik. Ist leider selten geworden auf Thrill Jockey. 




Erschienen auf Thrill Jockey, 2015.

21.11.2015

Hanni und Nanni




DITZNER LÖMSCH DUO II


Ein Album, in das man sich wie in heißen Wüstensand eingraben möchte. Wenn nicht gar muss. Und woher jetzt ausgerechnet diese Assoziation kommt, weiß natürlich wieder kein Mensch. Also fast keiner. 

Humor, Intimität und Grenzenlosigkeit lassen sich nicht gerade mit links in Zusammenhang bringen, wenn die Geschwindigkeit unserer Welt nur Zeit lässt, um die schnelle Laugenbrezel und eine Art von Spülwasser mit Kaffeearoma auf einer Autobahnraststätte runterzuwürgen. Oder wenn hinter jedem Klick auf den Streamingangeboten dieses verrückten Internetzes um das nächste Single-Hypesoufflé gebettelt wird, weil die Aufmerksamkeitsspanne für ein komplettes Album nicht mehr ausreicht. Immer alles ganz wichtig, immer alles ganz schnell, immer alles on the edge, denn wer nicht auf der "Edge" (Steven Tyler) ist, der ist verloren und indifferent, der hat's halt nicht geschafft. Entschleunigung tut gut, in den meisten Fällen jedenfalls, und die Beschäftigung mit ebenjener, die Reflektion des eigenen Irrsinns zusammen mit dem im besten Fall eintretenden frischen Windzug im Dachgeschoss, erscheint immer öfter als lohnenswert. 

Das Stoßlüften hilft auch dabei, so manche Vorurteile mit der Kettensäge zu zerkleinern, um sie hernach in einen schönen Kamin zu feuern: Europäischer Jazz, deutscher zumal, steht für gewöhnlich nicht besonders hoch im Kurs im Hause Dreikommaviernull. Die biedere Aura von stocksteifen Musikkonservatoriumsstrebern und die strenge Disziplin von sich selbst viel zu ernst nehmenden Weltmeistern im Baumstammsitzen lässt mich für gewöhnlich nach wenigen Sekunden die Schublade mit den weniger gut gemeinten Worten öffnen, und wenn's nicht so ärgerlich wäre, könnte ich die gepflegte Langeweile auf all den gelackten Produktionen glatt als Substitut für meine Blutdrucksenker verwenden. Unzulässige Verallgemeinerung, geschenkt. Die Auseinandersetzung mit dem dritten Album des Ditzner Lömsch Duos lässt die Systole dagegen ganz nonchalant im Normbereich herumpendeln, dank der auftretenden freudigen Erregung (Hossa!) gibt es sogar zaghafte Ausflüge in Richtung Herzflattern - und es flattert schon ganz besonders hübsch beim bloßen Betrachten der Schallplatte: das Artwork, das aufklappbare Cover und die großartigen Bilder glänzen sowohl durch den geschmackvollen Zusammenhalt des Konzepts, als auch mit beeindruckenden Kontrapunkten zur Musik des Duos. 

Die ist, wie bereits angedeutet, in der Ausrichtung durchaus heterogen. Intim, verschachtelt, zurückgezogen und konzentriert wie in der Eigenkomposition "Isor" von Saxofonist Lömsch Lehmann, plötzlich humorvoll und frech wie beispielsweise in der Interpretation von Charlie Parkers "Chi-Chi", die Parkers sprühende Lebendigkeit in einen gefühlten Computerspielbeat (Atari!) einerseits und in kristallklare, an Ulrich Lasks "Polar Circles" Experiment erinnernde Saxofonlinien andererseits aufdividiert. In "Kupuri" geht ein anerkennendes (es ist doch anerkennend?!) Kopfnicken des Duos außerdem in die Richtung von Mittneunziger New Age/World Beat-Sounds von John Wilson und seines Tulku-Projekts, das später auf einigen Ausgaben des erfolgreichen Buddha-Bar Samplers zu finden war. 

Dabei ist es gar nicht so einfach, diese eingangs erwähnte Diskrepanz zwischen der Intimität und der Weite in ihrer Musik zu beschreiben, und wenn ich jetzt auch "Diskrepanz" geschrieben habe, dann ist's im Grunde schon wieder Quatsch, denn so eine "Widersprüchlichkeit", so eine "Uneinigkeit" - die gibt's doch gar nicht. Das ist alles Eins. 

Totaler Fokus - und Träumerei. Hochverdichtet - und schräg zerfasert. Aufmerksame Disziplin - und die Lust am Spiel. Spirituell - und antiautoritär. 

Erwin Ditzner (Drums, Percussion und elektrische Zither) und Lömsch Lehmann (Saxofon, Klarinette und Bontempi) bleiben in ihren musikalischen Abenteuern stets sehr eng miteinander verbunden; beinahe kammermusikalisch ihr Zusammenspiel, experimentell und intellektuell. Das ist nicht immer mit der eigenen Lebensrealität vereinbar, und es gab Momente, in denen es völlig undenkbar schien, nun ausgerechnet dieses Album aufzulegen; was dieser Platte indes auf wenngleich sehr subtile, aber dafür nachhallende Weise gelingt, ist die unterschiedlichen Fixpunkte ihres natürlichen musikalischen Lebensraums miteinander zu verbinden, ohne gleichzeitig die Erdung und die Kontrolle zu verlieren. Ein durchaus bemerkenswert abgedecktes Spektrum, das die Musik des Duos in seiner Ausprägung nicht zerreißt, sondern im Gegenteil: vereint. 

Für Fortgeschrittene.




(Ein Video aus dem Jahr 2010 - inklusive Headbangeinlage von Herrn Lehmann)


Erschienen auf Fixcel Records, 2015.


29.03.2015

Kanaworms - Die Nachzügler 2014 (5)




LEON VYNEHALL - MUSIC FOR THE UNINVITED


Es gab 2014 im Grunde keinen besseren Zeitpunkt, "Music For The Uninvited" zu veröffentlichen. Das Debut des House-Produzenten auf Martyns 3024 Label erschien vor fast genau einem Jahr im März zu den ersten wärmenden Sonnenstunden nach langer Winterfinsternis, und ich umarmte diesen Strahlemann sogleich mit einiger Begeisterung. Insofern ist es auch passend, "Music For The Uninvited" heute und damit zum Frühling 2015 hoch zu werfen, denn damit lässt sich auch dieses Jahr jeden dunklen Fleck auf Seele und Leben weglasern. 

Die 36-minütige EP, ein Konvolut aus leicht angejazztem, swingendem Deep House, Boogie-Funk und lässigem Downtempo, ist durch und durch lebens- und farbenfroh, im besten Sinne optimistisch und dabei völlig echt, im Sinne von unironisch. Ein großer Teil dessen geht auf das Konto eines romantischen Vibes  und einer bittersüßen Melancholie, die als Fundament dieser sieben Tracks für ein debil-zufriedenes Grinsen bei Herrn Dreikommaviernull sorgen, auch hörbar gemacht durch ein feines weißes Rauschen, das sich durch die gesamte Platte zieht und bereits Anlass zur Spekulation über einen vermeintlichen Produktionsfehler war. 

Vor allem in den Sommermonaten 2014, beim morgendlichen Bereitmachen für so manch schwierigen Tag, lieferten Tracks wie das hypersonnige "Goodthing" oder der Clubstampfer "Be Brave, Clench Fists" die Familienpackungen Endorphine auf 3024 Europaletten an und machten dann doch für so einen kurzen Moment klar, dass das alles so irrsinnig schlecht dann doch nicht ist, wenn man es denn endlich nur mal so sehen könnte. Oder wollte. Denn wir halten fest: ich atme, die Pumpe schlägt noch und ich kann diese wunderbare Musik hören. Das hätte alles schon ganz anders aussehen können. 

Because there is no light when you're dead.

Denn wer sagt, dass elektronische Momente ganz prinzipiell und wie von Moses in kühlen Schnee gepinkelt nicht so ganz nah an die eigene Seele angetackert werden könne, weil sie so distanziert, kalkuliert und entmenschlicht wäre, sollte sich mal Gedanken über das verbarrikadierte Dachgeschoss machen. 

Erschienen auf 3024, 2014. 

04.10.2013

Four Tet - Beautiful Rewind


Ich hatte Kieran Hebdens Four Tet-Moniker nach dem ziemlich schwachen "Pink"-Album aus dem Jahr 2012 etwas aus den Augen verloren. Die Magie, die er auf dem immer noch fantastischen "There Is Love In You" entfesselte, konnte ich auf "Pink" nicht heraushören - zu zerfasert und orientierungslos erschienen mir die Tracks, die mir bisweilen auch hinsichtlich der ausgewählten Sounds faustgröße Löcher in mein Nervenkostüm frästen.

Das in den kommenden Tagen erscheinende neue Werk "Beautiful Rewind" macht nach den ersten Durchläufen einen bedeutend besseren Eindruck auf mich und spielt sich damit in die Kandidatenreihe für die Jahres-Top 20. Neu-Deutsch und Alt-Behindert heißt sowas im Jahr 2013: es ist shortlisted.

Hebden hat für eine begrenzte Zeit den kompletten Albumstream auf Soundcloud gewuchtet. Viel Spaß beim Hören (und gebt dem dusseligen Soundcloud-Geschwerrl hier unten drunter ein paar Sekunden Zeit zum Laden).

Anmerkung: hier war mal eine Soundcloud-Box mit dem Komplettstream des neuen Four Tet Albums hinterlegt. Mittlerweile ist das Album offiziell digital verfügbar, weshalb Hebden den Soundcloud-Link wieder von Netz nahm. Ihr findet die Platte, sowohl physikalisch als auch digital bei den einschlägigen Mailorders.

03.03.2013

Die Songs des Jahres 2012 (Vol.1)

Listen, immer nur Listen. Ich könnte praktisch ein ganzes Blog-Jahr nur mit Listen füllen, mir würde bedauernswerterweise wohl immer ein absurder Mist einfallen.

Heute ist's allerdings erfrischend unabsurd, eine Liste mit den besten Songs des Jahres ist schließlich völlig legitim, ist es nicht? Wir machen das in zwei Etappen, sonst wird mir langweilig. Außerdem mit einem Novum, weil es dieses Jahr die entsprechenden Youtube-Video mit dazu gibt. Mein Service! Von mir, für Euch. "Ich liebe Dich, Mann!" (Wayne's World). Und die GEMA kann mir immer noch und äußerst ausgiebig mal schön den [zensiert]. Jedenfalls kann sie mich mal. Irgendwas. Verklagen. Ahahaha. Naja.


10 Lauer - Coppers

Man kann darüber diskutieren, ob das Album "Phillips" im Allgemeinen und der Track "Coppers" im Speziellen in den dunklen Wintermonaten Sinn machen, aber ich kann bestätigen, dass sich insbesondere "Coppers" im Sommer 2012 durch so manche Nacht auf der Überholspur Endlosschleife hielt. Für Zeiten, in denen Tumbleweed durch die hohle Rübe weht. Einfach, weil's Spaß macht.




09 Jacques Greene - Ready

Auch wenn Greenes "Another Girl" EP aus dem Jahr 2011 durchaus okay war, hatte ich ihn für einen solchen Kracher nicht auf der Rechnung. "Ready" platziert sich zwischen einer flotteren Burial-Nummer, Tri Angle-Sounds und einem ordentlichen Zug nach vorne mit einem sehr vielschichtigen und warmen Soundansatz. Außerdem sehr erfreulich: man hört Greenes Willen heraus, seinen Stil zu präzisieren. Das ist super.




08 Maserati - Abracadabracab

Maserati sind schwer gebeutelt und irgendwie hört man es "VII" auch an. Ihre neue Platte "VII" wäre um ein Haar in meine Top 20 hereingerutscht; ein wunderbar psychedelisches und kraftvolles Instrumentalrock Album von einer Band, die es tatsächlich geschafft hat, den Postrockrahmen nicht nur zu sprengen, sondern ihn  sogar zu erweitern. Es grüßen Pink Floyd, Kraftwerk und und Neu! "Abracadabracab" ist ein großartiges, über zehn Minuten langes Epos, für Tänzer genauso geeignet wie für Kopfnicker.




07 Holy Other - U Now

Holy Others "With U" EP aus dem Jahr 2011 war eine Sensation, auf dem vollständigen Debut "Held" zeigt sich aber, dass die Herausfroderung, ein abendfüllendes Album zu gestalten, vielleicht noch eine Nummer zu groß war. Die Zahl der anbetungswürdigen Momente ist zwar identisch mit der "With U"-Quote, aber eine EP ist eben auch kürzer. "U Now" ist das beste Beispiel, praktisch die Blaupause für seinen Sound: sofort zu identifizieren, sofort in die DNA eingebaut, sofort zum Leben erweckt.




06 Pinkish Black - Bodies In Tow

Der stärkste Track aus dem guten, selbstbetitelten Album des Weirdo-Duos aus Texas. Ein hymnischer Schlag mit dem Morgenstern, hochmelodisch und -dramatisch inszeniert, mit sehr charmanten und sympatischen Doom Metal Zitaten, die vor allem beim Gesang durchschimmern. Immer noch fantastisch.




05.03.2012

Burial & Four Tet

Auch wenn die Tracks von Burial in den letzten Jahren wenigstens mich mehr enttäuschten als begeisterten, gefällt seine neuerliche Kollaboration mit Four Tet durchaus: zwar ist auch hier die so typische und mittlerweile sehr langweilige Burial-Snare zu hören, die einen wirklich glauben lässt, dass der Mann gar nix anderes kann, als immer nur den immergleichen Sound zu fabrizieren. Kieran Hebden aka Four Tet reißt den Track aber mit der von seiner letzten und immer noch großartigen LP "There Is Love In You" mitgenommenen leisen Euphorie nach oben und vermittelt genau den strahlenden Optimismus, der so wichtig und schillernd ist und bestens zur ersten Frühlingssonne passt.

Das kann in bestimmten Momenten so wunderbar sein wie eine eiskalte und selbstgemachte Limonen-Minze-Limo bei 38°C.




11.09.2011

Der Franzose kann's...

Erfreulich oft fand in den letzten Tagen dieses ganz wunderbare Set des französischen DJs und Produzenten NHAR seinen Weg in mein Schallgesims - auch wenn der Auftritt im 200 Club/Studio 672 in Köln stattfand und meine Verbundenheit damit eigentlich auf der Roten Liste stehen müsste. In Teilen fühle ich mich an die Euphorie und diese wahnsinnig positive Ausstrahlung von Gui Borattos Meisterwerk "Chromophobia" von 2007 erinnert.

Nach der bereits fantastischen "Megumi/Bluedrop"-Single aus dem Mai dieses Jahres - folgerichtig auf dem Kölner 200 Records Label erschienen - ist die hier weiter unten zu hörende (und auch zu downloadende, by the way) Aufnahme ein weiteres sicheres Zeichen dafür, dass man den Mann künftig unbedingt auf dem Zettel haben sollte.

Nhar - Live @ Club 200 - Studio672 - Köln by Nhar

19.01.2009

Platz 12




Sten - The Essence

Und dann sprang der Lautstärkeregler von ganz alleine auf das Maximum. Ich habe ihn überhaupt nicht angerührt. Ehrlich nicht. Ich liege eingemümmelt auf, wo nicht in meiner Wohnlandschaft herum und starre in die große Breisuppe aus öligem Rot. Mit den dicksten Kissen werde ich Eins, es ist, wasweißich, um die vier Uhr am Morgen und draußen schneit es.

Ich habe das Gefühl, "The Essence" wird automatisch mit jedem Track lauter.

Detroit und Chicago, darum geht es. Techno und House, eingekocht auf das, was im wahrsten Sinne des Wortes bewegt. Der Titel von Stens zweitem Album wurde schließlich nicht umsonst gewählt. Das straighte Treiben des Hamburgers "amorphelt" (G.Polt) mit köchelnden Beats und einem dunklen Schleier zarter Melancholie in die Nacht. Mal funktionale, mal raumgreifende Melodien weben sich in ultradeepe Tracks und spüren mit irren Lichtblitzen in sich verschlungene Leiber auf.

Zu all dem wunderbaren Wahnsinn, in dem es sich so vortrefflich versinken lässt, ist der Abschlusstrack "Way To The Stars" dann die tatsächliche Krönung: die Nacht ist vorbei. Das Licht darf zurück in unser Leben schwappen und den Körper heilen. Schon wieder eine Schlacht geschlagen. Eine sanfte Schlacht.

31.08.2007

A Cuddly Place In Megacity



Wenn mir eine Platte innerhalb der letzten zwei Wochen vor allem in nächtlichen Sitzungen vor der Anlage gehörig den Kopf verdrehte, dann war es Benfays "Born On A Houseboat". Zwar stieß ich eher zufällig auf diesen MP3 Release, war aber bereits nach wenigen Sekunden des Openers "Breaching The Escarp" Feuer und Flamme für einen Sound, der mit erstaunlicher Tiefe und gemächlichem Stolz seine Kreise zieht.

Der Schweizer Multiinstrumentalist Benfay hat seine Minimal House-Grooves in einen warmen, lichtdurchfluteten Fluss gebracht und scheint sich wie selbstverständlich darüber im Klaren zu sein, wieviel Teile Melancholie und Unbekümmertheit in seine Tracks gehören. So zaubert der Mann, der Free Jazz als seine erste Besessenheit bezeichnet, innerhalb dieser knapp 30 Minuten ein stimmungsvolles, urbanes Werk auf den Laser, das zwischen den beständigen Beats, antreibenden und doch entspannten/entspannenden Basslines, simplen, kleinen Melodien und gewitzten Einfällen keinen nennenswerten Unterschied macht, sondern viel eher auf Vereinigung im großen Ganzen besteht. Benfay sieht folgerichtig das "Houseboat" als Metapher für eine "floating community sharing a love for one style of music."
Es knistert, es groovt, es ist von eine von grundauf positive, verbindende Musik.

Die EP kann auf der Thinner Homepage kostenlos heruntergeladen werden. Dort besteht auch die Möglichkeit via Paypal Geld zu spenden.


"Born On A Houseboat" ist am 23.7.2007 auf Thinner erschienen.


27.08.2007

New World Tanzboden


Möglicherweise habe ich mich in "Journeyman's Annual" etwas getäuscht. Die Erwartungshaltung an die Ausrichtung des vierten Albums von Scott Monteith und seinem Deadbeat-Projekt war offenbar zu stark von der hervorragenden, hoch im Nebel stochernden "Wild Life Documentaries"-Scheibe aus dem Jahr 2002 geprägt. So kam zunächst die Überraschung, dann die Enttäuschung und später die Versöhnung mit einer Platte, die einerseits für die feinen und doch massiven, dubbigen Tiefbasstunes mit dem sorgsam dosierten Ethno-Touch etwas mehr Zeit einfordert, andererseits sich mit insgesamt vier Vocaltracks deutlich in Richtung Dancefloor und Dancehall bewegt.

Letzteres sorgt zwar für eine angenehme und auch wünschenswerte Weiterentwicklung des Deadbeat-Sounds, persönlich wird mir aber das pulsierende, malmende Funkeln der übrigen Tracks durch die Ragga-beeinflussten Vocaleinsätze zu schroff auseinandergerissen. Ausnahme ist der kurzweilige Remix von Saul Williams' "Black Stacey", der als Bonustrack am Schluss des Albums steht und dessen Beat sich vorzüglich mit dem verhallten Soundgewand Monteiths vermählt.

"Journeyman's Annual" ist die bisher wohl konkreteste Arbeit des Kanadiers. Tanzbarer und noch tiefer grollend, hält sie sich irgendwo zwischen Club, Chill-Sofa und den (Regen)Wolken auf.

"Journeyman's Annual" ist am 15.6.2007 auf Scape erschienen.