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09.08.2020

Das Beste des (eigenen) Jahrzehnts: Sun Never Sets - The Absurd




SUN NEVER SETS - THE ABSURD


"Ich nehme seit 1998 Platten auf und schreibe seitdem sowohl eigene Texte als auch eigene Musik und es gibt praktisch keine veröffentlichte Song- und Textsammlung, für die ich nicht ohne Zögern einen Atomkrieg anzetteln würde, auf dass dieser selbst ausgedachte Schmonz endlich vaporisiert und also vom Antlitz der Erde getilgt wird."

Bon, so schwer wie der dramatisch anmutende Ausblick zum Ende des letzten Artikels - "Kommt ihr nie drauf!" - war es dann vielleicht doch nicht, denn auch wenn ich versuche, das Ego klein und die Demut groß zu halten und darüber hinaus ein Begriff wie "stolz" weder im Sprachschatz noch Wertesystem eine Rolle spielt, bin ich von den vier mit meiner Beteiligung entstandenen Alben aus dem vergangenen Jahrzehnt mit mindestens zwei über das normale Maß hinaus verbunden. Ich habe auf diesem Blog und anderswo nie allzu großen Wirbel um die eigene Musik gemacht, und weil die zwei verbliebenen Gehirnzellen in meinem Kopf in permanentem Autopilot-Modus gegeneinander kämpfen, stellt sich Herr Dreikommablödvier im stillen Kämmerlein doch immer noch manchmal die Frage, was hätte passieren können, wäre der Wirbel ein anderer, ein größerer gewesen. Dabei ist der Traum von der Karriere als Musiker doch schon seit zwanzig Jahren ausgeträumt. 

Die Chronologie der Ereignisse verlangt den Start mit "The Absurd" von Sun Never Sets, erschienen im Sommer 2011. Die Geschichte dieser Band ist nicht in fünf Sätzen erzählt, und es gibt keinen Grund, es nicht dennoch zu versuchen: ich stieß im September des Jahres 2000 zu der damals noch unter dem Namen Soleilnoir (sic!) operierenden Band, übernahm das Mikrofon und fand mich schon ein halbes Jahr später in den Bazement-Studios von Markus Teske (u.a. Vanden Plas und Charlie Dominici) wieder, um die erste EP "Drown" aufzunehmen. Ein Jahr später wurde es leider sehr turbulent: Ich stieg aus und kehrte erst im Mai 2009 an die alte Wirkungsstätte zurück, während die Band zwischendrin mit Sänger Maggot noch zwei weitere EPs ("Interlude" und "Nucleus") veröffentlichte. Und weil rechte Sackgesichter sich mittlerweile die Begriffshoheit über die "Schwarze Sonne" (Soleil Noir) angeeignet hatten und wir deswegen von übereifrigen Volltrotteln von volltrotteligen Volltrottelbands sogar von Konzerten ausgeschlossen wurden, entschlossen wir uns recht zügig zu einer Namensänderung - Sun Never Sets waren geboren. Unser letztes Konzert spielten wir vor ziemlich genau acht Jahren, im August 2012 in Frankfurt. Offiziell aufgelöst wurde die Band kurioserweise nie, der Engländer würde wohl eher von einem "indefinite hiatus" sprechen. 

Das sind die nüchternen Fakten. Aus emotionaler Sicht stehen meine viereinhalb Jahre als Mitglied dieser Band möglicherweise als die intensivsten Bandjahre im Lebenslauf. Ich lernte Wolfgang, Jörg und Steffi kurz nach meiner ersten Krebsdiagnose und -OP kennen, und Leben und Hirn drehten sich wie Brummkreisel. Ich war Stammgast in den medizinischen Abteilungen der Frankfurter Stadtbibliothek, musste mich gegen empathiebefreite Ärzte verteidigen und mit angsterfüllten Familienmitgliedern verhandeln, dazu war ich immer noch frisch verliebt, lernte jeden Tag soviel Neues, dass ich mich jeden Morgen wie tatsächlich neu geboren fühlte, und dennoch: die Zukunft war ungewiss. Ich begegnete all dem Irrsinn mit, logo: vollen Hosen und auch einem gewissen Hedonismus, der sich in erster Linie in wahren Kreativitäsexplosionen manifestierte. Die ersten Aufnahmen im Winter 2001 verbrachte die Band für eine volle Woche Tag und Nacht gemeinsam im Studio und ich werde die gemeinsamen Abende mit Musik, Diskussionen, Rauchwaren und Pink Floyds "Ummagumma" (natürlich bis heute ihre beste Platte, fight me!) niemals vergessen. 

Ähnliches ereignete sich auch bei den Aufnahmen im Winter 2010. Erneut waren wir bei Markus Teske zu Gast, dieses Mal aber gleich für ganze zwei Wochen. Und weil die neuerliche Kreativitätsexplosion derart ergiebig war, sollte es nun erstmals ein ganzes Album mit neun Songs werden; Songs, die allesamt in den vorangegangenen sechs Monaten geschrieben wurden. Für eine nicht rund um die Uhr professionell arbeitende Band ist das gar nicht so übel.

Als wir endlich mit unserem ersten Album das Studio verließen, war das für mich ehrlicherweise ein sehr bedeutender Moment. Nicht nur, weil es unser Albumdebut war, das wir in den Händen hielten. Auch und ganz besonders, weil ich zum ersten Mal erlebte, was möglich ist, wenn jeder an der Produktion beteiligte die Idee und die Leidenschaft teilt. Die Platte klingt für das Jahr 2010 und für die zwei Wochen Produktionszeit ausnehmend gut und wirkt selbst zehn Jahre später nicht unangenehm gealtert. Und ich muss das nun zugeben: ich höre "The Absurd" immer noch gerne - und das ist sehr ungewöhnlich für mich. Weil ich aufgrund der eingangs erwähnten und persönlich wahrgenommenen Unzulänglichkeiten von Musik mit meiner Beteiligung ansonsten immer schnell in den Krümeln suchen muss: da wackelt die Stimme! Das Wort ist falsch phrasiert! Das Timing stimmt nicht! Und was ist das bitte für 1 Text? Sich mit dem eigenen Versagen zu arrangieren ist nun wahrlich keine einfache Übung. 

Der Scharfrichter in mir hat natürlich auch bei "The Absurd" viel zu tun und ich könnte aus dem Stand zwei Dutzend Momente auf- und beschreiben, die schlicht falsch sind und etwas Besseres verdient hätten. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es - ich kann das nicht bestätigen. Der Mumpitz ist auch 10 Jahre später immer noch sehr real.  

Dennoch tut er meiner Verbundenheit mit dieser Band, dieser Zeit und dieser Platte keinen Abbruch. 

"The Absurd" erschien im Sommer 2011 in einer Auflage von gerade mal 50 CDs im Digipak und ist natürlich komplett untergegangen. Vom Zeitgeist waren wir ganze Universen entfernt (bei Konzerten hörten wir nicht selten "Geiiiil, voll Neunziger!"), im Bandumfeld gab es praktisch keine "Fans" mehr, weil wir bis auf Schlagzeuger Johannes alle schon viel zu alt waren und der Bekanntenkreis, sofern er noch existierte, sich längst mit Frau und Kind im Eigenheim befand, und auch wenn wir pro Jahr sicher um die 25 bis 30 Konzerte mitunter in den kleinsten Käffern und Löchern spielten, tat sich erschütternd wenig. Selbst dann nicht, als wir im Frühjahr des Jahres 2012 im Frankfurt Bett im Vorprogramm einer größeren Alternative Band aus den Staaten und also vor 400 Zuschauern spielten. Hinzu kam sicherlich als der möglicherweise entscheidendste Faktor, dass wir schlicht nicht mehr alles geben wollten und konnten. Einen kleinen fünfstelligen Betrag an eine Deppenagentur überweisen, um vier Wochen durch Europas schimmeligste Clubs zu tingeln? Familie und Job aufs Spiel setzen? Im allerbesten Fall war die Mehrheit von uns, mir inklusive, in dieser Hinsicht indifferent - und das ist dann einfach zu wenig. Eigentlich ist man damit auch gleichzeitig sehr nahe an der Selbst-Sabotage. Und natürlich kann man das machen, aber dann verbietet sich streng genommen auch die Jammerei.  

Trotzdem: hätten ein paar mehr Leute die Möglichkeit gehabt, "The Absurd" überhaupt mal zu hören, wäre vielleicht ein bisschen mehr drin gewesen. Ich bin natürlich komplett voreingenommen. Für mich ist das immer noch eine tolle und ganz persönlich sehr wichtige Platte. 

Mittlerweile ist das Album praktisch nicht mehr digital erhältlich, daher habe ich es auf meinem Soundcloud-Account hochgeladen. Vielleicht wird es ja zehn Jahre später noch von ein paar Menschen entdeckt. Verdient wäre es.


25.06.2016

Detroit got stupid, it was time to blow




BLAIR FRENCH - THROUGH THE BLINDS



Ich habe eine Vorliebe für diese kleinen, leisen, zaghaft funkelnden Platten, die unter jedem Radar laufen. Die kosten dann ganz nebenbei auch nicht viel. Ist komisch, aber sowas gibt's tatsächlich noch: Ein Vinylalbum für dreizehnneunzich mit primagutem Artwork und primaguter Pressung, außerdem in der Rubrik: "Platten nach Cover kaufen". Aber lasst uns alle mal lieber die limitierte 7-LP Box von Creedence Clearwater Revival für 110 Euro heim ins Reich holen. Ist besser für uns alle. Vor allem aber für Creedence Clearwater Revival.

Blair French aka Dial.081 ist ein experimenteller Ambient und Technoproduzent aus Detroit, dessen vor vier Jahren erschienener Soundtrack zum Film "Detropia", einer Dokumentation über 

"the decline of the economy of Detroit due to long-term changes in the automobile industry, and the effects that the decline has had on the city's residents and infrastructure"

den Cinema Eye Honors Award für den besten Soundtrack des 2012 einheimsen konnte.





Der Trailer:





"Through The Blinds" ist in Blair Frenchs Worten das Ergebnis der Entwicklung einer langen Hip Hop-Karriere zur Ambientmusik. Von Hip Hop ist folgerichtig dann auch nichts mehr zu hören, dafür gibt es herbstlich knirschendes Eislaub, dezente Kälte, ein bisschen Nebel und neoklassisches Pianogetupfe. Bis hierhin ist das nicht über Gebühr aufregend zu lesen, je sais, mais: da gibt es ja noch das Besondere auf "Through The Blinds"; das, was sich versteckt, sich vergräbt - und selbst meine Wenigkeit hat es erst ziemlich spät gemerkt. Es ist die Anziehungskraft dieser Musik. Die sich durch den sandigen, etwas angegrauten Noiseteppich durchwürmelnden Melodien sind betörend, und wenn ich unbedingt ein Bild davon zeichnen wollte, wie sich das anfühlt, wenn sich so ein hellblaues, cremiges Licht durch das trübe Dickicht bricht: wie die Lieblingskuscheldecke am Weihnachtsabend. 

Im Prinzip ist "Through The Blinds" nur für mich (und für Dich, natürlich!) gemacht worden, weil sich alles so nah, vertraut und heimisch anfühlt. Das Ergebnis: nach zehn Tagen Dauerrotation für Melanie De Biasios "Blackened Cities" gab es zehn Tage Dauerrotation für "Through The Blinds" - durchaus begünstigt von dem, was man früher "Wetter" nannte. Bei 14° Grad, Nieselregen und einem viertel Orkan Mitte Juni lässt man sich lieber den heißen Kakao durch die Unnerbüx' laufen, als die Cocktailschirmchen rauszuholen.

Kein Aufschrei, kein Blitzlichtgewitter, kein Hype - mehr down to earth als "Through The Blinds" geht fast nicht. Ein Ambientwerk für die intellektuelle Arbeiterklasse. Was inhaltlich freilich ein Quadratscheiß ist, aber es liest sich gut. Musikjournalismus 2016, you're welcome. 






Erschienen auf Delsin Records, 2016.


26.05.2016

INC No World - The Wheel



Vor über zwei Jahren schrub ich über "No World" des Duos INC, es sei 

"eine Art blauer Cremigkeit, eine zärtliche und unprätentiöse Musik ohne Rockstargestus, ohne jedes Klischee, mystisch, esoterisch. Mit den in sich verlaufenden, übereinandergelegten Layern ihrer komplexen Arrangements und mit dem Entzug von allem Stofflichen ist "No World" die Ambient-Version des Soul. Eine einzigartige Musik."

Außerdem phantasierte ich damals über ganze zwei Absätze über die mutmaßlichen Guten Morgen-Rituale eines gewissen Prince Rogers Nelson und dessen Kuttelmüsli, das die Backen straff hält - aus heutiger Sicht wirkt das besonders vor dem überraschenden und immer noch bestürzenden Tod von Prince eventuell etwas verstörend, zumal sich der direkte Zusammenhang mit "No World" nicht jedem auf das erste Hören erschloss, aber für mich ist das Debut der beiden Brüder Andrew und Daniel Aged auch heute noch eine eingedampfte, heruntergedimmte, tranceartige Version des Purple One. 

An anderer Stelle äußerte ich darüber hinaus die Vermutung, "No World" könnte in zwanzig Jahren als vergessenes Juwel der 2010er Jahre gelten und im aktualisierten Kanon jener Alben geführt werden, die man besser gehört haben sollte, bevor Gevatter Tod an die eigene Tür klopft - das ist weniger verstörend, als immer noch sehr wahr und es verwundert deswegen irgendwie nur ein bisschen, dass es danach sehr ruhig um das Brüderpaar wurde - ein Hype sieht ganz bestimmt anders aus.

Vor wenigen Tagen veröffentlichten die beiden unter dem halbneuen und erweiterten Namen INC No World den neuen Song "The Wheel", einen sechsminütigen und auf Hawaii produzierten, typisch perlenden Magic Mushroom-Eintopf aus einer heißen Nacht am Strand, bunt flackernden Farben und subtiler Sexyness. Ich will unbedingt ein neues Album. Und bitte schnell, der Sommer ist hier Mitte August schon wieder vorbei. 





28.04.2016

Driftwood




Hey, der November ist zurück. Mit etwas mehr Farbe an Baum, Busch und Rasen, zugegeben, aber die wärmenden Sonnenstrahlen von vergangener Woche sind nur noch müde Erinnerung. Es ist wieder arschkalt. Und ich habe mich von den Sonnentagen sauber verwirren lassen: die morgendliche Modeauswahl mit mintgrünem Hipsterschal, einem leichtem Leinensakko und Kurzarmhemd sind jetzt für den Popo, die sorgfältig zusammengestellte Parfumkollektion für den Frühling wandert zumindest vorübergehend wieder in den in einer abgedunkelten Ecke meiner 3,40qm stehenden Humidor (wegen der Duftmoleküle!) und wird mit den trübdiesigen Herbstdüften ausgetauscht, und auch die beschwingte Locker-Wie-Ein-Himbeer-Haferflocken-Brennessel-Smoothie-Musikauswahl, die mir in den letzten Jahren zur liebgewonnenen Tradition wurde und mich also jedes Mal aufs Neue in die scheue Frühlingssonne begleitete, um dem ollen Dreckspenner Winter mal zu zeigen, dass man auch als alternder und mürrischer Misanthrop noch sowas wie Lebensfreude, Leidenschaft und Begeisterung spüren kann, wenn die Quecksilbersäule die +15°C-Marke übersprungen hat, erscheint bei sagenhaften drei Grad plus, Starkregen und Noch-Stärker-Wind plötzlich schrecklich unangemessen.

Aber er kommt, der Frühling - und wenn's September wird: auch gut!!einself! Und zur Vorbereitung auf das, was da so kommen mag - also Sonnenbrand, Mückenstiche und halbnackte, tätowierte und schwitzende Stiernacken vor der nächsten in einer unschuldigen Fußgängerzone aufgestellten Latrine aus dem Hause Hollister - tut's auch ein frischer Winterabend im Beinahe-Mai. 

Vor vier Jahren hat DJ Eric Cloutier einen Mix seiner 12"-Sammlung des mittlerweile nicht mehr existierenden Labels Driftwood via Soundcloud veröffentlicht, im Jahr 2016 hat Placid_88 aka Paul Wise aus Bristol nachgelegt. Driftwood brachte zwischen 2000 und 2002 lediglich zehn 12"-Inches heraus, die mittlerweile nicht nur im Klassikerkanon des Deep und Tech House auf ewig festbetoniert sind und von einer eingeschworenen Fangemeinde geradezu kultisch verehrt werden, sondern deren physische Kopien darüber hinaus für schwindelerregend hohe Geldbeträge den Besitzer wechseln. Die normale Version eines solchen Exemplars, also ohne das Testpressungs- und Whitelabel-Promo-Klimbim, gibt es kaum für unter 75 Euro, während nach oben nur the sky the limit ist. Und auch wenn es nur zehn Releases sind: das läppert sich. 

Der Mix von Placid lief folgerichtig letzte Woche bei 20°C, Acqua di Parmas "Colonia" und mit, äh, mitgrünem Hipsterschal auf Endlosschleife, auch und ganz besonders deswegen, weil ich gerade keinen Tausender übrig habe, um Discogs leer zu kaufen. In erster Linie aber, und das ist der springende Punkt: man kann schon verstehen, warum sich sowohl das tanzende Volk als auch die urbanen, vor sich hin dampfenden Intellektuellen darauf verständigt haben, Driftwood als eines der größten, besten, tollsten Labels der Szene zu adeln. 

Wenn man es mal gehört hat.

Könnt ihr jetzt auch. 

Hören. Und Downloaden kann man es auch noch. 

Enjoy. 




17.01.2016

2015 ° Platz 13





FELIX LABAND - DEAF SAFARI


Gewöhnlicherweise haben die Herzallerliebste und meine Wenigkeit nur selten ernsthaftere Auseinandersetzungen über die getroffene Musikwahl. Selbst wenn Herr Dreikommaviernull einen seiner zwar seltenen, aber dafür eben nicht gerade leisen Thrash Metal-Anfälle bekommt, herrscht, sieht man von vereinzelten Giftpfeilen ab, wenn es ganz arg doll schlimm wird, meistens durchaus Verständnis im Wohnzimmer. Bei Felix Labands "Deaf Safari"-Album sieht die Sache überraschenderweise ganz anders aus, und dabei sind wir von Thrash Metal gleich ganze Universen entfernt. Bei Laband zeigten sich die Giftpfeile eher als die berüchtigten 16t Gewichte Monty Pythons

Ich halte das für eine durchaus gesunde Reaktion auf Musik, jedenfalls ist mir kulturelle Reibung lieber als aalglattes Abnicken und windelweicher Konsum. Für beide letztgenannten Punkte ist der Südafrikaner Felix Laband zumindest auf "Deaf Safari" der falsche Ansprechpartner, aber das liegt weniger an seiner Musik, denn die ist so bunt, künstlerisch, melodisch, blumig und sogar sensibel wie auf dem mittlerweile zehn Jahre alten Vorgänger "Dark Days Exit". Vielleicht sind seine Tracks dieses Mal wegen der satten 4/4 Bassdrum tanzbarer und weniger ätherisch, wofür in erster Linie die verarbeiteten Einflüsse aus dem Kwaito-House verantwortlich sind, einem Musikstil, der sich in den 1990er Jahren entwickelte und zum Symbol für die Veränderungen zwischen den Apartheid- und Post-Apartheid-Generationen wurde. Vielleicht schlägt das die inhaltliche Brücke zu den Vocalloops, die "Deaf Safari" zum Leidwesen der Herzallerliebsten so dominieren und die der Platte soviel Kraft und Energie in die Plattenrillen ritzen: aggressives, schamanisches Gebrabbel und Geschrei, Gebete, Voodoo, Zauberei, Beschwörungen, Verfluchungen bis hin zum Vergewaltigungsbericht aus einer Nachrichtensendung. Es sind diese Gegensätze zwischen einer weitgehend entspannten Musik einerseits und provokanten Stimmen und Texten andererseits, die "Deaf Safari" zu einem inspirierenden und sehr intensiven, manchmal ziemlich unangenehm berührenden Album machen. 

In diesem Zusammenhang empfehle ich den Griff zur im Vergleich mit der digitalen Ausgabe etwas gekürzten Vinylversion, die kompakter und ausgewogener erscheint und damit gegebenenfalls die Nerven etwas entlastet. Der Downloadcode liegt bei, daher geht auch nichts verloren.




Erschienen auf Compost Records, 2015.


10.01.2016

2015 ° Platz 17




AU.RA - JANE'S LAMENT


Ich muss eine mir bislang weitgehend verborgene Vorliebe für australische Bands haben, zumindest für jene, die tief im Untergrund, im Halbschatten, unter dem Radar fliegen und zu warmgestrulltem Foster's einen schwülen, verhallten Shoegazerock mit geschlagener Magic Mushroom-Sahne spielen. Vor zwei Jahren hatte ich mich in die Absolute Boys verknallt, einem Trio, das mittlerweile und wie bereits befürchtet die Segel gestrichen hat, im Jahr 2015 war es "Jane's Lament" des Duos Au.Ra aus Sydney, das mich immer wieder magisch in Richtung Plattenteller zog.

Ihr schwelender und zugleich funkelnder Sound, wie ein nur noch vor sich hinglimmendes Lagerfeuer aus Klang, bewegt sich nicht nur musikalisch in den Zwischenwelten: zwischen perlenden Gitarren der Londoner Indiestars der achtziger Jahre wie in "You're On My Mind" mit halbwegs aufgeräumtem Laissez Faire-Gestus und verwuschelter Hipsterfrisur, und melodisch-monotonen Noisegroovern eines "Spare The Thought", das den Sex, die Drogen und das Rotlicht (pun intended!) vom frühen Black Rebel Motorcycle Club abbekommen hat, haben Tim Jenkins und Tom Crandles mit "Jane's Lament" aber auch ein Album für die Dämmerung geschrieben. Für die Momente zwischen Wachen und Schlafen, für das Zwielicht. Für einen diesigen Wintermorgen in verkrumpelten, noch schlafwarmen Bettdecken, mit Nichts zu tun - außer den Seelenpartner und eine heiße Tasse Kaffee zu umarmen.

“As the sun sets earlier, this is an album to savor with the dying light.”





Erschienen auf Felte, 2015


29.08.2015

Wetterläuten




WETTERLÄUTEN - WETTERLÄUTEN


"Das Wetterläuten war in früheren Zeiten ein Brauch, um Unwetter abzuwehren."

Unheilvoll. Dunkel. Bedrohlich und zerstörerisch. Mystisch. 

Wie mit Leben aufgeladen, autark und intelligent, auf der Suche. Unbarmherzig zieht der Sturm heran. Er holt sich Verbündete. Er sammelt sich seine Armee zum Überfall. Der Teufel hat es sich zur Bestrafung ausgedacht. Oder war es doch der liebe Gott?

"Bei einem drohenden Gewitter musste vom Pfarrer oder vom Mesner genau zum richtigen Zeitpunkt die Kirchenglocke geläutet werden, damit sich das Unwetter nicht über dem Ort entlud."

Der Pfarrer muss das Unheil genau beobachten. Er braucht ein exaktes Timing. Hin und hergerissen zwischen herannahender Apokalypse und trügerischer Ruhe. Jede Bewegung und jede Veränderung werden wahrgenommen. Abwehrmaßnahmen zwischen kraftvollem Auftürmen von Mut und fragiler Betonung der Ohnmacht. 

In Zeitlupe fließen Bilder und Klang vorbei, man sieht und hört fassungslos zu. 

"In zahlreichen Salzburger Gemeinden wurde der Brauch des Wetterläutens bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts beibehalten."

Das Trio Werner Cee, Norbert Grossman und Eva Korn nimmt sich selbst eher als "musikalisches Konzept" als eine Band wahr. Ihre freien Improvisationen mit Gongs, Synthesizern, Lapsteel-Gitarren und Electronics sind zunächst abstrakt, sie entwickeln sich in der Kombination mit dem zu Grunde liegenden Konzept zur beweglichen Gestalt, wirken trostlos und phantasievoll zugleich. Sie sind aber vor allem konkreter Bestandteil der erzählten Geschichte und nicht getrennt von der Hoffnung, dem Glauben, der Angst und der Erleichterung. 

"Weitere Bräuche zum Abwehren von Unwettern waren das Aufstellen von Wetterkreuzen, das Anzünden von Wetterkerzen und die Anrufung bestimmter Wetterheiliger."

Was fehlt ist die Auflösung und damit die Distanz. Archaicher Aberglaube, gewiss - aber plötzlich ist die Gegenwart unscharf und die Vergangenheit wird erfahrbar - eben gerade, weil sich "Wetterläuten" derart intensiv mit ihr verbindet. Und dann ist der Punkt erreicht, an dem man mitleidet. Es ist doch das normalste der Welt, Wolken, Sturm und Regen mit Gottes Glocken (sic!) zu vertreiben. 

Halt du sie dumm - ich halt sie arm.




Erschienen auf Reue um Reue, 2014. 


Zitate von: http://www.salzburg.com/wiki/index.php/Wetterl%C3%A4uten


27.07.2015

Schleier




VALET - NATURE


Valet ist zurück. Und Honey Owens ist damit ebenfalls zurück. Sieben Jahre nach ihrem Debutalbum "Blood Is Clean", einer zwischenzeitlichen Fokussierung auf elektronische Clubsounds mit Ihrem Partner Rafael Fauria unter dem Namen Miracles Club und der Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 2013, ist "Nature" das erste Lebenszeichen der Künstlerin aus Portland seit geraumer Zeit.

"Nature" ist nicht nur deshalb eine Überraschung. Valets Musik war immer an mehr oder minder klassischem Songwriting orientiert, dabei aber abstrakt, zerfasert und experimentell - und dieses sich daraus entwickelnde Spannungsfeld passte zu Kranky Records wie die Blüte auf die Rose. "Blood Is Clean" war eine eindringliche Seance aus Songwriter-Noise und Indie-Avantgarde, intensiv glühend, aber immer mit gebührender Distanz zum Gegenüber. Sirenenhaft lockend, und doch fast ängstlich. Was gut war, weil damit die süßliche Anbiederung der übrigen Indiegemeinde fehlte. 

"Nature" ist indes von einem anderen Kaliber und es scheint, als hätte das Team Owens, Fauria und der Multiinstrumentalist Mark Burdon die Sounds und die Ideen der Zwischenstation vom Miracles Club einfließen lassen. "Nature" ist beeinflusst vom Spacerock und der Shoegazerszene der späten achtziger und frühen neunziger Jahre, ein dicht inszeniertes, aber dabei überaus melodisches, wirklich songorientiertes Album mit verhallt-schwebenden Gitarrenwänden, üppigen Sythieflächen, und einer Honey Owens, die aus den tiefsten Höhlen und den höchsten Himmelsphären zugleich monotone Gesangslinien aus frischer Zuckerwatte zusammenrührt. In meinem Herzen klingt das sehr versöhnlich, euphorisch wie bittersüß - und nur ein ganz kleines bisschen nach dem Ritt auf einem rosa Elefanten und einem Schluck aus einer verwunschenen Kokosnuss (mit einem kleinen Schuss LSD drin). 





Erschienen auf Kranky, 2015.


20.07.2015

Summertime and the Seele is baumeling




JOSÉ PADILLA - SO MANY COLOURS


Ein kurzer post-sonntäglicher Einwurf, weil's in der Gehirnbehausung gerade so schön vor sich hinkokelt:

Ibiza-Legende, Cafè del Mar-Erfinder, weltweit gefragter DJ: Wenn Du Deinen Sommer in der Hängematte im Grünen, bei Eiskaffee, eisgekültem Cuba Libre und außerdem neben einer Salmonellenofteismaschine verbringst und dazu einen Soundtrack brauchst, der in der lockersten Strandbar aller Zeiten spielt, dann empfiehlt Dein Lockerpeter von 3,40qm heute die neue Solo-LP von José Padilla.

"So Many Colours" ist das erste Studioalbum des Spaniers seit rund 15 Jahren und gemeinsam mit Henning Severud alias Telephones, Jan Schulte alias Wolf Müller, Tornado Wallace sowie Mark Barrot produziert - und auf Barrots Internationel Feel-Label ist das Album auch erschienen.

Bunte Farben, heißer Sommer, sonniger Pop, flache Atmung, keine Hose - alles keine Probleme für uns Premiumgörls und -tüps. Fahne auf Halbmast, Stimmen im Wind, Eiswürfel in den Ohren.






05.07.2015

Rain Dance @ Silent Season


Eigentlich sollte hier heute Abend etwas über die neue Armored Saint LP stehen.

Wir verschieben das mal.

Tanzt für Regen. Los jetzt.






Mixed by Silent Season

21.06.2015

This was your life





FELIX LABAND - DEAF SAFARI



Das Cover von Felix Labands erstem Album seit viel zu langen zehn Jahren hat mit einem bedeutungsvollen Nicken in Richtung des Artworks seiner 2005 erschienenen Platte "Dark Days Exit" zwar ordentlich Corporate Identity übergebügelt bekommen, sorgt im Hause Dreikommaviernull, und hier ganz besonders bei der Herzallerliebsten, für verstörte Blicke und deutlich wahrnehmbare atmosphärische Spannungen - und die LP-Version mit folgerichtig riesigem Cover kann dabei helfen, verstärkt auf die Plattenhygiene im Wohnzimmer zu achten, soll es nicht noch schlimmer werden.

Zu meiner eigenen Überraschung werden die erwähnten Differenzen beim Durchhören des Albums nicht nur nicht kleiner, sie werden beinahe zu einer echten Herausforderung. Ich twitterte es neulich bereits: beim epischen "The Devil Threatens Me" zeltet die Mitbewohnerin mental vor der Klagemauer und wirft mir alle paar Minuten ein "Was ist das denn für ein Scheiß?" vor meine qualmenden Ohren - hier könnte ich zur Verbesserung des Klimas glatt "Decade Of Aggression" der Thrashopas von Slayer auf den Player betonieren und die Anlage derart aufdrehen, dass die Bevölkerung in Uruguay noch etwas davon hätte.


"Deaf Safari" ist tatsächlich kein Easy Listening für den Sommer. Der südafrikanische Produzent ist hinsichtlich der kulturellen Verschmelzung elektronischer Tanzmusik mit der Musik und Kunst vor seiner Haustür, um das große Bild zu verwenden: seines Lebens, den berühmten Extraschritt nach vorne gehopst und nach eigener Aussage endlich in seiner Mitte angekommen. Laband hat mit Musik- und Sprachsamples aus seiner Heimat eine musikalische Collage kreiert, die zwar fast immer auf dem berüchtigten 4/4 House-Beat basiert, aber mehr als nur Flashbacks aus afrikanischer Tradition provoziert. Laband verweist hier besonders auf den Kwaito-House Südafrikas, einem Musikstil, der sich in den 1990er Jahren entwickelte und zum Symbol für die Veränderungen zwischen den Apartheid- und Post-Apartheid-Generationen wurde. Diesen zwischen Schwerelosigkeit und aufgeheiztem Bewegungsdrang umhertaumelnden Sound verziert Laband sehr prominent mit fast schmerzhaft intensiven Spachsamples aus Nachrichtensendungen, rituellem Zulu-Gesang und wildem Schamanistengeschrei, mit großer Perfektion ausgewählt und sorgfältig auf jeden passenden Beat getupft. Auffällig ist die Schwere, die die oftmals leichtfüßige Musik damit erhält, und wie stark sich der Fokus auf die Stimmen und die Worte konzentriert.

"Deaf Safari" ist Instrumentalmusik, nur mit Worten.    







Erschienen auf Compost, 2015.


12.06.2015

BVDUB - A Step In The Dark




BVDUB - A STEP IN THE DARK


Hallo, hallo, hallo! Ihr seid auf dem inoffiziellen Werbeblog für Brock van Wey aka BVDUB und meine lilafarbenen und in die Hose gesteckten Olymp-Hemden flattern in der Flatulenz eines Riesenwarans. Der Grund: Weil! Und weil es eine neue Platte gibt. 

Das erste musikalische Lebenszeichen van Weys im Jahr 2015 und damit seit seinem letztjährigen "Tanto"-Meisterwerk, für das er übrigens kürzlich den eingenommenen Betrag von 2005,00 US-Dollar gleich wieder an Organisationen spendete, die an einem Heilmittel für die tödlich endende Katzenseuche FIP (Feline Infektiöse Peritonitis) arbeiten, an der seine Katze starb:
i'm extremely proud and grateful to have been able to make a $2,005 donation in Tanto's name to SOCK FIP and the UC Davis Center for FIP Research. all of this was made possible by all your amazing kindness and support of the album, the cause, and real and true love. as promised, 100% of my costs were also donated, i haven't taken or recouped a penny, and i never will. any and all future sales of the album, both physical and digital, will be donated as well. 
i would also like to add my thanks and respect to SOCK FIP (a completely non-profit volunteer organization who works with UC Davis solely on researching a cure for FIP) for their promise that 100% of the donation will go directly to research for a cure, rather than other, though necessary, satellite costs. 
thank you all for helping make this happen, and for honoring Tanto in the amazing way you have made possible. i'm forever in your debt. 
brock

"A Step In The Dark" erscheint offenbar exklusiv auf dem japanischen ANAY Label, auf dessen Website man das Album in der CD-Version inklusive Download, oder nur als Download sehr unkompliziert bestellen kann. Ich freue mich sehr darüber, denn es ist (natürlich) wieder großartig.

Einige Samples (grrrr) lassen sich auf Soundcloud finden - oder eben genau und jetzt: hier.





Erschienen auf ANAY, 2015.

27.05.2015

Elliptic



Wenn "Elliptic", ein Song auf Vessels' im März 2015 erschienener LP, nicht schon im Jahr 2013 veröffentlicht worden wäre, dann hätten wir hier bereits und ohne große Bedenken den Song des Jahres 2015 küren können.

Anfangs hat man noch ein paar Sorgenfalten im Gesicht, das sei alles zu brav und bieder - bis man sich nach wenigen Minuten im dicksten, schönsten Groove der Welt wiederfindet, den Kopf während der Fahrt zum "Nagelstudio" (H.Schneider) vor Begeisterung auf das Lenkrad aus 100% gedrechselter Naturjute schleudert, mit blutiger und verbogener Nase zu seiner Beifahrerin "Uff, geiler Song!" näselt und als Antwort "Ha, dachte ich auch gerade!" zurückbekommt.

Die "Dilate"-LP gibt es beispielsweise auch über Bandcamp - und wird dort sogar im Paket mit einem Fair Trade T-Shirt ("ethically sourced, organic ringspun 155gsm cotton T-shirts by Stanley & Stella") angeboten.

30.11.2014

Chances With Wolves - Gil Scott Heron Memorial Show


Chances With Wolves ist der Name einer Radiosendung aus Brooklyn, die jeden Montag zwischen 18:00 und 20:00 auf dem zunächst eingestellten, nun aber wiederbelebten East Village Radio läuft.





Ich bin kürzlich über ihre Gil Scott Heron Memorial Show gestolpert, die im Juni 2011 und damit kurz nach Scott-Herons Tod ausgestrahlt wurde und die man entweder via Soundcloud streamen, oder aber unter dem Blog der Macher sogar herunterladen kann. Die anderen Sets, die auf jenem Blog zu finden sind, sind darüber hinaus auch sehr zu empfehlen.

Knapp zwei Stunden der besten Musik vom großen Poeten und Rebellen Gil Scott-Heron. Am End' könnte euch das gefallen.

Enjoy.

16.11.2014

Der Weg ist das Ziel - und er liegt voller Rosenblüten



MARK BANNING - JOURNEY TO THE LIGHT


"One of the most beautiful new age records ever recorded. One of the most beautiful instrumental records ever recorded. One of the most beautiful records ever recorded, period."

Vor einigen Tagen, tief in der Nacht, die Kirchturmuhr muss schon drei oder sogar vier Mal geschlagen haben, zappten sich Frau und Herr Dreikommaviernull noch durch das Nachtprogramm und blieben auf dem Raumschiff Enterprise hängen. Auf der Originalserie wohlgemerkt, die zwischen 1966 und 1969 produziert und nach drei Staffeln wegen geringer Zuschauerquoten (!) eingestellt wurde. Ich bin eher der wortwörtlichen "Next Generation" zuzuordnen und konnte mich für die erste Inkarnation der Sternfahrer nie so recht erwärmen. Dass die Crew mit einem winzigen Budget zu kämpfen hatte, ist natürlich an allen Ecken und Enden zu sehen; der ganze Salat ist irrsinnig langsam und hölzern inszeniert, wenngleich es natürlich schon spannend zu beobachten ist, wie man sich in den sechziger Jahren die Zukunft vorgestellt hat. Aber diese Requisiten! Die, äh, Möbel. Die Tische und Stühle. Selbst die verfluchten Wände. Die Farben. Die Kostüme. So modern darf man selbst 2014 gar nicht mehr sein, sonst geht's ruckzuck aufs Designerschafott. Manchmal scheint's, wir entwickeln uns zwischen all dem in den Hals gedrückten Krempel von Apple und Primark und der Rügenwalder Mühlenwurst viel weiter zurück, als es uns lieb sein kann. 

Mir ist dieses nächtliche Erlebnis eingefallen, als ich Mark Bannings "Journey To The Light" gehört habe. Auch hier kann man ganz wunderbar weit in die Vergangenheit blicken, ohne sich allzu weit aus der Gegenwart herauszulehnen - und gleichzeitig darf man sich fragen, ob wohl so die Zukunft klingen mag. 

Nach diesem Worthirnsalat braucht's zwei, drei geradeaus formulierte Sätze: "Journey To The Light" ist topmodern. Es ist völlig faszinierend, dass diese 1984 aufgenommene und 1985 veröffentlichte, nun 30 Jahre alte Schwebewolke aus New Age Gitarrengeflirre klingt, als sei sie vorgestern komponiert und noch vor dem Abendessen aufgenommen worden. Und gleichzeitig bietet das vom rührigen Students Of Decay-Label ausgegrabene Album einen Einblick in das Selbstverständnis einer Generation in den achtziger Jahren zwischen Poststrukturalismus und damit einhergehender Realitätskritik. "Journey To The Light" lebt und atment in diesen letzten dreißig Jahren und scheint bis heute Geschichte und Moderne gleichermaßen aufgesaugt und in das von ihm entworfene Bild eingebaut zu haben; es pendelt zwischen Dekonstruktion und Assimilierung, zwischen postmoderner Freiheit und romantischer Verlustemotion. Das ist spannend zu hören und zu entdecken. Bannings spiritueller Eskapismus bringt aber gleichzeitig Frieden, innere Einkehr und Reflektion - und das völlig ohne verkopfte Theoriemodelle. 




Original erschienen auf Creative Sound, 1985.
Re-Issue erschienen auf Students of Decay, 2014.

10.11.2014

Eimer Rauchen & Sellerie Einlauf



DEEPCHORD - LANTERNS



Die beste Dubtechno-Scheibe des Jahres 2014, soviel sei in Hinblick auf die große Jahresbestenliste heute schon verraten, wurde im Mai auf Astral Industries veröffentlicht. Deepchords "Lanterns" erschien vor einem halben Jahr ausschließlich als beschämend teure und auf 500 Stück limitierte Doppel-LP mit zwei unterschiedlich eingefärbten durchsichtigen Vinylscheiben, wunderbarem Artwork inklusive eines Riesenposters. Die Aufmachung ist schon aller Ehren wert, wenngleich mir dieser aus "limitiert & teuer" zusammengeflickte Exklusivitätsteppich immer noch schwer aufs Gemüt schlägt; die dazu passende Musik ist geradewegs ein Erlebnis. Im Vergleich mit dem ebenfalls exzellenten, dezent kratzigen und bisweilen kühl und distanziert klingenden "20 Electrostatic Soundfields" aus dem vergangenen Jahr, hat "Lanterns" indes weniger den Charme von verstaubten Industrieanlagen im Herbst, die mit Stroboskopfeuerwerk angestrahlt werden. "Lanterns" ist in allen Bereichen homogener und wirkt dadurch introspektiver als Deepchords frühere Arbeiten - die durchgehend auch nicht von schlechten Eltern waren. 

"Lanterns" brachte mich immerhin mit seinen leise vor sich hin schachernden Beats, die sich so wunderbar in das blitzende Noisegestrüpp einpassen, dem tongewordenen Tunnelblick in die Nacht und dem sich subtil und fast verschämt zeigenden Hedonismus dazu, meinen seit dem letztjährigen Umzug stillgelegten und astrein benamten "Space Projektor" von Mathmos wieder anzuschmeißen, um im tiefsten Rot mit diesen gut 64 Minuten Musik gemeinsam durch die Sossenheimer Nacht zu glühen. 

2012 war es die "Voices From The Lake"-LP mit ihrer todessehnsüchtigen Unterwasser-Glory, ein Jahr später verschlug mir Segues "Pacifica"-Schulung in strahlendem Weiß die Sprache, im Jahr 2014 ist es der verschwommene, pulsierende, ziellose Weg durch den Untergrund der Großstadt von "Lanterns", der mich durch das Leben trägt.



Erschienen bei Astral Industries, 2014.

17.10.2014

Karmanacht



SEVERENCE - HIDDEN CEILINGS



Wer sich an der Schnittmenge von Dub Techno und Ambient erfreut, musste im Jahr 2013 früher oder später über dieses Album stolpern. In meinem Falle war es spektakulärerweise und völlig unvorhersehbar eher später, denn als ich, wie ich meinem last.fm-Profil entnehmen kann - es ist schon alles ein verrückter Scheiß - am 18.Oktober, also praktisch fast genau vor einem Jahr, "Hidden Ceilings" zum ersten Mal hörte, konnte ich mich bis zum Jahresende schlicht nicht entscheiden, ob es Bestandteil der Jahresendabrechnung werden soll, oder nicht. Die aufmerksamen Leser werden es jetzt in die Welt, oder zumindest in die Kloschüssel herausschreien:"NEIN! ES WAR NICHT BESTANDTEIL DEINER BEKNACKTEN TOP 20-LISTE, WIEHER!". Was einwandfrei richtig ist. 

Ich entschied mich schlussendlich gegen das Werk von Eliot Denmark, und es kann nur ein kurzer Tagesaus-, beziehungsweise unfall gewesen sein, der mich dazu zwang, vielleicht war es auch die starke Konkurrenz oder ein langjähriges Frisurenleiden, ich weiß es nicht. Dabei wäre eine Platzierung locker, Achtung, ein Plusquamperfekt: zu vertreten gewesen; eine Bewertung, die jetzt im neuerlichen Herbst, also in dem des Folgejahres, mehr Sinn denn je macht. Denn Denmarks Musik ist keine für den Sommer oder den Frühling, sie ist keine seichte Untermalung von im Sonnenwind wehenden Kleidern, Haaren und Pimmeln, es ist keine entspannende Hintergrundberieselung für Studenten-WGs nachts um 4. "Hidden Ceilings" ist nicht cool - denn Denmark vermeidet jedes Klischee. Dunkel, lebensfeindlich, manchmal bedrohlich. Keine Bange, das passiert nur, wenn sich die falschen Bilder im Kopf ausrollen. Außerirdische, fremde Planeten, tödliche Strahlung, Alufolienhut, Markus Lanz. Oder ein verlassendes Hallenbad auf dem Saturn. Die öffentlichen Mittel haben halt auch dort gefehlt. Die Bibliothek ist auch geschlossen, sagt man.

Der gebürtige Londoner, den es im Jahr 2001 ins spanische Murcia verschlagen hat, hat mit seinem Debut auf dem deutschen Bine-Label ein bemerkenswertes, weil mit ästhetischer Balance komponiertes Album produziert, das sowohl die Stille, die Dunkelheit und das Introvertierte, als auch die subtile Gefahr, das Lauern und den Schmutz auf eine impulsive, dringliche Art herausarbeitet. 

Wo auch immer wir uns hier in diesen 72 Minuten befinden, es ist stets die süße, zerstörerische Realität.




Erschienen auf Bine Music. 2013. 

07.10.2014

Wärmflasche



SECRET PYRAMID - MOVEMENTS OF NIGHT

Es ist Freitag der 26.September 2014. Ich habe seit vier Tagen Urlaub und das ist der erste Moment, in dem ich ihn wirklich spüren kann. Ich sitze mit einer Kanne Jasmintee auf der Couch, neben mir liegen Schnuffel und Kleini, zwei unserer Mitbewohner. Meine Welt ist ruhig. Ein Sandelholz-Räucherstäbchen nebelt das Wohnzimmer und die 3,40qm große Ecke aus Luft, Liebe und Musik ein, aus der ich seit über sieben Jahren geschwungene Wortklumpen herausstampfe, und ich höre mich endlich durch den Stapel der seit Tagen noch verschweißten LPs. Sortiere die nächsten Blogposts. Räume die digitale und analoge Musikbibliothek auf. Recherchiere. 

Lege "Movements Of Night" auf den Plattenteller. 

Und alles ist Herbst. Und salzig, erdig, rot-braun. Elementar. 

Es folgt der sich nur selten bahnbrechende Reflex, zu dieser Musik sofort etwas zu schreiben. Bevor der Alltagssturm wieder kommt und ich wieder den Halt verliere. 

"Movements Of Night" ist gleichermaßen subtil und kraftvoll, überlegt, mit großer Weite und Tiefe. Eine dieser Platten, die mich schon nach den ersten Sekunden in ihren Bann ziehen, weil Ihr Klang, ihre Töne so einzigartig sind. Und weil hier etwas im Subklang zu hören ist, das nur ich hören kann. Das ist kein elitäres Geschwätz, aber dafür  universell für jeden, der zuhört und sich erinnern kann. Denn es sind die eigenen Bilder, die eigenen Erinnerungen, die eigenen Erfahrungen, die sich wie die Rose von Jericho entfalten können, weil sie von dieser Musik getränkt und damit wiederbelebt werden.

All das, was hier gerade ist, auf der Couch mit Jasmintee, Katzen, Räucherstäbchen und Kerze, fühlt sich wie 37 Jahre Leben an. Das Getöse vor der Tür wird nicht verschwinden, aber es ist für den Moment einfach nicht wichtig. 

Erschienen auf Students Of Decay, 2013.



27.09.2014

The Dub In BVDUB



SAIMON SAIMONSE - THE DUB IN BVDUB


Mein Sommer des Jahres 2014 war einer der Mixtapes, und Saimon Saimonse hat sich für seinen Podcast aus dem Mai 2014 einen Künstler ausgesucht, der auf 3,40qm mehr als nur einmal als wandelnden Heiligenschein geadelt wurde: Brock van Wey aka BVDUB. Ich habe die letzten vier Monate mit diesem 90-minütigen Mix verbracht, habe mich damit ein- und wieder ausgegraben, bin darin versunken und wieder aus ihm aufgetaucht.

Mein Sommer 2014 war in diesem Zusammenhang auch einer der skurrilen Momente, insgesamt auch einer, der bedeutend mehr Tiefen als Höhen zu bieten hatte. "The Dub In BVDUB" konnte in jedem Augenblick als ausgleichendes Element dienen. Und selbst in Situationen, in denen es völlig undenkbar erschien, Musik zum Bestandteil des erlebten und zu erlebenden Wahnsinns um mich herum zu machen, hielt Saimonses Mix die Fackel der Orientierung und des Lichts empor.

Es scheint mir grundsätzlich immer wichtiger zu werden, den Sicherheitsabstand vor Gefahren für Körper und Geist, den medialen Fata Morganas, dem Sensationsgetöse nicht nur einzuhalten, sondern ihn immer größer werden zu lassen - und sich stattdessen introspektiv auf das Echte, Schöne und wirklich Wichtige zu besinnen.



06.07.2014

Italian Fuzz




SANDRO BRUGNOLINI - UNDERGROUND

Keine Ahnung, was in den siebziger Jahren bei den sonntäglichen Gottesdiensten in Rom so alles in die Hostie eingebacken wurde, aber man darf es mir auch zuschicken, wenn's recht ist. Sandro Brugnolini, ein italienischer Komponist, Alt-Saxofonist, Jazzer und in all diesen Funktionen ganz besonders für Soundtracks zuständig, hat 1970 mit fast identischer Backing Band zwei Instrumentalplatten eingespielt, die mittlerweile beide Kultstatus besitzen: "Overground" wechselt dabei auch mal für ein bisschen Kleingeld den Besitzer und wurde einen Monat vor seinem Counterpart "Underground" veröffentlicht. Ebenjener ist nun wiederveröffentlicht worden und bietet einige Weirdo-Abfahrten in die Fliegenpilz-Zuchtanlange in Psych-Jazzhausen und Psych-Funkstadt. 

Die funkigen Bassläufe spielen Dich selbst in einer Telefonzelle schwindelig, die Gitarre von Silvano Chimenti (u.a. Zusammenarbeit mit Ennio Morricone, Gitarrist auf dem Soundtrack zu "Mein Name ist Nobody") tupft ein psychedelisches Netz aus Freejazz- und Wah-Wah-Fuzz-Sounds zusammen, darüber groovt der Beat einen Oberlippenschnauzer in jede Bikinizone. Ein dolles Ding - und der inoffizielle Anfang der progressiven, psychedelischen Musik Italiens. Und was kann bei diesen Songtiteln schon schief gehen:

Psichefreelico, Impressianico, Reiteratoico, Uauaico, Diacromeico, Africaneidico, Bacharachico, Respondico, Ciaciastico, Velocipedeico, Dimandico.





Wie ich eben gerade gesehen habe, ist "Overground" mittlerweile ebenfalls wiederveröffentlicht worden - allerdings ist selbst dieser Re-Issue mit 28 Euro unverschämt teuer.


Erschienen auf Sincro Edizioni Musicali, 1970.
Re-Issue erschienen auf Sonor Musiceditions, 2014.