...und damit kommen wir nun tatsächlich zum Ende meiner kleinen Serie über das vergangene Jahrzehnt. Wo Sun Never Sets in tiefer Stasis liegen, ist in der Hütte meiner Band Blank When Zero seit nunmehr elf Jahren das Licht angeknipst, und auch wenn wir ab und zu mal am Dimmer drehen mussten, schaut es nicht so aus, als würde jemand so schnell zum letzten Mal auf den Schalter drücken, der es so richtig dunkel werden lässt.
Ich lernte Simon und Marek zwischen 2007 und 2008 kennen. Zu diesem Zeitpunkt war ich musikalisch auf dem Trockendock; Ende 2005 sah mich ein Proberaum zuletzt von innen - sieht man mal von meinem Gastarrangement bei einer damals sehr gut gebuchten Coverband aus Wiesbaden ab, bei der ich für ein halbes Jahr den mit Stimmbandknoten kämpfenden Sänger ersetzte und jedes Wochenende damit verbrachte, besoffenen Partypiepels die letzten kreativen Zuckungen der Red Hot Chili Peppers unter das Ed Hardy-Shirt zu schummeln. Nun ist es so, dass ich grundlegend versuche, ein freundlicher und offenherziger Mensch zu sein, und ich glaube sogar, dass es mir in den allermeisten Fällen auch gelingt. Allerdings sorgte die Aussicht, mich durch Hunderte von Musikeranzeigen zu wühlen, um sich mit, Pardon: absoluten Vollidioten austauschen zu müssen, für eine bis in tiefste Tiefen reichende zerebrale Verkrampfung mit sehr lebhaft ausgestalteten Gewaltphantasien - und bevor das passiert, macht man doch am liebsten gar nix, lässt sich in die eigene Couch laminieren und hängt das Musikerdasein final an den berühmten Nagel. Ich kann das nicht. Ich will das nicht. Rolläden runter, Vorhänge zuziehen, auf den Boden legen, langsam atmen, sich still vollpissen, wegdämmern.
Und als ich so dämmerte, klingelte das Telefon. Power-Pop, Garage, Indie, Punk - "Hast du Bock?"
Nun, ich hatte Bock und nachdem ein gutes Jahr ins Land zog und es personelle Turbulenzen notwendig machten, sich auch stilistisch neu auszurichten, hoben wir 2009 Blank When Zero aus der Taufe. Schnell, hart und melodisch sollte es sein, immer. Und wenn es das mal nicht mehr sein sollte, falls wir also unseren Drive verlören (sic!), "dann machen wir den Laden dicht", sagten wir damals. Und das sagen wir heute immer noch. Jahre später sollten wir es in einem Interview mit dem Mainzer Studentenmagazin davon sprechen, dass "sorgfältig ausgeschnarchtes Herumgerocke mit Irokesenfrise der Endgegner" sei und angesichts dessen, was nicht erst seit gestern so landläufig als Punk gilt und sich mit dieser handzahmen Komplettrotze plötzlich in riesigen Konzerthallen wiederfindet, müssen wir wohl anerkennen, dass der Endgegner Kapitalismus heißt und grundsätzlich sowohl übellaunig als auch unbesiegbar ist. Außerdem, und das ist das Allerschlimmste: er hat einen unfassbar beschissenen Musikgeschmack.
Über "die Band, die keiner kennt" (Selbstbeschreibung) habe ich auf diesem Blog tatsächlich mehr als nur ein Mal geschrieben, insofern ist die im vorangegangenen Beitrag postulierte Einlassung, nie allzu großen Wirbel ums eigene Kulturschaffen gemacht zu haben, mit einem Körnchen Salz zu bewerten.
"Wir machen seit sieben Jahren zusammen Musik, gehen uns immer noch nicht auf den Sack, sind alle drei gemeinsam der Meinung, dass es wichtig ist, auch weiterhin gemeinsam Musik zu machen, haben diese verführerische Mischung aus einer ruhigen Gelassenheit und einem immer noch durchaus hohen Anspruch an die eigene Musik, und gehen, ohne dass es uns glaube ich wirklich immer präsent und bewusst ist, immer einen kleinen Schritt weiter: hört man beispielsweise unsere ersten Aufnahmen aus dem Jahr 2010 und vergleicht sie mit dem, was wir nun mit "Taped!" aufgenommen haben, dann ist das ziemlich zweifelsfrei immer noch die gleiche Band, aber die Musik hat ebenso wie der Sound ein paar ganz ordentliche Entwicklungssprünge gemacht. Vor allem aber, und das freut mich ganz besonders, sind die Texte und ihre Aussage so eindeutig und klar wie vielleicht noch nie. "Endlosschleife", "Just A Ride" und "Herz & Gefühl" sprechen mir allesamt aus dem Herzen und als zusätzliches Glück tun sie das alle aus unterschiedlichen Blickwinkeln."
...und auch vier Jahre später ist das immer noch alles sehr wahr.
Ich möchte an dieser Stelle nochmals auf das wunderbare Videoreview von Meisterkoch Tillman hinweisen:
"Ich nehme seit 1998 Platten auf und schreibe seitdem sowohl eigene Texte als auch eigene Musik und es gibt praktisch keine veröffentlichte Song- und Textsammlung, für die ich nicht ohne Zögern einen Atomkrieg anzetteln würde, auf dass dieser selbst ausgedachte Schmonz endlich vaporisiert und also vom Antlitz der Erde getilgt wird."
Bon, so schwer wie der dramatisch anmutende Ausblick zum Ende des letzten Artikels - "Kommt ihr nie drauf!" - war es dann vielleicht doch nicht, denn auch wenn ich versuche, das Ego klein und die Demut groß zu halten und darüber hinaus ein Begriff wie "stolz" weder im Sprachschatz noch Wertesystem eine Rolle spielt, bin ich von den vier mit meiner Beteiligung entstandenen Alben aus dem vergangenen Jahrzehnt mit mindestens zwei über das normale Maß hinaus verbunden. Ich habe auf diesem Blog und anderswo nie allzu großen Wirbel um die eigene Musik gemacht, und weil die zwei verbliebenen Gehirnzellen in meinem Kopf in permanentem Autopilot-Modus gegeneinander kämpfen, stellt sich Herr Dreikommablödvier im stillen Kämmerlein doch immer noch manchmal die Frage, was hätte passieren können, wäre der Wirbel ein anderer, ein größerer gewesen. Dabei ist der Traum von der Karriere als Musiker doch schon seit zwanzig Jahren ausgeträumt.
Die Chronologie der Ereignisse verlangt den Start mit "The Absurd" von Sun Never Sets, erschienen im Sommer 2011. Die Geschichte dieser Band ist nicht in fünf Sätzen erzählt, und es gibt keinen Grund, es nicht dennoch zu versuchen: ich stieß im September des Jahres 2000 zu der damals noch unter dem Namen Soleilnoir (sic!) operierenden Band, übernahm das Mikrofon und fand mich schon ein halbes Jahr später in den Bazement-Studios von Markus Teske (u.a. Vanden Plas und Charlie Dominici) wieder, um die erste EP "Drown" aufzunehmen. Ein Jahr später wurde es leider sehr turbulent: Ich stieg aus und kehrte erst im Mai 2009 an die alte Wirkungsstätte zurück, während die Band zwischendrin mit Sänger Maggot noch zwei weitere EPs ("Interlude" und "Nucleus") veröffentlichte. Und weil rechte Sackgesichter sich mittlerweile die Begriffshoheit über die "Schwarze Sonne" (Soleil Noir) angeeignet hatten und wir deswegen von übereifrigen Volltrotteln von volltrotteligen Volltrottelbands sogar von Konzerten ausgeschlossen wurden, entschlossen wir uns recht zügig zu einer Namensänderung - Sun Never Sets waren geboren. Unser letztes Konzert spielten wir vor ziemlich genau acht Jahren, im August 2012 in Frankfurt. Offiziell aufgelöst wurde die Band kurioserweise nie, der Engländer würde wohl eher von einem "indefinite hiatus" sprechen.
Das sind die nüchternen Fakten. Aus emotionaler Sicht stehen meine viereinhalb Jahre als Mitglied dieser Band möglicherweise als die intensivsten Bandjahre im Lebenslauf. Ich lernte Wolfgang, Jörg und Steffi kurz nach meiner ersten Krebsdiagnose und -OP kennen, und Leben und Hirn drehten sich wie Brummkreisel. Ich war Stammgast in den medizinischen Abteilungen der Frankfurter Stadtbibliothek, musste mich gegen empathiebefreite Ärzte verteidigen und mit angsterfüllten Familienmitgliedern verhandeln, dazu war ich immer noch frisch verliebt, lernte jeden Tag soviel Neues, dass ich mich jeden Morgen wie tatsächlich neu geboren fühlte, und dennoch: die Zukunft war ungewiss. Ich begegnete all dem Irrsinn mit, logo: vollen Hosen und auch einem gewissen Hedonismus, der sich in erster Linie in wahren Kreativitäsexplosionen manifestierte. Die ersten Aufnahmen im Winter 2001 verbrachte die Band für eine volle Woche Tag und Nacht gemeinsam im Studio und ich werde die gemeinsamen Abende mit Musik, Diskussionen, Rauchwaren und Pink Floyds "Ummagumma" (natürlich bis heute ihre beste Platte, fight me!) niemals vergessen.
Ähnliches ereignete sich auch bei den Aufnahmen im Winter 2010. Erneut waren wir bei Markus Teske zu Gast, dieses Mal aber gleich für ganze zwei Wochen. Und weil die neuerliche Kreativitätsexplosion derart ergiebig war, sollte es nun erstmals ein ganzes Album mit neun Songs werden; Songs, die allesamt in den vorangegangenen sechs Monaten geschrieben wurden. Für eine nicht rund um die Uhr professionell arbeitende Band ist das gar nicht so übel.
Als wir endlich mit unserem ersten Album das Studio verließen, war das für mich ehrlicherweise ein sehr bedeutender Moment. Nicht nur, weil es unser Albumdebut war, das wir in den Händen hielten. Auch und ganz besonders, weil ich zum ersten Mal erlebte, was möglich ist, wenn jeder an der Produktion beteiligte die Idee und die Leidenschaft teilt. Die Platte klingt für das Jahr 2010 und für die zwei Wochen Produktionszeit ausnehmend gut und wirkt selbst zehn Jahre später nicht unangenehm gealtert. Und ich muss das nun zugeben: ich höre "The Absurd" immer noch gerne - und das ist sehr ungewöhnlich für mich. Weil ich aufgrund der eingangs erwähnten und persönlich wahrgenommenen Unzulänglichkeiten von Musik mit meiner Beteiligung ansonsten immer schnell in den Krümeln suchen muss: da wackelt die Stimme! Das Wort ist falsch phrasiert! Das Timing stimmt nicht! Und was ist das bitte für 1 Text? Sich mit dem eigenen Versagen zu arrangieren ist nun wahrlich keine einfache Übung.
Der Scharfrichter in mir hat natürlich auch bei "The Absurd" viel zu tun und ich könnte aus dem Stand zwei Dutzend Momente auf- und beschreiben, die schlicht falsch sind und etwas Besseres verdient hätten. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es - ich kann das nicht bestätigen. Der Mumpitz ist auch 10 Jahre später immer noch sehr real.
Dennoch tut er meiner Verbundenheit mit dieser Band, dieser Zeit und dieser Platte keinen Abbruch.
"The Absurd" erschien im Sommer 2011 in einer Auflage von gerade mal 50 CDs im Digipak und ist natürlich komplett untergegangen. Vom Zeitgeist waren wir ganze Universen entfernt (bei Konzerten hörten wir nicht selten "Geiiiil, voll Neunziger!"), im Bandumfeld gab es praktisch keine "Fans" mehr, weil wir bis auf Schlagzeuger Johannes alle schon viel zu alt waren und der Bekanntenkreis, sofern er noch existierte, sich längst mit Frau und Kind im Eigenheim befand, und auch wenn wir pro Jahr sicher um die 25 bis 30 Konzerte mitunter in den kleinsten Käffern und Löchern spielten, tat sich erschütternd wenig. Selbst dann nicht, als wir im Frühjahr des Jahres 2012 im Frankfurt Bett im Vorprogramm einer größeren Alternative Band aus den Staaten und also vor 400 Zuschauern spielten. Hinzu kam sicherlich als der möglicherweise entscheidendste Faktor, dass wir schlicht nicht mehr alles geben wollten und konnten. Einen kleinen fünfstelligen Betrag an eine Deppenagentur überweisen, um vier Wochen durch Europas schimmeligste Clubs zu tingeln? Familie und Job aufs Spiel setzen? Im allerbesten Fall war die Mehrheit von uns, mir inklusive, in dieser Hinsicht indifferent - und das ist dann einfach zu wenig. Eigentlich ist man damit auch gleichzeitig sehr nahe an der Selbst-Sabotage. Und natürlich kann man das machen, aber dann verbietet sich streng genommen auch die Jammerei.
Trotzdem: hätten ein paar mehr Leute die Möglichkeit gehabt, "The Absurd" überhaupt mal zu hören, wäre vielleicht ein bisschen mehr drin gewesen. Ich bin natürlich komplett voreingenommen. Für mich ist das immer noch eine tolle und ganz persönlich sehr wichtige Platte.
Mittlerweile ist das Album praktisch nicht mehr digital erhältlich, daher habe ich es auf meinem Soundcloud-Account hochgeladen. Vielleicht wird es ja zehn Jahre später noch von ein paar Menschen entdeckt. Verdient wäre es.
Da musste ich mich erst neulich von einem, man muss es so deutlich sagen, eher übersichtlich veranlagten Zeitgenossen darauf hinweisen lassen, dass ich ja tatsächlich einen Blog betreibe - den despiktierlichen Unterton, damit im Jahr 2018 ja ungefähr so cool zu sein wie der olle Otto-Witz mit dem pinkelnden Eskimo, habe ich wohl wahrgenommen, viel schlimmer war aber die dadurch ausgelöste Erinnerung daran, wie lange hier schon wieder nichts passiert ist. Denn: mit uncool sein kenne ich mich aus, ich hatte beinahe 41 Jahre Übung darin und gebe immer noch keinen fickenden Fick; während es mit Disziplinlosigkeit und trotz aller zur Perfektion getriebenen und seit Jahrzehnten gepflegten Prokrastination etwas schwieriger wird.
In der Zwischenzeit wird aber jede Disziplin von der Lohnarbeit aufgesaugt, was zu solch absurden Entscheidungen führt, an einem Sonntag und bei 35°C doch lieber mal sechs Stunden am Arbeitsrechner zu verbringen, anstatt unter dem auf der Terrasse aufgespannten und freilich ausschließlich für den sensiblen Ehemann erworbenen und also lästige Mücken abhaltenden Fliegennetz zu sitzen, oder die klassischerweise rund um den eigenen Geburtstag genommene Urlaubswoche, wie bestellt ausgerechnet am Ehrentage, für eine quadratbekloppte Fahrt nach Köln zu unterbrechen, weil da jemand im Anzug etwas von mir will, und sei es nur, mir den Hintern zu versohlen, verbal versteht sich. Dass der Hirnkasten angesichts dieser Monstrositäten zwischendrin lieber die Notbeleuchtung anknipst, bon - aber ich darf wenigstens feststellen, dass ich damit immer noch Schwierigkeiten habe. Habe im Dunkeln so oder so oft Angst.
Die hier seit Monaten feierlich und mit einigem Remmidemmirapimmelrapammelrapumm angekündigten Ideen müssen sich also noch etwas gedulden, und ich bin mittlerweile auch nicht mehr so bescheuert, hier noch weitere Versprechen i.S.v. "hier geht's ganz bestimmt bald wieder weiter" hinaus zu trompeten. "Es kommt, wie es kommt!" wusste schon das Stückchen Dönerfleisch im Oberlippenbart von Wolfgang Niedeken, wo wir es doch eh gerade von Köln hatten.
Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, eine Einlassung vorab: ich schaue/höre seit einigen Wochen sehr regelmäßig den Joe Rogan Podcast auf dessen Youtube-Kanal. Rogan ist für mich aus einem ganz speziellen Punkt inspirierend: er passt in keine meiner vorgefertigten Schubladen und fordert mich dazu heraus, mal ein paar Schritte zurückzugehen und die durch meinen nunmehr zwanzigjährigen Internetkonsum etwas verkrüppelten Empathieantennen wieder zu polieren (kein Euphemismus!). Rogan vertritt in der Hauptsache liberale Standpunkte, gehört aber trotzdem nicht zum Hollywood-Establishment: Er ist Jäger und zählt sich zu der "Eat What You Kill" Bewegung und würde mir unter normalen Umständen durch jedes vorhandene Raster in den großen "Arschloch!"-Sack plumpsen. Andererseits ist er offener Nutzer von Marihuana und setzt sich für die Legalisierung ein. Er ist Martial Arts-Experte. Spirituell, aber mit Religion nix an der Frisur. Eigentich ist Rogan eine Mischung aus einem mit den eigenen Vorurteilen vollbeladenen Ami-Redneck-Klischee und einem sehr wachen, offenen, lebensbejahenden und bewussten Geist. Wie soll das alles zusammenpassen? Ich stimme ganz sicher nicht immer mit ihm überein, aber es kann eine sehr befreiende Wirkung haben, wenn man beginnt festzustellen, dass man das nicht muss.
Wie dem auch sei, ich kann es sehr empfehlen - auch seine Interviews mit Paul Stanley von Kiss und James Hetfield von Metallica waren überragend interessant und ich habe sie vollständig angeschaut. Und ich bin nicht mal Fan von Kiss. Oder von Metallica.
Warum das alles jetzt, hier und heute genannt wird: Rogan hatte im November 2017 den Wissenschaftler Paul Stamets in seinem Podcast zu Gast. Stamets ist ein in den USA nicht unbekannter Mykologe - die über 2.2 Millionen Views seines Auftritts im Rogan-Podcast alleine auf Youtube könnten dafür gesorgt haben, dass er mittlerweile sogar noch etwas bekannter wurde.
Ich kann und will hier nicht im Detail auf das Gespräch eingehen, außer, dass ich das Interview mittlerweile schon drei Mal gehört und gesehen habe. Ich möchte am Ende eigentlich nur sagen: diese zwei Stunden werden euer Mind blowen. Und zwar die ganze fucking Zeit.
Konzertreisen mit unserer kleinen Punkband Blank When Zero haben Seltenheitswert. Zuletzt durften wir vor etwa 5 Jahren zwei Konzerte hintereinander spielen, ohne dazwischen im heimischen Bett zu schlafen. Regensburg und Passau hießen damals die Stationen, und die Voraussetzungen sahen bei dem ein oder anderen von uns im Jahr 2012 anders aus, die familiären zumal. Wir haben bis heute nur die allerbesten Erinnerungen an diese Fahrt: stundenlanges Spock's Beard hören auf der Fahrt nach Passau, das vegane Thai-Curry des dortigen Jugendzentrums, die Begeisterung der Zuschauer, die sich über den Boden kugelten und ein, äh, Trockenrudern veranstalteten, der sonnige Spätsommertag in Regensburg, die vor dem Club verbrachte Nacht mit Freunden, der vom andauernden Lachen herangezüchtete Bauchmuskelkater am nächsten Morgen - es war ein rundum perfektes Wochenende.
Die Latte lag also in luftiger Höhe, als wir an einem frühlingshaften Freitag im April 2018 in Richtung Münster aufbrachen, um es mal wieder zu tun. Zwei Konzerte standen auf dem Plan. Das erste in Münster zur Geburtstagsfeier unseres Kumpels Andreas im Rare Guitar, das zweite am darauffolgenden Samstag im nur wenige Kilometer entfernten Hamm. Um es vorwegzunehmen: wir übersprangen die oben erwähnte Latte mit einiger Leichtigkeit. Es war von Anfang bis Ende prachtvoll.
Es ist schwer für eine kleine Band, die erstens fast niemand kennt und die zweitens aus alten Säcken besteht, deren Freizeit von anstrengenden Jobs und einer mehrköpfigen Familien aufgemampft wird, live zu spielen. Während die erste Tatsache dazu führt, dass kein Veranstalter dieser Welt damit rechnen kann, wegen unseres Erscheinens auch nur ein Ticket mehr zu verkaufen, bedeutet die zweite, dass uns terminlich schon hier und da mal die Luft ausgehen kann. Und ich glaube, ich liege nicht so irre daneben, wenn ich gleichzeitig konstatieren muss, dass wir in Sachen Networking nicht die Allergeilsten sind. Ich könnte es außerdem niemandem verübeln, der uns wenigstens aus der Entfernung für komische Typen hält, die sich auch gerne mal rar machen und die man manchmal über Wochen und Monate nicht hört und nicht sieht. Dazu: Keine Tätowierungen, keine Piercings, dafür aber die Anreise mit Vehikeln aus dem Hause Volkswagen, und anstatt uns im ubiquitären Bier zu marinieren lautet unsere erste Frage nach der Ankunft im Club immerfuckingimmer: "Habt Ihr auch Kaffee?". Und ich verstehe das Stirnrunzeln, das uns manchmal gezeigt wird. Gleichzeitig hoffe ich, dass sich der Krampf im Frontallappen aufzulösen vermag, wenn die ersten Worte gewechselt sind, spätestens jedoch bei der nächsten Kaffeebestellung.
Umso dankbarer sind wir dafür, dass es trotz unserer erwähnten Unzulänglichkeiten Menschen gibt, die uns immer wieder zu sich einladen und uns für eine halbe Stunde ihre Bühnen überlassen. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es Blank When Zero heute nicht mehr geben würde, gäbe es diese Damen und Herren in unserem Bandleben nicht. Vermutlich wären wir in unserem Proberaum längst zu Blut-, Schweiß- und Rotzeklumpen geronnen.
Nachdem wir also unseren Auftritt im Rare Guitar zwar mit einigen Spielfehlern dieses komischen Typen im Nirvanashirt (inklusive eines peinlichen weil volltotalen Blackouts bei unserer quasi-Bandhymne, Halleluja!), aber grundlegend sehr erfolgreich absolvierten, stand am Samstag ein gemeinsamer Streifzug durch die Plattenläden der Studenten- und Fahrradmetropole auf dem Plan, bis wir gegen Abend in Richtung Hamm aufbrachen. Und es ergab sich zu der Zeit...
....dass wir nach einer Nacht in einem, Achtung, uffjepasst: Raucherzimmer des hiesigen B&B Hotels (es gibt nicht nur tatsächlich noch Hotels mit Raucherzimmer, es gibt offensichtlich auch immer noch Menschen, die in diesen 10 Quadratmeter kleinen und besser tapezierten Dixieklos sich wirklich 'ne Fluppe anzünden, for fuck's sake!) in die Innenstadt loszogen. Vier Läden standen auf der vorher fein säuberlich durchgeplanten Agenda und das Wetter passte sich unserer Stimmung aufs Vorzüglichste an: strahlender Sonnenschein, trocken, nicht zu warm - es war alles angerichtet.
Station Nummer 1 war die Poptanke, die zum Zeitpunkt unseres Erscheinens noch nicht geöffnet hatte und die wir daher eigentlich mit einem Blick ins Schaufenster zunächst nur flugs passieren wollten. Der Besitzer saß allerdings schon hinter seinem Computer, sah unsere plattgedrückten Nasen - und öffnete uns seine Türen eine gute Stunde vor dem eigentlichen Geschäftsbeginn. Juchuuu! Die Poptanke führt neben einer umfangreichen Auswahl von Second Hand Schallplatten auch Bücher, CDs und DVDs und wurde uns von Eingeweihten als geheimer Geheimtipp für das ein oder andere Schätzchen und Schnäppchen wärmstens empfohlen. Der Großteil des Vinylrepertoires besteht aus den üblichen Verdächtigen in den Bereichen Rock/Pop, Jazz, Indie, Punk und Metal. Irrsinnig viele Raritäten kamen mir hier allerdings nicht unter. Muss aber auch nicht: Marek deckt sich mit LPs von Peter Gabriel, Marillion und Genesis ein, ich finde eine überraschend gut erhaltene Version von REMs "Out Of Time" aus der Alternative-Ursuppe zum fairen Preis. Apropos Preise: ich kann nicht wirklich meckern, und die Momente, in denen ich mit in mich hineingebrüllten Verbalinjurien aus der Kategorie "Unter der Gürtellinie" an der Zurechnungsfähigkeit des Verkäufers zweifle, fallen hier komplett aus. Erwähnenswert sind die zwei "Neu Eingetroffen" Boxen im Eingangsbereich, in denen sich tatsächlich bisweilen interessanter Stoff tummelt, der sicherlich schnell den Besitzer wechselt und es daher nicht in die regulären Genreabteilungen schafft, u.a. mit Alben von Bonobo und Serge Gainsbourg zum Zeitpunkt unseres Besuchs, die man nicht an jeder Straßenecke findet. Insgesamt durchaus sympathisch und sicher einen Besuch wert.
Auf dem Weg zum legendären Green Hell Store versuchen wir erstens uns nicht zu verlaufen und zweitens nicht von dem geradewegs tollwütigen Mob der allgegenwärtigen Fahrradfahrer umnieten zu lassen. In beiden Disziplinen sind wir erfolgreich, aber im Clinch mit den Zweirädern hilft es manchmal nur noch, die Augen fest zu schließen und auf den Aufprall zu warten.
Der Green Hell Laden gilt als einer der bedeutendsten und am besten sortiertesten Plattenläden der Republik. Zusammen mit den Freiburgern von Flight 13 stellen sie die Speerspitze dessen, was im unabhängigen Punk- und Indieumfeld heute noch möglich ist, was sowohl den Onlinehandel, als auch die noch existierenden "Brick & Mortar"-Shops betrifft. Über 15.000 Platten warten auf unsere suchenden Finger - und die haben in den folgenden zwei Stunden auch allerhand zu tun: Der Schwerpunkt liegt logischerweise auf Punk, Hardcore, Indie und Metal, darüber hinaus gibt es kleinere Soul, Jazz und Elektro-Abteilungen und das unvermeidbare Rock/Pop Segment. Zwar gibt es für alle Genres auch Second Hand-Angebote, die mich aber aus qualitativer Sicht nicht immer aus den Latschen kloppen. Die Faszination Green Hell besteht für mich aus dem Erlebnis, eine sehr große Auswahl neuer Veröffentlichungen, seien es aktuelle Platten oder Reissues, in einem echten Plattenladen zu finden. Das, was man heute in erster Linie nur noch online kennt, wenn man sich durch hunderte von Seiten klickt und Bilder anschaut, wird hier erfahrbare Realität: ich kann die Platten in die Hand nehmen, sie anschauen, die Gatefoldcover aufklappen, die colorierten Vinyls sehen. Sowas ist selten geworden. In meiner Heimatstadt Frankfurt gibt es beispielsweise keinen Plattenladen mehr, der eine auch nur ähnliche Strategie für Neuware verfolgt. Die meisten verzichten entweder komplett darauf und scheuen die notwendige, aber signifikante Investition, einige wenige spezialisieren sich für ihren Kundenstamm auf bestimmte Genres, manchmal nur auf ein einziges. Alles sicherlich legitim - man muss schließlich froh darüber sein, dass es sie überhaupt noch gibt - aber ein Genre-Allrounder ist in Frankfurt nicht mehr zu finden.
Green Hell ist ein solcher Allrounder. Ich kann hier sowohl die letzten Releases des US-amerikanischen Soullabels Daptone aus dem Regal ziehen, als mir auch die auf Vinyl (wieder)veröffentlichten Kreator-Alben aus den neunziger Jahren ansehen und mich wie ein Schneekönig über das grüne und damit farblich zum Cover passende "Renewal"-Vinyl freuen. Natürlich ist auch hier die Zeit für Schnäppchen längst abgelaufen, und angesichts prominenter Plattformen wie Discogs und Popsike ist das nur wenig verwunderlich. Für den preisbewussten Plattensammler (gibt's sowas überhaupt?) stehen im vorderen Bereich des Ladens einige Kisten mit Angeboten herum, wenngleich man wirklich stattliche Reduzierungen nicht erwarten sollte. Immerhin lässt sich aber wirklich der ein oder andere Euro einsparen. An Sparen ist bei uns nicht zu denken: Marek läuft Amok und steht am Ende mit 30 Platten und mit Tränen in den Augen an der Kasse, Simon findet ein paar Schätzchen aus der 2-Tone-Ära der Labels 2 Tone, Link und Skank und meinereiner schlägt mit dem Albumdebut des Schottentrios Hair Of The Dog zu (nebenbei ein Geheimtipp für Fans doomigen Stonerrocks und stonigem Doomrocks - und wann bitte empfehle ich mal eine aktuelle Rockband? Na? Naaa? Eben!), findet den Klassiker von Kate Bush "Hounds Of Love" in einem gar nicht mal so guten Zustand im "Alte Scheiße"-Fach, denkt an die Herzallerliebste und packt ihr endlich "Doolittle" von den Pixies ein und schließt das Menu mit dem "Yellow House"-Debut der Psychfolkster Grizzly Bear. Nach diesem Irrsinn sind wir eigentlich reif für eine Regentonne voller Kaffee und stehen zwar glücklich aber auch halb erschossen vor dem Laden. Ganz schön schwer, der ganze Scheiß. Ob das die Tüten wohl aushalten?
Mit Handy in der Hand (ohne Google Maps wären wir völlig am Arsch - mit sind wir's aber auch - was tun?) nageln wir uns brav gegenseitig Durchhalteparolen ins Stammhirn und wackeln schon etwas angeschlagen und bepackt wie ein Außerirdischer beim ägyptischen Pyramidenbau zum dritten Ziel: Jörg's CD Forum. "Die haben aber auch LPs!" hallt uns noch der Ratschlag vom Vorabend in den Ohren. Das wollen wir hoffen. Was zunächst überrascht ist die überaus zentrale Lage des Ladens, der nur wenige Meter von der großen Fußgängerzone entfernt zu finden ist. Was hier wohl die Pacht kosten mag? Und wie viel CDs der gute Jörg wohl dafür verkaufen muss?
Das CD-Forum liegt unterirdisch und darf sich über eine riesige Verkaufsfläche freuen. In der Hauptsache sehen wir auf den ersten Blick tatsächlich, Überraschung: CD-Regale, im hinteren Teil des Ladens sehen wir außerdem Bücher und in der Nähe der Kasse lassen sich etwa 4 bis 5 Meter Schallplatten finden, allesamt Neuware. Nach wenigen Minuten wird uns klar: hier wird es schwer, neue Mitbewohner zu finden. Das Sortiment bewegt sich wenn auch nicht hauptsächlich im totalen Mainstreambereich (immer wieder die verdammten Foo Fighters. Immer fucking wieder! Ich muss dem Reflex widerstehen, einfach eine zu kaufen, nur um sie danach kaputt zu machen!), für uns reicht's jedoch, und preislich fliegt mir die Gurke jetzt auch nicht gerade automatisch in den Nicer Dicer. Immerhin: als erklärter Fan der entrückten Hobbitflüsterin Loreena McKennit bin ich ob der fast komplett verfügbaren Vinyldiskografie geradewegs begeistert. Erfreut nehmen wir außerdem ein Pappschild zur Kenntnis: "Mehr 2nd Hand LPs im hinteren Teil des Ladens!" steht da geschrieben, und nachdem unsere Jubelschreie in der allgemeinen Ödnis verhallt sind, machten wir uns auf die dreitägige Reise in eben jenen hinteren Teil des Ladens, leider immer noch ohne Kaffee. Der wäre uns angesichts des 2nd Hand-Trauerspiels aber auch standepede wieder hochgekommen: alles, was vor mindestens fünfunddreißig Jahren in rauen Mengen mal eingekauft wurde und bis heute noch nicht die Flucht ergriffen hat, gammelt - man muss es so deutlich sagen - hier noch herum. Es ist eine schreckliche Vinyl-Zombie Apokalypse mit Michael Bolton, Gianna Nannini, Tina Turner, Münchner Freiheit und Modern Talking - manchmal mit drei oder vier Exemplaren eines einzelnen Titels, fein in Reih' und Glied direkt hintereinander einsortiert. Ein Wahnsinn. Ich plane, die vor meines angetretenen Langstreckenflugs in Richtung des hinteren Teils des Ladens noch nicht durchgeblätterten Neuheiten nochmal genauer unter die Lupe zu nehmen und mein feines Näschen hat mich nicht im Stich gelassen: als Herr und Frau Dreikommaviernull im April 2016 beim Gastspiel des mittlerweile verstorbenen Chris Cornell in Hamburg weilten, hörten wir im Vorprogramm einem Solokünstler namens Fantastic Negrito und seiner Akustikgitarre zu und sahen uns anschließend anerkennend nickend in die Augen. "The Last Days Of Oakland" heißt sein 2016 erschienenes Album, das es zunächst lediglich auf CD und als Download zu Erwerben gab - und plötzlich steht es hier in Jörgs CD Forum auf Schallplatte herum. Der Preis stimmt auch - und ich stoße ein kurzes, aber umso intensiveres "Whoa!" aus. Auch für dieses Werk darf ich eine kleine Empfehlung aussprechen. Was ist das? Alternative Blues vielleicht? Egal, es ist jedenfalls toll.
Nun ist es aber soweit: bevor wir uns final zu Andrä - Musik Filme Games schleppen, müssen wir auftanken - und das tun wir im Restaurant "Prütt" in der Bremer Straße - es heißt, es sei eine der besten Adressen der Stadt, wenn es um vegetarisches und veganes Essen geht. Die Sonne scheint immer noch, wir sitzen im kleinen aber feinen Biergarten, mampfen Fenchelpizza und Falafel und werfen einen ersten Blick auf unsere neuen Schätze. Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt. So kann es ruhig bleiben.
Bleibt es aber nicht, wir müssen ja noch weiter. Ein zehnminütiger Fußmarsch und wir stehen bei Musik Andrä vor der Tür, ein 2nd Hand Laden mit relativ umfangreicher Vinylabteilung.
Das Standardprogramm reißt uns alle nicht über Gebühr vom Hocker, und ich halte mich mit meiner Auswahl von Gary Moores "Wild Frontier" (große Platte, übrigens!), und einem alten Schinken vom Alan Parsons Project ("The Turn Of A Friendly Card") für die Herzallerliebste relativ schadlos - allerdings nur solange, bis ich die beiden etwas seltsam abseits platzierten Raritätenkisten entdecke, denn hier kommt der große Gongschlag zum Wochenende, die Platte zum Sonntag, die mother of all (evil) vinyls. Jedenfalls eine davon und immerhin eine für mich. Was ich beim Fund der Fantastic Negrito-LP mit einem kurzen "Whoa!" kommentierte, wird hier zu einem laut durch den Laden gerufenen "Ach du Scheiße!": hier steht wirklich "Strength In Numbers" von The Music herum. Wenigstens aus meiner Sicht die unterbewerteste britische Band der letzten 20 Jahre. Und ich habe gerade nicht mal damit begonnen, zu übertreiben. "Strength In Numbers" ist bis auf den immer noch unsagbar schwachen Titelsong eine der besten Platten der 00er Jahre. Und darüber hinaus eine, die ich seit nunmehr zehn Jahren auf Vinyl suche und bislang noch niemals live und in Farbe gesehen habe. Auf einschlägigen Portalen wird es in gutem Zustand gerne mal dreistellig und mir war hier und heute, in fucking Münster, sofort klar: die nehme ich mit. Geld spielt keine Rolle. Mir war es in diesem Moment wirklich völlig egal, was sie kostet - soll doch die Kreditkarte mal zeigen, was in ihr steckt. Pah! Am Ende war ich mit 70 Euro wirklich gut bedient. Das heißt nun aber auch: ich habe bislang noch für keine Schallplatte soviel bezahlt wie für "Strength In Numbers". Reue? Nicht mit mir, Geld muss schließlich weg. Und für Sachen, die wirklich bis ins Mark Spaß machen gleich drei Mal. Also: Weg, weg, weg. Außerdem habe ich keine Kinder, werde auch niemals welche haben, ergo: mit mir kann man's ja machen. Andrä ist darüber hinaus, und da waren wir uns alle einig, preislich völlig im Rahmen, manchmal sogar überraschend günstig. Des weiteren bemerkenswert: Andrä druckt auf seine Preisschilder auch das Datum des Tages, an dem die Platte ins Regal gestellt wurde, und wir waren baff erstaunt über den offensichtlichen Durchsatz des Ladens. Kaum eine Platte, die wir uns mitnahmen, stand länger als 2 Wochen zum Verkauf, manche wurden sogar erst einen Tag zuvor gelistet. Läuft für den Andrä, wie es scheint.
Für die drei Punkrocker von der Plattentankstelle lief es auch gut - die Füße sind platt, die Konten sind leer, aber wir sind glücklich. Und das ist schließlich das Wichtigste. Am Abend spielen wir in Hamm ein erneut sehr gutes Konzert, dieses Mal auch tatsächlich ohne spielerische Blackouts, dafür bekommen die 60 Besucher aber die schnellste Version von "Fall From Grace" um die Ohren gehauen, die die Welt jemals gehört hat. "Der Raum wurde dreidimensional" (Helge Schneider), "Nummer 1, WARP 9, Energie!" (Jean-Luc), "Wahnsinnige Geschwindigkeit!" (Lord Helmchen). Wir schafften es trotz unseres debilen Kicherns während des Spielens sogar, dabei nicht komplett auseinanderzufallen. Da kann mal sehen, was 9 Jahre des gemeinsamen Zusammenspiels doch bewirken können. Schuld an dieser Geschwindigkeitsexplosion hat übrigens unser ehemaliger Aushilfsbassist und immernoch Bandfreund Andreas, der sich tatsächlich am Vorabend auf den 100km weiten Weg nach Münster aufmachte, um mal wieder nach dem Rechten zu sehen - und der nach dem Konzert der Meinung war, wir seien im Vergleich zum letzten Mal "ja doch ein Spürchen langsamer" geworden. Schlagzeuger Simon, von jener Blasphemie zerebral ordentlich durchgeschüttelt, konnte das unmöglich auf sich sitzen lassen, braute sich den so legendären wie berüchtigten Zaubertrank aus Cola/Energydrink und ließ ihn offenbar, von Marek und meiner Wenigkeit unbemerkt, mit Hilfe eines intravenösen Zugangs langsam aber stetig in die Adern tröpfeln. Der gleichzeitig in Hamm kredenzte Kaffee auf dem Stärkelevel "Ins Klo schütten würd' ich ihn nicht, der könnte das Porzellan angreifen" tat sein Übriges. Interessante Erfahrung, aber nicht interessant genug, um es zu wiederholen.
Die Reaktionen der Zuschauer - zumindest von jenen, die wir nicht aus dem Raum gepustet genervt haben, aber es soll nicht verschwiegen werden: auch das gab und gibt es immer wieder - nach unserer Zeit auf der Bühne sind famos und unglaublich motivierend. Wir verkauften über beide Abende sage und schreibe 10 Platten, so viele wie noch nie, und bekamen auch so viel Lob wie noch nie: die beiden jungen Typen, die mit strahlendem Gesicht vor mir standen und darüber berichten, dass sie uns schon mal in der Baracke in Münster gesehen haben und ihnen dort schon die Kinnlade auf den Boden gekracht wäre. Und die sich (und uns!) fragen, warum wir nicht viel bekannter sind. Die Antwort dauert eine Stange Schokozigaretten, oder man liest sich nochmal den Anfang dieses Textes weiter oben durch. Wildfremde Typen, die mir "Beste Band des Abends!" ins Gesicht schreien. Oder mein Favorit aus Hamm, der außer einem Kopfschütteln und einem gestammelten "Unglaublich! Sowas habe ich...also....unfassbar....sowas habe ich noch nicht gesehen!" nichts heraus bekommt. Der Mischer, der mir nach dem Auftritt sagt, es sei ja sehr beeindruckend, was ich "soundmäßig aus diesen Fender Combos heraus hole!" - noch beeindruckender ist in diesem Zusammenhang, dass ich seit Anbeginn der Zeit auf Effektgeräte verzichte und zwischen Gitarre und Verstärker einfach nur ein 10 Euro Kabel hängt. Wir alle freuen uns praktisch den Arsch ab, dass es so vielen Menschen gefallen hat - und wir freuen uns auch darüber, dass es Blank When Zero immer noch gibt, und dass wir die Möglichkeit haben, live zu spielen. Solche Erlebnisse entschädigen für fast alles: die Saure-Gurken-Zeit im Proberaum bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wenn über Monate niemand anklopft und wir nicht live spielen können. Wenn die Kreativität in der Sackgasse ist und man nicht weiß, ob das, was man sich gerade ausschnapst auch wirklich gut genug ist. Wenn der Alltag übermächtig wird und man sich für einen ganzen Monat nicht zu einer Probe sieht. Als wir nachts um 4 Uhr aus Hamm an unserem Proberaum ankommen und das Auto von Verstärkern, Lautsprechern und Schlagzeugteilen befreien, vor Müdigkeit torkelnd, aber immer noch euphorisiert von dem Wochenende, weiß man auch als bald Ü-40er, warum man das noch alles macht - und warum es so wichtig ist, auch damit weiter zu machen. It's food for your soul - und wo das gesagt ist: Jagged Edge - Fuel For The Soul: großartige AOR Platte aus England, sollte man kennen!
Was mir und uns zu sagen bleibt:
Danke an alle, die uns dabei unterstützt haben, in Münster und Hamm spielen zu können. Danke an die Veranstalter und danke für die Einladungen. Danke für Eure Großzügigkeit. Danke an die Soundmischer an beiden Abenden. Danke an die Menschen hinter der Bar, die uns immer einen Kaffee eingeschenkt haben. Danke für die Köchinnen und Köche, die uns zu Essen gegeben haben. Danke an alle, die die Gigs besuchten und für so eine tolle, positive Stimmung sorgten. Danke an alle Bands, mit denen wir spielten, ganz besonders an Clubber Lang und Short (die beide mit ihren Gigs in Hamm einen einzigen Triumphzug hinlegten - es hat solchen Spaß gemacht, Euch zuzuschauen!). Danke an die Plattenläden in Münster: prima, dass es euch noch gibt und noch primarererer, dass ihr uns all die wunderbaren Schallplatten verkauft habt.
Schwupps - schon ist's wieder vorbei. Das verstörendste Merkmal des Älterwerdens ist, nahezu jegliches Zeitgefühl zu verlieren, dass also das Hirn seine eigene eh schon diffuse Suppe aus Erlebnissen und Momenten in einen großen Topf wirft und die ganze Brühe mit einer Flugzeugturbine mal schön durchrührt, bis am Ende ein sämiger Kladderadatsch vor einem liegt, der bis in die kleinsten und verzweifelt freigehaltenen Fugen des Lebens eindringt und sie ausfüllt, bis auch wirklich jede noch so kleine Erhebung ge- und verschluckt ist. Das beste Gegenmittel gegen den Schwund an Aufmerksamkeit und das Getöse um einen herum, ist das aktive Erleben, um Momente zu kreieren, die bleiben. Und selbst das erscheint mir bisweilen eine große Anstrengung zu sein, weil das ständig in Rekordgeschwindigkeit wachsende und das eigene Sein umringende Gekröse am besten mit einer Kettensäge im Zaun gehalten werden muss: im Hier und Jetzt sein. Den Moment genießen, ihn feiern.
Die Herzallerliebste und ich haben zur Jahresmitte, vermutlich an dem Punkt, an dem wir unisono ein "Fuck, schon wieder Juni - eben war doch noch Silvester?!" ausplärrten, sehr aktiv beschlossen, diese Momente zu erschaffen. Als vorläufiges Ergebnis besuchten wir im abgelaufenen Jahr so viele Konzerte wie vermutlich seit Jahren nicht mehr - und es waren großartige Erlebnisse dabei: wir sahen zum allerersten Mal die Afghan Whigs live auf der Bühne, der kleine Metal-Florian feierte die Konzertreise seiner alten Helden von Psychotic Waltz knieend in der ersten Reihe, der kleine Punk-Florian warf nach 25 Jahren den alten Herren von Bad Religion ein kurzes "Hallo!" zu, Propagandhis einzige Show in Deutschland wurde sogar mal wieder im Mosh-Pit verbracht, bis meine Hawaii-Stofflatschen in der getrockneten und dann ziemlich klebrigen Biersiffe vor der Bühne einfach am Boden festklebten und ich also in Socken wie eine Flipperkugel vom tanzenden Volk willenlos durch die Gegend geschoben wurde, die kalifornische Soulsensation Monophonics spielte erneut vor einer traurig geringen Anzahl von Menschen einen berauschenden Gig (in einer besseren Welt verkaufen sie achtzehn Mal hintereinander ein Fußballstadion aus), die künstlerisch wie kommerziell wiederbelebten Prog-Opas von Marillion rissen im Vorbeigehen in einer ausverkauften Batschkapp das beste, strahlendste, intensivste Konzert der letzten 10 Jahre ab und rührten uns mit dem überraschend auf die Setlist genagelten "Neverland" gar zu Tränen, die bekifften Slomo-Doomer von Windhand bratzen und fuzzten mich zurück in die Neunziger, der olle Nick Cave legte eine ergreifende Welt-Performance aufs Parkett der altehrwürdigen Jahrhunderthalle, wir sahen zum ersten Mal die bunten Groovemonster der Thievery Corporation live und Fates Warning waren so großartig, dass selbst ich ein Kind von Ray Alder bekommen möchte. Meinethalben kann das im Jahr 2018 gerne so weitergehen.
Außerdem beschlossen wir, Grönemeyers Credo aus den 80er Jahren wiederzubeleben und mögen Musik also nur, wenn sie laut ist : in einer Disko. Da standen wir also mit unserem Plan, die Frankfurter Clubszene zum ersten Mal seit 18 Jahren zu erkunden und erlebten eigentlich bei jedem Besuch Denkwürdiges, abgesehen davon, dass wir uns mit 40, respektive 45 Jahren in einer Horde zwanzigjähriger Studenten nicht immer so richtig wohl fühlten: der "Hip Hop Classics" Abend im Zoom bot alles, aber keine Hip Hop Classics - es sei denn, Hip Hop hat sich in den letzten 20 Jahren zu einer Kirmesmusik mit Ruckelbeats und schlecht programmierten Autotunes entwickelt. Dazu krakeelte ein offensichtlich unter einer Überdosis Butterkeks stehende DJ-Eumel legendäre Einzeiler wie "I WANNA SEE YOUR HANDS FRANKFURT!" in die Songs hinein, als wären wir gerade am Kettenkarusell vom Oktoberfest und spielte außerdem die Songs nicht mehr vollständig aus - zugegeben: in dem ein oder anderen Fall waren wir deswegen nicht undankbar, aber srsly: what the fuck? Die Kiddos erschreckte all das zwischen zu knappen Oberteilen, zu engen Feinripps, Hüten und Handy-Scheißdreckgetippe auf der Tanzfläche natürlich zu keiner Sekunde. Strange times, man. Strange times. Persönliches Lowlight war hingegen der Besuch in der Frankfurter Batschkapp zur 80er, 90er und 00er Party: auch hier gab es einen Kirmes-Einheizer, der nicht nur ebenfalls die gespielten Songs mit allerhand überflüssigem Aufputschdünnpfiff kaputtbrüllte, sondern dann auch noch mit Sätzen wie "FRAAANKFUUUURT, WIR HABEN KNICKLICHTER FÜR EUCH!" und "FRAAAAANKFUUUURT, WIR HABEN LUFTGITARREN FÜR EUCH, HABT IHR SPASS?" zumindest bei uns feierlich in den Fremdschämtempel der Doofheit einzog - während der Rest der überwiegend blutjungen Bande zwischen zwei getippten Snapchats und einem Schluck Marshmallowbier den Irrsinn mit einem gequiekten "Whooaaaah, coooool" goutierte und um 3 Uhr nachts unironisch Wolle Petrys Minderbemittelten-Gassenhauer "HölleHölleHölle" abfeierte. Spätestens hier war klar: es ist Zeit zu gehen.
Aber auch positive Erlebnisse sollen nicht verschwiegen werden: die Ü-30 Party im Orange Peel im Frankfurt Bahnhofsviertel hatte einen charmant ausgelassenen und unprofessionellen Charakter: war der Durchgang zum Clubraum bei unserer Ankunft gegen 0 Uhr wie leergefegt und in seiner Kargheit besorgniserregend verstörend - "Ohgott, hier ist kein Arsch!" - flogen uns nach Öffnen der schweren und soundschluckenden Stahltür tanzende Gliedmaßen aus dem überraschend kleinen Raum entgegen. Dass ich mich von der "Eyeyey, guuuuden Lauuuuneeee" (Sven Väth) anstecken ließ und zwei Stunden später in einem Anfall mentaler Komplettverstrahlung und unter dem Einfluss von lediglich zwei Cola-Light gar zu Bohlens musikalischer Vertonung eines offenen Penisbruchs "You're My Heart, You're My Soul" tanzte, spricht Bände. Ihr seht uns wieder, Orange Peel.
Darüber hinaus mag meinen verbliebenen Lesern (es dürften nicht zuletzt wegen der in diesem Jahr einsetzenden Schreibblockade mittlerweile deutlich weniger als die üblichen dreikommavier sein) aufgefallen sein, dass a) der letztjährige Jahrescountdown der besten Alben des Jahres 2016 sich bis in den fucking Mai (!) zog, b) in diesem Jahr in Sachen Anzahl der Blogposts der absolute Tiefpunkt aller Zeiten erreicht wurde und c) der offensichtlichste Bruch ab Mitte Mai zu erkennen war und damit in Zusammenhang stehend, ich d) auch nunmehr 7 Monate nach dem Freitod von Chris Cornell am 18.Mai 2017 noch immer nicht in der Lage war, darüber zu schreiben. Wer diesem Blog nicht erst seit gestern folgt weiß, welchen Stellenwert Cornell für mich und Alina hat und hatte - er war nicht nur eine Gallionsfigur unserer damaligen musikalischen Grunge-Heimat in unserer Jugend und Adoleszenz, er lieferte auch unseren Soundtrack in der konfusen, beängstigenden und unsicheren Zeit, als wir uns gerade aufmachten, die Entscheidung für ein gemeinsames Leben zu treffen. Ich mag mich heute kaum mehr an diese Zeit erinnern, weil sie immer noch so intensiv und schmerzhaft erscheint - selbst wenn das Ergebnis, eine sich in diesem Jahr zum 15. Mal jährende und restlos wunderbare Ehe, ja durchaus ein Grund zum täglichen, gar minütlichen Feiern wäre. Die zweite Jahreshälfte von 1999 war hingegen die Hölle auf Erden und Cornell sang uns die Songs seines ersten Soloalbums in unsere Wohnungen in Nürnberg und Frankfurt und verband alleine damit unsere Leben und unsere Seelen. Die Nachricht von seinem Tod traf uns beide wie ein Schlag, und ich kann, will und darf hier nur von mir sprechen, aber ich kann nicht behaupten, dass ich ihn verarbeitet habe. Für ein halbes Jahr konnte ich keine einzige Platte hören, an der er beteiligt war. Erst vor kurzer Zeit traute ich mich zaghaft an das letzte Soundgarden-Album "King Animal" heran, das ich übrigens aufgrund meiner Reunionallergie bei Erscheinen bewusst ignorierte und erst wenige Tage vor seinem Tod dann doch aus dem Second Hand Shop entführte. Die Erinnerung an das gemeinsam besuchte Konzert im April 2016 in Hamburg und an einen scheinbar komplett aufgeräumten, humorvollen, unendlich talentierten, in sich ruhenden Cornell, der Gedanke, dass er, den ich an diesem Abend zum ersten Mal überhaupt live sah und der plötzlich so mir nichts, Dir nichts wenige Meter von mir entfernt stand und der mir alleine mit seiner Anwesenheit mein ganzes Leben aus den neunziger Jahren, meiner Kindheit, meiner Jugend, im Zeitraffer in Richtung Memory Lane schickte, durch solche Qualen gegangen sein muss, dass er sich in einem fucking einsamen Hotelzimmer das Leben nahm, zerreißt mich bis heute. Ich war bislang völlig unfähig darüber zu schreiben und auch hier mag es mir nur schwerlich gelingen. Aber wenn es einen Grund dafür gibt, warum auf diesem Blog seit Mitte Mai noch weniger zu lesen war als zuvor, dann ist es folgerichtig dieses Ereignis. Ich plumpste einfach in ein Loch. Und wo ich für den Alltag, sprich: die Lohnarbeit noch funktionierte, ging bei den Hobbys das Licht aus.
Ich bin nicht glücklich darüber. Ich hatte tatsächlich einige ganz neckische Ideen für den Blog, und war leider nicht in der Lage, sie umzusetzen. Ich arbeite weiter daran - eigentlich fangen wir jetzt schon mit einer an, auch wenn sie nicht wirklich neu ist: der neue Jahrescountdown ist da. Nach Durchsicht aller in Frage kommender Alben für die Top 20 war klar, dass ich erstmals die Tradition durchbrechen und also auf eine Top 30 aufstocken muss. Es wird bald hier zu lesen sein, dass einige große Namen im Hause Dreikommaviernull es dieses Mal nicht in die 20er Bestenliste geschafft hätten - und nicht etwa deshalb, weil ihre Alben so mittelmäßig gewesen wären. Ich habe schließlich nie damit ein Problem damit gehabt, enttäuschenden Kram auszusortieren, selbst wenn ich dank meiner Metal-Vergangenheit schon mit einer übergroßen Portion Loyalität ausgestattet bin und alten Helden einen Ausrutscher gönnerhaft verzeihen mag. Nein, das Gedränge war im Jahr 2017 so groß, dass es mir wirklich unfair erschien, mich nur auf 20 Alben zu beschränken. So gibt es also demnächst ganze 30 Scheiben zu besprechen, und weil der ein oder andere möglicherwiese nun das große Stöhnen beginnen mag, dass ich, bliebe ich bei meiner aktuellen Veröffentlichungsfrequenz, damit ja erst im September 2019 fertig sein würde, darf ich feierlich notieren: es wird alles ganz anders. Stay tuned.
Ich möchte mich zum Abschluss des Jahres sehr ernsthaft, aufrichtig und äußerst ranschmeißerisch bei Euch fürs Lesen bedanken. Ich weiß es zu schätzen.
Das vermutlich als "Superscheißjahr" (Herr Dreikommaviernull) in die Menschheitsgeschichte eingehende Jahr 2016 war tatsächlich in vielen Bereichen jener Bewertung durchaus gewachsen; die vielen verstorbenen Prominenten haben andere schon trillionenfach aufgezählt und mir damit die Arbeit und Euch die Langeweile abgenommen - wobei: Roger war echt hart -, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, der Ausstieg des Vereinten Königreichs aus der Europäischen Union, die vielen sackgesichtigen deutschen Kartoffeln, die sowohl physisch als auch psychisch Jagd auf Flüchtlinge machen, der europäische Rechtsruck, Mineralöl im Veggieschnitzel, die SPD ist immer noch nicht aufgelöst und Bill Hicks ist immer noch tot - ich könnte locker bis in den Frühling weitermachen.
Aus persönlicher Sicht ist sicherlich der plötzliche Tod unserer Katze "Kleini" im August als DER Tiefpunkt des Jahres zu erwähnen. Mit den Auswirkungen haben die Herzallerliebste und ich immer noch zu tun, und sei es nur, nahezu jeden Tag von unserem Kater daran erinnert zu werden, dass er sie ganz schrecklich vermisst und sein Leben nun ein anderes ist. Kleinis Tochter Tiffy, seit dem Jahr 2000 in der Obhut meiner Mutter, ging einen Tag vor Silvester und beschloss damit 2016 und wenigstens in dieser Hinsicht würdig i.S.v. "Fuck You!".
Kleini (links, 1999 - 2016) und Schnuffel
Abgesehen von all dem oben ausgebreiteten Quatsch, der einem den Kopf verklebt, war 2016 vor allem vollgestopft mit wunderbaren Momenten und tollen Erlebnissen. Und erstaunlicherweise mit der Erkenntnis, vielleicht endlich in der Arbeitswelt angekommen zu sein. Das kann im Normalfall nach 18 Jahren auch fast erwartet werden, aber ich fürchte, ich bin kein Normalfall: noch immer schaue ich mit dreiviertel Skepsis und vierviertel Überraschung auf das, was andere Karriere nennen und was mir diesbezüglich vor allem in den letzten 13 Jahren passiert ist. Seit meinem im Jahr 2015 vollzogenen Wechsel fühle ich mich im nun nicht mehr ganz so neuen Job indes so wohl wie vermutlich an noch keiner Stelle zuvor. Das ist wirklich ein ganz merkwürdiges Gefühl - ein gutes zwar, aber auch in Teilen ein überwältigendes.
Überwältigend waren auch die im Jahr 2016 besuchten Konzerte. Es waren nicht viele, zugegeben, und ich bin mittlerweile auch alles andere als ein Freund von Liveshows, aber Chris Cornell in Hamburg, Sacred Reich in Aschaffenburg, Monophonics in Wiesbaden, Gogo Penguin in Offenbach und New Model Army in Stuttgart sorgten allesamt für eine körperlich spürbare Überdosis Endorphine im Blutkreislauf. In diesen Momenten war wirklich und ausnahmsweise mal einfach alles gut und meine Lebenslust-Skala war nicht zuletzt wegen dieser Erlebnisse auch außerhalb des Konzertsaals immer öfter im sattgrünen Bereich. Music heals eben doch.
Wenn sie dann auch noch selbst erdacht und gespielt wird, gibt's manchmal sogar noch einen Nachschlag: unsere immer noch ziemlich kleine und nur sehr langsam wachsende Lieblingspunkband Blank When Zero hat eine neue Platte gemacht, dafür fast ein ganzes Jahr benötigt und ist nach sieben Jahren gemeinsamen Musikzierens doch tatsächlich im Keep It A Secret Labelhafen eingelaufen. Was es über "Taped!" zu sagen gab, könnt ihr hier nochmal nachlesen.
Kommen wir abschließend zu dem, was hier in den nächsten Monaten (sic!) zu lesen sein wird: die zwanzig besten Platten des Jahres 2016. Um sicher zu gehen, dass ich auch in diesem Jahr die bewährte Jammerei über zu viele tolle Musik unterbringe, habe ich extra nochmal in dem entsprechenden Intro zur Listenwahn-Sause des vergangenen Jahres reingeschaut:
2015 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.
Was man auch schaffen muss: es für's Jahr 2016 exakt genau so nochmal in den Blog wuchten:
2016 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.
Um es mit Mutti zu sagen: Wir schaffen das jetzt gemeinsam.
Ich danke allen fürs Lesen und die Aufmerksamkeit.
BLANK WHEN ZERO spielen zum letzten Mal in diesem Jahr live in ihrem Wohnzimmer: das Haus Mainusch in Mainz hat unserem Wunsch zugestimmt, zwei befreundete Bands einzuladen und ein schönes Konzert zu spielen.
Mainzer! Wiesbadener! Frankfurter!
Am Samstag, 10.12.2016 ab 20 Uhr spielen also Church Of Cycology, Vandalism und Blank When Zero im Haus Mainusch. Wir freuen uns alle auf Euch.
Bill Maher, Gastgeber von "Real Time With Bill Maher" im US-amerikanischen Fernsehen, Stand-Up Comedian, Schauspieler und immer öfter erfolgreich in der Selbstinszenierung als politischer Kommentator, hat im Januar diesen Jahres eine Petition gestartet, den noch amtierenden Präsidenten der USA im Rahmen seiner wöchentlichen Show interviewen zu können. Obama ist über seine achtjährige Amtszeit oft und gerne als Gast in ähnlichen Formaten aufgetreten: bei Stephen Colbert, Jimmy Fallon, Jimmy Kimmel, Letterman - ganz zu schweigen von Interviews mit den üblichen Verdächtigen der amerikanischen Medienlandschaft wie Chris Wallace, Anderson Cooper, Rachel Maddow, Keith Olbermann - selbst der rechtskonservative Bill O'Reilly hatte seine Redezeit mit Obama (und fiel ihm dabei mehrfach auf sehr respektlose Weise ins Wort).
Um Bill Maher machte Obama indes einen weiten Bogen und Bill fragte sich: kommt er nicht, weil ich bekennender Pothead bin? Oder weil ich gleichfalls bekennender Atheist bin? Nun ist Maher ein ausgewiesener Egozentriker. Einer, der sich selbst und sein Tun, diplomatisch formuliert: sehr wichtig nimmt. Und der sowas ganz und gar nicht auf sich sitzen lassen kann.
Hier ist der Clip über seine Ankündigung zum Start der Onlinepetition:
Nachdem sich das Weiße Haus in seiner Antwort zunächst sehr zurückhaltend äußerte, ist es nun tatsächlich doch passiert: Maher war im Weißen Haus, und er traf Obama - und damit immerhin den Mann, dem er im Wahlkampf 2012 eine Million Dollar als Spende zukommen ließ. Was ihn in Bezug zu dessen Real Time-Ignoranz zu dem legendären Satz "I gave Obama a million dollars and he treats me if I lent him a million dollars!" brachte.
Hier ist es nun, das Ergebnis seiner Mühen. 37 Minuten mit Barack Obama und Bill Maher.
Bis vor wenigen Monaten konnte ich noch mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Durchgeknallten in Baden-Württemberg und deren Protest gegen den Bildungsplan der grün-roten Landesregierung deuten, die grünversifften Gutmenschenneger planten die "Frühsexualisierung" ihrer Kinder, die "Zerstörung der Ehe zwischen Mann und Frau als tragende Stütze unserer Gesellschaft" und außerdem die Einführung der Homo-Ehe für alle, so dass also auch demnächst das brave Christenwürschtel mit am Herd festgeketteten Eheweib einem seiner Geschlechtsgenossen vor dem Traualtar einen blasen muss, weil es das Gesetz eben so will; anders ist diese Komplettvernagelung des Dachgeschosses ja auch wirklich kaum zu erklären: "Wir planen die Einführung einer rechtsverbindlichen Spermainjektion und einer daraus resultierenden Oberschenkelschwangerschaft für alle männlichen Christen bis zum 45.Lebensjahr und wer nicht mitmacht, wird erschossen!" (Winfried "Kretsche" Kretschmann, Zitat ähnlich).
Mittlerweile ist der Lobotomierten-Virus aber auch auf Hessen übergesprungen, und das fühlt sich auch an einem eigentlich sonnigen und friedlichen Sonntag wirklich richtig ekelhaft an: Das Aktionsbündnis "Demo Für Alle" mit dem "Edler Vollquatsch in Nuss"-Motto
"Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder"
und geführt von der lückenlos formidabel benamten Hedwig Freifrau von Beverfoerde, einer konservativ-katholischen und in der CDU beheimateten Kaltmamsell, die sich nicht zu schade war, sich diesen frechdummen Quadratscheiß gemeinsam mit der pathologisch verrückten Mausausrutscherin Beatrix von Storch von der AFD auszuschnapsen; wohlgemerkt also mit einer Frau, die via Twitter, Facebook und Wolfsschanzen-Kutscher Andeutungen dergestalt machte, die Grenzen des großdeutschen Reichs notfalls auch mit dem ausgesprochenen Scheiß, pardon: Schießbefehl für und auf Frauen und Kinder zu sichern - denn wenn man nur die Männer abknallt, ist's nur halb so tragisch, wie es an der Empörungsskala der deutschen Qualitätspresse abzulesen und mehr oder minder frei interpretierbar ist:
In der Selbstbeschreibung von "Demo Für Alle" heißt es:
Veranstalter der DEMO FÜR ALLE ist ein Aktionsbündnis verschiedener Familienorganisationen, politischer Vereine, engagierter Einzelpersonen und Initiativen aus ganz Deutschland. Wir treten ein für Ehe und Familie, auf die unsere Gesellschaft seit Jahrtausenden gründet, und wenden uns gegen die alles durchdringenden Umerziehungsversuche gut organisierter Lobbygruppen und Ideologen.
Nun ist es gute Tradition konservativer Parteien, Vereine und Thinktanks, die Einnahme von Tabletten zur Behandlung von Halluzinationen früher abzusetzen als vom Onkel Doktor empfohlen, und die Ergebnisse sind immer die gleichen, wenn nicht selben: der Weltuntergang steht kurz bevor, weil Frauen sich gegenseitig die Mumu und Männer sich gegenseitig den Pumu lecken, der Pfarrer nur noch strukturellen Kindesmissbrauch betreiben aber immer seltener Mann und Frau trauen kann und weil ein politischer Bildungsplan eines Bundeslandes vorsieht, das Recht auf sexuelle Freiheit und das Ausleben derselben zu "akzeptieren" und nicht etwa zu "tolerieren". Ein progressiver Sexualkundeunterricht an deutschen Schulen ist "Indoktrination im Sinne des Gender-Mainstreaming", und die "Homo-Lobby" plant die "Aufhebung aller sexuellen Normen" im Rahmen ihrer "kulturrevolutionären Strategie". Die drei letzten Zitate stammen allesamt von Gabriele Kuby, einer Fundamentalisten-Furie aus Rechtsauslegerhausen, die sich die als Faltensack getarnte Denkvorrichtung noch nicht glattbügeln konnte, denn für Madame Kabelbrand ist Homosexualität nicht nur Sünde, sondern auch heilbar:
In Wiesbaden hat "Demo Für Alle" zum heutigen Sonntag zur großen "Anti-Indoktrinations-Demo" geladen, unterstützt vom Who-Is-Who christlich-konservativer Organisationen und Initiativen:
Während sich die hessische CDU offiziell vornehm zurückhält und der Demo weder beiwohnt noch sie unterstützt - schließlich hat sie das zur Diskussion stehende Papier ja in erster Linie zu verantworten - sehen das Arbeitskreise der Union und die ihr nahe stehenden politischen Gruppierungen ganz offensichtlich anders - und als ob wir wirklich noch einen zusätzlichen Grund benötigen würden, um sämtliche Gedanken, Ideen, Visionen in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus dem Umfeld dieser Partei und ihrer Wähler immer und immer wieder zu 100% abzulehnen: hier hätten wir ihn dann. Sicherer Begleiter solcher Argumentation ist das klägliche und überaus bedauernswerte Zurückziehen in die Opferrolle, samt Negierung sämtlicher Realitäten. So wird etwa von eingeschränkter und unterdrückter Meinungsfreiheit schwadroniert, von struktureller Diskreditierung, von politischen Verschwörungen. Die arme kleine unterdrückte, an den Rand gedrängte, zum Schweigen gebrachte Minderheit - die sich zum freien Demonstrieren jeden Sonntag auf irgendeinem Rathausplatz treffen darf - und sei die geist'ge Armut im Brägen noch so groß, die Gedanken noch so wirr und das Mikrofon noch so laut: das absurde Gefühl, man befinde sich in der Minderheit, werden diese Menschen nicht mehr los. Dabei wird andersrum ein Schuh draus, denn die Minderheit IST tatsächlich Opfer von Diskriminierung:
Eine Online-Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ermittelte 2013 für Deutschland unter anderem folgende Zahlen: 46 % der Befragten LGBT (von engl. lesbian, gay, bisexual, and transgender) fühlten sich in Deutschland im letzten Jahr diskriminiert, 68 % haben ihre sexuelle Identität oft oder immer während der Schulzeit versteckt. 6 % der LGBT wurden im letzten Jahr Opfer von physischer oder sexueller Gewalt. Nur 4 % der gleichgeschlechtlichen Paare wagen, sich Händchen haltend in der deutschen Öffentlichkeit zu bewegen, während dies 68 % der heterosexuellen Paare tun. (Wikipedia, Homosexualität in Deutschland)
Was wir hier beobachten sind letzten Endes verzweifelte Versuche, den eh schon bröckelnden Status Quo eines veralteten gesellschaftlichen Dogmas um jeden Preis am Leben zu erhalten, während der Rest von uns sich längst von einem reaktionären, altmodischen, Realitäten nicht anerkennenden Format des Zusammenlebens verabschiedet hat. Ich habe in den letzten Monaten so manch gelupfte Augenbraue präsentiert bekommen, als ich meine Hoffnung zum besten gab, die Welt und die Menschen befänden sich auf einem guten Weg: wie könne ich denn im Zeitalter des Untergangs und vor dem Hintergrund solch großer, existentieller Probleme der Menschheit davon reden, dass schon alles gut gehen würde; ich sei ja ein naiv-verblendeter "Hippiearsch" (Rodgau Monotones) und hätte wohl die Seiten gewechselt - weil wenn die Gegenseite schon aus bloßer Faulheit nicht differenziert, dann muss man es selbst schließlich auch nicht machen.
Die Antwort lässt sich am oben beschriebenen Phänomen bestens illustrieren: weil wir als Gesellschaft solche bösartigen, reaktionären Sackgesichter hinter uns lassen und schon gelassen haben.
Sie spielen keine Rolle mehr.
Sie sind egal.
Sie sind vergessen.
Die progressive Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind viele. Und bald sind wir alle. Und der Rest soll sich solange wegficken.