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09.01.2018

Best Of 2017 ° Die Plätze 27 bis 25



PLATZ 27 ° DESOLATE - LUNAR GLYPHS


Das dritte Album des Produzenten Sven Weisemann unter dem Desolate-Moniker könnte das "Dark Side Of The Moon" der Millenials werden, wenn die sich noch ein bisschen um Musik und weniger um "urbane Styles" (Mutter Beimer) und also Kopfbedeckungen kümmern würden: "Lunar Glyphs" ist experimentell, aber nicht abgehoben. Progressiv, aber nicht verkopft. Atmosphärisch, aber nicht cheesy. An den richtigen Stellen eingängig und mitreißend, ohne banal zu werden. Außerdem: Deep wie Fick. Elektronische Musik hatte es abseits der meiner bekannten Obsession für (dubby) Ambientsounds 2017 schwer im Hause Dreikommaviernull, weil mir oft genau jener Ansatz fehlte, den Sven auf "Lunar Glyphs" über einen Zeitraum von fünf Jahren erarbeitet hat: die vernebelte und regennasse Großstadtstraße nebst vergilbter Straßenlaternenbeleuchtung auf meine Wohnzimmercouch zu beamen.




Erschienen auf Fauxpas Records, 2017.





PLATZ 26 ° EARTHEN SEA - AN ACT OF LOVE


Das erste von zwei fast zeitgleich veröffentlichten Earthen Sea Alben des New Yorkers Jacob Long steht auch stellvertretend für sein Pendant "A Serious Thing", hat aber für meinen Geschmack vor allem im Nahkampf die schmissigeren Kicks am Stizzle: "An Act Of Love" bekam ein, zwei Ecken mehr Konturen angetackert, nicht zuletzt durch Tracks wie die schön durch die Wolkendecke pumpenden "About That Time" und "The Flats 1975" bestimmt, und dadurch auch eine titelgerecht weniger deprimierende Aura als das, ebenfalls titelgerechte, ernster erscheinende "A Serious Thing". Dass ich ein Fan von Jacobs Arbeiten bin, steht hier schon seit ein paar Jahren geschrieben - seine Klangreisen durch den Dubtechno und Ambientkosmos sind immer bewegend und inspirierend. Lief vor allem über den Sommer in Dauerrotation. 




Erschienen auf Kranky, 2017.





PLATZ 25 ° HALFTRIBE - DAYDREAMS IN LOW FIDELITY


Irgendwie uncool, den im vergangenen Jahr mit dem Album "Luxia" noch auf Rang 9 ins Ziel geschwebten Ryan Bissett dieses Jahr auf Platz 25 zu schieben, und so richtig d'accord bin ich mit der Entscheidung immer noch nicht. "Daydreams In Low Fidelity" war ein Dauergast in meinem CD-Player, tatsächlich hat er seinen Platz seit Februar nicht mehr verlassen - und was ich im letzten März über "Luxia" schrieb, wird hier noch stärker herausgearbeitet: Bissetts Musik ist bei aller Weichheit überraschend crisp, fast intellektuell heruntergekühlt und ein bisschen rough around the edges. Das gibt mehr Raum für Experimentelles und witzige Ideen, gleichzeitig verlässt er die Ambient-Kuscheldecke und sucht die Herausforderung für anspruchsvolleres Storytelling, ohne dabei den Fluss der Kompositionen zu gefährden. Wer seine Stimmung gerne von äußeren Einflüssen manipulieren lässt, freut sich über die Endlosschelife von "Daydreams In Low Fidelity" besonders an regnerischen Frühlingstagen, wenn das Draußenleben aufs Neue wachgeküsst wird. 




Erschienen auf Archives, 2017.


05.02.2014

2013 ° Platz 6 ° Four Tet - Beautiful Rewind



FOUR TET - BEAUTIFUL REWIND


"no pre order, no youtube trailers, no itunes stream, no spotify, no amazon deal, no charts, no bit coin deal, no last minute rick rubin." - Kieran Hebden

Im Rückblick auf die bisher vorgestellten Platten und die darüber geschriebenen Worte fiel mir auf, dass die Abstände zwischen den einzelnen Titeln im vergangenen Jahr, im Vergleich mit den Ergebnissen aus den Jahren zuvor, deutlich geringer ausgefallen sind, in manchen Fällen erscheinen sie geradewegs mikroskopisch klein, fast nicht wahrnehmbar. Will sagen: das alles verschwimmt mehr und mehr zu einer großen, aber vor allem großartigen Masse Musik, und trotzdem ist jede Scheibe für sich eine mitreißende und einzigartige Ein- und Schönheit. Dass ich diese Einleitung ausgerechnet bei Four Tets "Beautiful Rewind" verwende, kommt nicht von Ungefähr. Kieran Hebdens neues Album, das erste seit dem überwältigenden "There Is Love In You" aus dem Jahr 2010 (die schwache 2012er 12-Inch-Compilation "Pink" mal außen vor gelassen), könnte auch gut und gerne kurzfristig, ergo just in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen in den Laptop einhacke, in der Reihenfolge nach vorne preschen, ohne damit die anderen Platten abzuwerten.

Es ist einerseits der bloße, konkrete Moment, andererseits aber auch der beliebig tiefe Pinselstrich, der auf "Beautiful Rewind" so viele Ebenen und Plattformen zum Leben erweckt, die die Auseinandersetzung mit dieser Platte so lohnenswert machen. Inmitten der Massen an Wohnzimmerfuchtlern, die außer der Dekonstruktion nur selten einer weiteren musikalischen Idee folgen, ist einer wie Hebden vielleicht nicht (mehr?) der innovativste, abgefahrenste, wildeste Typ der Welt, dafür rollt sein 2013er Werk klarer als vielleicht jemals zuvor nicht nur den Charakter und die Virtuosität seines Erschaffers, sondern auch dessen stilistische Unnahbarkeit auf einer Großbildleinwand aus. Wer hier auf einzelnen Tracks herumreitet und die Dechiffrierung anstrebt, kann seine Spekuliereisen gleich wieder einpacken. Damit ist diesem Album nicht beizukommen.

"Beautiful Rewind" ist anders als alles, was Du in den letzten Jahren gehört hast, und seine Tracks sind bei aller innewohnender Heterogenität das endgültige Manifest von einem, der nie still steht, der dabei in seinem eigenen Kosmos voranschreitet und nur wenig auf die hört, die in den letzten 15 Jahren an ihm vorbeigeschlittert sind. Kieran Hebden ist immer noch da und hört viel mehr auf das, was seine Plattensammlung aus 100 Jahren so alles ausspuckt. Sein Wille zur Weiterentwicklung, nach seinen Erfahrungen mit Jazzdrummer Steve Reid offensichtlich nochmals geschärft, mündet sogar noch stärker als früher in ein Amalgam des Klangs: auch wenn Hebden in erster Line für Rhythmus und Groove steht, zunehmend auch aus afrikanischer Kultur destilliert, sind seine schrägen Miniaturen aus Melodien und Samples fundamentaler Bestandteil dessen, was sich mehr und mehr als "Jazz" enttarnt. Hebden mag kein musiktheoretisch geschulter Instrumentenmusiker sein und wird damit von den Puristen sicherlich niemals in ihre vermeintlich heiligen Hallen aufgenommen werden; dass er aber den freien Geistern des Jazz aus den 60er und 70er Jahren viel näher steht als so manches in den Mainstream hochgejazzte Kalkül aus kuschligem Nichts, ist keine zu vernachlässigende Randnotiz, sondern viel mehr sich bahnbrechende Realität.

Erschienen auf Text Records, 2013.

2013 ° Platz 7 ° Maschinedrum - Vapor City



MACHINEDRUM - VAPOR CITY

Der erste richtig große Bassblitz im Opener "Gunshotta" trifft einen, wenngleich erwartbar, nicht weniger überwältigend direkt zwischen die Augen - dort zentriert sich tatsächlich dieses tiefe, ewige Brutzeln, über das die nervöse Snare klackert und über den sich ein Stimmenecholon annährt und wieder entfernt, sich annährt und wieder entfernt ... entfernt ... entfe.....

Ich muss an mich halten, um nicht den Kritikerquatschnusssatz "Das ist die Platte, die man nach dem Debut von Burial erwarten musste" hier hinzuschreiben, und jetzt ist er mir doch aus der holen Rübe direkt in die gichtigen Griffel gefallen, aber eher als ein Anschauungsobjekt im Proseminar "Musikkritik gone horribly wrong", denn auf Albumdistanz wär's dann doch kompletter Mumpitz. Der US-Amerikaner Travis Stewart, der seit seinem zwölften Lebenjahr elektromusikalisches Terrain erobert und mittlerweile mit über zehn LPs und ungezählten Singles und Projekten (u.a. mit Praveen Sharma als Sepalcure und zusammen mit Wunderkind Jimmy Edgar als Jets) klotzt, ist bedeutend weniger klaustrophobisch und manisch, als man es vom scheuen Londoner Burial vermuten könnte, der aus meiner Sicht immer noch erfolglos auf der Suche nach dem Ausgang aus dem goldenen Käfig ist, in dem er es sich seit Jahren gemütlich gemacht hat. Denn auch wenn Stewart seine Soundsozialisation inmitten von originären UK-Clubsounds wie Dubstep, Garage und Drum'n'Bass austoben lässt, lebt auch "Vapor City" wie schon der grandiose Vorgänger "Room(s)" von seinem untrüglichen Gespür für kilometerdicke Schichten aus Melodie und Groove und seiner Unbekümmertheit im Umgang mit Grenzen. Mal weht ein funkiger Chicago House-Groove durch die entfernt dahindämmernde Stadt, mal steppt der Jazz unter einem Regenschirm im Immergrünpark umher, mal geht's ab in die Unterwelt, zu den dunklen Träumen, den Nebelschleiern aus Emotion und Romantik - wo sich dieser hypersensible, feingesponnene Granitblock am wohlsten fühlt. Hier ist er geboren. Das ist seine Stadt, das sind seine Mauern, das ist sein Leben.

Erschienen auf Ninja Tune, 2013.

P.S. Das war mein 500.Blogpost. *tusch*

04.10.2013

Four Tet - Beautiful Rewind


Ich hatte Kieran Hebdens Four Tet-Moniker nach dem ziemlich schwachen "Pink"-Album aus dem Jahr 2012 etwas aus den Augen verloren. Die Magie, die er auf dem immer noch fantastischen "There Is Love In You" entfesselte, konnte ich auf "Pink" nicht heraushören - zu zerfasert und orientierungslos erschienen mir die Tracks, die mir bisweilen auch hinsichtlich der ausgewählten Sounds faustgröße Löcher in mein Nervenkostüm frästen.

Das in den kommenden Tagen erscheinende neue Werk "Beautiful Rewind" macht nach den ersten Durchläufen einen bedeutend besseren Eindruck auf mich und spielt sich damit in die Kandidatenreihe für die Jahres-Top 20. Neu-Deutsch und Alt-Behindert heißt sowas im Jahr 2013: es ist shortlisted.

Hebden hat für eine begrenzte Zeit den kompletten Albumstream auf Soundcloud gewuchtet. Viel Spaß beim Hören (und gebt dem dusseligen Soundcloud-Geschwerrl hier unten drunter ein paar Sekunden Zeit zum Laden).

Anmerkung: hier war mal eine Soundcloud-Box mit dem Komplettstream des neuen Four Tet Albums hinterlegt. Mittlerweile ist das Album offiziell digital verfügbar, weshalb Hebden den Soundcloud-Link wieder von Netz nahm. Ihr findet die Platte, sowohl physikalisch als auch digital bei den einschlägigen Mailorders.

03.03.2013

Die Songs des Jahres 2012 (Vol.1)

Listen, immer nur Listen. Ich könnte praktisch ein ganzes Blog-Jahr nur mit Listen füllen, mir würde bedauernswerterweise wohl immer ein absurder Mist einfallen.

Heute ist's allerdings erfrischend unabsurd, eine Liste mit den besten Songs des Jahres ist schließlich völlig legitim, ist es nicht? Wir machen das in zwei Etappen, sonst wird mir langweilig. Außerdem mit einem Novum, weil es dieses Jahr die entsprechenden Youtube-Video mit dazu gibt. Mein Service! Von mir, für Euch. "Ich liebe Dich, Mann!" (Wayne's World). Und die GEMA kann mir immer noch und äußerst ausgiebig mal schön den [zensiert]. Jedenfalls kann sie mich mal. Irgendwas. Verklagen. Ahahaha. Naja.


10 Lauer - Coppers

Man kann darüber diskutieren, ob das Album "Phillips" im Allgemeinen und der Track "Coppers" im Speziellen in den dunklen Wintermonaten Sinn machen, aber ich kann bestätigen, dass sich insbesondere "Coppers" im Sommer 2012 durch so manche Nacht auf der Überholspur Endlosschleife hielt. Für Zeiten, in denen Tumbleweed durch die hohle Rübe weht. Einfach, weil's Spaß macht.




09 Jacques Greene - Ready

Auch wenn Greenes "Another Girl" EP aus dem Jahr 2011 durchaus okay war, hatte ich ihn für einen solchen Kracher nicht auf der Rechnung. "Ready" platziert sich zwischen einer flotteren Burial-Nummer, Tri Angle-Sounds und einem ordentlichen Zug nach vorne mit einem sehr vielschichtigen und warmen Soundansatz. Außerdem sehr erfreulich: man hört Greenes Willen heraus, seinen Stil zu präzisieren. Das ist super.




08 Maserati - Abracadabracab

Maserati sind schwer gebeutelt und irgendwie hört man es "VII" auch an. Ihre neue Platte "VII" wäre um ein Haar in meine Top 20 hereingerutscht; ein wunderbar psychedelisches und kraftvolles Instrumentalrock Album von einer Band, die es tatsächlich geschafft hat, den Postrockrahmen nicht nur zu sprengen, sondern ihn  sogar zu erweitern. Es grüßen Pink Floyd, Kraftwerk und und Neu! "Abracadabracab" ist ein großartiges, über zehn Minuten langes Epos, für Tänzer genauso geeignet wie für Kopfnicker.




07 Holy Other - U Now

Holy Others "With U" EP aus dem Jahr 2011 war eine Sensation, auf dem vollständigen Debut "Held" zeigt sich aber, dass die Herausfroderung, ein abendfüllendes Album zu gestalten, vielleicht noch eine Nummer zu groß war. Die Zahl der anbetungswürdigen Momente ist zwar identisch mit der "With U"-Quote, aber eine EP ist eben auch kürzer. "U Now" ist das beste Beispiel, praktisch die Blaupause für seinen Sound: sofort zu identifizieren, sofort in die DNA eingebaut, sofort zum Leben erweckt.




06 Pinkish Black - Bodies In Tow

Der stärkste Track aus dem guten, selbstbetitelten Album des Weirdo-Duos aus Texas. Ein hymnischer Schlag mit dem Morgenstern, hochmelodisch und -dramatisch inszeniert, mit sehr charmanten und sympatischen Doom Metal Zitaten, die vor allem beim Gesang durchschimmern. Immer noch fantastisch.




28.10.2012

Tout Nouveau Tout Beau (6)


FLYING LOTUS -UNTIL THE QUIET COMES

Zugegeben: schon die drei vorangegangenen Alben des Kaliforniers Steven Ellison brachten mich ob ihrer musikalisch geschnitzten Falltüren und aufgestellten Beat-Bärenfallen in so manche Erklärungsnot - was übrigens hier und hier nachzulesen ist. "Cosmogramma" aus dem Jahr 2010 bekam den "Space Opera"-Sticker aufgeklebt, mit dessen Hilfe so mancher die komplette Ahnungslosigkeit hinsichtlich der Musik ganz gut überspielen und -schreiben konnte. Aber unabhängig von der Frage, ob die Musik von Flying Lotus an der ein oder anderen Stelle nicht vielleicht ein ganz kleines bisschen, nasagenwirmal: überambitioniert bewertet wird, ist "Cosmogramma" für mich, auch wenn ich es selten aufgelegt habe, ein großes Gesamtkunstwerk, eine irre Achterbahnfahrt durch 60 Jahre Musikgeschichte, elektronischer Free Jazz, spiritueller Post-Funk für eine Zeit, die wir alle nicht mehr erleben werden. Talking about "überambitionierte Bewertung".

"Until The Quiet Comes" stellt mich vor bedeutend größere Probleme, weil hier einerseits ein spiritueller, meinetwegen ideologischer, Überbau fehlt, der die Sache mit dem Verständnis (wenigstens für mich) vereinfachen könnte. Andererseits werkelt Ellison immer noch in der großen Kiste aus Sounds, Beats, Strukturen, Ideen, Varianten und Farben, dieses Mal aber deutlich entspannter und nokturner als in der Vergangenheit. Die Tunes sind zurückgezogener als auf dem Durchbruchsalbum "Los Angeles", sie wirken noch detaillierter und tiefer als die Schwestern und Brüder auf "Cosmogramma" - und wenn ich es mir recht überlege, ist das ein durchaus mutiger Schritt: Ellison rückt das grelle Blinken und Zischeln, den Krach, den Irrsinn in den Hintergrund, um möglicherweise erstmals den Blick auf das Wesentliche zu werfen. Ellisons Gespür für die akurate Darstellung hochkomplexer Momentaufnahmen seines Musikuniversums wurde vielleicht noch nie so glasklar auf eine schwarze Plastikscheibe gepresst, wie auf "Until The Quiet Comes". Paradoxerweise bedeutet das für mich bislang Kapitulation. Ich befürchte, dass ich diesen Brocken noch lange nicht verstanden habe. Und ich zweifle seit einigen Tagen, ob es mir jemals gelingen wird. Halten wir's mit den ollen Rochen von Asia: only time will tell.

Hoppala, das wichtigste hätte ich um ein Haar vergessen: wenn ich noch einmal die Rezension der Spex zu dieser Platte lesen muss, pisse ich mich ein. Schönen guten Abend.

Erschienen auf Warp Records, 2012.





HOLY OTHER - HELD

Die Debut-EP "With U" war eine der Sternstunden des Jahres 2011, und es ist geradeheraus ein Skandal mittelstrahligem Ausmaßes, dass ich bis heute noch kein Wort darüber verloren habe. Heute, im Oktober 2012, ist es angesichts des mittlerweile veröffentlichten ersten vollständigen Albums des britischen Produzenten auch schon eine Nussecke zu spät, aber dann soll nun wenigstens ebenjenes "Held" eine Handvoll Lob einfahren. Das Tri Angle Label dürfte meinen zweikommavierneun Lesern indes bekannt sein, denn immerhin fand Balam Acabs Debut den Weg in meine Jahresbestenliste 2011: Tri Angle wird in einschlägigen Kreisen seit der Musik von oOoOO, dem erwähnten Balam Acab oder auch Clams Casino als der heißeste Scheiß der neuen Elektronik gefeiert, was insofern verwundert, weil der ganze Beatsalat auf das erste Hören neu- und fremdartig erscheinen mag, er es sich aber Dank des flott einsetzenden Gewöhnungseffekts mittlerweile in der Sackgasse namens "Burial" gemütlich gemacht hat und dort langsam vor sich hinwelkt. "Held" leidet zu Beginn etwas an dieser Entwicklung, vor allem, weil sich "With U" zu dolle über die Gnade der frühen Geburt freuen darf. Was 2011 neu und aufregend war, ist 2012 eben weniger neu und weniger aufregend. Folglich bietet "Held" schlicht die Weiterführung des auf "With U" bereits ausgerollten Konzepts: dunkel verästelte Beats pumpen zwischen weiten Synthieflächen und verhallten Sprachfetzen das Blut der Finsternis durch brüchige Strukturen und opulente Arrangements, die trotz der Fülle an Winkeln und Schauplätzen nie überladen, sondern durchaus fokussiert und straff wirken.

"Held" ist zwar keine Überraschung mehr, aber wer einen Nachschlag zu "With U" braucht, wird hier bestens versorgt. Wenn es in diesem Stil aber weitergeht, bin ich bei der nächsten Scheibe raus. Was wir alle überleben werden, schätze ich.

Erschienen auf Tri Angle, 2012.





MONOPHONICS / DESTRUMENTS - LIKE YESTERDAY / FREEDOM

Das Konzert der Monophonics in Frankfurt wurde aufgrund des miesen Vorverkaufs ersatzlos gestrichen, was mich doppelt ärgert. Erstens grenzt es beinahe an ein Wunder, dass die Kalifornier bereits ein paar Monate nach Veröffentlichung des Debuts überhaupt eine Headlinertournee durch Europa durchziehen, und ich glaube nicht, dass die Band so schnell nochmal in die alte Welt übersetzen wird. Zweitens sah ich die Monophonics vor wenigen Wochen im Rahmen eines US-amerikanischen Festivals in dessen Livestream und war begeistert von ihrer Präsenz und ihrem Soul. Ein großes Ensemble mit fantastischen Musikern, die die Tracks des Debuts "In Your Brain" ausgesprochen lebendig und kraftvoll interpretierten. Das wäre sicherlich ein großartiger Abend im Frankfurter Zoom geworden. Es sollte aber nicht sein, weshalb ich aus Trotz die neu erschienene Splitsingle mit den Destruments einkaufen musste. Ein kleines, simples und doch authentisches Juwel aus Soul und Funk, das sich die Plattenladengräber sicherlich schon gesichert haben. Vielleicht wird man sich in 20, 30 Jahren an die Monophonics erinnern und "Mensch, das war auch eine arschcoole Band!" sagen. Meine anfängliche Reserviertheit bezüglich des Albums hat sich jedenfalls und mittlerweile fast in Luft aufgelöst. Ein echter Grower. Weitermachen, bitte. Und irgendwann mit den fantastischen Orgone nochmal auf Europatournee kommen. 

Erschienen auf Colemine, 2012.



08.04.2012

The Memory Of Sound



PORTER RICKS - BIOKINETICS

Überraschung #1: so richtig ernsthafte Technoalben gab es schon in den neunziger Jahren. Also nicht so ein Westbam-Geklöppel mit Duracell im Popo, sondern so richtig ästhetisch wertvollen Techno, meinetwegen Dubtechno...okay, okay: von mir aus auch Ambienttechno. Überraschung #2 - Type Records feiert die Wiederveröffentlichung von "Biokinetics" als den 100.Release aus dem eigenen Hause. Überraschung #3: diese Musik ist nicht einen Tag gealtert.

Als "Biokinetics" im Jahr 1996 auf Chain Reaction, dem Techno Label von Mark Ernestus und Moritz von Oswald, erschien, entdeckte ich gerade Cradle Of Filth - nichts, worauf man im Rückblick stolz sein müsste, aber sei's drum - und hatte mit elektronischer Musik im Allgemeinen noch gar nichts am Hut. Dass mir Type nun die Möglichkeit gibt, dieses außergewöhnliche Werk zu bestaunen, noch dazu erstmals auf Vinyl, lässt meine Musiklibido mit aus alten CD-Booklets von Marusha geschreddertem Konfetti werfen. Was uns zu Überraschung #4 bringt: für gewöhnlich lehne ich "alte" elektronische Musik ab, weil sie für meine Ohren meist angestaubt und überholt klingt. Wäre vielleicht ja auch mal ein Thema für die Zukunft, herauszufinden, warum ich so schiefe Ohren habe.

Porter Ricks sind Thomas Köner und Andy Mellwig, zwei Künstler, die auch mal gerne als das Dream Team des Sound Designs bezeichnet werden. Der eine, Mellwig, betreute als Engineer im Berliner "Dubplates & Mastering" unzählige Technoproduktionen, veröffentlicht die eigene Musik unter dem Continuous Mode-Banner und hat Nebenprojekte mit Kevin Shields (My Bloody Valentine) und Pete Kember (Spacemen 3) am Köcheln. Thomas Köner hingegen beeinflusste mit seinen Klassikern wie "Nuuk" oder "Permafrost" Legionen von elektronischen Musikern, erweiterte jedoch seit Beginn seiner Karriere den audiophilen Teil seiner Kunst mit dem visuellen und arbeitet fortwährend an der (Weiter)Entwicklung der Umsetzung von Ton in Bild, was ihn Anerkennung und Engagements der Kunstwelt einbrachte.

"Biokinetics" beinhaltet Songs aus zuvor unveröffentlichtem Material des Duos und ist, wird das große Ganze als Argumentation für einen Klassiker herangezogen, mehr als die Summe der einzelnen Teile. Es sind in erster Linie drei Songs, weswegen diese Platte existiert - aber sie wären völlig wertlos, wären da nicht die flankierenden Rumpler und die angeschrägten Begleiter, die "Biokinetics" eine Storyline zwischen dem umwerfenden Beginn mit "Port Gentil", dem brodelnden  "Biokinetics 2" zur Mitte und dem gleichfalls beeindruckenden Ende "Nautical Zone" verpasst. Es hat den Anschein, als ob diese acht Tracks durch zwar unsichtbare, aber ätherisch geknüpfte Nervenbahnen miteinander verbunden sind; sie schwingen ineinander, sie verschmelzen, teilen und trennen sich wieder. Was sie nach der Trennung hinterlassen sind homöopathische Dosen von Informationen und Ideen, von abstrakten und verschwommenen Erinnerungen - heutzutage immer noch von ganzen Labelkatalogen, von Hyperdub über Honest Jon's bis hin zur posturbanen Übermoderne von Brainfeeder gelesen, genutzt und verarbeitet.

Wiederveröffentlicht auf Type, 2012

05.03.2012

Burial & Four Tet

Auch wenn die Tracks von Burial in den letzten Jahren wenigstens mich mehr enttäuschten als begeisterten, gefällt seine neuerliche Kollaboration mit Four Tet durchaus: zwar ist auch hier die so typische und mittlerweile sehr langweilige Burial-Snare zu hören, die einen wirklich glauben lässt, dass der Mann gar nix anderes kann, als immer nur den immergleichen Sound zu fabrizieren. Kieran Hebden aka Four Tet reißt den Track aber mit der von seiner letzten und immer noch großartigen LP "There Is Love In You" mitgenommenen leisen Euphorie nach oben und vermittelt genau den strahlenden Optimismus, der so wichtig und schillernd ist und bestens zur ersten Frühlingssonne passt.

Das kann in bestimmten Momenten so wunderbar sein wie eine eiskalte und selbstgemachte Limonen-Minze-Limo bei 38°C.




02.02.2012

2011 #6 - Balam Acab °° Wander / Wonder



Die auseinandergetupften und sich wie heißer Wasserdampf in der Luft auflösenden Pianonoten in "Await", und die Gesangsamples, die wie ein Perpetuum Mobile über einer flammenden Kerze entlanggleiten, hochgepitcht wie man es schon in Technoproduktionen der neunziger Jahre hören konnte, sind so ein neuralgischer Moment von "Wander/Wonder". Soll ein Funken Erkenntnis in dieses dunkle und mystische Album einfließen, dann funktioniert das über solch fokussierte Destillate am besten. Spätestens hier, kurz vor Ende einer vorbildlich zusammengestellten Sammlung von Ideen und Ausführungen, lege ich mich meist beruhigt zurück. Die dargestellte Weite ist derart einnehmend, dass sie als natürliches Opiat wirken kann. Schmerzbefreiend und, je nach Dosis, ganz dezent suchterzeugend.

Es ist schwer in Worte zu fassen, was hier passiert. Ganz offensichtlich war ich in dieser Hinsicht nicht alleine: wer Balam Acabs Debut-EP "See Birds" aus dem Spätsommer 2010 kennen- und liebenlernte, stand vor "Wander / Wonder" zunächst mal mit einem Fragezeichen auf der LSD-Party herum. Der erst zwanzigjährige Alec Koone aus Pennsylvania taucht mit seinen acht Tracks in die musikalische Tiefsee hinab und holt Field Recordings, kratzende, verschleierte Beats und surreale Soulstimmen-Samples vom Meeresgrund empor. Sehr angenehm ist in diesem Zusammenhang das Fehlen von Brüchen in den Songtexturen; "Wander/Wonder" ist durchgängig tief romantisch und kreist ohne jede Delle auf seiner Umlaufbahn. Dabei hat Koon sein erstes vollständiges Album für das immer weiter aufsteigende Tri Angle-Label ein ganzes Stück langsamer als "See Birds" gestaltet und ist gleichzeitig songorientierter und atmosphärischer geworden. Letzteres wird in Momenten wie dem weiter oben ausgeführten deutlich - da ist fast nichts, aber es trägt das Gewicht der Welt auf den schwankenden Schultern.

Im Hintergrund rauscht, knackt und prasselt es - gar nicht selten wird Wasser zum bestimmenden Element einer Platte, die dafür das exakt stimmige und darüber hinaus großartige Artwork übergestreift bekam. In die Unterwasserhöhle dringt frisches Licht, belebend und wunderschön.

Erschienen auf Tri Angle, 2011.

18.01.2012

2011 #11 - Kangding Ray °° Or


Das verbotene Wort gleich zu Beginn, dann haben wir es hinter uns: monolithisch.

Kangding Ray ist der Architekt, ein Puppenspieler der Statik. Einer, der einen Koloss aus Stahl und Beton über die Idee stellt, mit der im normalen Leben alles beginnt. Die Welt steht Kopf und es wird Zeit, dass der Soundtrack ihr folgt - es ist unwirklich, karg, ätzend. Wir verlieren alles. Die Kommunikation liegt am Boden.

"Or" erhebt sich.

Es scheint, als erschaffe Kangding Ray diese Musik jedes Mal aufs Neue, sobald sie zum Leben erweckt wird, und die Überraschung darüber, dass "Or" bei jedem Abtasten eine andere Richtung einschlägt, wird nicht kleiner. Man ist einfach nie darauf vorbereitet, selbst wenn die Intuition zart die Hand zur Verbrüderung ausstreckt. "Or" zementiert Gebirgsmassive in ein von Kratzern und Splittern unterfüttertes Bild. In der Mitte hohl. Oben und unten Leere. Kein Flackern, keine Verwirbelung. Abstraktion. Sand im Getriebe. Marmelade auf Brot.

Die Beats prasseln in Kaskaden in Richtung unendlicher Horizonte; man spürt förmlich, dass sie ein System entdeckt haben, mit dem sie sich nicht nur eigenständig am Leben halten können, sondern sich zeitgleich  weiterentwickeln und eine geradewegs unheimliche Intelligenz kreieren, unkontrollierbar werden. Ein Trugschluss, denn auch wenn Kangding Ray seine Musik an der langen Leine lässt: er ist die Autorität. Er bestimmt Farbe, Charakter und Struktur, er malt die Risse und Falten, er poliert und modelliert. Alles geschieht am lebenden Objekt. Für den Puls und für die Dunkelheit.

Erschienen auf Raster Noton, 2011.

09.04.2011

Hurra - Er lebt noch!

Englands Dubstep-Meister Burial hat eine neue Single veröffentlicht, die erste Eigenkomposition seit dem "Untrue"-Album aus dem Jahr 2007. 

"Street Halo" erscheint bei seinem Hauslabel Hyperdub und ist um Längen besser als alles vom weichgespülten und viel zu gefälligen Vorgänger. Die B-Seite fällt dann mit "NYC" zwar wieder in "Untrue"-Nichtigkeiten zurück, bevor "Stolen Dog" nochmal die Kurve kriegt, aber der Titeltrack steht hell leuchtend und wie 'ne Eins im Wohnzimmer-Testlabor. 



Wer zuschlagen will, sollte flott sein: "Street Halo" gibt es meines Wissens offiziell nur auf Vinyl zu kaufen und Burial-Singles sind heißbegehrt, was die innerhalb von 2 Tagen ratzeputz ausverkaufte Auflage der Kollaboration mit Radioheads Thom Yorke beweist.

Zu kaufen bei HHV.de oder Boomkat