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01.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 17: North Sea Echoes - Really Good Terrible Things





NORTH SEA ECHOES - REALLY GOOD TERRIBLE THINGS


"Integration? Ich bin so frei, von dieser Scheißkultur nichts wissen zu wollen. Deutschlands Werte gehen mir allesamt am Arsch vorbei, ich singe keine Hymne, folge keiner Flagge, werde einen Teufel tun, auf das Grundgesetz, diesen Waffenstillstandspakt im Klassenkampf (Rosa Luxemburg), einen Eid abzulegen, und wünschte mir, jeder Mensch, der hierher geflohen ist, seine Haut vor unseren Exportwaffen zu retten, wäre so frei, es zu halten wie ich." (Hermann L. Gremliza)



Wenn mich jemand nach den zwei besten Metalplatten der letzten 20 Jahre fragen täteräte, müsste ich ohne Zögern "Winter Ethereal" und "Theories Of Flight" nennen, verbunden mit der Einlassung, dass danach für eine VERDAMMT lange Zeit erstmal nichts mehr kommt, weil Heavy Metal und - scheißrein, machen wir es gleich ein bisschen universeller - Rockmusik mittlerweile ein traurig vor sich hindampfender Misthaufen ist; und wer jetzt mit den Augen rollt, weil Florian wieder was "Schlimmes" (Heidi Kabel) gesagt hat, hört sich einfach eine beliebige 2024er Metal-Playlist an und dann sprechen wir uns nochmal. Wie viele Offenbarungseide kann ein Genre aushalten, das den Erfolg von Ghost und Babymetal ermöglicht? Na?! Antworten bitte an die bekannte Adresse, irgendwas mit ZDF und Mainz oder was weiß ich. 

Was die beiden eingangs erwähnten Alben indes eint: sie wurden federführend von Jim Matheos ausgedacht, dem Kopf und Herz von Fates Warning. Für "Really Good Terrible Things" haben die zwei hauptsächlichen Protagonisten der Progressive Metal-Legende, also Gitarrist Matheos und Sänger Ray Alder ein neues Projekt gestartet, das ein klein wenig so klingt, als sei es ihr Ziel gewesen, die introvertiertesten Momente ihrer Hauptband seit deren 1994er Album "Inside Out" auszuwählen und sie in zehn neuen Songs miteinander zu verschmelzen. Es ist nicht schwierig, dieses äußerst ruhige und melancholische Album darüber hinaus mit eher unerfreulichen Attributen zu bedenken; "anachronistischer Kitsch" ist vielleicht noch die aufgeräumteste Beleidigung, die mir einfiele. Denn so visionär Matheos für Fates Warning bisweilen agierte, so prähistorisch fällt sein Umgang mit Sounds und Arrangements in anderen Projekten aus, wie beispielsweise auch bei seinen Alben unter dem Namen Tuesday The Sky.

Ich kann all diese vermeintlichen Defizite anerkennen und gleichzeitig sind sie mir völlig egal. "Really Good Terrible Things" hat mir ab der ersten Begegenung den Schlüpper weggedroschen, und selbst wenn es da noch einen Hauch von Gegenwehr gab, war spätestens beim zweiten Song "Flowers In Decay" alles vorbei. Und nur, damit ich es gesagt habe: was das für mich, meinen Hang zum anachronistischen Kitsch und für meine obigen Einlassungen zum aktuellen Zustand des Metals bedeutet, ist mir auch wurscht. "Really Good Terrible Things" ist dunkel und warm, zurückgezogen und introspektiv, melodisch herausragend und außerdem, stating the obvious, sensationell gesungen. Wenn mir Kälte und Dunkelheit unter die Haut kriechen, wenn die zermürbenden Zweifel wie ein wütender Mob vor der Tür stehen, wenn die Angst naht, sind Alder und Matheos die Retter in der Not. Ein Album wie ein heißes Bad in veganer Eselsmilch. Ich will hier nie wieder raus.


 


Erschienen auf Metal Blade, 2024.

08.04.2021

Sonst noch was, 2020?! (1) - Fates Warning - Long Day Good Night

Für den Top 20-Jahresrückblick blieben ein paar Alben auf der Strecke, manchmal unerwartet, manchmal einfach nur, weil ich sie zu spät kennenlernte. Um nicht wie in den fucking 13 Jahren zuvor immer wieder den selben Fehler zu machen und solche Kandidaten irgendwann einfach zu vergessen, werden wir also über die nächsten Wochen Monate öfter mal ein Wort über das verlieren, was sich abseits der vermeintlich besten Platten des Jahres noch so getan hat. 

2020 wird uns also noch eine Weile beschäftigen - und das gilt vermutlich sogar über die Musik hinaus. 

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FATES WARNING - LONG DAY GOOD NIGHT

Ich liebe Fates Warning. Ich liebe ihre Unaufgeregtheit, ihre Melancholie, ihre Brillanz. Dass sie nach ihrem Comeback mit "Darkness In A Different Light" im Jahr 2013 nur drei Jahre später einen echten Meilenstein aus dem Hut zauberten, traf mich bei aller Verliebtheit wie ein Öltanker bei Nacht: "Theories Of Flight" ist ein überragendes progressives Metalalbum, über das ich bereits hier und hier ausgiebig referiert habe. Dass der im November 2020 erschienene Nachfolger "Long Day Good Night" in meine Top 20 gehört, war glasklar, eigentlich schon vor dem Hören. 

Aber es kam anders. 

Es stimmt etwas nicht mit dieser Platte, und ich kann nicht mit Gewissheit sagen, was es ist. Es gibt aber Indizien. Erstens: das Album ist zu lang. Die Vierminüter aus dem letzten Drittel gehören streng genommen komplett gestrichen, weil der Band hier jede Spannung aus den Händen gleitet. In diesem Zusammenhang ist es zweitens mindestens genauso wichtig zu erwähnen, dass kein einziger Song der besagten Gruppe für sich genommen medioker oder gar Schlimmeres ist - dass sich trotzdem jener Eindruck verfestigt, deutet auf ein echtes Problem aus dem Regieraum hin. Drittens: wenigstens in der ersten Hälfte meint man hinsichtlich der Songstrukturen ein Abziehbild des Vorgängers zu hören. Ich nenne dieses Phänomen den Tool-Effekt: definitiv andere Songs, definitiv andere Vibes - und dennoch: "Das kenne ich doch genau so schon von der letzten Platte, dafuck?!" Viertens: die ohnehin nicht gerade üppig gesäten Experimente wollen nicht recht gelingen. Der ZDF-Fernsehgarten-Schunkler "Under The Sun" ist mindestens diskussionswürdig und sorgt spätestens im Refrain bei meiner der Band ebenfalls überaus zugeneigten Herzallerliebsten für den so berüchtigten wie wort-und verständnislosen Blick über den oberen Brillenrand. Und der Longtrack "The Longest Shadow Of The Day", angeblich bereits über mehrere Jahre in Arbeit, man fragt sich leise "Warum?", gerät mit einem - ich möchte offen sprechen: komplett ratlos machenden Instrumentalteil zu Beginn zu einem zwar ambitionierten aber gleichzeitig orientierungslosen Epos, das beim Versuch, dem Intensitätsmonster "The Light And Shade Of Things" ein Eckchen abzuknabbern, sich ordentlich verschluckt. Fünftens: sollten sich die Gerüchte bestätigen und "Long Day Good Night" ist tatsächlich das letzte Studioalbum dieser legendären Band, dann müsste ich mir angesichts des zwar (ein bisschen zu) programmatisch betitelten Abschlusssongs "The Last Song" und seiner auffallenden emotionalen Lethargie und Schlaffheit beinahe ein paar Sorgen machen. Vielleicht entgeht mir aber auch die Verbindung jener Lethargie zu einer wirklichen, echten Erschöpftheit der Protagonisten; ein so naheliegender wie profaner Gedanke, aber es gibt auch hier ein Problem: "Long Day Good Night" kann selbst diese vermeintliche Dramatik weder tragen noch klären, dafür fehlen Tiefe, Ausdruck, Engagement. Ich wiederhole mich: Es stimmt einfach etwas nicht mit dieser Platte. 

All das liest sich wie ein furchtbarer Verriss. Das ist jedoch nur das viertelchen Wahrheit. 

Ich liebe Fates Warning. Es gibt ganz wunderbare Momente auf "Long Day Good Night", es war alleine im Digitalformat eines meiner meistgehörten Platten des vergangenen Jahres (und in dieser Statistik sind die Schallplattendurchgänge freilich nicht mal aufgeführt.) Und ich liebe Ray Alder. Ich würde mir jede weitere Fates Warning Platte taubstummblind kaufen, und hätte ich letztes Jahr einen großen und damit auch irgendwie einmaligen Schluck aus der Schnapspulle genommen und mir gar eine Top 30 vorgenommen, wäre "Long Day Good Night" vermutlich dabei gewesen. Der Begleittext hätte indes nicht bedeutend anders ausgesehen als dieser hier. 

Möglicherweise saß das Problem aber wie so häufig mal wieder vor dem Plattenspieler. Ich kann nicht abstreiten, dass ich nach dem Höhenflug von "Theories Of Flight" (und auch der Arch/Matheos-Sternstunde "Winter Ethereal") auf eine Wiederholung dieser Erfahrung hoffte und jedes Bröckeln dieser Erwartung nichts weniger als einen kleinen Weltuntergang bedeutete. Die Logik weiß, dass die herausragende Qualität solcher Platten wie eben "Theories Of Flight" auch deswegen so herausragend ist, weil sie so selten passiert. Wunderwerke sind eben rar. 

Das Herz will das alles nicht verstehen. Das Herz will Überfluss, Euphorie, Drama - 24/7, auf allen Kanälen und aus allen Rohren gefeuert. Man nennt's Leben.


   



Erschienen auf Metal Blade, 2020. 



01.01.2021

Die besten Vinyl-Reissues 2020 (3): Fates Warning - Inside Out

 



FATES WARNING - INSIDE OUT


Auch Metal Blade haben sich erbarmt und den Vinylfreunden mit der Wiederveröffentlichung des 1994er Albums "Inside Out" von Fates Warning eine große Freude gemacht und eine Lücke geschlossen, die für meinen Geschmack zu lange unbeachtet blieb. Zwar galt das im weitläufigen Fahrwasser des Überraschungserfolgs von Dream Theaters "Images And Words" veröffentlichte Album zunächst als zu kommerziell und damit als kleine Enttäuschung, für mich war "Inside Out" aber zusammen mit Tiamats "Wildhoney" und "Word Of Mouth" von Vicious Rumors DER Soundtrack meines Sommers 1994 und weckt damit, der emotionalen Verdrängungsleistung eines Öltankers sei Dank, ausschließlich positive Gefühle. 

Aber auch ohne alberne Verklärung zeigt die Platte eine vor allem hinsichtlich der melodischen Präzision gereifte Band. Wer zum Vergleich das unrunde Gehacke von "No Exit" aus dem Jahr 1988 hört und mit der harmonischen Kaltnadelradierung eines "Shelter Me" vergleicht, glaubt kaum, dass es sich noch um dieselbe Band handelt. 

Die Pressung auf coloriertem Vinyl ist wie von Metal Blade gewohnt absolut fehlerfrei, dazu gibt's ein großformatiges Poster, einen Downloadcode (Bandcamp) und einen Einleger mit Texten. Das alles zum Sparpreis von 18 Euro. Entzückend!


 



Erschienen auf Metal Blade, 1994/2020.