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14.01.2019

Best Of 2018 ° Platz 19 ° Chip Wickham - Shamal Wind




CHIP WICKHAM - SHAMAL WIND


Aus mir ehrlicherweise unbekannten Gründen schaffte es das Debutalbum "La Sombra" des britischen Flötisten Chip Wickham im vergangenen Jahr nicht mal in die künstlich aufgeprotzte Liste der 30 besten Alben des Jahres. Ich weiß manchmal ja auch nicht, was mit mir los ist. 

"Shamal Wind" ist sowohl stilistisch als auch qualitativ nicht weit von "La Sombra" entfernt: Spiritual Jazz, Latin Funk, Hardbop, mal elegisch glänzend, seidig, mit viel Raum für atmosphärische Träumereien, mal mit furiosem Drive groovend und swingend. Der mittlerweile in Spanien lebende Musiker ist Teil der seit etwa fünf Jahren geradewegs explodierenden Jazzszene Englands und besonders der Keimzelle in London im Dunstkreis von Matthew Halsall und seinem Gondwana Label und dem von Tausendsassa Gilles Peterson gegründeten Brownswood Recordings mit seinen Vorzeigekünstlern Shabaka Hutchings, Maisha, Moses Boyd und Kokoroko, um nur ein paar Namen zu nennen. Wickhams Arbeiten sind stilvolle und vor allem zeitlose Exponate moderner Jazzkultur, die einerseits problemlos in den späten 1960ern und frühen bis mittleren 1970ern hätten erscheinen können, andererseits aber den Geist des Frischen und Wilden atmen und nicht mal ein Sekündchen nach tragischem Kellerclub klingen. Nach überstandener lebensbedrohlicher Krankheit hat Chip angekündigt, fünf Alben in ebenso vielen Jahren aufzunehmen - "Shamal Wind" ist Nummer 2 und ich freue mich auf die drei folgenden. Wer nicht mit seinen ollen Miles und Coltrane Alben begraben werden will, dem empfehle ich ein Eintauchen in die aktuell so pulsierende Jazzszene Englands. 


Warum nicht mit "Shamal Wind" starten?


Pressung: +++ (ein paar non-fills auf dem ersten Track der B-Seite, die mich nicht sonderlich stören, ansonsten zufriedenstellend. Angaben beziehen sich auf die Standardversion, die auf 390 Stück limitierte 180g Ausführung kenne ich nicht)
Ausstattung: ++ (tolles Coverdesign, gefütterte Innenhülle, Danksagungen auf dem Backcover, aber keine Linernotes oder zusätzliche Features)




Erschienen auf Lovemonk, 2018.

21.08.2016

Colour & Hope




PETE JOSEF - COLOUR


"Colour" ist wieder mal ein formidables Beispiel für die heutige Berichterstattung in Musikmedien: Irgendwer hat sich den berühmten Waschzettel für das Label ausgedacht, die bisherigen Stationen Josefs, seine Kollaborationen und die Verbindungen zum Berliner Label Sonarkollektiv aufgeschrieben und dazu jeden Genrefetzen, der mit seiner Musik auch nur im Entferntesten verbunden sein könnte aufs Blatt erbrochen - und jeder, wirklich jeder hat's übernommen. Egal ob auf Englisch oder auf Deutsch, es steht überall der gleiche Kram. Manchmal direkt und eins zu eins kopiert, ein anderes Mal mit einem bisschen Füllmaterial aufgehübscht. Da fragt man sich schon, wer sich die Platte eigentlich noch angehört hat. Andererseits: so kann man auch wirklich nichts mehr falsch machen. Auf keiner Seite. 

Multiinstrumentalist aus Bristol, best known for dings und bums...hier...na?! ex-Underworld, genau. White Lamp, dazu irgendwas mit Soul, in sepia getaucht, Berlin, na logo -- ditte is meen Ballin, wa? Butterweiche Stimme, Multiinstrumentalist, wohnt jetzt auf dem Land. Multiinstrumentalist ist er übrigens auch, hatte ich noch nicht erwähnt. EY! MULTIINSTRUMENTALIST! AUF DEM LAND!


Cut. Schnitt. Pause. 


Ich habe mich etwas vor dieser Platte gedrückt und das lag nicht daran, dass der in Bristol aufgewachsene Multiinstumentalist...*dampf*...das lag jedenfalls nicht daran, dass die Musikpresse sich mal wieder selbst am eigenen Schwachsinn berauschte. Ich will ehrlich sein: mir war der Name des Multiinstrumentalisten aus Bristol gar nicht geläufig, aber wie schon ungefähr öchtzig Mal auf diesen Seiten erwähnt - oh the irony! - partiet (sic!) Herr Dreikommaviernull like it's 1993 und lässt sich also von den entzückenden Coverartworks das Portemonnaie und die Hose öffnen; außerdem erscheint "Colour" auf dem Berliner Label Sonarkollektiv - und das kann dann in der Kombination wirklich nicht mehr schlecht sein. Was ich dann zunächst hörte, kitzelte Klischeebilder im Familienpack aus mir heraus: bestimmt ein total smoother Multiinstrumentalist aus Bristol, sexy, urban, trägt bestimmt geraffte Schals und Strickjacken (auch im Sommer) und Zwanzigjährige posten sich auf Instagram um die Reste des Verstands, die den Ausgang trotz Biermix und Döner für zwofuffzich auf irgendeinem superhipmegaabgefahren Festival - im Grünen, am See, an der Müllverbrennungsanlage, is' eh schon alles egal - noch nicht gefunden hatten, alles schön im Sepiafilter, mit glitzernder Sonne und geöffneter Raviolidose im Hintergrund. 

Nun arbeitet Herr Siebenkommafünfacht aber auch gerne an sich und vor allem am ständigen Abbau der eigenen Unzulänglichkeiten, wo nicht Vorurteile, zumal den zu schnell gefällten, und legte "Colour" immer und immer wieder auf. Das soll nicht heißen, dass ich mich mit einer glühenden Peitsche aus sich frisch ergossener Lava zum Plattenspieler prügeln musste - ich mochte die Musik des 23-jährigen Mulstiinstramentulizsten aus Bristol: ein extrasmoother Mix aus mundgeblasenem Indiesouljazz, der selbst in den etwas rassigeren und mit Latintouch ausgekleideten Momenten im besten Sinne behutsam bleibt. Melodisch überaus virtuos, atmosphärisch hingegen weichgezeichnet, ohne auch nur ein Eckchen und Käntchen herausgucken zu lassen. Für den Style, den roten Faden, die Idee. Das ist stark. Und je länger und öfter und aufmerksamer ich "Colour" verfolgte, hörte und in mein Leben hinein ließ, desto schneller verschwanden die Klischees in meinem Kopf. Ich war geheilt. Ich kann wieder sehen, ich kann wieder gehen. 

Während das Album bereits im Oktober 2015 veröffentlicht wurde, erschien die limitierte Schallplattenpressung im schicken Gatefold und wie bereits angesprochen mit tollem Coverartwork im März diesen Jahres, und die Chancen stehen gut, dass ich über "Colour" im Jahresrückblick 2016 erneut einige warme Worte verlieren werde. Mache mir die Welt, widdewiddewie sie mir gefällt, est. 1977.


Sollte man kennen.









Erschienen auf Sonarkollektiv, 2015/2016.



06.01.2016

2015 ° Platz 19




MARIBOU STATE - PORTRAITS


Das ist die Platte, die ich mir an Stelle der letzten Enttäuschung von Bonobo ("The North Border") gewünscht hätte. "Portraits" der beiden Engländer Chris Davids und Liam Ivory fischt stilistisch in durchaus ähnlichen Gewässern wie Simon Green: Lockere, nicht zu toughe Beats, eine sommerfrische Downbeat-Ästhetik in der Soundauswahl, soulig-laszive Gesangsstimmen - Musik für den Instagram-Filter "Hazy" und für die Generation der an Biermischgetränken nippenden Elektro-Indie-Gemeinde in Karohemden von H&M.

Zugegeben, das klingt mehr als nur eine Spur despiktierlich, aber immerhin habe ich auch zwei Karohemden von H&M und die Szenephysiker unter meinen Lesern wissen: minus mal minus ergibt plus. "Portraits" ist ein wunderbar stimmiges Sommeralbum zum in die Sonne blinzeln, mit eingängigen Pianomelodien, perfekt aus- und einbalancierten Stimmen wie beispielsweise Holly Walker in "Steal" oder auch Pedestrian in "The Clown", dazu einige echte Hits für den herzhaften Biss in eine saftige Limette - "Rituals" und das swingende "Home" machten mir meinen Sommer so richtig schön ölig, schwitzig und nackig, und als ich die Scheiben für die diesjährige Liste auswählte, musste ich gar nicht in den Untiefen der Sammlung herumwühlen: "Portraits" hielt sich bis in den Dezember wacker im Stapel neben dem Plattenspieler. 

Prima "Songwriting" (Lena Meyer-Landruth) , prima "Fokus" (Jabadahat), prima "Stimmung" (Sven Väth). 





Erschienen auf Ninja Tune, 2015


08.08.2015

Sommer, Spaß und LSD



PAQUA - AKALIKO


Schwer zu sagen, ob mir in den vergangenen Jahren ein Album untergekommen ist,  das eine ähnliche große Lücke zwischen weitgehender Obskurität auf der einen und fanatischer Begeisterung bei Eingeweihten auf der anderen Seite vorweisen kann. Das Debutalbum dieses kontinentübergreifenden Projekts von Paul Murphy (u.a Bison und Labelchef von Claremont 56), Quine Luke und Patrick Wood (Phenomenal Handclap Band), Patrick Dawes (Groove Armada) und Alex Searle stand bei mir schon seit Veröffentlichung im Mai 2014 auf der Warteliste, und während ich noch darüber sinnierte, ob ich mir wirklich so blind und taub die Doppel-LP für 25 Schleifen oder doch zunächst eher den Download für ein Drittel rauslassen soll, hatte der bekannte und beliebte Stuttgarter Plattenladenmann Tommes "Akaliko" schon in seiner Top 10 Liste für das Jahr 2014 eingetragen. Nun, ein gutes Jahr später, ist die LP nur noch schwer (= im Tausch mit viel zu hohen Versandkosten) erhältlich, was immerhin die Entscheidung einfacher machte. 

Wer "Akaliko" kennt, ist automatisch bekehrt. 

Ich lebe jetzt seit mehreren Wochen mit dem Download von "Akaliko" und weiß jetzt: ich hätte es viel früher tun sollen. Andererseits passt die Platte zu den aktuellen Saharatemperaturen wie der berühmte Arsch auf den noch berühmteren Eimer, denn ein besseres Timing ist kaum vorstellbar. "Akaliko", übrigens das buddhistische Wort für "zeitlos", ist ein ein mit positiv geladenen Goldionen vollgestopfter, fluffiger Fliegenpilz-Psychedelic-Teig, ein bekifft-bedudelter Sonnenanbeterrock mit Groove, Funk, Groove, Funk und Groove. Und Funk. Es ist sowas wie der endgültige Soundtrack zum Leben von Jeffrey Lebowski zwischen frisch gemixten White Russians und frisch gedrehten Joints in der Badewanne bei 35°C Außen- und Innentemperatur. Zwischen Strohhut, einem aus dem halb aufgeknöpften Hemd herausquellenden Brusthaartoupet und einem 8-Tage-Bart. Nicht im Sinne von einem, der den unteren Teil von Laternenmasten im Frankfuert Gallusviertel ableckt, sondern schon stilvoll und echt, kauzig, bisschen verrückt. 

Die Herzallerliebste bemerkt dagegen eine gewisse Cheesiness, die sich unter dem entspannten Liebesgetümmel tatsächlich desöfteren zeigt, und es damit strenggenommen gar nicht mehr so cool macht, aber zumindest meine diesbezüglichen Detektoren sind mit einem Blick auf die eigene Plattensammlung sowieso nicht überdurchschnnittlich gut ausgebildet. Heißt: ich finde das gar nicht schlimm. "Akaliko" ist unironische, sehr sonnige und unbeschwerte Musik mit einem über den Rücken getragenen Sack voll mit Glücklichmachern aus der Welt der Mykologie. Für den Tiefgang und das bewegte Leben. Alles rein natürlich. Natürlich.




Erschienen auf Claremont 56, 2014.


20.07.2015

Summertime and the Seele is baumeling




JOSÉ PADILLA - SO MANY COLOURS


Ein kurzer post-sonntäglicher Einwurf, weil's in der Gehirnbehausung gerade so schön vor sich hinkokelt:

Ibiza-Legende, Cafè del Mar-Erfinder, weltweit gefragter DJ: Wenn Du Deinen Sommer in der Hängematte im Grünen, bei Eiskaffee, eisgekültem Cuba Libre und außerdem neben einer Salmonellenofteismaschine verbringst und dazu einen Soundtrack brauchst, der in der lockersten Strandbar aller Zeiten spielt, dann empfiehlt Dein Lockerpeter von 3,40qm heute die neue Solo-LP von José Padilla.

"So Many Colours" ist das erste Studioalbum des Spaniers seit rund 15 Jahren und gemeinsam mit Henning Severud alias Telephones, Jan Schulte alias Wolf Müller, Tornado Wallace sowie Mark Barrot produziert - und auf Barrots Internationel Feel-Label ist das Album auch erschienen.

Bunte Farben, heißer Sommer, sonniger Pop, flache Atmung, keine Hose - alles keine Probleme für uns Premiumgörls und -tüps. Fahne auf Halbmast, Stimmen im Wind, Eiswürfel in den Ohren.






14.01.2015

2014 ° Platz 16 ° Thievery Corporation - Saudade



THIEVERY CORPORATION - SAUDADE


"Saudade" war eine große Überraschung des Jahres 2014 - was bei einem Projekt wie der Thievery Corporation, das nicht unbedingt dafür bekannt ist, mit klanglicher Innovation oder auch nur Weiterentwicklung allzu verschwenderisch umzugehen, glatt als gewagte These durchgeht. Nichtsdestotrotz war mit einem mehr oder minder reinen Bossa Nova-Album des Duos Rob Garza und Eric Hilton nicht zu rechnen. Waren ihre letzten Werke vor allem mit viel politischer Kraft aufgeladen, die zwischen den geläufigen Dub- und Downbeat-Spielereien mit den Muskeln spielte, lassen die beiden Musiker auf "Saudade" im Grunde alles in sich zusammenfallen, um mit melancholischem Blick in den Sommerregen zu schauen. Ein Album zwischen Introspektion und Zurückgezogenheit auf der einen, und Romantik und Liebe für die Menschen und das Leben auf der anderen Seite. 

In seiner Tiefe ist "Saudade" für mich mittlerweile meilenweit von den Soundtrack-Klischees der Lounge-Bars entfernt, es liefert viel mehr die Musik in einer Strohhütte im Regenwald bei Nacht, in der das letzte noch atmende Feuer in seinen letzten Zügen noch für einen Schatten sorgt. 

Ich glaube, hier geht es um Liebe. 

Erschienen auf ESL Music, 2014.

11.07.2014

Die Reise zum Mittelpunkt



THIEVERY CORPORATION - SAUDADE

Bei jedem neuen Album der Thievery Corporation gibt's Gemecker: es sei immer wieder der selbe alte Soundkleister und außerdem brauche niemand eine neue Thievery-Platte, wenn er die alten, richtig coolen Scheiben im Schrank stehen hat. Bei den letzten drei Werken "The Cosmic Game", "Radio Retaliation" und "Culture Of Fear" musste mancher sogar noch darauf hinweisen, dass die politische Ausrichtung in Text und Bild ja überhaupt nicht zu der "megaentspannten Kuschelmusik" (Bild der Frau) passe, und dass man sowas ja gar nicht hören will, wenn man sich gerade ein Fass Cuba Libre von innen anschaut. Muss super sein, wenn man im Oberstübchen soviel kühlenden Magerquark hat.

Im Grunde kann man sich angesichts des neunten Studioalbums von Rob Garza und Eric Hilton von all dem verabschieden: "Saudade" ist, zumindest auf den ersten Blick, frei von Politik, und etwas Neues gibt's auch. Also, was neues Altes, aber immerhin. Und weil das alte Neue (sic!) die Komfortzone verlässt, wird jetzt in den Kommentarspalten des Internets der Ruf nach dem "guten, alten Thievery-Sound" laut - was doppelt paradox ist: "Saudade" geht mit seiner hundertprozentigen Fixierung auf den Bossa Nova exakt zu den Wurzeln des Duos zurück. Das ist der "gute, alte Thievery-Sound". Gleichzeitig verzichtet man fast vollständig auf all zu elektronische Dub- und Downbeat-Elemente der Vorgänger und betritt insgesamt durchaus neues Terrain. Was "Saudade" außerdem bietet: wundervolle Stimmen! Melancholie! Euphorie! Schwermütiges Seufzen! Es ist die Lust am Leben im Ascheregen. Und damit ist es streng genommen ja durchaus schwer politisch, gesellschaftspolitisch sowieso. Ein introspektiver Blick auf die Existenz und deren Vergänglichkeit in diesen chaotischen Zeiten. Philosphisch, tiefgründig, nachdenklich.

Ich twitterte beim ersten Anhören des neunten Studioalbums im April, dass man "Saudade" am besten nachts und bei 30°C am Strand Deiner Wahl hören sollte. Damit's noch eine Spur schöner wird, lege ich nach intensiverer Auseinandersetzung in den letzten Wochen noch ein Päckchen Antidepressiva mit in den Sand.

Erschienen auf ESL Music, 2014.