BLANK WHEN ZERO - STAGNA
Bevor ich zum Köpper in die Jahresbestenliste 2023 ansetze, möchte ich auch auf diesem Kanal noch drei, oder -hundert oder -tausend Sätze zu "Stagna" verlieren - der neuen EP meiner kleinen Punkband Blank When Zero. Womöglich (und hoffentlich!) wird das niemand bis zum Schluss lesen, und ich kann darüber keine Träne vergießen. Aber...es muss eben raus. Ich glaube, es muss auch vor allem deshalb raus, weil ich es für eine ganz einzigartige Erfahrung halte, seit nunmehr 15 Jahren mit Simon und Marek Musik machen zu können.
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Nach einer Periode, die sich nach einer gar nicht so kleinen Ewigkeit anfühlt, haben wir es also tatsächlich nochmal geschafft, uns aufzuraffen und das beinahe volle Programm zu fahren. Songs schreiben, Songs lernen, Songs aufnehmen, Songs mischen und Songs auf eine kleine Plastikscheibe pressen, beziehungsweise pressen zu lassen. Und was ich in anderen Einlassungen so nonchalant mit "wir mussten uns dafür nochmal richtig strecken" umschrieb, ist ausnahmsweise mal keine dramatische Übertreibung, sondern eher das Gegenteil.
Ich habe für diesen Beitrag keine Mühen gescheut und mich durch das Gestrüpp meines Instagramkanals durchgeschlagen. In einem Posting aus dem April 2018 schrub ich nach einer kleinen Lustreise nach Münster, Hamm und Hanau:
"Blank When Zero were on something like a tiny, tiny tour in March/April 2018 and here are some more pics from our shows. We played the infamous Metzgerstraße in Hanau yesterday with Puking Weazel and the great Die Deislers and closed our run for the time being. We're now going to hide in the rehearsal room for the next weeks and months to write new stuff."
Es ist verblüffend, wie naiv und unschuldig sich diese Zeilen gute fünf Jahre später lesen. Wir schreiben dann einfach mal neue Songs. Jaha. Easy. Wir hatten ja keine Ahnung.
Zunächst sei gesagt, dass wir eigentlich schon immer eher langsame Songschreiber waren. Ein Blick auf unser Repertoire mit sicherlich über 50 Songs lässt das oberflächlich betrachtet nicht unbedingt vermuten, aber in 15 Jahren Bandgeschichte (uff!) sammelt sich eben so einiges an. Aber unsere Ansprüche sind hoch und schlimmer noch: sie kollidieren öfter als es uns lieb ist mit unseren handwerklichen Fähigkeiten einerseits, sowie mit unserem Terminkalender fürs gemeinsame Musizieren und also Einüben neuer Ideen andererseits. Denn was da draußen passiert, nennt man bisweilen "Leben" und das "will" bewältigt werden. Von den innerbetrieblichen Zweifeln will ich eigentlich gar nicht anfangen, aber sei's drum:
1. Ist das dann gut genug?
2. Wiederholen wir uns denn nicht die ganze Zeit?
3. In welche Richtung können und wollen wir denn gehen?
4. Können wir denn überhaupt etwas Neues spielen?
5. Sind wir denn in der Lage, das auch so zu umzusetzen?
Man hört es unserem 280bpm-Getrümmer ja vielleicht nicht unbedingt zu jeder Sekunde an, aber selbst die knapp einminütige Raserei mit Takt- und Tempowechseln und dreistimmigem, melodisch wie rhythmisch quermarschieredem Gesang ist nicht gerade unterkomplex und benötigt einige Anstrengung, damit es nicht klingt, als fielen wir gerade die längste Wendeltreppe der Welt herunter. Wir haben immer viel Wert auf ein gutes, tightes Zusammenspiel und eine selbstverständlich wirkende zügellose Energie gelegt und nichts von alldem stellt sich ein, wenn die Probe an der Kaffeemaschine und am Aschenbecher steigt.
Und so standen wir zwei Jahre lang in unserem Proberaum, fingen nach zehn Stunden dauernden Arbeitstagen oft erst gegen 21 Uhr überhaupt erst das Spielen an und versuchten mit allen Mitteln, einen Hauch von Kreativität aus diesem Wachkoma zu retten. Nicht schon wieder nur alte Scheiße aufwärmen, stattdessen vielleicht mal was Neues wagen, raus aus der Komfortzone. Unter diesen Umständen wurden unsere Proben jedoch unglaublich frustrierend und deprimierend. Ich weiß nicht mehr, wie viele neue Songs wir anspielten und versuchten, sie irgendwie zum Laufen zu bringen - aber es klappte einfach nicht. Viel mehr fanden wir uns immer öfter noch mehr zwischen allen Stühlen sitzend wieder, als uns das sowieso schon immer nachgesagt wurde. Alles erschien halbsteif, kompromissbeladen, konfus, und je länger dieses Trauerspiel andauerte, desto verunsischerter und niedergeschlagener wurden wir. Ich war irgendwann an dem Punkt angekommen, die Sache mit neuen Ideen komplett zu beerdigen. Wir können es einfach nicht mehr. Muss man akzeptieren.
"Kapitulation, ohohooo" (Tocotronic)
Und dabei sind wir in der vermeintlich glücklichen Lage, jede Erwartungshaltung, jeden Einfluss von Außen konsequent draußen vor der Tür beim Verfaulen zuschauen zu dürfen, denn auch wenn es uns schon seit 15 Jahren gibt, kennt uns praktisch immer noch kein Arsch - und wir haben, das sei der Wahrheit halber zugegeben, einiges dafür getan, dass das auch so bleibt. Insofern sei das bitt'schön nicht als peinliche Jammerei zu interpretieren, wir wissen schon sehr genau, wo wir stehen. Wir sind ab Sekunde 1 eine DIY-Band, die das Glück hatte, aufopferungsvolle, kreative und äußerst großzügige Menschen im Umfeld kennenzulernen, die uns immer geholfen haben, sei es für unser Bandlogo und unsere Coverdesigns, unsere Studioaufnahmen oder unsere Liveauftritte. Und wir haben keine Meute freudig erregter Fans vor der Tür stehen, die bei der kleinsten Abweichung von der reinen Lehre uns sofort die Hosen anzünden wollen. Wir könnten auch völlig beseelt auf Eurodance umschwenken, wenn wir Bock drauf hätten. Es würde schlicht niemanden jucken.
Vor dem Einschlag der Coronapandemie im März 2020 hatten wir gerade mal zwei Songs, mit denen wir allerdings mehr als nur gut leben konnten: "Re: Schweinehund" durchlief mehrere Iterationen und wurde ungewöhnlicherweise in einer Art Jamsession fertiggestellt und "Herbst" - eine einerseits für uns alle sehr schwer zu spielende Nummer, die andererseits aber in meinen Ohren sowohl textlich als auch musikalisch mit zum besten zählt, was Schlagzeuger Simon sich je für Blank When Zero ausdachte. Als ich also in allmählich liebgewonnener, weil einwandfrei kinderloser Isolation zu Hause die von der Herzallerliebsten in Handarbeit zusammengenähten ersten Corona-Gesichtsmasken aufbügelte, reifte der Gedanke, wenigstens diese beiden Songs wenigstens halbwegs professionell aufzunehmen und zu veröffentlichen, zu einem saftigem Lupinensteak heran. Wer weiß, was alles noch passieren wird und ob und wie der ganze Laden hier noch weiter vor sich hinrotten wird - aber bevor jemand das Licht final ausknipst: diese beiden Songs MÜSSEN aufgenommen werden. Nur: Mit wem? Wann? Und wie sollen wir das überhaupt alles schaffen, wenn da draußen eine Pandemie tobt?
"Können wir die Dinger schon spielen?" -"Ich glaube nicht, Tim."
Wir schrieben "Momentaufnahme" im zweiten Halbjahr 2021 und hatten damit immerhin drei mögliche Songs für eine neue EP. Die physischen Formate hatten wir im Rahmen der vorangegangenen Veröffentlichungen schon weitgehend abgeklappert: Konsumrauschen erschien 2011 auf CD, "Einerseits" (2013) auf 12" und unser letztes Album "Taped!" im Jahr 2016 auf, logisch: Kassette. Eine 7"-Single fehlte also noch - was wäre denn schon ein besserer Zeitpunkt, das zu ändern? Wir kontaktierten unseren Bandkumpel Andreas (der schon vor einigen Jahren im Kölner "Club Scheiße" am Bass aushalf, als Marek familiär verhindert war), vom dem wir wussten, dass er sowohl die Fähigkeiten als auch die Möglichkeiten hatte, unsere neue Platte zu produzieren und waren hocherfreut, seine Zusage zu erhalten. Wir schrieben den vierten Song "Paradise" in den ersten Monaten des Jahres 2022 und trafen uns alle im Juni des gleichen Jahres in unserem Proberaum, um Nägel mit Köpfen zu machen. Nach drei Tagen waren die Aufnahmen beendet, und Andreas setzte sich in den kommenden Monaten an den Mix.
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Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Folgende bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf diesem Blog thematisierte, aber nach 25 Jahren in verschiedenen Bands, die alle schonmal ein Studio besuchten und ihre Musik unter professioneller Regie aufzeichneten, war ich mir darüber bewusst, wie wichtig die Inszenierung von Musik für das Selbstverständnis einer Band sein kann. Als meine frühere Kapelle Sun Never Sets vor 13 Jahren das Album "The Absurd" zusammenbastelte, sollten jene Aufnahmen den Duktus und den Klang der Band für die noch kommenden Jahre definieren. Der Moment, in dem Songs aus dem Proberaumstatus in ihre endgültige Struktur überführt wurden und plötzlich als fertig ausgearbeitetes Statement in der Welt standen, war für mich schlicht überwältigend. Obwohl wir schon zu Beginn sehr reflektiert und aufgeschlossen über das Konzept unserer Band waren, sollte "The Absurd" eine ganz neue, viel differenzierte und eindeutigere Richtungsoption vorgeben.
Die ersten Blank When Zero-Alben waren stets sehr "dick" und modern produziert, mit weit im Vorgergrund stehendem Schlagzeug, lauten, sirupartig klingenden Gitarren und einem alles aus- und auffüllenden Bass. Und so glücklich wir mit den Ergebnissen jeweils waren, so sehr waren wir von den grundlegenden Vorstellungen unseres damaligen Produzenten abhängig, der alleine im stillen Kämmerlein solange daran arbeitete, bis wir grünes Licht gaben. Und ähnlich wie "The Absurd" Sun Never Sets verändern sollte, so machte auch jede neue Produktion von Blank When Zero etwas mit uns, selbst wenn die grundsätzliche Ausrichtung des Sounds keine fundamentalen Änderungen zeigten. Es manifestierte sich eher Stück für Stück der Gedanke, exakt so zu klingen. Die Auseinandersetzung mit derlei Erlebnissen und Erfahrungen lässt sich unmöglich von der Mentalität künftiger Songwritingsessions abkoppeln. Sie verschmelzen viel mehr zu einem kollektven Bewusstsein.
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Für "Stagna" wollten wir alle einen transparenteren, natürlicheren Klang - und als Andreas uns seine Perspektive desselben zum ersten Mal präsentierte, waren wir zunächst unsicher. War das nicht zu..."leise"? Muss das nicht kraftvoller, aggressiver sein? Das war ihm gegenüber nicht besonders fair, aber da kann man mal sehen, was das aus fast 15 Jahren und vier Aufnahmen gewonnene Selbstverständnis mit unseren Köpfen gemacht hat. Sich auf etwas Neues einzulassen, fällt Mitt- bis Endvierzigern nicht so irre leicht. Ich habe versucht, mich schon früh von den alten Aufnahmen zu lösen und die vier neuen Titel als neue Richtung zu begreifen. Ich habe mir außerdem versucht vorzustellen, wie die Platte klingen wird, wenn sie bei unseren Freundinnen und Freunden auf den Plattentellern liegt. Alina meinte bereits nach den ersten Höreindrücken, dass wir auf "Stagna" echter und authentischer als jemals zuvor klingen und die Produktion es geschafft hätte, die wichtigen Merkmale in der Musik und auch in den Texten herauszuarbeiten - und spätestens da wusste ich, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Wenn ich "Stagna" heute höre, und das mache ich zu meiner eigenen Überraschung noch immer recht regelmäßig, obwohl ich die Songs mittlerweile sicherlich Tausende Male gehört habe, komme ich nicht um die Feststellung herum, dass wir vielleicht noch nie so nah bei uns waren.
Zu sagen, es sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, diese vier Songs zum Leben zu erwecken, ist vielleicht die Untertreibung des Jahres. Über die Probleme mit dem Presswerk, das die erste Lieferung der 200 Singles komplett in den Sand setzte und also die volle Pressung nochmal von vorne starten musste, und was der ganze SCHEISSPASS AM ENDE GEKOSTET HATGLGLGLGLGLGLGLglglglglgl, fang ich nicht mal an, detaillierter auszuholen.
Aber ich bin überglücklich darüber, dass wir es getan haben.
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Wir bedanken uns bei Andreas für all die Mühe und Geduld, bei Jonas für die wie immer tolle Unterstützung bei unserem wirklich atemberaubend cool gewordenen Coverartwork, bei Cornelius von Keep It A Secret Records für den Beistand über so viele Jahre, bei Dom für die wundervollen Designs der limitierten 7"-Version und unserer T-Shirts (wir haben T-Shirts! WIR! HABEN T-SHIRTS! Haha! HAHAHAHAAAaaaaa).
Und natürlich danken wir allen, die die Platte bereits gehört und gekauft haben. Dass die Scheiße wirklich immer noch jemand hören will, lässt uns ehrlich das Herz aufgehen. Ich weiß, dass wir keine Musik für Jederfrau und Jedermann machen, ich weiß, dass wir für manche konfus und kompliziert klingen, für andere sind wir zu krass und/oder nicht krass genug, wir wirken manchmal vielleicht ein bisschen schnöselig, wie wir bei Auftritten mit einer Tasse Kaffee am Bühnenrand stehen und zusehen, uns schnell wieder zu verkrümeln und weil ranschmeißerische Verbrüderung einfach wirklich nicht unser Ding ist. Wir haben so vielen Menschen wirklich viel zu verdanken, und ich kann nur hoffen, dass die hier Angesprochenen das wissen.
Wir bitten außerdem und immer noch um Verständnis dafür, dass wir unsere Musik den sackgesichtigen Unterstützern militärischer Kackscheiße und Vollwertkapitalisten bei Spotify nicht geben - und auch nicht geben werden. Wir sind alte Fürze und stecken genauso tief in kapitalistischen Ärschen wie alle anderen auch, aber ein paar Grundwerte haben wir uns dann doch noch behalten.
Ihr findet unsere Musik wie immer bei Bandcamp oder direkt bei uns. Hinterlasst uns einen Kommentar und die Kontaktdaten, wenn ihr eine Platte oder ein Shirt haben wollt. Wir melden uns dann bei euch.
Durchhalten!
Simon, Marek & Flo
Blank When Zero
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Blank When Zero auf Instagram: https://www.instagram.com/blankwhenzero/
Blank When Zero auf Bandcamp: https://blankwhenzero.bandcamp.com/
"Stagna" auf Bandcamp: https://blankwhenzero.bandcamp.com/album/stagna