Die großen alten Männer des Postrocks schlagen zurück. Mit Krautrockstampfern, Synthieklingen, Hypnoseflüchen, Jazztreibsand und ganze zwei Mal sogar mit laszivem Gesangslasso. Eines davon schwingt die astreine Coverversion des David Essex Hits "Rock On", in dem Todd Rittmann von US Maple stimmlich herumtorkelt wie Vince Neil mit 18 Promille und erektiler Dysfunktion.
Denn wer niemals an ihnen zweifelte, der werfe die erste Kesselpauke: dass sie sich sieben Jahre nach dem etwas verstrubbelten Vorgänger "Beacon Of Ancestorship" so konzentriert und beschwingt zurückmelden, meinetwegen ein bisschen milder und gar melodischer als sonst üblich und "The Catastrophist" in dieser Hinsicht am ehesten an das eklektische "It's All Around You" aus dem Jahr 2004 erinnert, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Ich habe für diesen Text ein paar zusätzliche Wintertage mit "The Catastrophist" verbracht und war überrascht, dass ich immer noch genau so entzückt bin wie damals im Mai. Selbst die Herzallerliebste sagt, dass "Rock On" ein herausragender Song sei - um direkt danach anzumerken, der Beat erinnere sie an Metallicas "Sad But True". Was sagt man dazu?
FROM MONUMENT TO MASSES - ON LITTLE KNOWN FREQUENCIES
Das Debutalbum "The Impossible Leap in One Hundred Simple Steps" aus dem Jahr 2003 der US-amerikanischen Postrockband From Monument To Masses gilt gemeinhin als anerkannter und aus der Diskografie herausragender Klassiker des Genres, was insofern nachvollziehbar erscheint, weil es einerseits die zwei zentralen Postrockpfade der späten Neunziger und frühen Nuller - den Kanadischen um Godspeed You! Black Emperor/Constellation Records und jenen aus Chicago um Tortoise/Thrill Jockey Records - nicht nur musikalisch, sondern auch hinsichtlich der politischen und künstlerischen Aussage miteinander vermischte, und weil es andererseits unter dem Eindruck des 11.Septembers und der im Anschluss seitens der Bush-Administration geführten Invasionen in Afghanistan und Irak entstand - ein nicht zu vernachlässigender Punkt, wie ich betonen möchte: es gab wohl außerhalb des Godspeed'schen Kosmos keine andere Band und keine andere Platte, die trotz instrumentaler und damit also wortloser Musik, so viel zu sagen hatte, so viel in Frage stellte, kritisierte und mit der Faust auf den Tisch haute wie From Monument To Masses und ihr "The Impossible Leap In One Hundred Simple Steps". Die Band verarbeitete Samples aus politischen Reden, Interviews und Nachrichten in ihren Songs und sorgte somit für klare Verhältnisse ihres Schaffens. Es ist damit nicht nur ein beeindruckendes Zeitzeugnis einer verwirrenden und verstörenden Epoche unserer Generation, es kann auch dazu herangezogen werden, um die damaligen Geschehnisse und die Ohnmacht, Wut und Trauer, die sich bei der Beobachtung einer sich auflösenden Zivilgesellschaft und der Zerstörung demokratischer Strukturen zeigten, nochmals zu reflektieren. Den Klassikerstatus darf die Platte meinethalben also gerne weiter behalten.
"On Little Known Frequencies" erschien im Jahr 2009 und machte mir anfangs das Leben so schwer, dass sie sich nur ein Jahr später im Stapel der zu veräußernden Exemplare aus dem Dreikommaviernull'schen Plattenschrank wieder fand. Vielleicht war das die falsche Platte zum falschen Zeitpunkt, vielleicht war ich damals dieser Spielart des Postrock insgesamt müde geworden und sah den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das Ende der Geschichte: ich wurde das Album nicht los, und als ich dann eines Abends einen erneuten Anlauf nahm, der Musik irgendwie auch nur ein Stückchen näher zu kommen, machte es plötzlich "Klick!" und mir flog der Schlüpper weg.
Seitdem hat der Abgesang dieses auf jeder Ebene beeindruckenden Trios eine Sonderstellung in meinem Schädelgestrüpp, und ich bin froh, dass ihr letztes Album immer noch in meinem Schrank steht und von Zeit zu Zeit auf dem Plattenteller landet. So wie am heutigen Abend im frühen Juni des Jahres 2016, als ich "On Little Known Frquencies" auflegte. Ein dramatischer, intimer, monumentaler, manchmal herzzerreißender, brilliant gespielter, mit hochkomplexen Arrangements und Harmonien ausgestatteter Postrockentwurf, der stilistisch seines Gleichen sucht. Bis heute. Und wahrscheinlich auch bis so circa immer.
Und gleichzeitig wirkt nicht nur der Sound wie ein Anachronismus - wer spielt sowas heute noch? - auch die Inhalte erscheinen längst überholt: wer regt sich denn heute noch auf? Wer erhebt denn noch seine Stimme? Ich weiß - das ist einerseits verklärender Mist; als ob es 2009 noch irgendwie anders gewesen ist. Andererseits ist meine Frustration darüber nicht groß genug, um all die Menschen zu vergessen, die tatsächlich ihre Stimme erheben. Die kämpfen und versuchen, die Welt besser zu machen, während ich mir hier ultralogger die Couch plattsitze.
Zeit für Resignation?
Keine Zeit für Resignation!
Zynisch und müde und scheiße sein ist einfach. Viel zu einfach.
Und es ist so scheiße ignorant. Was bild' ich mir ein?
"The band name is a challenge to the "Great man theory" and a call for a paradigm shift. Rather than subscribe to the notion that "highly influential individuals" to whom monuments are built shape historical developments, the band name posits that it is actually the masses struggling for change who make history. (...) The band members have often explained in interviews that their music is only one expression of their respective politics. Each member has been involved with various organizations throughout the life of the band, including the League of Filipino Students-SFSU, Challenging White Supremacy, Kalayaan School for Equity, BAYAN USA, and others."
Die Postrocklegende aus Chicago hat es weit gebracht. Was bis zum 2004er Album "It's All Around You" in erster Linie nur den Underground interessierte, ist spätestens seit ihrem letzten Album "Beacons Of Ancestorship" aus dem Jahr 2009 auch im hiesigen Feuilleton angekommen, das bei einem Lebenszeichen aufmerksam wird und die spitzen Finger für allerhand schlaue und bekloppte Texte spreizt, die alle das Ziel zu haben scheinen, mindestens genauso verkopft zu sein wie die Musik der Band; unvergessen etwa der üble Verriss aus der Süddeutschen, den die beliebte Qualitätszeitung aus München zwischenzeitlich offenbar aus ihrem Netzrepertoire entfernt hat. Springers anerkanntes Idiotenfachblatt "Die Welt" stammelte 2009 hingegen mit verschwurbeltem Musikkritikerquatschdeutsch durch die letzten viereinhalb überlebenden Hirnzellen der Leserschaft, die die Texte von Ulf Poschardt überlebt haben:
"Mal imitiert der Sampler eine springende Schallplatte. Mal wirkt ein Stück allein durch umständliche Titel wie "Yinxianghechengqi". Über weite Strecken fehlen heute die verblüffenden Melodien, und wo früher Stille herrschte, hört man heute magenkrankes Blubbern."
- wovon mein Magen auch ein paar Geschichten erzählen kann, vor allem nach dem Lesen solcher Texte.
Die Zeiten haben sich in den letzten sieben Jahren geändert - heute liest man auch aus den deutschen Redaktionsstuben fast nur Wohlwollendes über "The Catastrophist"; Tortoise sind nunmehr die gesetzten Intellektuellen, künstlerisch anspruchsvoll, schwer zu durchschauen, unvorhersehbar. Und weil ich nicht immer nur schimpfen kann, sage ich: das ist richtig.
"The Catastrophist" ist schon heute, zwei Monate nach der Veröffentlichung, eine meiner meistgehörten Tortoise-Platten - und das sage ich im Angesicht meiner damaligen Sucht nach "TNT", "Standards" und vor allem "It's All Around You". Das Quintett, das seinen Sound über die Jahre hinweg immer wieder subtil veränderte und mit einem ganzen Sack voll unterschiedlicher Einflüsse, vom Krautrock über Jazz und Pop bis zum Noise, experimentierte, geht auf seinem siebten Studioalbum in der Gesamtanlage etwas gebremster und übersichtlicher zu Werke und ist dabei konsequenterweise stilistisch so kohärent wie vielleicht noch niemals zuvor. Etwas despiktierlich fielen mir möglicherweise "versöhnlich" und "Alterswerk" als beschreibende Attribute ein, aber das geht in die falsche Richtung: Tortoise sind alles andere als kreativ müde - und dafür muss ich nicht mal exklusiv die beiden Gesangspremieren auf einem ihrer Alben herausstellen: "Rock On", ein wunderbar ironisches und heruntergekommenes Cover des alten Hits von David Essex, herausragend interpretiert von Todd Rittman (U.S. Maple) und der Einsatz von Yo La Tengos Georgia Hubley auf "Yonder Blue", der erstmals einen Hauch von laszivem Sex auf einem Tortoise-Album platziert, setzen markante Duftmarken auf "The Catastrophist". Trotzdem drängen sich diese beiden Revolutionen nicht in den Vordergrund, um das restliche Material auf ihren Schultern tragen zu müssen. Tortoise wissen nicht erst seit gestern, was sie tun (und tun müssen). Von spannungsgeladenen Arrangements wie in "Shake Hands With Danger" bis zum vordergründigen Hängemattengedudel in "Hot Coffee", einem Überbleibsel aus den "It's All Around You"-Sessions, und dem luftigen, leicht an The Sea And Cake erinnernden Wolkenschmeichler "Tesseract", habe ich hier nur gute Gefühle, Spaß und Inspiration.
"The Catatrophist" marschiert gerade mit ziemlich großen Schritten in Richtung Jahres Top-Ten.
Ich darf einen sehr schönen Nachschlag in Sachen Colleen präsentieren.
Die Website She Does Podacst, betrieben von den beiden Dokumentarfilmerinnen Elaine Sheldon und Sarah Ginsburg, kümmert sich in den produzierten Podcasts um kreative Köpfe aus der Medienwelt: Musikerinnen, Schauspielerinnen, Autorinnen, Künstlerinnen.
Each episode centers around an intimate conversation yet digs deeper into each woman's background, philosophy and process through artful audio documentaries soundtracked by music made by women.
In der aktuellen Ausgabe haben die beiden einen interessanten und einfach großartigen Bericht über Colleen, ihre Arbeit, ihre derzeitige Heimatstadt, und ihre Musik zur Verfügung gestellt.
Ob es "Captain Of None" in meine Jahresbestenliste schafft, ist noch nicht entschieden - was auch gleichzeitiger Hinweis auf die mich jedes Jahr aufs Neue komplett überfordernde Herausforderung ist, dieses Bündel toller Musik am Ende des Jahres zu sortieren und zu bewerten. Und an dieser Herausforderung werde ich auch 2015, und damit wie in den vorausgegangenen Jahren bis spät in den Dezember hinein, kläglich scheitern. Aber immerhin habe ich damit eine Aufgabe, "etwas Eigenes" (Loriot) und bin "von der Straße weg" (Mutti).
Colleen ist das Pseudonym von Cecile Schott, einer aktuell im spanischen San Sebastian lebenden französischen Multiinstrumentalistin, die mit ihrerViola da gamba und ihrer Stimme ein mystisches und fremdartig wirkendes Album zusammengebastelt hat, das sich stilistisch weit in Richtung Einzigartigkeit lehnt. Irgendwo zwischen Avantgarde und Popmusik, mal offensichtlich durchkomponiert, mal vogelfrei experimentierend, im Grunde nicht zu dechiffrierende Spurenelemente von Dub, mediterraner Kultur und sogar Krautrock aufgreifend. Schotts Stimme würde der Engländer ohne mit dem Guinnessfass zu zucken als "haunting" beschreiben, und er läge damit ausnahmsweise goldrichtig.
Ich habe "Captain Of None" gerade in den vergangenen Tagen ein ums andere Mal auf den Plattenteller gelegt. Zum sonntäglichen und mehrere Stunden dauernden Frühstück bei grauem Novemberschleier vor der Tür war es eine bemerkenswert stimmige Erfahrung und ein passender Soundtrack. Hat sicherlich ein paar Plätze aufgeholt.
Eine merkwürdig ungreifbare, aber dafür hochinteressante Musik. Ist leider selten geworden auf Thrill Jockey.
Jon Porras ist seit Jahren ein regelmäßiger Gast in meinen Jahresbestenlisten, beziehungsweise in meinem Blog und selbst dann, wenn ich glaube, nun mittlerweile wirklich jede Facette seines Sounds zu kennen und der Illusion aufsitze, endgültig keine neue Platte mehr von ihm zu benötigen, weil sich das alles eben doch mehr oder minder immer wiederhole, dann kann ich an einem ganz speziellen Punkt der Versuchung doch nicht mehr widerstehen und lasse mich widerstandslos im Einkaufswagen an die Kasse schieben. In diesem Zusammenhang ist es ein mittelschwerer Skandal, sein 2012 erschienenes "Black Mesa"-Album nicht berücksichtigt zu haben. Die Erkenntnis ist schlussendlich das einzige, was wirklich bleibt: ich könnte falscher nicht liegen.
Die große Stärke der einen Hälfte des Experimental Duos Barn Owl ist seine Fähigkeit, unter seiner Wall Of Sound immer wieder den einen Moment, diesen einen besonderen Ton herauszupicken, um sein komplettes Klangkonstrukt zu verschieben. Es sind manchmal nur Mikrofrakturen, die er aus den Tiefen hervorzieht, um sie urplötzlich zu kitten und in die dirigierende Macht eines Werks in den Mittelpunkt zu stellen. "Light Divide" ist dabei in dieser Hinsicht der Höhepunkt seiner Solokarriere, weil es sich vor allem bei tiefgehender Auseinandersetzung von dem Großteil der stilisitischen Konkurrenz absetzt, obwohl die einzelnen Parameter sich nur unwesentlich unterscheiden mögen. Im großen Ambient-Becken zeitgenössicher Musik scheinen Alleinstellungsmerkmale Mangelware zu sein - ein bisschen Rauschen hier, ein bisschen Bassgebrummel da, irgendwer wird's schon goutieren, zum großen, güldenen Soufflé aufblasen, und wenn nicht alles schon zu spät ist, eine neue Genrebezeichnung draufkleben. Die Standards könnten meinetwegen gerne etwas hochgeschraubt werden. Jon Porras hat als einer der wenigen immer wieder den Schraubschlüssel in der Hand. Doppeldeutigkeit FTW!
Falls sich noch jemand an meine mehr als nur lobenden Worte über und für Caminits "Night Dust" Album vom vergangenen Jahr erinnert, wird sich ein, zwei Gedankenfunken später möglicherweise gefragt haben, wo denn die zwangsläufige und damit konsequente Huldigung zum kurz darauf erschienenen "Dreamless Sleep" Album zu finden sei. Bis vor sechs Wochen hätte ich noch rotzfrech geantwortet, dass ich für so dicht aufeinanderfolgende Platten qualitativ keine Hand ins Feuer legen würde, und ich mir von einer Solotyp-streichelt-die-Gitarre-Musik jetzt auch nicht endgültig jede Veröffentlichung neben das Bio-Basilikum ins Regal stellen muss. Was natürlich alleine ob meiner BVDUB-Verehrung und dem damit verbundenem Konsumrausch hinsichtlich seiner mindestens drölf Trilliarden Platten pro Quartal wenigstens diskussionswürdig, wenn nicht gleich komplett plem-plem ist, aber das müssen wir jetzt nicht brutalstmöglich aufklären, am End' weint wieder jemand und dann haben wir den Salat. Außerdem hatte ich an "Night Dust" derart helle Freude, dass es einfach nicht mehr benötigte. Ich bin's selten genug, aber ich war halt mal total glücklich und zufrieden.
Ich wusste also, dass "Dreamless Sleep" existiert, aber ich ließ es links liegen - bis ich das Werk für schlappe 12 Euro beim guten Herrn Ratzer, besser gesagt in dessen Stuttgarter Plattencafé herumliegen sah. Und für 12 Euro, dazu ein gutes Jahr nach "Night Dust", würde ich mir selbst eine Maxisingle von Marianne & Michael andrehen lassen. Fast. Meine Reaktion nach alleine dem ersten Hördurchgang mag sich jetzt jeder selbst denken können; der freudetrunkene Gesichtsausdruck in Richtung der nebenan sitzenden Herzallerliebsten, verbunden mit einer prachtvollen Erektion, Quatsch: Endorphinquote im Hypothalamus (ich bin kein Wirbeltier, aber es passt halt dramaturgisch ganz gut rein, in den Text...Apropos: Schleimaale sind auch Wirbeltiere!) brachte mich auf Badeschaumwolke Sieben. Zunächst gilt es festzustellen: "Dreamless Sleep" ist weniger architektonisch als sein Vorgänger. Die räumliche Struktur von "Night Dust" hat sich an feinstofflichen Schwebeteilchen geheftklammert und sich somit zu tatsächlich nokturnen Zwischenwelten hinwegamorphelt, die Dich und die Deinen durch das tragen, was "zumindestens"(Tom Angelripper) in meinem Buch unter dem Rubrum "Leben" abgebildet ist: auf dem Musiksessel sitzen, die Kopfhörer auf den Ohren, die Lautstärke in einem Bereich gepegelt, der gesundheitlich sicherlich nicht so völlig astrein ist - aber wenn er dann kommt, dieser Erweckungsmoment, dieses Durchschlüpfen zu der Erkenntnis, gerade einem ziemlich Großen zuzuhören, wie er uns da mit perfekt ausbalancierter Ästhetik die Nacht erklärt, er uns wie Copperfield in der Schwebe hält, im Nebel, der Gischt, spürt man trotz des einen umgebenenden irdischen Irrsinns plötzlich die Erleichterung darüber, dass es die andere Seite eben auch noch gibt. Die lebendige, die aufgewachte und bewusste Seite. Mehr kann Musik nicht für Dich tun.
Das Dusted Magazin beschreibt Steven R. Smith als "one of America's great hidden artists", und die Tatsache, dass "Cities" trotz fast vierjähriger Familienzugehörigkeit im Plattenregal noch keine Erwähnung auf diesen Seiten gefunden hat, möchte die Aussage geradewegs raketenstramm bestätigen - wäre mein kleines Bloglein eben nicht so, Sie erraten es: klein. Nichtsdestotrotz gehört "Cities" seit seinem Erscheinen zur beliebten Rubrik "Ich lass' Dich niemals wieder los!", und ich verfalle seit Jahren in schmachtende Melancholia, wenn ich nur dieses großartige Coverartwork sehe.
Smith ist seit 1995 in der US-amerikanischen Songwriter/Ambient/Noise-Szene unter einer Armada an Pseudonymen aktiv, außerdem ein Mitglied des Jewelled Antler Kollektivs und seither auf grob geschätzten dreißig Aufnahmen zu finden. Der Mann ist Multiinstrumentalist und weiß also, was er tut - und Halleluja, das hört man. "Cities" ist aus mehreren Gründen eine sehr beeindruckende Platte. Zum einen balanciert sie zwischen den Naturbildern eines Dewey Mahood, zwischen einer rauhen, wilden Zügellosigkeit, und einer ungeheuer intimen, scheuen, fast ambivalent anonymen Verbindung zum Hörer. Ein Husarenritt auf der Rasierklinge, die die Extravaganz von der Introspektion trennt; weniger therapeutisch, sondern tatsächlich als "struktureller Ansatz" (Franz Beckenbauer) einer Musik, die in einem kleinen Häuschen im Moloch von Los Angeles erdacht wurde, und die erkennbar den Kopf aus der ubiquitären Plastiksuppe streckt und die Flügel schwingt. Zum anderen schälen sich aus dem Dickicht aus manchmal schroffem Schubbern von Holz, Stahl und Luft Melodieminiaturen von atemberaubender Schönheit heraus, die im Zeitraffer das wundersame Erwachen bis zur unausweichlichen Vergänglichkeit zeigen. Dass Smith hierbei sehr nuanciert und subtil vorgeht, gleichzeitig aber kräftige emotionale Motive entwirft, die von trüber Urbanität, von der Einsamkeit und gleichzeitig von der Liebe für das Leben erzählen, mildert den Einschlag in die Gefühlswelt etwas ab und lässt uns etwas mehr Luft zum Atmen. In der dunklen Plastiksuppe aus der Stadt der Engel.
Es gibt wohl keine andere Band, die ich auf diesem Blog ausgiebiger mit Lob und Liebe überschüttete als The Sea And Cake und, um die Pointe gleich vorwegzunehmen: das wird sich auch mit diesem Beitrag nicht ändern.
Als ich 2005 zum ersten Mal "All The Photos" vom fantastischen "Oui"-Album hörte, war es um mich geschehen. Seitdem versuche ich mir selbst zu erklären, was mich an der Musik des Quartetts aus Chicago so sehr fasziniert, und ich kann nicht sagen, dass ich in den letzten acht Jahren bedeutend weiter gekommen bin. Natürlich ist der reflexartige Kniefall bei bloßer Namenserwähnung dank der Leichtfüßigkeit, der Souveränität, der feingliedrigen Arrangements und der schüchtern-naiven Aura ihrer Kompositionen jederzeit problemlos darstellbar, aber da brodelt noch irgendetwas tiefer in mir als die genannten und offensichtlichen Merkmale. Ihre Musik zieht mich, oft nur für wenige Sekunden, in meine Jugend zurück und ich assoziiere nicht selten komplette, erlebte Bilder mit einzelnen Songs; manchmal ist es gar nur eine Betonung, ein Gitarrenanschlag oder eine gehauchte Wortsilbe, die mich aus dem Hier und Jetzt in das Damals und Gestern katapultiert. "All The Photos" ist beispielsweise ab dem Break bei Minute 1:25 seit jeher mit einem Sommertag im Juli 1995 verknüpft, an dem ich am Schreibtisch meines Zimmers in der elterlichen Wohnung saß, Guinness aus Dosen trank und für die theoretische Führerscheinprüfung lernte. Bei "Window Sills" vom 2008er "Car Alarm"-Meisterwerk sitze ich ab der ersten Note ebenfalls im spätpubertären Kinderzimmer, habe eine Tasse Kaffee neben mir stehen, schaue melancholisch aus dem Fenster und den Schneeflocken beim Sterben zu. "Runner" fügt diesen Beispielen mit "A Mere" gleichfalls winterliche Nachmittage mit der tonlosen Bill Cosby Fernsehserie hinzu. Und manchmal ist es nicht mehr als ein Gefühl, vielleicht ein Geruch oder ein Geschmack in der Luft, den ich auf dem Fußweg vom Abitur-Gymnasium in die Wunderbar in Frankfurt-Höchst wahrgenommen habe, um eine selbstentschuldigte Freistunde bei einem Kaffee und unter Freunden zu verbringen. Vielleicht komme ich nochmal dahinter, warum das alles so ist, wie es ist. Vielleicht kann ich The Sea And Cake aber auch weiterhin einfach als eine der schönsten, ergreifendsten Bands aller Zeiten betrachten, an der ich mich nicht satthören kann.
"Runner" ist im Vergleich mit der "The Moonlight Butterfly" EP aus dem Jahr 2011 etwas vielschichtiger in der stilistischen Ausprägung und gleichzeitig kompakter in Stimmung und Ton, wofür vor allem die B-Seite verantwortlich ist, die vom reinen Akustiksong "Harbor Bridges" über das sehnsüchtig flackernde "New Patterns" (schon wieder: ein Gitarrensolo!), dem ungewohnt rockigen "Neighbors And Township", dem Hit "Pacific" bis zum an ihre 90er Alben wie "The Biz" und "Nassau" erinnernden Titeltrack neue Maßstäbe im Band-Kosmos setzt. Abgesehen vom unangenehm übersteuert und verzerrt klingenden "Skyscraper", einem Song, der in allen Formaten, sei es Vinyl, CD oder MP3, klingt, als sei ein Lautsprecherkabel kaputt, ist "Runner", und jetzt kann ich es wieder sagen: schon wieder das nächste beste The Sea And Cake Album der Welt.
Es ist ein freundlicher Sonntagmittag in Wiesbaden und folgerichtig dreht sich zum freundlichen Post-Breakfast-Kaffee die gleichfalls freundliche neue Platte von The Sea And Cake auf dem Plattenteller.
Bevor ich in den kommenden Tagen etwas weiter aushole und eine Handvoll Zeilen über das Werk fallen lasse, habe ich eben entdeckt, dass Drowned In Sound einen vollständigen Albumstream von "Runners" anbieten. Den gilt es nun mit Euch, meinen allerliebsten Lieblingslesern, zu Teilen.
Es ist wie fünfunddreißig Jahre altes Gebäck, wie von Würmern, Käfern und Raupen durchbohrtes Holz, wie frisch gefallener Schnee, wie naive Malerei in Grau. Wer die Schritte leise zelebriert und die Pinselstriche verfolgt, der hört das Knarzen und das Kratzen. Das tumbe Ächzen unter dem Druck der eigenen Existenz im Angesicht der öden Leere, zerfasert und spröde, brechend und spleißend. Ein Königreich für mehr Luft und mehr Raum.
Der Horizont ist einen ganzen Sommer entfernt, ein ganzes Leben gar, aber wenn das Selbst am Boden liegt und das dünn glimmende Feuer von Tristesse und Trauer ausgespuckt wird, schlüpfen wir lieber in die kugelsichere Seifenblase, die nie zerplatzen wird. Sie ist beinahe visionär, wie sie so im Zeitmaschinen-Ping-Pong hin- und hergeprügelt wird, zwischen der vergilbten Druckerschwärze geistiger Verunreinigung und der Lichtgeschwindigkeit vom kalten Rauch populärer Nebelkerzen. Wer hätte sich das je träumen lassen? Der Rückblick in das Chaos als Manifestation von Licht und Struktur. Und dann sieht man sich wieder unvermittelt im gleißenden Schein der Ultramoderne die eigenen, hilflosen Runden drehen. Alles vergessen, alles ersticken und alles begraben, bevor es wieder von vorne beginnen kann. Karma Extraordinaire.
Die freundlichen und sonnigen Zeiten, sie gibt es. Sie erscheinen wie Episoden, wie Kurzfilme: die Harmonie umspielt den Geist, die Augen sind halb geöffnet und eine sanfte Brise kühlt die sonnenwarme Haut. Es duftet nach nach Sonne und Frieden. Wir halten uns im Arm und sind eins. Am besten Tag unseres Lebens. Der Horizont ist ein ganzes Leben entfernt, einen ganzen Sommer, eine große Liebe.
Wir haben keine Chance. Es brodelt. Und es stürmt.
Eine meiner erklärten Lieblingsbands gibt wieder ein Lebenszeichen von sich. Nicht nur, dass das sehr gute Label Thrill Jockey im Rahmen seines zwanzigjährigen Jubiläums die Schatztruhe öffnet und einige längst vergriffene Titel aus der umfangreichen The Sea & Cake Diskografie auf Vinyl wiederveröffentlicht - ich freue mich ganzganzganz besonders auf "Oui" [2000] und ganzganzganzganzganz besonders auf "One Bedroom" [2003], die beide Ende August in den Läden stehen werden - auch ein neues Album wartet bereits ungeduldig auf den Startschuss.
"Runners" erscheint am 21.9.2012 auf, na klar: Thrill Jockey.
Einen Vorgeschmack liefert die erste Single "Harps", die seit einiger Zeit nicht nur via Youtube ihre Runden dreht, sondern freundlicherweise vom Label auf Soundcloud zum kostenlosen Download angeboten wird.
Ich freue mich wirklich sehr, noch in diesem Jahr ein neues Sea & Cake Album in den Händen zu halten. Es war nie besser als 2012. Ehrlich jetzt.
Nein, "A Lazarus Taxon" ist keine Best-of-Zusammenstellung und doch "vielleicht das beste Album, dass Tortoise nie veröffentlichten", wie es Jess Harvell im Jahr 2006 bei pitchforkmedia.com auf den Punkt brachte. Die Postrock-Legende aus Chicago wühlte tief in ihren Archiven und fand längst vergriffene 7"-Singles, rare B-Seiten, Japan-Bonustracks, Remixes, Beiträge für Compilations und auch ihre bereits kurz nach dem Erscheinen ausverkaufte Remix-EP "Rhythms, Resolutions And Clusters" aus dem Jahre 1994. Wem hier nicht bereits alles (!) steil nach oben steht, der bekommt noch als Nachschlag eine DVD mit Videos und Liveperformances mit dazu gepackt. Spätestens jetzt dürfte bei vielen alles zu spät sein.
Und mit was? Mit Recht! Tortoise ist mit diesem Boxset eine beeindruckende Werkschau gelungen, die, auch ohne regulär veröffentlichte Tracks ihrer mittlerweile fünf Studioalben, einen sehr genauen Blick in das Innere dieser hochkomplexen und immer noch Fragen aufwerfenden Band gibt, selbst wenn das letzte Studioalbum "Beacons Of Ancestorship" etwas arg eklektisch ausfiel. Hier kommt all das zusammen, was Tortoise nach dem Erscheinen ihrer zweiten LP "Millions Now Living Will Never Die" zu Mitbegründern eines ganzen Genres machte: Offene und verwirbelte Arrangements, diffuse Elektronik, zaudernder, zurückgedrängter Rock, dürrer Minimalismus und ein Herz für den Jazz als verkopftes Element, als Sinnbild für den Mut zur Fortbewegung und Weiterentwicklung. Selbst in den Remixes ihrer Songs spiegelt sich diese Einstellung wider, allen voran in den Arbeiten der schottischen Elektrofummler Autechre, die mit gleich zwei fantastischen Versionen ihres Remixes zu "Ten Day Interval" vertreten sind. Dekonstruktion spielte schon immer eine große Rolle in der Musik Tortoises, vielleicht ist sie der Schlüssel zu dieser Band. Wie Feinmechaniker zerteilen sie den Song, erkennen seine Fragmente. Fügen Risse hinzu, die widersinnigerweise die Struktur bilden. Nobukazu Takemura nimmt in seinem "TNT"-Remix die Steilvorlage dankbar auf. Auch er hat einen außergewöhnlichen, ruhigen und jazzigen Song geformt, eines der Highlights auf "A Lazarus Taxon".
Genausowenig kommt man an dem betörenden Wahnsinn von "Gamera" vorbei, einem zwölfminütigen Brecher zum nackt durch den Regen laufen von der 1995er "Duophonic"-EP. Oder der 7"-Single "Whitewater". Yo La Tengos atemberaubender Remix von "Autumn Sweater". Dem zermürbenden vierzehnminüter "Cliff Dweller Society" (ebenfalls von der "Duophonic"-EP), das aus vielen kleinen Songteilen besteht, die man, bis auf das Herzstück im Mittelteil, alle innerhalb eines Abends frei improvisierte und währenddessen aufnahm. Die kunstvollen Videos von Songs wie "Salt The Skies", "Glass Museum" oder auch "Seneca" vom 2001er "Standards"-Album. Atemberaubende Livemitschnitte von "Monica" oder "Ten Day Interval" - Tortoises Herangehensweise an ihre Kunst macht sie so einzigartig. Ja, ihre Musik ist geprägt von einer enormen Disziplin, sie ist verkopft, sie ist schwierig zu durchschauen. Für den Hörer ist sie aber ein nie versiegendes Meer aus Möglichkeiten, ein Spiel mit immer neuen Gedanken, Situationen und Standpunkten.
"A Lazarus Taxon" ist auch knapp sechs Jahre nach Erscheinen immer noch ein Meilenstein.
Es ist ein außerordentlich gutes Jahr für wirklich hochklassige Musik im Spannungsfeld zwischen Noise, Folk, Ambient und Elektronik. Die neuen Alben von Mirroring, Jon Porras, Evan Caminiti, France Jobin, Stephan Mathieu und Portraits sind allesamt großartig und "Spirits" des unter dem Plankton Wat-Banners operierenden US-Amerikaners Dewey Mahood (u.a. auch als Eternal Tapestry und Jackie-O Motherfucker aktiv) reiht sich fugenlos in die lange Liste ein.
Komponiert als Meditationsmusik für die Auseinandersetzung mit der Natur, genauer gesagt mit dem Pazifischen Nordwesten der USA, mit seinem rauhen Klima, seinen nie enden wollenden Regentagen und seinen riesigen, weitgehend unberührten Waldgebieten. Es ist eine Verneigung vor der Kraft und Schönheit der Natur, aber auch ein respektvolles Zögern und Innehalten vor ihrer Melancholie und ihrer Vergänglichkeit. Ein Schauspiel in Klang. Spannend ist insbesondere der Unterschied zu hören, wie Mahood die verschiedenen Facetten seiner Muse einerseits im Detail verarbeitet hat, beispielsweise das Licht und die Reinheit im unten verlinkten "Fabric Of Life", in dem ein beinahe manisch funkelnder Entwurf einer Folkgitarre über die tief surrende Basis aus dunklen Hölzern springt, und wie er andererseits die universellen Geistwesen schwingen lässt. So puzzelte er "Spirits" zu einem tatsächlich spirituellen Trip zusammen und steht dennoch im ständigen Austausch mit der konkreten Idee, um die seine Kompositionen grundlegend als variablen Fixpunkt kreisen. Mit diese Erdung ist er damit durchaus in der Tradition der spirituellen Jazz-Community zum Ende der sechziger, Beginn der siebziger Jahre gut aufgehoben. "Spirits" ist somit nicht nur in musikalischer Hinsicht abenteurlustig, es ist auch auf dem doppelten Boden ein offenes, reflektiertes, hingebungsvolles Album mit einer großen, alles zusammenhaltenden Vision.
Das ist ein viel zu später Nachruf für eine Band, die bereits im vergangenen Jahr den letzten Vorhang nach unten sausen ließ: Double Dagger aus Baltimore haben nach neun Jahren Bandgeschichte, drei Alben und sechs Singleveröffentlichungen das Licht ausgeknipst, und wie ich eben nochmal überprüfte, überraschenderweise noch keine lobenende Erwähnung auf diesem Blog erhalten. Überraschend ist's grundsätzlich sowieso; das letzte, großartige "More"-Album erschien immerhin bei Thrill Jockey, der Indieinstitution aus Chicago. Und da passten sie bestens hin: der zu Beginn ihrer Karriere als "graphicdesigncore" bezeichnete Post-Punk/Core des Trios, das interessanterweise ohne Gitarristen auskommt und den teils infernalischen Noise lediglich mit Schlagzeug, Gesang und einem derbe verzerrten Bass auf die Beine stellt, setzt sich bestens zwischen die Stühle, die Tortoise, Trans Am und Pontiak freigelassen haben. Ihre Musik erscheint absolut fokussiert und crisp, obwohl sie es bei näherem Hinhören nicht ist. Kantig und verschachtelt, roh und spindeldürr arrangiert. Im Grunde hätten sie mit ihrem spröden Charme auch bestens zu Dischord gepasst.
Dazu wird es nun nicht mehr kommen, allerdings steht noch eine Veröffentlichung für 2012 auf dem Plan. Ob zusätzlich zur DVD-Dokumentation über die letzte Tour aus dem Herbst 2011 noch eine LP/CD Veröffentlichung kommt, lässt sich nicht genau sagen, aber sei's drum: auf ihrer Homepage haben sie das unten stehende Video hochgeladen, und besonders der Livemitschnitt spiegelt ein angemessenes Bild über die Kraft und die Aura dieser Band wider: "The best crowd-surfing we've seen since the "Even Flow" video."
Wenn der Tag geht und ich es mir mit einem Tässchen Fliegenpilzsuppe gemütlich gemacht habe, wenn ich die Allee aus Kerzen vor mir entzündet und die Unterhose gelüftet habe, wenn mich also DIE_WELT mal schön am Popöchen kratzen kann, dann ist die Zeit für ein Album gekommen, das just zu solchen Momenten ganz hervorragend zu funktionieren scheint. Der Sommerabend auf der Couch (weil der Balkon zu klein/zu baufällig/zu tralala ist, Zutreffendes bitte abpausen), die sanft zum Fenster hereinwehende Brise, die Ruhe und die Abgeschiedenheit: ich habe gerade großen Spaß mit "Night Dust". Caminiti untersucht seit 2005 die Auswirkungen von Gitarrendrones und Feedbacks auf seinen Kontostand, Quatsch: die Entwicklungsmöglichkeiten seiner Musik und nach einigen Veröffentlichungen von Barn Owl (zusammen mit dem gleichfalls an dieser Stelle vorgestellten und gefeierten Jon Porras) auf Labels wie Thrill Jockey, Important, Root Strata oder auch Digitalis steht nun das Debut für Immune bereit.
Aufgenommen auf einem 4-Spur-Kasettenrekorder entwickelt die Art seines Spiels eine eigenwillige Tiefe, als schaue man vom 118.Stockwerk eines Hauses auf ein sechzehneckiges Treppenhaus hinunter. Es funkelt und dreht sich, es verschwimmt vor den Ohren. Also die Musik jetzt. Nicht das Treppenhaus. Mal sind seine oftmals nur angerissenen Klangtürme monumental in die Breite gezerrt, mal glaubt man, die langgezogenen, schwebenden und flächigen Soundscapes könnten über Wasser laufen. Oder sie seien wenigstens im Wasser komponiert worden. Oder noch besser:"Night Dust" klingt, als hätte man Klang "Nass in Nass" auf eine Schallplatte gepresst. Apropos, das Labelinfo schwärmt:
"Mastered and cut to vinyl by Andreas [LUPO] Lubich at D&M in Berlin, pressed on high-quality virgin vinyl at RTI and housed in a heavy-duty old-style tip-on gatefold jacket printed on uncoated stock by Stoughton. Also included is a free download coupon."
Und was soll ich sagen? Immune frohlocken völlig zurecht. Das Artwork und die Aufmachung des Klappcovers sind eine Sensation, zusammen mit der Musik ergibt sich: pure Schönheit.
Die Brüder Jan & Romke Kleefstra und Anne-Chris Bakker erschaffen auf "Griis" einerseits karge, andererseits eindringliche Musik, die Tiefe, Leere und Melancholie auf vibrierende Soundscapes von elektrischen Gitarren bettet. Dazu rezitiert Jan Gedichte auf Friesisch, einem hakeligen und fremdartig klingenden Dialekt, der die Kraft hat, die Figur und Richtung der im Vorfeld aufgebauten Musik zu lenken und neu zu interpretieren. Das niederländische Trio hat dabei viel Gespür für Raum und Zeit, und wenn ich nun sagen würde, dass es vor allem die beiden Gitarristen verstehen, durch viele aquatische Nuancen eine einzigartige Wellenbewegung in den Klangwall einzubringen, dann wäre das lediglich die halbe Wahrheit: auch Jans Poesie kommt zu exakt getimten Momenten. Das klingt alles nach einem großen Masterplan und das ist in der Ausprägung nicht nur überraschend, sondern auch verflixt schön dargestellt.
Erschienen auf Low Point, 2011.
JASON URICK - I LOVE YOU
Na, schon eine Rezension zu Jason Uricks "I Love You"-Album gelesen, die nicht auf den Titel und die Geschichte dahinter eingeht, und die sich nicht spannende Querverweise auf Coverartwork ausdenkt? Dumm nur, dass sich nun auch dieser Paarzeiler (beanspruche Copyright!), den du gerade liest, in diese Gruppe einreiht, "sauber ins Knie g'fickt."(Priol). Kann man sich eigentlich in Gruppen einreihen? Sei's drum: man darf "I Love You" zweifellos als abstrakt empfinden, wenn das Pulver mit Titelinterpretation und dem Rezitieren des Labelinfos nicht schon verschossen wurde. Urick vergräbt indes unter unwirklich und teils gar furchteinflößenden Sounds eine ganz und gar unabstrakte Idee. Er wirbelt und wiederholt, er tanzt, ab und zu erkenne ich einen Om-Shanti-Groove, Afrika, Cluster und Schnitzler, ein bisschen Jazz und eben vor allem: Einheit. Das einleuchtendste Merkmal dieses immerhin subtilen Werks ist seine Umarmung dessen, was ist - und das ist zu hören, egal an welcher Stelle die Nadel auf die Platte plumpst. Da saß nicht in einer verträumt-romantisch am Schlafzimmerlaptop und haut ein paar Spuren und Samples übereinander; auf mich macht Uricks zweites Soloalbum den Eindruck, als hätte da etwas in der Mitte seines Körpers geglüht, das er mit einigem Winden und Kämpfen in die fassbare Realität schieben musste. Mit ausgebreiteten Armen.
Erschienen auf Thrill Jockey, 2012.
BITCRUSH - OF EMBERS
Ich möchte dem geneigten Leser schlussendlich ein Album aus dem Jahr 2010 ans warm-schmatzende Herz legen, das mir auf meinem Blog bisher etwas unterrepräsentiert erschien. Genau genommen ist es nicht nur auf diesem Blog unterrepräsentiert, sondern auch in meiner Playlist, und bei jedem der bisherigen Berührungspunkte frage ich mich gleichzeitig, warum das wohl so ist. Teile von "Of Embers" müssten mir im Grunde so gut reinlaufen wie ein Fass selbstgemachtes Basilikumpesto. Mike Cadoo hat eine progressive Form des Ambient Post Rocks entwickelt, dessen Schwerpunkt bei aller Abstraktion auf traditionellem Songwriting und dem Lemma "Rock" liegt. Die Saitenfraktion vibriert tief und mollig, im Unterholz entfalten sich Feedback-Drones und Schwebeharmonien, und Cadoo nuschelt am Frittenstand ziemlich weit draußen seine Wahrheiten. Soweit ist das schön und im Fluss. Aber, und damit beantworte ich mir die weiter oben gestellte Frage selbst, da gibt es noch das (programmierte?) Schlagzeug, das mir einen Schmiss zuviel Rahmen und Ordnung reinbringt. Zusammen mit der Stimme mündigt "Of Embers" somit in eine ziemlich konventionelle Soße, die mir persönlich zuviel mit der fünften oder siebenhundertsten Welle von Post Rock-Bands flirtet. Das klingt härter, als es gemeint ist - vielleicht möchte der ein oder andere mal ein Ohr riskieren, wenn sich zwischen Downloads, Facebook, Twitter und Webzines noch ein kleines, noch nicht vollständig geschlossenes Zeitfenster auftut. Ich bin mir sicher, dass "Of Embers" seine Anhänger finden kann.
Meine in früheren Einlassungen zur Karriere von The Sea And Cake geäußerte Ansicht, dass jedes neue Album des Quartetts aus Chicago auch automatisch den nächsten künstlerischen Zenith ihres Schaffens darstellt, erfährt mit "The Moonlight Butterfly" einen kleinen Dämpfer. Was allerdings eher an der Qualität des Vorgängers "Car Alarm" liegt. Also nicht traurig sein, es ist alles gut.
"The Moonlight Butterfly", ihre neunte Veröffentlichung, ist kein vollständiges Album - die Band benötigt für sechs Songs gute 33 Minuten - jedoch das erste Lebenszeichen seit "Car Alarm" aus dem Jahr 2008, sofern man von der Split 7" mit dem kanadischen Kollektiv Broken Social Scene absieht, die im Jahr 2010 in einer kleinen Auflage und im Rahmen einer gemeinsamen US-Tour erschien.
Eine kleine Beichtstunde: ich habe mit jeder neuen The Sea And Cake-Platte zu Beginn meine kleinen Probleme und paradoxerweise resultiert der Grund dafür in die spätere Zuneigung. Hinter dem offenkundig luftigen Bandsound, der selbst die zarte Brise in einem Haus am Strand wie einen Orkan dastehen lässt, stecken subtile Details und verzwickte, dicht geknüpfte Arrangements, durch die man sich erstmal durchhangeln muss. Wenn die Enden dann in der eigenen Hand liegen und man verfolgt, wohin die Pfade führen, lichtet sich der Dunst. Was man dann vor sich hat, ist die entblößte Schönheit einer feingesponnenen, perfekt ausbalancierten Kunst im Breitbandformat. Eine niemals verwelkende Blüte vom besten, was Musik werden kann. "The Moonlight Butterfly" macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme.
The Sea And Cake haben auch bei dieser Platte versucht, ihren Sound weiter zu entwickeln. Die Kompositionen sind ausufernder geworden, vielleicht könnte man es es sogar psychedelischer nennen. Die Beweisführung tritt das fast zehnminütige Herzstück "Inn Keeping" an - nicht nur der vielleicht beste Song, den die Band jemals geschrieben hat, er hebt sich in Sachen Aufbau und Struktur von ihrem übrigen Oevre ab und nimmt sich in jeder Phase seines Lebenszyklus viel Zeit und Raum. Dabei blieben die eigentlichen Zutaten des Sounds unverändert: es ist immer noch diese betörende Mischung aus Indie-Pop und Jazz, die mir so unverwechselbar wie nobel den Kopf verdreht und stets die richtigen Knöpfe drückt.
In manchen Situationen ist das schlicht die beste Band der Welt.
Der Einstieg mit dem zehnminütigen "Grey Dunes" ist kolossal. Beinahe körperlich spürbar, türmen sich gewaltige Gitarrengebirge über dem Ozean auf, kreiseln kurz vor der Ionosphäre, bevor der Selbstzerstörungsknopf gedrückt wird, auf dass ein reinigender Sturm aus glühendem Gestein und eines verzehrenden Feuers uns beglücken mag. Danach können wir unser kümmerliches Selbst in einem grau-rostigen Kehrblech auflesen - und überraschenderweise liefert der zweite Teil des Openers auch diesen Soundtrack passgenau und frei Haus.
Jon Porras ist eine Hälfte des gleichfalls in diesem Jahr etwas mehr in den Fokus der Noiseszene gerückten Duos Barn Owl, das beim renommierten Thrill Jockey Label unter Vertrag steht. "Undercurrent" ist ein Denkmal für die US-amerikanische Pazifikküste im Nordwesten des Landes, eine Ode an den Nebel und den Dunst. Eine Reihe von unergründlichen, teils gar surrealen Eskapaden einer verzerrten, im Abschlusstrack "Gaze" einer akustischen Gitarre, die manchmal klingen, als kämen sie direkt von einem anderen Stern. Fremdartig, wie "For ARH" eine silber glänzende Fläche ausbreitet, auf der demnächst auch das Raumschiff Galaktika landen kann (und wird!) und wie wahrhaftig "Peering" und "Land's End" ihre Verbundenheit mit dem Meer und der Erde darstellen. Zwischen diesen Gegensätzen, dem Unwirklichen, Fantastischen auf der einen und der Schlichtheit auf der anderen Seite, hat Porras subtile Harmonien der reinsten Schönheit vergraben, die sich unter glitzernder Gischt emporwürmeln.
Es sind die unterschiedlichen Gesichter von "Undercurrent", die mir im Laufe der letzten sieben Monate ans Herz gewachsen sind. Die ausladende, teils gar stürmische A-Seite und die einen Hauch strukturiertere und nachdenklichere B-Seite dieser auf 500 Stück limitierten LP-Pressung zeichnen die Entwicklung der Musik von Jon Porras nach: "Undercurrent" geht von Außen nach Innen. Lässt den Sturm verklingen. Lässt das Meer schlafen. Und kommt an.
Die fantastischen Post-Pop-Rocker The Sea And Cake, nun schon seit mehreren Jahren eine meiner absoluten Lieblingsbands, veröffentlichen am 10.Mai 2011 ein Lebenszeichen - das erste seit dem Erscheinen des großartigen "Car Alarm"-Albums aus dem Jahr 2008, sieht man von einer kurzfristig eingeschobenen 7-Inch Split-Single mit den Kanadiern Broken Social Scene ab.
Das neue Album trägt den Titel "The Moonlight Butterfly" und enthält insgesamt sechs Stücke:
01 Covers 02 Lyric 03 The Moonlight Butterfly 04 Up on the North Shore 05 Inn Keeping 06 Monday