24.02.2015

2014 ° Platz 3 ° Melanie De Biasio - No Deal



MELANIE DE BIASIO - NO DEAL


"C‘est pas vraiment du jazz, mais c‘est aussi du jazz."


Es ist beinahe unmöglich, diese Platte in Tageslicht zu hören. Es ist auch ungehörig, diese Platte in Tageslicht zu hören. Streng genommen zerfällt jeder, der diese Platte in Tageslicht hört zu Staub. Oder zu einem Bündel Bio-Knoblauch, als Strafe.

"No Deal" ist Nachtmusik, und so ausgeschrieben ist es fast eine Untertreibung. Nokturn, dunkelrot glühend, intim, gar so intim, dass man fast ein bisschen nervös auf dem Stuhl herumrutscht, weil alles so nah erscheint. Emotional nah. Weil die Instrumente so klingen, als wären sie von einem selbst handgeschnitzt worden. Die Geschichten von Di Biasio so kontemplativ, weil man sie selbst sein Leben lang auf dem eigenen Buckel herumträgt und von ihrer universellen Richtigkeit überzeugt ist, selbst wenn niemand sonst so fühlt. Die Stimme so eindringlich, dass der Atem zu spüren ist. Im Nacken. Im Ohr. Gänsehaut auf den Armen. 

So viel Luft wie hier zu finden und zu hören ist, so wenig Luft ist hier zu finden und zu hören. Selbst wenn der Swing hier und da für ein wenig Raum sorgt, so klaustrophobisch räkelt sich das geknüpfte Netz aus Moll und Hall am eigenen Körper hoch, wenn der Blues wieder das Zepter übernommen hat. Diese Musik kommt aus der Tiefe der Dunkelheit ganz langsam nach oben gekrochen, an die Erdoberfläche. Nur bei Nacht. Dann spannt sie ihre Weisheit über den ganzen scheiß Planeten. 

Und wenn das Timing stimmt, dann hat man nachts um 4 und spätestens beim Ende von "With All My Love", diesem ungeschlagenen Feedbackbrodeln und dem zweifellos besten Moment, der im abgelaufenen Jahr zu Klang wurde, plötzlich das Verständnis für das Kollektiv, für alles und jeden, für jeden Zusammenhang. 

Ein paar Minuten braucht man zum Sammeln der Gedanken. Dann lässt man die Rolläden einfach unten und es geht von vorne los.

Eternal Darkness. 





Erschienen auf Play It Again Sam, 2014.

21.02.2015

2014 ° Platz 4 ° The Life And Times - Lost Bees




THE LIFE AND TIMES - LOST BEES



Wenn ich schon im Jahr 2010 mit einem überraschend trotzigen Unterton schrub, dass ich die Größe von The Life And Times nun schon wirklich oft genug erwähnte, und außerdem auch die folgenden Jahre nicht müde wurde, dem Trio aus Kansas City bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Heiligenschein aufzusetzen, dann, und das muss ich ehrlicherweise zugeben, gehen mir jetzt schon ein bisschen die Superlative aus. Zumal ich "Lost Bees" erst vor wenigen Wochen bereits kommentierte. 

Was sich seitdem verändert hat? Ich habe erstens endlich die Schallplatte von "Lost Bees" auf toll klingendem weißen Vinyl auf dem Plattenspieler liegen, ich habe zweitestestens mittlerweile auch einen Lieblingssong, denn "Bored To Death" trifft mit seiner schwer dampfenden Melancholie und den schönsten Gitarrenharmonien der Welt meine Hauptschlagader wie ein Amboss, und darüber hinaus ist "Lost Bees", wie mir neulich erst auffiel, tatsächlich das einzige 2014 von mir gekaufte Rockalbum - was ein glatter Minusrekord ist. Rock ist tot. Und mit Blick auf das, was 2014 so alles die Kanäle verstopfte: mit was? Mit Recht! Das gilt natürlich nicht für Blank When Zero, die sind cool und am Leben. *hust*

Und es gilt nicht für The Life And Times. "Lost Bees" ist das einzige Lebenszeichen, der einzige Leuchtturm in der Dunkelheit. Fantastische, deepe, völlig klischeefreie Rockmusik zwischen Shoegazer, altem, US-amerikanischem Indierock, Grunge und Alternativerock mit den besten Musikern, die eine solche Musik verdient hat. Kein breitbeiniges Simpelgerocke, eher zurückgezogene, nachdenkliche, melancholische und doch tonnenschwere Rockmusik, die sich immer so anfühlt, als wäre sie aus der Zeit geplumpst. Gitarrist Allen Epley mit einem riesigen Omar-Rodriguez-Lopez-Gedächtnis-Effektboard, auf dem der Mann auch alles ausspielt, was es (alles)(nicht) gibt, ein hypereffektiver Eric Abert am Bass, der beinahe exklusiv stoisch vor sich hinpumpt und mit Super-Drummer Chris Metcalf so wichtig für den Punch der Band ist, einen Punch, der sich durch die Legion von Noise- und Harmonielayern durchtanken darf.

Ein Gesamtkunstwerk. Genau wie dieses Video. Damit sollte dann wirklich alles gesagt sein.





Erschienen auf Slim Style Records, 2014

17.02.2015

2014 ° Platz 5 ° Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra - When The World Was One




Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra - 
When The World Was One

Wäre ich vor fünf, sechs Jahren zu meinen Vorlieben in Sachen Jazz gefragt worden, hätte ich ohne mit dem Hanfblatt zu zucken irgendwas diffuses von Free Jazz gefaselt, möglicherweise noch unter Erwähnung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Und es gäbe sogar einige Beweise auf meinem 3,40qm-Universum vorzulegen, beziehungsweise -lesen: Colemans "Free Jazz", Clifford Thornton und sein explodierendes "Ketchaoua"-Manifest oder auch die Schlachtenfummler-Exkursionen von Bassist William Parker. Im Gegenzug konnte ich die von vielen meiner Mitmenschen bevorzugten und von mir etwas despiktierlich genannten Kuscheljazzer nie so richtig verstehen und erfassen. Mir war das immer zu zahm, zu anschmiegsam und auf eine ganz klebrige Art ranschmeißerisch, was die deutschen Mainstream-Jazz-Postillen (for the record: Tautologie) in ihren ausgewählten Themen immer wieder bewiesen: je massenkompatibler, desto wertiger. Für die Auflage. Künstlerisch fand ich das fast immer sehr traurig und öde. 

Mittlerweile ist der Autor tatsächlich fünf, sechs Jahre älter geworden, und ich habe natürlich keine Ahnung, ob das Konzept von der Altersmilde wirklich existiert, aber ich muss unter Berücksichtigung der mir innewohnenden Offenheit, dass es also sicherlich nicht immer bis hin zu fast nie um ein "Entweder-Oder" gehen kann, soll, darf und muss, zugeben, dass ich diejenigen Stimmen, die an der Stelle von Chaos und Ungezügeltheit lieber Ton, Aura und Melodie hören wollten, mittlerweile besser verstehen kann. Es wird hoffentlich nie für Brönners Till reichen, aber für dieses fantastisch strahlende Album des britischen Trompeters Matthew Halsall gleich für die nächsten Jahre und Leben. 

"When The World Was One" war der höchste Neueinsteiger seit so ziemlich immer, praktisch von der 0 auf die 5, würde Der Dieter! Der Thomas! Der Heck! in seine sechs "Linie Aquavit" hineinsprotzen, die als Standgasportion hinter der Hitparadenkulisse auf ihn warteten. Es mag ganz bestimmt nicht der wildeste Ritt auf dem Rücken eines durchdrehenden Pferdes sein, aber ich habe in den letzten Jahren keine schönere und wärmendere Mischung aus modalem Jazz der 1960er und dem spirituellen Jazz der 1970er Jahre gehört, eine Mischung, die einerseits so unprätentiös, andererseits so selbstbewusst klingt, sodass nicht mal eine Sekunde Platz ist für eine ansonsten immanente Käsigkeit und den berüchtigten Muckerkitsch. "When The World Was One" ist eklektischer, nachdenklicher, moderner Jazz - hypnotisch und meditativ, nicht nur mit dem besten, was die britische Jazzszene gerade zu bieten hat - Taz Modi am Piano, Flötistin Lisa Mallett, Luke Flowers (u.a. Cinematic Orchestra) am Schlagzeug, Nat Birchall am Saxofon und Gavin Barras am Bass - sondern auch mit einer entsprechenden Instrumentenvielfalt ausgestattet: Rachael Gladwin setzt ihre Harfe unter anderem prominent und selbstverständlich beim Albumhighlight "Tribute To Alice Coltrane" ein, Keiko Kitamura spielt das japanische Koto, eine mit Seide bespannte Wölbbrett-Zither. 

Wer sich gerne mal ein halbes Fläschchen Tramal einbaut und die nächsten acht Tage ohne Toilettengang zugedeckt im Bett verbringt, weil's so schön entspannt und weil's außerdem ein heimlicher Traum von mir ist, oder morgens zum ersten Kaffee gleich den Lautsprecher ablecken will, weil's natürlich auch ein Traum von mir ist, aber wenigstens einer, der wegen dieser Platte mittlerweile in Erfüllung gegangen ist, der weiß, was jetzt zu tun ist. 





Erschienen auf Gondwana Records, 2014. 

14.02.2015

2014 ° Platz 6 ° Deepchord - Lanterns



DEEPCHORD - LANTERNS


Herausragende Dub Techno-Alben sind rar. Auf das erste Hören drohen die meisten Veröffentlichungen nicht gerade vor Komplexität und Tiefe zu bersten, und wer nicht alle Ohren aufsperrt und die Auseinandersetzung sucht, dem wird grundsätzlich nicht besonders viel einfallen, was über das niederschmetternde Urteil "Fahrstuhlmusik" hinaus geht. Und selbst bei umfangreicher Beschäftigung bleibt oft ein fades Gefühl von Ideenlosigkeit zurück. Ich hatte vor einigen Wochen "Lanterns" als das beste Dub Techno-Album des abgelaufenen Jahres bezeichnet und bereits hektisch mit dem Zaunpfahl gewinkt, dass wir im Zuge der Rückschau einen ähnlichen Satz Anfang 2015 nochmal hier lesen werden. Was hiermit abgehakt werden kann. Denn "Lanterns" ist auf vielen Ebenen ein sehr erfreuliches Werk geworden.

Das kann aber aus meinem Musiksessel heraus nur deshalb abgehakt und hinaustrompetet werden, weil ich mich besonders in den letzten Tagen nochmal ausgiebig um "Lanterns" gekümmert habe. Die glitzernde Fassade, die das Londoner Label Astral Industries um diese Veröffentlichung aufgezogen hat, mag zunächst den Blick vernebeln: ein handgezeichnetes Cover im aufklappbaren, schweren Karton, ein großes Poster mit dem Artwork, zwei Vinylbrocken zu je 180g als Crystal-Edition mit blauen Schleiern auf der einen, und roten Schleiern auf der anderen Scheibe. Dazu gibt's handmasturbierte Exklusivität: es wird niemals einen Repress und niemals eine digitale Version von "Lanterns" geben, sagt das Label - neben MP3 beziehungsweise FLAC fallen also auch CDs flach. Dafür mussten satte 40 Euro gezahlt werden. Unter normalen Umständen packt man sich ja an den Kopf. 

Die Kopfschmerzen lassen nach, wenn der erste Durchgang von Rod Modells erster LP für Astral Industries durch die Denkvorrichtung gezogen ist. Ich höre "Lanterns" nun seit über einem halben Jahr regelmäßig und entdecke bei jeder Wiederholung etwas Neues in dem Kosmos von dürren Verästelungen und schwelenden Glutnestern, und jedes neu hinzukommende Element scheint die Dechiffrierung dieser Musik zu erschweren. Ich war schon oft auf der vermeintlich falschen Fährte, was gemessen an der Komplexität von "Lanterns" nicht weiter verwundert, aber die Endgültigkeit bleibt rätselhaft. Wo sich die ehemals erwähnten Alben von Voices From A Lake, Segue oder Conforce sehr bildhaft entwickeln und ihre Darstellung von Klang stets eng mit Erzählungen und Geschichten verbunden ist, erscheint mir "Lanterns" mittlerweile zwielichtig und in seiner unbeweglichen Morbidität beinahe unheimlich. Ich schrieb im November vom "ziellosen Weg durch den Untergrund der Großstadt", was das Gefühl nach wie vor angemessen beschreibt, das dazu passende Bild jedoch ist ausgegraut und an manchen Stellen schlicht erloschen. Ein Denkmal ohne Geschichte. 





Erschienen auf Astral Industries, 2014.

11.02.2015

2014 ° Platz 7 ° Taylor McFerrin - Early Riser



TAYLOR MCFERRIN - EARLY RISER


Wie der Vater, so der Sohn. Hatte ich auf diesem Blog im Jahr 2009 bereits den Klassiker "The Voice" von Bobby McFerrin lobend erwähnt, ist nun sein Sohn Taylor an der Reihe. "Early Riser" ist sein lange erwartetes und über den läppischen Zeitraum von nur sechs Jahren fertiggestelltes Debut, das im abgelaufenen Jahr auf Brainfeeder erschien, dem Label von Flying Lotus-Vorstand Steve Ellington also, und dabei dessen enttäuschendes "You're Dead"-Album ganz nonchalant und mit samtiger Verve gegen die nächste Wand batscht. 

'Nonchalance' ist dabei ein gutes Stichwort: "Early Riser"  ist, ganz dem Titel entsprechend, Guten-Morgen-Musik für den Winter - ob's für den Sommer genauso gilt, teste ich in ein paar Monaten aus. Wenn Herr Dreikommaviernull seine Tage im Home Office verbringt und morgens gegen 8 Uhr den ersten Kaffee des Tages in der Küche zusammenbraut, danach den Rechner hochfährt, um sich gleich anschließend schon über die ersten Mails zu ärgern, dann war diese Platte in den vergangenen Wochen meistens an seiner Seite und gab ihm trotz des Ärgers und des Stresses ein - Verzeihung für das Klischee: ein gutes Gefühl. Manche Wahrheiten sind eben so simpel.

Wie es bei den vorliegenden Genen nicht zwingend anders zu erwarten war, ist die Musik des Multiinstrumentalisten alles andere als "simpel". Dabei ist "Early Riser" nicht überkomplex, wenngleich die verschachtelten Arrangements nebst den zahlreichen musikalischen Fluchtpunkten und Layern, in denen sich die zwölf Kompositionen bewegen, nicht gerade für Mainstream-Pop stehen. Gleichfalls steht aber auch kein avantgardistisches, experimentelles Album auf dem Programm - viel mehr ist Taylors Debut mit seinem Mix aus Neo-Soul, Jazz, Hip Hop und zaghafter Electronica der Soundtrack für diffuses, zwischen transparenten Gardinen durchbrechendes Licht eines neuen Tages, für zurückgezogene Stunden, für ans Bett gebrachten, frischen Kaffee. Für Schneefall. Für ein heißes Bad. Für einen Bademanteltag. Für einen Kuschelsonntag im Bett mit einem Menschen, den man liebt. 





Erschienen auf Brainfeeder, 2014.

08.02.2015

2014 ° Platz 8 ° Electric Wire Hustle - Love Can Prevail



ELECTRIC WIRE HUSTLE - LOVE CAN PREVAIL


Geschlagene vier Jahren wartete ich auf Neuigkeiten vom anderen Ende der Welt und endlich hatte der Musikgeist 2014 ein Einsehen. Das mittlerweile zum Duo geschrumpfte und live von ex-The Mars Volta Drummer Thomas Pridgen unterstützte Projekt Electric Wire Hustle aus Neuseeland, in meiner 2010er Bestenliste mit ihrem selbstbetitelten Debut immerhin auf Platz 10 gelandet, veröffentlichte im vergangenen Herbst in aller Seelenruhe ihren fast noch besseren Nachfolger - der sich auch gerne weiter vorne im Feld hätte positionieren können, wäre die Konkurrenz nicht so arg groß gewesen. 

"Love Can Prevail" ist im Vergleich zum Debut etwas strukturierter und aufgeräumter, legt aber größeren Wert auf eine Art Progressive-Urban-Soul, der einen Track zwar nicht immer ohne Umwege zum Hit führt, aber eine beeindruckende Langzeitwirkung über das Album ausrollt. Bestes Beispiel ist das zunächst windschief erscheinende Arrangement von "Blackwater", das sich nach einigen Durchgängen so stimmig entfaltet, dass die fünf Minuten nicht nur endlich Sinn machen, sondern ich mich darüber hinaus und noch viel wichtiger an eine Zeit zurück erinnert fühle, in der ich auch die Songs, die nicht ausschließlich für Funk und Fernsehen erdacht wurden, in mein Herz schließen konnte - manchmal sogar mehr, als es bei den Hits der Fall war. Weil sie tiefer gingen, weil sie interessanter waren, vielschichtiger. Der Nerd in uns allen sprach früher von "Albumsongs". Wichtig für den Fluss oder die Story der Platte, aber eben kein "Direct Hit" (Eddie Argos). 

"Love Van Prevail" ist zum Entdecken gemacht, und da ist zwischen RnB, Jazz, Soul, Elektro und Hip Hop einiges zu hören, was es nicht an jeder Straßenecke gibt. 

Ich bin schwer in diese beiden Jungs verliebt. 

Ach so, Video des Jahres, natürlich:



Erschienen auf BBE, 2014.

06.02.2015

2014 ° Platz 9 ° Kelis - Food




KELIS - FOOD

Es wäre naheliegend, "Food" in erster Linie als Baby des Produzenten Dave Sitek zu bewerten, denn die Soundarchitektur, die das Gründungsmitglied der Indie-Stars TV On The Radio auf Kelis' sechstem Studioalbum zusammengebastelt hat, ist - im Fußball würde man sagen: spielbestimmend. Seine Vision trägt die komplette Platte zu jeder Sekunde, ist kohärent und jederzeit stimmig auf jeden Song und jede Performance der Sängerin geschneidert. Dabei, und das darf man bei aller Euphorie über eine große Produktionsleistung nicht vergessen, ist "Food" trotz der Opulenz der Arrangements, der Bläser, der Latin-Einflüsse und der Stilvielfalt erstaunlich bodenständig und unprätentiös. Und das liegt in der Hauptsache an Kelis selbst, die eben genau das ist: bodenständig und unprätentiös. Das erscheint mir der Schlüssel für ein Album zu sein, das im besten Sinne Pop ist, ohne sich dabei auf sensationslüsterne, aber letzten Endes substanzlose Illusionen aus Pomp, Glitter und Glamour zu verlassen. 

"Food" ist mutige und edle Songwritingkunst, in den richtigen Momenten gleichzeitig albern und heiter wie anspruchsvoll und eindringlich. Ich wäre nach "Food" ja sehr dafür, wenn das Team Kelis/Sitek noch für ein paar Platten zusammenbliebe und der Vier-Jahres-Rhytmus für die nächste Platte durchbrochen werden könnte. I want more. 




Erschienen auf Ninja Tune, 2014.

02.02.2015

2014 ° Platz 10 ° Slow Magic - How To Run Away



SLOW MAGIC - HOW TO RUN AWAY



Es war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass "How To Run Away" tatsächlich den Weg in meine Top Ten findet - trotz meiner Wertschätzung für Slow Magics Sound und Vision. Andererseits hat bereits das Debut "Triangle" einen immer noch deutlich hörbaren Nachhall in den letzten Jahren produziert, der mit voranschreitender Zeit immer lauter wurde. Auch daran war bei anfänglicher Beschäftigung nicht wirklich zu denken, aber der schwüle, gefühlvolle Elektro-/Dreampop dieser kleinen Platte entfaltete seine Wirkung bei jedem Durchgang in neuen Stimmungen und Farben.

"How To Run Away" macht das ganz ähnlich und auch hier trifft es mich an einem ganz wichtigen, freigelegten Nerv: die bisweilen süßliche Mischung aus Melancholie und Sehnsucht, gepaart mit Ausgelassenheit und Lebenslust malen Bilder meiner Jugend in der Sonne vor dem geistigen Auge. Warum diese Flashbacks ausgerechnet bei Slow Magics Musik erscheinen, so klar und deutlich und sich tief in mein Herz eindrehend, dass ich sie weder ignorieren noch erklären kann, finde ich vielleicht erst in ein paar Jahrzehnten heraus; für den Moment bleibt festzuhalten, dass Slow Magics Synthie-Pop viel mehr Tiefgang hat, als es nach den ersten Kontakten zu erwarten war. Eine Platte, mit der man bei Sonnenuntergang an einer romatischen Bucht in Südfrankreich auf das Meer schauen und sein Leben Revue passieren lassen kann. Wenn nicht sogar muss.




Erschienen auf Downtown Records, 2014.

01.02.2015

2014 ° Platz 11 ° Zara McFarlane - If You Knew Her



ZARA MCFARLANE - IF YOU KNEW HER


Auch bei Zara McFarlanes zweitem Album benötigte ich nur ein großartiges Cover und den Labelnamen, um einen beinahe umgehenden Kaufreflex auszulösen. Gilles Petersons Brownswood Recordings ist seit Jahren sehr stilsicher und eine todsichere Wette in Bezug auf neue, spannende Musik. Peterson mausert sich dabei immer mehr zum Nachfolger des verstorbenen John Peel, auch wenn sich ebenjener stilistisch zwischen alle Stühle setzte, während Peterson weitgehend nur im großen Electronica-, Soul-, Funk-, Jazz- und Downbeat-Becken unterwegs ist.

Ein Besuch bei Tommes Records in Stuttgart brachte mich dann schlussendlich zu "If You Knew Her". Inhaber Tommes, der gewöhnlicherweise nur sehr ausgewählte und exklusive Neuheiten im Programm hat und im Schaufenster präsentiert, hatte McFarlanes Platte tatsächlich prominent in der Auslage platziert und ich, der auch hier die sechs verschiedenen virtuellen Wunschzettel schon längst gefüttert, die Scheckkarte aber noch nicht gezückt hatte, forderte sofort ein Exemplar. Es war sein letztes. Mit einigem Leuchten in den Augen frohlockte Tommes (vermutlich) nicht nur über die frisch verdienten 22 Euro, sondern auch über diese Platte. Der Mann ist seit Jahrzehnten im Geschäft, logischerweise mittlerweile mit allen Wassern gewaschen und lässt sich folgerichtig nur selten aus der Reserve locken, aber hier schwärmte er, was das für eine tolle, tolle Platte sei. Überrascht ob dieses fast schon emotional zu bezeichnenden Ausbruchs, war ich andererseits sicher, dass auch ich viel Spaß mit "If You Knew Her" haben werde. 

Die Tochter jamaikanischer Eltern hat sich eine bemerkenswerte Mixtur aus traditionellem Jazz der Nina Simone-Ära und einem modernen Soul einer Jill Scott ausgedacht. Bemerkenswert, weil dieses Amalgam eine Unterscheidung oder gar Aufteilung beider Richtungen kaum ermöglicht. Dabei passt die Instrumentierung in ihrer Sparsamkeit eher zu einem dunklen, schummrigen Jazzclub. Hier sei besonders Pianist Peter Edwards erwähnt, der seine Töne und Akkorde wie Marmor-Denkmäler vergessener Jazzpianisten in von tagelangem Regen aufgeweichte Böden versinken lässt. Die deepe, angenehm angerauhte Stimme McFarlanes bekommt damit viel Auslauf geschenkt und bündelt die Einflüsse der mit Reggae und Musicals aufgewachsenen Londonerin zu einem dämmerigen, mit schwelenden Glutnestern gespickten Allround-Paket. Und mit dem Eröffnungssong "Open Heart" gibt es sogar noch einen kleinen Pop-Hit.

Erschienen auf Brownswood Recordings, 2014.