Posts mit dem Label postcore werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label postcore werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

30.12.2020

Die besten Vinyl-Reissues 2020 (1): June Of 44 - Tropics & Meridians

 


Stoooopp, stoppstoppsto-o-o-o-p-p-p-ppppp! 

Bevor wir uns mit der Top 20 des Jahres 2020 verlustieren, in handgemolkenem Schnakenhonig und mundzerbieberter Biebernussmischung suhlend, robben wir uns zunächst durch das alte Jauchenjahr 2020. 

Erstens: die fünf besten Reissues
Zwotestens: die fünf besten Second Hand-Schätze 
Und Drittens: die fünf besten nachgekauften Platten aus früheren Jahren. 

Ich tippe mir seit Tagen förmlich den Arsch ab, aber das wird gut. Also wenigstens für mich, weil's nämlich Spaß macht. 

Die Top 20 folgen im Anschluss. Wir haben ja Zeit. Gelle?



JUNE OF 44 - TROPICS AND MERIDIANS


Es gibt kein schwaches Album von June Of 44, aber die ersten beiden Werke "Engine Takes To The Water" und vor allem "Tropics And Meridians" sind durchaus Meilensteine des sich Mitte der 90er Jahre langsam emporamorphelnden Post- und Noiserocks zwischen Slint und den frühen Tortoise. 

Es ist einerseits die Dringlichkeit, andererseits die Unschuld in dieser Musik, die durch zerklüftetes Emotionsgebirge gleiten kann wie ein heißes Messer durch Butter. Die Band zieht keinen Pathos aus der verschrobenen und manchmal etwas theatralisch wirkenden Ästhetik, stattdessen pendelt sie manisch zwischen Rückzug und Attacke, zwischen klarer Linie und porösem Zaudern - und alle Räume werden ohne Rücksicht auf Verluste eingenommen. Wer mehr über diese Platte lesen möchte, klickt sich HIER zu meinem Text aus dem Jahr 2012.  

Sowohl "Engine Takes To The Water" als auch "Tropics And Meridians" wurden 2020 auf farbigem Vinyl wieder veröffentlicht, nachdem die Originale in den letzten zehn Jahren etwas kostspieliger wurden. Beiden Ausgaben liegt je ein großes Poster und ein Downloadcode bei. Die Pressungen sind fehlerfrei, das Remaster sorgt derweil für guten Druck und die gerade bei diesen Alben so wichtige Dynamik. Obacht: Auch die Reissues sind in Deutschland leider kaum unter 35 Euro (inklusive Porto) zu bekommen.


 


Erschienen auf Quarterstick Records, 1996/2020. 


04.06.2016

Alte Liebe




MINUS THE BEAR - LOST LOVES


"Der Buchhalter des Rock'n'Roll" (Frau Dreikommaviernull über Herrn Dreikommaviernull) schlägt wieder zu: Meine weltbesten Weltbestleser haben in den Texten des vor zwei Monate abgeschlossenen "Top 20 2015"-Countdowns möglicherweise entziffert, dass der Radio/Scrobble/Musikentdeckungsdienst Last.Fm im Rahmen des letztjährig durchgeführten Relaunches neue Statistiken einführte; so zum Beispiel die Darstellung über die meistgehörten Alben. Über die Top 4 dieser Liste habe ich bereits geschrieben: Oddisees "The Good Fight", Lee Reeds "The Butcher, The Banker, The Bitumen Tanker", George Fitzgeralds "Fading Love" und "Stillpoint" von Purl, allesamt Alben aus dem Jahr 2015. 

Über den fünften Platz der Last.Fm-Liste habe ich noch nicht geschrieben, und ich verdanke es letzten Endes Herrn K. aus S., dass ich die dazu passende Platte überhaupt hörte. Und deren fünfter Platz kommt auch nicht von ungefähr. 

Minus The Bear sind ein Phänomen. Seit 2005 gehört die Truppe aus Seattle zu den wichtigsten Bands in meinem Leben. "Menos El Oso" (2005) und "Omni" (2012) kann ich praktisch auswendig mitsingen, und ich halte auch gerne und außerdem mühelos jeder Diskussion stand, die Band habe noch kein auch nur durchschnittliches Album veröffentlicht, wenn man vielleicht von den ersten noch etwas unausgegorenen EPs "This Is What I Know About Being Gigantic" und "Bands Like It When You Yell "Yar!"" absieht. Aber das waren ja auch keine Alben. Wink-Wink. 

Trotzdem, oder besser: ganz besonders deswegen schrecke ich oft zurück, wenn die Truppe eine neue Platte ankündigt, wofür ich oft nur großes Unverständnis ernte. Dabei ist die Erklärung dafür vielleicht gar nicht so schwer. Ich habe die Hosen voll. Ich will einfach nicht enttäuscht werden. Ich will, dass ich mir auch in 30 Jahren beim Anhören des dann 127. Minus The Bear-Albums noch denke, dass das manchmal, in gewissen Lebenssituationen und auch darüber hinaus, die beste Musik der Welt ist, erdacht und gespielt von der vielleicht besten Band der Welt. Und ich weiß, dass das praktisch unmöglich ist, zumal das Quintett regelmäßig seinen Sound weiterentwickelt, oft nur in Nuancen, aber das ist immer noch viel mehr als der Mut, den die übliche Indie-Konkurrenz aufzubringen vermag. Irgendwann wird es also soweit sein. Irgendwann werde ich eine ihrer Platten hören und werde enttäuscht sein. Die logische Folge: Von "Lost Loves" wollte ich zunächst auch nicht viel wissen, und erst als der Ploetzenhengst mit eifriger Vehemenz und einem Funkgurken-Dauerfeuer wieder und wieder von dieser Platte schwärmte, knickte ich ein. Glücklicherweise.

"Lost Loves" ist eine Zusammenstellung aus Songs, die in den Sessions für die vorangegangenen drei Studioalben entstanden, also für "Planet Of Ice", "Omni" und "Infinity Overhead", aber es nicht auf das jeweilige Werk schafften. Das klingt zunächst unspektakulär nach öder, beinahe ärgerlicher Resteverwertung, denn wer will schon den Krempel hören, der aus einem meist sehr validen Punkt nicht für das finale Album berücksichtigt wurde? Bei näherem Hinsehen relativiert sich jedoch die Sachlage: In den Liner Notes schreibt die Band, dass es in den Auswahlprozessen für ihre Alben in erster Linie um die Frage ging, wie sich die Songs in das jeweilige Albumkonzept einpassten. Und was sich, aus welchen Gründen auch immer - sei es Sound, Arrangement oder Text - nicht richtig anfühlte, wurde auf die Wartebank ge- und verschoben. 

Die Band verweist in diesem Zusammenhang freilich darauf, dass es sich bei den hier vertretenen Tracks mitnichten um B-Ware handelt - was ich mit hochoffizieller Freude bestätigen kann, denn "Lost Loves" ist erneut ein fantastisches Album geworden. Außerdem hat es ein eingebautes Quiz: einfach die Songs anhören und raten, für welche Platte sie ursprünglich geplant waren. 

Meine Erfolgsquote ist übrigens ganz gut.





Erschienen auf Dangerbird Records, 2014. 



08.04.2015

The Painless




THE GOD MACHINE - 
ONE LAST LAUGH IN A PLACE OF DYING


And you said life could be painless And I'm sorry but that's not what I've found

Viel zu selten landen die zwei Alben dieses Trios in meinen Playlists. Es gibt dafür fast keinen einzigen guten Grund, aber wenn ich es mir recht überlege, und gerade dann, wenn wie gerade jetzt und ganz besonders ihr Schwanengesang "One Last Laugh In A Place Of Dying" mit ohrenbetäubender und also anerkennender Lautstärke halb Sossenheim in sich zusammenklumpen lässt, dann habe ich wenigstens eine Ahnung: es ist zu schmerzhaft.

Ist schon recht, es ist alles nur Musik und es gibt ja Menschen, die offenbar ganz prima ohne leben können; scheiße ich schon wieder mit zu großen Worten das ganze Internet zu? Ist das schon wieder alles viel zu emotional? Die Antworten sind einfach: ja und ja. Und das ist völlig legitim. Das 1990 gegründete Trio aus San Diego, das im Verlauf seiner kurzen Karriere mehrheitlich aus England und dem europäischen Festland heraus operierte, zwei Alben und vier EPs aufnahm, spielte eine sehr emotionale, irrsinnig intensive und eigenständige Mixtur aus düsterem Indie- und Alternativerock mit deutlich erkennbaren Ausflügen in Gefilde des lauten, schrammelnden und zart kratzbürstigen Noiserock - und es ist besonders dieses zweite Album, das qualitativ nicht nur eine Sternstunde der Neunziger ist, sondern vor dem Hintergrund der Vorkommnisse während und nach den Aufnahmen beinahe schon unangenehme, voyeuristische Tendenzen provoziert. Es ist sicher keine Übertreibung, dass man sich auf einen ziemlich traurigen, und beklemmenden Trip einstellen darf. Mir fällt das mit zunehmendem Alter immer schwerer. Denn es ist anstrengend.

"My relationship with death remains the same, I'm strongly against it." (Woody Allen)

Bassist Jimmy Fernandez starb kurz nach dem Ende der Aufnahmen und während der Mixing Sessions zu "One Last Laugh In A Place Of Dying" im Mai 1994 an einem Hirntumor. Die verbliebenen Musiker, Robin Proper-Sheppard (Gitarre, Gesang) und Ronald Austin (Schlagzeug) lösten unter diesem Schock The God Machine nach Beendigung der Arbeiten zu diesem Album mit Verweis auf die außergewöhnlich starke und enge Verbindung zwischen den Bandmitgliedern auf. Während Proper-Sheppard Sophia gründete und 1996 mit dem sehr reduzierten und intimen "Fixed Waters" debütierte, zog sich Austin komplett aus dem Musikgeschäft zurück. 


In den besonders dramatischen Momenten dieser im Angesicht des Todes geschriebenen Songs möchte ich mich am liebsten im dunklen Keller verstecken und hemmungslos losheulen. "In Bad Dreams", "Painless", "The Hunter" und vor allem "The Life Song" lassen mich meist in Embryostellung zusammengekrümmt im Staub liegen. Im Vergleich zum deutlich rockigeren, wenngleich ebenfalls zappendusteren Debut "Scenes From The Second Storey", auf dem man tatsächlich einige zarte Parallelen zu den fast zeitgleich auf der Bildfläche erscheinenden Tool heraushören konnte ("Temptation"), hat sich die Band stilistisch insofern etwas freigeschwommen, als dass sie wenigstens in meinem Buch nicht mehr als klassische Band der neunziger Jahre durchgeht, auch wenn die Herzallerliebste die erkennbare Klangästhetik der 90er in den Mittelpunkt ihrer (wie immer korrekten) Analyse stellt. Trotzdem wirkt "One Last Laugh In A Place Of Dying" entzerrter und weitläufiger als das erste Album; es zeigt außerdem eine Band, die sich - ohne eine negative Interpretation zu forcieren - bewusst isoliert und sich in den eigenen Kosmos zurückgezogen hat. Und die daraus eine angreifbare Zerbrechlichkeit einerseits und eine fragile Stärke andererseits entwickelte. Man kann das hören. 

Es ist allerdings nicht immer ausschließlich schön und angenehm. 



Erschienen auf Friction, 1994.



PS: Für den Fall, die geneigte Leserin/der geneigte Leser erinnert sich nun wieder an die Band, und vor allem daran, dass ihre Alben spätestens ab 1995 out of print und damit entweder gar nicht mehr, oder nur für einen halben (CD) bis einen ganzen (LP) Monatslohn erhältlich waren, sei es nun laut hinaus gerufen: beide Studioalben wurden im Jahr 2010 auf CD wiederveröffentlicht, was außerdem den netten Nebeneffekt hatte, dass mittlerweile selbst die Originalversionen für einen überschaubaren Obulus den Besitzer wechseln können. Für die LP-Versionen muss nachwievor sehr tief in die Taschen gegriffen werden, aber vielleicht hat Robert Proper-Sheppard auch hier nochmal ein Einsehen. Wobei: seine Webpage für Sophia (inklusive Facebook) macht nicht mehr den frischesten Eindruck. Hat da einer den Laden dichtgemacht?

PPS: Würde Euch gerne was zum Lauschen via Youtube kredenzen, aber...wann fickt sich eigentlich diese verschissenedreckfickscheißkackverhurtkackte GEMA endlich weg?



26.09.2014

Sehnsucht & Ohnmacht



GODHEADSILO - SKYWARD IN TRIUMPH

"SubPop? 1996? Vinyl? Na logo kauf' ich die."
(Florian E., nicht nur gedacht, sondern sogar laut ausgesprochen, 6.9.2014)

Beim letzten Besuch in der Frankfurter Institution für allerlei Punk und Rock'n'Roll, Sickwreckords in Sachsenhausen, stieß ich auf dieses Schätzchen aus den neunziger Jahren - der Bandname ließ ein winziges Glöckchen im Hinterbrummschädel aufgeregt vor sich hin bimmeln; hinsichtlich möglicher Erinnerungen an die tatsächliche Musik herrschte indes die übliche Ödnis im oberen Glockenturm. Und ich tat etwas, was ich praktisch nie in Erwägung ziehe: ich hörte mir die Platte an. Im Laden. Freund Simon hat auch schon komisch geguckt. 

Es brauchte indes keine zwei Minuten, bis sich die Entscheidung glasklar als Pipifleck in der Cargo (schwarz, mit Bändchen am Bein) abzeichnete. Das Duo Mike Kunka am Bass und Schlagzeuger Dan Haugh fuzzen sich grobkörnig durch bratzigen, ausgedehnten Noise, über Stoppelfelder von künstlerisch aufgeheiztem Pre-Postrock, epischen Nerventramplern, introvertiertem Minimalismus und exaltiertem "Fuck you"-Indie-Sludge. Aus heutiger Sicht könnte glatt die Einschätzung die Oberhand gewinnen, das Duo sei mit dieser Musik ein paar Jahre zu früh dran gewesen - ein ungewöhnliches Urteil für eine Band aus den neunziger Jahren, aber eben doch ein ziemlich richtiges: "Skyward In Triumph" ist in Teilen überraschend zeitlos und bei Weitem besser gealtert als besonders die Mitt- und Endneunziger Platten musikalisch vergleichbarer Konkurrenz. Welche man, das sei am Rande erwähnt, auch eher mit der Lupe suchen darf. 

Ich legte die Platte übrigens nach dem Erwerb zum ersten Mal am ersten folgenden  Sonntag auf, als ich mich dem Sortieren meines Plattenregals widmete (die Älteren werden sich an die Strebertweets erinnern). Nun steht der linke Lautsprecher auf jenem Plattenregal und der Herr Dreikommaviernull eben davor, und als der fünfzehnminütige Epic-Avantgarde-Fuzz-Doomer "Guardians of The Threshold" also bei Minute 3:45 in ein zunächst nerven-, später dann auch ohrenzerfetzendes, und außerdem sage und schreibe sechs Minuten langes, eintöniges (im Wortsinn! IM WORTSINN!!!) Bass-Intermezzo gleitet,  das nicht nur kein Ende finden will, sondern im Gegentum für eine gefühlte Ewigkeit im Sackquadrat jeden Funken Menschlichkeit aus Dir 'raussuppen lässt, und der Herr Dreikommaviernull, weil er ja der härteste und aber auf jeden Fall bekloppteste Stecher unter Benjamin Blümchens Sonne ist, natürlich auch niemals auf die Idee kommen würde, den absurd weit aufgerissenen Lautstärkeregler in wenistens erträgliche Schranken zu weisen und stattdessen lieber im Abstand von gerade mal 30cm vor dem schneeweißen Lautsprecher herumturnt, um seine verfickten Scheißplatten zu sortieren, und die Ohnmacht so derbe am Gleichgewichtsgefühl herumsägt, dass man sich vorkommt, als hätte man ein Tässchen Dormicum zum Frühstück durch einen drei Meter fuffzich langen Ringelstrohhalm aus getrocknetem Fliegenpilz gesaugt, dann war das eine total schöne, geradewegs kathartische Erfahrung. 

Immerhin hatte ich den Stadtteil dann für mich alleine. 


Erschienen auf SubPop, 1996.



24.08.2014

Du darfst jetzt nicht einschlafen, Baby!



MONEEN - THE RED TREE


Mit Schubladen ist es ja immer so eine Sache. Jeder will sie, jeder braucht sie, aber wenn sie zu voll sind, dann schmeißt man die von Mama gebügelten XXL-Schiesser-Scheißer eben einfach auf den Fußboden.

Oder man kauft sich neue, noch nach freiem Geist duftende, schöne Schubladen beim Schwedenmann und donnert sich danach noch gepressten Fleischsondermüll ins Brötchen.

Vor ein paar Jahren dachte ich noch, dass "The Red Tree" eine solch neue Schublade definieren könnte.

War natürlich Quatsch mit Soße.

Mit Sondermüllsoße.

---

Moneens Album "Are We Really Happy With Who We Are Right Now?" aus dem Jahre 2003 passte noch recht fluffig in den großen Schrank mit dem EMO-Schriftzug. Poppig, leicht punkig, leichtfüßig, aber auch austauschbar. Mit dem Nachfolger "The Red Tree" erschuf die Band ein in der Entstehung zwar sehr schwieriges, im Ergebnis jedoch außergewöhnlich frisches, anspruchsvolles und bis unters Dach mit feinen Ideen vollgepacktes Album. Als Sänger und Gitarrist Kenny Bridges das ganze Ausmaß der Songwriting- und Aufnahmeprozesse überblicken konnte, zappelte er schon am Haken: "When we got home, I was so motivated, all I cared about was this band and the songs, more than ever before." Für meinen Geschmack hat es sich gelohnt - und das, obwohl ich in diesem Genre sehr schwer zu überzeugen bin. Weil es einfach - pardon! - so viel unterirdischen Schund gibt.

"The Red Tree" ist ein im Grunde klassisches Emo-Rockalbum, bekam aber Elemente auf den Sound getackert, die alles andere als "klassisch" sind und eher in den Post-Core Bereich einer Band wie Sparta hineinreichen. Besonders das Einstiegstriple mit dem drückenden "Bleed And Blister (version3)" und den ineinander übergehenden Songs überrascht ob seiner Härte, seiner Dichte und der düsteren Grundstimmung. Und die Typen spielen wie die Teufel.

Die Kanadier zeigen sich wie gewohnt sehr melodisch, verstecken ihren Pop-Appeal aber mittlerweile unter Legionen von Gitarrenspuren und einem epischen, dunklen Gesamtkonzept ihrer Songs. Weniger anbiedernd als die Stars der Szene wie beispielsweise Boysetsfire, haben sich Moneen vom Genre und seinen Spielregeln emanzipiert und sind mit "The Red Tree" einen Schritt nach vorne gegangen. Damit verkauft man dann zwar nicht so viele Platten und man kann auch nicht so schön mitsingen; das Ergebnis dieser Entwicklung könnte in Anlehnung an die bereits erwähnten Sparta aber tatsächlich Post-Emo genannt werden: die melancholische, dunkle, komplexe und möglicherweise gar authentischere Version eines poppigen und durch eine besinnungslose Aneinanderreihung von Klischees mittlerweile zerstörten Genres.

Erschienen auf Vagrant Records, 2006.

09.01.2013

2012 ° Platz 16 ° Minus The Bear - Infinity Overhead



MINUS THE BEAR - INFINITY OVERHEAD

Beim Betrachten der reinen Platzierung könnte man durchaus der Meinung sein, das Quartett aus Seattle habe mit "Infinity Overhead" einen bösen Absturz hinnehmen müssen. Vor zwei Jahren landete der Vorgänger "Omni" noch auf Platz 4 meiner Jahrescharts, und das sogar vor dem Hintergrund einer schwierigen Ausgangssituation - von "Omni" wollte ich nämlich zunächst mal gar nichts wissen, ich war mit "Menos El Oso" und "Highly Refined Pirates" bestens bedient und ausgelastet. Vielleicht machte auch die böse Erwartungshaltung einen Strich durch die 2012er Rechnung, denn nach dem immer noch fantastischen "Omni" hatte ich wieder brodelnde Leidenschaft für die Band in der Unterhose und hoffte, dass mich "Infinity Overhead" mindestens ebenso wuschig machen konnte. Um das Trauerspiel mit viel zu langen Einleitungen abzukürzen: "Infinity Overhead" macht mich tatsächlich ziemlich wuschig, aber der Schlüpper hat sich mittlerweile eine Klimaanlage geleistet und reguliert meine eben noch glühende Euphorie auf das grundsolide Niveau der Checker-Abgeklärtheit herunter. Ach, und dann ist's auch wieder Quatsch: "Infinity Overhead" ist eine großartige Platte mit großartigen Songs und fast noch großartigeren Hooklines geworden. Die Band spielt nachwievor in ihrer ganz eigenen Liga, und ich habe angesichts von Übersongs wie "Diamond Lightning", "Cold Company", "Toska" oder "Heaven Is A Ghost Town" den Herbst weitgehend knieend vor den Lautsprechern verbracht. Was mich einzig noch irritiert: auch wenn Minus The Bear das auf "Omni" begonnene Ausmisten von überflüssigen Spielereien noch weiter getrieben haben, die Strukturen sind noch klarer, die Arrangements noch straffer, wurden weder Eingängigkeit noch Hit-Appeal hinzugewonnen. Das denkt zumindest der Kopf. Der Fuß wippt und das "Herz weitet sich zu einem saftigen Steak"(H.Schneider). Fuß und Herz gewinnen.

Erschienen auf Dangerbird Records, 2012.

30.06.2012

No Allies!


DOUBLE DAGGER ° 2002 - 2011

Das ist ein viel zu später Nachruf für eine Band, die bereits im vergangenen Jahr den letzten Vorhang nach unten sausen ließ: Double Dagger aus Baltimore haben nach neun Jahren Bandgeschichte, drei Alben und sechs Singleveröffentlichungen das Licht ausgeknipst, und wie ich eben nochmal überprüfte, überraschenderweise noch keine lobenende Erwähnung auf diesem Blog erhalten. Überraschend ist's grundsätzlich sowieso; das letzte, großartige "More"-Album erschien immerhin bei Thrill Jockey, der Indieinstitution aus Chicago. Und da passten sie bestens hin: der zu Beginn ihrer Karriere als "graphicdesigncore" bezeichnete Post-Punk/Core des Trios, das interessanterweise ohne Gitarristen auskommt und den teils infernalischen Noise lediglich mit Schlagzeug, Gesang und einem derbe verzerrten Bass auf die Beine stellt, setzt sich bestens zwischen die Stühle, die Tortoise, Trans Am und Pontiak freigelassen haben. Ihre Musik erscheint absolut fokussiert und crisp, obwohl sie es bei näherem Hinhören nicht ist. Kantig und verschachtelt, roh und spindeldürr arrangiert. Im Grunde hätten sie mit ihrem spröden Charme auch bestens zu Dischord gepasst.

Dazu wird es nun nicht mehr kommen, allerdings steht noch eine Veröffentlichung für 2012 auf dem Plan. Ob zusätzlich zur DVD-Dokumentation über die letzte Tour aus dem Herbst 2011 noch eine LP/CD Veröffentlichung kommt, lässt sich nicht genau sagen, aber sei's drum: auf ihrer Homepage haben sie das unten stehende Video hochgeladen, und besonders der Livemitschnitt spiegelt ein angemessenes Bild über die Kraft und die Aura dieser Band wider: "The best crowd-surfing we've seen since the "Even Flow" video."

Das war eine sehr coole Band.




"More", Thrill Jockey, 2009

05.03.2012

The Life And Times - Day One

Jedem einzelnen der exakt dreikommaviernull aufmerksamen Lesern meines Blogs wird über die letzten fast fünf Jahre aufgefallen sein, dass es die aus dem US-amerikanischen Kansas City stammende Formation The Life And Times um das ehemalige Shiner-Mitglied Allen Epley locker in die Liste (Listen, immer nur Listen...) meiner zehn liebsten Bands aller Zeiten geschafft hat. Ihr neues Album "No One Loves You Like I Do" ist mindestens genauso fantastisch wie die zwei Studioalben "Suburban Hymns" (2005) und "Tragic Boogie" (2009) und bietet erneut den originellsten und einzigartigsten Indierock dieser Tage. Zwischen Space Rock, Shoegaze und ursprünglichem Indierock, der mit dem lauwarmen und unerträglichen Befindlichkeitsgeseier derzeit angesagter Acts glücklicherweise nichts gemein hat, platziert das Trio die wunderbarste Melancholie eines gerade angebrochenen, diesigen Herbsttages.

Für Menschen mit Herzen so groß wie wie ein nebliges Waldstück im Spessart.

27.10.2011

It's Oh So Bright


Q AND NOT U - DIFFERENT DAMAGE

Ich bin ja grundlegend ein ziemlich begeisterungsfähiger Typ. Wenn mir beispielsweise Musik gefällt, dann gefällt sie mir meistens so gut, dass ich letztlich nur noch zu den mehr oder minder bekannten Fantasterbar-Formeln greifen kann. Ein inflationärer Gebrauch ist das Risiko, das es zu tragen gilt - da ich andererseits aber auch ein spießiger Vollmusiknazi bin, der (i) nur wenig eben so richtig gut findet und (ii) sich an kleinsten Nuancen stören kann (was oftmals sehr irritierend für Menschen in meinem Umfeld sein kann - verzeiht mir!), schätze ich die Gefahrenstufe nicht über Gebühr hinaus auf Stufe Rot ein.

Im Falle von Q And Not U, einer leider bereits aufgelösten Formation aus Washington DC, die drei Alben via Dischord veröffentlichte, sehe ich die Gefahr nicht, komplett am vielbeschworenen Rad zu drehen, aber my goodness: die waren gut. Dabei ist es eine seltsame Geschichte zwischen ihnen und mir. Ich hatte sie seit Jahren auf dem Schirm, selbst nach ihrer Auflösung hatte ich immer mindestens eine Platte auf irgendwelchen Mailorder-Wunschzetteln herumfliegen - aber ich habe bis vor einigen Monaten nie eine ihrer Platten gekauft. Ich startete dann endlich mit dem Abgesang "Power" aus dem Jahr 2004 und zog nun mit Album Nummer 2 nach. "Different Damage" litt anfangs unter meiner, durch Rezensionen von offenbar hörgeschädigten Pavianen, die zufällig auch mal über Musik schreiben durften, fehlgeleiteten Vorstellung über ihre Musik. Ich erwartete Ausbrüche, Geschrei, Kraft und Chaos - und bekam zunächst nichts von alledem. Gut, charmant war das schon, es war ein bisschen abgedreht, und dass die Jungs wussten, wie man die Arrangements schön verzwirbelt, konnte ich auch hören. Aber ich wollte doch etwas ganz anderes. Wollte ich nicht?

Nach vier Durchläufen war alles vergessen, und ich wollte gar kein Geschrei und Chaos mehr. Viel mehr sah ich mich wie in alten Tagen zu den Füßen meiner Lautsprecher sitzen, ich hielt das Textblatt in den Händen - ich muss zugeben, dass die meisten Platten, die ich mir heute so kaufe, gar keine Texte mehr haben, weshalb das beschriebene Vorgehen (leider) eine Seltenheit geworden ist - und verfolgte also jedes gesungene Wort mit den Augen und jede gespielte Note mit den Ohren und scheißrein: das ist Indie/Postcore im ALLERbesten Sinne, das ist so losgelöst, dabei kein bisschen abgehoben, in seiner Schieflage ungeheuer kraftvoll und inspirierend. Hier und da liegen noch ein paar Überbleibsel von Vater Punk und Mutter Hardcore herum, aber im Vordergrund stehen einfallsreich gestrickte Gitarrenspielereien, das alles nach vorne treibende Schlagzeug und ein toll arrangierter Gesang. Und:
es ist viel schwieriger und in der Folge lohnender, das Chaos derart transparent darzustellen, als es von einer Wand aus Lärm überdecken zu lassen. Hier gibt es viel zu Entdecken.

Es wäre total super gewesen, hätte ich mir schon früher einen Ruck gegeben und sie kennengelernt. Wieder mal ein "Fail!" aus dem Hause Florian. Sei's drum.

Erschienen auf Dischord, 2002