27.02.2011

2010 #1 - Bonobo °° Black Sands


"Und wenn dann noch Andreya Triana ihre dunkle, angerauhte, brennende Sehnsucht versprühende Stimme in die Songs hineinwirft, verbinden sich die Gegensätze zu einem großen Statement, zu einer großen Statue der Weite, des Raums und der Zeit."


Das ist der letzte Satz meiner letztjährigen Vorstellung des aktuellen Bonobo-Albums und wieder einmal stehe ich vor einem Problem, das auch schon die Flying Lotus-Abhandlung erfasste: wie kann das bereits richtig gesagte nochmal richtiger werden? Im Grunde reichte es völlig aus, den Link zur besagten Besprechung nochmal hier 'reinzukleben, alles noch stimmig und plausibel, ich hab's getestet. Natürlich erwartet aber mindestens Oma Meume von einer Nummer 1, also der besten Platte des Jahres 2010, einen angemessenen Rückblick.

Ich hatte das weite Feld des Downbeats bereits einige Zeit aus den Augen verloren, ich könnte auch elitär erklären, dass ich es schlicht hinter mir gelassen habe (bis auf die Buben der Thievery Corporation, weil die mich ja quasi entjungeferten
, m...musikalisch, MUSIKALISCH!), weil ich mich, wie schon so oft angemerkt, richtig: langweilte. Das mag in der Anfangszeit meiner Auseinandersetzung mit elektronischer Musik alles sehr spannend, weil neu für mich gewesen sein, aber spätestens nach der 20.Platte, deren Rubrum zum wiederholten Male "Eklektisch" mittels kleiner LED-Lämpchen aufleuchtete, verlor ich bei aller positiver Verbundenheit langsam aber sicher das Interesse. Zumal die Veröffentlichungsflut auch hier Einzug erhielt, auch wenn (oder: besonders weil) sich das Genre immer mehr in Richtung Underground zurückzog.

Nun steht ein Mal pro Monat der Streifzug durch die virtuellen Plattenläden dieser Welt auf meinem Programm, der aus strategischen Gründen prinzipiell kurz nach Gehaltseingang in Angriff genommen wird. Also - die Bestellung an sich. Die Auswahl der gewünschten Scheiben fordert in der Regel ein bis zwei Wochen harte Arbeitund mindestens 18 Nervenzusammenbrüche nebst einem Jammeranfall nach dem anderen in Richtung der Ehefrau, die offiziell seelische Unterstützung leisten, inoffiziell die Erweiterung des Budgets genehmigen soll, was für gewöhnlich mit einem lapidaren "Dann leg los!" geschieht.

Und so muss es wohl auch im Juni 2010 abgelaufen sein.

Um ehrlich zu sein: mir war Bonobo bis dato ziemlich, wenn nicht gar gänzlich unbekannt, was in der Rückschau ebenso ziemlich, wenn nicht gar gänzlich peinlich ist, aber hey: Veröffentlichungsflut + Underground = ich muss nicht alles kennen. In diesem Fall hätte Florian allerdings durchaus eine Ausnahme machen und sich ein bisschen mehr anstrengen können. 

Nichtsdestotrotz, am Anfang war das Cover. Und was für ein Cover das war. Fast schon erschlagend mächtig, in Weite und Schönheit mindestens auf einer Ebene mit einer gewissen Ausstrahlung von Bedrohung und Furcht - wobei sich wahrscheinlich sowieso beides bedingt. Hach, was waren das noch Zeiten, als man früher, also im letzten Jahrtausend (...), im Plattenladen stand und Platten noch nach den Coverartworks aussuchte, wenn schon nicht zum Kauf, dann wenigstens zum Mitnehmen an den Anhörtresen. Ich weiß noch, dass ich mich genau daran kurz erinnerte, bevor ich wusste, dass "Black Sands" gleich in den Warenkorb wandern würde. Und wo wir schon von Plattenläden sprechen: ich muss in diesem Zusammenhang gleichfalls zugeben, dass ich noch nie Freund des vorherigen Anhörens war. Die Situationen, in denen ich früher, also im letzten Jahrtausend (...²), im Laden stand und mir eine LP/CD vorspielen ließ, kann ich ungelogen an fünf Fingern abzählen. Mir war das immer irgendwie unangenehm, außerdem würde mir doch dann die Überraschung zu Hause verdorben werden, wenn ich bereits wüsste, was mich bei der ein oder anderen Platte erwartet? Außerdem ging es in 9 von 10 Fällen gut, ergo: never change a winning Hirnschaden. Kurzum, ich habe dieses Vorgehen in die virtuelle Welt hinübergerettet, mehr als angezappte, megakurze Schnipsel kommen mir in den seltensten Fällen in die Tüte. Und jene Schnipsel dienen letzten Endes auch nur zum Beantworten der Frage, ob das Genre an sich meinem Beuteschema entspricht - solange es kein Reggae ist, ist eh alles gut. Und nach einem winzigen Moment mit "Kiara" und "Eyesdown" war mir klar, dass sich "Black Sands" demnächst auf dem Redaktionsplattenteller drehen würde. So kam ich also zu "Black Sands". Und so kam ich darüber hinaus auch zu Bonobo: seine übrigen Veröffentlichungen sind ebenfalls ausgesprochen empfehlenswert.

Jetzt habe ich in diesem wieder viel zu langen Text fast kein einziges Wort über die Musik auf "Black Sands" verloren - aber ich kann's mir leisten, sorry: alles, was es zu dieser Sternstunde zu sagen gibt, wurde bereits gesagt, und es gibt keine Zelle meines Körpers, die auch nur ein Wort meines vorangegangenen Urteils zurücknehmen würde. Ganz im Gegenteil.

"Black Sands" erstrahlt auch in den trüben und kalten Tagen des Februars 2011 in Größe, Anmut und Schönheit und ist somit ohne jeden Zweifel die beste Platte des Jahres 2010. 

Ich verneige mich - und bin immer noch platt.


Erschienen auf Ninja Tune, 2010.

22.02.2011

2010 #2 - Gil Scott-Heron °° I'm New Here

Ich weiß nicht, welchen Erfahrungen meine geneigten Leser Jahr für Jahr gegenüberstehen, aber zumindest in den hangargroßen Redaktionshallen von 3,40qm gilt im Rückblick auf die vergangenen musikalischen Jahre: wenn's ganz prima lief, bleiben etwa drei bis fünf Alben eines Jahrgangs übrig, die fortan irgendwie zu einem gehören. Mit denen man eine spezielle Verbindung hat. Die man künftig in der Denkmurmel unter "Woah, was für eine Platte!" abgespeichert hat. Die man Freunden (wenn man welche hat) ehrfürchtig unter die Nase hält, mit einem Blitzen in Augen. So mache ich das jedenfalls (hätte ich Freunde). Und so mache ich das seit einem guten Jahr mit "I'm New Here", dem ersten Studioalbum der US-amerikanischen Legende Gil Scott-Heron seit seinem 1994er Werk "Spirits".

Der Mann ist schwer gezeichnet. Seine Kokainabhängigkeit brachte ihn mehrfach hinter schwedische Gardinen, alleine in den letzten zehn Jahren musste er gleich drei Mal für volle zwölf Monate die Freiheit mit einer Zelle eintauschen. Auf dem Cover zieht er in Großaufnahme an einer Marlboro, unrasiert, die müden Augen geschlossen. Es gibt Fotos von ihm, auf denen er locker, manchmal gar eher bestenfalls, wie ein 75-jähriger aussieht - Gil Scott-Heron ist 61. 

Dieser Gil Scott-Heron sang schon im Jahre 1970 in seinem Klassiker "The Revolution Will Not Be Televised":

You will not be able to stay home, brother.
You will not be able to plug in, turn on and cop out.
You will not be able to lose yourself on skag and skip,
Skip out for beer during commercials,
Because the revolution will not be televised.

(...)

There will be no highlights on the eleven o'clock
news and no pictures of hairy armed women
liberationists and Jackie Onassis blowing her nose.
The theme song will not be written by Jim Webb,
Francis Scott Key, nor sung by Glen Campbell, Tom
Jones, Johnny Cash, Englebert Humperdink, or the Rare Earth.
The revolution will not be televised.



Dieser Gil Scott-Heron agitierte Anfang der 80er Jahre gegen die Politik Ronald Reagans und besang 1974 den "Winter In America":

And now it's winter
It's winter in America
And all of the healers have been killed
Or been betrayed
Yeah, but the people know, people know
It's winter, Lord knows
It's winter in America
And ain't nobody fighting
Cause nobody knows what to save
Save your souls
From Winter in America


Und in einem Interview mit der Berliner Tageszeitung aus dem Jahr 2005 erklärte er dazu:

"Am Tag, als John F. Kennedy ermordet wurde, begann der Winter, und Amerika hat sich davon immer noch nicht erholt, es gab zu viele Verluste."

Er widerspricht (im selben Interview) Archie Shepp, wenn jener sagt, dass den Black People Leadership fehle:

"Nein, nein, nein! Wir hatten Leadership. Unsere Leader sind hingerichtet worden. Wir hatten das doch alles schon. Heute ist es Zeit, sich selbst an die Arbeit zu machen. Leader können einen nur bis zu einem bestimmten Punkt führen. Irgendwann ist man dann auch selbst gefordert zu handeln. Die Leader haben bereits alles thematisiert. Wir sollten nicht so tun, als hätten wir nichts. Wir haben viel erreicht, das ist aufzuarbeiten, zu würdigen, auszuwerten und den Kids zu vermitteln. Denen hilft Leadership nicht mehr."


Das hat zunächst nicht viel mit "I'm New Here" zu tun, aber vielleicht fällt es leichter, hinter die Kulissen dieses Albums zu blicken, wenn das ein oder andere gesagt oder geschrieben wurde. Das Titelstück, eine Coverversion von Smog, beinhaltet zum Beispiel die Textzeile:

"No matter how far wrong you've gone you can always turn around"

Und im Anschluss sinniert Heron in einem der kurzen Zwischenspiele, die zwischen die Songs gepackt wurden, über seine große Rechnung, die auf ihn zukommt, sollte man irgendwann mal dafür bezahlen müssen, wenn man in seinem Leben etwas falsch gemacht hat.
At the end of the day...


Auf der musikalischen Seite winken einige Überraschungen: Produzent Richard Russell hat dem Sänger hier und da einen schweren, dunkeln und tief-brummelnden Trip Hop-Bass mit regennassen Melodiefragmenten unter die Mütze geschummelt, einen swingenden und orchestralen Düsterblues in "Me And The Devil" und folk-jazziges im fantastischen "New York Is Killing Me", während das erwähnte Titelstück das Arrangement eines aufgeriebenen Nick Drake auf den Leib geschneidert bekam.

Ich trage "I'm New Here" nun schon seit langer Zeit sehr nah bei mir und ich hoffe inständig, dass sie mich nicht verlässt. Das wäre mal ein Verlust.


Erschienen auf XL Recordings, 2010.

P.S.: Wie schon bei dem Album von Silver Mt.Zion gilt auch hier: wer die Finger noch an die Vinylausgabe bekommen sollte, dem ist hiermit dringend geraten, umgehend zuzuschlagen, denn die Aufmachung ist nah an einer Sensation. Ein dicker Cover-Karton, zwei großformatige Bilder des Meisters, 180g Doppel-Vinyl und auf der beigelegten Bonus-LP gibt's noch zusätzlich bisher unveröffentlichte Studio-Sessions und Soloaufnahmen zu hören. Das ist gar so schön, dass ich mich manchmal gar nicht traue, die Platte überhaupt nur anzufassen. In echt.

17.02.2011

2010 #3 - Flying Lotus °° Cosmogramma

Als ich im Juni 2010 zum ersten Mal über "Cosmogramma", das dritte Album von Steve Ellington aka Flying Lotus, schrieb, stellte ich angesichts des hier herrschenden, positiven Irrsinns gleich einen Sack voller Fragen, aber eine einzelne, spezielle möchte ich nochmal aufgreifen: wird "Cosmogramma" denn überhaupt von einer politischen oder gesellschaftlichen Message getragen, die mit den großen Meilensteinen des Jazz zu vergleichen ist?

Heute, mehr als ein halbes Jahr und unzähliche Jahresbestenlisten später, muss man die Antwort in zwei Teile aufspalten. Wenigstens in meiner Wahrnehmung ist "Cosmogramma" mit den großen Jazzwerken der Vergangenheit spirituell verbunden - hier lebt eine ganze Legion von gesellschaftlicher Beobachtungen und Anklagen unter kilometerdicken Layern aus Klappern, Zischlern und Kratzern. Da ist der Drang nach Freiheit zu spüren, das naive Herumtollen, das Austoben im Unbekannten, so kreativ und voller Drang, an einen Ort zu gelangen, den noch niemand vor ihm betreten hat - der Mann hat einen Auftrag. Hat den Auftrag aber auch jeder mitbekommen? Und das führt uns zum zweiten Teil der Antwort: war es nicht auffällig, wie wenig Aufmerksamkeit diese Platte am Ende des Jahres erhielt, wo noch im Mai gefühlt das halbe Internet auf dem Kopf stand? Wo waren denn plötzlich all die Drive-In-Anbeter, die "Here today and gone tomorrow" auf ihren Baseballkappen spazieren tragen? Ich kann's Euch sagen: die waren im seichten Fahrwasser der Indietronic-Bewegung, die waren im knietiefen Morast der moralischen Befindlichkeitslyrik, tsehe: die waren WEG! Die waren dem schmerz- und inhaltslosen Delirium verfallen, die wollten nicht, dass es zwickt. 

Und "Cosmogramma" zwickt eben. 

Aus einer (mir völlig fremden) technischen Sicht betrachtet, begeistert es sehr wohl nachwievor die Nerds und Tüftler, die Ellington ob seines Sampling-Geschicks den Heiligenschein ausstellen, es begeistert aber auch jene, die nicht immer und überall die polierten und allgegenwärtigen Discounterproduktionen ohne jeden Tiefgang hören möchten. Eben jene, die sich auch in Jahren stetig sinkender grundsätzlichen Relevanz der Kunstform Musik, noch ein Album (noch so ein aussterbender Dinosaurier...) erarbeiten möchten - und bevor jetzt wieder der erste kräht, dass Musikhören doch nichts mit Arbeit zu tun hätte: genau das hat uns zu den heutigen Konsumaffen gebracht, denen eingeredet wird, dass Aussage, (Weiter)Entwicklung und Leidenschaft gefälligst nichts mehr in unseren Köpfen zu suchen haben. Kauf' das, Du Sau! Und dann sei still!

Lasst sie uns nicht das nehmen, was wir lieben. Lasst uns wieder versinken in diesen geradewegs apokalytischen Tiefen, lasst uns wieder spüren, wie viel Leidenschaft da jemand in einen Klang von epischer Breite gesteckt hat, lasst uns wieder entdecken, wie Kreativität und Intuition unser Leben bereichern können. Verfluchte Scheiße! *mit erhobenem zeigefinger rumfuchtel*

Wann immer ihr dieses Album spielt, spielt es so laut ihr nur könnt.

Erschienen auf Warp, 2010.

16.02.2011

2010 #4 - Minus The Bear °° Omni

Für die Indie-Elite steht bereits seit Jahren fest: "Highly Refined Pirates" ist und bleibt das beste Minus The Bear-Album aller Zeiten. Da klangen sie noch so schön rauh und so ein bisschen verwaschen, so frech-spritzig, naiv und vor allem hatte und hat man sein persönliches Alleinstellungsmerkmal, weil die Band aus Seattle (Oha!) damals eben allerhöchstens einer Handvoll Leute bekannt war. Das ist wichtig in Checkerkreisen.

Ich selbst lernte Minus The Bear dank des Schwabenpfeils mit exakt jener Scheibe kennen, und auch ich war durchaus beeindruckt. Das war so schön rauh und so ein bisschen verwaschen, so frech-spritzig, dazu enorm verspielt, vielschichtig und rhythmisch ziemlich vertrackt. Dazu kam das furchtbar angenehme Timbre von Sänger Jake Snider, der das alles total entspannt anging. Wo andere eine "Out Of Bed"-Frisur trugen, hatte Snider immer die "Out Of Bed"-Stimme am Start. Aber die Frage, welches ihrer Alben denn nun das tollste, schönste und beste sei - das beantworteten die fünf Buben drei Jahre später mit "Menos El Oso" mal schön selbst. Ich möchte nicht schon wieder in Lobhudelei verfallen, deswegen verlinke ich meine Einlassung aus dem letzten Jahr, "'s interessiert ja eh keine Sau."(G.Polt) 

Wie auch immer - der Nachfolger "Planets Of Ice" aus dem Jahr 2007 war, nachdem ich mich unter Schmerzen dazu durchgerungen hatte, es mir wenigstens mal anzuhören, alleine atmosphärisch eine komplett andere Baustelle, die Entwicklung im Bandsound hielt sich jedoch in Grenzen. Das ist sicherlich eine andere Platte, die klingt ganz bestimmt auch anders, aber das ist der Punkt: sie KLINGT anders. Dabei hatte die Band ihr musikalisches Rezept weitgehend beibehalten, die Gitarren tupften immer noch die flackerndsten Reflexe aufs Tableau, der unwiderstehliche Fluss ihrer Kompositionen mit einer traumhaften Bass- und Schlagzeugabteilung machte auch ihr drittes Studioalbum zu einer ganz hervorragenden Platte. Aber, wie in einer früheren Rezension schon angedeutet: ich langweile mich ziemlich schnell. Und wahrscheinlich hätte die Hölle zufrieren müssen (alternative Optionen: Schalke wird deutscher Meister, ein neues Interpol-Album hat wenigstens einen Hauch von Relevanz, Stefan Raab wird Mutter), bevor ich mir nach "Planets Of Ice" ernsthaft nochmal überlegt hätte, ein neues Minus The Bear-Album anzuhören. Ich kenne ihren Sound, den haben sie schon lange perfektioniert - der ist fraglos gut und originell, aber ich kenne "Menos El Oso". Alles gesagt. 


Findet ihr das eigentlich auch so scheiße, wenn ein Schmierfink eine elendlange *dramatisches Donnergerumpel* REZENSION ins Weltnetz rotzt und dabei erst am Schluss ein paar Worte über die neue Platte verliert, über die er eigentlich schreiben wollte? Also mir könnte das ja nicht pass....


History repeats itself. Meine Begeisterung über "Omni" hielt sich also in engen Grenzen, sieht man mal von dem einen Fünkchen Frühlings-Motivation ab, das mir hin und wieder allzu skurrile Gedanken und Vorschläge in die Denkvorrichtung hineinpresst. Eher lustlos klickte ich den "Play"-Button zur vorab vorgestellten ersten Single "My Time", sah die enttäuschten und abwertenden Kommentare der wenigstens deutschen Indie-Elite, die immer noch nach "Highly Refined Pirates" krähte, und ich wusste:"Das kann interessant werden." "My Time" ist ein derart unverschämter und quietschvergnügter Gute-Laune-Sommer-Pop-Hit, den man praktisch schon während des ersten Durchlaufs mitsingen kann, dass ich der Band (zum wiederholten Male) unverhofft nach diesen 4:05 Minuten in voller Hingabe hörig war. Das war genau der Befreiungsschlag, auf den ich vielleicht insgeheim immer noch hoffte. Minus The Bear halten auf "Omni" Kurs auf einen großen, opulenten Pop-Entwurf, der zwar immer noch mit einer erstaunlichen Tiefe gesegnet ist, aber viel klarer und purer, luftiger erscheint. In ihren eigenen Worten haben sie "all diese komischen Zwischentöne und Spielereien" aus ihrem Sound "rausgeschmissen" um mal nach zu schauen, was am Ende davon übrig bleibt. 

Die Antwort lautet: eine moderne und tiefergelegte Version der "Invisible Touch"-Ära von Genesis. Sorry, klingt hart, aber! Wenn der Springer'sche Musikexpress-Kompostklumpen (...) "wenn sie so weitermachen, sind sie beim nächsten Album bei Supertramp angekommen" schreiben darf, darf ich ja wohl auch Genesis erwähnen. DAS WIRD MAN JA IN DIESEM LANDglglglglgl...jedenfalls: das würde sowieso zu der immer noch präsenten Progressive Rock-Kante passen, auf die das Quintett offensichtlich immer noch Wert legt. Wie man's am Ende des Tages dreht und wendet:"Omni" ist auf dem besten Weg mit "Menos El Oso" gleich zu ziehen und ich hätte es ums Verrecken nicht mehr für möglich gehalten.

Moment, das habe ich doch schonmal irgendwo geschrieben....

Erschienen auf Dangerbird Records, 2010

12.02.2011

2010 #5 - Four Tet °° There Is Love In You

Ich lehne mich nun etwas aus der Hofeinfahrt, aber es gibt Momente auf dieser Platte, die sind größer als alles, was es im letzten Jahr zu hören gab. Solche Momente, in denen der Körper die Glückshormone nur so von sich schleudert, wie es sonst nur Til Schweiger [zensiert]*** ***** ********** ******** *******. *************** *********, **** *** ****** ***[/zensiert] dumme Sau [zensiert]********** ************.[/zensiert] Aber zurück zu "There Is Love In You", wenigstens im weiteren Sinne. 

Ich bin zugegebenermaßen erst sehr spät auf Four Tet aka Kieran Hebden aufmerksam geworden, genauer gesagt im Jahr 2005, als ich erstmals etwas tiefer in die Unterwasserwelten elektronischer Musik hinabtauchte. Sein damaliges Album "Everything Ecstatic" hatte es mir schwer angetan - das war sehr komplex und doch leicht federnd, sehr kreativ, mit vielen tollen Ideen, irren Wendungen und starker Betonung auf vertrackten Schlagzeugsätze. Und es hatte eine gehörige Relevanz und Tiefe, Eigenschaften, die ich in vielen Elektronikalben, die ich mir zur selben Zeit kaufte, nicht unbedingt und regelmäßig wiederfand. "Everything Ecstatic" war also der Startpunkt für meine Hebden-Verehrung, es folgten die Alben seiner Postrock-Formation Fridge, die Zusammenstellung der "DJ-Kicks"-Reihe, "Pause" und "Rounds" und nicht zuletzt seine Zusammenarbeit mit dem Jazzdrummer Steve Reid, die besonders auf dem großartigen Album "NYC" aus dem Jahr 2008 wieder zu der vor allem auf dem ersten Aufnahme "The Exchange Sessions, Vol.1" präsentierten Stärke zurückfand. 

2008 wurde "Ringer" veröffentlicht, eine 4-Track-EP, die großartige, von Krautrock beeinflusste, rhythmische und erstaunlich melodische Stücke enthielt. Im Nachhinein war "Ringer" der logische Vorläufer zu "There Is Love In You": der krude und verschachtelte Ansatz von "Everything Ecstatic" wurde zugunsten von klareren Arrangements und mehr Melodie fallen gelassen, die sich hier nun vollends entfalten können. "Love Cry" und "Sing" sind hell leuchtende, freundliche Tanzbodenhits, "Angel Echoes" beschwört als Opener die spirituelle und kosmische Liebe, "This Unfolds" entwickelt sich - Nomen est Omen - vom etwas grimmigen Beginn zu einer prachtvoll atmenden Blüte, "Circling" kreiselt sich zu Buddhas drittem Auge empor, während "Plastic People" und "She Just Likes To Fight" mit etwas mehr Ruhe und Übersicht eine gnadenlos gute, stimmige, spirituelle, moderne Zusammenstellung zeitgenössicher elektronischer Musik beschließen.

Als Bonus findet ihr unter dem folgenden Link eine zum Heulen fantastische Aufzeichnung des Sets aus dem New Yorker Le Poisson Rouge-Clubs vom 17.1.2010 - genießt es. Und danke für den Tipp, Doc!

FOUR TET LIVE AT LE POISSON ROUGE 2010

Erschienen auf Domino Records, 2010

06.02.2011

2010 #6 - On °° Something That Has Form And Something That Does Not

Kenner meines kleinen Irrgartens im Oberstübchen wissen, dass ich praktisch schon (und spätestens) im Mai eines jeden Jahres damit beginne, die Jahresbestenliste zu führen, umzustellen und neu zu bewerten. Das eine kommt neu hinzu, das andere rutscht 30 Plätze nach unten, eine weitere Scheibe verschwindet auf immer im Nebel. Erstes Qualitätsmerkmal bei der Auswahl potentieller Kandidaten: die Verweildauer vor der Anlage. Sehr zum Leidwesen der Herzallerliebsten stehen durchgängig 30 bis 40 Scheiben direkt am Plattenspieler, die also die Hall Of Fame darstellen. Was dort nach zwei Wochen Aufenthalt wieder rausrutscht, ist in den meisten Fälle eine cause perdue und hat es in den folgenden Wochen und Monaten schwer. 

Jetzt bloß nicht über die Banalität des eben gesagten wundern, ich benötige die lange Einlaufkurve, um zu erklären, warum diese kleine und im Grunde unscheinbare Scheibe die beste Ambient-Platte des Jahres 2010 geworden ist: "Something That Has Form And Something That Does Not" steht seit dem Einkauf im August in diesem besagten Stapel, und sie hat bis zum heutigen Tag noch nie das Plattenregal von innen gesehen. Ich war selbst etwas überrascht, als ich in der Rückschau feststellte, wie oft ich diese Musik hörte und wie ich sie ganz selbstverständlich immer wieder mit großer Begeisterung auflegte. 

Das nunmehr dritte Album von Steven Hess and Sylvain Chauveau unter dem On-Banner reiht sich hinsichtlich der Methodik hinter den ersten beiden beiden Alben ein. Hess und Chauveau nehmen in Chicago ihre Instrumental-Improvisationen auf und leiten das Ergebnis an einen befreundeten Musiker weiter, der sich dann an dem Material austoben darf. Diesmal wählten die beiden niemand Geringeren als Christian Fennesz aus, nachdem sich auf dem Vorgänger "Your Naked Ghost Comes Back At Night" Deathprod die Pulsadern aufschlitzen durfte. Ganz im Gegensatz zu ebenjenem Entwurf der reinen Macht der Dunkelheit, hat Fennesz aus den Rohstoffen für "Something That Has Form And Something That Does Not" eine Lichtsäule aus Feedbacks, Drones und Klangräumen geschaffen, die im Allgemeinen beeindruckend friedlich und subtil flackert, im Speziellen durch minimale und kaum wahrnehmbare Detailverschiebungen unter Dutzenden von Soundlayern nicht mehr aufhört in die Höhe zu klettern. Besonders der 13-minütige Titeltrack und der gar über 19 Minuten lange Schlusspunkt "The Sound Of White" strahlen ob der steten Wiederholungen einzelner Rhytmus- und Melodie-Fragmente eine selbstbewusste Form der Zurückhaltung aus, die sie in einer selten zuvor dagewesenen Reinheit und Schönheit in hellem Glanz leuchten lässt.

Wenn jedes effektgeiferndes Geballer in und an seiner Kraft versagt, wenn aus der allerorten zur Schau gestellten Dunkelheit nur noch ein platter Zynismus empordampft, wenn Triviales plötzlich an Relevanz gewinnt, dann ist "Something That Has Form And Something That Does Not" Gegengift, Muskelrelaxans und Lichtnahrung in einem, und ich sehe den Tag noch nicht, an dem diese Platte, und sei es nur vorübergehend, im Regal verschwindet.

Erschienen auf Type, 2010