18.10.2008

Holidays In Eden

Ich sperre den Laden für die nächsten zwei Wochen mal schön zu und verabschiede mich in den wohlverdienten Urlaub. 

Damit es euch nicht ganz so fad wird, guckt ihr euch bitte in den kommenden Tagen dieses wunderbare Video an und feiert den dazugehörigen Song ebenso enthusiastisch ab wie meine Wenigkeit.  Danke im Voraus und bis bald!




10.10.2008

Fresh Cut Flowers



Eine wilde, fast vierzigminütige Improvisation eröffnet "In Order To Survive", das mittlerweile schon legendäre Album des New Yorker Bassisten William Parker. "Testimony Of No Future" ist Parkers musikalisches Heilmittel für all jene, deren Hoffnung und Glaube an sich selbst vom Elternhaus, der Kirche, der Schule und den Massenmedien geraubt wurde. Eine Erfahrung, die auch ihm in den Knochen steckt: als 1964 ein Berufsberater zu Parkers Schulklasse spricht und den Jungen ihre Perspektivlosigkeit geradewegs ins Gesicht schlägt. Von ihm lernt Parker, dass er sich schon mal auf ein Leben als Hausmeister oder Bürobote einstellen darf. At twelve I was told that I had no future. Aber durch dieses Erlebnis lernt William Parker auch, dass es einen Weg gibt, die Hoffnungslosigkeit zu einem brennendem Feuer voller Mut wieder zu beleben: durch Kunst, Liebe und Leben.

Heute ist Parker einer der umtriebigsten Musiker der New Yorker Jazzszene. Er spielte zusammen mit Stars wie Cecil Taylor, Don Cherry, Charles Gaye, Rashied Ali, Sunny Murray oder Bill Dixon und gilt als einer der lautesten Jazzbassisten der Welt. Seine Fähigkeit als unerbittlicher Antreiber, eine Band immer wieder ein Stück mehr nach vorne zu pushen, führt im Verlauf einer Session immer zu einem ähnlichen Ergebnis: Parker ist der Fixpunkt seiner Ensembles, er ist der niemals ruhende Wirbelsturm, der - paradox genug - das Set stützt und dirigiert. Sein Zusammenspiel auf "In Order To Survive" mit Drummer Denis Charles und ganz besonders mit dem Pianisten Cooper-Moore ist ebenso liebevoll und detailreich wie ungestüm und leidenschaftlich. Wie dieses Trio immer wieder die Themen weiterentwickelt und auf ein nächstes Level springen lässt, wie sie miteinander kommunizieren und diese pulsierende Session zu einem Universalübersetzer für ihren Glauben und ihren Geist formen, ist schlicht sensationell. Hier ist soviel verborgen und doch glasklar sichtbar.

Parkers weitere Mitstreiter auf dieser Aufnahme ist der Saxofonist Rob Brown, ein ungestümer Bursche des Free Jazz, über den die New Yorker Szenezeitschrift Village Voice einmal schrieb "...he not only deciphers puzzles, he creates them.". Er ist gemeinsam mit dem Trompeter Lewis Barnes der vordergründig auffälligste Spieler der Brasssection. Aber es gibt da noch einen weiteren Mann, den man auf das erste Ohr möglicherweise gar nicht richtig wahrnimmt; einen, der bereits in diesem Blog Erwähnung fand: Grachan Moncur III. Er unterstreicht auf dieser Aufnahme sowohl seine Ausnahmestellung innerhalb der Jazzszene, als auch seine völlig kompromisslose Eigenständigkeit. Während der Improvisationen taucht er hier und da mit kurzen Einsätzen auf, folgt den Melodiebögen, wiederholt und variiert sie und steht plötzlich mit einem Solo im Raum, das einem die Kinnlade auf den Asphalt krachen lässt (für Interessierte: "Testimony Of No Future", ca. ab Minute 23). What a beautiful freak.

"In Order To Survive" entfaltet vor allem unter dem Kopfhörer seine volle Magie; wenn man diesem Sextett in aller Ruhe folgen kann. Dennoch passiert innerhalb der über siebzigminütigen Aufnahme vor allem auf sämtlichen verfügbaren Metaebenen soviel, dass man die Informationsflut kaum verarbeiten kann. Davon ab: von Ruhe kann im Zusammenhang mit dieser aufgewühlten und aufwühlenden Musik sowieso keine Rede sein; erstrecht nicht, wenn einen diese im Booklet abgedruckten Worte überfallen:


In Order to Survive



When was it said that roses tire
From being beautiful
And sink into the desert sun
In order to survive they call for
A revolution of resonance
A promise of a new day
conjuring building
A dance step is created
In order to survive I rub two raindrops
I rub two raindrops together
to make fire
As I sit near the laughing pond
listening to the testimony of a tear



"Was wir machen, ist heilige heilende Musik, und die Menschen, die sie brauchen, finden sie auch."(William Parker)

Lasst euch finden.



"In Order To Survive" von William Parker ist im Jahre 1995 auf Black Saint erschienen.

Für weitere Informationen zu William Parker und dessen Umfeld ist dieser Forumsbeitrag von Freund eigenheim sicher nicht uninteressant.

03.10.2008

Der Jungbrunnen



Es gibt Platten, deren Spielfreude und Drive schon nach den ersten Sekunden derart mitreißen, dass das Funkeln in den Augen über die gesamte Spieldauer nicht erlischt. Kenny Dorhams "Afro-Cuban" aus dem Jahr 1955 ist eine solche Platte. Schon nach den ersten Takten des Openers "Afrodisia" ist klar: hier bleibt niemand ruhig auf seinem Stuhl sitzen. Mir ist bisher kein weiteres Jazzalbum untergekommen, dessen Groove und Swing so erbarmungslos jeden Muskel des Körpers förmlich attackiert.

In erster Linie liegt das an dem Percussionisten Carlos "Patato" Valdes, der seine Congas mit einer glühenden Wucht und Intensität bearbeitet, die alle anderen Musiker dieser Session mit in Brand setzt: Hank Mobley am Tenorsaxofon, der mit seinem bluesig-souligen Spiel ebenso begeistert wie Cecila Payne am Bariton, J.J.Johnson an der Posaune oder Art Blakey am schlagzeug. Dorhams hochmelodisches, dezent im Conga-Beat mitfließendes Spiel setzt zusammen mit der ausgezeichneten Brass-Section nicht nur harmonische Farbtupfer, sondern nimmt ebenso eine musikalische Entwicklung vorweg, die sich erst in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren mit dem Salsa-Movement und dem Durchbruch lateinamerikanischer Musik in New York oder Miami manifestierte. Das muntere Spiel von Horace Silver am Piano und eine sich in schwindelnde Höhen groovende Rhythm-Section (mit Oscar Pettiford am Bass) machen diese Aufnahme zu einem der ersten Alben, die den positiven, lebhaften und unbeschwerten "Afro-Cuban"-Vibe mit Mainstream-Jazz aus dieser Epoche verbindet und auch 53 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch taufrisch und völlig zeitlos klingt.

Selbst die Titel "K.D.'s Motion", "La Villa" und "Venita's Dance", die mit abgespecktem und leicht verändertem Line-Up (ohne Valdes und Pettiford; ihn ersetzt Percy Heath am Bass) eingespielt wurden swingen nicht zuletzt durch die Arbeit Art Blakeys immer noch wunderbar und erfrischend, sodass "Afro-Cuban" ohne Längen bleibt, dafür aber durchgängig die Glückshormone sprießen lässt.


"Afro-Cuban" von Kenny Dorham ist im Jahre 1955 auf BlueNote Records erschienen.