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31.12.2017

The Year I Tried To Live - 2017 im Rückspiegel




Schwupps - schon ist's wieder vorbei. Das verstörendste Merkmal des Älterwerdens ist, nahezu jegliches Zeitgefühl zu verlieren, dass also das Hirn seine eigene eh schon diffuse Suppe aus Erlebnissen und Momenten in einen großen Topf wirft und die ganze Brühe mit einer Flugzeugturbine mal schön durchrührt, bis am Ende ein sämiger Kladderadatsch vor einem liegt, der bis in die kleinsten und verzweifelt freigehaltenen Fugen des Lebens eindringt und sie ausfüllt, bis auch wirklich jede noch so kleine Erhebung ge- und verschluckt ist. Das beste Gegenmittel gegen den Schwund an Aufmerksamkeit und das Getöse um einen herum, ist das aktive Erleben, um Momente zu kreieren, die bleiben. Und selbst das erscheint mir bisweilen eine große Anstrengung zu sein, weil das ständig in Rekordgeschwindigkeit wachsende und das eigene Sein umringende Gekröse am besten mit einer Kettensäge im Zaun gehalten werden muss: im Hier und Jetzt sein. Den Moment genießen, ihn feiern.

Die Herzallerliebste und ich haben zur Jahresmitte, vermutlich an dem Punkt, an dem wir unisono ein "Fuck, schon wieder Juni - eben war doch noch Silvester?!" ausplärrten, sehr aktiv beschlossen, diese Momente zu erschaffen. Als vorläufiges Ergebnis besuchten wir im abgelaufenen Jahr so viele Konzerte wie vermutlich seit Jahren nicht mehr - und es waren großartige Erlebnisse dabei: wir sahen zum allerersten Mal die Afghan Whigs live auf der Bühne, der kleine Metal-Florian feierte die Konzertreise seiner alten Helden von Psychotic Waltz knieend in der ersten Reihe, der kleine Punk-Florian warf nach 25 Jahren den alten Herren von Bad Religion ein kurzes "Hallo!" zu, Propagandhis einzige Show in Deutschland wurde sogar mal wieder im Mosh-Pit verbracht, bis meine Hawaii-Stofflatschen in der getrockneten und dann ziemlich klebrigen Biersiffe vor der Bühne einfach am Boden festklebten und ich also in Socken wie eine Flipperkugel vom tanzenden Volk willenlos durch die Gegend geschoben wurde, die kalifornische Soulsensation Monophonics spielte erneut vor einer traurig geringen Anzahl von Menschen einen berauschenden Gig (in einer besseren Welt verkaufen sie achtzehn Mal hintereinander ein Fußballstadion aus), die künstlerisch wie kommerziell wiederbelebten Prog-Opas von Marillion rissen im Vorbeigehen in einer ausverkauften Batschkapp das beste, strahlendste, intensivste Konzert der letzten 10 Jahre ab und rührten uns mit dem überraschend auf die Setlist genagelten "Neverland" gar zu Tränen, die bekifften Slomo-Doomer von Windhand bratzen und fuzzten mich zurück in die Neunziger, der olle Nick Cave legte eine ergreifende Welt-Performance aufs Parkett der altehrwürdigen Jahrhunderthalle, wir sahen zum ersten Mal die bunten Groovemonster der Thievery Corporation live und Fates Warning waren so großartig, dass selbst ich ein Kind von Ray Alder bekommen möchte. Meinethalben kann das im Jahr 2018 gerne so weitergehen.




Außerdem beschlossen wir, Grönemeyers Credo aus den 80er Jahren wiederzubeleben und mögen Musik also nur, wenn sie laut ist : in einer Disko. Da standen wir also mit unserem Plan, die Frankfurter Clubszene zum ersten Mal seit 18 Jahren zu erkunden und erlebten eigentlich bei jedem Besuch Denkwürdiges, abgesehen davon, dass wir uns mit 40, respektive 45 Jahren in einer Horde zwanzigjähriger Studenten nicht immer so richtig wohl fühlten: der "Hip Hop Classics" Abend im Zoom bot alles, aber keine Hip Hop Classics - es sei denn, Hip Hop hat sich in den letzten 20 Jahren zu einer Kirmesmusik mit Ruckelbeats und schlecht programmierten Autotunes entwickelt. Dazu krakeelte ein offensichtlich unter einer Überdosis Butterkeks stehende  DJ-Eumel legendäre Einzeiler wie "I WANNA SEE YOUR HANDS FRANKFURT!" in die Songs hinein, als wären wir gerade am Kettenkarusell vom Oktoberfest und spielte außerdem die Songs nicht mehr vollständig aus - zugegeben: in dem ein oder anderen Fall waren wir deswegen nicht undankbar, aber srsly: what the fuck? Die Kiddos erschreckte all das zwischen zu knappen Oberteilen, zu engen Feinripps, Hüten und Handy-Scheißdreckgetippe auf der Tanzfläche natürlich zu keiner Sekunde. Strange times, man. Strange times. Persönliches Lowlight war hingegen der Besuch in der Frankfurter Batschkapp zur 80er, 90er und 00er Party: auch hier gab es einen Kirmes-Einheizer, der nicht nur ebenfalls die gespielten Songs mit allerhand überflüssigem Aufputschdünnpfiff kaputtbrüllte, sondern dann auch noch mit Sätzen wie "FRAAANKFUUUURT, WIR HABEN KNICKLICHTER FÜR EUCH!" und "FRAAAAANKFUUUURT, WIR HABEN LUFTGITARREN FÜR EUCH, HABT IHR SPASS?" zumindest bei uns feierlich in den Fremdschämtempel der Doofheit einzog - während der Rest der überwiegend blutjungen Bande zwischen zwei getippten Snapchats und einem Schluck Marshmallowbier den Irrsinn mit einem gequiekten "Whooaaaah, coooool" goutierte und um 3 Uhr nachts unironisch Wolle Petrys Minderbemittelten-Gassenhauer "HölleHölleHölle" abfeierte. Spätestens hier war klar: es ist Zeit zu gehen.

Aber auch positive Erlebnisse sollen nicht verschwiegen werden: die Ü-30 Party im Orange Peel im Frankfurt Bahnhofsviertel hatte einen charmant ausgelassenen und unprofessionellen Charakter: war der Durchgang zum Clubraum bei unserer Ankunft gegen 0 Uhr wie leergefegt und in seiner Kargheit besorgniserregend verstörend - "Ohgott, hier ist kein Arsch!" - flogen uns nach Öffnen der schweren und soundschluckenden Stahltür tanzende Gliedmaßen aus dem überraschend kleinen Raum entgegen. Dass ich mich von der "Eyeyey, guuuuden Lauuuuneeee" (Sven Väth) anstecken ließ und zwei Stunden später in einem Anfall mentaler Komplettverstrahlung und unter dem Einfluss von lediglich zwei Cola-Light gar zu Bohlens musikalischer Vertonung eines offenen Penisbruchs "You're My Heart, You're My Soul" tanzte, spricht Bände. Ihr seht uns wieder, Orange Peel.

Darüber hinaus mag meinen verbliebenen Lesern (es dürften nicht zuletzt wegen der in diesem Jahr einsetzenden Schreibblockade mittlerweile deutlich weniger als die üblichen dreikommavier sein) aufgefallen sein, dass a) der letztjährige Jahrescountdown der besten Alben des Jahres 2016 sich bis in den fucking Mai (!) zog, b) in diesem Jahr in Sachen Anzahl der Blogposts der absolute Tiefpunkt aller Zeiten erreicht wurde und c) der offensichtlichste Bruch ab Mitte Mai zu erkennen war und damit in Zusammenhang stehend, ich d) auch nunmehr 7 Monate nach dem Freitod von Chris Cornell am 18.Mai 2017 noch immer nicht in der Lage war, darüber zu schreiben. Wer diesem Blog nicht erst seit gestern folgt weiß, welchen Stellenwert Cornell für mich und Alina hat und hatte - er war nicht nur eine Gallionsfigur unserer damaligen musikalischen Grunge-Heimat in unserer Jugend und Adoleszenz, er lieferte auch unseren Soundtrack in der konfusen, beängstigenden und unsicheren Zeit, als wir uns gerade aufmachten, die Entscheidung für ein gemeinsames Leben zu treffen. Ich mag mich heute kaum mehr an diese Zeit erinnern, weil sie immer noch so intensiv und schmerzhaft erscheint - selbst wenn das Ergebnis, eine sich in diesem Jahr zum 15. Mal jährende und restlos wunderbare Ehe, ja durchaus ein Grund zum täglichen, gar minütlichen Feiern wäre. Die zweite Jahreshälfte von 1999 war hingegen die Hölle auf Erden und Cornell sang uns die Songs seines ersten Soloalbums in unsere Wohnungen in Nürnberg und Frankfurt und verband alleine damit unsere Leben und unsere Seelen. Die Nachricht von seinem Tod traf uns beide wie ein Schlag, und ich kann, will und darf hier nur von mir sprechen, aber ich kann nicht behaupten, dass ich ihn verarbeitet habe. Für ein halbes Jahr konnte ich keine einzige Platte hören, an der er beteiligt war. Erst vor kurzer Zeit traute ich mich zaghaft an das letzte Soundgarden-Album "King Animal" heran, das ich übrigens aufgrund meiner Reunionallergie bei Erscheinen bewusst ignorierte und erst wenige Tage vor seinem Tod dann doch aus dem Second Hand Shop entführte. Die Erinnerung an das gemeinsam besuchte Konzert im April 2016 in Hamburg und an einen scheinbar komplett aufgeräumten, humorvollen, unendlich talentierten, in sich ruhenden Cornell, der Gedanke, dass er, den ich an diesem Abend zum ersten Mal überhaupt live sah und der plötzlich so mir nichts, Dir nichts wenige Meter von mir entfernt stand und der mir alleine mit seiner Anwesenheit mein ganzes Leben aus den neunziger Jahren, meiner Kindheit, meiner Jugend, im Zeitraffer in Richtung Memory Lane schickte, durch solche Qualen gegangen sein muss, dass er sich in einem fucking einsamen Hotelzimmer das Leben nahm, zerreißt mich bis heute. Ich war bislang völlig unfähig darüber zu schreiben und auch hier mag es mir nur schwerlich gelingen. Aber wenn es einen Grund dafür gibt, warum auf diesem Blog seit Mitte Mai noch weniger zu lesen war als zuvor, dann ist es folgerichtig dieses Ereignis. Ich plumpste einfach in ein Loch. Und wo ich für den Alltag, sprich: die Lohnarbeit noch funktionierte, ging bei den Hobbys das Licht aus.


Ich bin nicht glücklich darüber. Ich hatte tatsächlich einige ganz neckische Ideen für den Blog, und war leider nicht in der Lage, sie umzusetzen. Ich arbeite weiter daran - eigentlich fangen wir jetzt schon mit einer an, auch wenn sie nicht wirklich neu ist: der neue Jahrescountdown ist da. Nach Durchsicht aller in Frage kommender Alben für die Top 20 war klar, dass ich erstmals die Tradition durchbrechen und also auf eine Top 30 aufstocken muss. Es wird bald hier zu lesen sein, dass einige große Namen im Hause Dreikommaviernull es dieses Mal nicht in die 20er Bestenliste geschafft hätten - und nicht etwa deshalb, weil ihre Alben so mittelmäßig gewesen wären. Ich habe schließlich nie damit ein Problem damit gehabt, enttäuschenden Kram auszusortieren, selbst wenn ich dank meiner Metal-Vergangenheit schon mit einer übergroßen Portion Loyalität ausgestattet bin und alten Helden einen Ausrutscher gönnerhaft verzeihen mag. Nein, das Gedränge war im Jahr 2017 so groß, dass es mir wirklich unfair erschien, mich nur auf 20 Alben zu beschränken. So gibt es also demnächst ganze 30 Scheiben zu besprechen, und weil der ein oder andere möglicherwiese nun das große Stöhnen beginnen mag, dass ich, bliebe ich bei meiner aktuellen Veröffentlichungsfrequenz, damit ja erst im September 2019 fertig sein würde, darf ich feierlich notieren: es wird alles ganz anders. Stay tuned.



Ich möchte mich zum Abschluss des Jahres sehr ernsthaft, aufrichtig und äußerst ranschmeißerisch bei Euch fürs Lesen bedanken. Ich weiß es zu schätzen.




02.01.2017

2016 - Music Heals Eben Doch



Das vermutlich als "Superscheißjahr" (Herr Dreikommaviernull) in die Menschheitsgeschichte eingehende Jahr 2016 war tatsächlich in vielen Bereichen jener Bewertung durchaus gewachsen; die vielen verstorbenen Prominenten haben andere schon trillionenfach aufgezählt und mir damit die Arbeit und Euch die Langeweile abgenommen - wobei: Roger war echt hart -, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, der Ausstieg des Vereinten Königreichs aus der Europäischen Union, die vielen sackgesichtigen deutschen Kartoffeln, die sowohl physisch als auch psychisch Jagd auf Flüchtlinge machen, der europäische Rechtsruck, Mineralöl im Veggieschnitzel, die SPD ist immer noch nicht aufgelöst und Bill Hicks ist immer noch tot - ich könnte locker bis in den Frühling weitermachen.

Aus persönlicher Sicht ist sicherlich der plötzliche Tod unserer Katze "Kleini" im August als DER Tiefpunkt des Jahres zu erwähnen. Mit den Auswirkungen haben die Herzallerliebste und ich immer noch zu tun, und sei es nur, nahezu jeden Tag von unserem Kater daran erinnert zu werden, dass er sie ganz schrecklich vermisst und sein Leben nun ein anderes ist. Kleinis Tochter Tiffy, seit dem Jahr 2000 in der Obhut meiner Mutter, ging einen Tag vor Silvester und beschloss damit 2016 und wenigstens in dieser Hinsicht würdig i.S.v. "Fuck You!".



Kleini (links, 1999 - 2016) und Schnuffel


Abgesehen von all dem oben ausgebreiteten Quatsch, der einem den Kopf verklebt, war 2016 vor allem vollgestopft mit wunderbaren Momenten und tollen Erlebnissen. Und erstaunlicherweise mit der Erkenntnis, vielleicht endlich in der Arbeitswelt angekommen zu sein. Das kann im Normalfall nach 18 Jahren auch fast erwartet werden, aber ich fürchte, ich bin kein Normalfall: noch immer schaue ich mit dreiviertel Skepsis und vierviertel Überraschung auf das, was andere Karriere nennen und was mir diesbezüglich vor allem in den letzten 13 Jahren passiert ist. Seit meinem im Jahr 2015 vollzogenen Wechsel fühle ich mich im nun nicht mehr ganz so neuen Job indes so wohl wie vermutlich an noch keiner Stelle zuvor. Das ist wirklich ein ganz merkwürdiges Gefühl - ein gutes zwar, aber auch in Teilen ein überwältigendes.

Überwältigend waren auch die im Jahr 2016 besuchten Konzerte. Es waren nicht viele, zugegeben, und ich bin mittlerweile auch alles andere als ein Freund von Liveshows, aber Chris Cornell in Hamburg, Sacred Reich in Aschaffenburg, Monophonics in Wiesbaden, Gogo Penguin in Offenbach und New Model Army in Stuttgart sorgten allesamt für eine körperlich spürbare Überdosis Endorphine im Blutkreislauf. In diesen Momenten war wirklich und ausnahmsweise mal einfach alles gut und meine Lebenslust-Skala war nicht zuletzt wegen dieser Erlebnisse auch außerhalb des Konzertsaals immer öfter im sattgrünen Bereich. Music heals eben doch.

Wenn sie dann auch noch selbst erdacht und gespielt wird, gibt's manchmal sogar noch einen Nachschlag: unsere immer noch ziemlich kleine und nur sehr langsam wachsende Lieblingspunkband Blank When Zero hat eine neue Platte gemacht, dafür fast ein ganzes Jahr benötigt und ist nach sieben Jahren gemeinsamen Musikzierens doch tatsächlich im Keep It A Secret Labelhafen eingelaufen. Was es über "Taped!" zu sagen gab, könnt ihr hier nochmal nachlesen.

Kommen wir abschließend zu dem, was hier in den nächsten Monaten (sic!) zu lesen sein wird: die zwanzig besten Platten des Jahres 2016. Um sicher zu gehen, dass ich auch in diesem Jahr die bewährte Jammerei über zu viele tolle Musik unterbringe, habe ich extra nochmal in dem entsprechenden Intro zur Listenwahn-Sause des vergangenen Jahres reingeschaut:

2015 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.


Was man auch schaffen muss: es für's Jahr 2016 exakt genau so nochmal in den Blog wuchten:

2016 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.

Um es mit Mutti zu sagen: Wir schaffen das jetzt gemeinsam.

Ich danke allen fürs Lesen und die Aufmerksamkeit.

08.02.2016

Roger Willemsen, 1955 - 2016

Fernsehen in den frühen neunziger Jahren bestand für mich zu einem großen Teil aus dem unverschlüsselt gesendeten Programm des damaligen Bezahlsenders Premiere. Der Night Talk mit Bettina Rust, Showbiz und Acht mit Susan Atwell, Oliver Kalkofes Mattscheibe und natürlich Roger Willemsens Talkshow 0137. Willemsen gefiel mir vor allem aufgrund seiner und der für einen pubertierenden völlig absurd erscheinenden zwei Gesichter: er war schlau, smart, vielleicht ein bisschen kokett, baute seine Fragen und Geschichten aus formvollendet formulierten, druckreifen Monologen und war andererseits erfrischend respektlos und unprätentiös; ein Schlacks, der zweifellos aus gutem Hause kam, aber der es verstand auf dieser dünnen Linie entschlangzuschlendern, die Autorität von Anarchie trennt, und der außerdem Krawall für vornehm hielt, wenn er absolut wahrhaftig und sowieso unumgänglich erschien. Ein Helmut Markwort wüsste selbst nach den nächsten 1000 kalten Wintern ganz bestimmt noch sofort, was ich damit meine.

Roger Willemsen ist am gestrigen Sonntagabend in Hamburg an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben, und ich bin wirklich getroffen von dieser Nachricht. Er war mir besonders in den letzten Jahren ans Herz gewachsen, sein strahlender Intellekt, sein Ausdruck, sein Humor, seine Begeisterung, seine Wahrhaftigkeit und die Nachricht, die ebenjene aussandte: Folge Deiner Leidenschaft, folge dem, was Dir Freude bringt - aber auch ganz besonders beeindruckend seine zweifellos vorhandene Albernheit, das kindlich naive und der Mut, seine intime und emotionale Seite zu zeigen und sie mit einem Trommelfeuer an Formulierungen zu vertreten; Formulierungen zumal, die mir in ihrer Brillianz ein ums andere Mal ins selbstverschuldete Subtext-Exil zuriefen, die Schreiberei, und sei sie noch so trivial und privat und wirklich völlig egal, an den Nagel zu hängen, weil so gut und so frei ich wohl niemals schreiben könnte.... - Dabei spornten sie mich aber eigentlich an, jeden Text gleich besser zehn oder wenn nötig gar zwanzig Mal zu redigieren, Formulierungen zu überprüfen, mich selbst die ganze Zeit zu hinterfragen: "Für diesen Satzbau hätte er mich doch ausgelacht, Mann!"

Egal, welches Videointerview man auf Youtube auch auswählt, sein Auftritt und seine Worte werden immer inspirierend sein. Ich lege mir heute Abend noch sein mit dem gleichfalls mittlerweile verstorbenen Dieter Hildebrandt entwickeltes und aufgeführtes Bühnenprogramm "Ich gebe ihnen mein Ehrenwort - Die Weltgeschichte der Lüge" in den CD Player und erinnere mich an einen großen, wichtigen, schreiend komischen und schrecklich schlauen Menschen.

Tschüss Roger. Du fehlst.






P.S.: Man verzeiht mir bitte die Unterbrechung der musikalischen Dauerwerbesendung, aber das war mir wichtig. 

30.12.2015

2015 - Und Klaus Meine pfeift den Wind Of Change


Am Tag, als Lemmy Kramer, Quatsch: Kilmister starb, einen Rückblick auf das abgelaufene Jahr zu schreiben, ist eine undankbare Aufgabe. Zum einen könnte ich gerade dem Internet auf immer und ewig ein leises Adieu hinhauchen, um es danach mit all seiner breitbeinigen und schmalhirnigen Themenhopper-Wannabes in die Luft zu jagen, die zwischen "Eben gerade gekackt, Hurra!" bis "OH MANN, DER ROCKNROLL IST GESTORBEN! #RIP #LEMMY!" gerade mal zwei Blätter Klopapier legen können.

Zum anderen ist's dann schon auch die eigene Indifferenz, die mich so ein bisschen piesakt, in doppelter Hinsicht. Motörhead gehören seit Ewigkeiten zu meinem Leben, sie kamen zeitlich möglicherweise nur ganz knapp hinter Iron Maiden - und waren damit praktisch seit 1986 immer "da". Ich hörte vor allem in meinen jungen Jahren, und bis der Grunge meine Hormone neu einstellte, sehr regelmäßig ihre Platten, aber sie waren nie in der Liste meiner Lieblingsbands, eigentlich nicht mal in der Nähe. Es ist in diesem Zusammenhang merkwürdig, dass sich ausgerechnet ein ganz besonderer, wenn auch im Grunde völlig irrelevanter Moment bis heute in mein Gedächtnis gebrannt hat, und weil er, der Moment, so irrelevant ist, teile ich ihn gerne mit meinen Lesern, die natürlich wie diktiert und auf die Eins gespielt auch im mittlerweile fast vergangenen Jahr die besten Leser dieses so wunderbaren Internets sind und also waren: Herr Dreikommaviernull war lange Jahre, siebzehn, um genau zu sein, Roll- und Eiskunstläufer, und während ich nicht sicher bin, ob ich das hier i.S.v. "HIER" schon mal erwähnte, ist Zeit für die Feststellung, dass man es mir heute dank der trägen Masse rund um die Wohlstandsplauze nicht mehr so richtig ansieht, aber als ich mich im Jahr 1987 in der Berliner Eissporthalle in Wedding für meinen Kürvortrag (bei 39°C Fieber, Danke Mama!) mit einem Spaziergang durch die Halle mental vorbereitete, hatte ich tatsächlich das "Iron Fist"-Album von Motörhead im Walkman. Für die Generation der nach 1992 geborenen Leser: ein Walkman war ein Abspielger....ach, googelt die Scheiße doch selbst.

Und jetzt die andere Seite der doppelten Hinsicht: Ich empfinde Lemmys Tod nicht als außerordentlich bedrückend, was man mir bitt'schön nicht als Pietätlosigkeit misinterpretieren soll. Er hat's eben geschafft und ich gönne ihm wirklich seine verdiente Ruhe. Als sich Pete Doherty von den Libertines/Babyshambles die Innenseite seines Körpers mit Crack, Kokain, Alkohol und Heroin tapezierte und erschütternde Auftritte absolvierte, bei denen er kaum gerade stehen, geschweige denn -singen konnte, waren die "VOYEURISMUS!" und "DAS IST EIN HILFERUF!"-Schreie im Rahmen der Berichterstattung laut zu hören - wenn Lemmy, einst ein Baum von einem Mann, dank drei Litern Jackie-Cola pro Tag und einer seit 40 Jahren schön herangezüchteten Speed-Abhängigkeit mittlerweile als gebrechlicher Tattergreis auf die Bühne getragen werden muss, war's Kult und Kult und außerdem: Kult. "Geiler Typ, so will ich auch mal leben" (Ulf, 43, Hannover Rock Boys) beziehungsweise eben sterben. Ich selbst würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass die Aura dieser legendären Chaotentruppe manchmal eine sehr große Anziehungskraft hatte; Lemmys Autobiografie "White Line Fever" habe ich auch gleich mehrfach gelesen, aber ob das immer alles nur ein großer Spaß, oder am Ende des Tages nur Verklärung und Tragik war - wer will's beurteilen? Die Antwort ist simpel: Ich. Hier, jetzt und heute, mit einer rhetorischen Frage. Entzündet die Fackeln.

Ich habe jedenfalls heute Abend "No Sleep 'Til Hammersmith" aus dem Jahr 1981 auf den Plattenteller gelegt, um mich an Lemmy zu erinnern. Und es war gut. Und es ist gut, wie es ist.

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2015 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.
Außerdem auffällig waren die sich immer schneller ablösenden Phasen, in denen ich nur auf ein ganz besonderes Genre Lust hatte und daneben fast keine andere Musik akzeptierte. Ganz finster, zumindest stilistisch, war es im August/September mit der hier freimütig dokumentierten Sleaze und Hair Metal-Phase, worauf für drei Wochen lediglich ein sanftes Rauschen aus Klang folgte, bevor ich im November überraschenderweise die Doom Metaller von Solitude Aeturnus wiederentdeckte. Dazwischen je zwei Wochen Jazz und Indiegeplucker. Das sind Mischungen, "ich sag' es Ihnen." (Hildebrandt)

Das erste Halbjahr, ganz besonders der Frühling und der brüllend heiße Sommer, stand dagegen im Zeichen von Soul, Hip Hop und elektronischer Musik - es haben sich tatsächlich einige Alben herauskristallisiert, die auch über das Jahr 2015 hinweg und trotz des ubiquitären Zuschiss mit Musik, Medien und Meinungen für mich wichtig sein werden. Die besten 20 Platten aus dieser Gruppe werden hier in den kommenden Tagen vorgestellt. Aus Tradition. Fuck Tradition.

Privat stand vor allem die zweite Jahreshälfte im Zeichen von großen Veränderungen - es betraf zwar "nur" die bis dato ungeliebte Arbeitswelt, aber ganz ehrlich: der damit einhergehende Stress reicht mir für die nächsten fünf Jahre. Ich wechselte also den Arbeitgeber und entfernte mich freiwillig aus der hübsch eingerichteten Komfortzone aus Homeoffice, netten Kollegen und ziemlich sattelfesten Bewertungen in eine weitgehend unerschlossene und sehr herausfordernde Umgebung. Wer mich nicht erst seit diesem Text kennt weiß, was das mit mir und vor allem meinem Angstzentrum anstellt, aber es hat jetzt, nach knapp drei Monaten, den sehr deutlichen Anschein, als habe ich die richtige Entscheidung getroffen.

Nichtsdestotrotz hat all das zwei signifikante Auswirkungen: Januar bis Juni sind ein großes, tumbes, schwarzes Loch, das auch nach konzentriertem Nachdenken nicht bedeutend heller werden will, Juli bis Dezember ist ein wirrer und verwirrender Hagelschauer aus Angst und Aufbruch, Verzweiflung und Euphorie. Und auch wenn die Zeit so rast wie noch niemals zuvor, muss ich dringend ein paar Sachen im Auge behalten: die Rockstarkarriere mit Blank When Zero, die Kopfhörerabende vor dem Plattenspieler (beziehungsweise vor meinen beiden, tollen, ehefräulichen Weihnachtsgeschenken aus dem Hause Nubert) und den Durchzug im Kopf.

Um es mit Peter Lustig zu sagen: Abschalten. Von mir aus alles und immer öfter.

Wir lesen uns in 2016. Kommt gut rüber.

Flo

05.12.2015

Scott Weiland (1967 - 2015)





The laughter's all gone 

but the memories are mine


Die Stone Temple Pilots hatten besonders zu Beginn ihrer Karriere keinen leichten Stand. Peal Jam, Nirvana, Soundgarden und Alice In Chains hatten das große Mainstreamfeld des Grunge bestellt, auf dem sich goldene Schallplatten im saloppen Vorbeigehen pflücken ließen, und als das Quartett aus San Diego 1992 mit ihrem Debut "Core" praktisch umgehenden großen Erfolg hatte, war die Angriffsfläche der Journaille riesig: eine Imitation des Grunge, Epigonen, Trittbrettfahrer, substanzlose Kopisten. Die Fans ließen sich davon nicht abhalten, die Kapelle bis an die Spitze zu spülen - "Core" ist alleine in den USA über 8 Millionen Mal verkauft worden, der Nachfolger "Purple" schaffte es bis auf die Nummer 1 der US-amerikanischen Billboardcharts, die Singles "Plush" und "Creep" sind in jeder Lebensdiskografie der damaligen Generation einbetoniert. Insgesamt stehen über vierzig Millionen verkaufte Tonträger auf dem Deckel - und Erfolg begünstigt eben Neid. Vor allem in Deutschland waren viele Schreiber, gerade aus der traditionell bestens unsortierten metallischen Ecke, besonders schlau und attackierten die Band wo sie nur konnten. Was die Truppe natürlich gerechtermaßen einen feuchten Dreck interessierte, zumal in Amerika die größten Konzerthallen ausverkauft waren und die Kassen über mehrere Jahre hinweg sehr konstant und in süßesten Tönen klingelten. Ebenfalls gerechtermaßen.

Mich hat die Kritik gleichfalls nie interessiert - es war MEINE Zeit und die Stone Temple Piots begleiteten mich durch die erste Liebe, durch die daraus entstehenden großen Enttäuschungen, durch die Pubertät, in der das Chaos im Schädel regiert, durch die vermeintliche Rebellion. Durch durchgequatschte Nächte mit Freunden, die einem wichtig waren, die Discoabende in der Frankfurter Batschkapp, den ersten Rauchrausch. Die Besetzung des elterlichen Wohnzimmers, das Verschütten eines eigenhändig zusammen gemischten schwarzen Cocktails auf dem cremefarbenen Perserteppich von Mutti, der anschließende Lachkrampf von 12 Freunden. Die Stone Temple Pilots gehörten zu meinem Leben in den neunziger Jahren, in denen im Rückblick alles noch einfacher, unverbrauchter, naiver und unbeschwerter war. Wie eben praktisch alles im Rückblick immer einfacher, unverbrauchter, naiver und unbeschwerter erscheint - nur dass die gelebte und damit vergangene Realität immer eine andere war: gar nicht so hell und fröhlich, nur manchmal bis sogar überaus selten unbeschwert.

Dass es Musik über 20 Jahre nach dieser so bemerkenswerten und prägenden Zeit gelingt, mir das Gefühl einer Unbeschwertheit zurück in die 90qm Businesskasperhausen zurückzuballern, bekommt heute Abend einen bitteren Beigeschmack.

Scott Weiland, Sänger der Stone Temple Pilots und später der Frontmann von Velvet Revolver, ist am vergangenen Donnerstag gestorben. Und wie es schon bei den Heimgängen von Kurt und Layne war, geht damit auch ein Teil meiner Erinnerungen.

Die Helden sterben aus.




10.06.2015

Beam me Jimmy one more time



JIM SULLIVAN - JIM SULLIVAN


Ein schneller Nachschlag über das gleichfalls verschollene zweite Album des US-amerikanischen Singer/Songwriters Jim Sullivan. Für alle Interessierten und so. 

"U.F.O." ist, wie angedeutet, nicht das einzige Album Sullivans. Drei Jahre nach dem Debut erschien das selbstbetitelte zweite Werk auf Playboy Records, dem zu Hugh Hefners Playboy-Konzern gehörenden Plattenlabel. Light In The Attic ist hier noch nicht mit einer weiteren Wiederveröffentlichung tätig geworden, was einerseits daran liegen könnte, dass die Sony mittlerweile über ihre Tochter Legacy Records den Playboy-Backkatalog verwaltet, und die Vertragssituation im besten Fall unübersichtlich ist, andererseits ist der Run auf das Original aus den siebziger Jahren nicht mit der Hysterie vergleichbar, die das Debut bei den Plattensammlern auslöste (und weiterhin auslöst). 

Auf Youtube ist das Album indes in voller Länge zu finden und überrascht mit einer etwas rockigeren Ausrichtung. Größtenteils lassen sich auch hier atemberaubende Songperlen finden ("Don't Let It Throw You", "Lonesome Picker", "Amos" und "I'll Be There"), manch anderes ist auf das erste Hören etwas ungewohnt, beispielsweise die beiden Remakes seiner Debutsongs "Sandman" in einer swingenden Barmusikversion mit Bluegrasseinflüssen und "Plain To See", das durch die Beatverschiebung irritierend viel Punch und Attack abbekommen hat. 

Irgendwie hat man das Gefühl, Sullivan wusste mit seinem zweiten Album aus musikalischer Sicht nicht so recht wohin; fast hat es den Anschein, als sei das nicht "sein" Werk. 





Erschienen auf Playboy Records, 1972.

06.06.2015

Beam me up, Jimmy!



JIM SULLIVAN - U.F.O.


Bei professionellen Musikjournalisten sollte man grundlegend immer zwei, drei Gedanken Sicherheitsabstand einnehmen; bei einem, der für Bild Spiegel Online schreibt, Burzum in seinen Playlists führt und hinterher geradewegs erbärmlich über die Doppelmoral jener Kritiker wimmert, die den Faschozottel Vikernes nicht uneingeschränkt megasuper finden, können es auch vier oder viertausend Gedanken werden, um sich vor ähnlichen Krämpfen im Dachgeschoss zu schützen.

Ab und an scheint sich aber auch Jan Wigger ein Fässchen entkrampfenden Franzbranntweins hinters Gesichtsgekröse zu kippen, denn seine über vier Jahre alten Zeilen über Jim Sullivans Debut "U.F.O." sind nicht nur richtig, sie sind auch bis heute aktuell. Das meinerseits schon mehrfach lobend erwähnte Light In The Attic-Label hat dieses lange vergessene Album aus dem Jahr 1969 ausgegraben und im November 2010 wiederveröffentlicht und darüber hinaus an eine Geschichte erinnert, die zu gleichen Teilen tragisch und mysteriös ist. 

Der Sänger und Gitarrist Jim Sullivan verschwand im Jahr 1975 spurlos. Kurz zuvor entschied er sich zum Umzug von Los Angeles nach Nashville - nach zwei erfolglosen und völlig unbekannt gebliebenen Alben versprach er sich dort größere Erfolgsaussichten für seine Musik. Auf der Fahrt nach Nashville machte Sullivan Rast in Santa Rosa, New Mexiko. Zwei Tage später fand man seinen verlassenen VW Käfer in der Wüste, einige Meilen außerhalb der Stadt. Jim Sullivan wurde seitdem nie wieder gesehen.

Dieser Kurzfilm fasst seine Geschichte zusammen:






"U.F.O." ist ein universeller Klassiker. Seine Songs atmen zeitgleich luftiges Westküstenflair mit unbeschwertem savoir vivre und blasse Melancholie, die,  wenn doch nicht konkret greifbar, sich mit schwachem, aber immerhin permanentem Grundrauschen zeigt. Sie sind melodisch opulent und vielschichtig; vor allem nachzuhören in blütenweißen Arrangements wie in "Jerome" oder "Highways", die sich wie ein aufgerissener Himmel mit allen damit einhergehenden Lichtreflexionen präsentieren. 


"U.F.O." ist eine jener Platten, über deren Wichtigkeit und Schönheit man sich bereits nach wenigen Sekunden bewusst wird. Es ist etwas in dem Klang, vielleicht auch in der unzertrennlich erscheindenden Verbindung zwischen Stimme und Musik, über deren Ausmaß ich mir bis heute nicht im Klaren bin. Vielleicht sind es auch Erinnerungen, die wachgeküsst werden und die so viele gute Gedanken auslösen - und sei es nur an Papas Nach-Italien-In-Den-Urlaub-Fahr-Kassette, die in der vierzehnstündigen Fahrt an die Adriaküste mehr als nur ein Mal lief.



Erschienen auf Monnie, 1969.
Re-Issue erschienen auf Light In The Attic, 2010.

14.03.2013

Clive Burr - 8. März 1957 - 12. März 2013




Tschüss, Clive. Dein Schlagzeugeinsteig bei "The Prisoner" brachte mich zu Iron Maiden und zum Metal.

Und nach Deinem Ausstieg waren Maiden einfach eine andere Band.


17.05.2010

Ronnie James Dio 1942 - 2010

Die ersten Jahre meiner Musikverrücktheit verbrachte ich Mitte der 80er Jahre mit Roland Kaiser und hessischen Lokalmatadoren wie den Rodgau Monotones oder Flatsch, bevor um 1986 herum die britische Metalband Iron Maiden den Thron der Florian'schen Nummer Eins erklommen konnten. Mein Bruder Dirk fungierte dabei als Plattenlieferant, und ich erinnere mich daran, dass ich in den folgenden Jahren eine Platte mindestens ebenso oft hörte, wie die ollen Maiden-Klassiker. Und das war Dirks Schuld. Es war "Holy Diver", das Solodebut des ehemaligen Rainbow- und Black Sabbath-Sängers Ronnie James Dio. 


Alleine das Cover hatte eine ungeheure Anziehungskraft auf mich (hier ist womöglich die Parallele zu Maiden zu ziehen) - ein Pfarrer, der unter dem gartig-glühenden Blick des kettenschwingenden Teufels, festgekettet in reißenden Fluten droht unter zu gehen. Es schockierte Mutti und wahrscheinlich eben auch mich selbst. Teufelsmusik. Das legendäre Intro zum Titelsong versetzte mich in Faszinationsstarre, die Hymne "Stand Up And Shout" oder das gigantische "Don't Talk To Strangers" - all diese Songs wurden zu völlig selbstverständlichen Begleitern für die nächsten Jahre. "The Last In Line", das zweite Album, reihte sich genauso ein wie das Drittwerk "Sacred Heart": diese drei Scheiben - wie soll ich's beschreiben - ich kann heute möglicherweise auf völlig anderen musikalischen Planeten aufhalten, mich in Jazz, Elektro und HipHop suhlen, aber diese Songs sind wie Heimkommen, mehr noch als alte Freunde, denn sie haben mich nie im Stich gelassen. Ich verbinde besonders die Songs des Debuts heute noch mit Gerüchen, wie ich sie damals in der Wohnung meiner Eltern wahrgenommen habe, als eben "Holy Diver" lief. Und es passiert bis heute regelmäßig, dass ich beispielsweise "Sacred Heart" aus dem Regal ziehe und nur die überragende erste Seite höre. Und ich schmunzle jedes Mal, wenn Dio seine beiden Lieblingswörter singt: Rainbow und Dragon. Und wer Dio-Platten kennt, der weiß: ich komme aus dem Schmunzeln im Grunde gar nicht mehr heraus.


Heute Morgen ist Ronnie James Dio gestorben. Ich wusste, dass er krank war, und als ich vor sieben, vielleicht acht Monaten die ersten Meldungen über seinen Kampf mit der Krankheit hörte - ich war...ist "besorgt" hier das richtige Wort? Es erscheint so distanziert, dabei schenkte ich dem schon mehr Aufmerksamkeit als anderen "besorgniserregenden" Nachrichten. Ich war vielleicht auch ängstlich - ich wünschte dem kleinen Mann einfach nur, dass er es packt, dass er dem Sensemann noch wenigstens ein paar Jahre entkommt. Nicht, weil ich unbedingt eine neue Platte brauchte oder eine neue Tournee - ich hatte Dios Schaffen in den letzten 10, wenn nicht gar 15 Jahren fast vollständig aus den Augen verloren. Aber ich wollte einfach, dass er noch bleibt - mein Gott, ich habe mit dem Typen mal mindestens meine Kindheit verbracht, verdammt.

Jetzt bin ich nicht mehr besorgt oder ängstlich, ich bin nur sehr traurig. Dio war ein herzensguter Mensch, ein Gentleman, ein bodenständiger, warmherziger Kerl. Keine Skandale, niemals. Gesegnet mit einer Stimme, die das Zeit-Raum-Kontinuum zusammenbrechen lassen konnte, eine der großartigsten Stimmen in der Geschichte der Rockmusik.

Das nimmt mich echt gerade ziemlich mit.