ALICE COOPER - BRUTAL PLANET
Ich bin zugegebenermaßen nicht über Gebühr mit dem Oevre von Alice Cooper vertraut. Die ollen Kamellen haben mich selbst in der Zeit nicht gejuckt, in der ich noch dachte, jede Plattensammlung müsse aus Prinzip mindestens ein Album der Beatles, Deep Purples oder Led Zeppelins ausweisen, und nach seinen beiden erfolgreichen und unvermeidlichen Werken "Trash" und "Hey Stoopid" habe ich den von Mama und Papa Vincent Damon Furnier genannten Sänger auch flugs wieder aus den Augen verloren - mit einer Ausnahme: sein im Jahr 2000 erschienenes Album "Brutal Planet" machte mir zur Jahrtausendwende und für den Zeitraum von ein paar Wochen verflucht viel Spaß. Auch 14 Jahre später sind es immerhin noch eine Handvoll Songs, die mich nonchalant zum Mitwippen provozieren.
Sechs Jahre nach dem 1994er Album "The Last Temptation" versuchte Alice offensichtlich den Industrial/Alternative Markt zu knacken. Als Produzent holte er sich Bob Marlette ins Boot, der sich zuvor schon einen Namen mit Rob Halfords "Industrial-Light"-Projekt 2wo gemacht hatte und zur damaligen Zeit einen ähnlichen Ruf hatte wie Bruce Dickinson Kumpel Roy Z: aus eher traditionellen und teils abgehalfterten Rock- und Metalmusikern modern und taufrisch klingende Hipster-Opas zu formen. Als Gitarrist fungierte außerdem der spätere Marilyn Manson Axtschwinger John 5 aka John Lowery für Alice' Jungbrunnen-Experiment. Trotzdem war "Brutal Planet" im Grunde viel zu spät dran für den Industrial Boom, und wäre Cooper ähnlich im Gedächtnis-Pleistozän des Heavy Metal vergraben gewesen wie beispielsweise Rob Halford, dann hätten ihn die von Metal-Betonköpfen geworfenen Kübel voller Scheiße ähnlich hart getroffen wie die Judas Priest-Ikone. Cooper war indes nie der Vorzeigemetaller. Cooper war Rocker und Entertainer, meinetwegen auch für weite Teile der Metalszene eine Legende, darüberhinaus - stilistisch - aber im Grunde irrelevant. Somit war die einzige milde Strafe, die das Publikum gegen "Brutal Planet" aussprach weitgehende Ignoranz. Und das hat die Platte, by any means, nicht verdient.
Wenn man das stilistisch offensichtliche und auch ein bisschen peinliche Kalkül außer acht lässt und einzig die Songs und die eigenen Ohren entscheiden lässt, dann kann "Brutal Planet" ordentlich frischen Wind ins Cooper'sche, von Desmond Child und Mainstream-Balladen ausgefranste Repertoire blasen, denn er klang niemals härter und kraftvoller und ernsthafter als auf dieser Platte. Das tief in den Knien hockende, groovende Riffing, die zum Teil programmierten, mechanischen Beats und die kalte, strenge Atmosphäre kann man zwar auch auf Marilyn Manson-Platten hören, Cooper ist aber einer vom alten Schlag, einer, der Melodien schätzt. So zeigt sein 21.Studioalbum einen fast perfekten Spagat zwischen moderner Frische und den klassischen Wurzeln seiner Karriere: hinter jedem Aggroriff steckt eine satte Hookline, hinter jedem eisfrischen Ambossschlag ein großer Melodiebogen, der die Wolkendecke aufreißt. Und Pathos. Pathos finden wir auch eine ganze Menge. Nicht immer von Vorteil, wie ich hinzufügen möchte.
Man kann das für einen damals 62-jährigen Altrocker vermutlich durchaus deplatziert und kläglich finden, keinen Zweifel gibt es indes an der Kohärenz und an dem roten Faden des Konzepts: "Brutal Planet" ist sorgsam austariert und hat mit dem auch aktuell immer wieder in seinen Livesets auftauchenden Titeltrack, "Sanctuary", "Blow Me A Kiss", "Eat Some More" und dem fantastischen "Cold Machines", ein ultimativ provoziertes Manson-Rip-Off, nur mit Struktur, Melodie und Substanz, mindestens fünf Songs, die aus meiner persönlichen Sicht sein übriges mir bekanntes Repertoire klar in den Schatten stellen. Wenn man nicht gerade zu "Poison" oder "Burning Our Beds" am Rumfummeln ist, versteht sich. Minuspunkte gibt es nur für die Texte, denn: oh boy! Klischee reiht sich an Klischee und trotz durchaus ernster und valider gesellschaftlicher Themen wie Hunger, Krieg, Depression und Konsum, bleibt Alice nur an der Oberfläche und gammelt am Allgemeinplatz herum. Das ist nicht so schlimm, dass es einem die Platte verhagelt, und die Zielgruppe war vermutlich sowieso schon damit entweder heillos überfordert oder zu Tode gelangweilt, aber das hätte schon alles einen Funken schlauer gemacht werden dürfen. Andererseits: der Mann ist strengreligiöser Republikaner. What to expect?
Erschienen auf Spitfire, 2000.
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