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22.08.2015

Sonnenmilch




JAMIE XX - IN COLOUR


Talking about Sommerplatte 2015: nicht wenige haben das quasi-Debut des britischen Produzenten Jamie XX in dieser Hinsicht auf dem Zettel. Nun muss man immer ein bisschen aufpassen, mit welchen Wölfen man heult - die im vorangegangenen Text zu Goerge Fitzgeralds "Fading Love" LP erwähnte Platte von Richard Davis ("Details") wurde wie gesagt mal prominent in der Intro aufs goldene Schild gehievt - wozu "Details" nichts kann, aber ob ich das dann wirklich hören möchte, steht auf einem ganz anderen Blatt. 

Mit Jamie XX verhält es sich ähnlich: der durch seine Zusammenarbeit mit Gil Scott-Heron positiv auffällig gewordene Jungstar zieht eine lange Reihe jugendlicher, pubertierender und entsprechend alkoholisierter Fans hinter sich her, die ihm nicht erst seit gestern hoffnungslos ergeben sind, auf Twitter emotionale Kalendersprüche aus dem Emo-Waisenhaus Sierksdorf-West aufsagen und "Kritik" für eine neue Biermixgetränk-Marke halten. Trotz aller Vorbehalte bietet "In Colour" allerdings tatsächlich überraschend tiefgehende und ganz besonders dem Artwork entsprechende farbenfrohe Sommermusik zwischen House, Pop und Soulmusik, die manchmal so grell positiv ist, dass man beim Hören fast die Augen zusammenpetzen muss, damit es gerade noch so aushaltbar ist. 

Ich bin mittlerweile Lichtjahre vom Lebensgefühl jener Generation entfernt, die die Zielgruppe dieses Albums sein dürfte, aber "In Colour" vermittelt mir einen Geschmack dessen, welches Leben im Jahr 2015 zu führen ist, wenn einem die Welt gerade noch frisch zu Füßen liegt: Man twittert gefühlsduseligen Schwachsinn und schaut sich Beauty-Tutorials von und mit durch und durch widerwärtigen Menschen auf Youtube an. 

Hach! Watt schön! Und wer ohne Midlife Crisis ist, der werfe die erste Faith No More Maxi-CD (1993).





Erschienen auf Yung Turks / XL Recordings, 2015.


P.S.: Auch wenn sich das Coverartwork in der Größe einer Schallplatte echt gut macht und das Album außerdem im CD-Format beiliegt, muss man strenggenommen von einem Kauf des Vinyls abraten: die LP ist "so fucking leise" (Blank When Zero) und mies gemastert, dass ich den Lautstärkeregler tatsächlich bis zum Anschlag (!) aufreißen muss - und trotzdem fehlt dem Sound dann immer noch jede Dynamik und jeder Elan. Ich habe Bootlegs, die besser klingen.

08.04.2015

The Painless




THE GOD MACHINE - 
ONE LAST LAUGH IN A PLACE OF DYING


And you said life could be painless And I'm sorry but that's not what I've found

Viel zu selten landen die zwei Alben dieses Trios in meinen Playlists. Es gibt dafür fast keinen einzigen guten Grund, aber wenn ich es mir recht überlege, und gerade dann, wenn wie gerade jetzt und ganz besonders ihr Schwanengesang "One Last Laugh In A Place Of Dying" mit ohrenbetäubender und also anerkennender Lautstärke halb Sossenheim in sich zusammenklumpen lässt, dann habe ich wenigstens eine Ahnung: es ist zu schmerzhaft.

Ist schon recht, es ist alles nur Musik und es gibt ja Menschen, die offenbar ganz prima ohne leben können; scheiße ich schon wieder mit zu großen Worten das ganze Internet zu? Ist das schon wieder alles viel zu emotional? Die Antworten sind einfach: ja und ja. Und das ist völlig legitim. Das 1990 gegründete Trio aus San Diego, das im Verlauf seiner kurzen Karriere mehrheitlich aus England und dem europäischen Festland heraus operierte, zwei Alben und vier EPs aufnahm, spielte eine sehr emotionale, irrsinnig intensive und eigenständige Mixtur aus düsterem Indie- und Alternativerock mit deutlich erkennbaren Ausflügen in Gefilde des lauten, schrammelnden und zart kratzbürstigen Noiserock - und es ist besonders dieses zweite Album, das qualitativ nicht nur eine Sternstunde der Neunziger ist, sondern vor dem Hintergrund der Vorkommnisse während und nach den Aufnahmen beinahe schon unangenehme, voyeuristische Tendenzen provoziert. Es ist sicher keine Übertreibung, dass man sich auf einen ziemlich traurigen, und beklemmenden Trip einstellen darf. Mir fällt das mit zunehmendem Alter immer schwerer. Denn es ist anstrengend.

"My relationship with death remains the same, I'm strongly against it." (Woody Allen)

Bassist Jimmy Fernandez starb kurz nach dem Ende der Aufnahmen und während der Mixing Sessions zu "One Last Laugh In A Place Of Dying" im Mai 1994 an einem Hirntumor. Die verbliebenen Musiker, Robin Proper-Sheppard (Gitarre, Gesang) und Ronald Austin (Schlagzeug) lösten unter diesem Schock The God Machine nach Beendigung der Arbeiten zu diesem Album mit Verweis auf die außergewöhnlich starke und enge Verbindung zwischen den Bandmitgliedern auf. Während Proper-Sheppard Sophia gründete und 1996 mit dem sehr reduzierten und intimen "Fixed Waters" debütierte, zog sich Austin komplett aus dem Musikgeschäft zurück. 


In den besonders dramatischen Momenten dieser im Angesicht des Todes geschriebenen Songs möchte ich mich am liebsten im dunklen Keller verstecken und hemmungslos losheulen. "In Bad Dreams", "Painless", "The Hunter" und vor allem "The Life Song" lassen mich meist in Embryostellung zusammengekrümmt im Staub liegen. Im Vergleich zum deutlich rockigeren, wenngleich ebenfalls zappendusteren Debut "Scenes From The Second Storey", auf dem man tatsächlich einige zarte Parallelen zu den fast zeitgleich auf der Bildfläche erscheinenden Tool heraushören konnte ("Temptation"), hat sich die Band stilistisch insofern etwas freigeschwommen, als dass sie wenigstens in meinem Buch nicht mehr als klassische Band der neunziger Jahre durchgeht, auch wenn die Herzallerliebste die erkennbare Klangästhetik der 90er in den Mittelpunkt ihrer (wie immer korrekten) Analyse stellt. Trotzdem wirkt "One Last Laugh In A Place Of Dying" entzerrter und weitläufiger als das erste Album; es zeigt außerdem eine Band, die sich - ohne eine negative Interpretation zu forcieren - bewusst isoliert und sich in den eigenen Kosmos zurückgezogen hat. Und die daraus eine angreifbare Zerbrechlichkeit einerseits und eine fragile Stärke andererseits entwickelte. Man kann das hören. 

Es ist allerdings nicht immer ausschließlich schön und angenehm. 



Erschienen auf Friction, 1994.



PS: Für den Fall, die geneigte Leserin/der geneigte Leser erinnert sich nun wieder an die Band, und vor allem daran, dass ihre Alben spätestens ab 1995 out of print und damit entweder gar nicht mehr, oder nur für einen halben (CD) bis einen ganzen (LP) Monatslohn erhältlich waren, sei es nun laut hinaus gerufen: beide Studioalben wurden im Jahr 2010 auf CD wiederveröffentlicht, was außerdem den netten Nebeneffekt hatte, dass mittlerweile selbst die Originalversionen für einen überschaubaren Obulus den Besitzer wechseln können. Für die LP-Versionen muss nachwievor sehr tief in die Taschen gegriffen werden, aber vielleicht hat Robert Proper-Sheppard auch hier nochmal ein Einsehen. Wobei: seine Webpage für Sophia (inklusive Facebook) macht nicht mehr den frischesten Eindruck. Hat da einer den Laden dichtgemacht?

PPS: Würde Euch gerne was zum Lauschen via Youtube kredenzen, aber...wann fickt sich eigentlich diese verschissenedreckfickscheißkackverhurtkackte GEMA endlich weg?



24.08.2014

Du darfst jetzt nicht einschlafen, Baby!



MONEEN - THE RED TREE


Mit Schubladen ist es ja immer so eine Sache. Jeder will sie, jeder braucht sie, aber wenn sie zu voll sind, dann schmeißt man die von Mama gebügelten XXL-Schiesser-Scheißer eben einfach auf den Fußboden.

Oder man kauft sich neue, noch nach freiem Geist duftende, schöne Schubladen beim Schwedenmann und donnert sich danach noch gepressten Fleischsondermüll ins Brötchen.

Vor ein paar Jahren dachte ich noch, dass "The Red Tree" eine solch neue Schublade definieren könnte.

War natürlich Quatsch mit Soße.

Mit Sondermüllsoße.

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Moneens Album "Are We Really Happy With Who We Are Right Now?" aus dem Jahre 2003 passte noch recht fluffig in den großen Schrank mit dem EMO-Schriftzug. Poppig, leicht punkig, leichtfüßig, aber auch austauschbar. Mit dem Nachfolger "The Red Tree" erschuf die Band ein in der Entstehung zwar sehr schwieriges, im Ergebnis jedoch außergewöhnlich frisches, anspruchsvolles und bis unters Dach mit feinen Ideen vollgepacktes Album. Als Sänger und Gitarrist Kenny Bridges das ganze Ausmaß der Songwriting- und Aufnahmeprozesse überblicken konnte, zappelte er schon am Haken: "When we got home, I was so motivated, all I cared about was this band and the songs, more than ever before." Für meinen Geschmack hat es sich gelohnt - und das, obwohl ich in diesem Genre sehr schwer zu überzeugen bin. Weil es einfach - pardon! - so viel unterirdischen Schund gibt.

"The Red Tree" ist ein im Grunde klassisches Emo-Rockalbum, bekam aber Elemente auf den Sound getackert, die alles andere als "klassisch" sind und eher in den Post-Core Bereich einer Band wie Sparta hineinreichen. Besonders das Einstiegstriple mit dem drückenden "Bleed And Blister (version3)" und den ineinander übergehenden Songs überrascht ob seiner Härte, seiner Dichte und der düsteren Grundstimmung. Und die Typen spielen wie die Teufel.

Die Kanadier zeigen sich wie gewohnt sehr melodisch, verstecken ihren Pop-Appeal aber mittlerweile unter Legionen von Gitarrenspuren und einem epischen, dunklen Gesamtkonzept ihrer Songs. Weniger anbiedernd als die Stars der Szene wie beispielsweise Boysetsfire, haben sich Moneen vom Genre und seinen Spielregeln emanzipiert und sind mit "The Red Tree" einen Schritt nach vorne gegangen. Damit verkauft man dann zwar nicht so viele Platten und man kann auch nicht so schön mitsingen; das Ergebnis dieser Entwicklung könnte in Anlehnung an die bereits erwähnten Sparta aber tatsächlich Post-Emo genannt werden: die melancholische, dunkle, komplexe und möglicherweise gar authentischere Version eines poppigen und durch eine besinnungslose Aneinanderreihung von Klischees mittlerweile zerstörten Genres.

Erschienen auf Vagrant Records, 2006.