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19.02.2023

Best Of 2022 ° Platz 20: Blood Incantation - Timewave Zero




BLOOD INCANTATION - TIMEWAVE ZERO

Mein Text zu "Hidden History Of The Human Race", dem Durchbruchsalbum von Blood Incantation aus dem Jahr 2019, endete mit der Einschätzung, gerade einem der ungewöhnlichsten und visionärsten Death Metal Alben aller Zeiten zugehört zu haben. Die Inszenierung mittels technischem Death Metal, sphärischen Ambientsounds, spirituell-kosmischen Texten und des Science Fiction-Artworks, bestäubt mit dem süßen Pulver psychoaktiver Substanzen ist einzigartig, die Überzeugung und die Kompromisslosigkeit, die aufgebracht werden muss, um eine solche Platte zum Leben zu erwecken, inspirierend. In Zeiten, in denen Rockbands im Allgemeinen und Metalbands im Besonderen, vor allem darauf bedacht sind, möglichst wenig Mut, Identität (die eigene, zumal), und Vision zu zeigen, weil das Publikum mittlerweile so konditioniert ist, bei der kleinsten Normabweichung entweder den Vorgesetzten sprechen oder gleich den ganzen Laden in die Luft jagen zu wollen, sind Bands wie Blood Incantation Gold wert. Sie müssen wie ein Spix Ara in Obhut derer genommen werden, die sich der kreativen Freiheit und dem Überleben von Abseitigem, Extremen, Obskurem verschrieben haben. 

Damit sind wir bei "Timewave Zero", einem reinen Ambientalbum in Stile der progressiven und noch in den Kinderschuhen steckenden elektronischen Musik der 1970er Jahre. Gitarrist Paul Riedl weist darauf hin, dass die Band schon vor über zehn Jahren wusste, dass ihr drittes Album ein reines Ambientprojekt werden sollte: 

"Our band since 2011 was saying we're going to make Morbid Angel, Gorguts, Disincarnate, and Death-style death metal mixed with the eccentricity of Lykathea Aflame, later Gorguts, mystical death metal like StarGazer. Our second record is going to have a green logo like "Domination" [dem vierten Album von Morbid Angel - Anmerkung d. Redaktion], and our third record is going to be ambient. Literally over 10 years ago we said that in the practice space." 

Schon lange ein fundamentaler Bestandteil ihres Death Metal Sounds und vielleicht noch wichtiger: ihres Selbstverständnisses, erstrecken sich die über zwei Movements verteilten acht Kompositionen nun über ein ganzes Werk. Riedl sagt "We don't play games, man", und es ist klar, dass "Timewave Zero" kein Gimmick ist, keine schnell eingeschobene Nummer, die schlicht die Wartezeit zur nächsten Death Metal-Kanone verkürzen soll. Es gibt auch keine Diskussionen darüber, einen neuen Projektnamen zu verwenden. Das ist die Band Blood Incantation, und die Mitglieder der Band Blood Incantation mögen elektronischen Ambient - und dann macht die Band Blood Incantation eben ein elektronisches Ambientalbum. So einfach ist das manchmal. Ich weiß nicht, ob die Verantwortlichen A&Rs bei Century Media die Angstattacken mittlerweile in den Griff bekommen haben, aber an dieser Stelle darf man das Label ruhig mal für das Vertrauen und den Mut beglückwünschen. 

Die Sache ist die: eigentlich hat mich die Band mit so einer Geschichte schon im Sack, bevor ich auch nur einen Ton von "Timewave Zero" gehört habe. Dass mir Ambient einstweilen näher steht als Death Metal oder Rockmusik insgesamt, hilft natürlich dabei, jede Vorbehalte hinsichtlich der stilistischen Ausrichtung und des zumindest temporären Stilwechsels abzulegen. Mehr noch, ich umarme dieses knapp über der Grasnarbe schwebende und mit Drogen eingenebelte Raumschiff mit Haut und Haaren. Dabei ist "Timewave Zero" kein heller, leichter, ätherischer Ambient, er ist nicht "relaxt" oder "gelassen". Ganz im Gegenteil. Es liegt Schwermut über und Mystik unter dieser Platte, Haltung und Gravitas. Es ist unvertraut, außerweltlich - und fordert deshalb Konzentration ein. Die Band weist in Interviews etwas bemutternd darauf hin, dass sie für "Timewave Zero" nicht ziellos durchs Nichts delirieren, sondern sich in einem durchkomponierten Werk aufhalten; vielleicht auch eine Art Gebrauchsanweisung für die rockige Fanbase, die nur allzu schnell diesen einen despektierlichen Begriff verwendet, den sie aus Funk & Fernsehen kennt und also "Fahrstuhlmusik" krakeelt, wenn das ADHS kickt und Headbanging eher unangebracht erscheint. 

Man muss "Timewave Zero" keine Aufmerksamkeit schenken. Schließlich gibt es keine Regeln. Tut man es dennoch, lernt man fürs Leben. Es dehnt sich aus. 

Vinyl: Einzel-LP in der "Orange in Black"-Version in matt-texturiertem Cover. Stilistisch sehr ansprechend. Die Pressung ist von kleineren Stögeräuschen abgesehen okay, keine Non-Fills. Kein Downloadcode. (+++)


 


Erschienen auf Century Media, 2022.

16.01.2021

Die besten Vinyl-Nachzügler 2020 (2): Blood Incantation - Hidden History Of The Human Race

 

BLOOD INCANTATION - HIDDEN HISTORY OF THE HUMAN RACE


Dass mich im Jahr 2020 wirklich nochmal ein halbwegs aktuelles Death Metal Album an den Haken bekommt, das darüber hinaus auch noch für ein immerhin klitzekleines Genre-Revival in der Casa Dreikommaviernull verantwortlich ist, stand auf der Liste der antizipierten Szenarien des Jahres im Anhang unter dem Punkt "Zu grotesk, bitte vernichten". Schuld daran ist Freund Andreas, der sich beim Verteilen von Plattentipps normalerweise erstmal wochenlang unter starken Schmerzen windet, bis er sich dazu entschließt, besser doch nichts zu sagen: wenn einer wie er also also schlussendlich trotzdem tief durchatmet und die Neon-Werbeleuchtreklame anknipst, dazu etwas von "instant classic" schreibt, heißt es, die Ohren zu spitzen. Ich spitzte - und stimmte kurze Zeit später in den "instant classic"-Chor ein. 

"Hidden History Of The Human Race" ist technischer Death Metal, zu gleichen Teilen modern und oldschool, klingt für diesen Stil ungewöhnlich offen, frei und ist bizarrerweise bei aller Heavyness zu keiner Sekunde aufdringlich. Die Band berichtet, dass weite Teile des komplett analog aufgenommenen Albums unter dem Einfluss psychedelischer Drogen komponiert worden seien - und das ist angesichts der spirituellen Texte, der nicht nur hier und da eingestreuten, sondern deutlich prägenden atmosphärischen Elemente und des wirklich phänomenalen Flows eher unterraschend. Manchmal channelt die Band in den Gitarrenriffs sogar den Geist von Chuck Schuldiner in nie dagewesener Körperlichkeit. Ich war so baff, dass ich in den kommenden Wochen die Herzallerliebste mit einer feinen Auswahl nachgekaufter Death Metal-Klassiker "beglücken" sollte. Sowas ist mir seit 20 Jahren nicht passiert. 

Eines der ungewöhnlichsten und ja, ich sag's jetzt halt: visionärsten Death Metal Alben aller Zeiten.

 

 
Erschienen auf Dark Descent Records, 2019. 


01.03.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Atheist - Jupiter




Schon seit einigen Wochen sitze ich noch mehr als üblich im mentalen Sandkasten und halluziniere in den buntesten Farben eine Art Auftrag herbei, über die besten Platten der letzten zehn Jahre zu schreiben - denn was 2010 galt, kann für 2020 meinethalben auch gelten, es geht hier ja schließlich immer noch um "Content!" (Antitainment).

25 Alben sollten es am Ende des real existierenden Excel-Massakers werden und ich kann freudig weißen Rauch aufsteigen lassen: es ist vollbracht! Zwischen Discogs-Sammlung, Jahresbestenlisten, Plattenregal und Alzheimer werde ich diesem Blog wenigstens für eine kurze Zeit wieder ein bisschen Leben (und außerdem viele der so innig geliebten Tippfehler) einhauchen - und ich nahm darüber hinaus die Übung gleich zum Anlass, ein wenig über die letzten zehn Jahre zu reflektieren. Das war nicht immer einfach. Manches aus jener Zeit erscheint emotional heute weiter von mir entfernt zu sein, verblasster und undurchdringlicher als die gefühlsmäßige Standleitung in die romantisch verklärte Adoleszenz in den 1990er Jahren, und das wirft bei entsprechender Chraktereigenschaft unangenehme Fragen aufs Tableau. Die Zäsur des Jahrzehnts war sicherlich mein Jobwechsel im Jahr 2015, der im Prinzip mein bisheriges Leben auf den Kopf stellte. Wer belastbares Beweismaterial sucht, findet es in den seitdem deutlich zurückgegangenen Beitragszahlen auf diesem Blog; ein Umstand der mich nicht gerade mit Stolz erfüllt. Offensichtlich konnte ich mich 2016 noch irgendwie durchbeißen, aber bereits ein Jahr später musste ich immer öfter die weiße Flagge in das Alltagsgetöse halten, und ich sehe leider nicht, wie sich das ohne stattlichen Lottogewinn künftig ändern ließe. Was indes Hoffnung macht: auch wenn die Frequenz der geschriebenen und hochgeladenen Texte sank, ist überhaupt und immerhin noch eine Frequenz vorhanden! Das klingt im mehr oder minder gut verschleierten Subtext fatal nach "Es war ja auch nicht alles schlecht!", dabei ist's ja nicht anderes als ein bereits ordentlich ausgefranster Strohhalm, an den ich mich immer noch klammere. Es ist schon alles ziemlich verrückt.

Dabei macht mir das Schreiben immer noch sehr viel Spaß, vor allem, weil es die Auseinandersetzung mit der Musik "fördert und fordert" (Schröder). Das Problem dabei: auch wenn es die Qualität öfter als mir lieb ist nicht unbedingt vermuten lässt, so ist für meine Texte ein ziemlich großer Aufwand notwendig. Die Recherche, das Sammeln der Gedanken, die unzähligen Textentwürfe, die andauernden Überarbeitungen - und all das im Zeichen des allgegenwärtigen Kleinkriegs mit der Prokrastination und der sowieso immanenten geistigen Limitierung - machen praktisch jeden Beitrag zur Mut- und Kraftprobe. Und wenn dann noch die Zeit fehlt, und die fehlt wirklich fucking immer, schmeiße ich schon beim bloßen Gedanken an den zu erwartenden Krampf beim Ringen nach Worten, nach Stil und Eleganz das Handtuch. Ein Rückblick auf die letzten zehn Jahre machte mir deutlich, dass ich höchstens 10% der in dieser Zeit geschriebenen Texte für einigermaßen erträglich halte, im Sinne von "ohne gröbere Fremdscham bis zum Ende des Artikels lesbar". Der Rest ist oft halbgar recherchiert und hölzern formuliert, vielleicht immer gut gemeint, aber selten wirklich gut gemacht. Einiges überarbeite ich im Stillen teils noch Jahre später, wenn ich mal wieder über ganz besonders furchtbare Peinlichkeiten stolpere; ich habe schon Beiträge nochmal komplett neu geschrieben, die vermutlich wirklich niemand mehr jemals lesen wird, aber ernsthaft: ich kann das doch so nicht stehen lassen!

Es ist im Prinzip wie bei meiner selbstgemachten Musik. Ich nehme seit 1998 Platten auf und schreibe seitdem sowohl eigene Texte als auch eigene Musik und es gibt praktisch keine veröffentlichte Song- und Textsammlung, für die ich nicht ohne Zögern einen Atomkrieg anzetteln würde, auf dass dieser selbst ausgedachte Schmonz endlich vaporisiert und also vom Antlitz der Erde getilgt wird. Da arbeitet man Jahre an sowas, nimmt es unter gröbsten Anstrengungen auf, ist exakt für zwei Minuten glücklich - und ist sprichwörtlich beim ersten Schritt aus dem Aufnahmestudio soweit, sich auf der Heimfahrt den finalen Baumstamm auf der Landstraße auszusuchen - wie konnte ich diese eine Melodie denn bitteschön so scheiße singen?! Warum habe ich denn da zwei Mal die gleiche Strophe gesungen? Fucking hell, die Gitarre ist verstimmt! Aber mein Über-Ich in einem Paralleluniversum war beim initialen Gedanken offenbar der Meinung, dass es sich doch auch prima mit halber Kraft fahren ließe - und ließ bei der Erkenntniss glatt einen fahren. Die stetig voranschreitende Mediokrität der eigenen Umwelt hat ja auch sein Gutes, das Feigenblatt zur Abdeckung der eigenen Mittelmäßigkeit kann mithin nicht groß genug sein.

Genug mit der Selbstkasteiung, sprechen wir lieber über Musik. Denn musikalisch betrachtet war es das beste Jahrzehnt aller Zeiten, stilistisch ein möglicherweise gar zu gleichen Teilen konsistenteres und eklektischeres als das vorangegangene. Ich denke, die folgende Auswahl er 25 besten, tollsten und geliebtesten Platten kann diese These bestätigen. Ich fühle mich mittlerweile in dem Spannungsfeld der nachwievor manischen und so unabhängig wie nur möglich durchgeführten Suche nach neuer Musik und dem immer wieder vollkommen erfüllenden Abtauchen in bekannte und längst auf dem Olymp stehende Alben ganz wohl - es gehört zum fast täglichen Ritual, sowohl das eine, als auch das andere in meinem Leben zu begrüßen. Auch wenn der Drang, sich wegen latenter Überforderung immer mehr aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen, durchaus vehementer spürbar ist als noch vor fünf Jahren. Im Moment halte ich den Gegenwind noch aus.

Und dieser letzte Satz ist vielleicht eine etwas krude Einleitung für eine Textreihe, die sich explizit mit der Vergangenheit auseinandersetzen soll. Da haben wir's wieder: einmal nicht nachgedacht, schon kommt nur "Mumpitz" (Matthias Breusch) raus.

Auf die nächsten zehn Jahre Mumpitz.


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ATHEIST - JUPITER 

Atheist haben mit "Jupiter" ein Album eingespielt, das qualitativ nahtlos an ihre ersten drei Klassiker "Piece Of Time" (1989), "Unquestionable Presence" (1991) und "Elements" (1993) anschließt. Mir fällt sonst keine andere reformierte Metalband mit entsprechender Fallhöhe ein, die das erreichen konnte - was vermutlich auch der Grund dafür war, im Oktober 2010 und damit also kurz nach dem Release des mich, Zitat: "wuschig" machenden Vorabstracks "Second To Sun" darüber zu phantasieren, dass mich das kurz darauf zu veröffentlichende Album ganz sicher nicht so mitnehmen werde wie ihre Frühwerke. Gebranntes Kind, und so. Und zack, zehn Jahre später hat's mich geradezu mit- und weggerissen. Technisch so anspruchsvoll wie eh und je, kraftvoll und kompromisslos, dazu mit der so typischen (für Atheist) wie ungewöhnlichen (für das Genre) Eingängigkeit ausgestattet, ist "Jupiter" der nächste Meilenstein im Schaffen dieser einzigartigen Band - auch wenn die Experimentierfreudigkeit meines Lieblingsalbums "Elements" beim Comeback in der Grastüte vergraben blieb. Gerüchte über ein neues Album halten sich seit Jahren hartnäckig, tatsächlich hat man im Jahr 2018 sogar einen neuen, weltweiten Plattenvertrag unterzeichnet, aber abseits einiger Tourneen auf der anderen Seite des großen Teichs, hat sich bislang leider nichts getan. Wenn "Jupiter" ihr Schwanengesang bleiben sollte: ich kann damit bestens leben.




Erschienen auf Seasons Of Mist, 2010.



07.11.2019

Die Heavy Metal Ursuppe (8)




EXHORDER - MOURN THE SOUTHERN SKIES


Exhorder hatten von allen Bands vermutlich den schwierigsten Auftrag für ihr Comeback zu erledigen, denn auch wenn die beiden einzigen Alben der Band "Slaughter In The Vatican" und "The Law" schon 29, beziehungsweise 26 Jahre alt sind, hat die auf jenen Werken beruhende Ausnahmestellung zu einer möglicherweise in Teilen nicht ganz fairen, ganz sicherlich aber hoffnungslos überzogenen Erwartungshaltung geführt. Ich kann mich ebensowenig davon befreien, dafür aber immerhin anerkennen, damit ein Ticket im Balla-Balla-Bus gezogen zu haben, weil nur Dummbatze ein zweites "Slaughter In The Vatican" erwartet hätten. Und wo das gesagt ist, full disclosure: für mich steht das Debut einige Höllenlevel über "The Law", und ich darf als Belegexemplar das geschriebene Wort aus dem Jahr 2013 bemühen:

"Es gibt Momente auf "Slaughter In The Vatican", die so heavy sind, dass man sich wirklich freiwillig den Kopf zwischen Stahltür und -rahmen einklemmen will und der eigenen Mutti befiehlt, mal kräftig zuzuschlagen. Die Tür, wohlgemerkt. Mit 'nem Unimog. Und das meine ich selbstverständlich ausnahmslos positiv. Scott Burns mauerte seine gefürchtete und berüchtigte Morrissound-Soundwand (die die Band übrigens nach eigener Aussage aus tiefstem Herzen hasst), deren musikalisches und lyrisches Fundament aus blanker Niederträchtigkeit und außer Kontrolle geratenem Rowdytum besteht."

"The Law" hingegen wird für seine stärker ausgespielten Grooves und Riffs von einem Teil der Fanszene kultisch verehrt, stellte mit mir jedoch und in erster Linie wegen des direkt aus Susi Sorglos' Rasierapparat surrenden Gitarrensounds nie etwas Besonderes an. 

Das potentielle Problem von beiden Alben in Bezug auf das 2019er Comeback sind weniger in den Songs und Sounds, als viel mehr in der Attitüde zu suchen. Wie sollen die - auch selbstverständlich schon lange nicht mehr im Original-Lineup - diese Wucht und diese Räudigkeit nach so langer Zeit noch abrufen können? Die Option, es gar nicht mehr zu müssen, stand aus Sicht eines Fans bei Exhorder nie zur Debatte - zu stark war man nach so langer Zeit und der Auseinandersetzung mit ihren alten Alben darauf gepolt, dass weniger als das Nonplusultra an Härte, Intensität und Unberechenbarkeit ein glatter Weltuntergang wäre. Gemessen an den Reaktionen der früheren Die Hard-Fans auf "Mourn The Southern Skies" ist für viele Menschen genau das eingetreten.

Und es ist tatsächlich ein bisschen kompliziert. "Mourn The Southern Skies" besteht aus drei Songtypen, die auf sehr unterschiedlichen Qualitätsebenen existieren: (1) die rasende Thrashkante (2) grooviges Law And Order-Riffgeschiebe aus den Sümpfen Lousianas und (3) irgendwas dazwischen. Die erste Kategorie besteht fast ausschließlich aus erschütternd generischem Exodus-Thrash Metal mit Cringe-Texten, stumpf durchgeballerter Doublebass und einem reichlich aufgesetzt hart klingenden Kyle Thomas am Mikro. Kann, nein: muss man ganz schnell vergessen und für immer skippen. Das ist unwürdiger Scheiß und das auch in dieser Deutlichkeit mehr als gerecht. 

Die zweite Kategorie indes trifft meinen Nerv, und das auch noch ziemlich unvorbereitet. Die Riffs sind originell, die Stimmung ist schwül, feucht und dreckig, die Grooves tighter als Trumps Schließmuskel. Qualitative Schwankungen lassen sich hingegen in Kategorie 3 finden: während in "Rumination" sehr erfreuliche Erinnerungen an die Mittneunziger-Ära der Kings von Forbidden wach werden, ist "All She Wrote" dagegen ein unsäglich dumpfes Midtempo-Doublebass-Geratter von der Stange, das ohne wirkliche Konkurrenz den Biedermann-Preis des Jahres absahnt. Wer sich also im besten Fall eine exakte Mischung aus "Slaughter In The Vatican" und "The Law" gewünscht hat, rauscht hier erstmal mit Schmackes gegen die Wand. It's the Erwartungshaltung, Stupid!

Was bleibt also unter dem Strich? Ehrlichweise mehr, als das nach dem ersten Teaser "My Time" (Kategorie 1) zu erwarten war. Gut die Hälfte von "Mourn The Southern Skies" ist lässiger, verschwitzter und authentisch klingender Südstaatenmetal der COC/Down Kategorie mit wirklich coolen Riffs'n'Grooves und dicker 90er Schlagseite. Wenn sich noch jemand an das 1996er Album "Penalty" von Floodgate erinnert (Sänger: Kyle Thomas), weiß recht genau, was er zu erwarten hat, wenn er das damals ganz sicher gereichte Weed mit ein paar frisch gekochten Kannen schwarzen Kaffees austauscht. Mit diesen Songs kann ich nicht nur wunderbar leben, die reichen selbst dafür aus, den anderen Mist auf der Platte wenigstens ein bisschen wettzumachen. Exhorder klingen 2019 natürlich nicht mehr wie eine Horde tollwütiger Pitbulls und wenn ihnen ein echter Vorwurf zu machen wäre, dann jenen, dass sie es partiell trotzdem versucht haben: das Gespür für die Ausnahmestellung ihrer Frühwerke ging ihnen tatsächlich über Bord. Dass sie an anderen Stellen auf ihrem Comeback stilistisch einen anderen Weg eingeschlagen haben, lässt jedoch erahnen, dass sich die Band vielleicht über das Dilemma völlig im Klaren war. 

"Mourn The Southern Skies" ist am Ende ein Kompromiss einer ehemals sehr kompromisslosen Band. Im Gegensatz zu optimistisch aufgerundeten 80% der Konkurrenz, die ähnliche Entscheidungen treffen mussten, allerdings einer, der sich wenigstes ein kleines bisschen von dem entfernte, was jeder erwartete. Kann man sich drüber freuen. 


P.S.: Exhorder waren selbst in ihren früheren Besetzungen nie eine hypersympathische Band und dass im Dachgeschoss der Mitglieder vielleicht nicht immer für die volle Stromversorgung gesorgt werden konnte, ist spätestens nach dem Text zu "Anal Lust" vom Debut unstrittig - aber ich muss dennoch erwähnen, dass der Text zu "The Arms Of Men", sofern ich ihn richtig verstehe, ein Neanderthaler-Plädoyer für das US-amerikanische 2nd Amendment ist, und mir als Mitteleuropäer und Wehrdienstverweigerer (mit extrem kleinem Pimmel, klar) jedes Verständnis für diesen "Drrrrreck" (Schramm) abgeht. Das halbstarke Amöbengeplärre von "My Time" kehren wir auch besser unauffällig unter den Teppich. 




Erschienen auf Nuclear Blast, 2019.




01.11.2019

Die Heavy Metal Ursuppe (7)




POSSESSED - REVELATIONS OF OBLIVION


Ganz vielleicht dachte ich zu Beginn etwas zu pessimistisch über das erste Possessed Album seit dem 1986 erschienenen "Beyond The Gates"-Werk und damit gleichfalls dem ersten wirklichen Lebenszeichen dieser so einflussreichen Band seit der "The Eyes Of Horror"-EP aus dem Jahr 1987. Eher widerwillig klickte ich auf den Videolink zu "No More Room In Hell", dem einige Wochen vor Albumveröffentlichung präsentierten Teaser; das Mindest auf "Zynismus" eingerastet, sowieso das Schlimmste erwartend, alle Gläser immer halbleer. Hören musste ich das natürlich, weil...hey: "Seven Churches"! Wahrscheinlich gab es 1985 wirklich nichts Krasseres als "Seven Churches", dagegen klingt ja selbst die erste Kreator so steif wie der Ministrantenchor Mozetta. Aber warum müssen die ollen Rochen auch immer und immer wieder ihren guten Namen aufs Spiel setzen? Das waren vor 32 Jahren Legenden, ihr Werk ist über 32 Jahre legendär geblieben und wenn sie es so halbwegs richtig anpacken, könnten sowohl Band als auch Werk sogar für die nächsten 32 Jahre Legenden bleiben. Wwwwwhhhhhhhyyyyyyyyyyyyyyyyyyy tho - und wer GENAU hat eigentlich eine Band wie Possessed in den letzten 32 Jahren vermisst? Also so RICHTIG vermisst? Wer hat denn über 32 Jahre an jedem Tag oder in jeder Woche zu sich und seinem sozialen Umfeld, sofern denn noch eines vorhanden ist, gesagt "Mannomann...Possessed! Wie schade, dass es die nicht mehr gibt. Was würde ich heute dafür geben, nochmal eine neue Platte von Possessed hören zu können."? Dann sind auch noch Nuclear Blast als Label ins Satanshaus eingezogen und haben zig Zillionen unterschiedlicher Vinylversionen in jeder denkbaren Farbe pressen lassen, eben weil sie's können. Das volle Marketingbrett. Was hat das noch mit Musik zu tun? Mit Possessed? Was soll das schon werden?

Es wurde erstaunlich viel! "No More Room In Hell" konnte mich nach dem dritten Durchlauf sogar dazu bewegen mir die Platte zu kaufen, natürlich in der US-Version auf rot-weißem Splattervinyl, weil ich Superhornochse diesen Donzdorf-Dicks und ihrer Marketingscheiße eben immer noch auf den Leim gehe (und weil die Platte ziemlich geil aussieht, klar). "Revelations Of Oblivion" hat eine ganze Menge Argumente auf seiner Seite, allen voran ist das fiese Geballer definitiv mehr im Thrash als im Death Metal angesiedelt, auch wenn die Vermarktungsmaschine fleißig "DEATH METAL" auf alles spuckt, was nicht bei drei auf dem Baum ist - die tragende Säule beim Mitinitiieren eines ganzes Genres muss eben nicht nur immer wieder, sondern ganz besonders nach über 30 Jahren mal frisch gestrichen werden; woher sollen die ganzen nachgewachsenen Metal-Kiddos das auch sonst erfahren? Hinzu kommen technisch beeindruckende Leistungen an Gitarre und Schlagzeug (Emilio Marquez an den Drums ist sowohl im Studio als auch live ein fucking Monster), den klassischen, charakteristischen Gesang von Jeff Becerra und eine Peter Tärtgren Produktion, die für heutige Verhältnisse erfreulich bodenständig ausgefallen ist. Letzteres sehen die Kuttenhorsts mit dem Junge Union-Branding im Hypothalamus natürlich anders, aber sowas passiert eben, wenn man sich so frei und distinguiert wie Zappa geben will, es aber real für nicht mehr als Markus Söder reicht. Das peinliche Geflenne muss man ignorieren.

Das für mich eindrücklichste Merkmal von "Revelation Of Oblivion" ist hingegen eines, das man nur über Umwege hören, dafür aber direkt fühlen kann. Jeff Becerra ist das einzig verbliebene Originalmitglied von Possessed. Der Mann wurde 1990 (drei Jahre nach der offiziellen Auflösung Possesseds) Opfer eines Raubüberfalls, wurde angeschossen und sitzt seitdem querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Seine ehemaligen Bandkollegen kümmerten sich nicht mehr um ihn, da die Band nach der Auflösung heillos zerstritten war. Über 17 Jahre versuchte Becerra mit seiner Situation klar zu kommen, rutschte in den Alkohol- und Drogensumpf ab und kämpfte mit Depressionen. Aber er überlebte. Studierte Jura und Sozialwesen, gründete eine Familie und nahm 2007 mit Possessed einen neuen Anlauf. Die Musiker, die auf dieser Platte zu hören sind, sind mindestens seit 2011 an seiner Seite, Drummer Emilio Marquez gar seit 2007). Bei der Recherche stieß ich auf Interviewsequenzen mit dem Gitarristen Daniel Gonzalez, in denen er auf schwierige Anfangszeiten zurückblickt: Becerra wollte vor allem ihm, der stilistisch eher dem modernen Death Metal nähersteht, den Stil und den Spirit von Possessed näherbringen - und lehnte zunächst offenbar ein Riff und eine Songidee nach den anderen ab, bevor Gonzalez und der Rest der Band mehr und mehr verstanden, in welche Richtung Becerra wollte. Becerra selbst sagt darüber hinaus, er lebe ständig mit dem Druck, die verlorene Zeit, die verlorenen 17 Jahre aufholen zu müssen. Selbst dieses Comeback nahm ganze 12 Jahre in Anspruch. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wer dem Typen in den Interviews zuhört, entdeckt echte Euphorie, Aufrichtigkeit, vielleicht sogar Genugtuung - und ein kindliches Feuer der Begeisterung in ihm. Und ehrlich gesagt: ohne ein kindliches Feuer der Begeisterung ließen sich Texte wie 

Six, six, six on the head and the wrist
The bloodied, battered crucifix
Two coins to cross the river Styx
On bended knees and Satan's fist

mit 51 Jahren auch nur schwer singen. Ob meine Wahrnehmung nun von der professionellen Inszenierung mit entsprechend vorgeschriebenen Drehbüchern getrübt wird und ich also immer noch tief drinnen glaube, es gäbe im Heavy Metal noch sowas wie echte Authentizität, oder ob das alles kompletter Bullshit ist, um die metallischen Naivlinge mit dem zu füttern, was sie am einfachsten fressen, nämlich plakative Trueness to the fokking bone, habe ich noch nicht ganz begriffen. Wäre ich DER_GROSSE_ZYNIKER vom ersten Absatz, wäre die Antwort klar. 

"Du musst heute nur noch auf die Bühne gehen, die Pommesgabel \m/ zeigen und die Leute flippen alle aus." (Name der Redaktion bekannt)

Ich kämpfe dagegen an.




Erschienen auf Nuclear Blast, 2019.


17.10.2019

Die Heavy Metal Ursuppe (4)



XENTRIX - BURY THE PAIN


Xentrix haben es ihren ersten beiden Alben "Shattered Existence" und vor allem "For Whose Advantage?" zu verdanken, in die immerhin dritte Reihe des Thrash vorgestoßen zu sein, bevor die typischen Kurskorrekturen der Früh- und Mittneunziger und eine komplett auf den Kopf gestellte Metalszene zum ersten Mal das Ende einläuteten. Obwohl die Band zu Beginn ihrer Karriere als schamlose Metallica-Kopie und gegen Ende wegen der als peinlich empfundenen Anbiederei an den damals angesagten Groove/New Metal auf dem desaströsen 1996er Album "Scourge"  eher belächelt wurde, entwickelte sich speziell das Zweitwerk "For Whose Advantage?" in der Szene zu einem kleinen Klassiker, weshalb die Rufe nach einer Wiedervereinigung über die Jahre immer lauter wurden. Und tatsächlich: ab 2005 existierte die Truppe wieder, wenn auch nur in einer on/off Beziehung mit vereinzelten Liveauftritten oder gar kurzen Tourneen durch England. 

2013 folgte gar die Meldung, man arbeite an einem neuen Album - und ganze sechs Jahre später ist es auch "schon" soweit. Leider hat es in der Zwischenzeit ein paar Einschläge gegeben: Chris Astley, Charakterkopf an der James Hetfield-Gedächtnisgitarre und darüber hinaus Sänger, entschloss sich 2017 dazu, endgültig das Weite zu suchen, Ur-Bassist Paul MacKenzie hatte sich bereits 2013 absentiert; und während letzterer angemessen ersetzt werden konnte, sieht die Sache bei Astley schon anders aus: sein Gesang und besonders sein Gitarrenspiel mit dem typischen Riffing fehlen dieser Band - auch wenn die beiden verbliebenen Gründungsmitglieder Gasser und Harvard versuchen, einige Songs mit den bekannten, wunderbar auflösenden Astley-Riffs auszustatten. Nachfolger Jay Walsh macht indes auf "Bury The Pain" seine Sache besser, als nach den ersten Livevideos zu befürchten war und klingt im Vergleich mit Astley gesanglich zwar etwas tiefer gelegt, fällt dabei aber immerhin nicht unangenehm auf. 

Ärgere Probleme machen dieses Mal die überdeutliche stilistische Schlagseite in Richtung Testament, eine Reihe von bedauerlichen und für mich nur schwer hinnehmbaren Textentscheidungen, eine viel zu lange Spielzeit und die ein oder andere zu sehr an den heutigen Metal-Zeitgeist ausgerichtete hymnische Melodie, die so manchen Song in jene für mich komplett ungenießbare Power Metal Gefilde abrutschen lässt, also das, was heutzutage landläufig als Power Metal bezeichnet wird, aber natürlich kein Power Metal ist. Damit befinden sich Xentrix nun sicher eher in der Mehr- als in der Minderheit der aktuellen Szene, aber ich möchte diesen aufgesetzten und von A&Rs reindiskutierten  Krampf nicht hören müssen. Keep your melodische Griffelfinger off my thrash metal, motherfucker! 

Dazwischen finden sich immerhin drei, vier ganz nette Momente - nichts, wofür ich mir vor Begeisterung die Unterhose über den Kopf ziehen müsste, aber meine Qualitätsmaßstäbe wurden nach einem zwanzigjährigen Marsch durch den Sumpf unerlöster Häffi Mettl-Reunions entsprechend angepasst. 




Erschienen auf Listenable Records, 2019.



13.10.2019

Die Heavy Metal Ursuppe (3)


THE YEAR THRASH BROKE (AGAIN)


2019 ist das Jahr der Thrash und Death Metal-Comebacks. Das gilt besonders für jene Fälle, in welchen wir über die Veröffentlichung neuer Studioalben einer ganzen Reihe alter Kultbands sprechen, die über Dekaden hinweg eigentlich schon mausetot in der Kiste lagen und allerhöchstens für vereinzelte Liveshows reanimiert wurden. In dieser Hinsicht war der Status so mancher Kapelle indes nur schwer zu durchschauen: mal standen sie, mitunter im Original-Line-up und mit großspurigen Ankündigungen über geplante Aufnahmen und Tourneen, auf der Bühne, nur um im nächsten Augenblick wieder komplett vom Radar zu verschwinden. Ja, was denn nun?

Nun bin ich ja immerhin nicht komplett doof und habe genügend Imaginierungsvermögen, um mir die Lebensumstände eines ehemals semiprofessionellen Musikers vorzustellen, der mit seinen heute 50+ Jahren und dem bestenfalls erfolgten Abtauchen ins blanke Hobbymusizieren, schlechtestenfalls ins Familienleben mit 9-to-5 Job, in Sachen Karriereplanung vor anderen Herausforderungen stehen dürfte als noch in blühender Adoleszenz Ende der 1980er Jahre.

Dass es oftmals für nicht viel mehr reicht, als einmal kurz den Kopf in die angegammelte Brise zu stecken, die aus den Achselhöhlen des mittlerweile ergrauten und erbierbäuchten Publikums herausströmt, haben seit der vor gut 20 Jahren startenden Reunionwelle mehrere und im Rückblick eher unerfreuliche Comebackversuche von Bands gezeigt, die schneller wieder in der Versenkung verschwunden waren als die "We're back for good because we love our fans so much"-Ansagen in einem halbleeren Club verhallten. Und ganz allmählich fragt man sich abseits der immer noch aufkommenden bittersüß-verzweifelten Erinnerungen an vergangene Zeiten: was wollen die alten Klappergestelle eigentlich mit ihren ganzen Reunions? Metal ist heute erfolgreicher, als er es vielleicht jemals war, bon. Und die Möglichkeit, sich nebenbei einen Extra-Buck zu verdienen, ist unter heutigen Businessmaßstäben vermutlich erfolgsversprechender als noch vor 30 Jahren - will man also ein Stück vom Kuchen abhaben? Reich i.S.v. "Privatjet-Reich" wird man damit ja nun wirklich nicht. Oder wird immer noch auf den richtig großen Durchbruch gewartet, vulgo: gehofft? Oder ist es - haha, Riesenwitz: die Mischung aus simpler Lust, die alten Tage wieder aufleben zu lassen? Bevor Taschentücher gereicht werden müssen: ich hielte alle drei Optionen sowohl für denkbar, als auch für legitim.

In der Bewertung der Musik spielt das freilich keine Rolle. Oder vielleicht doch?

Wer 1988 in unerlösten Flammen stand und sich Frustration, Wut und Testosteron einen Weg an die Oberfläche suchen mussten, hatte ganz möglicherweise eine andere Herangehensweise, Musik zu komponieren als im Jahr 2019 mit 50 Jahren und der Verantwortung über zwei Jobs und drei Kinder. Ganz zu Schweigen von der technischen Weiterentwicklung, die stärker als je zuvor Kreativität fördert und ganz neue Kanäle öffnen kann. Wer würde angesichts solcher veränderten Voraussetzungen ernsthaft erwarten, die Musik unserer Röhrenjeans'n'Patronengut-Helden wäre 1988 eingefroren und just zum Mastering des neues Albums aufgetaut worden? Darf, soll oder muss man wirklich erwarten, auch im Jahr 2019 immer noch den gleichen Krempel von 1988 zu hören? Am Ende ist's vermutlich nur das Spiel mit der eigenen Erwartungshaltung, dem eigenen Leben nebst geistigem Horizont.

Problematisch wird's wenigstens in meinem Buch nur dann, wenn der besonders in Genres wie dem Speed, Thrash und Death Metal so immanent wichtige und prägende Vibe juveniler Durchgedrehtheit abhanden kam und entweder mit bräsiger Loggerpeder-Arroganz und/oder einem over-the-top-Soundmassaker ersetzt wurde. Ich kann viel aushalten. Ich gebe auf Schubladen und Genredefinitionen und -dogmen sehr viel weniger, als es mir so mancher andichten will. Aber mir fehlt bisweilen das Verständnis für laue Kompromisse und für Faulheit.

Die kommenden sechs Beispiele für Alben-Comebacks, die ich mir für diese Serie herausgefischt habe und die alle mit kleinen aber feinen Reviews bedacht werden, bilden für derlei Betrachtungen einen idealen Rahmen, denn eigentlich ist damit die volle Bandbreite abgedeckt. Und manchmal ist sogar noch Platz für die berühmten Zwischentöne.

Den Anfang machen Noctnurnus AD, eine Inkarnationen der legendären Death Metal Band Nocturnus, mit ihrem Comebackversuch "Paradox".




NOCTURNUS AD - PARADOX

Erster Grund für Herzoperationen bei Managern, Promotern und allen anderen Musikindustriemenschen: eine Band löst sich auf und macht danach mit unterschiedlichen Line-ups und sich ständig wechselnden Bandnamen weiter. Spätestens nach dem zweiten Wechsel wissen nur noch eingefleischte Superloyalo-Nerds wer hier eigentlich mitmischt, der Rest ist von derlei künstlerischer Exzentrik völlig überfordert und macht den Peter Lustig. Abschalten.

Über 26 Jahre hatte Gründungsmitglied und Drummer Mike Browning sein Nocturnus-Outfit abgeschaltet (von einer eher obskuren und ohne ihn stattfindenden Wiederbelebung zwischen 1999 und 2002 abgesehen, q.e.d.) und kehrt nun, natürlich unter erneut verändertem Namen und Line-up, zurück. "Paradox" schließt - und das ist in diesem Fall mehr als nur eine Floskel - nahtlos an das als Klassiker im Death Metal-Kanon verankerte "The Key" von 1990 an. Angefangen beim Cover-Artwork, über den Sound, den Einsatz schräger und origineller Keyboards fernab jedes Gothic Kitschs, manisch verspulten Gitarrenriffs, komplexen Songs bis hin zum textlichen Konzept ist hier selbst für die traditionell vergangenheitsfixierte Metalszene auf beinahe bizarre Weise die Zeit stehen geblieben. Das ist für einen kurzen Moment charmant, in der immanenten Verzweiflung aber auch ungesund traurig: wie sich die Band im Videoclip zum klar schwächsten Song des Albums "Apotheosis" in Billo-Sci-Fi-Umgebungen mit Billo-Überblendungen und Billo-Videoeffekten wie eine Horde "querschnittsgelähmter Faultiere" (Kalkofe) abmüht, schaut man sich besser gar nicht an. Oder eben doch.




Wer indes "The Key" und zu gleichen Teilen technischen wie kruden Old School Death Metal feiert und modernen Metal in all seinen uninspirierten, oberflächlichen, ranschmeißerischen, polierten Auswüchsen in weiten Teilen für einen Haufen festgekrustetes Elefantensperma hält, findet mit ein paar Metern Sicherheitsabstand sicher Spaß an "Paradox". Ich habe an solchen Platten mehr Freude als am gesamten Labelprogramm von Nuclear Blast.

Kann man sich neben die 1-Euro-Ammoniten vom Flohmarkt und die Inklusen von in Bernstein eingeschlossenen Insekten aus dem Paläozän ins Regal stellen und ab und zu melancholisch in der Hand wiegen.





Erschienen auf Profound Lore Records, 2019.

23.04.2019

Die Heavy Metal-Ursuppe (2)




CYNIC - FOCUS


Es ist nach zumindest intensiverem Synapsen-Mikado vermutlich keine allzu große Überraschung, dass sich so einiges, was sich vor zwei oder drei Dekaden nicht nur, aber vor allem in der Metal-Ursuppe tummelte, mit einigen Jahren Abstand nicht mehr ganz so revolutionär oder abgedreht anhört, wie es sich beim Erstkontakt möglicherweise anfühlte. Rock im Allgemeinen und Metal im Speziellen mögen aufgrund der durchaus signifikanten Entwicklungssprünge in Sachen Klang, Härte und Dichte, die das Rock-Genre vor allem seit den frühen Nullern durchmacht, besonders anfällig für einen ungünstig verlaufenden Alterungsprozess ihrer vermeintlichen Klassiker sein; Ausnahmen gelten für die seit Äonen ubiquitären Legenden des Mainstream wie Maiden, Priest, Sabbath, Purple und Zeppelin, deren weichgezeichneter Labbersound aus der Eisenzeit heute eher als wünschenswerte Patina gewürdigt wird, sowie für die berüchtigte Loyalität des Metal-Publikums: was mal in den Klassikerkanon einsortiert wurde, kommt da so schnell auch nicht mehr raus. Wie schon in dem Beitrag aus dem Jahr 2018 über Benedictions "Transcend The Rubicon" bemerkt, ist ein heute 15-jähriger Metalfan, der mit der klanglichen Intensität aus dem Metal- und Deathcore oder der technischen Qualität des heutigen Death Metal vertraut ist, mit der Musik seiner Eltern nicht nur aus pubertären Gründen im Sinne der Abgrenzung psychologisch herausgefordert, sondern insgesamt unterfordert.

Dasselbe kann zumindest für diesen Aspekt auch ohne gröbere Gewissenskonflikte über das Debut der US-amerikanischen Band Cynic geschrieben werden, die mit ihrem Debut "Focus" im Jahr 1993 auf der Bildfläche erschienen - wenngleich der Auseinandersetzung mit etwas addierter und der Musik angemessenen Komplexität sicher kein Schaden zugefügt wird, ganz im Gegenteil. "Focus" gilt heute weitläufig als Klassiker des Progressive Metals/Death Metals, und zieht man die Umstände der damaligen Zeit sowie der Szene in Betracht, hat es diesen Status als Zeitdokument einerseits, aber auch als Einfluss auf die spätere Entwicklung des Genres andererseits nicht zu Unrecht. 

Zwar war man selbst als Death Metal Fan im Jahr 1993 schon so einiges gewohnt, weil die "Anything Goes"-Mentalität der frühen neunziger Jahre den Zeitgeist bis in den Untergrund bestimmen sollte:  Fear Factorys Debut "Soul Of A New Machine" zeigte bereits ein Jahr zuvor Experimente mit Klargesang zwischen dem gutturalen Geröchel, Atheist lösten die schon auf früheren Alben nur unzureichend gesicherten Bremsen mit "Elements" endlich komplett und verbanden die fast vollständig aufgelösten Restspuren ihrer Death Metal Vergangenheit mit Latin und Salsa-Beats, während Chuck Schuldiner von Death, dem Großteil der Szene stets mit Sieben-Meilen-Stiefeln voraus, mit "Human" nicht nur einen Meilenstein des technischen Death Metals vorgelegt hatte, sondern auch automatisch die Marschrichtung der kommenden Entwicklungen im extremen Metal vorgab. Maßgeblichen Einfluss daran hatte auch die Hälfte von Schuldiners damaligem Line-Up: Paul Masvidal an der Gitarre und Sean Reinert am Schlagzeug spielten auf "Human" förmlich um ihr Leben und beeinflussten damit Musiker wie einen Gene Hoglan (u.a.Dark Angel), der Reinerts gewebte Prog- und Fusion-Fäden auf "Human" als späterer Death-Schlagzeuger auf den Alben "Individual Thought Pattern" (1993) und "Symbolic" (1995) aufnahm und dabei selbst stetig weiterentwickelte. 

Eben diesen beiden Musiker Paul Masvidal und Sean Reinert bildeten auch die kreative Keimzelle bei Cynic. In Zusammenhang mit dem "Focus"-Produzenten Scott Burns und dem Morrissound Studio in Florida, beides in der Kombination zur damaligen Zeit DER Maßstab schlechthin, wenn es um Death Metal Produktionen ging, wurden Cynic als "Next Level Death Metal" vermarktet - und dafür hatte der ungewöhnlich progressive Sound es durchaus in sich. Die Band wechselte von anspruchsvoll zu spielendem, technischem Death Metal in Bruchteilen von Sekunden in spirituell anmutende und ätherisch wirkende Traumwelten, in denen Akustikgitarren und die mittels Vocodereinsatz surreal verfremdete Stimme von Masvidal den Sound prägten - nicht zu vergessen das melodische Harmonien aufziehende Bassspiel von Sean Malone, der mit seinem Fretless Bass dem Bandsound zusätzliche Originalität verpasste. Im Ergebnis habe ich "Focus", trotz der recht eindeutigen Vorzeichen, nie als Death Metal wahrgenommen; tatsächlich habe ich mich nie darum bemüht, überhaupt irgendeine passende Schublade dafür zu finden. 

Ich habe mir vor wenigen Wochen den Vinyl-Reissue von "Focus" gegönnt und mich in diesem Zuge wieder intensiver mit dem Album befasst. Ich war zunächst über den Sound überrascht - und nicht unbedingt im positiven Sinne. In meiner Erinnerung war das Brett, das die Band mit Scott Burns bohrte, bedeutend dicker und druckvoller als ich es heute empfinde. Ein Gegencheck mit der CD und einem digitalen Format verschaffte Aufklärung: "Focus" klang auch schon 1993 nach heutigen Maßstäben nicht besonders gut, was vielleicht das eindrücklichste Zeichen dafür ist, dass der Zahn der Zeit auch in diesem Fall ein Stück der Faszination abnagen konnte. Interessant ist indes, dass sich im Vergleich zu Burns' Standardsound (Bass- und Schlagzeug-Regler auf 11, alle Mitten raus) auf "Focus" etwas mehr Transparenz und Differenzierung zeigt - das ist unter gegenwärtigen Gesichtspunkten zwar immer noch nicht viel, war aber für damalige Verhältnisse immerhin eine Varianz, eine Öffnung. 

Darüber hinaus erscheint "Focus" aus heutiger Sicht bei Weitem nicht mehr so abgedreht zu sein, wie es sich in der Erinnerung immer noch anfühlt - und wie Rezensenten und Kommentatoren es bis heute beteuern. Besonders ist das Album auch 25 Jahre später ganz sicher noch, technisch wie visionär herausragend - aber am Ende des Tages lediglich im traditionell sehr eng begrenzten Kosmos von Rockmusik und Heavy Metal als unkonventionell zu bezeichnen. Das ist aus diesem Blickwinkel auch im Jahr 2019 noch legitim, vielleicht angesichts der tatsächlich noch dramatischer in Erscheinung tretenden Mutlosigkeit der Szene noch mehr als das. Aber für die, die keinen Tellerrand kennen, weil sie nicht mal einen Teller haben, spielt sich dann eben doch zu viel im Rahmen dessen ab, was man so kennt: klassische Instrumentierung, klassisch-progressive Arrangements, klassischer Sound. Das stete Gerede über ein mit übergeschnappten Ideen vollgepacktes Avantgarde-Jazz-Experimental-Feuerwerk ist letzten Endes irreführend. 

Cynic wurden im Grunde nach ihrer zwischenzeitlichen Pause und ab 2008 mit dem Comebackalbum "Traced In Air" interessanter, weil sie subtiler wurden. Das Gerippe hatte immer noch Rockmusik eintätowiert - und ganz ehrlich: etwas anderes wollte und sollte die Band ja auch niemals sein - aber die Anpassungen in den Arrangements wurden so feingliedrig und behutsam umgesetzt, die Atmosphäre so genuin ätherisch und schwebend inszeniert, dass die Fraktion, die mit "Focus" Death Metal und Mucker-Frickeleien verband, mit dem signifikant zurückgeschraubten Metal-Anteil in ihrer Musik nun wenig überraschend ernste Probleme bekam. Eine erneute Weiterentwicklung gab es auf dem bislang letzten Album "Kindly Bent To Free Us" (2014) zu hören, auf dem Cynic eine besonders nuancierte Nische des Progressive Rocks besetzten und sich von Metal noch mehr als zuvor abgrenzten. 

Es hat Spaß gemacht, "Focus" nochmal zu besuchen und es in diesem Zusammenhang nochmal neu einzusortieren - vielleicht war die neuerliche Beschäftigung nach meiner ganz persönlichen Öffnung zu so unterschiedlichen Musikgenres möglicherweise noch lohnenswerter, als sie es in meiner Adoleszenz war. Ich höre "Focus" heute sicherlich mit anderen Ohren als ich es noch 1993 tat. 

Auch wenn der oben gemachte Versuch einer Differenzierung immer gut tut: An der visionären Kraft, dem Mut und dem Einfluss von "Focus" gibt es auch im Jahr 2019 nur wenig zu rütteln. 




Erschienen auf Roadrunner Records, 1993. 

12.08.2018

Die Heavy Metal-Ursuppe (1)




BENEDICTION - TRANSCEND THE RUBICON


Ich war nie der allergrößte Death Metal Fan, auch wenn ich die Initialzündung der sehr erfolgreichen zweiten Welle zwischen 1989 und 1993 live mitbekam und mich die Alben von Death, Atheist, Morbid Angel und Obituary aus jener Zeit sehr begeistern konnten. Als 1993 die Briten Benediction mit "Transcend The Rubicon" um die Ecke kamen, konnte ich diesen exklusiven Kreis um +1 erweitern. Trotz der mittlerweile zentimeterdicken Patina, ist das immer noch eine besondere Platte für mich: zum einen besuchte ich im Herbst 1993 in Begleitung meines Bruders das erste Death Metal Konzert meines Lebens mit den gerade erfolgreich werdenden Cemetary, den genialen Techno-Death Fummlern von Atheist und eben dem, neben Bolt Thrower, zweiten Aushängeschild des britischen Death Metals Benediction im nur zwei Jahre später geschlossenen "Negativ"-Club in Frankfurt, zum anderen besaß ich damals ein sehr schickes Longsleeve mit dem Albumcover als Motiv und wurde damit im Jahrbuch meiner Schule, neben einer supercoolen und Ernte 23 (!) rauchenden Ramones-Punkerin stehend, fotografiert - mit einer eigentlich verboten aussehenden Frise, die vorne an Roland Kaiser und hinten an Rudi Völler erinnerte. Das Foto ist wie eine Zeitreise in den grauen und verregneten Alltag im Herbst/Winter 1993, und während ich mich dank der mich aktuell völlig überfordernden Lohnarbeit nicht mehr an das erinnern kann, was vor 2 Wochen war, gelingt es mir überraschend gut, mir manchmal den Geschmack der Luft aus dem Schulgebäude oder mein damaliges Lebensgefühl zwischen Heavy Metal, Grunge, Roll- und Eiskunstlauf und der glatten 5 aus der Abiturprüfung in Chemie wieder zu holen. "Transcend The Rubicon" war in dieser Zeit mein fast täglicher Begleiter und ist daher sehr eng mit mir und meinem Leben verbunden. Eigentlich auch eine Art persönlicher Meilenstein. 

Meine Blank When Zero-Buddies Simon und Marek schenkten mir den gleich doppelt colorierten  (gold/orange) und mit einem schicken Etching auf der D-Seite versehenem Vinyl-Reissue erst kürzlich zum Geburtstag, und das Wiedersehen war mächtig: konnten mich die Frühwerke der Band nie so recht begeistern, stimmt auf "Transcend The Rubicon" fast alles, was in erster Linie an drei Faktoren liegt: (1) die Stimme von Dave Ingram (später auf Bolt Throwers "Honor Value Pride" zu hören) ist böse, aber seltsamerweise gar nicht unangenehm oder reißerisch auf extrem getrimmt, (2) die Riffs sind eine Mischung aus der typisch schrägen Oldschool-Herrlichkeit, leichten Punk/Hardcore Vibes und einem schwer walzenden Groove, der bisweilen gar an die Anfänge des sich damals gerade entwickelnden Groove Metal erinnert - in Perfektion zu bestaunen bei "Nightfear", "I Bow To None" und "Blood From Stone" und (3) die Songs sind ultrakompakt und catchy, ohne dabei gleichzeitig ultrastumpf zu sein. Außerdem ist "Transcend The Rubicon" eine Blastbreat-freie Zone, was den sehr eindrücklichen Groove der Songs weiter verstärkt. Viele der alten Death Metal-Klassiker aus dieser Zeit wirken heute, abgesehen von den durchaus immer noch extremen Stimmen, seltsam schaumgebremst und altbacken, vor allem, wenn heutige sowohl Produktions- als auch Spieltechnikstandards zum Vergleich herangezogen werden - und auch Benedictions beste Platte kann sich gegen den Zahn der Zeit nicht wehren. Wer das heutige Death Metal-Niveau gewohnt ist und "Transcend The Rubicon" zum ersten Mal hört, wird nur schwerlich nachvollziehen können, wie bemerkenswert sowohl die Entwicklung der Band im Allgemeinen als auch dieses Album im Speziellen in der Ursuppe des Death Metal waren. 

Benediction selbst konnten an diesen Klassiker nicht mehr anknüpfen, wenngleich der damit erzielte Durchbruch der Grundpfeiler für den Erfolg in den folgenden Jahren, eigentlich bis zum Ausstieg von Dave Ingram nach dem 1998er Album "Grind Bastard", sein sollte. Zwar existiert die Band heute noch, sie spielt auch relativ regelmäßig Shows und Tourneen und kündigt sogar seit längerem ein neues Album an, aber angesichts von nur zwei Alben in den letzten 20 Jahren, muss man wohl annehmen, dass die Luft einfach raus ist. Wer ein Teil britischer Death Metal Geschichte hören möchte und das bislang nicht getan hat: die neue Deluxe-Vinylausgabe zum 25.Geburtstag des Albums klingt gut, sieht gut aus und ist mit der liebevoll detaillierten Aufmachung im Glossy-Gatefold-Cover mit Texten und Fotos alles andere als nur ein schneller Cash-In, sondern viel mehr ein standesgemäßer Tribut an ein tolles und wichtiges Album. 




Erschienen auf Nuclear Blast, 1993. 


18.06.2016

ARE YOU PREPARED FOR THE VIOLENCE?




Hallo Fremder. Du kannst es nicht wissen, deswegen sage ich es Dir. Beziehungsweise: schreibe es in mein virtuelles Wohnzimmer. Nochmal. Und ich schreib's von mir aus ab jetzt einmal monatlich hier rein. Macht mir nix. Gar nix.




Die New Yorker Thrash Metal Legende mit den zwei Klassikern "Tortured Existence" und eben "Epidemic Of Violence", sowie einer zu Unrecht völlig verkannten "Time Bomb"-LP aus dem Jahr 1994 im Thrash-History-Rucksack, hat sich im Frühling dieses Jahres tatsächlich nach über 20 Jahren Sendepause in beinahe jenem Lineup reformiert, das auch die erwähnten ersten beiden Alben einspielte. Beinahe deshalb, weil Schlagzeuger Vinnie Daze 1996 an den Folgen einer Vergiftung starb und also nur schwer verfügbar war.

Ende Mai 2016 betrat das Quartett beim Maryland Death Fest in den USA erstmals seit der Reunion wieder eine Bühne, Sänger und Bassist Steve "Giftzwerg" Reynolds eröffnete das knapp einstündige Set mit den Worten "ARE YOU PREPARED FOR THE VIOLENCE?", und die Truppe hinterließ verbrannte Erde: "Skull Fracturing Nightmare", "Neanderthal", "44 Caliber Brain Surgery", "Human Dissection", "Envenomed", "Infectious Hospital Waste" - Klassiker reihte sich an Klassiker. Dabei zeigt sich die Kapelle in guter Form und hat zu meiner großen Überraschung fast nichts von der alten Durchschlagskraft eingebüßt: tight, räudig, maximal angepisst und in "wahnsinniger Geschwindigkeit" (Lord Helmchen) wirklich alles humorlos wegholzend. 

Ich darf an dieser Stelle auch hocherregt und untererotisch feststellen: Wenn die alten Knacker es irgendwann und irgendwie nach Deutschland schaffen sollten, eskaliere ich. 

Am heutigen Freitag sowie am morgigen Samstag spielt die Band übrigens in der St.Vitus Bar in Brooklyn zwei seit langem ausverkaufte Shows - der heutige Gig war nach drei Minuten (!) ausverkauft.




Anbei zwei Clips des weiter oben erwähnten Konzerts vom 29.5.2016. Zunächst der Opener "Skull Fracturing Nightmare", darunter folgt das übrige, vollständige Konzert. Enjoy. Und bevor mich tatsächlich jemand fragt: Ja, ich habe alles angeschaut. Komplett. Mehrmals. Ihr geilen Schweinchen.







12.06.2016

I lost my Plattenladen in Heidelberg (I)




EIN RUNDGANG DURCH DIE VINYLGEMEINDE


Der 39.Geburtstag wurde mit der Herzallerliebsten in den Plattenläden Heidelbergs nachgefeiert - lediglich ein vierstündiger Kurztrip, damit unsere fellnasigen Mitbewohner nicht zu lange alleine sind, aber viel länger muss man sich in der Studentenstadt auch nicht mehr aufhalten, wollen die letzten verbliebenen Musikhändler besucht werden. Freund und Blank When Zero-Schlagzeuger Simon und ich waren zuletzt 2009 vor Ort, also noch knapp vor dem großen Hype und der vielbeschworenen Rückkehr der Vinylschallplatte. Schon damals war das romantische Städtchen nicht unbedingt ein Vinyl-Mekka, andererseits ließe sich sagen, dass immerhin vier Läden in einer nicht unbedingt urban zu bezeichnenden und recht kleinen Großstadt nicht das schlechteste sind. Fühlen wir also anno 2016 mal den Puls. Sofern man ihn noch fühlen kann.

Um das Fazit vorwegzunehmen: es braucht schon etwas Fantasie. 




Wir beginnen um kurz vor 12 Uhr mittags bei Ronnie's Records (Bahnhofstraße 19) und stehen zunächst vor verschlossener Tür: Ronnie zieht wochentags erst um 12 Uhr die Rolläden hoch. Während die Herzallerliebste mich noch wegen meiner  vermeintlich schlechten Vorbereitung zärtlich und liebevoll beschimpft, biegt der Inhaber um kurz nach 12 mit seinem Auto in die Straße ein und sucht einen Parkplatz. Ich habe Ronnie's Records noch vom letzten Besuch vor sieben Jahren in ganz guter Erinnerung, allerdings ist das Lädchen wohl auf ewig mit einem strahlenden Ausbruch von Quadratblödheit des Autors verknüpft. Das dritte abendfüllende Werk der ehemaligen Drogenrockgötter von Monster Magnet "Dopes To Infinity" wurde mittlerweile zig Mal auf Vinyl wiederveröffentlicht, was dem Wert der 1995er Originalpressung jedoch fast nichts anhaben kann: noch immer bieten Verkäufer sie zu horrenden Preisen an und noch immer wird sie von Kunden zu ebenjenen horrenden Preisen gekauft. Im Jahr 2009 sah das alles noch deutlich anders aus. Von Reissues war weit und breit nichts zu sehen und der Preis für die Originalpressung lag bei läppischen 20 Euro. Ronnie's Records hatte "Dopes To Infinity" in ebenjener Erstpressung für 18 Euro ins Regal gewuchtet, und Herr Dreikommaviernull, damals wie heute großer Fan der Frühphase der Band bis eben einschließlich dieses Albums, entschied sich nach zähem Ringen schlussendlich gegen einen Kauf. Es war eben einfach zu teuer. Um es einzuordnen: 2009 lagen 18 Euro, natürlich exklusiv besonderer Raritäten und stattdessen das Standardprogramm betrachtend, schon im oberen Drittel der Preisgestaltung vieler Läden. 

Vor zwei Jahren kaufte ich schlussendlich "Dopes To Infinity" in einer ziemlich abgerissenen Version inklusive sehr deutlich ausgeprägten Katzenkrallenspuren am Cover aus - logisch! - Amsterdam für immerhin nur 34 Euro. Das war 2014 ein Schnäppchen. Wenn jemand wissen will, was in den vergangenen Jahren auf dem Schallplattenmarkt passiert ist: dieses Beispiel illustriert's ganz gut. 

Die Zeiten haben sich auch bei Ronnie geändert: um den Einbruch der Digitalverkäufe, also von CDs und DVDs, aufzufangen, musste die Preisschraube bei den Schallplatten auch hier stärker angezogen werden, aber ich fand bei meinem Besuch keinerlei Unverschämtheiten in den Regalen vor. Tatsächlich ließe ich mich dazu hinreißen, Ronnie's Records als einen der günstigeren Plattenläden zu bezeichnen. Das Sortiment im Vinylfach ist die Heidelberger Nummer 1 und neben den üblichen Verdächtigen, die sich in jeder Flohmarktkiste tummeln, lassen sich hier und da auch ausgefallenere Stücke finden. Ich entscheide mich für das Auffüllen der Journey-Sammlung ("Evolution" und "Greatest Hits") und für schwedischen Death Metal aus der Ursuppe der damaligen Bewegung: die Erstpressung von Unleashed's Klassiker "Where No Life Dwells" steht für sagenhaft günstige 21,90 Euro in der Metalabteilung und da kann ich das Portemonnaie wirklich nicht geschlossen halten. Für Metalfans darüber hinaus ganz interessant: ein großer Batzen Metal-Raritäten wartet aktuell auf neue Besitzer. Preislich sind die in Komission genommenen Scheiben teils jenseits von gut und böse, aber, und jetzt kommt's: praktisch ungespielt und in komplett neuwertigem Zustand. Im Anschluss plaudern wir noch etwas über die gegenwärtige Situation der Plattenläden in Heidelberg ("Die verkaufen mittlerweile wahrscheinlich mehr Postkarten und Schlüsselanhänger, um sich über Wasser zu halten."), fragwürdiges Konsumentenverhalten ("Journey?? Das hat hier über Jahrzehnte kein Mensch auch nur mit der Kneifzange angepackt!") und die klanglichen Unzulänglichkeiten neuer Vinylpressungen, letzteres endend in der Übereinkunft meiner schon desöfteren ungefragt mitgeteilten Einschätzung, dass der Großteil der heutigen Vinylkundschaft die Platten zwar kauft, sie dann aber ungehört ins Regal stellt und die Musik letzten Endes über Spotifuck oder Downloads in den Sessel furzen lässt. Wissenschaftlich und statistisch bestimmt schwer zu belegen, denn sowas würden ja auch nur komplette Vollidioten zugeben.


Weiter geht's zur Heidelberger Institution Crazy Diamond, einem seit 1991 existierenden Fachhandel für Tonträger mit ehemals gleich mehreren Filialen. Mittlerweile ist davon nur noch das Hauptquartier in der Poststraße übrig geblieben und auch hier musste man Federn lassen. Ich war jedenfalls über die heutige Größe irritiert. In meiner Erinnerung war der Crazy Diamond aus dem Jahr 2009 riesig und hatte eine wirklich gut gefüllte Vinylecke, die es sieben Jahre später ordentlich zusammengeschrumpelt hat: Drei Fächer mit Jazz-LPs, allerdings löblicherweise auch mit Neuerscheinungen, etwa fünf Meter A - Z Sortierung mit Indie, Mainstream, Pop und Rock-Neuware und Reissues und etwa nochmal so viele Meter in der unsortierten 2nd Hand- und Nice Price-Gruschelkiste, auf die man schon nach zwei Minuten des Durchblätterns keinen Bock mehr hat. Insgesamt wirkt das Vinylangebot durch die Platzierung in der letzten Ecke des Raumes etwas stiefmütterlich und lieblos, und die Tatsache, dass außer Herrn und Frau Dreikommaviernull in den knapp 30 Minuten Aufenthalt niemand sonst den Laden betrat, lässt mich am viel zitierten Hype ums schwarze Gold zweifeln. In Heidelberg ist er garantiert noch nicht angekommen. 

Und auch hier ein vorweg genommenes Fazit: er sollte sich auch bei den kommenden Stationen nicht zeigen.


Das Vinyl Only (Grabengasse 8) hatte ich dieses Mal gar nicht erst auf dem Zettel. Der wie der Crazy Diamond auch über die Grenzen Heidelbergs hinaus bekannte Laden machte schon 2009 mit Apothekenpreisen, unsympatischen Typen hinter dem Tresen, auffällig vielen Platten in auffällig schlechtem Zustand keinen guten Eindruck und scheint in erster Linie von seinem Namen und dem guten Ruf aus früheren Jahren zu leben. Da das Wetter allerdings innerhalb von wenigen Minuten von hochsommerlichen 30°C und Sonnenschein in Platzregen, Sturm, Blitz, Donner und Hagel umschwenkte, ich außerdem mit Stoffschuhen und kurzer Hose eher für einen Strandtag in Ibiza und nicht für eine nasskalte Schlammpfütze ausgestattet war, flüchtete ich in Richtung des Vinyl Only. Wenigstens trocken. Und wer weiß, vielleicht hat sich ja was verändert. Ein in die offene Eingangstür gestellter Postkartenständer versperrte mir indes den Weg und zwei dahinter sitzende junge Typen grinsten mich leicht dümmlich an und teilten mir um 14:17 Uhr mit, dass sie "neuerdings Siesta" hielten und erst um 16:30 Uhr wieder öffnen würden. "Tschüüühüüüüß!" 

Wie ich eben gesehen habe wird das Vinyl Only gemäß der Meldung auf Facebook von 9.Juni 2016 endgültig schließen. Wieder einer weniger.


Weiter geht's im zweiten und letzten Teil - Fortsetzung folgt.


04.04.2015

Rock Hard, Ride Blöd

Wenn es in der für mich so wichtigen und wegweisenden Phase meiner Adoleszenz ein Magazin gab, das ich vermutlich sogar manches Mal über Gebühr verschlungen und ernstgenommen habe, das mir unzählige neue Bands ans pubertäre Herz legte, das die frühen Entwicklungen im Death Metal ganz selbstverständlich mit der aufkeimenden Alternative- und Grunge-Szene verknüpfte und in einem Heft abbildete, und also auch in dieser Hinsicht dafür sorgte, dass ich innerhalb der harten Rockmusik keine Scheuklappen kannte und eben alles hörte, was mir Stratmann, Kühnemund, Schäfer, Albrecht und Trojan auf dem Silbertablett anboten; mit genau dessen Schreibern ich mich identifizierte und von denen ich annahm, sie seien zwar irgendwie "Kritiker", aber eben in erster Linie Fans, die vor allem hinsichtlich der bedenklichen politischen Auswüchse in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre eine klare und unbeugsame Haltung hatten, und die sich darüber hinaus über die Vorbildfunktion und ihren "Auftrag" als Sprachrohr der deutschen Metalszene im Klaren waren, dass sich die braune Brut nämlich gefälligst aus genau dieser Szene verpissen soll, auch weil sie keine Andockstelle finden wird, um ihre Ideologie unter den Metalkids zu streuen, denn dafür würden sie, das Magazin und seine Schreiber, schon sorgen - dann war es das in Dortmund ansässige Rock Hard.

Und ich las jedes erschienene Heft im Zeitraum zwischen 1988 und 2001 bis zur letzten Zeile leer.

Für ein erstes Stirnrunzeln unter jener Leserschaft, die das Rock Hard vor allem für seine Undergroundtipps im Bereich der abseitigen, noch in den Kinderschuhen steckenden Subgenres liebten, sorgte die schon sehr früh platzierte Hofberichterstattung für die Knallköppe der Böhsen Onkelz, die in erster Linie vom damaligen Chefredakteur Götz Kühnemund ins Blatt gedrückt wurde, gerne auch unter dem Schleier des ernsthaften und kritischen Journalismus: "Wir tun das, was sich keiner traut und setzen uns mit der Band auseinander. Wir glauben nicht die Verleumdungen der Massenmedien. Wir stellen kritische Fragen. Wir bilden uns selbst ein Urteil." Dass die Redaktion damit an dem Masterplan von Oberonkel Weidner begeistert mitstrickte und insofern selbst instrumentalisiert wurde - bon, das konnte man als schreibender Fan dann wohl nicht mehr erkennen. Dafür konnte man sich nach dem endgültigen Durchbruch der Band schön ans Revers heften, schon ganz früh mit dabei gewesen zu sein. Auch Fans haben dann und wann ein Ego, das befriedigt werden will.

Als die Frankfurter zum ersten Mal auf dem Titel des Rock Hard zu finden waren, konnte ich es kaum glauben. Was war passiert? Die haben doch jahrelang dafür geschrieben und gekämpft, dass Dumpfbacken wie David Vincent aus dem Heft verschwanden, haben Interviews mit damaligen Vollidioten wie Glen Benton und Dark Throne wegen immanent zur schau gestellter Vollverblödung vorzeitig beendet - und jetzt kommen die Onkelz auf den Titel? Wir sprachen doch eben noch von Dream Theater, Voivod, Watchtower, Atheist, von Heir Apparent, Hades, der emotionalen Kraft von Pearl Jam und Alice In Chains, der Innovation und Progressivität von Janes Addiction und Ministry, von Kunst und Hochkultur - jetzt kommt also die Eisenzeit ins Heft? Niemand, der damals ohne zu Stolpern bis 4 zählen konnte, konnte das verstehen. Die Onkelz waren in meiner "alten" Szene niemals akzeptiert. Auch dieser redaktionelle Offenbarungseid konnte daran nichts ändern.

Die Jahre nach 2001 sind schnell erzählt: ich las das Heft nicht mehr. Zum einen war die Hysterie um die Onkelz auf dem Höhepunkt angekommen, zum anderen war ich vom Metal und vom Heft furchtbar gelangweilt. Meine Hörgewohnheiten änderten sich, die Zeit des Rock Hard war vorbei.

Und sie ist es bis heute, wenngleich ich immer noch, und sei es nur emotional und trotz mittlerweile ausgetauschter Führungsmannschaft und Redaktion, noch mit dem Heft verbunden bin. Jedes Mal, wenn ich "Facelift" von Alice In Chains auf den Plattenteller lege, muss ich an Kühnemunds Schlusssatz der Rezension denken - "Echter Rock'n'Roll kommt immer noch von der Straße, mitten aus dem Dreck - und ALICE IN CHAINS stinken wie die Schweine! " - und daran, dass er in Ermangelung einer passenden Schublade die Band in den Bereich des "Street-Metal" einsortierte (was auch die Frage provoziert, was zum Fick denn jemals Street Metal gewesen sein soll). Bei jedem Hören von "Killing In The Name" von Rage Against The Machine flüstert mir Herausgeber Stratmann ins Ohr, dass die Platte demnächst in jeder guten "Alternative-Zappelbude" laufen wird. Und er hatte recht. Stratmann hatte zu jener Zeit Anfang der neunziger Jahre immer ein gutes Näschen für die neuen Hits. Stratmann hatte wenigstens eine Idee von Geschmack. Stratmann wusste was geht - und was nicht geht.

Gebröckelt hat diese Fähigkeit zur unfallfreien Navigation durch die Untiefen einer im schlechtesten Sinne mehr und mehr indifferent gewordenen Szene in den letzten Jahren, in denen ich die Inhalte und Entwicklungen im Heft noch am Rande mitverfolgte, mehr als ein Mal, und so holte man sich so einige Musiker und Bands ins Heft, die in dem ein oder anderen Genre eine monatelange Diskussion zur Grauzone ins Rollen gebracht hätten - in der Metalszene der Nuller Jahre herrscht dagegen weitgehend stoische Lethargie. Watain, Drudkh ("zwielichtig (...), aber besonders gelungen" - Dorian Gorr), Burzum - letztgenannte wurden als Erschaffer einiger echter Meilensteine des Black Metal gefeiert; textlich vielleicht nicht ganz einwandfrei, ideologischer Fixpunkt des National Socialist Black Metal (NSBM) aber hey: die Platten sind legendäre Szeneklassiker.

Und sie sind natürlich ein rechter, faschistischer, menschenverachtender Quadratscheiß, dafür aber einer, der mittlerweile in der Mitte der Szene angekommen ist. Es ist absurd (no pun intended!), dass wir einerseits davon sprechen, wie sehr Metal als Kunstform mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert ist, während andererseits die politische Debatte über den Standpunkt der Szene vollkommen zum Erliegen gekommen ist.

"Metal war schon immer unpolitisch." - Ja, und Du warst offenbar intellektuell schon immer ziemlich übersichtlich veranlagt, denn es geht sich halt einfach partout nicht aus: mein Metal war nie unpolitisch. Er war albern, pubertär, manchmal geschmacklos - aber er war eben nie unpolitisch.


Stratmann hat mittlerweile sein Mojo wohl endgültig verloren.

Ich habe gestern gesehen, dass nach einem Interview in Ausgabe 304 aus dem Jahr 2012 im aktuellen Heft tatsächlich schon wieder ein Interview mit den Schwachstromelektronikern von Freiwild zu finden ist. Geführt von Jan Jaedike, der seit 1993 für das Heft schreibt und traditionell aus dem Punk- und Hardcorebereich kommt - Discharge, 7 Seconds, Napalm Death, Leatherface, The Exploited - jetzt also Freiwild:

"Die Mischung aus Rock, Punk, Pathos und einer nach wie vor unüberhörbaren Schlager-Affinität funktioniert auf dem Doppelalbum (!) besser denn je. Die erste Single ´Wir brechen eure Seelen´ entpuppte sich bereits als Ohrwurm mit anständigem Punch, und auch sonst servieren der kreative Alleinherrscher Phillip Burger (g./v.) und seine Mitstreiter einen Reigen, der zwar immer wieder in latenter Schunkelei wildert, aber - jetzt mal ehrlich - das gesamte Gedöns ähnlich gestrickter Top-Ten-Konkurrenten locker in die Tasche steckt." (Jan Jaedike)

Spätestens jetzt darf man überlegen, dem Dortmunder Magazin beide emporgereckte Mittelfinger zu zeigen.

Jungs, Ihr habt echt den Schuss nicht mehr gehört.

17.05.2013

Tout Nouveau Tout Beau (8)

Wir bleiben nochmal für fünf Minuten bei der härteren Gangart. Zwei Plattenläden meiner Wahl kauften in den letzten Wochen große Sammlungen alter Metalalben der achtziger und neunziger Jahre an, und in einem solchen Fall lasse ich bekanntermaßen gerne alle Hüllen fallen. Es gibt immer noch so irrsinnig viele unentdeckte Perlen - oder eben längst Vergessenes, das somit wieder auf den Schirm kommt, dass es einfach einen Riesenspaß macht, durch die scheinbar unendliche Flut neuer alter Musik zu tauchen.

Deswegen in der heutigen Ausgabe der "Neue Besen kehren gut"-Reihe: schweres Metall im Zeichen der Schaufel.




BURNT OFFERING - BURNT OFFERING

Eigentlich eine Unfassbarkeit, diese Platte überhaupt in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Speziellen zu finden, aber irgendein verrückter Thrashfreak muss sie sich Ende der achtziger Jahre als Import aus den USA besorgt und gut 24 Jahre später in der Second Hand Abteilung eines schwäbischen Plattenladens geparkt haben. Burnt Offering spielten sich aus der Underground Thrashszene Chicagos in einen Plattenvertrag mit Walkthrufyre Records und veröffentlichten dort 1989 ihr selbstbetiteltes Debutalbum. Logischerweise fernab von Majorproduktionen der damaligen Zeit, rumpelt sich das Quintett durch elf furiose und naive Thrashsongs, kaum einer länger als dreieinhalb Minuten, und es ist in erster Linie der Drummer, der mit völlig abstrusen Breaks und der ein oder anderen Timingschwankung für einen Hauch von Komik sorgt. Ich habe ja eine Vorliebe für diesen seltsamen Undergroundkram, sofern er das Feeling der Akteure widerspiegelt - dann sehe ich auch gerne über spielerische oder klangliche Unzulänglichkeiten hinweg. Streicht den letzten Halbsatz, im Prinzip ist's mir dann schlicht scheißegal. Wer auf rauhen, unpolierten Undergroundthrash abfährt, macht sich am besten auf in Richtung

http://burntofferingmetalband.com/CD.shtml

- dort lässt sich übrigens auch der knapp 10 Jahre später erschienene Nachfolger "Walk Of The Dead" für einen Fünfer runterladen.

Erschienen auf Walkthrufyre Records, 1989.




INCUBUS - BEYOND THE UNKNOWN

Die einzig wahren Incubus kommen aus Louisiana und waren bei einigen Typen, die Anfang der neunziger Jahre mit mir die Schulbank drückten, der heiße Scheiß schlechthin, was sich besonders an der Anzahl derer ablesen ließ, die mit entsprechend ausgiebig getragenen und spätestens nach drei Wochen sehr geruchsintensiven Bandshirts herumprovozierten. "Beyond The Unknown" ist das zweite Album des Trios und aufgrund des Gesangs strenggenommen eher dem Death Metal zuzuordnen, dabei waren Incubus ursprünglich eine lupenreine Thrashband. Ihr Debut "Serpent Temptation", möglicherweise auch ein Kandidat für meine Alltime Top 20 Liste des Thrash, ist eine tollwütige Thrashkeule, die in Blitzgeschwindigkeit alles zum Einsturz bringt und nur Staub und Asche hinterlässt. Aber auch auf "Beyond The Unknown" lassen sich die Wurzeln der Combo noch nachverfolgen: der Drive ihres Gehackes ist legendär, die Riffs sind gnadenlos exakt auf den Punkt gespielt, die Geschwindigkeit immer noch extrem hoch. Es ist lediglich die tiefe Röchelstimme, die "Beyond The Unknown" im Vergleich zum Debut ein bisschen an die Leine legt. Für die nun Interessierten ein Warnhinweis: die Band hat auf einem späteren Reissue von "Beyond The Unknown" auch das Debut mit auf die CD gepresst, allerdings mit neu aufgenommenen Vocals, die sich stilistisch eindeutig am Nachfolger orientieren. Das kann eine herbe Enttäuschung werden - sofern man das Original kennt. Und kennt man es nicht, ist das der eigentliche Fehler. Mit drei Klicks wird man auf Google fündig, aber das wisst ihr nicht von mir.

Erschienen auf Nuclear Blast, 1990.





DEMOLITION HAMMER - TIME BOMB

Ist die Rede von Demolition Hammer, kommt man nicht an der Erwähnung ihrer beiden Großtaten "Tortured Existence" (1990) und vor allem "Epidemic Of Violence" (1992) vorbei, die beide längst im Thrash Metal Kanon verankert sind. Die Band aus New York fiel jedoch nach dem 1992er Album zur Hälfte auseinander: Gitarrist James Reilly und Drummer Vinnie Daze verließen die Band, weil sie den angedachten musikalischen Kurswechsel der beiden verbliebenen Mitglieder Steve Reynolds und Derek Sykes nicht mitgehen wollten. Reynolds und Sykes wurden am Schlagzeug künftig von Drumtier Alex Marquez unterstützt, der folgerichtig auch "Time Bomb" aufnahm.

Tatsächlich ist vom ehemaligen Hochgeschwindigkeitsgebretter der Band nicht mehr viel übrig geblieben. Das Album, das der Aussage Reynolds zufolge unter einem neuen Bandnamen hätte veröffentlicht werden sollen und nur auf Initiative des Labels unter Demolition Hammer erschien, fiel bei der Anhängerschaft folgerichtig gnadenlos durch. Zum einen wäre zu diskutieren, ob es 1994 überhaupt noch ausreichend Thrash-Fans gab, zum anderen weicht "Time Bomb" signifikant von der wahren Thrashlehre ab - und Metalfans können in einem solchen Fall traditionell sehr ungemütlich werden. Die elf Tracks bewegen sich weitgehend im groovigen Midtempobereich, sind ultrakompakt, beschränken sich in der Hauptsache auf das Ausspielen von simplen, treibenden, fast schon hardcorigen Riffs und kommen bis auf eine zehnsekündige Ausnahme bei "Blowtorch" komplett ohne Gitarrensoli aus. Herausragend ist dafür nach wie vor die wahnsinnige Stimme von Frontmann Reynolds, der nicht für eine Nanosekunde daran denkt, stimmlich etwas auf die Bremse zu treten - und damit den Sound des Albums nachhaltig prägt: "Time Bomb" ist geradezu unanständig heavy. "Time Bomb" ist angepisst. "Time Bomb" ist räudig. Und damit steht es den beiden Vorgängern praktisch in Nichts nach.

Erschienen auf Century Media, 1994.