SAM McQUEEN - DREAMS IN SEPIA
Technisch ist "Dreams In Sepia" kein Kandidat für eine Bestenliste des Jahres 2020, eher einer für die "Beste Reissues"-Aufstellung: das japanische Label Blue Arts Music veröffentlichte das Solo-Albumdebut des Produzenten aus Chicago bereits im Jahr 2019 auf CD und in digitalen Formaten, bevor Ende 2020 das Mojiba-Tochterlabel a.r.tless aus Berlin mit einer Vinylversion nachzog. Ich schlief leider im übertragenen Sinn auf der colorierten Variante, die mit ihrer farblichen Abstimmung zum sowieso fantastischen Coverartwork von Kilian Eng so herzzerreißend wundervoll ausschaut und vermutlich aus genau jenem Grund schneller ausverkauft war als ich "Piep" piepsen konnte, und musste mich also mit der schwarzen Standardpressung begnügen. Aber alleine das Cover...also...DIESES COVER!
Sam McQueen ist ein Veteran der Technoszene Chicagos; u.a. war er im Duo mit John Beltran und als Co-Produzent an dem Klassiker "Indio" des gleichnamigen Projekts aus dem Jahr 1999 beteiligt, das übrigens im vergangenen Jahr vom spanischen Subwax Excursions Label ebenfalls erstmals auf Vinyl veröffentlicht wurde. Auf "Dreams In Sepia"...ich würde jetzt gerne weiter schlau daherreden, von den Anfängen des UK-Techno zu Beginn der 1990er Jahre, vom Berlin-Sound der Mittneunziger, Detroit Techno und früher Ambient-Produktionen, aber ich sag's jetzt einfach wie's ist: ich habe keine Ahnung, was hier passiert. Es ist kein Techno, es ist kein House, es ist kein IDM, kein Broken Beat, kein Ambient. Es ist all of the above.
"Dreams In Sepia" ist so beruhigend wie aufgeputscht, so pastell wie neon, so träumerisch und melancholisch wie dynamisch und funkelnd. Dazu höllisch komplex - wenn ich noch einmal höre, elektronische Musik sei monoton und flach, bekomme ich einen Schreikrampf: die mehrschichtigen Beat-Verdichtungen, die entgegen aller Vernunft wie blindlings eingeworfenen Basslines, die flächigen Sci-Fi-Ambientstreicher, die sich mit den scheinbar unendlich weit aufgezogenen Melodiewolken einen neuen Fluchtunkt nach dem anderen bauen. So entstehen Momente voller "Sonnenaufgang am Sandstrand"-Euphorie wie in "Fathoms", vom Leben berauschtes After Hour-Geflimmer in "Wicker Park Sunrise", das verspielt-verdaddelte Freigeist-Gezippel in "Then And Now" und das im Orionnebel herumschwebende "Awaken From A Dream". Und darüber hinaus Momente, die manchmal so unwirklich, so surreal, so weit in der Zukunft zu liegen scheinen, dass der Science Fiction-Film, der als Untermalung für diese Musik dienen soll, erst noch erdacht werden muss.
"Dreams In Sepia" ist beeindruckend - weniger im Sinne eines technischen Gefuchtels, als viel mehr in der Idee der Vereinigung, des kollektiven Bewusstseins in und durch Raum und Zeit.
Ich glaube, man wird über dieses Album noch viel nachzudenken haben.
Erschienen auf Blue Arts Music, 2019/a.r.t.less, 2020.