Posts mit dem Label downbeat werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label downbeat werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

11.08.2024

Keno & Tristan De Liege - Transatlantyk




KENO & TRISTAN DE LIEGE - TRANSATLANTYK


"I have one question and then I have to go." (Larry David)



Fucking hell, wie oft wollte ich schon etwas über diese Platte schreiben? I'm the overlord of the procrastination army. 

Ich lernte die Musik von David Hanke's Downbeat-Flagschiff Keno bereits im Jahr 2018 kennen, damals mit dem Debut "Around The Corner". In meinem damaligen Post auf Instagram schrieb ich:



"Instrumental downbeat and lush electronica from David Hanke. Somewhere between Thievery Corporation, De-Phazz and Bonobo. Beautiful pressing made by Pallas on 140g vinyl. Alina says it makes you yearn for summer - but it also works well at the very beginning of spring with your first cup of coffee on a Sunday morning"


Mittlerweile ist es August 2024, wir stehen knietief im Sommer - und seit einigen Wochen trägt mich "Transatlantyk", bereits im Oktober 2020 veröffentlicht, wie bestellt durch den sonntäglichen Kladderadatsch aus Hausarbeit, gechilltem Durchatmen und der kleinen Angststörung in unserer Straße. Nach "Around The Corner" - immer noch eine wirklich tolle Platte - verlor ich David aber aus den Augen und den Ohren. Erst Anfang 2023 stieß ich über einige bizarre Umwege und wahrscheinlich auch mit einer großen Portion Zufall auf einen Kommentar auf Discogs, dem Epizentrum der prätentiösen Pissnelken aus Schallplattenhausen. User TobiTobsucht schreibt:

"If you like early 2000s relaxed downtempo tracks like from Bonobo or Blockhead, then you have to listen to this little secret."

Und ich erinnerte mich. An Keno, an "Around The Corner" und an den Frühling. "Transatlantyk" musste also mein neuer Mitbewohner werden. Ich werde ja auch stets magisch von Platten angezogen, die niemand auf dem Schirm hat. Die unter aller Radar existieren, die keine Aufmerksamkeit bekamen, die schlicht in dem schier endlosen Meer aus Musik und Geräusch untergingen. Die dem ubiquitären Geplärre von untalentierten, von Marketingagenturen durchgestylten und von Businessmanagern hochgejazzten, von wirtschaftlich abhängigen und dem Großkapital hoffnungslos ergebenen "Redaktionen" auf Spotify, Deezer, Apple Music und wie der ganze verschissene Haufen aus den Arschritzen von Daniel Ek und Steve Jobs noch so heißen mag, hochgepushten Schreihälsen nichts entgegenzusetzen hatten - und die das nicht verdienten. Ich möchte offen sprechen: Wir suchen doch alle diese Platten. Wir suchen doch nach all dem, was nicht sowieso schon überall an jeder Straßenecke rumliegt. Wir suchen nach den Underdogs. Etwas, das außerhalb der Money-Bubble einen Wert hat, eine Verbindung aufbaut, was uns berührt. Was zu uns gehört. "Transatlantyk" ist eine dieser Platten. Die muss gehört werden.

Auf das Gerüst aus eleganten Downbeat-, Future Jazz-, und Hip Hop-Elementen, die den unwiderstehlichen Groove im Layer 1 ausrollen, ihn so leichtfüßig, so erfinderisch, so durchlässig machen, setzen David Hanke (Lübeck) und Tristan De Liege (Los Angeles) melodische Leuchtfeuer in die Architektur, die Melancholie, Sehnsucht, Fernweh und Introspektion an die Wände tapezieren. Emotionale Verdichtung im Sepiafilter seinerseits, andererseits der schwungvolle, klare Verve im Beat- und Groove-Unterholz. Vor allem die C-Seite mit dem leidenschaftlichen "Nikosi" und dem durch alle Aggregatzustände gleitenden Titeltrack, der mir zusätzlich und wie von Geisterhand Nuancen ins dritte Auge hämmert, die ich als "maritim" beschreiben könnte, wenn nicht müsste. Ich weiß nicht, wo's herkommt - aber es ist da. 

Dazu öffnet die französische Sängerin Élodie Rama bei drei Songs zusätzliche Ebenen der Ansprache. Auf "Speak The Language", "Dancing In The Dark" und "To Find A Way" schummelt sie einen verführerischen Pop-Appeal in den Sound, der an die großen Namen des Geschäfts (sic!), wie Morcheeba oder Bonobo denken lässt. 

"Transatlantyk" ist ein vielschichtig und elegant inszeniertes Album, das viel, viel mehr Zuhörer verdient hat. Am besten zu genießen, wenn sich das "unvergessene" (Schmidt) Motto des "unvergessenen" (Schmidt) Harald Juhnke über einen ruhigen, gemächlich vor sich hin dampfenden Sonntag legt:

"Keine Termine und leicht einen sitzen." 

Light em up!





P.S.1: Keno heißt mittlerweile Lehto. Hier geht's zur Bandcamp-Seite.

P.S.2: Auf Bandcamp gibt es das "Transatlantyk"-Doppelvinyl im Bundle mit der Vinylfassung der ebenfalls prächtigen Remix-Sammlung "Out Past The Current" (ebenfalls eine Doppel-LP) für gerade mal 45 Euro direkt vom Scheff persönlich



Erschienen auf Bathurst, 2020. 


16.05.2021

Sonst noch was, 2020?! (8) - Inhmost - Everything Is New



INHMOST - EVERYTHING IS NEW

Ein magisches Album - das leider sehr unmagisch viel zu spät im Sossenheimer Kiez landete und für die Jahresliste 2020 nicht berücksichtigt werden konnte. "Everything Is New" hätte die Top Ten andernfalls im Sturm genommen. 

Es beginnt beim umwerfenden Artwork der ukrainischen Künstlerin Anna Liberté, geht über das Berliner Qualitätslabel La Luna, über eine fantastisch reich und voll klingende sowie absolut fehlerfreie Pressung und endet bei der Musik von Simon Huxtable (u.a. auch als Aural Imbalance und Kloor unterwegs), dem Soundtrack eines märchenhaften Traums. 

Die Vibes auf "Everything Is New" sind subtil. Vibrierende Synthiefäden flimmern über den Horizont, die wie schwerelos in der leichten Brise schwingenden Beats sind gleichermaßen lush wie crisp, die melancholischen Melodien bauen die Gehirnchemie um und stellen den Schalter im Dachgeschoss wie von Zauberhand auf "Das Leben Ist Schön". Und unter all dem hat Huxtable den eigentlichen Nährboden ausgerollt: sein Storytelling reicht von mystisch und entrückt bis hin zu dramatisch und expressiv, von isolierter Introvertiertheit bis zur Sehnsucht nach Verbindung und Gemeinschaft - und skizziert damit die Kulisse dieses Albums: Aufbruch, Mut, Zweifel - und das vielleicht Wichtigste: Vertrauen. 

Aufgefüllt und zu Leben erweckt werden jene Skizzen mit einer gelassenen "Keine Termine und leicht einen sitzen"-Atmosphäre im dämmernden Licht eines Sonnenuntergangs am abgelegensten und einsamsten Sandstrand des Universums, ketamingeschwängertem Downtempo-Swing, reichaltigem Ambient-Farbauftrag und sich durch das gesamte Album ziehende Texturen; feine Variationen, die immer weiter am Überbau von "Everything Is New" arbeiten, während sie selbst wie Farbtropfen im Wasser stets neue Gestalten annehmen - und sich zum Schluss verbinden und Eins werden.

"Everything Is New" wird bleiben. An solche Alben erinnert man sich ein Leben lang, und ich weiß jetzt schon, dass ich sie in ein paar Jahren in die Hand nehmen werde und mich etwas sagen höre, das klingt wie "Das ist eine ganz, ganz tolle Platte."


 



Erschienen auf La Luna, 2020. 

09.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: George Fitzgerald - Fading Love




GEORGE FITZGERALD - FADING LOVE


Der Sommer 2015 mit dieser Platte im Reisegepäck wird unvergessen bleiben. Wir verbrachten einige Tage bei der Familie in Lübeck und fuhren jeden Tag mit dem Auto an einen Hundestrand an der Ostsee (Fabbi liebt den Strand!), und was schon auf der sechsstündigen Anreise offensichtlich war, dass wir also unsere Sommerplatte des Jahres gefunden hatten, wurde auf den täglichen Fahrten nur noch bestätigt: es verging keine Sekunde ohne "Fading Love". 

Bittersüße Melodien, Melancholie im Nicki-Strampler mit einem trockenen Martini in der Hand, Sonnenuntergänge im Sepiafilter. Herausragender Moment ist sicher die Single "Full Circle", die mühelos das gesamte Album tragen kann und bis heute Emotionen und Bilder hervorruft, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Im Grunde will man die Welt umarmen und dabei Rotz und Wasser heulen. Und weil das gleichzeitig eine sehr akkurate Beschreibung des eigenen Gemütszustandes am Rande des Wahnsinns ist, finde ich, das trifft's auch im Frühjahr 2020 noch ganz anständig. 





Erschienen auf Double Six, 2015.

26.04.2020

2010 - 2019 - Das Beste Des Jahrzehnts: Electric Wire Hustle - Love Can Prevail




ELECTRIC WIRE HUSTLE - LOVE CAN PREVAIL


Möglicherweise ist der Sound dieses Produzenten-Duos aus Neuseeland zu speziell und zu anspruchsvoll für den Mainstream - ich habe ansonsten keine Erklärung dafür, warum ganz besonders dieses Album so dermaßen unter jedem Radar blieb. 

Seit ihrem im Untergrund gefeierten Debut aus dem Jahr 2010 mit prominenten Fürsprechern wie beispielsweise Gilles Peterson, warte ich eigentlich auf den ganz großen Durchbruch für Electric Wire Hustle - stattdessen ist es nach ihrem letzten Album "The 13th Sky" beunruhigend leise geworden. "Love Can Prevail" ist ein Geniestreich: die Mischung aus Soul, Broken Beats, Jazz und Electronica ist völlig einzigartig, Songs wie "Loveless", "Light Goes A Long Way" oder mein Favorit auf Lebenszeit "Blackwater" oszillieren zwischen visionärem Sounddesign und Pop-Appeal, und das Video zur Single "By & Bye" ist in der künstlerischen Eleganz in Verbindung mit einem rastlosem, nie so recht ankommen wollenden Arrangement das Beste, was in den letzten zehn Jahren zu Klang gedreht wurde. 

Thinking Man's Urban Soul Party.





Erschienen auf Somethink Sounds, Okayplayer Records, 2014.


23.03.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Bonobo - Black Sands




BONOBO - BLACK SANDS


Wenn's mir eh keiner glaubt, kann mir ja eigentlich ab sofort alles egal sein: nach der ersten Minute von "Black Sands" wusste ich, wie außergewöhnlich die Patte, diese Musik ist. Ich war sofort an Plattenspieler und Lautsprecher gefesselt und schrie(b) Freund Jens umgehend auf allen erdenklichen Kanälen an: "ALTER! BONOBO! BLACK SANDS! MUSST DU HABEN!" - dabei wusste ich vor zehn Jahren schon nicht, was dieses gewisse Etwas ist, das dieses Album so besonders macht. Die umwerfende Stimme von Andreya Triana? Die klassischen Arrangements in Verbindung mit experimentellen Dubstep-Beats und jazzy TripHop-Vibes? Dass es verspielter und eindringlicher ist als die großen Momente der Thievery Corporation, dabei aber mindestens genauso lässig und unprätentiös? 

Hinter jedem Ton auf dieser Platte leuchtet auch zehn Jahre später ein Regenbogen aus purem Gold - und der damit ausgelöste Durchbruch war so folgerichtig wie verdient. Dass Bonobo aka Simon Green trotz des mit den beiden folgenden Alben "The North Borders" und "Migration" nebst triumphaler Tourneen sogar weiter ausgebauten Erfolgs an diesen zeitlosen Klassiker seitdem nicht mehr anknüpfen konnte, ist aber mindestens genauso wahr. 





Erschienen auf Ninja Tune, 2010.

06.02.2020

Best Of 2019 ° Platz 2 ° Purl - Violante (Lost In a Dream)




PURL - VIOLANTE (LOST IN A DREAM)


Es ist mittlerweile nahezu unmöglich, den musikalischen Spuren Ludvig Cimbrelius' zu folgen. Alleine die Supernerds von Discogs listen neun Aliasse des Schweden auf - und alle haben zig Veröffentlichungen über das vergangene Jahrzehnt auf unterschiedlichen Labels vorzuweisen. Wer soll da noch durchblicken? Und wer soll das alles hören?

Manchmal, wenn die Herzallerliebste und ich uns früh morgens zum ersten gemeinsamen K&K (Kaffee & Kuscheln) trafen, bevor die Welt da draußen Fahrt aufnahm und die mich bisweilen an den Rand mentaler und emotionaler Robustheit bringende Lohnarbeit nach mir rief, wenn also alles friedlich, alles nur Liebe, Glück und Freude darüber war, gemeinsam durch dieses verrückte Leben gehen zu dürfen, und "Violante (Lost In A Dream)" sich auf dem Plattenteller drehte, während wir das stimmungsvolle Coverartwork anschauten, dann dachte ich oft: eigentlich muss ich nie wieder etwas anderes hören. Alles, was ich bin, was ich fühle, was ich will, woher ich komme und wohin ich gehe, finde ich in dieser Musik. 

Details, die für neun Leben reichen. 

Tiefe bis zum Kontrollverlust. 

Schönheit, die zu Tränen rührt. 


Ludvig, you're a fucking wizard. 



Erchienen auf Archives, 2019.

31.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 4 ° Rhi - The Pale Queen




RHI - THE PALE QUEEN


Wer sich wie ich mit Vorliebe wie ein gelähmtes Faultier auf der Couch und im Bett herumräkelt, und sei's nur mental, um Wahnsinn sowie Getöse draußen in der großen, fiesen Welt die eiskalte Schulter, wo nicht gleich den ganzen nackten Arsch zu zeigen, der braucht dazu einen passenden Soundtrack, der mit völliger Leere im Blick gleichermaßen Wärme und Trost spenden kann. Wenn einem alles und jeder andere sowieso nur unangenehm auf die Pelle rückt, braucht man Abstand - und gleichzeitig eine Umarmung. 

Das bekiffte Elektrogeblubber der in London lebenden kanadischen Produzentin Rhi machte mich schon auf dem Debut "Reverie" ganz wuschig und obwohl sie die Formel ihres Sounds auch für "The Pale Queen" weitgehend beibehalten hat, also lasziv gehauchte Texte, die über eine minimalistische, aber tief dröhnende TripHop Landschaft wabern, ziehen mir künftige Klassiker wie "Droned", "How Deep" oder "Plain Jane" ("I'm a grunger, grunger, grunger babe, I'm a natural, natural, natural lady") ganz "schön" (Klinsi) den Schlüpper aus: das ist die keinste radikale Minderheit Schnittmenge aus totaler Apathie und tief empfundener Hingabe. 

Der Großstadtpuls für depressive Millennials. 



Erschienen auf TruThoughts, 2019. 



26.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 6 ° Illuvia - Milla




ILLUVIA - MILLA


Ludvig Cimbrelius ist mit seiner Musik schon seit langer Zeit ein Stammgast auf Dreikommaviernull und meinen Jahresbestenlisten. Egal unter welchem Namen der nimmermüde Schwede arbeitet und praktisch ohne Unterlass Alben, EPs und Einzelsongs veröffentlicht, ist sein Sound mittlerweile unverkennbar. 

Es gibt vielleicht keinen anderen Künstler im zeitgenössischen Ambient, der das Spiel mit Licht und Liebe, mit Spiritualität und der Lust am Leben und Erleben so in sein Werk einbringt wie Ludvig. "Milla" erschien im letzten Jahr unter seinem Alias Illuvia und wer das gleichnamige Album aus dem Jahr 2017 gehört hat, erkennt viele Merkmale dieses Projekts auch auf "Milla": tanzende Herzen, Seelentiefe, Bewusstseinswunder, der Fluss des Lebens zwischen Euphorie und Melancholie, die Berauschtheit an der Schönheit der Natur, Demut vor der Existenz. 

Alles ist hell. Alles strahlt. Alles in Ultra-HD mit Sonnenuntergangsfilter. Let the healing begin. 

P.S.: die Vinylversion bietet lediglich vier Songs (darunter ein Remix der genialen Primal Code), die Digitalversion hat dagegen alle Tracks im Sack. Zu haben auf Bandcamp.



Erschienen auf Hypnus Records, 2019.



21.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 8 ° Alfa Mist - Structuralism




ALFA MIST - STRUCTURALISM


Gute Nachrichten: Im Gegensatz zum Vorgänger "Antiphon" gibt es das Vinyl von "Structuralism" noch zu normalen Preisen, ohne dafür allzu komplizierte Moves an Tagen mit ungerader Stundenzahl aufführen zu müssen. Der Release des Debuts, beziehungsweise dessen Vinylversionen, wurde vom britischen Pianisten seltsamerweise strikt limitiert, weshalb selbst Nachpressungen mittlerweile nur noch selten unter 50 Euro zu haben sind. Ein aktuellerer Discogs Kommentar spricht im Zuge der "Öffnung" (sic!) davon, dass der Alfa Mist ja auch schließlich "ein Mann des Volkes" sei und er daher den Release von "Structuralism" auf allen Streamingplattformen erlaubt habe. Da kann man mal sehen.

Abgesehen von all dem Business- und Hype-Remmidemmi unterscheidet sich "Structuralism" in der stilistischen Ausprägung nicht fundamental von seinem Vorgänger und was ich an anderer Stelle, et medium: bei anderen Platten, oft lautstark und enervierend wortreich beklage, dass nämlich more of the same in erster Linie eine Geschäfts- und seltener eine Kreativentscheidung und außerdem wie Norwegen (lang und weilig; Hape) und also supersackfuckingöde ist, stört es mich hier nicht die Bohne: ich verbrachte mal eine ganze Stunde mit dem Opener ".44" auf Endlosschleife in der 50°C heißen Badewanne und ließ mir Hirn, Herz und Hämmorhoiden dampfmangeln, bevor ich das Album anschließend für fünf weitere Stunden in ebenfalliger™️ Endlosschleife über die Anlage in die DNA purzeln ließ. Viel Atmosphäre, viel Groove, viel Virtuosität, viele leise Töne und ein bis drölf Säcke Kudos für die großartige Rythmusabteilung (allen voran an den Drums: Jamie Houghton und Peter Adam Hill, mein liebster Youtube-Kommentar: "Drummer is sick in the head."), die mit ihren punktgenauen Akzentuierungen für Freudenschreie sorgen.

Die Jazzpresse findet's derweil offenbar eher unterwältigend, eine halbe Million Plays alleine auf Youtube für einen Undergroundjazzer aus England sprechen hingegen eine deutliche Sprache.

Vielleicht ist Alfa Mist ja doch und tatsächlich ein "man of the people."




Erschienen auf Sekito, 2019.

12.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 11 ° Toki Fuko - Spring Ray




TOKI FUKO - SPRING RAY


Geheimnisvoll. Hypnotisch. Nokturn. "Spring Ray" ist ein auraler Spaziergang durch einen tropischen Regenwald bei Nacht. Aus der Tiefe des Waldes sind Trommeln zu hören, die langsam lauter und zum Puls der Nacht werden. Das Zirpen der Insekten verwandelt sich in ein diesiges Hintergrundrauschen, die Blätter in den Baumkronen werden vom Wind geküsst. 

Je weiter wir in diesen Zauberwald eindringen, desto präsenter werden die tiefer liegenden Schichten dieser Musik: Einheit, Bewusstsein und Vertrauen. Und es zeigt sich, dass die Schatten der Dunkelheit nur in Deinem Kopf existieren. Wer sich darauf einlässt, wird zu einem besseren Menschen. 




Erschienen auf Silent Season, 2019.

08.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 13 ° 36 - Fade To Grey




36 - FADE TO GREY


Alben von 36, die auf Vinyl via A Strangely Isolated Place erscheinen, sind meist in Windeseile ausverkauft, und wer verspätet zum Vorverkauf erscheint, darf nur wenige Tage später den Blutsaugern auf Discogs die Ehre (und ein schön leergeräumtes Konto) erweisen. So erging es mir mit "Fade To Grey", weshalb ich zur Strafe einen grotesk hohen Betrag in Richtung, na klar: Berlin überweisen sollte. Immerhin noch bevor sich die Bandscheibe unseres Hundes meldete und ganz alleine den Jahresbonus auffraß. No food, just wax and dogs. 

Dennis Huddleston ist einer der Stars der Ambientszene und in solchen Momenten zeigt es sich auch abseits des Sammel- und Exklusivitätswahns heutiger Schallplattensammler. "Fade To Grey" ist der Einsamkeit und der Isolation gewidmet, die aus unserem Social Media-Kladderadatsch entsteht, die uns von unserem Selbst entfernt, uns sowohl durchlässig und verletzlich, als auch hart wie Beton macht. Es ist ein elegisches Werk für eine Zeit ohne Empathie. Ein Werk, das den leeren, emotionslosen Blick gegen die weiße Wand vertont, gleich einer Embryonalstellung der Seele gegen den Weltschmerz. Interessanterweise klingt "Fade To Grey" dabei nicht dunkel oder abgründig, sondern leuchtet im Gegenteil hell und heiter - wie ein Abbild unserer Realität zwischen sinnbetäubender Euphorie und bodenloser Tristesse. 

Einer wird gewinnen.

"Considering the landscape of our own world right now, where a handful of companies control everything we consume, where convenience is more important than privacy, where personal choice is pre-determined by algorithms analyzing our behavior, and where the internet has become a battleground for influence and propaganda... It's not a stretch of the imagination to believe we're already witnessing our very own dystopia."




Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2019.

06.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 14 ° Segue - The Island




SEGUE - THE ISLAND


Und wieder mal passt alles zusammen. Das atmosphärische Cover-Artwork, das DIE_INSEL inmitten eines ruhig liegenden Meeres zeigt, inklusive leichter Diesigkeit und einem ja auch irgendwie kitschigen Sternenhimmel, Jordan Sauers immer noch von Sonne, Waldboden und "Aqua" (Lagerfeld) geküsste Musik und das Label Silent Season, das die musikalische Auseinandersetzung mit der Natur zur Voraussetzung für jede Veröffentlichung macht. 

Zu "The Island" heißt es: 

"Four thousand years ago, Western Canada's First Nations people migrated into the fjords and rainforests carved out by the retreating glaciation of the last Ice Age. The Island is a tribute to Canada's prehistory and the spiritual journey of a people entering a forever-altered landscape to call their home." 

Dabei hat Segue ähnlich wie die Labelkollegen von Wanderwelle die exklusive Dub Techno Schublade längst hinter sich gelassen und verwendet bisweilen nur noch vage herumflirrende Erinnerungen aus seinem Instrumentenkoffer. Was Sauer in dieser Hinsicht vielleicht so gut kann wie kaum ein anderer: seine Sounds und Songs malen Bilder in deinen Kopf. Lassen dich Wärme und Kälte spüren, manchmal sogar die Luft von der Umgebung schmecken, in die er dich gerade hineingezogen hat. 

"The Island" schickt dich in Urlaub, in die unberührte, raue Natur. Soziale Isolation in der Verbundenheit mit Mutter Erde - ich finde das selbst 6 Jahre nach dem Klassiker "Pacifica" noch immer hoffnungslos attraktiv. 




Erschienen auf Silent Season, 2019.

03.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 16 ° Flying Lotus - Flamagra



FLYING LOTUS - FLAMAGRA


Die gute Nachricht zuerst: "Flamagra" ist wieder deutlich inspirierter ausgefallen als der Vorgänger "You're Dead", das bis heute einzige FlyLo-Album, das den bitteren Gang zum Second Hand-Dealer antreten musste. Dennoch war auch das sechste Studioalbum zunächst ein Wackelkandidat für die Top 20. Vermutlich ist es meine Erwartungshaltung, die mir (und ihm) immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen will, vielleicht macht man ein Album wie "Cosmogramma" aber auch wirklich nur einmal im Leben. Denn auch wenn die Musikredaktionsstuben zwischen zwei Mariacron aus dem Rollcontainer immer noch derart vehement die seit vielen Jahren bekannten zentralen Aspekte des Sounds von Flying Lotus betonen, erkenne ich zumindest stilistisch nichts bahnbrechend Neues auf "Flamagra" - natürlich ist die Detaildichte seines Sounds immer noch hoch, natürlich sind das immer noch die bizarren, übergroß auf die Kinoleinwand projizierten Science Fiction-Drehbücher und natürlich lassen sich selbst in den etwas zurückgenommeneren Momenten noch mehr eingebaute Bells & Whistles in diesem wahnsinnig kuratierten Gedankenfluss finden, als bei jedem anderen Remmidemmi-Produzenten. Was Flying Lotus für mich indes so einzigartig macht, sind seine Interpretationen von Jazz und Hip Hop und deren Verschmelzung in postmoderne Lebensrealitäten.  

Jede der rund 6420 Sekunden von "Flamagra" scheint für einen klitzekleinen Moment ein Bewusstsein darüber zu haben, woher sie kommt und wohin sie geht  Und jede einzelne erzählt in atemberaubender Geschwindigkeit Mikro-Poesie vom Anfang und vom Ende ihrer Welt - und aus diesem virtuellen Netz von Gedanken, Ideen, Hoffnungen und Enttäuschungen speist sich der ganze gottverdammte Scheißkosmos. Blingbling. 



Erschienen auf WARP Records, 2019.

02.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 17 ° Orgone - Reasons




ORGONE - REASONS


Der sehr geschätzte und vor allem loyale Leser dieses Blogs weiß es: ich habe einen Narren an dieser Band gefressen. Seit ihrem "Cali Fever" Album aus dem Jahr 2010 verfolge ich die Wege des Funk-Kollektivs und belästige es auf allen verfügbaren Kanälen des Internets (bislang erfolglos) mit der unterwürfigen Bettelei, doch bitte endlich eine Tour durch Deutschland zu buchen. Stattdessen nehmen sie regelmäßig neue Platten auf, die in erster Linie als Standortbestimmung zu dienen scheinen, als Skizze des derzeitigen Entwicklungsstands. Seit einiger Zeit marschiert die Combo aus den noch etwas räudigen San Francisco-Funkbecken in den etwas smootheren Bereich der Bar, in dem die Sessel mit rotem Samt bezogen sind. Vielleicht steht man mittlerweile mit einem Bein sogar in den 1980er Jahren - und das nicht nur wegen der Extraportion Weichzeichner-Aura des Coverartworks: Was die Entwicklung für den Vorgänger "Beyond The Sun" bereits andeutete, zieht bei "Reasons" nun noch etwas weiter in Richtung Disco und California Rock durch. Und während ich noch die Stirn in Falten lege, ob das möglicherweise dieses Mal nicht vielleicht doch ein bisschen zu viel des Guten ist, überfällt mich der unwiderstehliche Groove dieser Götterband schon im Opener "All Good Things" wie eine amoklaufende Adrenalinspritze auf der Tanzfläche. Alles gekrönt von der immer noch atemberaubend singenden Queen Adryon de Leon, die die kalifornische Sonne in ihren Stimmbändern eingebrannt hat. 

Süchtig machende Energie im Zeichen der Discokugel. 



Erschienen auf Killion Sound, 2019.

31.12.2019

Best Of 2019 ° Platz 18 ° Ishmael Ensemble - A State Of Flow




ISHMAEL ENSEMBLE - A STATE OF FLOW


England brodelt. Nicht nur politisch, aber auch ganz besonders kulturell. Sicher, die seit Jahren florierende Jazzszene, und hier besonders das Epizentrum in London, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr; sie wird auch außerhalb der Landesgrenzen wahrgenommen und gerechterweise gefeiert. Das Ishmael Ensemble um den aus Bristol stammenden Produzenten Pete Cunningham scheint sich jedoch noch etwas unter dem Radar der bekannteren Namen Shabaka Hutchings, Nyubya Garcia oder Alfa Mist aufzuhalten: das Debut "A State Of Flow" heimste zwar fleißig Lorbeeren von den üblichen Verdächtigen wie Gilles Peterson ein, läuft aber immer noch als Geheimtipp durch's 2019er Musik-Dickicht. Umso mehr freue ich mich darüber, diese Platte gefunden zu haben - so zahlt sich die jeden Monat wiederholende und stundenlange Suche nach neuer Musik aus. 

"A State Of Flow" ist eine Fusion aus Bonobo'scher Leichtfüßigkeit, der Tiefe des Cinematic Orchestras, Kieran Hebdens Progressivität und den Emotionen des Submotion Orchestras: Jazz, Electronica, Soul und Ambient in bester Tradition des Bristol-Sounds. Vielleicht im Detail noch ein bisschen rough around the edges, aber mir kommt die zwischenzeitliche Störung von allzuviel glattpoliertem Mainstream gerade sehr gelegen. Könnte den Status eines unentdeckten Kultalbums erreichen, wenn Social Media endlich tot ist. Und wenn es wieder möglich ist, "Kult" zu sagen, ohne hinterher vom Knorr-Papi verprügelt zu werden. 



Erschienen auf Severn Songs, 2019.

29.12.2019

Best Of 2019 ° Platz 20 ° Melchior Sultana - Deeper Than It Sounds




MELCHIOR SULTANA - DEEPER THAN IT SOUNDS


Ein Teilnehmer der diesjährigen Folge "Es ist Frühling und ich möchte tanzen!": Melchior Sultana aus Malta mit einem Albumtitel, der das naheliegend schlechteste aus jedem Musikjournalisten herauskitzeln könnte. Meine Lust nach positiv aufgeladenen, euphorisierend-elektronischen Sounds, wenn die ersten Sonnenstrahlen das eben noch erstarrte Winterleben wachküssen, wurde mittlerweile zur lieb gewonnenen Tradition im Hause Dreikommaviernull. Anders als die Konkurrenz hielt sich "Deeper Than It Sounds" indes bis in den Dezember hinein in der Playlist, und das muss mit einem Platz in den Top 20 belohnt werden. Sultana liefert ein melancholisch-schaukelndes Deep House Album ab, auf dem sich mediterran getupfte Klangwärmekörper auf einem Bett aus dunstigen Grooves ausbreiten und entlang räkeln können. Kommt am besten zum ersten Kaffee im Bett an einem bekifft-launigen Sonntag Mitte Mai zur prachtvollen Morgenerektion.

Keine Termine und leicht einen sitzen (und stehen)(vielleicht).




Erschienen auf deepArtSounds, 2019.


01.04.2019

Best Of 2018 ° Platz 4 ° Earth House Hold - Never Forget Us




EARTH HOUSE HOLD - NEVER FORGET US


"Memories. Because that's what we are, really. Memories." (Penelope Wilton)

Vielleicht liegt's an meiner katholischen Erziehung und der endgültigen Demütigung, gar in der Funktion als Messdiener Gottesdiensten beigewohnt und erwachsenen Menschen beim Ausleben ihrer zerebralen (und immerhin nicht erektilen) Dysfunktion erlebt zu haben, vielleicht ist es der Wunsch nach Vertrautem und am Ende des Tages: nach Sicherheit, Rituale so anziehend zu finden, dass ihre erfolgreiche oder -lose Integration in den Alltag über meine Gemütslage entscheiden können. Und vielleicht kommt es auch mit dem fortgeschrittenen Alter, denn noch vor fünf Jahren wäre das mit der Herzallerliebsten gemeinsame Einnehmen des ersten Kaffees am Morgen wegen unterschiedlicher Prioritäten und daraus resultierendem Zeitmangel unvorstellbar gewesen - heute ist es im besten Fall eine ganze Stunde quality time, die wir für die restliche Zeit des Tages nur selten im Überfluss kredenzt bekommen. Zumal in einem morgendlichen Setting, das einerseits noch so viel Verheißung und Hoffnung auf das, was da heute noch kommen mag verspricht (verbunden mit der nachhallenden Freude darüber, dass es dem "lieben Gott" (Rudi Assauer) offensichtlich noch nicht einfiel, unserer Existenz über Nacht ein jähes Ende zu bereiten), und andererseits noch ohne den nach Feierabend auf Seele und Herz verspritzen Klärschlamm der Lohnarbeit auskommt, der zur Ausführung halbwegs strukturierter menschlicher Interaktion und kognitiver Prozesse bisweilen etwas hinderlich sein kann. 

"Warum erzähle ich ihnen das, Hundskrüppel?" (Polt, o.s.ä.) 

"Never Forget Us", beziehungsweise die Auseinandersetzung mit "Never Forget Us" ist in meinem Emotionszentrum eng mit dem beschriebenen Ritual und den darin gemalten Bildern verknüpft. Das liest sich banal, und ich muss sie enttäuschen: vermutlich werden Sie, werter Leser, das schale Gefühl ebenjenes Banalen auch mit den nächsten Sätzen weder von der Netzhaut noch von ihrem Lebenszeitkonto kratzen beziehungsweise streichen können. Es muss sein, halten Sie sich fest: ein leichter Nieselregen an einem trüben, aber dennoch atmosphärischen topgelaunten und üerraschenderweise hellen Frühlingstag (jetzt besonders stark sein: ich teile diese helle Toplaune nur ganz selten!), eine leichte Brise Petrichor durchs gekippte Fenster, die sich mit dem Duft einer frisch gebrühtem Tasse Kaffee verbindet. Dazu - jetzt wird's final so richtig Punkrock: ein Spritzer Acqua di Parma aufs frischgebügelte und mittlerweile drei Nummern zu große hellblaue Hemd und "Never Forget Us" von Earth Hose Hold auf dem Plattenteller - das Vinyl selbstverständlich in enger farblicher Abstimmung mit der Oberbekleidung, nämlich auch in blau, wenn auch etwas deutlicher ins türkise/petrolige marschierend. Earth House Hold ist ein Alias von Brock van Wey - auf diesem Blog hauptsächlich Stammgast unter seinem Moniker bvdub - und nach langen Jahren des Planens und Wartens endlich auf A Strangely Isolated Place vertreten. 

Ich kann nicht mal sagen, ob sich das eben beschriebene Szenario wirklich eines Tages mal so abspielte; ich meine, wann bitte hat letzten Frühling mal geregnet, "LOL"(Till Schweiger), aber die emotionale Bindung zu dem Moment, der für mich grob unter "pures Glück" abgespeichert ist, ist stark - so stark, dass selbst der dunkle und nasskalte November in die Flucht geschlagen würde. Jedes neuerliche Hören von "Never Forget Us" bringt mich an einen guten Ort. Einen Ort der Ruhe und Kontemplation. Meditation. 

Wie klingt es? Vielleicht tatsächlich wie etwas, was bisher noch nicht zu hören war. In meinem letztjährigen Instagram Beitrag zu "Never Forget Us" schrub ich von atemberaubenden "next level sounds", weil ich die Kombination aus Brocks opulenter Ambientbühne, seinen klassischem Deephouse-Erinnerungen und den typisch souligen Vocalsamples einerseits, und der daraus erwachsenden Atmosphäre aus schwebender Melancholie und funkelnder Euphorie andererseits in dieser Form vorher noch nie gehört hatte. Möglicherweise gibt es aus diesem Grund auch einen Anteil in dieser Musik, der fremdartig erscheint, wie nicht von dieser Welt. Und ebenfalls möglicherweise ist es kein Zufall, eine weitere, eine zweite Platte in dieser einen entdecken zu können. Spielt man "Never Forget Us" nicht wie vorgesehen auf 33rpm, sondern auf 45rpm ab, morpht die Aura des Albums deutlich in Richtung House und entwickelt eine ganz eigene Dynamik, ohne dabei aber auch nur einen Beat der eigenen Identität zu verlieren. Auf links umgekrempelt, aber immer noch derselbe Stoff, aus dem die Träume sind. 





Eine auf mehreren Ebenen außergewöhnliche Platte, die angesichts Brock's bisherigem Schaffen mit der deutlichen Fixierung auf House unter diesem Projektnamen besonders stilistisch überrascht. A Strangely Isolated Place Labelboss Ryan Griffin berichtet, dass er und Brock schon lange über eine Zusammenarbeit nachdachten und nur auf den richtigen Moment warteten, bis Brocks Musik endlich (und erstmals) auf ASIP erscheinen sollte. "Never Forget Us" teilt die Leidenschaft und den Respekt der beiden Männer an den frühen klassischen House-Sound, der sowohl Inspiration als auch Basis für Brocks Musik ist und ist damit die perfekte Ergänzung zum Labelportfolio: Für mich ist "Never Forget Us" ein Gamechanger - ein Album, das in seiner Ausrichtung, seiner Ausstrahlung neues, bisher unberührtes Terrain betritt - im Außen und im Innern. Die Einführung in Brocks Musik mit dem Album "The Art Of Dying Alone" hat mein Leben verändert, und es hat auch neun Jahre später nicht aufgehört. Wie so viele seiner Veröffentlichungen hat auch "Never Forget Us" an meinem Lebensrad gedreht und wenn ich ich die Kamera von hier auf das große Bild aufziehe, dann hat es sich vermutlich schon lange nicht mehr so schnell gedreht. 


Pressung: ++++ (Bisweilen leise Pops, die aber das Gesamtbild nicht stören)
Ausstattung: +++++ (Klappcover, dicke, aber ungefütterte Papp-Innenhüllen, türkisblaues Vinyl. Fantastisches Art-Design)





Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2018.

22.02.2019

Best Of 2018 ° Platz 11 ° Submotion Orchestra - Kites




SUBMOTION ORCHESTRA - KITES


Es ist einigermaßen skandalös, dass "Kites" nicht zum endgültigen Durchbruch für dieses britische Kollektiv geführt hat. Auch nach ihrem heute als Klassiker bezeichneten Album "Finest Hour" von 2011, erschien mir die siebenköpfige Band immer etwas unterbewertet und selbst unter dem Radar der eigentlichen Zielgruppe umherirrend. Die Zielgruppe, die ist dabei Legion: alles, was sich in den letzten zehn Jahren zwischen dem eher gemäßigten Bereich des englischen Spezialistenlabels Ninja Tune, Bonobo, dem Cinematic Orchestra und Matthew Halsall's Gondwana Label hin- und herflippern ließ, muss bei "Kites" sogar sehr uneigentlich heiße Tränen der Freude und Liebe weinen - und das sind ja nun deutlich mehr als zwei Handvoll verwirrter Einzelkämpfer. "Kites" ist schwer, tief, melancholisch, ernst - und manchmal auch hörbar schmerzhaft:

"In the two years since ‘Colour Theory’ there have been a number of significant events for us all including new life and family death. We wanted to use these events as creative inspiration so we bought a disposable camera each and took photos based around these events, or the themes that they represented. Once developed, we selected 10 photos to be used as the inspiration for the 10 tracks on the album. Each track explores a different emotion, theme or event. All are honest, relevant and often hugely personal." (Tommy Evans)

"Jahaaa, dann ist's ja kein Wunder, dass die Leute hier nicht hinhören! Ernst, Melancholie, Schwermut, Introspektion - das will doch niemand hören! Die Leute wollen Parteueueueueu! Guck's Dir an: Trump ist Präsident. Klotzehohl, aber die Leute haben Spaß - selbst wenn sie ihn hassen." (Logger P. Eder, knapp zweistelliger IQ, mag Heringssalat aus der Dose)

Die Wahrheit indes lautet: "Kites" inspiriert. Macht den Blick weit, die Gedanken frei. Ist schwärmerisch, voller Wärme und Liebe. Bringt Dich durch die Kälte. 

Ein Breitbandemotikum

Eine meiner meistgehörten Platten des Jahres. 


Pressung: + (Furchtbar, wird dieser wunderbaren Platte nicht gerecht: durchgehende non-fills und Pops, kein sonderlich großes Vergnügen)
Ausstattung: + (Einzel-LP ohne Bilder, Texte, Liners. Keine gefütterten Inlays. Super low-budget, dafür aber relativ günstig zu haben - und mit "relativ" meine ich "Wäre vor 10 Jahren teuer gewesen.")




Erschienen auf SMO Recordings, 2018.

12.01.2019

Best Of 2018 ° Platz 20 ° Jazzanova - The Pool

Geht ja prima los - so spät war ich ja noch nie dran. Stellt Euch für die Nummer 1 besser mal auf Juli ein, es ist ein Trauerspiel. 

Um trotzdem wenigstens ganz kurz ganz positiv zu werden und wie außerdem bereits geschrubt: 2018 wird es wieder nur 20 Aufsätze zu meinen Top-Alben zu begähnen geben - und damit also zehn weniger als noch im letzten Jahr. Das liegt weder an der Qualität noch Quantität neuer Musik oder dem damit verbundenen Deppensatz "Das war ja nicht so ein starkes Jahr wie...", sondern in erster Linie daran, dass ich mich im vergangenen Jahr schon beim Schreiben beinahe selbst langweilte. Wie unerträglich muss das dann erst für meine Leser gewesen sein?! 

Außerdem gibt es eine kleine Neuerung: Dreikommaviernull bewertet jetzt auch die Pressungen und Aufmachungen/Ausstattungen von Schallplatten. Mir fiel auf, dass ich 2018 keine einzige CD und kein MP3 Album kaufte. Alles Schallplatten. Das ist Premiere. Und warum dann nicht aus Gründen der, "äh, consistency" (Andi Brehme) einfach noch mehr prätentiösen Scheißdreck schreiben? 

Frage ich Sie! 

Beziehungsweise nicht. 

Wir starten in 3...2...1......*puff*





JAZZANOVA - THE POOL


Das neue Album des Berliner Kollektivs Jazzanova hat mein Leben im vergangenen Jahr um einige lohnenswerte Gedanken und Erlebnisse bereichert. Ich habe die Platte oft gehört und es zog mich über Wochen, gar Monate immer öfter zu "The Pool" hin. Das passiert mir heute ehrlich gesagt nicht mehr all zu häufig - und erst recht nicht mit jeder dahergelaufenen Platte, die bei drei noch nicht im Regal verschwunden ist. Gerade vor diesem Hintergrund war es ungewöhnlich, trotz solch ausführlichen Begegnungen nur wenig im Hirnsieb auffangen zu können. Sogar Songs wie die mit künstlerisch feinem Video ins Rennen um Clicks geschickte erste Single "Rain Makes The River" mit der Sängerin Rachel Sermanni, besonders atmosphärisch eigentlich wie gemacht für eine tiefere Verinnerlichung, verweilten für diesen einen Moment mit allerlei ausgerufenen Lobeshymnen meinerseits in der Realität - und verschwanden danach flugs im Getöse des Alltags. Nur, warum ist das so? Nicht, dass ich diesen Umstand als besonders negativ betrachte, ganz im Gegenteil: Ich kenne dreikommavierfuckzillion Alben, die erst nach scheinbar unerträglich langer Zeit plötzlich zündeten. Die erst nach grotesk langem Eingraben, völligem Versinken gar, und der sich dazwischen immer wieder zeigenden Verzweiflung darüber, es wieder nicht geschafft zu haben, unverhofft zur prachtvollsten und wichtigsten Musik allen Lebens wurden. 

Was all jene Beispiele von Psychotic Waltz ("A Social Grace") bis Tool ("Aenima") und King's X ("Faith Hope Love") eint: irgendwas zog mich immer wieder zu ihnen hin und flüsterte mir "Bleib' dran!" zu. Womit wir wieder bei "The Pool" sind. 

Ein Album, in dem eine seltsame Ambivalenz ihr Unwesen treibt. Subtil, multidimensional, komplex - aber dabei sollte das alles hier doch Pop sein?! Das ganze Rudel von Gastsängerinnen und Gastsängern, mit Oddisee, Jamie Cullum und dem alten Bekannten Ben Westbeech! Den aufs erste Hören fluffigen Arrangements, der gewollten Eingängigkeit. Das beißt sich ja schon beim Lesen. Um das endgültig zu verstehen, brauchte es das Livekonzert der Band im Frankfurter Zoom, in dessen Verlauf diese Ambivalenz auf "The Pool" deutlich wurde. Ein wahnsinniger Groove, ungeschlagene Virtuosität, Hingabe, Leidenschaft, dicke Beats, Tanzerei, Hände zum Pimmel, Darmspiegelung mit Cocktailschirmchen. All das findet im leicht handgebremsten Pop-Kosmos statt, der in der Livesituation fast völlig ausgeblendet wird und sich erst dann wieder zeigte, als ich mich für das erneute Eintauchen in "The Pool" (ihr glaubt doch nicht, dass ich für eine Platte mit dem Titel "The Pool" auf die "Eintauchen"-Metapher verzichte; wer bin ich, Diederichsen?) auf dem Tigerfell vor dem prasselnden Kamin mit vor sich hin schmurgelnden Foo Fighters Platten räkelte. 

Ich glaube mittlerweile, die beiden Produzenten Axel Reinemer und Stefan Leisering wollten eigentlich ein reines Popalbum produzieren und haben mittendrin gemerkt, dass sie das gar nicht können. Herausgekommen ist ein Zwischenwesen mit überragenden, subtilen, emotionalen Kompositionen, begleitet von großen Stimmen, eingebettet in tiefgechillte Stimmung. Auf einem anderen Planeten im Vergleich zu ihren vorangegangenen Arbeiten ("The Pool" ist ihr erstes Studioalbum seit 2008), was die alte Fanbase reflexartig zu allerlei Online-Motzereien provozierte, aber es wird dadurch ja nicht weniger außergewöhnlich. 

Wenn mich Musik derart zum Nachdenken bringt, kann das nur ein gutes Zeichen sein. 

--

Pressung: ++ (Der Klang ist einwandfrei, aber schon beim ersten Abspielen zeigte sich an leisen Stellen ein signifikantes Rauschen und Rascheln, immerhin keine non-fills. Die Angaben beziehen sich auf das schwarze Vinyl, die weiße Version kenne ich nicht)

Ausstattung: + (Der Preis für das bekloppteste Schallplattensleevedesign geht an das Sonarkollektiv für die Veröffentlichung einer Doppel-LP ein einem glossy Gatefold-Sleeve, bei dem nur eine Öffnung für dann auch nur eine Platte gegeben ist. Was man mit der anderen LP machen soll, weiß der Himmel. Oder mein Hund. Und eine Doppel-LP ist bei der Laufzeit auch Kappes. Kinnerskinnerkinners, srsly?)




Erschienen auf Sonarkollektiv, 2018.

30.12.2018

Jetzt lass mich doch auch mal was sagen, Bumshase! (2)

...und hier kommt der zweite Teil.



Andreas, Schlagzeug und alles andere spielende Tausendsassa,, u.a. Aushilfsbassist bei Blank When Zero (Abb. ähnlich)











Der Herr wünscht sich ausschließlich: Voivod.






VOIVOD - PHOBOS


Die kanadischen Sci-Fi-Thrasher Voivod hatten nach ihrem kommerziellen Höhepunkt Anfang der 90er Jahre mit dem zeitweisen Abgang mehrerer Originalmitglieder (Sänger Denis "Snake" Bélanger sowie Bassist Jean-Yves "Blacky" Thériault) sowie einem schleichenden Verlust an Relevanz zu kämpfen. Vielleicht auch als „jetzt erst recht“-Reaktion darauf, lehnen sich Voivod auf dem 1997 erschienenen „Phobos“ - dem zweiten Album mit Sänger/Bassist Eric Forrest - derart konsequent weit aus dem Fenster, dass es als die musikalische Apoapsis der Band gelten kann. Die meisterhaft arrangierten und gleichermaßen aggressiven wie verschrobenen Songs setzen mit „Otto Normalmetaller“ und „Progbert von Schönklang“ gleich zwei potentielle Voivod-Zielgruppen kurzerhand an der Weltraumraststätte aus und warten mit einem Sound auf, der zufällig in Hörweite anwesenden Geigerzählern die eine oder andere Erektion abnötigen dürfte. Angesichts der niedrigen Verkaufszahlen von „Phobos“, der stiefmütterlichen Behandlung der Songs in aktuellen Konzert-Setlisten sowie der wechselhaften Labelgeschichte Voivods („Phobos“ ist das einzige Album der Band, das auf Hypnotic Records erschienen ist) scheint eine Vinyl-Veröffentlichung recht unwahrscheinlich zu sein. Dabei ignorieren wir höflich die 2010 erschienene Zusammenstellung „Negatron/Phobos“, die sich auf eine Songauswahl aus den beiden Alben mit Eric Forrest beschränkt. Mein Wunsch für eine „richtige“ Vinyl-Erstausgabe: die beiden etwas überflüssig wirkenden Bonustracks „M-Body“ sowie das (für sich genommen schmissige) King Crimson-Cover „21st Century Schizoid Man“ entfallen oder werden als Single beigelegt, vor allem wenn sich das Album dadurch und mit etwas Fingerspitzengefühl auf eine einzelne Vinylplatte pressen ließe.



---




Simon, Schlagzeuger, Blogger bei Krach und so 


Repress Now, Mofo:




VOIVOD – THE OUTER LIMITS


In meinem eigenen Blog hatte ich über dieses Album einer meiner absoluten Lieblingsbands, die ich mit dem Verfasser dieses Blogs teile, anlässlich des 25sten Jubiläums im Sommer schon mal was geschrieben, auf das man an dieser Stelle einfach mal verlinken kann anstatt sich groß zu wiederholen. 2017 erschienen bekanntlich Reissues der drei Noise Records VOIVOD Alben "Rrroooaaarrr" (1986), "Killing Technology" (1987) und "Dimension Hatröss" (1988). Umso heißer wartet so mancher Fan dafür jetzt allerdings auf Neupressungen der MCA Records Werke "Nothingface" (1989), "Angel Rat" (1991) und eben "The Outer Limits". Gerade für letzteres, das damals wohl in einer geringeren Stückzahl als LP erschien, werden nämlich mitunter schon Sammlerpreise in Monatsmietenhöhe aufgerufen. Ach ja, bevor es untergeht: Für die Kategorie der erstmaligen Pressung auf schwarzem Gold würde sich im Grunde genommen übrigens auch VOIVOD’s "Phobos" in richtig* als Wunschkandidat anbieten (*über diese komische Compilation-2LP von 2010 reden wir erst gar nicht), aber das nur nebenbei.



First Time Now, Schnakenhals:





THE YOUNG GODS  - SUPER READY / FRAGMENTÉ


Dass die Frühwerke von THE YOUNG GODS in den Spätachtzigern und Frühneunzigern mächtig Eindruck bei anderen Künstlern von Mike Patton über The Edge (U2) bis zu David fuckin‘ Bowie hinterlassen hatten, das ist inzwischen ausreichend dokumentiert.  Dass die Schweizer allerdings in den Jahren 2000 und 2007 mit "Second Nature" und "Super Ready/Fragmenté" noch mal zwei wirklich sehr, sehr gute Alben veröffentlichten, die ihren Signature-Stil, eine äußerst organisch pumpende Rhythm-Section mit Sampler-Sounds zu elektrischen Rocksongs zusammenzuführen, auf der Höhe der Zeit hielt (und sie außerdem nach wie vor eine wirklich geile Live-Band sind), das wurde an vielen Stellen der damals noch relevanten Musikpresse mal wieder eher verpennt.

Vom 2000er "Second Nature" gab’s zum fünfzehnjährigen Jubiläum des Teils immerhin ‘ne Picture-Disc-Version in normaler und Luxusausführung (plus Bonus-Disc) und auch das musikalisch zahmer ausgerichtete "Everybody Knows" von 2010 existiert als 2LP. "Super Ready/Fragmenté" jedoch erschien bisher nur als CD. Eine Lücke im Plattenregal, die man ja eigentlich gerne schließen können würde…



---




Olli, Gitarrist bei Thyranay, Sieger im Kirk Windstein Lookalike Contest












Neuauflage bitte:





DJ KRUSH & TOSHINORI KONDO - KI-OKU


Kollaboration von DJ Krush (japanischer Hip-Hop Produzent und DJ, der ab Anfang der 90er zuerst bei Mo Wax überwiegend instrumentale Platten veröffentlichte) und dem japanischen Jazz-Trompeter Toshinori Kondō. Was gibt es zu hören? Verkürzt gesagt: Hip-Hop Beats mit Jazz-Trompete, böse Menschen bezeichnen das hier als Chill-Out, Downbeat und nutzen andere generische End-90er Begriffe, bei dem ein nicht unwesentlicher Teil der Mitmenschen mittlerweile (zu Recht) Brechreiz bekommt, da man dabei eher an minderbemittelte Fahrstuhl meets Ibizza-Musik denken muss. Während bei 99,99% der sonstigen Alben einfach billige Beats genommen wurden und der Schwippschwager aus dem Blasmusikverein genötigt wurde ein paar krächzende Töne einzuspielen, gibt es hier eine echte Kollaboration von "Könnern" (Alternativ geht auch eine der anderen diesbezüglichen Rezensionsplatitüden) zu hören, die gerade durch ihren Minimalismus zu begeistern weiß. Keine opulenten Jazz-Arrangements, stattdessen eher weite, eher karge Klanglandschaften inklusive eines sogar für mich funktionierenden Bob Marley-Covers. Um die LP scharwenzel ich immer wieder herum, allerdings liegt der Preis, je nach Erhaltungszustand bei mittlerweile rund 70-100€. Es soll 2014 einen Repress gegeben haben, aber der ist nicht einmal bei Discogs gelistet, weshalb ich daran meine Zweifel habe. Daher: Einmal Repress, bitte!



Noch nie auf Vinyl veröffentlicht:





UNIDA - SECOND ALBUM


Bei diesem Album muss man (leider) auch schreiben: überhaupt noch nicht offiziell veröffentlicht. Es existieren davon zwar (relativ hässliche und soundtechnisch eher durchwachsene) Bootlegs, die von CDs gezogen wurden, welche auf der letzten Unida-Tour verkauft wurden, aber das Album selbst wurde seitens des Labels nie veröffentlicht und verbleibt bis heute dort im Giftschrank. Warum. wieso, es bleibt für mich ein Rätsel. Insgesamt bleibt dieses Album, rein auf Garcia und seine Stimme bezogen, der Höhepunkt seiner Veröffentlichungen. Um so unverständlicher, dass sich an diesem Zustand bis heute, wo so gut wie jeder D-Klasse Dreck rereleased wird, weil "Kult", daran nichts geändert hat und wohl auch nichts ändern wird.
.
.
.
.
.
.
.
.
...TBC...