VIUL & BENOIT PIOULARD - KONEC
Vor etwa sechs Jahren habe ich mich darauf geeinigt, ab sofort Schallplatten von A Strangely Isolated Place zu sammeln. Möglicherweise war "A State Of Becoming" von Lav und Purl der Auslöser für jene Entscheidung. Nicht nur die Musik erschien außerweltlich, auch das hinreißende Coverartwork und die darauf farblich abgestimmten Schallplatten in blassrosa lassen mich noch heute Jubelschreie ausstoßen. Seitdem wird jede Veröffentlichung blind gekauft - komme, was wolle. Und es kam so einiges, vor allem im letzten Jahr. Denn so wunderschön und mit solcher Liebe zum Detail, zur Musik und zur Vision des Labels die Platten auch gestaltet sind, so teuer sind sie leider auch. In Europa sind Preise von über 40 Euro für eine Doppel-LP des Labels mittlerweile der Standard und da muss ich bei aller Liebe zugeben: dann wird die Luft selbst für einen Sammel-Kasper schon ziemlich dünn.
Das wurde sie auch für "Konec", die erste Zusammenarbeit von Luke Entelis (Viul) und Thomas Meluch (Benoît Pioulard), aber spätestens als die Post aus England eintraf und man diese Schönheit mit dem künstlerischen Artwork von Liz Harris in den Händen hält, ist alles vergessen. Gibt's eben am Monatsende die verbrannten Krümel aus dem Toaster und bestes Aqua Hahna. Mir doch egal.
Liegt die Platte auf dem Plattenspieler, wird's wenig überraschend sogar noch besser. Die beiden Musiker haben "Konec" in der Isolation des New Yorker Covid-Lockdowns im Jahr 2020 geschrieben und mit dick verhangenen, nebligen Loops, grobkörnigen Texturen und zerschossenen Melodien voller Tristesse und Melancholie die Stimmung in der Stadt eingefangen. Vor allem das melodische Element Pioulards, in seinem Fundament sicher nicht weit von den sonoren Orcas-Klassikern entfernt, die er mit Rafael Anton Irisarri produzierte, verleiht den verzerrten und auf Raufaser entworfenen Beobachtungen von Viul eine zusätzliche Ebene der Emotionalität. Nachzuhören bei dem überraschenden Gitarrenoutro von "Flaxen" oder dem vergleichsweise offensiv-harmonischem "Catalune" - neben dem elegischen "Returning Clear Voice" so oder so einem der Herzstücke des Album.
Es sind Miniaturen der Einsamkeit und des Zerfalls, die sich in ihren besonderen Momenten aus der beengenden und furchteinflößenden Isolation befreien und die Seelenstimmung einer ganzen Stadt aufsaugen können. Und vielleicht ist "Konec" am Ende weniger Beobachtung und Zeitdokument, als Transformation und Gemeinschaft. Dass es dazu immerzu Momente der Agonie und der Verwüstung braucht, um Empathie und Verständnis zu finden, sagt Wesentlicheres über uns aus als uns allen lieb sein kann.
Vinyl: Das Gesamtkonzept, der Dreiklang aus Musik, Cover-Artwork und Vinylfarbe, ist nahe an der Perfektion. Die Pressung ist ordentlich, gefütterte Inners, Bandcamp-Download. Dazu legt das Label seinen Vinylausgaben seit einiger Zeit einen gedruckten Flyer bei, der Auskunft über das Konzept, den Aufnahmeprozess, die Artworkgestaltung und die Pressung gibt. Ich möchte Labelchef Ryan hiermit offiziell dazu ermutigen, mit der Arbeit an einem Artbook über alle bislang erschienenen ASIP-Releases, mit großen Coverabbildungen und Hintergrundgeschichten zu beginnen. Die Legende lebt. (+++++)
Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2022.