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06.07.2024

Sonst noch was, 2023?! - Beach Fossils - Bunny




BEACH FOSSILS - BUNNY


"Wenn man Hannelore Kohl, die Sharon Stone aus Oggersheim zu Gast hat, dann ist es schon sinnlich, wenn man mit der flachen Hand auf einen ausgestopften Saumagen klopft." (Oliver Kalkofe)


Sechs Jahre nach ihrem letzten Album "Somersault", das ich seinerzeit mit der Einschätzung in meine Top 30 des Jahres 2017 rollte, es klänge, als hätten  "Paul McCartney, Robert Smith, Sam Prekop und Johnny Marr am Strand von Kalifornien gehascht und wegen des gemeinsam bestaunten Sonnenuntergangs vor Ergriffenheit das Heulen angefangen", versüßte das Quartett aus Brooklyn mit dem Comeback "Bunny" meinen letzten Sommer - und das in Zeiten, die von tiefer Trauer über den Tod unseres Hunds Fabbi geprägt waren. Eigentlich eine unlösbare Aufgabe, aber ähnlich wie Element Of Crimes "Morgens Um Vier" traf "Bunny" einen ganz besonderen Nerv. 

Dass es ausgerechnet diese Musik schafft, mich so weichzuklopfen, ist mittlerweile eigentlich keine Erwähnung mehr wert. Wie oft habe ich schließlich schon in niemals enden wollenden und unverständlichen Satzungetümen darüber referiert, welche Anziehungskraft bisweilen von Projekten wie Tropics, Absolute Boys, Dreamscape, Slow Magic oder den leider sehr unrühmlich verglühten HOOPS ausgeht. 

Dieser unwiderstehlichen Mischung aus Lo-Fi Indie Pop (fürs Understatement), Shoegaze (fürs Schwüle, Warme, Feuchte) und einer Prise Postpunk (für die Zehenamputation wegen Unterkühlung), die den Schaltplan für Romantik, Nostalgie und Tagträume erstellt. Nach dem Zauber und dem Glanz in der Tristesse zu suchen war ein nobles Hobby in meiner Adoleszenz, nicht notwendigerweise aus Selbstmitleid, sondern weil die Vertiefung so verführerisch war. Insofern schließt sich hier der Kreis zum vergangenen Sommer: "Bunny" war gleichermaßen Trost und Heilung, weil es den Blick über die Trauer erhob und die Gefühlspalette erweiterte. Wir sahen ein paar Lichtstrahlen, ein paar Reflektionen. Spürten Sonne auf der Haut. Und wir erinnerten uns. 

Der immer noch so behutsam verhuschte Sound der Beach Fossils ist einerseits verknüpft mit einem außergewöhnlichen Gespür für Melodien - beispielhaft der zum Sterben schöne Harmoniewechsel im Refrain von "(Just Like The) Setting Sun" mit seinem im Zwielicht orchestrierten Streicherarrangement oder das Gitarrengeflacker in "Anything Is Anything", in dem jeder noch so schüchtern gespielte Anschlag eine melodische Dringlichkeit entwickelt - andererseits ist er der Mutterboden für die Ästhetik des melancholischen Großstadtslackers. 

Für immer 25, für immer emotionales Chaos, für immer verliebt, für immer Hoffnungslosigkeit. 

What year is it today?
It's funny how time slips away
Living in Nеw York, it can grind you down
I tell you, it will grind you down


Es ist zu gleichen Teilen imponierend wie beängstigend, wie mich die Beach Fossils zwanzig, dreißig Jahre in mein früheres Leben zurückschleudern - und wie fucking wehrlos ich dagegen bin. Ich spüre, wie sehr ich mich hier fallen lassen kann. Wie sehr ich hier verschwinden will. Und wie sehr ich für immer dort bleiben will.


 



Erschienen auf Bayonet Records, 2023.

21.02.2021

Best of 2020 ° Platz 14 ° GOLD - Recession




GOLD - RECESSION

Your shell is hollow, so am I
The rest will follow, so will I
(Neurosis)


Das letzte Konzert vor dem Virus. Ende Januar 2020 stand ich mit etwa 50 anderen Menschen im erschütternd leeren Colos-Saal in Aschaffenburg und ließ mir von GOLD Blutdruck und Herzfrequenz auf Stufe 11 drehen. Keine Ansagen, keine Zugaben - einfach nur auf die Bühne gehen, alles, aber auch wirklich alles supertight abreißen, und wieder gehen. Ich weiß noch, dass ich nach diesen 60 Minuten völlig euphorisiert und unangenehm laut "So macht man das! Genau so macht man das! NUR SO! EXAKT! GENAU! FUCKING! SO! MACHT! MAN! DAS!" rief und beim anschließenden Merch-Irrsinn sehr eindringlich auf Gitarrist Thomas Sciarone einredete, die Band möge sich bitte von der spärlichen Kulisse und dem fehlenden Zuspruch, dem quantitativen zumal, nicht beeindrucken lassen und für immer weitermachen - und dass, obwohl ich mich mit vermeintlich unangebrachten Reaktion gegenüber Musikern in der Regel sehr zurückhalte, weil ich diesen (und allen anderen) Menschen wirklich nicht auf den Sack gehen will. 

GOLD hatten für 2020 einen gut gefüllten Tourkalender. Die Corona-Zwangspause wurde mit nicht weniger als drei Veröffentlichungen überbrückt, die zunächst digital über ihre Bandcamp-Seite, später im Herbst als Sammelband unter dem Titel "Recession" auf Dreifach-Vinyl erschienen: "The Isolation Sessions", ein Live-Mitschnitt aus dem April 2020 eröffnete den Reigen, gefolgt von den intimen, nur von Sängerin Milena Eva und Thomas Sciarone aufgeführten "The Bedroom Sessions" im Juni und einer Zusammenstellung bislang unveröffentlichter Songs und Demoversionen unter dem Titel "The Archive Sessions" einen Monat später. 

Es war bereits bei dem immer noch aktuellen Studioalbum "Why Are You Not Laughing?" erkennbar, und ich muss es auch angesichts der Sammlung auf "Recession" wiederholen: das Aufregendste beim Eintauchen in den Kosmos von GOLD ist die Offenlegung der zu ihrem Selbstverständnis gehörenden bedingungslosen Verletzbarkeit und der gleichzeitig daraus erwachsenden Kraft - beides elementare Bestandteile ihrer Musik, ihrer Texte und ihres ganzen Auftretens. Es ist jene Ambivalenz, die diese Band so besonders macht und die sie mittlerweile so selbstbewusst und intensiv wirken lässt. Ihre Ideale und Überzeugungen zeigen sich dabei so tosend wie der sich entfesselt aufbauende Orkan aus den so dürr und nervös klirrenden Gitarren und den hypnotischen Schlagzeugfiguren mit Sängerin Milena Eva als Zeremonienmeisterin im Auge des Sturms: so karg und kühl ihr Vortrag an der Oberfläche erscheint, so unerschrocken kompromisslos und unmissverständlich ist ihre Botschaft von "individual empowerment", wenn sie von toxischer Maskulinität singt, von Unterdrückung, von ritualisierten und zementierten Geschlechterrollen, von Verlust, von Depression.  

Die Durchschlagskraft dieser Idee, diesem alles zusammenhaltenden Netz aus Worten und Tönen, dieser Aura von Klarheit und Mut, zeigt sich in jeder Sekunde der drei Eingangs erwähnten Alben, und dabei ist es egal, wie intim, spröde, fiebrig oder überspannt das Flackern ihrer Musik ist. 

Vielleicht die faszinierendste Band, die Rockmusik gerade zu bieten hat.

   


Self-Released, 2020. 


 

21.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Young Magic - Still Life




YOUNG MAGIC - STILL LIFE


Ich orakelte schon im 2016er Jahresrückblick über die zu erwartende Ausnahmestellung von "Still Life", und siehe da: ich kenne mich manchmal doch besser als gedacht. 

"Es gab in 2016 so einige Platten, die mein Leben vermutlich auch über das immer noch andauernde Superscheißjahr 2016 hinaus prägen werden; in erster Linie, weil ich mit Ihnen eine bestimmte Zeit, auch ganz besonders ein Lebensgefühl verbinden werde. Und einige davon werden vielleicht wichtig für das restliche Leben werden, sei es, weil sie besondere Saiten in mir angeschlagen haben, sei es, weil ich mit ihnen überhaupt nicht rechnete und die Überraschung und Begeisterung nicht zuletzt genau davon getragen wird und wurde. "Still Life" könnte so eine Platte werden."

Das musikalische Tagesbuch von Sängerin Melati Malay und ihrem Partner Isaac Emmanuel, erdacht und ausgetüftelt auf Malays Reisen, unter anderem auch in ihr Heimatland Indonesien auf der Suche nach den Lebensspuren ihres damals just verstorbenen Vaters, oszilliert durch ätherische Zwischenwelten, sediert die Sinne, durchdringt die Trauer und feiert das Leben. 

Und dennoch fehlen mir immer noch die Worte für die Gefühle, die "Still Life" in mir auslöst. Ich konnte es schon vor vier Jahren nicht genau beschreiben und es macht mich auch im Supersupersuperfuckingsuperscheißjahr 2020 ratlos. Irgendetwas in dieser Musik scheint mir so verflucht nahe zu kommen, dass ich mich beinahe davor fürchte, genauer hinzuschauen. 

Vielleicht das persönlichste und möglicherweise deshalb auch rätselhafteste Album des Jahrzehnts. 




Erschienen auf Carpark Records, 2016.

02.02.2020

Best Of 2019 ° Platz 3 ° GOLD - Why Aren't You Laughing?




GOLD - WHY AREN'T YOU LAUGHING?


Es hat etwas Zeit benötigt, bis ich den Zugang zu GOLD fand. Vermutlich waren angesichts personeller Parallelen zur mittlerweile aufgelösten Quatschcombo The Devil's Blood (GOLD-Gitarrist und -Gründer Thomas Sciarone) meine anfänglichen Vorbehalte zu prominent im Stammhirn platziert, was eine frühere Annäherung nahezu unmöglich machte - manchmal bin ich so, ich kann's nicht wirklich ändern. Mittlerweile sieht die Welt anders aus. GOLD sind die vielleicht bemerkenswerteste Rockband dieser Tage und haben seit dem eher unspektakulären Schalala-Rock ihres Debuts "Interbellum" aus dem Jahr 2012 eine atemberaubende Entwicklung durchgemacht. "Why Aren't You Laughing?" ist zweifellos der bisherige Höhepunkt dieser Transformation: die mystische, dunkel schimmernde Mixtur mit Elementen des Gothic-, Post- und Indierocks mit der gleichermaßen entrückt wie glasklar durch die Songs schwebenden, endlich auch selbstbewussten Stimme Milena Evas und die aus dem Black Metal aufgefächerten Gitarrenfiguren ergeben einen Sound, wie ihn die Welt bislang noch nicht gehört hat. 

Und das ist vielleicht das Problem für das Erreichen der Weltherrschaft. Die Band spielte vor wenigen Tagen im Aschaffenburger Colos-Saal vor gerade mal 50 Zuschauern eines ihrer seltenen Solokonzerte (ansonsten werden sie auch 2020 in erster Linie auf Festivals zu sehen sein) und mir wurde plötzlich klar: die sind mit dieser musikalischen Mischung nebst der konzeptionellen Choreografie und den starken, feministischen, für Gleichberechtigung und eine offene, freie Gesellschaft einstehenden Texten vielleicht ein paar Jahre zu früh dran. Und überhaupt: fragt mal eine feministische Band wie beispielsweise War On Women, was sich an frauenfeindlicher Scheiße in den Kommentarspalten ihrer Youtube Videos abspielt. Man kommt nicht drum herum: was der rockende Bauer nicht kennt, frisst er eben nicht, und so mancher ist darüber hinaus auch einfach, pardon, klotzehohl. Ich kann das sagen, weil ich schließlich auch hin und wieder die Heugabel im Kopf stecken habe; wer einen Beweis braucht: er findet sich im einleitenden Satz dieses Beitrags. 

Ich kann nur hoffen, dass die Band weitermacht - eigentlich sollten sowohl von dieser Band im Allgemeinen, als auch von dieser ganz hervorragenden und tief bewegenden Platte wahrlich ein paar mehr Menschen Notiz nehmen. Denn wer weiß, wie eiskalt mich aktuelle Rockmusik für gewöhnlich lässt und für wie austauschbar, stumpf, oberflächlich und mutlos ich den beinahe ganzen übrigen Sauhaufen halte, darf sich nun die wildesten Träume über die Qualität von GOLD ausmalen. 

Sie sind alle wahr. 



Erschienen auf Artoffact Records, 2019.

17.03.2018

Best of 2017 ° Platz 5: Tara Jane O'Neil - Tara Jane O'Neil



Platz 5 - TARA JANE O'NEIL - TARA JANE O'NEIL


Im Dezember 2016 schrieb ich über das zwei Jahre zuvor erschienene Album der US-amerikanischen Multinstrumentalistin Tara Jane O'Neil, "Where Shine New Lights" sei "möglicherweise die vollkommenste Verbindung ihrer experimentellen, bisweilen launischen Kunst und ihrem klassischen, in Blues und Folk verwurzelten Singer/Songwriter-Ansatz." Auf ihrem aktuellen, selbstbetitelten Album hat O'Neil die offensichtlichsten Experimente im Gitarrenkoffer gelassen und dem Singer/Songwriter in ihr die Oberhand gewinnen lassen. Das Ergebnis ist von beinahe so blendender Schönheit wie die Sonnenreflektion auf dem wunderbaren Coverartwork; eine betörend warmherzige Musik, der es trotz der im Vergleich zu früheren Arbeiten deutlich abgerundeten Ecken und Kanten erstaunlicherweise nicht an Tiefgang fehlt. Das liegt zum einen an den subtil im Sound versteckten Details, die Dank der durchaus großformatig inszenierten Produktion durchgängig wahrnehmbar sind, ein tiefes, sonores Brummen als Mutterboden für ihre sowohl perlenden als auch dürren Haarliniengitarren, das Zischeln der Becken, ihre zu Liedtexten transformierten Gedichte und die im Vordergrund stehende, glasklare Stimme. Das Schnarren der Gitarrensaiten - man meint manchmal gar, die Innenseite der akustischen Gitarre spüren, sehen, hören zu können. Zum anderen ist O'Neils Ansatz, und darauf legt die Künstlerin wert, nicht besonders konventionell zu nennen. Ihr Ziel ist es nicht, everybody's darling zu sein, ihre Akkordfolgen und Arrangements sind ungewöhnlich und bisweilen spröde - und trotzdem spielt diese Musik nicht in der Liga von Lo-Fi-Schlafzimmerproduktionen. Es ist ein Album des Reichtums der kalifornischen Sonne und des dazu passenden Lebensgefühls, heruntergekocht auf die erste Tasse Kaffee des Tages an einem friedlichen Frühlingsmorgen.  




Erschienen auf Gnomonsong, 2017.

10.03.2018

Best Of 2017 ° Platz 6: Slowdive - Slowdive



Platz 6: SLOWDIVE - SLOWDIVE


Ich hatte es an anderer Stelle bereits erwähnt: meine Beziehung zu Slowdives Comebackalbum sollte sehr persönlich und besonders werden. Denn als im Mai des vergangenen Jahres Chris Cornell starb, und sowohl ich als auch die Herzallerliebste über Wochen und gar Monate hinweg praktisch am Boden zerstört waren, lieferte "Slowdive" den Soundtrack zum Trauern - und zwar so ausgeprägt und nachhaltig, dass es für gleich ein paar Wochen nicht in Frage kam, diese Platte vom Plattenteller zu lösen. Sie schien wie festgeschweißt. Ich hätte keine andere Musik ertragen können. Mir ist darüber hinaus sowieso nichts bekannt, was diese spezielle Mischung ihres einzigartigen Sounds - eine sowohl melodisch als auch atmosphärisch kitschfreie Sicht auf Leben und Liebe mit zahlreich eingeflochtenen Extra-, Meta-, Superduper-, Obendrunter-Ebenen der prachtvollsten und reichsten Melancholie, die die Welt seit Marsilio Ficino jemals vertont gehört hat - selbst in einer weniger anspruchsvollen Vollendung kopieren könnte. Das ist alles lebensechte schwarze Galle mit darin schwimmenden Regenbogenschleifchenbooten. Vor allem erscheint es aber so plastisch und einfach zu verstehen: Das Licht und der Schatten. Die Umarmung und das Abwenden. Die Struktur und das Chaos. Das Leben und der Tod. Und da ist sie wieder, die niemals alt werdende Idee: die Suche zum Mittelpunkt des Lebens, des Guten, des Schönen. Im vorliegenden Fall gemeinsam mit dem Eindruck, den Weg zum Ziel wieder ein Stückchen abkürzen zu können. "Slowdive" hat mich tatsächlich getröstet. Nicht mit Thoughts and Prayers, nicht mit einem Lolli, nicht mit Schnaps. 

"Slowdive" hat mir einen Teil des Lebens erklärt. 

Pathos Olé!




Erschienen auf Dead Oceans, 2017.

18.02.2017

2016 ° Platz 11 ° Young Magic - Still Life



"Still Life" ist urbaner Next-Level-Shit für das Großstadtgeflacker. Für nächtliche Taxifahrten durch Downtown. Für kalten Toast mit einem Glas warmer Reismilch zum Abendessen. Für melancholisch auf der Fensterbank sitzen und rauchend in den Regen gucken, während eine Leuchtreklame für die abgerissene Cocktailbar im Erdgeschoss zwei aufgespießte Oliven in Neonrosa tanzen lässt. In Manhattan, versteht sich. Wenn es dort noch abgerissene Cocktailbars gäbe, versteht sich. Dabei sind die wohl alle...abgerissen. Pun intended.

Ein tiefenromantisches Album über die Suche nach sich selbst. Ich habe über die Auseinandersetzung mit "Still Life" in den vergangenen Monaten mit einiger Verblüffung gelernt, wie sehr es seine Entstehungsgeschichte reflektiert und wie stark mich diese Musik nicht zuletzt deswegen in ihren Bann zieht. Denn was oftmals als beiläufiges Hören begann, entwickelte sich nicht nur zu einem beinahe aktiven Austausch mit Sängerin Melati Malay und den mystisch aufgeladenen Geschichten der Erlebnisse Ihrer Weltreisen, der Selbstsuche auf den Spuren des verstorbenen Vaters. Auch das kaskadierende Soundgetröpfel von Isaac Emmanuel ist in seinem Wechselspiel zwischen perkussiver Stimulanz und nebliger Zurückhaltung eine reine Wohltat; in einer Gegenwart zumal, in der es kaum bellender, galliger und schriller zugehen könnte. 

Eintauchen & Abtauchen. Am Ende ist es wahrscheinlich nur Popmusik. Und ich bin echt froh darüber, sie erleben zu dürfen.




Erschienen auf Carpark, 2016.


Noch mehr über "Still Life" lesen? Hier geht's weiter.


25.12.2016

All Hail The Wünschelrute




TARA JANE ONEIL - WHERE SHINE NEW LIGHTS


Das glimmende Räucherstäbchen in meinem Wohnzimmer, der auf das Terassenvordach prasselnde Regen, der in der "Morgenmuffel"-Tasse vor sich hin dampfende Kräutertee, die gelb gefärbten Blätter des kranken Kirschlorbeerbaums, die schamanischen Verbiegungen des Frontallappens: es ist Zeit für "Where Shine New Lights". Ein Album, mit dem sich problemlos ein kompletter verregneter Samstag vor dem Plattenspieler verbringen lässt. Ein subtil arrangiertes, sich um ausgedehnte Melodien würmelndes Werk voller großer Ruhe. Introspektiv wäre eine Untertreibung. Jede Note am richtigen Fleck zur richtigen Zeit. Kilometertiefes Plüschfutter zum ganz tiefen Einsinken in Deine Welt, Deine Gedanken und Deine Liebe.

Tara ist vielen Post- und Noiserock-Aficionados älteren Semesters möglicherweise noch aus ihrer Zeit mit Rodan bekannt, einer in kleinem Rahmen durchaus einflussreichen, wenngleich weitgehend obskur gebliebenen Band, die sich nach dem ersten und einzigen Album "Rusty" aus dem Jahr 1994 auflöste und stilistisch zwischen Slint, frühen Tarentel und June Of '44 agierte. Seitdem ist die Multiinstrumentalistin weit gereist: Konzeptkunst, Malerei, Soloprojekte, Soundtracks, Theater. Sieben Soloalben stehen seit dem im Jahr 2000 erschienenen Soloalbum "Peregrine" auf der Agenda, und "Where Shine New Lights" ist möglicherweise die vollkommenste Verbindung ihrer experimentellen, bisweilen launischen Kunst und ihrem klassischen, in Blues und Folk verwurzelten Singer/Songwriter-Ansatz. 

Besonders eindrücklich sind jene Momente, die das Album urplötzlich als Einheit präsentieren, wenn sich also aus geheimnisvollen Minuten tiefer Pulsschläge, aus ätherischer Weite und dissonanter Gesangsarrangements völlig unverhofft die große Melodie unter der ganz großen Bühne zeigt - ganz kurz, wie ein in Sekundenbruchteilen erhaschtes Blinzeln auf den Reichtum des Grand Canyon: gerade lang genug, um die Ahnung zu füttern, was es hier alles zu Entdecken gibt. Und ebenso lange genug, um zu verstehen, dass diese Ahnung ohne das Vorspiel, die Hinführung durch tiefrot geklöppeltes Buschland nicht möglich gewesen wäre. Herausragende Beispiele hierfür sind "Glow Now" und ganz besonders "Elemental Finding", das es auch unten als Video zu bestaunen gibt: immer wieder durch kurze und intime Instrumentalpassagen unterbrochen, steht am Ende ein zurückgezogener Folkschunkler mit violett pumpender Aura mitten in der Natur, im Innern, im Licht.




Erschienen auf Kranky, 2014.



17.12.2016

Dauerfeuerbrennerlöscher



YOUNG MAGIC - STILL LIFE


Es gab in 2016 so einige Platten, die mein Leben vermutlich auch über das immer noch andauernde Superscheißjahr 2016 hinaus prägen werden; in erster Linie, weil ich mit Ihnen eine bestimmte Zeit, auch ganz besonders ein Lebensgefühl verbinden werde. Und einige davon werden vielleicht wichtig für das restliche Leben werden, sei es, weil sie besondere Saiten in mir angeschlagen haben, sei es, weil ich mit ihnen überhaupt nicht rechnete und die Überraschung und Begeisterung nicht zuletzt genau davon getragen wird und wurde. "Still Life" könnte so eine Platte werden.

Das Debut "Melt", vor einigen Jahren für kleines Geld und in erster Linie wegen des umwerfenden Coverartworks gekauft, gefiel mir gut, aber mit etwas despiktierlichem Mut ließe ich mich zu der Bewertung hinreißen, seine Existenz verdanke es fast ausschließlich der Erfolgssingle "You With Air" - einer faszinierend subtil arrangierten und von einem Weirdo-Charakter getragenen Popnummer, die "Melt" mit sich riss und mit sich reißen konnte. Der Nachfolger "Breathing Statues" fiel hingegen nach wenigen Momenten des Zuhörens komplett durch die Qualitätskontrolle - ich kann das nicht weiter ausführen, außer der Feststellung, dass ich es keine 2 Minuten hören konnte. Und wollte. 

"Still Life" bringt mich an meine Grenzen, über Musik zu sprechen und zu schreiben, und ich gebe Überlegungen zu, den Text einfach mit einem "Diese Musik zieht mich magisch an." zu beginnen und gleich danach mit einem "Isso!" zu schließen. Macht damit, was ihr wollt. Mir fällt dazu nicht mehr ein.

Sängerin Melati Malay schrieb "Still Life" während ihren Reisen nach Tokyo und Bali, in ihrer Heimat New York, in den Catskills und während ihres Aufenthalts an ihrem Geburtsort auf Java, Indonesien. Sie verarbeitet mit diesem Album den Tod ihres Vaters im vergangenen Jahr mit einer sphärischen und mystischen Musik, die melodisch zu gleichen Teilen undeutlich als auch opulent ist. Für letztgenannte Einschätzung ist Auseinandersetzung gefragt, denn eingängig ist hier gar nichts. "Still Life" hält sich energetisch als weißer Rauch kurz über Normal Null. Unauffällig und in seiner extremen Verhuschung doch überaus stimmungsvoll - auch wenn ich die Stimmung beim besten Willen nicht dechiffrieren kann: Malay und ihr Partner Isaac Emmanuel haben nicht nur in dieser Frage ein paar falsche Fährten gelegt und sich praktisch unsichtbar gemacht, sie haben ebenfalls dafür gesorgt, dass die Einflüsse und Wurzeln ihrer Musik kaum mehr zu erkennen sind. "Still Life" ist alles - und gleichzeitig nichts. Die Nennung indonesischer Musik, Pop aus den 1980er Jahren, urbaner Avantgarde aus dem brodelnden New Yorker Underground, Clubsounds und Indie-Shoegazer ist nicht nur eine untaugliche, weil heillos unvollständige Auflistung von Genres, es ist angesichts dieses echten Schmelztiegels und der beinahe vollständigen Auflösung von Konturen, Grenzen und Strukturen völlig irrelevant. 

“In a way, Still Life became a kind of antithesis to a world where people tell you who to pray to, what to buy into, and who your enemies should be. It’s my reaction. Still Life is my way to celebrate music from all corners…my home without borders.” 

Mir kommt sowas nicht oft über die Lippen, aber ich glaube es wirklich: "Still Life" ist ein Meisterwerk.





Erschienen auf Carpark, 2016.

26.05.2016

INC No World - The Wheel



Vor über zwei Jahren schrub ich über "No World" des Duos INC, es sei 

"eine Art blauer Cremigkeit, eine zärtliche und unprätentiöse Musik ohne Rockstargestus, ohne jedes Klischee, mystisch, esoterisch. Mit den in sich verlaufenden, übereinandergelegten Layern ihrer komplexen Arrangements und mit dem Entzug von allem Stofflichen ist "No World" die Ambient-Version des Soul. Eine einzigartige Musik."

Außerdem phantasierte ich damals über ganze zwei Absätze über die mutmaßlichen Guten Morgen-Rituale eines gewissen Prince Rogers Nelson und dessen Kuttelmüsli, das die Backen straff hält - aus heutiger Sicht wirkt das besonders vor dem überraschenden und immer noch bestürzenden Tod von Prince eventuell etwas verstörend, zumal sich der direkte Zusammenhang mit "No World" nicht jedem auf das erste Hören erschloss, aber für mich ist das Debut der beiden Brüder Andrew und Daniel Aged auch heute noch eine eingedampfte, heruntergedimmte, tranceartige Version des Purple One. 

An anderer Stelle äußerte ich darüber hinaus die Vermutung, "No World" könnte in zwanzig Jahren als vergessenes Juwel der 2010er Jahre gelten und im aktualisierten Kanon jener Alben geführt werden, die man besser gehört haben sollte, bevor Gevatter Tod an die eigene Tür klopft - das ist weniger verstörend, als immer noch sehr wahr und es verwundert deswegen irgendwie nur ein bisschen, dass es danach sehr ruhig um das Brüderpaar wurde - ein Hype sieht ganz bestimmt anders aus.

Vor wenigen Tagen veröffentlichten die beiden unter dem halbneuen und erweiterten Namen INC No World den neuen Song "The Wheel", einen sechsminütigen und auf Hawaii produzierten, typisch perlenden Magic Mushroom-Eintopf aus einer heißen Nacht am Strand, bunt flackernden Farben und subtiler Sexyness. Ich will unbedingt ein neues Album. Und bitte schnell, der Sommer ist hier Mitte August schon wieder vorbei. 





22.03.2016

Kanaworms - Die Nachzügler 2015 (4)




BEST COAST - CALIFORNIA NIGHTS


Kennt noch jemand die Rubriken "Peinlichtes Lieblingsalbum" oder "Peinlichster Lieblingssong" aus den jährlichen Leserumfragen von Musikzeitschriften? Ich fand die eigentlich schon als kleiner Wicht doof, denn warum sollte mir das, was mir gefällt unangenehm sein? Natürlich, mal haut einem der Stuttgarter Hotzenplotz bei allzu derben Verstimmungen wie "Q2K ist besser als "Operation Mindcrime"" auf den Prachtwurz (im übertragenen Sinne, meistens jedenfalls), mal fragt ein gewisser Schlagzeuger einer gewissen Punkband vom Beifahrersitz, was zur Hölle das denn nun schon wieder sei, was da als unwürdiger Großraumdiskobeat aus den Lautsprechern bumst - und das zudem in einem Ton, als ob er sich danach erkundigt, ob ich gerade einen Schlaganfall erlitten habe -, mal lupft die Herzallerliebste zuerst die Augenbraue und dann mit einem mitleidigen Lächeln den Tonarm von der Platte, aber dass ich als Sechsjähriger der Schlagerlippe Roland Kaiser im strahlend gelben Pullunder, mit extra von Mutti hinfrisierter Santa Maria-Gedächtnistolle und also vor 3000 Zuschauern in der Frankfurt Jahrhunderthalle einen Blumenstrauß an den Bühnenrand brachte, habe ich schon mal erwähnt, oder? 

Wäre mir wirklich noch irgendwas peinlich, dann müsste ich nach diesem Post vermutlich diesen Blog schließen. Und das Universum runterfahren. Kann ich, ich habe Superkräfte. Und weiße Unterhosen. Aber seien wir - und ich sowieso - ehrlich: so schlimm sind "California Night" und Roland Kaiser ja nun auch nicht. Also....schon. Aber. Aber, aber, aber. 

Ich könnte tatsächlich einen seitenlangen Verriss über "California Nights" des Duos Best Coast schreiben. Selbst gar nicht mal so strenggenommen stößt mich an dieser Platte alles ab: die grottigen und in voller Absicht hyperfremdschampeinlich geschriebenen Songtexte aus dem Tagebuch eines Backfischs, Songstrukturen, die in ihrer Übersichtlichkeit selbst Status Quo als verkopftes und experimentelles Künstlerkollektiv aussehen lassen, Melodien aus frittierter Zuckerwatte, die Hirn, Herz und Hose verkleben. Bei Licht betrachtet ist das eigentlich ein unerträglicher Scheißdreck. 

Das Problem: ich hab's eh gerne etwas dunkler und bin "California Nights" im Sommer 2015 über etwa vier Wochen hoffnungslos verfallen. Dieser ganze Krempel, der mich romantisch und mit einem Tropfen von irgendwas "unnerum" (H.Nachtsheim) an die neunziger Jahre zurückdenken lässt, mein sommerliches Leben mit dem Lemonheads, mit L7 und Hole, mit (zu) kurzen Hosen und weinroten Chucks (sic!). Das Lebensgefühl mit der gratis dazugepackten unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Freunde haben und draußen sein und noch ohne der heutzutage in voller Blüte stehenden Wespen-Phobie in der Sonne liegen, anschließend mit Bier und Bier bis tief in die Nacht philosophieren, sich die Welt und das eigene Leben ausdenken. Dieser ganze vermaledeite Kram. 

Dazu kommt im konkreten Fall der Best Coast dieses wundervoll stimmungsvolle Albumcover. Die angenehme Stimme von Sängerin Bethany Cosentino. Der kauzige Bobb Bruno mit den Metallica-Shirts und der Gibson Firebird. Das schlägt nicht nur eine Saite in mir an - das bringt gleich eine ganze Harfenmanufaktur zum Schwingen. Hier schreit wirklich alles "NEUNZIGER, BABY!", inklusive, und das ist wirklich eine Leistung: inklusive des ganz persönlichen und vor 20 Jahren wahrgenommenen Lebensgefühls . 

In diesen vier Wochen des lange vergangenen Sommers, war das einfach DIE Musik. Und DIE Platte. Und DIE Band. 

Und so wird es vielleicht auch wieder im Sommer 2016 sein. Darf man echt keinem erzählen.




Erschienen auf Harvest Records, 2015.


10.01.2016

2015 ° Platz 17




AU.RA - JANE'S LAMENT


Ich muss eine mir bislang weitgehend verborgene Vorliebe für australische Bands haben, zumindest für jene, die tief im Untergrund, im Halbschatten, unter dem Radar fliegen und zu warmgestrulltem Foster's einen schwülen, verhallten Shoegazerock mit geschlagener Magic Mushroom-Sahne spielen. Vor zwei Jahren hatte ich mich in die Absolute Boys verknallt, einem Trio, das mittlerweile und wie bereits befürchtet die Segel gestrichen hat, im Jahr 2015 war es "Jane's Lament" des Duos Au.Ra aus Sydney, das mich immer wieder magisch in Richtung Plattenteller zog.

Ihr schwelender und zugleich funkelnder Sound, wie ein nur noch vor sich hinglimmendes Lagerfeuer aus Klang, bewegt sich nicht nur musikalisch in den Zwischenwelten: zwischen perlenden Gitarren der Londoner Indiestars der achtziger Jahre wie in "You're On My Mind" mit halbwegs aufgeräumtem Laissez Faire-Gestus und verwuschelter Hipsterfrisur, und melodisch-monotonen Noisegroovern eines "Spare The Thought", das den Sex, die Drogen und das Rotlicht (pun intended!) vom frühen Black Rebel Motorcycle Club abbekommen hat, haben Tim Jenkins und Tom Crandles mit "Jane's Lament" aber auch ein Album für die Dämmerung geschrieben. Für die Momente zwischen Wachen und Schlafen, für das Zwielicht. Für einen diesigen Wintermorgen in verkrumpelten, noch schlafwarmen Bettdecken, mit Nichts zu tun - außer den Seelenpartner und eine heiße Tasse Kaffee zu umarmen.

“As the sun sets earlier, this is an album to savor with the dying light.”





Erschienen auf Felte, 2015


27.07.2015

Schleier




VALET - NATURE


Valet ist zurück. Und Honey Owens ist damit ebenfalls zurück. Sieben Jahre nach ihrem Debutalbum "Blood Is Clean", einer zwischenzeitlichen Fokussierung auf elektronische Clubsounds mit Ihrem Partner Rafael Fauria unter dem Namen Miracles Club und der Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 2013, ist "Nature" das erste Lebenszeichen der Künstlerin aus Portland seit geraumer Zeit.

"Nature" ist nicht nur deshalb eine Überraschung. Valets Musik war immer an mehr oder minder klassischem Songwriting orientiert, dabei aber abstrakt, zerfasert und experimentell - und dieses sich daraus entwickelnde Spannungsfeld passte zu Kranky Records wie die Blüte auf die Rose. "Blood Is Clean" war eine eindringliche Seance aus Songwriter-Noise und Indie-Avantgarde, intensiv glühend, aber immer mit gebührender Distanz zum Gegenüber. Sirenenhaft lockend, und doch fast ängstlich. Was gut war, weil damit die süßliche Anbiederung der übrigen Indiegemeinde fehlte. 

"Nature" ist indes von einem anderen Kaliber und es scheint, als hätte das Team Owens, Fauria und der Multiinstrumentalist Mark Burdon die Sounds und die Ideen der Zwischenstation vom Miracles Club einfließen lassen. "Nature" ist beeinflusst vom Spacerock und der Shoegazerszene der späten achtziger und frühen neunziger Jahre, ein dicht inszeniertes, aber dabei überaus melodisches, wirklich songorientiertes Album mit verhallt-schwebenden Gitarrenwänden, üppigen Sythieflächen, und einer Honey Owens, die aus den tiefsten Höhlen und den höchsten Himmelsphären zugleich monotone Gesangslinien aus frischer Zuckerwatte zusammenrührt. In meinem Herzen klingt das sehr versöhnlich, euphorisch wie bittersüß - und nur ein ganz kleines bisschen nach dem Ritt auf einem rosa Elefanten und einem Schluck aus einer verwunschenen Kokosnuss (mit einem kleinen Schuss LSD drin). 





Erschienen auf Kranky, 2015.


25.07.2015

Steingarten




JAM CITY - DREAM A GARDEN



Nur damit wir uns richtig verstehen: selbst die vom Künstler oft distanzierte Clubszene kann manchmal ziemlich kratzbürstig werden, wenn die eigenen Erwartungen nicht erfüllt werden. Jack Latham darf das gerade mit seinem neuen Album "Dream A Garden" erfahren, denn der sich ursprünglich im House austobende Londoner hat sich von seinen Wurzeln radikal entfernt und setzt den Fans eine harte Nuss vor die Ohren. Statt satter und straighter 4/4 Bassdrum und futuristischem Dschingdarassabumm ist "Dream A Garden" zerbrechlicher und nur mit Spucke zusammengehaltener Post-Pop-Punk, mit Wave-Tupfern und Shoegaze-Streifen, dabei mehr The Cure (Songs) als My Bloody Valentine (Atmosphäre). Lathams Gesang ist unter dicken Layern aus gleichzeitig wuchtigem und fragilem Sound begraben, dazu stellt man hin und wieder überrascht fest, dass der so heiß geliebte Beat komplett fehlt. 

Es ist kein sonderlich feines und sonniges Plätzchen, das sich der Brite hier zusammengeschleift hat, denn auf Schönklang hat er es ganz bestimmt nicht angelegt: "Dream A Garden" hat empfindliche Kratzer abbekommen, ist zerrissen, verletzlich und angreifbar. Keine Platte, die für einen unbeschwerten Sommer produziert wurde, aber dafür Musik, die mit einen merkwürdigen Nachhall auf die Welt da draußen nachdenklich macht. 




Erschienen auf Night Slugs, 2015.

27.04.2015

Tour De Vinyl - Köln - 8.4.2015 (II)



TOUR DE VINYL - KÖLN
8.4.2015 (Teil II)


Nächster Hotspot also: das Parallel in der Brabanter Straße 2-4. Haben die bösen Stimmen im bösen Internet recht? Geht hier wirklich die Schallplattenwelt und die Musikkultur unter? 

Nach einer guten halben Stunde wissen wir: fast alles Kappes. Zwar könnten wir auf dem Fußboden locker eine Lebertransplantation durchführen und bei dem Raumkonzept von Transparenz und Fläche kommt nicht wirklich Stimmung auf, und wer auf der Suche nach Schnäppchen ist, sollte auch besser einen Bogen ums Parallel machen, legt man für Neuware doch fast immer zwischen 20 und 30 Steine auf den Tisch des Hauses - inklusive einiger absurder Ausreißer nach oben. Dafür ist der Laden aber in nahezu jedem Genre prima sortiert. Vor allem im Raritätenfach dürfte das ein oder andere Herz höher schlagen. Manchmal auch ganz besonders das Herz von Deinem Bankberater. Auf meine drei nervigen Fragen reagierte der Mann hinter dem Tresen total freundlich und konnte mir sofort Auskunft geben. Buchstäblich auf den letzten Drücker finde ich das seit langer Zeit gesuchte Debut von Gil Scott-Heron, die Gedichtsammlung "Small Talk at 125th And Lenox" als Reissue für günstige sagenhafte 15 Euro - sowas geht hier also auch. Guck' an.

Einmal um die Ecke laufen und schwupps! stehen wir auch schon im Groove Attack (Maastrichter Straße 49) - allerdings stehe ich erst mal schön wie der Storch im Salat, weil außer T-Shirts, Jacken, Hosen und Schuhen nicht viel zu sehen ist. Vor allem keine Schallplatten. Der nette Tresenmensch weist mir den Weg in den Keller, dort steht das schwarze Gold. Und wie es da steht. 



Auch hier überrascht mich das Repertoire sehr positiv, denn im Grunde ist das mein physischer Wunschzettel meines bevorzugten Dealers Mailorders. Ich bin baff. Das Groove Attack führt in erster Linie sehr viel Hip Hop, und davon sehr viel Neuware. Alle wichtigen Labels, alle wichtigen Neuheiten, alle wichtigen Wiederveröffentlichungen - es ist alles da. Neben dem zweiten Schwerpunkt, der auf elektronischer Musik, Techno und Drum'n'Bass liegt, gibt es Spurenelemente von Brazil, World, Kraut, Indie, und Punk. Es fällt mir wirklich schwer, den "Shut up and take my money!"-Reflex zu unterdrücken, verantwortlich dafür, dass ich es letztlich doch kann, ist mal wieder die Preisgestaltung. Hier geht es im Vergleich zu den anderen besuchten Läden schon nochmal zwei bis drei Euro nach oben, wohlwissend, dass das nicht immer am Inhaber liegen muss. Die neue (Einzel-)LP von L'Orange beispielsweise, erschienen auf der Mello Music Group, kostet absurderweise auch via Versandhandel 25 Euro, und exakt zu jenem Preis steht sie auch im Groove Attack. Bei anderen Titeln muss man bei den aufgerufenen 27 oder 28 Euro schon mal kurz durchschnaufen. Und dennoch, will ich eine Platte unbedingt und habe sogar das Glück, sie im Laden zu finden - ohne Versandschrott, ohne Bezahlung via Hitler-Paypal und ohne eine arme Socke von DHL durch halb Deutschland zu hetzen, damit ich mir eine überteuerte Schallplatte anhören kann - dann bezahle ich gerne den Sondergroschen des Einzelhandels. In vollem Bewusstsein, das Problem des heißlaufenden Markts und der schwindelerregend schnell aufsteigenden Preisspirale damit gerade nochmal anzufeuern. Wie man es macht, ist es verkehrt in diesem Schweinesystem. Was genau der Grund dafür sein könnte, dass uns der Dreck noch nicht vollends um die Ohren geflogen ist. Unkraut vergeht halt nicht.

Wir verlassen das Groove Attack ohne neue Lieblinge. Nicht fair für einen echt prima sortierten und durchdachten Laden, aber wir haben keinen Geldschisser zu Hause auf der Terrasse stehen. Man mag mir die Unsachlichkeit verzeihen, hier trifft's im Grunde die falschen Jungs. Guter Laden, alle hingehen, Daumen hoch.


Der Abschluss wird nochmal ein Schmankerl. Wir holen die Herzallerliebste aus der Kölner Konsumhöllenmeile heraus, sprechen noch schnell ein Treffen mit dem Oberlehrer ab und fahren Richtung Ehrenfeld. Hier haben Blank When Zero immerhin schon drei Mal gespielt und ich habe in völlig vernebeltem Kopf Tool live gesehen. 1997. Trotz Feuchtigkeits- und Nachtcreme fällt nicht nur an dieser Stelle auf: ich bin alt. 

Ein alter Hase ist auch Jochen Sperber, der Inhaber von Normal Records (Heliosstraße 6). Über Jahrzehnte war der Laden in der Kölner Innenstadt eine Institution, bevor Jochen 2010 frustriert und schwer gezeichnet vom ewigen Kampf gegen Saturn und Media Markt, gegen das Internet und gegen die Pfeifen, die bei ihm stundenlang Platten anhörten und sie dann um die Ecke beim Elektro-Allrounder kauften ("Ich möchte nie wieder in einem Plattenladen arbeiten.") das Handtuch schmiss. Dass der Mann trotzdem nicht ohne Schallplatten und ohne den Kundenkontakt leben kann, entdeckte er Ende 2014 und erweckte Normal Records wieder zum Leben. Die Location alleine ist schon der Hit: in einem Hinterhof in Ehrenfeld wird eine kleine Laderampe hochgekraxelt und man steht in dem niedlich eingerichteten "La Boite Gourmande", der ersten Kölner Konserverie mit Café. In der Durchgangstür entdeckt man sie dann schon: die Schallplatten. Es ist mittlerweile ein toller, sonniger Frühlingstag. Die Stimmung ist so heiter wie das Wetter. Gute Menschen. Plötzlich ist irgendwie alles gut. 



Jochen ist ein sehr sympathischer und offener Typ, dem man problemlos für ein paar Stunden zuhören könnte. Sein Leben hat er in der Plattenladenpause in ein Buch hinein geschrieben, das nur noch redigiert und mit einem Cover versehen werden muss. So philosophieren wir uns alle für eine gute Stunde durch die Gesellschaft, durch Schallplatten, durch Konsum, durch Musik und wir entdecken, dass alles miteinander zusammenhängt. Jochen sagt, er will sich wieder auf das konzentrieren, was für ihn zählt: echte Musik. Und echte Beratung.

"Das was einen guten Händler auszeichnet, ist seine fachliche Kompetenz und sein ahnen von dem was ich mögen könnte. Beratung eben.
Genau das möchte ich wieder tun. Beraten. Das was in den letzten Jahren in meinen vorherigen Läden immer seltener wurde." (Facebook, 11.Januar 2015)

Die Plattenauswahl ist übersichtlich, aber das macht nichts. Dafür ist man gar nicht in erster Linie da. Ich habe die Zeit in dem Laden sehr genossen - man lachte und scherzte, philosophierte, schaute sich nebenher ein paar Platten an, war erstaunt, legte ein paar zum Anhören auf den Plattenteller, blättert in den ebenfalls ausliegenden Büchern, schwätzt weiter...die Zeit verging wie im Fluge. Und fündig wurde ich auch nochmal: die The Sea And Cake-Sammlung ist nach dem Erwerb von "Two Gentlemen" nun tatsächlich komplett und endlich steht nun "Cavale" von ihrer Quasi-Vorgängerband Shrimp Boat auf dem Bandaltar in meinen 3,40qm Luft, Liebe und Musik. 

Toll. Danke Simon! "Des wär' aber net nöödisch geweese!" (Henni Nachtsheim)


Um ein Haar noch toller: ich entdecke "Moment Returns", das 2004er Album von der australischen experimentellen Jazzband Triosk auf Vinyl. Die 2007 leider aufgelöste Truppe ist nicht nur geographisch mit den irren The Necks vergleichbar, auch musikalisch haben die beiden Truppen durchaus Parallelen, wenngleich die Nacken etwas verspielter und tatsächlicher jazziger sind, wo Triosk noch ausgeprägter der Elektronik und dem Ambient verfielen. Eine beeindruckende Platte, jedenfalls. 

Wir nehmen gemeinsam in der Sonne sitzend noch Ingwer-Bier und Kaffee zu uns und lassen uns die Sonne auf den Pelz scheinen. 

Auch wenn es in der angenehmen, unbeschwerten Atmosphäre schwer fällt, müssen wir los. Es ist Feierabendverkehr und wir haben noch gut zwei Stunden Fahrt vor uns. Wir eisen uns gaaaanz langsam los und verlassen Köln in Richtung Heimat.

Ein toller Tag mit tollen Platten und tollen Menschen. 

"Der Plattenladen ist nicht tot - er riecht nur etwas komisch." (Flo Zapfhahn)




25.04.2015

Tour De Vinyl - Köln - 8.4.2015 (I)



TOUR DE VINYL - KÖLN
8.4.2015

Die aktuelle Ausgabe der von Freund Simon initiierten Tour De Vinyl-Reihe führte uns an einem wunderbar sonnigen Frühlingstag in die Plattenläden der aus fußballerischer Sicht verbotenen Stadt - nach Köln. Da mein Intelligenzquotient aber zu Jahresbeginn den auch "psychologisch wichtigen" (Beckenbauer) zweistelligen Meilenstein nicht nur erreichen, sondern auch überspringen  konnte, und die Domstadt darüber hinaus mit einer überraschend großen Anzahl entsprechender Oasen für Vinylaficionados punkten kann, springe ich gerne über meinen Schatten, den im Kopf installierten sowieso. Zumal Köln auch unsere kleine Punkband Blank When Zero bei unseren drei Gigs immer mit offenen Hosen und Armen empfing und ich im Grunde nur gute, liebevolle Menschen von dort kenne.



Wir starten um kurz vor 11 im Black Diamond in der Ritterstraße. Als wir den Laden betreten, scheint bereits Sodom & Gomorrha ausgebrochen zu sein, denn vier mittelalte Herren wühlen sich tief in der Hocke sitzend durch sechs frisch geöffnete Kisten mit Nachschub aus dem Jazz-, Soul- und Funksektor, außerdem besprechen zwei Mädels den nächsten Deal mit dem Inhaber - Treffpunkt, Uhrzeit, Klaviermusik, Neuware, nächste Woche, alles frisch aus den USA. Laufkundschaft gibt es auch. "Haben sie die neue Platte von Olli Schulz?", "Ich suche Rock'n'Roll der 50er und 60er Jahre auf CD - können sie etwas empfehlen?" Das Black Diamond ist nicht besonders groß, tatsächlich ist es sogar ziemlich klein und wenn sich, wie an diesem Morgen, bis zu acht Menschen in ihm aufhalten, dann wird das eine sehr kuschlige Angelegenheit. Was ist hier los? Des Rätsels Lösung: jeden Mittwoch werden neue Kisten mit neuen zukünftigen Mitbewohnern angeliefert und die Stammkundschaft weiß, was zu tun ist: sie stürmt den Laden. Mir wird berichtet, dass die aktuellen Schätzchen gerade den langen Weg aus den USA hinter sich haben. Aus 20000 Platten suchte der Inhaber 1000 Stück handverlesen aus und nahm sie mit nach Köln. Wunderbare Stücke, zum großen Teil in bestem Zustand, preislich durchaus angemessen. Ich greife beim Klassiker "One Nation Under A Groove" von Funkadelic zu, ein Cut-Out und ohne die original beiligende 7-Inch Single, dafür aber mit gerade mal 12 Euro sogar zwei Euro günstiger als ausgezeichnet. Ich mag George Clintons wilde Rasselbande sehr gerne und freue mich über ein weiteres Juwel des 70er Jahre Funk. Den angebotenen Kaffee schlage ich indes aus - das ist mir hier zu voll und Kaffee treibt - wer weiß, wann ich wieder eine Toilette zu Gesicht bekomme. Trotzdem ein prima Start. 

Simon schaut sich derweil beim Comicladen Pinup um, der nur ein paar Meter weiter ebenfalls ein umfangreiches Angebot von 2nd Hand Schallplatten führt. Berichte aus dem Internet sagen, dass es sich hierbei primär um Flohmarktware handelt, dass man aber immer wieder auf ein rares Schätzchen stoßen kann. Simons Eindrücke decken sich damit, wobei der Zustand wohl tatsächlich nur selten über einen knittrigen Flohmarktbestand hinaus kommt. 

Wir fallen der Länge nach hin und liegen im Underdog (auch Ritterstraße). Die Kölner Institution in Sachen Vinyl ist mit dem Green Hell Mailorder aus Münster verbandelt und so wundert es nicht, dass das Repertoire seinesgleichen sucht. Ich bin einigermaßen perplex, denn sowas habe ich seit den goldenen Zeiten des Schallplattenhandels nicht mehr gesehen: die außerordentliche Auswahl wirkt gerade für mich, der seine vier virtuellen Wunschzettel nicht nur im Kopf mit sich herumträgt, sondern große Teile davon hier tatsächlich findet, etwas erschlagend. Im Underdog finden sich zwar leider fast keine 2nd Hand Ware, dafür ist der Laden mit Neuveröffentlichungen und Reissues auch abseits des Indie-Mainstreams vollgepackt. Doom, Post Metal und Sludge werden zusammengefasst als ein eigenes Genre präsentiert, dazu gibt es tatsächlich eine eigene Abteilung für Freunde des Thrash-, Speed, und Death Metal. Hip Hop, Elektronisches, Soundtracks, Punk, Hardcore, Oi, Metalcore, Mosh, Indie - hier könnte ich gleich ein paar Kreditkarten bis ans Limit ausreizen. Preislich liegt der Underdog im oberen Mittelfeld, denn auch hier verschließt man sich der aktuellen Preisentwicklung unter dem Motto "The Sky Is The Limit" nicht. Der Anteil von berüchtigten 25 Euro + X Platten ist zwar überschaubar, aber warum man neuerdings für das neue Album des kanadischen Postrock-Kollektivs Godspeed You! Black Emperor satte 27 Euro für eine einzelne LP auf den Tisch legen muss, erschließt sich mir vor allem aufgrund des DIY-Images des Labels Constellation ganz und gar nicht. Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass der Underdog damit nicht alleine ist, aber das macht es ja nur bedingt besser. Interessant ist die Cheapo-Abteilung im Eingangsbereich, denn hier lassen sich Scheiben finden, die in deutlich günstigeren Preisklassen zu Hause sind. Hier werde ich dann auch für den Gang zur Kasse vorbereitet: die Shoegazer-Kapelle Medicine sind mit ihrer - Record Store Day 2014, ick hör' dir trapsen - letztjährigen und dreifarbigen (!) LP "In Session" für 16 Euro vertreten. Her damit!

Wir steigen ins Auto und fahren ins wenige Kilometer entfernte belgische Viertel. Hier sollen sich gleich drei Plattenläden in drei aneinanderliegenden Straßen tummeln. Eine Eckkneipe im Viertel heißt "Zum goldenen Schuss". Ist das der Kölner Humor? 




Wir starten  mit Nunk Music in der Antwerpener Straße 16. Das im Hinterhof liegende Geschäft lässt uns gleich zu Beginn große Augen machen und fast simultan "Ha! Wie im Big Black!" ausrufen. Der Big Black Records ist ein furchtbar sympathischer und gleichzeitig chaotischer Plattenladen im Frankfurter Nordend und außerdem ein echter Geheimtipp. Wie im Big Black stehen auch bei Nunk alte Röhrenradios, Verstärker, Plattenspieler, Tapedecks nebst allerhand Gekruschel in den Gängen und den Regalen, und ebenso wie im Big Black sehen wir unzählige Kisten mit 7-Inch Singles in der gefürchteten "Rock/Pop A-Z"-Sortierung. Im schmalen Mittelgang empfangen uns der Inhaber und drei Angehörige der bundesdeutschen Streitkräfte der Kölner Bullerei in voller Kostümierung Vollausstattung. Gab's eine Mumie im Krautrock-Fach? Kettensägenmassaker in der Metal-Abteilung? Die Wahrheit ist wohl banaler: die Herren trinken Kaffee und klönen. Gibt wohl nicht so viel zu tun, da oben in Köln. 





Im hinteren Teil öffnet sich dann Nunks Heiligtum und Tausende LPs kommen zum Vorschein. Wir wundern uns über gleich drei vermeintliche Originalversionen von Leatherface "Mush" (ohne Preisangabe), Simon ist erstaunt über das interessante Repertoire im Punk/Hardcore-Fach, Herr Dreikommaviernull sieht sich in der Metalabteilung der Tautologie von grauenhaften Coverartworks und 80er Hardrock ausgesetzt. Einen Treffer lande ich für 10 Euro mit dem Debut der UK-Rocker von Thunder. "Backstreet Symphony" ist klassischer Ami-Schmonzrock, der allerdings deutlich hörbar die Schulterpolster aus Britannien dauerwellt. Mit großartigem Sänger und einem bemerkenswerten Groove. Der Nachfolger "Laughing On Judgment Day" ist sogar noch einen Tacken besser. 

Das Soul/Funk-Fach ist, etwas enttäuschend, weitgehend mit Samplern, Flohmarktware und Maxis bestückt, wohingegen vor allem der Bereich des 70er Jahre Rocks außerordentlich umfangreich vertreten ist. Auch im Jazzbereich lassen sich einige schöne Stücke finden, weshalb ich mir für relativ schmales Geld noch "Alone In San Francisco" von Thelonious Monk einpacke. Der Zustand der geprüften Platten schwankt stark - "Welcome To The Ball" der US-Metaller von Vicious Rumors, die ich für Freund Jens ins Auge fasste, war beispielsweise leider komplett verdreckt, während Monk sowohl was Cover als auch das Vinyl betrifft, durchaus sauber durch San Francisco tänzelt. Nunk Records ist ein interessanter Laden, in dem sich problemlos einige Zeit verbringen lässt, geführt von einem sympathischen Original, der erstens sehr spaßig mit sich handeln ließ und zweitens auf seiner Facebookseite zu Karneval "Kein Fußbreit den Karnevalisten!" postete. Kann man im Prinzip nur gut finden.

Nach einem knapp zehnminütigen Fußmarsch stehen wir im Parallel (Brabanter Straße 2-4) wie der Holzlöffel in der Buttermilch. Wir lasen im Vorfeld einige Misstöne aus Internetzhausen und waren entsprechend vorbereitet: das Personal sei unerträglich unfreundlich und arrogant und die Preise seien bar jeder Vernunft. Gedanken an den legendären Franz und Josef in Berlin werden wach. Werden wir auch rausgeschmissen?

Das lest ihr im zweiten Teil des Tour de Vinyl Berichts.

31.01.2015

2014 ° Platz 12 ° Jon Porras - Light Divide



JON PORRAS - LIGHT DIVIDE


Jon Porras ist seit Jahren ein regelmäßiger Gast in meinen Jahresbestenlisten, beziehungsweise in meinem Blog und selbst dann, wenn ich glaube, nun mittlerweile wirklich jede Facette seines Sounds zu kennen und der Illusion aufsitze, endgültig keine neue Platte mehr von ihm zu benötigen, weil sich das alles eben doch mehr oder minder immer wiederhole, dann kann ich an einem ganz speziellen Punkt der Versuchung doch nicht mehr widerstehen und lasse mich widerstandslos im Einkaufswagen an die Kasse schieben. In diesem Zusammenhang ist es ein mittelschwerer Skandal, sein 2012 erschienenes "Black Mesa"-Album nicht berücksichtigt zu haben. Die Erkenntnis ist schlussendlich das einzige, was wirklich bleibt: ich könnte falscher nicht liegen.

Die große Stärke der einen Hälfte des Experimental Duos Barn Owl ist seine Fähigkeit, unter seiner Wall Of Sound immer wieder den einen Moment, diesen einen besonderen Ton herauszupicken, um sein komplettes Klangkonstrukt zu verschieben. Es sind manchmal nur Mikrofrakturen, die er aus den Tiefen hervorzieht, um sie urplötzlich zu kitten und in die dirigierende Macht eines Werks in den Mittelpunkt zu stellen. "Light Divide" ist dabei in dieser Hinsicht der Höhepunkt seiner Solokarriere, weil es sich vor allem bei tiefgehender Auseinandersetzung von dem Großteil der stilisitischen Konkurrenz absetzt, obwohl die einzelnen Parameter sich nur unwesentlich unterscheiden mögen. Im großen Ambient-Becken zeitgenössicher Musik scheinen Alleinstellungsmerkmale Mangelware zu sein - ein bisschen Rauschen hier, ein bisschen Bassgebrummel da, irgendwer wird's schon goutieren, zum großen, güldenen Soufflé aufblasen, und wenn nicht alles schon zu spät ist, eine neue Genrebezeichnung draufkleben. Die Standards könnten meinetwegen gerne etwas hochgeschraubt werden. Jon Porras hat als einer der wenigen immer wieder den Schraubschlüssel in der Hand. Doppeldeutigkeit FTW!

Erschienen auf Thrill Jockey, 2014

31.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (5) - Transmission



THE TEA PARTY - TRANSMISSION


"The fact that Tea Party are not on the same popularity level as Muse/Coldplay/etc. just shows that the music industry has seriously succumbed to mediocrity." 
- PJ Hakimi via Youtube

Das oben stehende Zitat ist inhaltlich natürlich Quatsch mit Ratsch. Nicht das Musikbusiness hat sich der Mittelmäßigkeit verschrieben, es sind die Menschen, die sich eben immer am offensichtlichsten und einfachsten Allgemeinplatz abholen lassen und sich in der Folge solch einen infernalischen Scheißdreck wie fucking Coldplay aufschwatzen lassen. Und es ist auch in der zeitlichen Einordnung als neue Entwicklung falsch - das gab es schon immer. Wie sonst konnte uns ein Unfall wie Modern Talking passieren?

Im Subtext liegt PJ Hakimi hingegen nicht so irrsinnig weit daneben. The Tea Party waren im Vergleich mit den beiden genannten Rolemodels für halbsteifen Schwiegermutterrock nicht nur oberflächlich betrachtet vielschichtiger und würdevoller, sie waren auch in der Auseinandersetzung mit ihrer Kunst emotional viel verbundener und engagierter. Vielleicht war der Ansatz, praktisch jeden Ton und jedes Wort mit Spiritualität, Literatur, Gemälden und Gedanken innerer Einkehr energetisch aufzuladen zu ehrgeizig, aber es half dabei, eine Verbindung mit dieser Band aufzubauen, sofern man selbst daran interessiert war, sein Leben nicht lässig abdampfend im bewegungslosen Raum zu verbringen. Wer nach Sinn suchte, möglicherweise sogar den Sinn der eigenen Existenz, der rannte bei einem wie Martin offene Türen ein. Nach seinen LSD-Experimenten gab er sich in vollem Bewusstsein härteren Drogen hin, um zu sehen, wie weit es ihn trägt, wie weit er gehen kann und an welche Orte des eigenen Bewusstseins es ihn führt. Das Ergebnis war "Transmission", ein schwarz glühendes Meisterwerk der neunziger Jahre, ein Gedankenexperiment mit eigens errichteten Klanglabyrinthen, die mich auch heute noch sowohl an das Ende des Regenbogens, als auch in den letzten Winkel totaler Agonie führen können. "Transmission" ist mein persönliches Highlight im Schaffen dieser Band, und es ist sicher kein Zufall, dass ich "Under Influence" bekehrt wurde, und es ist ebensowenig aus dem heiteren Himmel geplumpst, weil "Transmission" das bis dato modernste Werk des Trios war. Großen Anteil daran hatte die Entscheidung Martins, den elektronischen Sounds mehr Räume zu schenken; eine Entscheidung, die in erster Linie durch den "Sister Awake"-Remix des Front Line Assembly-Mitglieds Rhys Fulber inspiriert wurde. Die Band fragte sogar bei Fulber an, "Transmission" mit Martin zusammen zu co-produzieren, der lehnte aber nach dem Hören der Demos mit der Begründung ab, er wisse nicht, wie er diese Songs noch besser machen könne.

Das Klangbild der Truppe erschien auf "Transmission" bedeutend aggressiver als zuvor. Samples und Loops hinterließen eine wahrnehmbare Industrial-Geschmacksnote, während die fernöstlichen, arabischen Elemente den Sound nachwievor prägen konnten und in der Verschmelzung mit modernen Einflüssen eine einzigartige, packende Musik zum Leben erweckte. Martin leistete auch hinsichtlich der Produktion ganze Arbeit - wie auf allen Tea Party Alben wohnt auch in "Transmission" ein explizit auf Sound, Wort und Vision abgestimmter und zugeschnittener Geist - klaustrophobisch, paranoid, dekadent, versunken, nervös. Martin erklärte später, "Transmission" musste genau so klingen, weil genau das sein Leben zur damaligen Zeit war. Martin war "Larger than Life". Größer wurde zeitgleich auch die Band: "Transmission", übrigens mit einem von Basser und Kunstsammler Stuart Chatwood entworfenen Gemälde namens "The Earth We Inherit" auf dem Cover, erreichte in Kanada Doppelplatin.

Es scheint töricht, explizit Höhepunkte zu erwähnen, aber um einen Song komme ich trotzdem nicht herum: der Titeltrack gehört für mich zu den zehn besten Tracks aller Zeiten und die Studioversion, im Dunkeln und unter Kopfhörern verschlungen, veränderte mein Leben und mein Denken. Die unten verlinkte Liveversion ist in gleichem Maße beeindruckend. Dass die betäubten Teenie-Faulpelze im Publikum angesichts dieses mächtigen Songs nicht das Studio auseinandernahmen, ist trotz des verordneten Spaß- und Bewegungsverbots auf Liveshows der neunziger Jahre doch ein bisschen überraschend.

Vielleicht hörten die aber sonst alle nur Modern Talking.





Erschienen auf EMI, 1997.