28.08.2017

Stakkato-Gewitter aus der vierten Reihe




WARGASM - UGLY


Im Intro zu meiner damaligen Serie über die vergessenen und weitgehend unbekannten Perlen des Thrash Metals hatte ich diese 1982 zunächst unter dem Namen Overkill im US-amerikanischen Boston gegründete Band zusammen mit Kapellen wie Mortal Sin, Cyclone Temple und den Kanadiern Forced Entry in der vierten Reihe des Thrash einsortiert. Das disqualifizierte sie für die "Verstaubt & Liegengelassen"-Kolumne, weil sie trotz ihrer immerhin drei zwar legendär unerfolgreichen, aber dennoch im Untergrund Kultstatus besitzenden Alben unter Insidern durchaus ein Gesprächsthema waren und auch im deutschen Metal-Blätterwald Höchstnoten für ihre Werke kassierten. Außerdem scheiterte die Band einige Jahre später an meiner Thrash Top 20-Liste, wenn auch nur denkbar knapp: über die Beteiligung ihres Debut "Why Play Around?" zerbrach ich mir durchaus die ein oder andere Gehirnzelle, und hätte ich mich für eine Top 25 entschieden - mei, dann wären sie sicher mit von der Partie gewesen. 

So aber sponn ich die tragische Geschichte des 1995 zwischenzeitlich aufgelösten Trios weiter, wenn auch unbewusst. Aber es passt so richtig doof ins Bild: andauernde Labelprobleme und ein daraus resultierendes schlechtes Timing hinsichtlich der Veröffentlichung ihrer Alben einerseits und des Tourbookings andererseits, sorgten trotz des Eingangs erwähnten und nicht zuletzt durch die damals große und sehr aktive Tapetradingszene geförderten Kultstatus besonders ihrer Demos (Titel des ersten Tapes:"Rainbows, Kittens, Flowers And Puppies"), für chronische Erfolglosigkeit. Die Band bekam sowohl in ihrem Heimatmarkt in den USA, als auch in Europa kein Bein auf den Boden. Des Weiteren waren Wargasm alles andere als eine typische Thrash Metal Band der damaligen Zeit, da sie ihren Sound in erster Linie auf klassischem Speed Metal aufbauten und erst später dezente Thrash Einflüsse hinzufügten. Zwischen ihres 1988 auf Profile Records erschienenen Debuts und dem 1993 auf dem deutschen Label Massacre Records veröffentlichten Nachfolger "Ugly" war die Band trotz Tourneen im Vorprogramm solch illustrer Namen wie Biohazard und den Cro-Mags praktisch tot und verschlief damit auch die kommerziell vielleicht erfolgreichste Zeit für harten Metal der ersten und zweiten Generation. Und als 1993 endlich "Ugly" erschien, war der klassische Thrash Metal im künstlerischen Vakuum zwischen Grunge und der damit verbundenen Abkehr von Metal insgesamt und Machine Heads "Burn My Eyes" gefangen. Daran konnte auch das verzweifelte Anschreiben eines Frank Albrechts nichts mehr ändern, der "Ugly" in seinem Review im Rock Hard Magazin - sicher mit den besten Absichten - in die Nähe von Exhorder, Demolition Hammer und sogar Pantera rückte. 

Es war der Versuch, der einst so hoffnungsvoll gestarteten Band ein bisschen Relevanz in einer völlig veränderten Musikwelt einzuhauchen. Mit der Realität hatte die Einschätzung natürlich nur wenig zu tun und das hätte man erkennen können, wären die Zeichen der Zeit richtig analysiert worden: die ehemaligen Zugpferde der Szene Metallica und Megadeth hatten sich in Richtung Mainstream verabschiedet, und Anthrax hatten für ihr im gleichen Jahr wie "Ugly" erschienenes "Sound Of White Noise" nicht nur ihren Sänger, sondern auch den Thrash Metal ersetzt. Demolition Hammer waren nach ihrem 1992er Klassiker "Epidemic Of Violence" intern zerstritten und praktisch auf dem Weg in die Gruft, Exhorder verkauften von ihrem 1992er "The Law" Brockens trotz 10-Punkte Lobhudelei von Schrank Albrecht nur knapp vierstellige Stückzahlen in Deutschland, Sepultura sollten mit "Chaos AD" im Herbst 1993 im Prinzip das ganze Genre über den Haufen werfen. Nur Pantera standen nach dem Durchbruch ihres "A Vulgar Display Of Power" Werks auf dem Siegertreppchen - aber selbst, wenn ich meine Buchhalter of Rock'n'Roll-Brille absetze: Thrash Metal war das ja nicht. Und ich weiß auch nicht, wie das Gesicht eines Pantera-Anhängers ausgeschaut haben muss, der "Fucking Hostile" auf Endlosschleife zum Onanieren hörte und dann wegen Albrechts "Uiuiuiuiuiiiii"-Gestammels "Ugly" in den CD-Schacht "schub" (Martin Chulz).

Und auch wenn es interessant und spaßig ist, sich mit den damaligen Zeiten auf diese Weise auseinanderzusetzen, hat all das mit der Qualität dieses Albums nur wenig zu tun. 

"Ugly" wurde Anfang 2017 vom Spezialistenlabel The Crypt erstmals auf Vinyl veröffentlicht. Und weil das Auge in Zeiten der Vinyl-Hipster bekanntlich mithört, haben die Damen und Herren wahrlich keine Gefangenen gemacht: Gatefoldcover im Hochglanzdruck, Liner Notes, grün-bernsteinfarbenes Vinyl. Da hüpft mein Herz. Nur um bereits im dritten Song der A-Seite zerschmettert zu werden: innerhalb der ersten zwei Minuten setzt die Musik für etwa eine halbe Sekunde komplett aus. Das klingt weniger nach einem Press- als viel mehr nach einem Masteringfehler, aber es bleibt am Ende eben doch: ein Fehler. Wie kann sowas überhört werden? Wie kann man sich für das ganze Drumherum eine solche Mühe machen und dann diesen riesigen Fuck-Up ignorieren? 

Abgesehen davon darf der bislang Uneingeweihte sich durchaus darauf freuen, dieses Werk zu entdecken - oder vielleicht auch: wieder zu entdecken. "Ugly" ist ein hochinteressantes Speed/Thrash Metal Album, das es verdient, sich mit ihm zu beschäftigen. Besonders unter dem Kopfhörer entfalten sich sowohl Präzision als auch Spielfreude des Trios und sorgt so wenigstens bei Herrn Dreikommaviernull für wahre Jubelorgien und in die Luft gereckte Fäuste (und Penen!). Albrecht hatte in seiner qualitativen Betrachtung schon recht: das rifflastige Geballer steckt so manch anerkannten Genreklassiker locker in die Tasche. Vor allem die Mittelachse mit "I Breathe Fire" und "Ugly Is To The Bone" (Der Schluss!! FICK MICH, DER SCHLUSS!) ist ein wahres Fest für jeden Riffmeister, der es gerne knochentrocken und hypertransparent produziert mag und gerne mal Studien der rechten Anschlaghand des Gitarristen vor dem Einschlafen verinnerlicht (vgl. Cyclone Temples Greg Fulton). 




Achillesverse der Band war hingegen die Stimme von Gitarrist Bob Mayo, der so gar nicht dem durchschnittlichen Thrash-Shouter, dafür aber sehr gepresst und etwas nasal klang. Das muss man mögen - ich für meinen Teil habe mich mittlerweile daran gewöhnt und betrachte das als charmantes Alleinstellungsmerkmal. Und in voller Anerkennung darüber, dass das nicht immer supergut sein muss, aber: so klang sonst niemand. Dass der Typ allerdings parallel zu seinem Gesang auch noch diese fies-vertrackten und ultrapräzisen Gitarrenriffs spielte, bedarf durchaus einer Erwähnung. Wie er das gemacht hat? Ich habe nicht den kleinsten Schimmer. 

Trotz der erwähnten Unzulänglichkeit in der Vinylausgabe, darf ich, als alter Thrasher gleich drei Mal, der interessierten Zielgruppe einen Kauf ans wärmste Herz legen. Die auf 175 Stück limitierte Platte ist nicht billig, aber beim deutschen High Roller Versand für 28 Steine zu ergattern. "Ugly" ist ein geiles Album. Und dazu für das große und ganze Bild der Thrash Metal Szene ein wichtiger und hochinteressanter Zeitzeuge eines Genres, das sich just im Umbruch befand.






Erstveröffentlichung erschienen auf Massacre, 1993.
Vinylveröffentlichung erschienen auf The Crypt, 2017.

19.08.2017

3,40qm ist nicht tot, es riecht nur ein bisschen seltsam




Es ist einigermaßen skandalös, dass die von mir stets gefürchtete und mit allen legalen Mitteln bekämpfte Schreibblockade genau in jenem Jahr an die verquollene Gehirntür klopft, in dem dieser Blog sein zehnjähriges Jubiläum feiert und feiern sollte. "Feiern" ist möglicherweise ein zu großes Wort, aber eine Hausparty ist eine Hausparty ist eine Hausparty - und obwohl mir der Termin des ersten Posts auf diesem immer noch etwas ungelenk betitelten Tagebuchs seit Wochen und gar Monaten um den Kopfkalender flatterte, und ich also wie eine im Klärschlamm steckende Klobürste eine im Mirabellen-Pfefferminzkuchen steckende Geburtstagskerze am 22.7.2017 meine dreikommavier verbliebenen Leser mit Konfetti aus geschredderten Musikmagazinen aus dem Hause Springer und einem Gläschen Kirschlikör hätte begrüßen sollen, wenn nicht müssen, erschien jedes Aufraffen unmöglich. Ich möchte nicht mit der realen Irrelevanz von 3,40qm kokettieren, aber ich benötige wohl eher die Vorstellungskraft eines auf LSD hängengebliebenen Stabmixers (300 Watt!) in der Geisterbahn des Phantasialands, um mir ein außerhalb des engsten Dunstkreises des Autors bestehendes Interesse an diesem Geburtstag herbei zu halluzinieren. Andererseits ging (und geht) es diesem Blog darum ja gerade nicht - sonst wären Artikel über Justin Timberlake nicht unbedingt auf Lobhudeleien über obskure Thrash Metal Bands, ein paar Worte über vergessene Jazzperlen nicht auf Texte über aktuelle und in Miniauflagen veröffentlichte Ambientproduktionen gefolgt. Ich hätte wahrscheinlich nicht zwei Mal pro Woche Texte veröffentlicht, sondern eher zwei Mal am Tag - dann aber bitte der trillionste vom Waschzettel des Promoters abgeschriebene Scheißdreck über Mumford & Sons, fucking Kraftklub ("Who the fuck requested that?" - Bill Hicks, zugegebenermaßen über die Rückkehr von Diskomusik in den 80er Jahren, aber it's about the spirit), Gaslight Anthem, und natürlich über die Legion und wie Kackpilze aus einem von Kevin Russell vollgestrulltem Waldboden emporgeschossenen und als Punkrock getarnten deutschnationalen Lobotomie-Dreckhaufen wie Krawallbrüder, Kärbholz und Freiwild. Dass es die aktuelle Metalszene übrigens mittlerweile zulässt, eine zwar erfolgreiche, aber dennoch überaus ärgerliche Nullkapelle wie Arch Enemy auf einem Festival mit den erwähnten Tiroler Rechtsauslegern abzufeiern, spricht Bände. Über ähnliche unheilige Verbindungen habe ich hier bereits auch schon mal geschrieben. Soll ich es verlinken? Natürlich soll ich. 

Dass dieser Raum zehn Jahre und sage und schreibe siebenhundertzweiundachtzig (in Worten SIEBENHUNDERTZWEIUNDACHTZIG!) Beiträgen bestand, lag tatsächlich in erster Linie an der tief empfundenen (Selbst)Befriedigung, über Musik zu schreiben, die mich begeistert. Mich mit ihr auseinanderzusetzen, mich einzugraben, zu recherchieren, zu erklären, Freudenfeuer anzuzünden. Vor einigen Jahren wurde ins Kommentarfeld eines Artikels über den Pianisten und Bandleader Nik Bärtsch mal der Satz "Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt" hineingeschrieben und ich empfand das als möglicherweise größtes Kompliment. Mehr in der Hand, im Kopf, in den Ohren und nicht zuletzt im Herzen zu haben, als das gehetzte Internet mit seinen grellen Blitzlichtern es für gewöhnlich zulässt. Und nicht zuletzt war es auch immer eine große Herausforderung, sprachlich und stilistisch auf einem wenigstens in Ansätzen erträglichen Niveau zu schreiben, Allgemeinplätze zu meiden, die schlimmsten Verbrechen "zeitnah", "extremst" und "massiv" draußen vor der Tür zu lassen - und im besten Fall selbst beim Lesen nicht wegzunicken. Die Herzallerliebste wies mich in den vergangenen zehn Jahren stets darauf hin, dass sich die gefürchteten über 20+ Zeilen erbrechenden Bandwurmsätze nicht dafür eignen, die Augen offen und das Hirn feucht zu halten, aber wer nicht kämpfen will, der hat eben verloren: der Mittelmäßigkeit keine Chance. Und doch stößt der Peinli-O-Meter beim Durchlesen so manch alten Textes stärker und schneller in den roten Bereich vor, als mir lieb sein kann. Aber so ist das vermutlich mit diesem "Älter werden", schließlich habe ich früher auch mal SPD gewählt, Shirts von Iron Maiden und eine "Nackenfotze" (Herr Pelleringhoff) getragen. Es ist tatsächlich wie bei den eigenen Musikaufnahmen über die letzten 20 Jahre: das hätte man alles besser machen können. Die Texte? Grundgütiger! Das Arrangement? Ein Autounfall! War ich beim Schreiben dieser Gesangslinie eigentlich stoned? "Does the pope shit in the woods?" (John Cleese). 

Außerdem half diese enge Auseinandersetzung mit Musik im Rahmen des Blogs dabei, im Überangebot von Musik den Boden nicht unter den eigenen Füßen zu verlieren. Wenn in einem guten Monat 20 neue Alben darauf warteten, nicht nur gehört, sondern auch noch verstanden zu werden - und was an einem solchen Monat "gut" war darf man auch nochmal in die Diskussionsrunde mit einem schweren Roten schmeißen - dann war das Schreiben über wenigstens derer zehn eine Art Therapie für die Entschleunigung, die eigene zumal. Keine Ablenkung, kein schreiendes Internet mit seinen Twitters, Instagrams, Emails, keine Gedanken an den ausreichend zugekackten Arbeitstag, sondern Konzentration: Nadel aufsetzen, Kopfhörer auf, in den Musiksessel plumpsen und schreiben. Das ist, nicht zuletzt wegen der notwendigen und zusätzlich anfallenden Recherche, aufwändig. Selbst ein vergleichsweise kurzer oder gar zunächst banal erscheinender Text ging mir selten einfach von der Hand. Auch hier gibt es Parallelen zum Musikmachen: unsere kleine Punkband, die sich nach Feierabend vorzugsweise ein- bis eineinhalb Minüter aus den Klamotten presst, die für den ein oder anderen Hörer vielleicht sogar so klingen, als seien sie in ebenjener Zeitspanne auch final erdacht worden, benötigt im Gegenteil bis zur Uraufführung eines solchen Titels auf der Bühne eines Opernsaals dieser Republik länger als die zwei braunen Gehirnzellen Björn "Heil" Höckes im führerhauptquartiergroßen und von gähnender Leere dominierten Brägen der faltigen Krawallschachtel, um sich beim Barte des GröFaz einen von den "Palmen" (Die Flippers, "Mitternacht In Trinidad") zu wedeln. Dazwischen: Zusammenbrüche, Selbstzweifel, Resignation, veganer Rollbraten, Trump (vulgo "Drumpf").

Wenn indes der Arbeitstag so zugekackt war, dass sich die Seele nachts um eins gerne nur noch in einem großen Glas Nutella versenken will, Musik nur noch als kurzfristig zu verabreichendes Analgetikum wirkt, und dazu die Mittel nicht mehr ganz moderner Kommunikation mit Hilfe des Wechsels von einem, Achtung, uffjepasst: Windows Phone (!) zum unvermeidbaren Android-Superscheiß den Blogger des letzten Jahrzehnts eher zu einem Instagrammer machen - bunte Bilder, die eigene Geilness streicheln und vor allem ja: streicheln lassen, Usability wie im Paradies, der direkte Kontakt mit anderen über die ganze Welt verteilt lebenden Gestörten - dann geht angesichts dieser Deppenkombination auf so einem Blog das Licht aus. Oder es wird zumindest dunkler. Dass es auf Tausenden Blogs in den letzen zehn Jahren gar stockfinster wurde, ist Fakt. 


Vielleicht ist dieser Post mehr als ein Grablicht. Es gibt viele gute Ideen, es gibt viele gute alte und neue Platten - "Also, jetzt sollte irgendwas kommen (Content!)"




Wie immer: Danke für's Lesen. Ganz in echt.