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31.12.2017

The Year I Tried To Live - 2017 im Rückspiegel




Schwupps - schon ist's wieder vorbei. Das verstörendste Merkmal des Älterwerdens ist, nahezu jegliches Zeitgefühl zu verlieren, dass also das Hirn seine eigene eh schon diffuse Suppe aus Erlebnissen und Momenten in einen großen Topf wirft und die ganze Brühe mit einer Flugzeugturbine mal schön durchrührt, bis am Ende ein sämiger Kladderadatsch vor einem liegt, der bis in die kleinsten und verzweifelt freigehaltenen Fugen des Lebens eindringt und sie ausfüllt, bis auch wirklich jede noch so kleine Erhebung ge- und verschluckt ist. Das beste Gegenmittel gegen den Schwund an Aufmerksamkeit und das Getöse um einen herum, ist das aktive Erleben, um Momente zu kreieren, die bleiben. Und selbst das erscheint mir bisweilen eine große Anstrengung zu sein, weil das ständig in Rekordgeschwindigkeit wachsende und das eigene Sein umringende Gekröse am besten mit einer Kettensäge im Zaun gehalten werden muss: im Hier und Jetzt sein. Den Moment genießen, ihn feiern.

Die Herzallerliebste und ich haben zur Jahresmitte, vermutlich an dem Punkt, an dem wir unisono ein "Fuck, schon wieder Juni - eben war doch noch Silvester?!" ausplärrten, sehr aktiv beschlossen, diese Momente zu erschaffen. Als vorläufiges Ergebnis besuchten wir im abgelaufenen Jahr so viele Konzerte wie vermutlich seit Jahren nicht mehr - und es waren großartige Erlebnisse dabei: wir sahen zum allerersten Mal die Afghan Whigs live auf der Bühne, der kleine Metal-Florian feierte die Konzertreise seiner alten Helden von Psychotic Waltz knieend in der ersten Reihe, der kleine Punk-Florian warf nach 25 Jahren den alten Herren von Bad Religion ein kurzes "Hallo!" zu, Propagandhis einzige Show in Deutschland wurde sogar mal wieder im Mosh-Pit verbracht, bis meine Hawaii-Stofflatschen in der getrockneten und dann ziemlich klebrigen Biersiffe vor der Bühne einfach am Boden festklebten und ich also in Socken wie eine Flipperkugel vom tanzenden Volk willenlos durch die Gegend geschoben wurde, die kalifornische Soulsensation Monophonics spielte erneut vor einer traurig geringen Anzahl von Menschen einen berauschenden Gig (in einer besseren Welt verkaufen sie achtzehn Mal hintereinander ein Fußballstadion aus), die künstlerisch wie kommerziell wiederbelebten Prog-Opas von Marillion rissen im Vorbeigehen in einer ausverkauften Batschkapp das beste, strahlendste, intensivste Konzert der letzten 10 Jahre ab und rührten uns mit dem überraschend auf die Setlist genagelten "Neverland" gar zu Tränen, die bekifften Slomo-Doomer von Windhand bratzen und fuzzten mich zurück in die Neunziger, der olle Nick Cave legte eine ergreifende Welt-Performance aufs Parkett der altehrwürdigen Jahrhunderthalle, wir sahen zum ersten Mal die bunten Groovemonster der Thievery Corporation live und Fates Warning waren so großartig, dass selbst ich ein Kind von Ray Alder bekommen möchte. Meinethalben kann das im Jahr 2018 gerne so weitergehen.




Außerdem beschlossen wir, Grönemeyers Credo aus den 80er Jahren wiederzubeleben und mögen Musik also nur, wenn sie laut ist : in einer Disko. Da standen wir also mit unserem Plan, die Frankfurter Clubszene zum ersten Mal seit 18 Jahren zu erkunden und erlebten eigentlich bei jedem Besuch Denkwürdiges, abgesehen davon, dass wir uns mit 40, respektive 45 Jahren in einer Horde zwanzigjähriger Studenten nicht immer so richtig wohl fühlten: der "Hip Hop Classics" Abend im Zoom bot alles, aber keine Hip Hop Classics - es sei denn, Hip Hop hat sich in den letzten 20 Jahren zu einer Kirmesmusik mit Ruckelbeats und schlecht programmierten Autotunes entwickelt. Dazu krakeelte ein offensichtlich unter einer Überdosis Butterkeks stehende  DJ-Eumel legendäre Einzeiler wie "I WANNA SEE YOUR HANDS FRANKFURT!" in die Songs hinein, als wären wir gerade am Kettenkarusell vom Oktoberfest und spielte außerdem die Songs nicht mehr vollständig aus - zugegeben: in dem ein oder anderen Fall waren wir deswegen nicht undankbar, aber srsly: what the fuck? Die Kiddos erschreckte all das zwischen zu knappen Oberteilen, zu engen Feinripps, Hüten und Handy-Scheißdreckgetippe auf der Tanzfläche natürlich zu keiner Sekunde. Strange times, man. Strange times. Persönliches Lowlight war hingegen der Besuch in der Frankfurter Batschkapp zur 80er, 90er und 00er Party: auch hier gab es einen Kirmes-Einheizer, der nicht nur ebenfalls die gespielten Songs mit allerhand überflüssigem Aufputschdünnpfiff kaputtbrüllte, sondern dann auch noch mit Sätzen wie "FRAAANKFUUUURT, WIR HABEN KNICKLICHTER FÜR EUCH!" und "FRAAAAANKFUUUURT, WIR HABEN LUFTGITARREN FÜR EUCH, HABT IHR SPASS?" zumindest bei uns feierlich in den Fremdschämtempel der Doofheit einzog - während der Rest der überwiegend blutjungen Bande zwischen zwei getippten Snapchats und einem Schluck Marshmallowbier den Irrsinn mit einem gequiekten "Whooaaaah, coooool" goutierte und um 3 Uhr nachts unironisch Wolle Petrys Minderbemittelten-Gassenhauer "HölleHölleHölle" abfeierte. Spätestens hier war klar: es ist Zeit zu gehen.

Aber auch positive Erlebnisse sollen nicht verschwiegen werden: die Ü-30 Party im Orange Peel im Frankfurt Bahnhofsviertel hatte einen charmant ausgelassenen und unprofessionellen Charakter: war der Durchgang zum Clubraum bei unserer Ankunft gegen 0 Uhr wie leergefegt und in seiner Kargheit besorgniserregend verstörend - "Ohgott, hier ist kein Arsch!" - flogen uns nach Öffnen der schweren und soundschluckenden Stahltür tanzende Gliedmaßen aus dem überraschend kleinen Raum entgegen. Dass ich mich von der "Eyeyey, guuuuden Lauuuuneeee" (Sven Väth) anstecken ließ und zwei Stunden später in einem Anfall mentaler Komplettverstrahlung und unter dem Einfluss von lediglich zwei Cola-Light gar zu Bohlens musikalischer Vertonung eines offenen Penisbruchs "You're My Heart, You're My Soul" tanzte, spricht Bände. Ihr seht uns wieder, Orange Peel.

Darüber hinaus mag meinen verbliebenen Lesern (es dürften nicht zuletzt wegen der in diesem Jahr einsetzenden Schreibblockade mittlerweile deutlich weniger als die üblichen dreikommavier sein) aufgefallen sein, dass a) der letztjährige Jahrescountdown der besten Alben des Jahres 2016 sich bis in den fucking Mai (!) zog, b) in diesem Jahr in Sachen Anzahl der Blogposts der absolute Tiefpunkt aller Zeiten erreicht wurde und c) der offensichtlichste Bruch ab Mitte Mai zu erkennen war und damit in Zusammenhang stehend, ich d) auch nunmehr 7 Monate nach dem Freitod von Chris Cornell am 18.Mai 2017 noch immer nicht in der Lage war, darüber zu schreiben. Wer diesem Blog nicht erst seit gestern folgt weiß, welchen Stellenwert Cornell für mich und Alina hat und hatte - er war nicht nur eine Gallionsfigur unserer damaligen musikalischen Grunge-Heimat in unserer Jugend und Adoleszenz, er lieferte auch unseren Soundtrack in der konfusen, beängstigenden und unsicheren Zeit, als wir uns gerade aufmachten, die Entscheidung für ein gemeinsames Leben zu treffen. Ich mag mich heute kaum mehr an diese Zeit erinnern, weil sie immer noch so intensiv und schmerzhaft erscheint - selbst wenn das Ergebnis, eine sich in diesem Jahr zum 15. Mal jährende und restlos wunderbare Ehe, ja durchaus ein Grund zum täglichen, gar minütlichen Feiern wäre. Die zweite Jahreshälfte von 1999 war hingegen die Hölle auf Erden und Cornell sang uns die Songs seines ersten Soloalbums in unsere Wohnungen in Nürnberg und Frankfurt und verband alleine damit unsere Leben und unsere Seelen. Die Nachricht von seinem Tod traf uns beide wie ein Schlag, und ich kann, will und darf hier nur von mir sprechen, aber ich kann nicht behaupten, dass ich ihn verarbeitet habe. Für ein halbes Jahr konnte ich keine einzige Platte hören, an der er beteiligt war. Erst vor kurzer Zeit traute ich mich zaghaft an das letzte Soundgarden-Album "King Animal" heran, das ich übrigens aufgrund meiner Reunionallergie bei Erscheinen bewusst ignorierte und erst wenige Tage vor seinem Tod dann doch aus dem Second Hand Shop entführte. Die Erinnerung an das gemeinsam besuchte Konzert im April 2016 in Hamburg und an einen scheinbar komplett aufgeräumten, humorvollen, unendlich talentierten, in sich ruhenden Cornell, der Gedanke, dass er, den ich an diesem Abend zum ersten Mal überhaupt live sah und der plötzlich so mir nichts, Dir nichts wenige Meter von mir entfernt stand und der mir alleine mit seiner Anwesenheit mein ganzes Leben aus den neunziger Jahren, meiner Kindheit, meiner Jugend, im Zeitraffer in Richtung Memory Lane schickte, durch solche Qualen gegangen sein muss, dass er sich in einem fucking einsamen Hotelzimmer das Leben nahm, zerreißt mich bis heute. Ich war bislang völlig unfähig darüber zu schreiben und auch hier mag es mir nur schwerlich gelingen. Aber wenn es einen Grund dafür gibt, warum auf diesem Blog seit Mitte Mai noch weniger zu lesen war als zuvor, dann ist es folgerichtig dieses Ereignis. Ich plumpste einfach in ein Loch. Und wo ich für den Alltag, sprich: die Lohnarbeit noch funktionierte, ging bei den Hobbys das Licht aus.


Ich bin nicht glücklich darüber. Ich hatte tatsächlich einige ganz neckische Ideen für den Blog, und war leider nicht in der Lage, sie umzusetzen. Ich arbeite weiter daran - eigentlich fangen wir jetzt schon mit einer an, auch wenn sie nicht wirklich neu ist: der neue Jahrescountdown ist da. Nach Durchsicht aller in Frage kommender Alben für die Top 20 war klar, dass ich erstmals die Tradition durchbrechen und also auf eine Top 30 aufstocken muss. Es wird bald hier zu lesen sein, dass einige große Namen im Hause Dreikommaviernull es dieses Mal nicht in die 20er Bestenliste geschafft hätten - und nicht etwa deshalb, weil ihre Alben so mittelmäßig gewesen wären. Ich habe schließlich nie damit ein Problem damit gehabt, enttäuschenden Kram auszusortieren, selbst wenn ich dank meiner Metal-Vergangenheit schon mit einer übergroßen Portion Loyalität ausgestattet bin und alten Helden einen Ausrutscher gönnerhaft verzeihen mag. Nein, das Gedränge war im Jahr 2017 so groß, dass es mir wirklich unfair erschien, mich nur auf 20 Alben zu beschränken. So gibt es also demnächst ganze 30 Scheiben zu besprechen, und weil der ein oder andere möglicherwiese nun das große Stöhnen beginnen mag, dass ich, bliebe ich bei meiner aktuellen Veröffentlichungsfrequenz, damit ja erst im September 2019 fertig sein würde, darf ich feierlich notieren: es wird alles ganz anders. Stay tuned.



Ich möchte mich zum Abschluss des Jahres sehr ernsthaft, aufrichtig und äußerst ranschmeißerisch bei Euch fürs Lesen bedanken. Ich weiß es zu schätzen.




24.09.2017

Lovespeech (not really)

Sunday night coffee'n'anger'ranting music: Quicksand - Slip. We had our national election today in Germany and my fucktwat-dumb-as-shit county elected some nazis into our parliament. Talking about "The Germans learned their lesson." No, we fucking didn't. This is our very own Trump-era now and actually they are suspiciously close to each other in terms of their rhetoric, their fondness of playing the victim and their shit-quest for bluntly lying all over the place. It was also reported that the russians might have helped them along the way in social media outlets and campaigns. What a surprise. Not! I also decided not to muddy the waters anymore by looking for answers and explanations beyond "Because their voters are fucking stupid." They are fucking stupid and that's all they are. Case closed. Gotta fight fire with fire. Dunno yet how the fuck to fight them, but by any means: fight 'em.  #quicksand #btw17 #rant #naziscum #fckafd #vinyl #nowplaying #walterschreifels #nowspinning #vinylgram #33rpm #vinylporn #vinylcollection #recordcollection #instamusic #alternative #indie #ontheturntable #vinylcommunity #coffee #punk #hardcore #hc #instavinyl #vinyljunkie #ilovevinyl #vinyleveryday #political #angryasfuck
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02.01.2017

2016 - Music Heals Eben Doch



Das vermutlich als "Superscheißjahr" (Herr Dreikommaviernull) in die Menschheitsgeschichte eingehende Jahr 2016 war tatsächlich in vielen Bereichen jener Bewertung durchaus gewachsen; die vielen verstorbenen Prominenten haben andere schon trillionenfach aufgezählt und mir damit die Arbeit und Euch die Langeweile abgenommen - wobei: Roger war echt hart -, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, der Ausstieg des Vereinten Königreichs aus der Europäischen Union, die vielen sackgesichtigen deutschen Kartoffeln, die sowohl physisch als auch psychisch Jagd auf Flüchtlinge machen, der europäische Rechtsruck, Mineralöl im Veggieschnitzel, die SPD ist immer noch nicht aufgelöst und Bill Hicks ist immer noch tot - ich könnte locker bis in den Frühling weitermachen.

Aus persönlicher Sicht ist sicherlich der plötzliche Tod unserer Katze "Kleini" im August als DER Tiefpunkt des Jahres zu erwähnen. Mit den Auswirkungen haben die Herzallerliebste und ich immer noch zu tun, und sei es nur, nahezu jeden Tag von unserem Kater daran erinnert zu werden, dass er sie ganz schrecklich vermisst und sein Leben nun ein anderes ist. Kleinis Tochter Tiffy, seit dem Jahr 2000 in der Obhut meiner Mutter, ging einen Tag vor Silvester und beschloss damit 2016 und wenigstens in dieser Hinsicht würdig i.S.v. "Fuck You!".



Kleini (links, 1999 - 2016) und Schnuffel


Abgesehen von all dem oben ausgebreiteten Quatsch, der einem den Kopf verklebt, war 2016 vor allem vollgestopft mit wunderbaren Momenten und tollen Erlebnissen. Und erstaunlicherweise mit der Erkenntnis, vielleicht endlich in der Arbeitswelt angekommen zu sein. Das kann im Normalfall nach 18 Jahren auch fast erwartet werden, aber ich fürchte, ich bin kein Normalfall: noch immer schaue ich mit dreiviertel Skepsis und vierviertel Überraschung auf das, was andere Karriere nennen und was mir diesbezüglich vor allem in den letzten 13 Jahren passiert ist. Seit meinem im Jahr 2015 vollzogenen Wechsel fühle ich mich im nun nicht mehr ganz so neuen Job indes so wohl wie vermutlich an noch keiner Stelle zuvor. Das ist wirklich ein ganz merkwürdiges Gefühl - ein gutes zwar, aber auch in Teilen ein überwältigendes.

Überwältigend waren auch die im Jahr 2016 besuchten Konzerte. Es waren nicht viele, zugegeben, und ich bin mittlerweile auch alles andere als ein Freund von Liveshows, aber Chris Cornell in Hamburg, Sacred Reich in Aschaffenburg, Monophonics in Wiesbaden, Gogo Penguin in Offenbach und New Model Army in Stuttgart sorgten allesamt für eine körperlich spürbare Überdosis Endorphine im Blutkreislauf. In diesen Momenten war wirklich und ausnahmsweise mal einfach alles gut und meine Lebenslust-Skala war nicht zuletzt wegen dieser Erlebnisse auch außerhalb des Konzertsaals immer öfter im sattgrünen Bereich. Music heals eben doch.

Wenn sie dann auch noch selbst erdacht und gespielt wird, gibt's manchmal sogar noch einen Nachschlag: unsere immer noch ziemlich kleine und nur sehr langsam wachsende Lieblingspunkband Blank When Zero hat eine neue Platte gemacht, dafür fast ein ganzes Jahr benötigt und ist nach sieben Jahren gemeinsamen Musikzierens doch tatsächlich im Keep It A Secret Labelhafen eingelaufen. Was es über "Taped!" zu sagen gab, könnt ihr hier nochmal nachlesen.

Kommen wir abschließend zu dem, was hier in den nächsten Monaten (sic!) zu lesen sein wird: die zwanzig besten Platten des Jahres 2016. Um sicher zu gehen, dass ich auch in diesem Jahr die bewährte Jammerei über zu viele tolle Musik unterbringe, habe ich extra nochmal in dem entsprechenden Intro zur Listenwahn-Sause des vergangenen Jahres reingeschaut:

2015 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.


Was man auch schaffen muss: es für's Jahr 2016 exakt genau so nochmal in den Blog wuchten:

2016 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.

Um es mit Mutti zu sagen: Wir schaffen das jetzt gemeinsam.

Ich danke allen fürs Lesen und die Aufmerksamkeit.

06.11.2016

Mr. President, you’ve done everything but ultimate fighting and amateur porn!




Bill Maher, Gastgeber von "Real Time With Bill Maher" im US-amerikanischen Fernsehen, Stand-Up Comedian, Schauspieler und immer öfter erfolgreich in der Selbstinszenierung als politischer Kommentator, hat im Januar diesen Jahres eine Petition gestartet, den noch amtierenden Präsidenten der USA im Rahmen seiner wöchentlichen Show interviewen zu können. Obama ist über seine achtjährige Amtszeit oft und gerne als Gast in ähnlichen Formaten aufgetreten: bei Stephen Colbert, Jimmy Fallon, Jimmy Kimmel, Letterman - ganz zu schweigen von Interviews mit den üblichen Verdächtigen der amerikanischen Medienlandschaft wie Chris Wallace, Anderson Cooper, Rachel Maddow, Keith Olbermann - selbst der rechtskonservative Bill O'Reilly hatte seine Redezeit mit Obama (und fiel ihm dabei mehrfach auf sehr respektlose Weise ins Wort).

Um Bill Maher machte Obama indes einen weiten Bogen und Bill fragte sich: kommt er nicht, weil ich bekennender Pothead bin? Oder weil ich gleichfalls bekennender Atheist bin? Nun ist Maher ein ausgewiesener Egozentriker. Einer, der sich selbst und sein Tun, diplomatisch formuliert: sehr wichtig nimmt. Und der sowas ganz und gar nicht auf sich sitzen lassen kann.

Hier ist der Clip über seine Ankündigung zum Start der Onlinepetition:






100.000 Unterschriften waren notwendig, um eine Antwort des Weißen Hauses zu erhalten. Innerhalb weniger Tage waren es über 300.000.





Nachdem sich das Weiße Haus in seiner Antwort zunächst sehr zurückhaltend äußerte, ist es nun tatsächlich doch passiert: Maher war im Weißen Haus, und er traf Obama - und damit immerhin den Mann, dem er im Wahlkampf 2012 eine Million Dollar als Spende zukommen ließ. Was ihn in Bezug zu dessen Real Time-Ignoranz zu dem legendären Satz "I gave Obama a million dollars and he treats me if I lent him a million dollars!" brachte.


Hier ist es nun, das Ergebnis seiner Mühen. 37 Minuten mit Barack Obama und Bill Maher.



30.10.2016

Demo Für Alle, Hirn für Keinen

Bis vor wenigen Monaten konnte ich noch mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Durchgeknallten in Baden-Württemberg und deren Protest gegen den Bildungsplan der grün-roten Landesregierung deuten, die grünversifften Gutmenschenneger planten die "Frühsexualisierung" ihrer Kinder, die "Zerstörung der Ehe zwischen Mann und Frau als tragende Stütze unserer Gesellschaft" und außerdem die Einführung der Homo-Ehe für alle, so dass also auch demnächst das brave Christenwürschtel mit am Herd festgeketteten Eheweib einem seiner Geschlechtsgenossen vor dem Traualtar einen blasen muss, weil es das Gesetz eben so will; anders ist diese Komplettvernagelung des Dachgeschosses ja auch wirklich kaum zu erklären: "Wir planen die Einführung einer rechtsverbindlichen Spermainjektion und einer daraus resultierenden Oberschenkelschwangerschaft für alle männlichen Christen bis zum 45.Lebensjahr und wer nicht mitmacht, wird erschossen!" (Winfried "Kretsche" Kretschmann, Zitat ähnlich).

Mittlerweile ist der Lobotomierten-Virus aber auch auf Hessen übergesprungen, und das fühlt sich auch an einem eigentlich sonnigen und friedlichen Sonntag wirklich richtig ekelhaft an: Das Aktionsbündnis "Demo Für Alle" mit dem "Edler Vollquatsch in Nuss"-Motto

"Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder"

und geführt von der lückenlos formidabel benamten Hedwig Freifrau von Beverfoerde, einer konservativ-katholischen und in der CDU beheimateten Kaltmamsell, die sich nicht zu schade war, sich diesen frechdummen Quadratscheiß gemeinsam mit der pathologisch verrückten Mausausrutscherin Beatrix von Storch von der AFD auszuschnapsen; wohlgemerkt also mit einer Frau, die via Twitter, Facebook und Wolfsschanzen-Kutscher Andeutungen dergestalt machte, die Grenzen des großdeutschen Reichs notfalls auch mit dem ausgesprochenen Scheiß, pardon: Schießbefehl für und auf Frauen und Kinder zu sichern - denn wenn man nur die Männer abknallt, ist's nur halb so tragisch, wie es an der Empörungsskala der deutschen Qualitätspresse abzulesen und mehr oder minder frei interpretierbar ist:





In der Selbstbeschreibung von "Demo Für Alle" heißt es:

Veranstalter der DEMO FÜR ALLE ist ein Aktionsbündnis verschiedener Familienorganisationen, politischer Vereine, engagierter Einzelpersonen und Initiativen aus ganz Deutschland. Wir treten ein für Ehe und Familie, auf die unsere Gesellschaft seit Jahrtausenden gründet, und wenden uns gegen die alles durchdringenden Umerziehungsversuche gut organisierter Lobbygruppen und Ideologen.

Nun ist es gute Tradition konservativer Parteien, Vereine und Thinktanks, die Einnahme von Tabletten zur Behandlung von Halluzinationen früher abzusetzen als vom Onkel Doktor empfohlen, und die Ergebnisse sind immer die gleichen, wenn nicht selben: der Weltuntergang steht kurz bevor, weil Frauen sich gegenseitig die Mumu und Männer sich gegenseitig den Pumu lecken, der Pfarrer nur noch strukturellen Kindesmissbrauch betreiben aber immer seltener Mann und Frau trauen kann und weil ein politischer Bildungsplan eines Bundeslandes vorsieht, das Recht auf sexuelle Freiheit und das Ausleben derselben zu "akzeptieren" und nicht etwa zu "tolerieren". Ein progressiver Sexualkundeunterricht an deutschen Schulen ist "Indoktrination im Sinne des Gender-Mainstreaming", und die "Homo-Lobby" plant die "Aufhebung aller sexuellen Normen" im Rahmen ihrer "kulturrevolutionären Strategie". Die drei letzten Zitate stammen allesamt von Gabriele Kuby, einer Fundamentalisten-Furie aus Rechtsauslegerhausen, die sich die als Faltensack getarnte Denkvorrichtung noch nicht glattbügeln konnte, denn für Madame Kabelbrand ist Homosexualität nicht nur Sünde, sondern auch heilbar:












In Wiesbaden hat "Demo Für Alle" zum heutigen Sonntag zur großen "Anti-Indoktrinations-Demo" geladen, unterstützt vom Who-Is-Who christlich-konservativer Organisationen und Initiativen:




Während sich die hessische CDU offiziell vornehm zurückhält und der Demo weder beiwohnt noch sie unterstützt - schließlich hat sie das zur Diskussion stehende Papier ja in erster Linie zu verantworten - sehen das Arbeitskreise der Union und die ihr nahe stehenden politischen Gruppierungen ganz offensichtlich anders - und als ob wir wirklich noch einen zusätzlichen Grund benötigen würden, um sämtliche Gedanken, Ideen, Visionen in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus dem Umfeld dieser Partei und ihrer Wähler immer und immer wieder zu 100% abzulehnen: hier hätten wir ihn dann. Sicherer Begleiter solcher Argumentation ist das klägliche und überaus bedauernswerte Zurückziehen in die Opferrolle, samt Negierung sämtlicher Realitäten. So wird etwa von eingeschränkter und unterdrückter Meinungsfreiheit schwadroniert, von struktureller Diskreditierung, von politischen Verschwörungen. Die arme kleine unterdrückte, an den Rand gedrängte, zum Schweigen gebrachte Minderheit - die sich zum freien Demonstrieren jeden Sonntag auf irgendeinem Rathausplatz treffen darf - und sei die geist'ge Armut im Brägen noch so groß, die Gedanken noch so wirr und das Mikrofon noch so laut: das absurde Gefühl, man befinde sich in der Minderheit, werden diese Menschen nicht mehr los. Dabei wird andersrum ein Schuh draus, denn die Minderheit IST tatsächlich Opfer von Diskriminierung:

Eine Online-Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ermittelte 2013 für Deutschland unter anderem folgende Zahlen: 46 % der Befragten LGBT (von engl. lesbian, gay, bisexual, and transgender) fühlten sich in Deutschland im letzten Jahr diskriminiert, 68 % haben ihre sexuelle Identität oft oder immer während der Schulzeit versteckt. 6 % der LGBT wurden im letzten Jahr Opfer von physischer oder sexueller Gewalt. Nur 4 % der gleichgeschlechtlichen Paare wagen, sich Händchen haltend in der deutschen Öffentlichkeit zu bewegen, während dies 68 % der heterosexuellen Paare tun. (Wikipedia, Homosexualität in Deutschland)


Was wir hier beobachten sind letzten Endes verzweifelte Versuche, den eh schon bröckelnden Status Quo eines veralteten gesellschaftlichen Dogmas um jeden Preis am Leben zu erhalten, während der Rest von uns sich längst von einem reaktionären, altmodischen, Realitäten nicht anerkennenden Format des Zusammenlebens verabschiedet hat. Ich habe in den letzten Monaten so manch gelupfte Augenbraue präsentiert bekommen, als ich meine Hoffnung zum besten gab, die Welt und die Menschen befänden sich auf einem guten Weg: wie könne ich denn im Zeitalter des Untergangs und vor dem Hintergrund solch großer, existentieller Probleme der Menschheit davon reden, dass schon alles gut gehen würde; ich sei ja ein naiv-verblendeter "Hippiearsch" (Rodgau Monotones) und hätte wohl die Seiten gewechselt - weil wenn die Gegenseite schon aus bloßer Faulheit nicht differenziert, dann muss man es selbst schließlich auch nicht machen. 

Die Antwort lässt sich am oben beschriebenen Phänomen bestens illustrieren: weil wir als Gesellschaft solche bösartigen, reaktionären Sackgesichter hinter uns lassen und schon gelassen haben.

Sie spielen keine Rolle mehr. 

Sie sind egal.

Sie sind vergessen.

Die progressive Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind viele. Und bald sind wir alle. Und der Rest soll sich solange wegficken. 


26.09.2016

The Republican party has actually nominated for president a man who...believes Belgium is a city




Keith Olbermann, der aus meiner Sicht leidenschaftlichste, bissigste und gleichzeitig rhetorisch eleganteste politische Kommentator der USA, hat nach einiger Abwesenheit von den Bildschirmen seit wenigen Wochen seine Rolle als "Special Reporter" bei GQ (Gentleman's Quarterly) eingenommen und macht dort das, was er am besten kann: ein komplexes, in Teilen gar anstrengendes, bis in detaillierteste Rechercheergebnisse nebst Mikroverästelungen hervor dringendes Dauerfeuer gegen das konservative Amerika - aktuell verkörpert von der republikanischen Partei und deren Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Olbermann hat sich nun, nach zahlreichen öffentlich ausgetragenen Fehden aus seiner Vergangenheit mit dem früheren Präsidenten George W. Bush und ganz besonders mit dem konservativen Rechtsausleger Bill O'Reilly vom Sender FOX - von Olbermann zärtlich Billo The Clown genannt - , Trump als Ziel seiner Attacken ausgesucht, und es ist erwartbar, dass er damit mindestens bis zur Wahl im November 2016 nicht aufhören wird. 

Olbermann ist kein Comedian. Olbermann ist Journalist und das ist nicht nur Teil seines Selbstverständnisses, das IST sein Selbstverständnis. Humor findet man in seinen Vorträgen allenfalls in der absurden Aneinanderreihung seiner Beschimpfungen und Beleidigungen oder aber in der bitteren und todernsten Gnadenlosigkeit seiner Einlassungen und Anschuldigungen. 

Seine über siebzehnminütige Rhetorik-Lawine mit dem akkuraten Titel "176 Shocking Things Donald Trump Has Done This Election" ist bereits ein kleiner Klassiker und liegt angesichts der überschaubaren Größe und Bekanntheit von "The Closer" mit über 1,5 Millionen Views weit über den Erwartungen. Der Erfolg hat Olbermann offenbar dazu inspiriert, nochmal nachzulegen: heute, und damit kurz vor dem ersten TV-Duell zwischen Donald "Drumpf" Trump und Hillary Clinton, erschien ein zehnminütiges Nachtreten mit dem erwartbaren Titel "74 Terrible Things Donald Trump Has Done...This Month". 

Ich möchte beide Ausgaben von "The Closer" hier mit Euch teilen und darüber hinaus auch die anderen bislang erschienenen Episoden empfehlen - ganz besonders aber das auf Youtube verfügbare Oevre aus alten Tagen - bevor Olbermann es sich mit Sendern, Produzenten und Regisseuren auf seinem langjährigen liberalen Heimatsender MSNBC verscherzte, im Wortsinn. Es heißt in diesem Zusammenhang, die Arbeit mit ihm sei "nicht einfach". Glaube ich aufs Wort. Aber ich liebe ihn. Irgendwie. 







27.06.2016

Let the lead flow!

Wo wir gerade im letzten Artikel zu Blair Frenchs "Through The Blinds"-Album - rein virtuell, versteht sich - so "schön" über Detroit, beziehungsweise das, was von der Stadt übrig geblieben ist, "sprachen", macht es "vielleicht" "Sinn", einen der größten Skandale der jüngeren US-Geschichte zu beleuchten, der zwar nur am Rande mit Detroit in Verbindung steht, dafür aber das nahegelegene Städtchen Flint, beziehungsweise seine Politiker und Einwohner, in den Mittelpunkt rückt.

"Beleuchten" ist hier ganz vielleicht nicht wirklich das Wort der Wahl, das möchte ich nämlich der Fernsehmoderatorin Rachel Maddow überlassen, die das Thema in einer knapp 25-minütigen Reportage für die Zuschauer sehr eindrücklich aufbereitete. Ich schätze Maddow und die Art ihres Vortrags sehr, nicht nur in diesem Fall, sondern auch darüber hinaus: ihre Sendung auf MSNBC, dem zart linksliberalen medialen Gegenspieler der rechtskonservativen Furzknoten von Fox News, bietet viele Hintergrundinformationen, die mit Witz und Charme und meistens mit eindeutigem Tenor in der Decouvrierung homophober, rassistischer, korrupter, religiöser Sackgesichter geliefert werden. Sowas geht mir natürlich runter wie Öl (10W-40). Maddow ist wie einige ihrer Kollegen (beispielsweise der fanatische und fantastische Keith Olberman) bereits seit vielen Jahren im Fadenkreuz rechter Journalisten, Politiker und Bürger der USA, was sie gerne von Zeit zu Zeit aufgreift und mit einer guten Portion Selbstironie kommentiert.

Im angesprochenen Fall geht es um die im Jahr 2015 öffentlich gewordene Wasserkrise der 100.000 Einwohner-Stadt Flint in Michigan, einer fassungslos machenden Geschichte aus Korruption und Lügen, die außerdem den Zustand der US-amerikanischen Politik und einer sich im Auflösungsprozess befindlichen Gesellschaft auf schockierende Weise illustriert. Über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren wurde das Trinkwasser für die überwiegend (57%) Afro-Amerikanische Bevölkerung mit Blei kontaminiert, was zu einem imposanten Anstieg der Bleikonzentration im Blut der Bevölkerung, insbesondere im Blut von Kindern führte.

After Flint changed its water source from treated Detroit Water and Sewerage Department water (which was sourced from Lake Huron as well as the Detroit River) to the Flint River (to which officials had failed to apply corrosion inhibitors), its drinking water had a series of problems that culminated with lead contamination, creating a serious public health danger. The corrosive Flint River water caused lead from aging pipes to leach into the water supply, causing extremely elevated levels of the heavy metal. In Flint, between 6,000 and 12,000 children have been exposed to drinking water with high levels of lead and they may experience a range of serious health problems. Due to the change in water source, the percentage of Flint children with elevated blood-lead levels may have risen from about 2.5% in 2013 to as much as 5% in 2015.

On January 5, 2016, the city was declared to be in a state of emergency by the Governor of Michigan, Rick Snyder, before President Barack Obama declared it as a federal state of emergency.

Der komplette Artikel bei Wikipedia


Der in Flint geborene Regissuer Michael Moore fand in der wöchentlichen Talkshow "Real Time With Bill Maher" die gewohnt klaren Worte:

"And I think that's a crime; they did it because it's a black city, it's a poor city, they wouldn't do this to Bloomfield Hills or Ann Arbor or Grosse Pointe."


Und jetzt, wie versprochen - Rachel Maddow:





08.04.2016

It's Only Rock'n'Roll (not really)!


What the fuck is Shibuya-Kei?

Eine schöne Beschäftigung, wenn schon eh alles scheißegal ist: die Verrückten von Everynoise.com haben eine riesige, interaktive Online-Tapete zusammengestellt und darauf nicht nur jedes denkbare und natürlich auch undenkbare Musikgenre gekritzelt, sondern zu allem irrsinnigen Irrsinn auch noch tatsächliche Musikbeispiele hinterlegt - manchmal verbergen sich dahinter gleich mehrere Ebenen und wer zudem auf die kleinen nach rechts gerichteten Pfeile klickt, erhält sogar einen ganzen Koffer mit entsprechenden Bands - ebenfalls inklusive Hörbeispielen - noch obendrauf.

Um mit Gerhard Polt zu sprechen: "Wenn ich eine Zeit übrig habe, geb' ich sie aus!" - und hier kann man sie gar mit beiden Händen aus jedem offenen und geschlossenen Fenster feuern: Wer Schubladendiskussionen entweder total beknackt oder für das allergeilste Ding seit der Erfindung von achtlagigem Klopapier hält, in den nächsten vier Wochen nicht aktiv am sozialen oder generell: Leben teilnehmen muss und mit ein paar Minuten Schlaf pro Monat auskommt, der kann bei der nächsten Runde Trivial Pursuit mit den Liebsten und Teuersten vielleicht damit protzen, Moombathon nicht für einen neuen Turnschuh der Firma Adidas, oder Bemani nicht für einen hippen Beauty-Blogger und Modedesigner aus Rambach an der Inn zu halten.

Dass die hinterlegten Hörbeispiele und/oder Zuordnungen von Bands manchmal etwas krude erscheinen, fällt wahrscheinlich nur bei den Giganerds negativ ins Gewicht, die sofort den erhobenen Zeigefinger rausholen. Vielleicht muss, darf, kann und soll man das ja auch alles gar nicht so eng sehen und stattdessen in erster Linie Spaß am Entdecken haben.

Ich weiß - ist ein krasser Ansatz in diesen Zeiten.

EVERYNOISE.COM


22.03.2016

Kanaworms - Die Nachzügler 2015 (4)




BEST COAST - CALIFORNIA NIGHTS


Kennt noch jemand die Rubriken "Peinlichtes Lieblingsalbum" oder "Peinlichster Lieblingssong" aus den jährlichen Leserumfragen von Musikzeitschriften? Ich fand die eigentlich schon als kleiner Wicht doof, denn warum sollte mir das, was mir gefällt unangenehm sein? Natürlich, mal haut einem der Stuttgarter Hotzenplotz bei allzu derben Verstimmungen wie "Q2K ist besser als "Operation Mindcrime"" auf den Prachtwurz (im übertragenen Sinne, meistens jedenfalls), mal fragt ein gewisser Schlagzeuger einer gewissen Punkband vom Beifahrersitz, was zur Hölle das denn nun schon wieder sei, was da als unwürdiger Großraumdiskobeat aus den Lautsprechern bumst - und das zudem in einem Ton, als ob er sich danach erkundigt, ob ich gerade einen Schlaganfall erlitten habe -, mal lupft die Herzallerliebste zuerst die Augenbraue und dann mit einem mitleidigen Lächeln den Tonarm von der Platte, aber dass ich als Sechsjähriger der Schlagerlippe Roland Kaiser im strahlend gelben Pullunder, mit extra von Mutti hinfrisierter Santa Maria-Gedächtnistolle und also vor 3000 Zuschauern in der Frankfurt Jahrhunderthalle einen Blumenstrauß an den Bühnenrand brachte, habe ich schon mal erwähnt, oder? 

Wäre mir wirklich noch irgendwas peinlich, dann müsste ich nach diesem Post vermutlich diesen Blog schließen. Und das Universum runterfahren. Kann ich, ich habe Superkräfte. Und weiße Unterhosen. Aber seien wir - und ich sowieso - ehrlich: so schlimm sind "California Night" und Roland Kaiser ja nun auch nicht. Also....schon. Aber. Aber, aber, aber. 

Ich könnte tatsächlich einen seitenlangen Verriss über "California Nights" des Duos Best Coast schreiben. Selbst gar nicht mal so strenggenommen stößt mich an dieser Platte alles ab: die grottigen und in voller Absicht hyperfremdschampeinlich geschriebenen Songtexte aus dem Tagebuch eines Backfischs, Songstrukturen, die in ihrer Übersichtlichkeit selbst Status Quo als verkopftes und experimentelles Künstlerkollektiv aussehen lassen, Melodien aus frittierter Zuckerwatte, die Hirn, Herz und Hose verkleben. Bei Licht betrachtet ist das eigentlich ein unerträglicher Scheißdreck. 

Das Problem: ich hab's eh gerne etwas dunkler und bin "California Nights" im Sommer 2015 über etwa vier Wochen hoffnungslos verfallen. Dieser ganze Krempel, der mich romantisch und mit einem Tropfen von irgendwas "unnerum" (H.Nachtsheim) an die neunziger Jahre zurückdenken lässt, mein sommerliches Leben mit dem Lemonheads, mit L7 und Hole, mit (zu) kurzen Hosen und weinroten Chucks (sic!). Das Lebensgefühl mit der gratis dazugepackten unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Freunde haben und draußen sein und noch ohne der heutzutage in voller Blüte stehenden Wespen-Phobie in der Sonne liegen, anschließend mit Bier und Bier bis tief in die Nacht philosophieren, sich die Welt und das eigene Leben ausdenken. Dieser ganze vermaledeite Kram. 

Dazu kommt im konkreten Fall der Best Coast dieses wundervoll stimmungsvolle Albumcover. Die angenehme Stimme von Sängerin Bethany Cosentino. Der kauzige Bobb Bruno mit den Metallica-Shirts und der Gibson Firebird. Das schlägt nicht nur eine Saite in mir an - das bringt gleich eine ganze Harfenmanufaktur zum Schwingen. Hier schreit wirklich alles "NEUNZIGER, BABY!", inklusive, und das ist wirklich eine Leistung: inklusive des ganz persönlichen und vor 20 Jahren wahrgenommenen Lebensgefühls . 

In diesen vier Wochen des lange vergangenen Sommers, war das einfach DIE Musik. Und DIE Platte. Und DIE Band. 

Und so wird es vielleicht auch wieder im Sommer 2016 sein. Darf man echt keinem erzählen.




Erschienen auf Harvest Records, 2015.


31.12.2015

"I gave Obama a million dollars and he treats me like I lent him a million dollars."


Ich hab's mir anders überlegt, wir lesen uns doch nochmal in diesem Jahr. Keine große Sache, bitte gehen sie weiter, in ein paar Minuten jedenfalls, denn und aber: es gibt noch eine Kleinigkeit anzuschauen, because it's really freekin' funny.

Nachdem Jon Stewart den Vorsitz seiner "The Daily Show" vor wenigen Monaten an Trevor Noah abgab und die Sendung damit, zumindest in meinem Buch, sehr eindeutig gelitten hat (vielleicht brauchen sowohl mein Köpfchen als auch Noah und seine Redaktion auch einfach nur noch ein bisschen Zeit), bleiben mir aktuell nur noch John Olivers "Last Week Tonight" und Bill Mahers "Real Time" übrig, um auf die Gesellschaft und Politik auf der anderen Seite des großen Teichs zu blicken. Ein paar alte Videos und Gassenhauer des brillianten George Carlin sind auch immer mal wieder dabei, um das Verständnis zu erweitern, Aktualität kann hier aber nicht eingefordert werden - Carlin starb im Jahr 2008.


"Wir Deutschen können sowas nicht." (Harald Schmidt, 1995)


Harald meinte in seinem Kabarettprogramm im Düsseldorfer Kommödchen damals zwar die Verfilmung von klassisch-amerikanischer Screwball Comedy, würde vermutlich heute aber dasselbe zum Format einer politisch-satirischen Talkshow (wie Mahers "Real Time") oder eines satirisch-politischen Wochenrückblicks (wie Olivers "Last Week Tonight") sagen - was er strenggenommen auch schon tat: die "Heute-Show" im zweiten deutschen Staatsfernsehen mit Moderator Oliver Welke bezeichnete Schmidt als "volkstümliche Unterhaltung", weil sie lediglich vorgefertigte Meinungen bestätige.

"Es ist immer eigentlich zu Ende, wenn der eigene Sender sich das auf die Fahne heftet:"Guck mal, was wir uns trauen." - Da wird man also praktisch zu Tode umarmt." (Schmidt, 2014)


Ich halte es derweil mit Hans Mentz und seiner "Humorkritik" zur "The Daily Show": es sei nicht absehbar, dass in Deutschland ähnliche Formate wie in den USA möglich sein werden - aber ab 2019 könnte Jan Böhmermann damit beginnen.


Der konsequenteste Akteur der zuletzt stark ramponierten US-Late-Night-Sendungen ist in meinen Augen Bill Maher (hier und hier bereits belobhudelt). Maher ist aggressiv und polemisch, hat ein Ego in der Größe des verdammten Universums, nimmt sich selbst und seine Themen sehr ernst und hört sich selbst gerne reden - nicht die besten Kombinationen und nicht die besten Kopfnoten, zugegeben, aber ich finde ihn erstens sehr lustig und unterhaltsam und zweitens ist er vielleicht der einzige Fernsehstar, der in einer zu gleichen Teilen tabulosen und konservativen Medienlandschaft derart die große Klappe aufreißt - und der es auch kann; mittlerweile scheint es ihm auch wirklich scheißegal zu sein, bei wem er sich die nächsten Anfeindungen und Morddrohungen abholt. Trotzdem sitzt da immer noch ein Intellektueller, der sich in Rage redet und Mittelfinger und Fuck You's an Talkgäste, Publikum und Politiker verteilt: Maher ist selten plump, dafür immer durchdacht, sehr oft im Doppelboden, dabei aber immer sehr konkret, sehr aufrichtig. Und selbst wenn ich mit vielen seiner Ansichten nicht immer und grundlegend übereinstimme, beispielsweise sieht er Edward Snowden bedeutend kritischer, als ich es tue, ist er immer noch, und ich wiederhole mich: verdammt lustig.

Mitte des Jahres hatte Maher einen sehr erhellenden Clip in seiner New Rules-Rubrik, in dem es darum ging, wie die liberale Elite Amerikas aus Funk und  Fernsehen mit Religion umgehe, und das Ergebnis war etwas überraschend: sie tut es gar nicht. Maher inszeniert sich geschickt als den einzigen Medientypen der USA, der sich als offener Atheist vor ein Millionenpublikum traut und sich gegen das Prinzip der Religion ausspricht. Das ist mein Bill Maher-Lieblingsclip aus diesem Jahr (und ja, ich habe alle anderen gesehen, keine Bange) und den will ich zu Silvester noch schnell mit Euch teilen.




30.12.2015

2015 - Und Klaus Meine pfeift den Wind Of Change


Am Tag, als Lemmy Kramer, Quatsch: Kilmister starb, einen Rückblick auf das abgelaufene Jahr zu schreiben, ist eine undankbare Aufgabe. Zum einen könnte ich gerade dem Internet auf immer und ewig ein leises Adieu hinhauchen, um es danach mit all seiner breitbeinigen und schmalhirnigen Themenhopper-Wannabes in die Luft zu jagen, die zwischen "Eben gerade gekackt, Hurra!" bis "OH MANN, DER ROCKNROLL IST GESTORBEN! #RIP #LEMMY!" gerade mal zwei Blätter Klopapier legen können.

Zum anderen ist's dann schon auch die eigene Indifferenz, die mich so ein bisschen piesakt, in doppelter Hinsicht. Motörhead gehören seit Ewigkeiten zu meinem Leben, sie kamen zeitlich möglicherweise nur ganz knapp hinter Iron Maiden - und waren damit praktisch seit 1986 immer "da". Ich hörte vor allem in meinen jungen Jahren, und bis der Grunge meine Hormone neu einstellte, sehr regelmäßig ihre Platten, aber sie waren nie in der Liste meiner Lieblingsbands, eigentlich nicht mal in der Nähe. Es ist in diesem Zusammenhang merkwürdig, dass sich ausgerechnet ein ganz besonderer, wenn auch im Grunde völlig irrelevanter Moment bis heute in mein Gedächtnis gebrannt hat, und weil er, der Moment, so irrelevant ist, teile ich ihn gerne mit meinen Lesern, die natürlich wie diktiert und auf die Eins gespielt auch im mittlerweile fast vergangenen Jahr die besten Leser dieses so wunderbaren Internets sind und also waren: Herr Dreikommaviernull war lange Jahre, siebzehn, um genau zu sein, Roll- und Eiskunstläufer, und während ich nicht sicher bin, ob ich das hier i.S.v. "HIER" schon mal erwähnte, ist Zeit für die Feststellung, dass man es mir heute dank der trägen Masse rund um die Wohlstandsplauze nicht mehr so richtig ansieht, aber als ich mich im Jahr 1987 in der Berliner Eissporthalle in Wedding für meinen Kürvortrag (bei 39°C Fieber, Danke Mama!) mit einem Spaziergang durch die Halle mental vorbereitete, hatte ich tatsächlich das "Iron Fist"-Album von Motörhead im Walkman. Für die Generation der nach 1992 geborenen Leser: ein Walkman war ein Abspielger....ach, googelt die Scheiße doch selbst.

Und jetzt die andere Seite der doppelten Hinsicht: Ich empfinde Lemmys Tod nicht als außerordentlich bedrückend, was man mir bitt'schön nicht als Pietätlosigkeit misinterpretieren soll. Er hat's eben geschafft und ich gönne ihm wirklich seine verdiente Ruhe. Als sich Pete Doherty von den Libertines/Babyshambles die Innenseite seines Körpers mit Crack, Kokain, Alkohol und Heroin tapezierte und erschütternde Auftritte absolvierte, bei denen er kaum gerade stehen, geschweige denn -singen konnte, waren die "VOYEURISMUS!" und "DAS IST EIN HILFERUF!"-Schreie im Rahmen der Berichterstattung laut zu hören - wenn Lemmy, einst ein Baum von einem Mann, dank drei Litern Jackie-Cola pro Tag und einer seit 40 Jahren schön herangezüchteten Speed-Abhängigkeit mittlerweile als gebrechlicher Tattergreis auf die Bühne getragen werden muss, war's Kult und Kult und außerdem: Kult. "Geiler Typ, so will ich auch mal leben" (Ulf, 43, Hannover Rock Boys) beziehungsweise eben sterben. Ich selbst würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass die Aura dieser legendären Chaotentruppe manchmal eine sehr große Anziehungskraft hatte; Lemmys Autobiografie "White Line Fever" habe ich auch gleich mehrfach gelesen, aber ob das immer alles nur ein großer Spaß, oder am Ende des Tages nur Verklärung und Tragik war - wer will's beurteilen? Die Antwort ist simpel: Ich. Hier, jetzt und heute, mit einer rhetorischen Frage. Entzündet die Fackeln.

Ich habe jedenfalls heute Abend "No Sleep 'Til Hammersmith" aus dem Jahr 1981 auf den Plattenteller gelegt, um mich an Lemmy zu erinnern. Und es war gut. Und es ist gut, wie es ist.

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2015 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.
Außerdem auffällig waren die sich immer schneller ablösenden Phasen, in denen ich nur auf ein ganz besonderes Genre Lust hatte und daneben fast keine andere Musik akzeptierte. Ganz finster, zumindest stilistisch, war es im August/September mit der hier freimütig dokumentierten Sleaze und Hair Metal-Phase, worauf für drei Wochen lediglich ein sanftes Rauschen aus Klang folgte, bevor ich im November überraschenderweise die Doom Metaller von Solitude Aeturnus wiederentdeckte. Dazwischen je zwei Wochen Jazz und Indiegeplucker. Das sind Mischungen, "ich sag' es Ihnen." (Hildebrandt)

Das erste Halbjahr, ganz besonders der Frühling und der brüllend heiße Sommer, stand dagegen im Zeichen von Soul, Hip Hop und elektronischer Musik - es haben sich tatsächlich einige Alben herauskristallisiert, die auch über das Jahr 2015 hinweg und trotz des ubiquitären Zuschiss mit Musik, Medien und Meinungen für mich wichtig sein werden. Die besten 20 Platten aus dieser Gruppe werden hier in den kommenden Tagen vorgestellt. Aus Tradition. Fuck Tradition.

Privat stand vor allem die zweite Jahreshälfte im Zeichen von großen Veränderungen - es betraf zwar "nur" die bis dato ungeliebte Arbeitswelt, aber ganz ehrlich: der damit einhergehende Stress reicht mir für die nächsten fünf Jahre. Ich wechselte also den Arbeitgeber und entfernte mich freiwillig aus der hübsch eingerichteten Komfortzone aus Homeoffice, netten Kollegen und ziemlich sattelfesten Bewertungen in eine weitgehend unerschlossene und sehr herausfordernde Umgebung. Wer mich nicht erst seit diesem Text kennt weiß, was das mit mir und vor allem meinem Angstzentrum anstellt, aber es hat jetzt, nach knapp drei Monaten, den sehr deutlichen Anschein, als habe ich die richtige Entscheidung getroffen.

Nichtsdestotrotz hat all das zwei signifikante Auswirkungen: Januar bis Juni sind ein großes, tumbes, schwarzes Loch, das auch nach konzentriertem Nachdenken nicht bedeutend heller werden will, Juli bis Dezember ist ein wirrer und verwirrender Hagelschauer aus Angst und Aufbruch, Verzweiflung und Euphorie. Und auch wenn die Zeit so rast wie noch niemals zuvor, muss ich dringend ein paar Sachen im Auge behalten: die Rockstarkarriere mit Blank When Zero, die Kopfhörerabende vor dem Plattenspieler (beziehungsweise vor meinen beiden, tollen, ehefräulichen Weihnachtsgeschenken aus dem Hause Nubert) und den Durchzug im Kopf.

Um es mit Peter Lustig zu sagen: Abschalten. Von mir aus alles und immer öfter.

Wir lesen uns in 2016. Kommt gut rüber.

Flo

23.11.2015

Und die Moral von der Geschicht'....

Ich bin heute weitaus weniger versessen auf politisches Kabarett als noch vor ein paar Jahren - einerseits fiel der Umgang mit der nahtlos einsetzenden Ohnmacht nicht immer zum Vorteil meiner Mentalhygiene aus, andererseits überschnitten sich oft nicht nur die Themen, sondern auch die Arten des Vortrags - und beides entwickelte sich mit der Zeit und kerzengerade folgerichtig nicht gerade zu einem Thriller, dem man nicht mehr entkommen kann. Zusätzlich bekam der Vorwurf, politisches Kabarett hole in seiner ihm innewohnenden Selbstgerechtigkeit sowieso nur das aus systemisch felsenfest verankerten Wohlstandsschranzen bestehende Publikum ab, und arbeitet somit weiter in der Kostümierung als "Useful Idiot" fleißig an der Zementierung der Verhältnisse, dass also "oben" auch weiterhin oben und "unten" um Himmels Willen nicht nach da "oben" kommen soll, in dieser Zeit auch immer mehr Gewicht. Ich mag natürlich noch einige Protagonisten wie zum Beispiel Hagen Rether, dessen Auftritt im April 2014 im Wiesbadener Kurhaus mir noch in guter Erinnerung ist, weil ich mir nicht nur für fast vier Stunden (netto!) und in aller Seelenruhe verbal die - Pardon! - Fresse polieren ließ und dafür auch noch Geld bezahlte, sondern weil der Abend in seiner aufreizend ruhig vorgetragenen Gnadenlosigkeit etwas in mir veränderte und meine Sicht auf den ganzen Irrsinn da draußen verschob. Der Auftritt geriet beinahe zu einem Vertigo der Sinne; es gab praktisch niemanden der gut 1000 Besucher, der nach diesen vier Stunden und der gleich mehrfach ausgelösten Sprinkleranlage im Hirn noch klar bei Verstand gewesen wäre - mir erging es da nicht anders. Wir hatten alle nur noch Pudding im Hirn, so mancher möglicherweise schon bevor das Saallicht um 20 Uhr zum ersten Mal gedimmt wurde. Auf der Heimfahrt versuchten Al und ich zu ergründen, was das gerade war und wie es uns damit ging und vor allem: was künftig auf gar keinen Fall mehr gehen sollte. Wenn dieser Abend einen Fokus neu ausrichtete, dann den auf das eigene Sein, Denken und Handeln - und ganz besonders auf das Handeln. Es war uns klar, dass wir uns nicht mehr 4 Stunden lang im weichen Polstersessel die eigene Unzulänglichkeit diktieren lassen wollten, um am Ende auch noch herzhaft darüber zu lachen.

"Toller Abend, und die Schnittchen waren auch super. Und wie weich das Toilettenpapier war. Stößchen!"

Man kennt das alles, man weiß das alles und wenn man es nicht weiß, ist es mit zwei Klicks zu Hause - jetzt muss man auch endlich was tun. Sich entscheiden, zum Beispiel. Ich kann nicht sagen, dass ich immer und überall durchhalte - aus dem schlauen Gedanken in die schlaue Aktion zu kommen ist weder das Einfachste der Welt noch ganz grundsätzlich für Jedermann gedacht, während es komischerweise aus dem dummen Gedanken in die dumme Aktion immer und überall wie ein eingeöltes Zäpfchen auf die große Reise geht. Eine Reise, die selten gut endet - es sei denn, das Zäpfchen stillt Schmerzen und lässt Dich rosa Elefanten sehen.

Jedenfalls: Ich tat etwas, und das war die Glotze und das Internet immer öfter auszulassen. Mehr Musik, mehr Einkehr, mehr Reflektion, mehr Aktion. Klappt mal mehr, mal weniger - aber der Ausgangspunkt, und sei es nur der argumentative oder noch trivialer: der Abend im April 2014, der war immer im Kopf.


Nichtsdestotrotz habe die neue Inkarnation der Anstalt, angeführt von Claus von Wagner und Max Uthoff, bereits im Sommer 2014 lobend erwähnt, nachdem sie im Rahmen einer ihrer Sendungen auf den Korruptionssumpf der FIFA in Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft im Fußball 2014 aufmerksam machten, und das mitten im teutonischen Jubeltaumel. Weil "so gehen die Deutschen", und das tun sie am liebsten immer noch über Leichenberge, die sie in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten an- und also aufgehäuft haben.

Ab und an bekomme ich noch eine Ausgabe der Anstalt mit und immer, wenn ich sie sehe, bin ich beeindruckt von ihrem Bestreben, die Wut und die Ohnmacht, zwei der gefürchtesten Endgegner des real existierenden Chaos' in neue Bahnen zu lenken - vor allem in emotionale. Die Sendungen gleichen mehr und mehr künstlerischen Theateraufführungen mit sorgfältig inszenierter Dramatik, die den roten Faden bis zum emotionalen Höhepunkt zum Schluss begleitet. Weniger Klamauk als mit Urban Priol, weniger vom rasenden Zorn eines Georg Schramm, weniger vom lokalkolorierten Weichzeichner eines Frank-Markus Barwasser, dafür mehr dediziert und beharrlich vorgetragene Angriffslust, in der Ansprache etwas ruhiger als ihre Vorgänger, aber mit größerer inhaltlicher Wucht. Moralisch? Ganz bestimmt.

Ich schreibe diesen Text heute sehr spontan, weil ich die letzte Ausgabe vom 17.11.2015 anschaute und die letzten 5 Minuten praktisch durchheulte. Schon wieder. Ich finde, es ist sehr lohnenswert, diese Sendung zu sehen. Ich bin weder besonders wütend noch ohnmächtig als viel mehr im Herzen getroffen - und aus dieser Motivation heraus erscheint es für den Moment durchaus leichter zu sein, einen neuen Weg, eine neue Tür zu entdecken, als mit Schaum vorm Mund und mit 300 Puls "wie vernagelt" (Polt) zu sein. Ich bin nicht weniger empört, aber die Lust auf eine Veränderung, auf eine Entscheidung - die ist größer. Und apropos Empörung: in der Konkret erschien kürzlich ein sehr lesenswertes und inspirierendes Interview mit Anstaltsleiter Max Uthoff.







13.07.2015

Vegan Christ Superstar



Sich Probleme zu machen, gehört zugegebenermaßen nicht nur zu meinen herausragenden Eigenschaften als zwischen Lohnarbeit und Teilzeitpunkrocker umherdackelnder Mensch des Web 2.0. Es gibt darüber hinaus praktisch nichts, was in meinem Leben einfacher zu erledigen wäre, denn Stoff für einen schönen Wutanfall gibt's en masse; und wenn alles zu dolle Licht und Liebe ist, dann genügt im Zweifel ein aufmerksam zur Kenntnis genommener Leserkommentar auf der virtuellen Heimat unserer Qualitätsmedien oder ein in vollem Bewusstsein angeschauter Werbeblock der fernsehmedialen Verblödungsanstalten, zu denen mir bisweilen nichts weiter einfällt, außer die eigene Denkvorrichtung mit größtmöglichem Schmackes auf die Kante des Wohnzimmertischs zu knallen, weil Schmerz bekämpft bekanntermaßen Schmerz und Feuer bekämpft Feuer - das kenne ich von der zweiten Platte der Intellektuellenband Metallica. 

Nun ist's aber geradewegs, wie so beinahe alles um uns herum, systemisch so fein eingedreht und ausgezwirbelt, dass any promotion tatsächlich good promotion ist, und wo es mindestens angebracht wäre, jedem, also wirklich jedem moralisch degenerierten Gehirnauszuzzler, der auch nur im mikroskopisch kleinsten Ansatz mit der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung des sogenannten und ausschließlich vom hinterletzten Zellgerumpel konsumierten "Pizzaburgers" zu tun hat, einem brutalstmöglich ausgefeilten Quadratsonderquatsch von Doofen für Doofe, denen man beiderseits mindestens 37 Stunden pro Tag einfach nur die Fresse polieren will, einfach für, äh - 37 Stunden pro Tag die Fresse zu polieren, und man das im Sinne der Aufklärung, der Mentalhygiene und der gesellschaftlichen Intellenzoptimierung (sic!) mit gigantomanischem Druck in den Volksschwellkörper hineinpressen will, damit das Leben für uns alle besser, schöner und toller wird, dann gibt's konsequenterweise in 9 von 10 Fällen die Frage "Pizzaburger? Issen ditte?" und am Ende fressen's den von echten Nihilisten ersonnenen Wohlstandsscheißdreck auch noch. Was wurde also erreicht? Die Twittertimeline wird in Folge geblockter und damit künftigen ex-Follower schmaler - was grundsätzlich zu begrüßen ist, aber die Marketingabteilung bei Dr.Doofkopp Oetker freut sich Ende des Jahres über 340% Boniausschüttung ein zweites Loch in den Pöter. 

"Theorien über Konsumkritik in der postkapitalistischen Gesellschaft", von Howard Carpendale und Sascha Hehn, Frankfurt, Brummsummsel Verlag, 2015. Bitte, Danke, Rechnung folgt. 

Ein ähnlich zu beobachtendes Phänomen ist die seit einigen Jahren andauernde Diskussion über den Star der wenigstens deutschsprachigen Veganerszene Attila Hildmann, der tatsächlich nicht erst seit gestern jedem, der auch nur mit einem Hauch Empathie und Klarsicht ausgestattet ist, durch permanenten Protz und despiktierliche Aussagen über diejenigen, die unverständlicherweise seine Bücher kauften, negativ auffiel. Nach seiner erfolgreichen Darstellung einer tief nach vorne gebeugten Werbehure für Porsche inklusive eines ultrapeinlichen, zweieinhalb quälende Minuten dauernden "Ich hab' den Längsten!"-Werbefilms - er will ja immerhin nach Hollywood und nicht etwa nur nach Castrop-Rauxel -  und vor allem angesichts seiner jeder Beschreibung spottenden "Vegangsta"-Videoreihe auf Youtube, merken ein paar Menschen mehr, dass sie möglicherweise seit Jahren von einem Schwachstromelektriker mit Vermarktungsdiplom an der Nase herumgeführt wurden. 

"Sex sells einfach." (A.Hildmann)

Als mein Zorn angesichts seiner flachen, in furchtbar peinlichem Englisch erzählten, latent sexistischen und mit Gewaltszenen kokettierenden "Vegangsta"-Videos und der bemitleidenswert naiven Rechtfertigung mittels des beliebten "Das ist ein Kunstprojekt und ihr seid eben alle zu doof und versteht das nicht!" - Arguments einen vorläufigen Höhepunkt erreichte, und ich am Frühstückstisch der Herzallerliebsten davon erzählte, dass man darüber doch mal locker schreiben könnte, wo nicht müsste, bekam ich den Kopf mit veganem Leberwurstersatz gewaschen: über so einen schreibe man nicht, vor allem würde man dann doch dieser ins Youtube-Bild gegossenen Superscheiße auch noch eine weitere Plattform geben, und könne ich es denn außerdem verantworten, dass vielleicht junge Menschen auf "Vegangsta" aufmerksam werden?

Disclaimer: folgendes Video verursacht Schmerzen.




Letzteres ist konkret in meinem Fall natürlich Kappes, denn ich habe keine jungen Leser, weil die jungen Leute außer ganzseitigen Werbeanzeigen für den Pizzaburger generell nichts mehr lesen, gar nichts, nada, niente - aber der Rest ist natürlich valide: was juckt's die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt? Ich lebe seit jetzt skandalösen 38 Jahren bestens ohne direkte Verbindung zu dem aufgepumpten Berliner Gernegroß, der neulich übrigens weitere Sympathiepunkte sammeln konnte, als er Jamie Oliver als zu fett bezeichnete, um uns Deutschen etwas von gesunder Ernährung zu erzählen, und habe meine zweieinhalb Jahre als Veganer ohne eines seiner megakomplizierten Rezepte ("Hier ist eine Pita, da tu' ich jetzt Tomatenmark und ein paar Champignons aus der Dose drauf, mhhhmmm, Pizza ist fertig!") verbracht. 

Es gibt primagute vegane Kochbücher von primaguten Menschen, ich brauche seine "Wieg'n Dschellensch" (Hildmann) ganz bestimmt nicht. Ist es das also wirklich wert?


Hildmann vertritt die vermeintlich dunkle Seite des Veganers: er legt vor allem wert auf Gesundheit und Fitness und verbindet diese beiden Schwerpunkte mit einer veganen Ernährung. Dafür lässt er sich regelmäßig mit Quellbizeps und Waschbrettbauch ablichten, bezeichnet die vegane Ernährung in erster Linie als "Diät" und hält von Fragen zur Ethik, zur Moral und zum gesellschaftlichen Umgang mit Tier und Umwelt nicht so irrsinnig viel, jedenfalls nicht im Vergleich mit seinem Kontostand. Das alleine bietet vor allem im emotional ordentlich aufgeheizten Milieu genügend Spielraum für Kritik, und dass da einer seit Jahren auf Veganerkönig macht, sich zeitgleich die Ledersitze in der klima- und ressourcenschonenden Studentenschüssel von Porsche vor Selbstgeilheit vollsabbert und Menschen, die aus den erwähnten ethischen Gründen die vegane Lebensweise bevorzugen, herabsetzend als "Müsli-Jürgen" und ungewaschene Waldmenschen bezeichnet, bringt mich auch an die Grenzen dessen, was ich in meinem Wertesystem noch unter jener Rubrik einsortieren würde, in der sich die verwirrten Unsympathen austoben dürfen. Die sind halt da, man hat Mitleid, aber lässt sie ansonsten links liegen. 

Auf der anderen Seite kann ich generös Hildmanns positiven Einfluss auf die vegane Szene (und die darüber hinaus) anerkennen - er hat zweifellos zu der guten Entwicklung beigetragen, wegen der sich Veganer heute nicht mehr nur mit Papiertüte über dem Kopf in ein Restaurant setzen müsssen. Und dass Erfolg nicht dazu führt, überall mit offenen Armen empfangen zu werden, ist auch klar. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Zudem habe ich selbst nicht zu selten die Erfahrung gemacht, von genau den Menschen, die sich über nichts und gleich drei Mal nichts Gedanken machen, verbal angeschissen zu werden, weil auf meiner vor 8 Jahren gekauften Laptoptasche das Herstellerlogo auf einen kleinen Lederriemen gedruckt wurde. Und weil man völlig verblendete Veganer mit Doppelmoral eben am einfachsten mit dieser eigenen Gewissensreinigung abkanzeln und decouvrieren kann, indem man also die Bewertung des eigenen Lebenswandels auf den Kopf und jene der anderen dafür ins Güllefass kippt, damit der Schmerz im Dachgeschoss nicht all zu unerträglich wird, ist das auch in meiner Realität ein oft beobachtetes Phänomen. Will ich mich wirklich auf die selbe Stufe mit diesen Typen stellen, die aus ihren 40qm Couchlandschaft immer alles sofort torpedieren, unfair argumentieren und selbst den Arsch nicht hochbekommen?

Nein, will ich nicht.

Aber muss man den Medialchaoten, den Lautsprechern, den Machos, den Aufgeblasenen, den Unaufrichtigen, den Denunzianten, den Respektlosen und den schmerzhaft Arroganten wirklich immer und überall alles kritiklos durchgehen lassen?





Ende Juni 2015 hat das Portal indyvegan.org die seit längerer Zeit kursierenden Gerüchte um Strongman Andreas Hordan aufgegriffen, wonach Hildmanns rechte Hand in Sachen "Vegangsta" nicht nur wegen seines "Ruhm & Ehre"-Tattoos, sondern auch wegen weiterer verbaler und relativ eindeutiger schriftlicher Ausfälle mehr als nur leichte Tendenzen und Kontakte zum Rechtsradikalismus pflegen soll. Der in den Videos von Hildmann als „Müsli-Jochen-Klatscher“ und später als „Hippie-Smasher“ auftretende Hordan darf mittlerweile und dank der detaillierten Recherche des Indievegan-Teams als überführt gelten, eindeutig rassistische, islamfeindliche und antisemitische Statements abgegeben zu haben. Zu seinem Vokabular gehören "widerlicher Musel" und "verfilzter Affe" als Bezeichnung für einen Moslem, sowie "Herr Affe" für US-Präsident Obama. Oh, "Gutmensch" lässt sich auch finden. 


"Aus dem Instrumentarium reaktionärer Ideologien ist fast alles dabei. Verschwörungsthesen, Rassismus, Xenophobie, Antisemitismus, Homophobie, Verteidigung von Reichsbürgerideologen und Ableism. Dass das Rechtspopulistinnen-Buzzword „Gutmenschen“ auch mehrfach dabei ist, wundert uns mit Blick auf Hordan und sein Umfeld nicht. Wir haben vergeblich nach Argumenten gesucht, dabei jedoch leider nur Kommentare gefunden, die Hordan gegen einen „Nazi“-Vorwurf verteidigen, der von uns nicht gemacht wurde. Zudem fanden sich eine Reihe von Beleidigungen gegen unsere Autorinnen." (Indyvegan.org)

Und schon könnte man wieder argumentieren, dass Hildmann den ganzen Wirbel selbst inszeniert hat, denn jedes halbwegs größere Klatschportal (u.a. Stern.de, siehe oben) schrieb über den vermeintlichen Skandal, "Vegangsta" war in aller, wenn auch schlechter Munde. Und außerdem muss ich auch völlig nüchtern das weiter oben erwähnte "Was juckt's die Eiche..." Zitat nochmal verwenden, nur dieses Mal in die andere Richtung: Hildmann ist nach wie vor der Vegan Christ Superstar, weiterhin sehr erfolgreich und hat immer noch Tausende loyal ergebener Fans - was wird's ihn jucken, dass ich hier mein virtuelles Wohnzimmer vollkotze?  

Inhaltlich bleibt sein Auftritt natürlich trotzdem auf jeder Ebene völlig inakzeptabel. 

Und darüber soll ich nicht schreiben? 

"Und das ist voll schlimm, dass so asoziale Typen so 'ne Asi-Lobby sich gebaut haben und man traut sich nicht mehr, was zu sagen." (Olli Schulz)

You wish!





04.07.2015

Die fundierte Kulturkritik (XIV)

Wenden wir uns für dreikommaviernull Minuten etwas wirklich Relevantem zu, "denn das Leben ist doch hart genug" (Rodgau Monotones):

Der Ghostwriter, Kaffeekocher und lesbische Schwulenkommunistennazi von Deinem Lieblingsblog "3,40qm" wirft mir und Dir gerade eine wichtige Information durch die 40,3°C Raumtemperatur rüber und im Zweifel kann ich's immer noch auf die Hitze schieben, aber er sagt, das sei eine total legitime und also auf- und vor allem richtige Feststellung, und das könne man schon mal machen, damit das hier nicht allzu süßlich und blümelich (sic!) und tralala wird, vor allem auch deshalb, weil Seeed in unangemessener Weise viel zu selten gedisst und heruntergeputzt werden:

Seeed ist eine Berliner Musikgruppe, die vor allem in den Genren Reggae und Dancehall tätig ist. Sie besteht aus elf Musikern und gewann dreimal den Echo.

Viel ekelhafter kann Musik und das dazugehörige "Bisinäss" (L.Matthäus) kaum mehr werden.

Schwerter zu Ventilatoren! Dildos zu Milchaufschäumern! Bock für Gärtner (beziehungsweise: zum)!

Warm es zu ist!

18.05.2015

Fast richtige Wikipedia-Artikel (4)

Am 29. Februar 1776 wurde bekannt gegeben, dass eine unverheiratete Latrine die Dorftrottel unter Vertrag nimmt. Am 1. April 1779 erschien das nach den drei Mitgliedern Tenören benannte Album "Penis, Holz & Mumps" mit drei ganz neuen Akkorden und sechsundsechzig ganz neuen Texten über Holz, Penen (Mehrzahl! Copyright Roberto Blanco!) und Holzpenen, darunter auch Humortsunamis wie "Arschmusik", der bumsfidele Busenjodler "Die Julia Glöcknerin von Mainz-Süd" oder musikalische Herzkranzgefäßverengungen wie "Der Kopp ist leer (und heiß)".

Dieser dampfende Misthaufen stieg gleich in der ersten Verkaufswoche von 0 auf Platz 00 der deutschen Misthaufen-Charts ein, was der bis dato größte Erfolg der drei kleinen Hämorrhoiden-Pritschen darstellt. Am 99. April 2112 traten die Dorftrottel zum wiederholten Male in einen Gehirnstreik in einen Hundeköttel in die CSU ein, nachdem sie am dritten Sonntag nach der gerüchteten "Ziegenparty" im kleinen Kreis zurücktraten (Schienbein, Straßenlaterne, Hundeköttel) und im beliebten Dorf-Puff "Himmelkönig" (sic!) die anwesenden Damen mit feministisch und medienkritisch gefärbten Gesprächsrunden über Frauenrechte (keine!), den neuesten Entwicklungen der Gehirnforschung (keine!), Humor, Geschmack und Anstand (keine, keine & keine!) zu Tode langweilten (Glück gehabt!).


17.04.2015

"Wir haben kein Informationsdefizit, wir haben ein Aktionsdefizit." - Gedanken zum Record Store Day 2015 - Teil 2





Alles, was ich im letzten Jahr zum Record Store Day, dieser gigantischen Cash Cow für Majorlabels geschrieben hatte, ist nicht nur nachwievor gültig, es bleibt sogar, weil nicht davon auszugehen ist, dass sich das Rad in den nächsten Jahren langsamer drehen wird, auf absehbare Zeit relevant:

3,40qm zum Record Store Day 2014 

"Was als weithin unschuldiges Konzept zur Rettung der lokalen und unabhängigen Plattenläden begann, ist mittlerweile und zum großen Teil eine von Majorlabels gekaperte und durchkommerzialisierte Peinlichkeit geworden, die die für gewöhnlich mit Spinnweben versehenen Kartoffelpupser aus ihren 40qm Heimat herauslockt, damit die neuen Sammlerstücke bald einziehen dürfen. 500 vermeintlich exklusive Veröffentlichungen waren es im Jahr 2014, und mal ganz davon abgesehen, dass man sich schon fragt, wer diesen ganzen Scheiß mit Reis eigentlich kaufen soll(...)."

"So groß die Faszination für Schallplatten und das Abtauchen in die Parallelwelt Plattenladen auch sein mögen, so unsinnig ist mittlerweile der ursprüngliche Ansatz geworden. Der Record Store Day fördert nicht den Erhalt lokaler Plattenhändler, er fördert viel mehr den Sammel- und Exklusivitätswahn, der seit dem Vinyl-Revival so oder so schon jeden 2nd Hand Dealer in Beschlag genommen hat. Dem man allerdings im Zweifelsfall keinen Vorwurf machen kann: wenn jemand einen dreistelligen Eurobetrag für eine Schallplatte bezahlen mag, die er an anderer Stelle auch für 20 Euro bekommen kann, dann ist das nicht seine Schuld."


Wie jedes Jahr gibt es einsame Rufer in der Wüste, die uns mitteilen, dass die Entwicklung des Konzepts nicht nur Milch und Honig für alle Beteiligten bereithält. In diesem Jahr fanden sich zwei (!) Independent Labels aus England, die die weiße Flagge hissen - vor allem wegen der entstehenden Blockade der Schallplattenpresswerke. Die Pressen laufen schon ohne den Record Store Day Tag und Nacht, in den drei Monaten vor dem großen Tag haben sich mittlerweile die zahlungskräftigen und geschäftskritischen Major Labels mit breiten Ellenbogen vor die Türen der Presswerke platziert, um Tausende Bruce Springsteen Reissues pressen zu lassen. Die kleinen unabhängigen Indielabels gucken derweil in die Röhre, denn die Aufträge für ihre Bands werden den Majorbestellungen untergeordnet. 

Zuerst machen wir 20.000 Mal "Born In The USA", dann kommt ihr an die Reihe.


The result will leave small labels such as Sonic Cathedral, from London, and Bristol-based Howling Owl Records unable to compete, “so we won’t compete”, they said, adding: “Record Store Day really isn’t fun, and it’s certainly not beneficial to small, backs-to-the-wall labels.”

A combined statement from the two revealed plans to release a split single and, rather than limiting it to the one day, one copy would be released every day for 365 days –  as “every day should be Record Store Day”.

“This is not a protest against record shops,” they said, or even a protest against the annual day itself. “It’s what Record Store Day has become: just another event in the music industry circus.”

Auf der Seite http://www.recordstoredayisdying.com/ ist das inoffizielle offizielle Statement hinterlegt.


Es geht weiter:

If it’s a protest against anything, it’s what Record Store Day has become: just another event in the annual music industry circus that begins with the BBC Sound Of… list and ends with the Mercury Prize, co-opted by major labels and used as another marketing stepping stone, like an appearance on ‘Later… With Jools Holland’ or bagging the sunset slot at Glasto. If you want to queue up from the early hours of April 18 to buy Mumford & Sons’ 7” or an overpriced Noel Gallagher 12” to flip on eBay, then fine, but what the hell has it got to do with us? U2 have already shat their album into our iTunes, why should they constipate the world’s pressing plants with it too? And there’s a picture disc of A-ha’s ‘Take On Me’ as well. Of course it’s a fine pop single, but there’s bound to be a copy in the Oxfam around the corner.

No, because of the rules and regulations (minimum pressing amounts, no direct to customer sales, blah blah blah) Record Store Day really isn’t fun, and it’s certainly not beneficial to small, backs to the wall labels like Sonic Cathedral and Howling Owl. But we are still affected by it. Badly. There are currently no copies of Spectres’ album Dying on vinyl in the shops because the repress is somewhere towards the back of the queue after some Foo Fighters studio scrapings, a host of EPs by The 1975 and about a million heavyweight ‘heritage rock’ reissues that no-one really needs. Less Cheap Trick, more bloody expensive con.


Womit alles gesagt ist.

Fast alles. Als Simon und ich uns vergangene Woche in Kölns Plattenläden umschauten und mitlauschten, wie der Verkäufer in einem größeren, durchaus bekannten Plattenladen einem Pärchen mitteilte, dass die von ihnen bestellte und so arg gewünschte 7-Inch Single um die 40 Euro kosten wird, und den daraufhin mit einem erstaunten Gesichtsausdruck ausgestatteten Musikfreunden erläuterte, der Record Store Day habe sich eher zu einem Major Label Day entwickelt, weil die Damen und Herren von der Musikindustrie für diesen Tag mittlerweile nahezu jeden Preis aufrufen könnten - wenn die Platte nur angemessen als rar und damit exklusiv vermarktet wird, wird jeder Preis bezahlt.

In conclusio: ich werde den Zirkus in diesem Jahr nicht mitmachen. Es steht indes zu befürchten, dass ich auch trotz dieser Entscheidung danach noch weiteratmen und ein total prima Leben haben werde.

Aber man muss auch mal in die Aktion kommen. Selbst wenn es nur darum geht, ebenjene zu verweigern.