26.08.2012

Danke, Rostock! Danke, FAZ!

Es ist nicht weniger als eine Schande epochalen Ausmaßes, welche Absonderlichkeiten unsere Qualitätsjournalisten, beispielsweise als Ressortleiter "Innenpolitik" in Deutschlands größter Tageszeitung, in wie von selbst formidabelst benamte und also sogenannte Leitartikel hineinschreiben dürfen, wenn man dafür genausogut einen Kieselstein vom Grund des Mains (an der Biegung Aschaffenburg eingesammelt) fragen könnte, was er so generell von Integrationspolitik, Rechtsextremismus und Multikulturalismus hielte - wenn man denn bloß eine Antwort des leidlich bealgten Steinchens erhielte.

Jasper von Altenbockum ist das alles egal, der Mann hatte offensichtlich am Tag vor seiner Idee, den 1992 in Rostock-Lichtenhagen erlebten Aufstand der Schwachköpfigen an das "Ende der Utopie Multikulturalismus" zu koppeln und menschliche Fackeln als Besinnungshilfe für "Sozialromantiker" und "Sozialalchemisten" zu bewerten, eine Familienportion Kohl oder Broccoli oder Blausäurekäse gegessen und musste ordentlich durch sämtliche Körperöffnungen flatulieren, man kennt's ja und alles muss raus, was keine Miete zahlt, HÄ HÄ, jedenfalls: die offenbar nicht unterzukriegende Mär vom Niedergang der "Multikultigesellschaft" muss immer wieder aus den untersten Schubladen der geistigen Brandstifter herausgeholt werden, Seehofers Horst macht es uns auch alle paar Wochen mal wieder vor, wenn die Umfragewerte im Keller sind und sich das Hirnwasser bedrohlich der Minimalgrenze nähert, weil, wir wissen's alle: "die 68er sind an allem Schuld" (Grebe).

So markiert also der Mordversuch einiger verstrahlter und lobotomierter Gewalttäter an vietnamesischen Asylanten nicht nur das Ende einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung (von den ganzen obenrum auf Halbmast geflaggten Menschen gerne als "Utopie" bezeichnet), die de facto bis heute weder abgeschlossen, noch überhaupt mal erst vollständig begonnen hat, und des Weiteren einen Weckruf an die Politik und die Gesellschaft gleichermaßen - die Konstruktion einer solchen Argumentation geriert sich nicht nur immerwährend als eine einerseits warnende, anderserseits zum Durchhalten auffordernde Botschaft an die Wahrung der stets durch Dönerbuden, Moscheen und Kopftüchern bedrohten nationalen Identität, sie sendet auch das fatale Signal aus, dass Gewalt, gegen Minderheiten zumal, eben doch zum Erfolg führt, ja mehr noch: die Kraft hat, gesellschaftspolitische Veränderungen im Sinne der Täter zu forcieren.

Danke Rostock 1992, ohne Euch wäre Deutschland heute schon tot.

Man steht einfach nur fassungslos in der Gegend rum.

20.08.2012

No Hype!



CADENCE WEAPON - HOPE IN DIRT CITY


Und nochmal die Klangwolke, diesmal leider ohne Download, dafür gibt's ein komplettes Album. Der Kanadier Cadence Weapon hat sein neues Album "Hope In Dirt City" zum vollständigen Stream angeboten - ein sehr kurzweiliges, dunkles, offenes Werk, das sowohl zum "Golden Age Of Hip Hop", als auch zu Funk und Soul rüberschielt. Glücklicherweise legt Roland Pemberton keinen Wert auf die Erwähnung von "Bitches", "Weed", "Niggers", hier gibt's keinen Gangstaschrott und keine aufgemotzten Superschlitten, mit denen er durch Montreal cruist.

Durch das angenehm kompakte "Hope In Dirt City" zieht sich zwar ein roter Faden, trotzdem klingt jeder Song ein bisschen anders: Mal ist's im Grunde reiner, melancholischer Pop ("There We Go"), mal kommt ein postmodernes 80er Jahre Discostück ("Crash Course For The Ravers") auf den Schirm, irgendwo im Hintergrund shwoovt ein Reggaetakt herum, und die logische Single "Conditioning" macht Kopfnicken bis zum Headbangen. Ein Saxofonsolo fehlt übrigens ebenfalls nicht. Dazwischen gibt's mal lockeren Funk und immer wieder die tief verwurzelten Berührungen des Soul. Die kann Cadence Weapon vor allem deswegen ausspielen, weil er sich ansonsten um nichts kümmern muss: er kann all sein Vertrauen in seine Stimme und seine Ausstrahlung als Rapper und Sänger legen. Und er muss mir nix erzählen. Ich stehe ja auf sowas.

"Hope In Dirt City" ist ein nachdenkliches, reflektiertes, modernes Hip Hop Album. Eine richtig gute, interessante Platte.
Hört man nicht allzu oft.

Anhören!


Erschienen auf Upper Class Recordings, 2012.

19.08.2012

Sommer, Sauna, Sea & Cake

Eine meiner erklärten Lieblingsbands gibt wieder ein Lebenszeichen von sich. Nicht nur, dass das sehr gute Label Thrill Jockey im Rahmen seines zwanzigjährigen Jubiläums die Schatztruhe öffnet und einige längst vergriffene Titel aus der umfangreichen The Sea & Cake Diskografie auf Vinyl wiederveröffentlicht - ich freue mich ganzganzganz besonders auf "Oui" [2000] und ganzganzganzganzganz besonders auf "One Bedroom" [2003], die beide Ende August in den Läden stehen werden - auch ein neues Album wartet bereits ungeduldig auf den Startschuss.

"Runners" erscheint am 21.9.2012 auf, na klar: Thrill Jockey.

Einen Vorgeschmack liefert die erste Single "Harps", die seit einiger Zeit nicht nur via Youtube ihre Runden dreht, sondern freundlicherweise vom Label auf Soundcloud zum kostenlosen Download angeboten wird.

Ich freue mich wirklich sehr, noch in diesem Jahr ein neues Sea & Cake Album in den Händen zu halten. Es war nie besser als 2012. Ehrlich jetzt.

18.08.2012

Kuschelviagra



JOSÉ JAMES - BLACKMAGIC

Die Herzallerliebste bezeichnet "Blackmagic" als "Flachlegemusik", optional auch als "präkoitalen Soundtrack", und ich habe nun auch schon den Bademantel abgelegt und mir die Seifenblasenpfeife angeblubbert. Nun war wenigstens meine Schubalde mit Ficklala aus einer Art pubertärer Verzweiflung heraus seit Jahren mit den ersten Monster Magnet Platten verbunden und erst der Wandel in Richtung anderer musikalischer Gefilde brachte gleichfalls einen Wandel der...gut, das führt nun zu weit. Jedenfalls, und das ist jetzt sehr wichtig: der US-amerikanische Souljazzsänger Jose James, 2007 von Gilles Peterson entdeckt und flugs für dessen Label Brownswood Recordings eingefangen, bringt einen Berg tiefgefrorene, beste Joghurtbutter zum Schmelzen. In der Antarktis. Mit einem Pinguin im Arm und einem Sack Crushed Ice in der Hose. Und mir ist auch schon ganz warm.

Als ich im vergangenen Jahr auf Gideon van Gelders gutem "Perpetual"-Album herumkaute, hatte ich "Blackmagic" bereits mehr oder minder beiläufig erwähnt, schließlich spielt van Gelder nicht nur in der Tourband des "Schmusebarden" (Musikexpress), sondern war auch an der Entstehung seines zweiten Albums beteiligt. Folgerichtig lassen sich auf "Blackmagic" viele Jazz-, Hip Hop- und mit Valium heruntergedimmte Soulanleihen finden. Smooth und schwül, gleichzeitig auch sehr urban und modern, ergibt sich aus diesem kühlen Glanz und der Wärme des stoisch flackernden Kaminfeuers ein sehr stimmungsvolles und deepes, modernes Klangexperiment. Wenn dieser zärtliche Koloss im Hintergrund eines guten Gesprächs, bei einer Kanne Kaffee oder einem LSD-Trip seine Kreise ziehen darf, dann zieht er sie gemächlich und unaufgeregt. Der 10-Liter Eimer mit geschmolzener Albenmilchschokolade, die James durch die Lautsprecher direkt in die Gehörgänge fließen lässt, wird in jauchzender Regelmäßigkeit immer wieder aufgefüllt. Und dann geht der Kladderadatsch gleich wieder von vorne los. So weit so gut, bring it on!

Hellhörig wird man allerdings bei den spannenden Kollaborationen, die James mit einigen angesagten Produzenten einfädelte. Diese Tracks sind die Höhepunkte auf "Blackmagic" und haben das Zeug zum Klassiker: der Elektrobratzjazzerkönig Flying Lotus zeichnet sich beispielsweise für das rabenschwarze Titelstück, den tief pumpenden, mit leichtem Latingroove ausgestatteten Opener "Code" und außerdem für "Made For Love" verantwortlich, das als einziges der genannten Stücke entfernt und durch die Hintertür den Blick auf das Studio des kalifornischen Beatwunderkinds freigibt. Darüberhinaus gibt Detroit in Person des dort beheimateten Techno und House-Produzenten Moodyman beim angemessen betitelten "Detroit Loveletter" die Visitenkarte ab, das gleiche gilt für den japanischen DJ Mitsu, der bei "Promise In Love" mitwerkelte. Damit ist "Blackmagic" keine obskure Sammlung von aneinandergereihten Songs und Stilen, das Gegenteil ist der Fall: das Album ist beeindruckend dicht und kompakt in seiner stilistischen Ausrichtung zusammengestellt. Ebenso wenig sollte man die Zusammenarbeit mit angesagten Produzenten nicht als blankes Namedropping misinterpretieren - Jose James leiht all diesen Kompositionen seine Stimme und hat ein ausgeprägtes Gespür für die eigene Note und den eigenen Ausdruck. Es gibt also keinen Grund, sich auf die vermeintlich großen Namen zu verlassen.

"Blackmagic" hat genau genommen nur einen einzigen Fehler, aber der wiegt schwer, weil er auch die Songs in Mitleidenschaft zieht, die sich im letzten Drittel tummeln und die so ruhig geraten sind, dass sie an dieser Stelle schlicht verschenkt sind. "Blackmagic" ist viel zu lang geraten. Wer die Platte aufmerksam und konzentriert hört, in die Stimmung des Albums eintauchen will, wer sich also nicht damit begnügen will, dass es sich um Hintergrundrauschen handelt, um sich den Klamotten zu entledigen, muss nach spätestens 50 Minuten nach frischer Luft schnappen. Ich muss an dieser Stelle nicht schon wieder mit meiner Haltung zur beknackten "Value For Money"-Diskussion langweilen, aber warum verschenkt man seine Songs und damit auch sein Talent auf eine derart tragische Art und Weise? Bei einer Spielzeit von 40, vielleicht 45 Minuten wäre das ganz bestimmt eine der besten Platten, mindestens für das Erscheinungsjahr 2010 gewesen. So reicht es lediglich zu einer selbst zusammengestellten MP3 Playlist - die ist dann aber auch wirklich extraordinary.


Erschienen auf Brownswood Recordings, 2010.