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11.01.2025

Best Of 2024 ° Platz 13: Warmth - Parallel (Reflection)




WARMTH - PARALLEL (REFLECTION)


"Zu Deutschland noch eins: Wenn man Kriege verhindern will, darf man nicht der drittgrößte Waffenexporteur sein wie Deutschland und an jedem Krieg verdienen." (Gregor Gysi)


Erst in allerletzter Sekunde ist mir diese Neuinterpretation von Warmths Album "Parallel" in die Jahresendabrechnung geschlittert. Das Original erschien im Jahr 2018 und gilt für Genrefreunde mittlerweile als kleiner Klassiker des minimalistischen Ambient. Wie bereits auf seinem Album "Essay" gelang dem aus Valencia stammenden Produzenten Agus Mena auf "Parallel" die Inszenierung seiner Musik mit majestätischer Eleganz, ohne jeden Anflug von Dramatik. Die Weichheit seines Sounds und die außerordentlich subtilen und geschmackvollen Verschiebungen in den unterliegenden Schichten sind legendär, weshalb "Parallel" sich auch bestens für Schlafmusik eignet. Um Missverständnisse zu vermeiden: das ist alles andere als despektierlich gemeint. In diesen Zeiten sollten wir glücklich über alles sein, was uns diesen ganzen Schwachsinn da draußen für wenigstens ein paar Stunden entfliehen lässt, ohne alle zehn Minuten schweißgebadet aufzuwachen. 

Für diesen im September 2024 erschienenen zweiten Blick auf das Album hat Warmth im Vergleich zum Originalwerk mehr Lichtschattierungen, mehr Reflektionen (pun intended) eingehäkelt, die die Stimmung für mein Empfinden etwas mehr in die nicht mehr ganz so frühen Morgenstunden schweben lassen. Mehr Hoffnung, mehr Bewusstheit, mehr Vertrauen. Alles für einen neuen Tag. 

Der medizinische Einsatz von "Parallel (Reflection)" zur Behandlung von Angstzuständen sollte in Betracht gezogen werden.


 


Erschienen auf Archives, 2024. 


28.03.2021

Best of 2020 ° Platz 5 ° Shuta Yasukochi & Carlos Ferreira - Quiet Reminders



SHUTA YASUKOCHI & CARLOS FERREIRA - QUIET REMINDERS


The blood drop signifies a rise in the stock
(Thievery Corporation)


Ich adelte "Quiet Reminders" in einer meiner sehr seltenen Reviews auf Bandcamp als das "most soothing and consoling album of 2020" und wenn ich mich außerhalb dieses Blogs zu solchen öffentlich vorgetragenen Meinungsäußerungen hinreißen lassen, handelt es sich um eine durchaus bemerkenswerte Ausnahme. 

Ich schreibe oft davon, dass die ersten Sekunden einer Ambient-Produktion oft den Unterschied für mich machen. Stephane Mathieu ist beispielsweise ein solcher Meister des unmittelbaren Klangs, der mich sofort einnimmt und in die Tiefe abtauchen lässt. Die Arbeiten von Shuta Yasukochi sind in dieser Hinsicht exotisch, weil sie mich zwar zum gleichen Ergebnis bringen, dafür aber ein paar Umlaufbahnen um mein Herz in Kauf nehmen müssen, an denen ich mich zunächst nur schwer entzünden kann. Wie bereits bei seinem Album "Short Stories" aus dem Jahr 2017 hat es auch bei seiner Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Musiker Carlos Ferreira für "Quiet Reminders" etwas gedauert, bis ich den sorgfältig versteckten Eingang in dieses Labyrinth fand. 

Einmal durch diese Tür gegangen und die Schwelle zur Klangwelt auf der anderen Seite passiert, gibt es aber kein zurück mehr. Wie konnte das passieren? 

Ich glaube, die Antwort besteht aus zwei Teilen. Erstens: ich empfinde Yasukochis und Ferreiras musikalische Sprache als sehr bildhaft und assoziativ, sie gibt einen Schaltplan vor, der mögliche Verknüpfungen, Möglichkeiten, Wege und Linien aufzeigt und dem Hörer damit sämtliche Freiheiten in das eigene Zutrauen überlässt. Es folgt ein hochgradig komplexer und spezialisierter Prozess, der Muskeln trainieren, Reflexe anerkennen muss; ganz so, als müssten nach einer Gehirn-Operation bestimmte Körperbereiche und -funktionen wieder neu programmiert, oder besser: rebootet werden. Daran muss ich mich immer wieder zuerst gewöhnen, eine Mischung aus Phantomschmerz und Nachtblindheit. Zweitens: ihre Musik ist in ihrem Schwebezustand auffallend expansiv und wird geflutet von kaum wahrnehmbaren Mikrobewegungen. Die entstehenden Bilder entwickeln mit der Zeit ein Eigenleben, sie bewegen sich mit der Musik, verändern sich, tauchen ab, steigen wieder empor, stellen scharf und verschwimmen. Damit wird der zu beobachtende Raum übergroß und frei, obwohl er doch unter ständiger Kontrolle der beiden Musiker bleibt. Diese Ambivalenz, beinahe eine Chimäre, ist nicht leicht zu verarbeiten, weil sie einerseits überfordert und andererseits komprimiert. 

"Quiet Reminders" lebt von der Auseinandersetzung, von dem Spiel mit diesen Gegensätzen. Und eines Tages wachst du auf und stehst wie selbstverständlich mitten auf dem Spielfeld, angezogen von der Tiefe, belohnt mit der Weite.


         


Erschienen auf Archives, 2020.