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03.01.2021

Die besten Vinyl-Reissues 2020 (5): PJ Harvey - Dry

 




PJ HARVEY - DRY


1992 in der Keimzelle des Anything Goes-Vibes veröffentlicht und ein Klassiker des Alternative Rock, vielleicht gar eines der letzten wirklich großen Rockalben von der Insel der Brexit-Besinnungslosen: das Debut der britischen Sängerin und Multiinstrumentalistin ist lauter Weirdo-Blues, giftiger Feministenpunk, knarzender Noise. Das Trio, allen voran Schlagzeuger Rob Ellis mit seinem unwiderstehlichen Powerhouse-Drumming, holzt sich bis auf wenige Ausnahmen ("Happy And Bleeding" und "Plants And Rags") furios durch ein Album, von dem PJ einst dachte, es würde nicht nur ihr erstes, sondern auch gleichzeitig ihr letztes sein - was sie dazu bewog, für die Produktion alles in die Waagschale zu schmeißen, was sie hatte. 

Wie viel sie wirklich hatte, wird auf diesem fantastisch klingenden Reissue nochmal offensichtlicher. Nie war der Vergleich zwischen totkomprimierter gestreamter Billigscheiße von den Musikhassern von Shitify und einer famos gemischten, gemasterten und perfekt gepressten Schallplatte sowohl eindrucksvoller als auch schmerzhafter als hier. Ein einzigartig beißender Gitarren- und Basssound, ein die Mauern von Jericho zum Einsturz bringendes Drumset und eine Stimme, die zu gleichen Teilen selbstbewusst, sexy und fragil eine ungeheure Präsenz ausstrahlt. Die grundsätzliche Idee, "Dry" exakt auf diese Art zu inszenieren, war für den im karierten Flanellhemd steckenden "Flori" (Mama) schon 1992 eine bemerkenswerte Entscheidung - knapp dreißig Jahre später wird sie dank dieser Neuauflage zur Sensation.


 



Erschienen auf Too Pure, 1992/2020.

03.10.2017

Methadon



Seit acht Jahren rutsche ich sowohl auf diesem Blog als auch auf anderen Kanälen wie Twitter oder Instagram auf meinen Knien herum, um eine der besten existierenden Rockbands irgendwie dazu zu bewegen, sich in ein Flugzeug zu setzen, um im Kartoffelland wenigstens eine Show auf hiesigen Bühnen zu spielen - eine Deutschlandtournee des Spacerock-Alternative-Power Trios The Life And Times scheint trotz einer gewissen und wenigstens von meiner Seite fortwährend zur Schau gestellten Zähigkeit (die Band würde es wohl eher salopp eine "Belästigung" nennen) völlig utopisch zu sein. Ich weiß nicht, wie viele Alben die Kapelle in Deutschland tatsächlich verkauft, und in Zeiten des ubiquitären Streamings spielt das wohl auch gar keine so arg große Rolle mehr; es wäre indes arg optimistisch, die Zahl der Eingeweihten auch nur auf 100 zu taxieren - und wer klettert dafür schon in ein Flugzeug? Die Chancen, die Band jemals live zu sehen, tendieren also gegen eine stattliche Null.

And that's fucked up.

Nach der Veröffentlichung ihres aktuellen, selbst betitelten Albums zu Beginn des Jahres, erneut ein starkes Stück emotionaler und klischeefreier Rockmusik mit im Vergleich zu früheren Werken etwas gestrafften Arrangements, legt mir die Band nun via Bandcamp zumindest ein kleines Fläschchen auraler Ersatzdroge in die frisch gewechselte Erwachsenenwindel: ihre am 6.September 2017 aufgenommene Audiotree-Session mit immerhin fünf Stücken vom neuen Album gibt es nun als kostenpflichtigen 5-Dollar-Download zu erwerben. Oder eben auch kostenlos als Stream. 

And that's fuckin' A.

Einzig an den mutmaßlichen Queens Of The Stone Age-Tribut "Out Through The In Door" mit seinem klar erkennbaren melodischen Überhangmandat zur vielleicht überbewertesten Rockband der letzten 20 Jahre, muss ich mich immer noch gewöhnen. Der Rest ist strahlendes Musikgold.

Enjoy.





10.01.2016

2015 ° Platz 17




AU.RA - JANE'S LAMENT


Ich muss eine mir bislang weitgehend verborgene Vorliebe für australische Bands haben, zumindest für jene, die tief im Untergrund, im Halbschatten, unter dem Radar fliegen und zu warmgestrulltem Foster's einen schwülen, verhallten Shoegazerock mit geschlagener Magic Mushroom-Sahne spielen. Vor zwei Jahren hatte ich mich in die Absolute Boys verknallt, einem Trio, das mittlerweile und wie bereits befürchtet die Segel gestrichen hat, im Jahr 2015 war es "Jane's Lament" des Duos Au.Ra aus Sydney, das mich immer wieder magisch in Richtung Plattenteller zog.

Ihr schwelender und zugleich funkelnder Sound, wie ein nur noch vor sich hinglimmendes Lagerfeuer aus Klang, bewegt sich nicht nur musikalisch in den Zwischenwelten: zwischen perlenden Gitarren der Londoner Indiestars der achtziger Jahre wie in "You're On My Mind" mit halbwegs aufgeräumtem Laissez Faire-Gestus und verwuschelter Hipsterfrisur, und melodisch-monotonen Noisegroovern eines "Spare The Thought", das den Sex, die Drogen und das Rotlicht (pun intended!) vom frühen Black Rebel Motorcycle Club abbekommen hat, haben Tim Jenkins und Tom Crandles mit "Jane's Lament" aber auch ein Album für die Dämmerung geschrieben. Für die Momente zwischen Wachen und Schlafen, für das Zwielicht. Für einen diesigen Wintermorgen in verkrumpelten, noch schlafwarmen Bettdecken, mit Nichts zu tun - außer den Seelenpartner und eine heiße Tasse Kaffee zu umarmen.

“As the sun sets earlier, this is an album to savor with the dying light.”





Erschienen auf Felte, 2015


27.09.2015

Tout Nouveau Tout Beau (17) - The Grunge Edition



LOVESLUG - BEEF JERKY


Eine Wahrheit, die mir tatsächlich über Jahre verborgen blieb, ist die zumindest stilistische Nähe der wirklich frühen Grungebands mit dem Ende der 80er Jahre überaus erfolgreichen Sleaze Rock einerseits und mit dem Rotzrock-Hype in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Ein gutes Beispiel dafür sind auch Loveslug, eine 1987 in Amsterdam gegründete und 1994 aufgelöste Rockband, die problemlos auch für eine Veröffentlichung auf Sub Pop gut gewesen wäre. Tatsächlich nahm sich deren deutsches Pendant Glitterhouse Records der Band an und auch das passte ganz hervorragend zwischen die erste EP von Monster Magnet und die frühen Amphetamine Records Veröffentlichungen, die Glitterhouse in Europa vermarktete. Produziert von Jack Endino, ist "Beef Jerky" eine Zeitreise in die Untergrundszene Ende der 80er Jahre und zu Beginn der 90er Jahre. Verschwitzter, dreckiger und lauter Rock, der aufgrund fehlender Klischees aber nicht breitbeinig wirkte und damit in Plattensammlungen zu finden sein sollte, die für "Superfuzz Bigmuff", "Ultramega OK" und "God's Balls" das Favoritenfach freihalten.

Erschienen auf Glitterhouse Records, 1990.






BIG CHIEF - FACE


Big Chief waren eine musikalisch hochinteressante Band, die sich 1994, nach fünf Jahren, ebenso vielen Alben und zahlreichen Singles und EPs aus Frustration über das Musikgeschäft und eine zu geringe Aufmerksamkeit für ihre Musik auflöste. Ihr Debut "Face" erschien 1991 zunächst auf Repulsion, bevor Sub Pop die Band unter Vertrag nahm, und bietet lässig-walzenden, im Vergleich zu Loveslug gleichzeitig polierteren als auch metallischeren Grungerock mit bemerkenswerten, aber hier zunächst nur sehr dezent anzutreffenden Ausflügen in Richtung Soul. Beeinflusst von Bands wie den Stooges und den MC5, nahm das Quintett aus Michigan nach der Explosion des Grunge einige stilistische Kurskorrekturen vor und bewegte sich mehr in Soul und Funk-Gefilde. Was "Face" fehlt, ist nahezu jegliches Hitpotential, insofern darf man sich über die fehlende Popularität nicht wundern - persönlich finde ich das zähe Gerocke und Geschrubbe, das mehr Wert auf Stimmung und Groove als auf leidende Sänger, verzweifelte Texte und in die Luft gehaltene Feuerzeuge legt, durchaus charmant. Solche Platten hat man sich eben zu erarbeiten. Bei "Face" lohnt es sich. 

Erschienen auf Repulsion/Sub Pop, 1991.







BLOOD CIRCUS - PRIMAL ROCK THERAPY


In jedem Genre sind sie zu finden: Die Vergessenen. Die Unbeachteten. Selbst dann, wenn alleine das Label und der Zeitpunkt der Veröffentlichung dafür sprechen könnten, wenn nicht müssten, solche Bands wenigstens in die Hall of Fame aufzunehmen - nicht unbedingt wegen eines reißenden Absatz ihrer Platten, dafür für wegweisende Relevanz. Blood Circus war ein Quartett aus Seattle, das 1989 ihre Debut-EP "Primal Rock Therapy" auf Sub Pop veröffentlichte. Und wenn die Truppe für eines berühmt ist, dann für die Geschichte, sie seien auf ewig die schlechtverkaufendste Band des Labels gewesen. Andererseits kann man diesen furiosen Ritt durch Garagenrock und Punk als eine echte Pionierarbeit bewerten, für die sich die Band allerdings im Wortsinn nichts kaufen konnte: Nach einer sechswöchigen Tour durch Nordamerika lösten sich Blood Circus 1989, und damit lange vor der Grungeexplosion, wieder auf. Gut drei Jahre später erschienen sie plötzlich wieder in Originalbesetzung auf der Bildfläche, als die musikalische Fahne Seattles allerdings schon wieder dezent auf dem Weg in Richtung Halbmast war. Grunge wurde ironisiert und ausverkauft. Bad timing gone horribly wrong. Wer wissen will, womit der ganze Wahnsinn anfing, sollte "Primal Rock Therapy" im Schrank stehen haben. Weil es, ganz am Rande, auch eine echt gute Platte ist. 

Erschienen auf Sub Pop, 1989.