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19.05.2023

Best Of 2022 ° Platz 3: Lav - A New Landscape


LAV - A NEW LANDSCAPE


Ein Album wie ein Mikrokosmos. 

Der schwedische Produzent Lav aka Christopher Landin ist auf diesem Blog bereits mehrfach mit überschwänglichem Lob bedacht worden. Das liegt vor allem an "A State Of Becoming", das mit Beteiligung von Purl aka Ludvig Cimbrelius entstandene Meisterwerk aus dem Jahr 2017, das in meinem Buch zu den drei besten Ambient-Alben aller Zeiten zählt. Nach einigen weiteren Veröffentlichungen auf so illustren Labels wie Dewtone, deren Homepage-Radio ich nur allerwärmstens empfehlen kann, Amone Recordings und natürlich A Strangely Isolated Place (das eigene 9128-Radio ist ebenfalls überaus lohnenswert), ist "A New Landscape" Lavs zweites vollständiges Album - und das erste ohne eine erweiterte Zusammenarbeit mit anderen Musikern. 

Lav lebt mit seiner Familie auf der schwedischen Insel Gullholma und betreibt dort autarken okölogischen Landbau, über den er regelmäßig mittels Videoaufnahmen berichtet - jedenfalls glaube ich das, denn ich verstehe kein Wort: meine Kenntnisse über die schwedische Sprache sind überaus übersichtlich ausgebildet. Er könnte somit auch über Kartoffeldruck und Atomphysik sprechen, aber weil öfter Zucchinis als Brennstäbe im Bild zu sehen sind, gehe ich von Gemüseanbau aus. Darüber hinaus scheint ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Interesse für Pilze zu bestehen. Das Coverartwork von "A New Landscape" zeigt beispielsweise den Schleimpilz Badhamia utricularis, der in seiner Lebensweise Eigenschaften von Tieren und Pilzen gleichermaßen vereint, biologisch aber zu keiner der beiden Gruppen gehört. Das Foto wurde von Lav nur einige Gehminuten von seinem Haus entfernt gemacht. 

In diesem Zusammenhang erscheint es klug, ihn selbst zu Wort kommen zu lassen:

"To me this album is about perception. Every day we pass over them, without seeing. Fungi, slime molds and other small beings issue an invitation to dwell for a time right at the limit of our ordinary perception. All it requires of us, is attentiveness. Look in a certain way and a whole new landscape can be revealed."


"A New Landscape" ist Natur. Ein kalter, feuchter Waldboden. Die Baumrinde jahrhundertealter Tannen. Der Blick über sich im Wind schaukelnde Baumwipfel. Das Panorama aufs offene Meer. Der Geschmack von Gebirgsluft. Die Sonne auf der Haut. Lavs organischer Ambient Techno, mal technisch nach vorne treibend wie in "Under The Microspope", mal rhythmisch verschachtelt und mehrdimensional wie in "Collaborative Survival", mal ohne jeden Beat und mit gröberer Auflösung operierend in "Below The Forest Floor", fordert und fördert Vergegenwärtigung, Empathie und Demut. 

Das gelingt einerseits durch die Musik, also über den reinen Klang mit viel Atmosphäre und tief versunkenen Flächensounds und andererseits mittels der Bilder und Stimmungen, die auf der Reise ein- und ausgeblendet werden - es fühlt sich manchmal so an, als würde man mit dem Elektronenmikroskop in die Vergangenheit reisen und dem Leben beim Entstehen in Zeitlupe zuschauen. Oder wie mit beiden Händen in Mutterboden zu stecken und eine spirituelle Verbindung aus einer anderen Galaxie gechannelt zu bekommen. Die Auseinandersetzung mit dieser Musik entwickelt das ganz natürliche Bewusstsein, sich mit spielerischer Faszination diesen verborgenen Welten zu nähern, sie als Realität für andere Lebewesen wahrzunehmen und den eigenen Platz in dieser Welt zu erkennen, aufmerksam und -gerichtet zu sein. Die andauernde Lärmbelästigung, die Diarrhoe der Sensation, des Tumults, das ständige Bombardement der Empörung - "'s ist doch wurscht." (Schmidt) - braucht einen Krampflöser. Es wird Jahre brauchen, den Dreck aus unseren Systemen zu spülen. 

Das braucht Ursprung. Nullpunkt. Reset. 


Vinyl: Das stimmungsvolle Cover-Artwork ist eine Sensation und zusammen mit dem Vinyl in *checks notes* Marigold zum Dahinschmelzen schön. Ungefütterte Innenhülle, Bandcamp-Downloadcode. Die Pressung ist nicht perfekt, aber ordentlich. (++++)


 


Erschienen auf Past Inside The Present, 2022.





13.05.2023

Best Of 2022 ° Platz 4: bvdub & james bernard - departing in descent



BVDUB & JAMES BERNARD - DEPARTING IN DESCENT


Der Sprung von Toxik's Ausflug in die Nervenheilanstalt auf Platz 5 zu "departing in descent" könnte kaum größer sein. Da muss sich der Kopf erstmal wieder rekalibrieren. 

Der Konsum der Musik von bvdub kann problematisch sein. Das hat indes keinerlei Auswirkungen auf mein Konsumverhalten, und angesichts der schieren Menge seines Outputs möchte sich mein Kontostand beinahe zu einem gewimmerten "Leider!" hinreißen lassen. Denn so ist das eben als gelernter Metaller: Loyalität geht wenn nicht über alles, dann doch über verflixt vieles. Die Probleme beziehen sich folgerichtig auch weniger bis gar nicht auf die eigentliche Musik, sondern auf meine Rezeption derselben. Oder besser, auf die periodisch auftretende Unfähigkeit, sie emotional verarbeiten zu können. Ich habe über die letzten 13 Jahre so oft über seine Musik geschrieben, dass meine dreikommavier treuen Leser*innen, die bis hierhin durchgehalten haben, sicherlich gleich in den Dörnröschenschlaf fallen werden, so oft sie das schon lesen mussten, aber für meine neue Future-Fanbase, die gleich tausend- ach was: millionenfach von TikTok und meiner geträumten Guest-Appearance bei Fantano auf diese 3,40qm gespült werden, darf ich es nochmal kurz anreißen. bvdub kann einem unangenehm auf die Pelle rücken, wenn das zerebrale und seelische Harmonienetz außer Balance geraten ist. Das wird zu groß, es kommt zu nah, es ist "too close to home", und die Zeiten, in denen sich der kleine(re) Florian in Melancholie und tiefer dunkler Agonie regelrecht suhlen wollte, weil das Leben zu hart und so überwältigend erschien, sind öfter vorbei als sie es nicht sind. Sich in solchen Zuständen komplett in seine unerbittlich aufschäumenden Gefühls-Monstrosität fallen zu lassen, erfordert entweder Mut oder dumpfe Ignoranz. Andererseits hat seine Musik gerade in diesen Situationen eine nicht von der Hand zu weisende kathartische Wirkung, been there, done that, aber wir wissen alle: einfach ist das nicht. Und manchmal hat man auch einfach keine andere Wahl, atmet tief durch, macht den ersten Schritt in seine Welt und erlebt jede noch so subtile Körnung der Musik wie eine neue Realität, ein neues Leben. Das sind kolossale, lebensverändernde Momente.

Die Musik von James Bernard habe ich vergleichsweise spät kennengelernt. Meinen Erstkontakt hatte ich mit seinem A Strangely Isolated Place-Debut "Atwater" im Jahr 2019, eine Liveaufnahme seines Sets vom 'Modular On The Spot’-Festival im North Atwater Park in Los Angeles. Durch die darauf aufbauenden Recherchen fand ich heraus, dass ich wirklich sehr spät zur Party kam. James veröffentlicht seine Musik seit 1994 und wildert durch Ambient, Techno, IDM und Acid-Terrain. Als er 2006 sein Profil auf Discogs erstellte und das dortige Ambientforum betrat, bearbeiteten ihn die übrigen Nutzer so lange, bis er seine frühen und unveröffentlichten Tracks aus den Jahren 1994 bis 1999 auf 25 CD-Rs brannte und die Drei-CD-"Boxen" eigenhändig an die Community verschickte. Sven Väth spielte sein "Dreamscape" in seinen Sets und im Radio, Rising High Records-Gründer Caspar Pound holte ihn auf das Sublabel Sapho, und in der Neuzeit rollte ihm Ryan Griffin, Labelchef von A Strangely Isolated Place den roten Teppich aus: zwei Jahre nach "Atwater" veröffentlichte das Label die ersten beiden "Unreleased Works"-Editionen auf gleich zwei Doppel-LPs. "Acid Dreams" und "Elemental Dreams" sind beeindruckende Werkschauen von einem der profiliertesten Produzenten der Szene. Hier haben wir auch gleich noch ein weiteres Beispiel dafür, wie schwer mein Aussetzen der Bestenliste 2021 wirklich wiegt - das wären leicht & locker Top 10-Platten und damit Top 10-Reviews gewesen. 

"departing in descent" ist die erste Zusammenarbeit der beiden Musiker; für Brock ist es gleichzeitig das Labeldebut auf zakés Past Inside The Present Label. Für Brock hatte die Kollaboration eine besondere Bedeutung, wie er in seine Post auf Instagram klarstellte:

"On a day like any other in 1994 James Bernards 'Atmospherics' – ordered by mistake by my local house record store - would shape my view of music and my place in it for decades and a lifetime to come. It became, has been, still is, and always will be my favorite ambient album of all time. It changed what music was. Who I was. And the bridge between the two was rebuilt in a way that would stretch to today and beyond.

(...)

James Bernard has been my hero for 28 years.
Somehow, decades later, our musical paths converged.
Somehow, decades later, I have the fortune to call him a friend.
Somehow, decades later, I have the honor to call him family."


Ich den letzten sechs Monaten habe ich keine Platte öfter gehört als "departing in descent". Das ist deshalb bemerkenswert, weil die weiter oben geschilderten Ausnahmesituationen vor allem mit Brocks Musik hier offenbar keine Rolle spielten. Ganz im Gegenteil: ich kam zur Familie, wenn Trost und Beistand notwendig waren. Nicht zur Reinigung, nicht zum Eros der Verzweiflung, sondern zur Umarmung. "departing in descent" ist ein Refugium. Dabei sind die Merkmale ganz deutlich zu erkennen, denn das ist unwidersprochen eine bvdub-Platte mit all seinen Signature Sounds, den Vocal-Samples und den typischen Breaks, dem Pathos und der sich in dem Himmel schraubenden Dramatik. Es ist aber gleichzeitig eine emotionale Entzerrung, mit einer wahrnehmbaren menschlichen Komponente, die nicht das Drama vergrößert, sondern die Entgrenzung kontrolliert. Brock und James haben zumindest in Teilen das Monster gezähmt - sicher nicht hinsichtlich der Spieldauer, denn die überlangen, acht, neun, zehn, elf Minuten dauernden Schallgebirge dürfen immer noch beliebig ausufern. "departing in descent" ist spielerischer, leichtfüßiger und irgendwie heller als ich das zunächst erwartete. Die engelshafte Stimme von marine eyes in "harmonies in hesitation" beispielsweise taucht den Raum in das durchsichtigste Weiß der Welt, alles wird Zeitlupe, alles schwebt. Entschleunigung. Durchatmen. Fallen lassen. 

Ein Effekt fällt dadurch besonders ins Gewicht, und ich kann nur spekulieren, dass der Grund hierfür die Beteiligung von James Bernard ist. Denn wo sich Brocks Musik in erster Linie darum kümmert, möglichst weit zu expandieren, sich auszudehnen bis das Intensitätsniveau kurz vor der finalen Sprengung von Körper, Seele, Geist liegt, erscheint mir die Introspektion, die Konzentration von Klang und Aura die große Kompetenz von James zu sein. Diese Verdichtung, dieses nach Innen gekehrte Element des Albums kreiert einen sicheren Raum, wenn er notwendig ist. Ich kann die Ferne spüren, die Melancholie, den Schmerz, das Tosen der Gedanken. Aber ich gehe nicht unter. 


Vinyl: "departing in descent" kommt in der Vinylfassung als "Mystery Color", das heißt: die zwei LP's haben unterschiedliche Farben und die Farbgebung und Zusammenstellung erfolgten komplett nach dem Zufallsprinzip. Die Stückzahlen sind ebenso unbekannt. Das hat natürlich einerseits den Charme, dass die Sammelnerds, die wegen Limitierung und also Verknappung Schnappatmung bekommen, in die Röhre gucken. Dazu ist es nicht unspannend, die Platte aus der Folie herauszuehmen und zu schauen, was man denn nun bekommen hat. I like. Andererseits kann es natürlich auch vorkommen, eine Kombination zu bekommen, die ästhetisch möglicherweise ein wenig Diskussionsbedarf mit sich bringt. Das sind alles Luxusprobleme. Das Cover-Artwork ist bezaubernd, meine Farben sind toll und die Pressung ist wie gewohnt von PITP: mal Licht, mal Schatten, insgesamt aber völlig in Ordnung. Bevor allerdings wieder die verbale Panzerfaust regiert, sollten alle Hi-Fi-Nerds vielleicht zuerst die Digitalversion hören, denn Brock und James haben absichtlich einige Verzerrungen, Kratzer und Noises in ihren Sound eingewebt und einige Stellen durchaus "hot" produziert. Das ist kein Problem der Pressung. Und ist es nicht völlig plem-plem, dass man sowas heute extra erwähnen muss? (++++)


 



Erschienen auf Past Inside The Present, 2022.





10.07.2021

Sonst noch was, 2020?! (10) - Lucy Gooch - Rushing



LUCY GOOCH - RUSHING

Das US-amerikanische Spezialistenlabel Past Inside The Present hatte 2020, und damit im vierten Jahr seines Bestehens, einen ganz außergewöhnlichen Lauf. Es liegt nahe, das vor allem an einer Platte festzumachen, die aus nicht ganz offensichtlichen Gründen die Ambient-Nische verließ und sich plötzlich selbst auf dem Radar derer aufhielt, die bislang keine Ahnung davon hatten, diese Musik in ihrem Leben zu benötigen: zaké & 36s "Stasis Sounds For Long​-​Distance Space Travel" übersprang im Juni dieses Jahres tatsächlich die Grenze von 2000 Käufern alleine auf Bandcamp, sicherlich auch von den mittlerweile zig Vinylversionen und -farben angeschoben, aber es ist klar, dass dieses Werk eine ganz besondere Saite bei den Menschen angeschlagen hat - und weiter anschlägt. 

Von diesem so schönen wie überraschenden Erfolg bestärkt, folgte eine wahre, ich bin bin versucht das Wörtchen "unüberschaubare" in diesem Kontext einzuflechten, Flut von neuen Releases - und es ist vielleicht nicht allzu utopisch anzunehmen, dass damit auch größere Aufmerksamkeit auf Künstlerinnen wie Lucy Gooch gelenkt wurde, die mit der EP "Rushing" ihr Labeldebut gab. Ihre so hymnischen wie ätherischen Kompositionen tupfen das eigene Bewusstsein in einen transzendentalen und luziden Traum hinein: seidige Transparenz und surreal zerklüftete Landschaften lassen zwischenweltliche Räume entstehen, Orientierungslosigkeit und Kontrollverlust auf der einen, Geborgenheit und Vertrautheit auf der anderen Seite. Ihre wasserklare Stimme dient dabei gleichermaßen als Fixpunkt des Außerweltlichen und als Rückzugsort für eine Idee von Popmusik, die eher Laune an künstlerischer Dehnung, denn an kompatibler Komprimierung hat. Im Höhepunkt "Sun" klingt es, als hätten sich die drei Seelen von Lucy Gooch, Zola Jesus und Lisa Gerrard in einem unterirdischen Höhlenlabyrinth miteinander verschmolzen und ein hell blitzendes Energienetz über die Erde ausgerollt und es ist herzerwärmend, diesen Song zu erfahren. 

Zerrissen zwischen Pop, vergeistigter Klassik und spiritualisiertem Folk, zwischen Einsamkeit und Empathie; im Prinzip der Sound einer ganzen verdammten Generation. Wir müssen einfach lernen, besser zuzuhören.

 


Erschienen auf Past Inside The Present, 2020.




12.04.2021

Sonst noch was, 2020?! (4) - The Slow Dancing Society - The Disappearing Collective Vol. I


THE SLOW DANCING SOCIETY - THE DISAPPEARING COLLECTIVE VOL.I


Manchmal zeigt sich der Charakter eines Albums erst spät. Oder präziser formuliert: manchmal erkenne ich den Charakter eines Albums erst recht spät. Das ist logischerweise ein Unterschied. Es ist natürlich viel romantischer anzunehmen, die Musik selbst stelle sich mir nix, dir nix auf diese eine bestimmte Lebensrealität von Flohihaan Blödkommadoofienull ein und verändert sich, transformiert eigenständig die Frequenzen und Schwingungen und trifft genau den richtigen, haha: Ton zur genau richtigen Zeit am genau richtigen Ort. Dann schreibt man sowas ins Internet wie "Die Musik hat mich gefunden.", weil man ihr eine Intelligenz zugesteht, ein Eigenleben, ein Bewusstsein - und weil es natürlich wie nix feststeht, dass die Musik damit AUSGERECHNET!^111einself zu einem selbst kommt, dem Mittelpunkt von allem, der Mutter aller Wahrheiten und Weisheiten. Ob's auch 'ne Nummer weniger theatralisch geht, hab' ich gefragt? 

"The Disappearing Collective Vol.I" des US-Amerikaners Drew Sullivan zog im Frühjahr 2020 über einige Wochen hinweg seine eleganten Kreise durch den Westflügel meines Anwesens, und obwohl sie mich nicht umgehend mit prachtvoller Erektion aus dem Sessel feuerte, blieb die Platte verdächtig lange im "Neu Eingetroffen"-Fach des guten schwedischen Pressspanregals einsortiert. Besondere Platten verbleiben aus unterschiedlichen Gründen bisweilen sehr lange in diesem Fach; es ist vielleicht das untrüglichste Zeichen einer durch was und wie auch immer bewegenden Musik, sie immer wieder hören zu wollen. Immer wieder von ihr angezogen zu werden, weil sie das Leben bereichert, es schöner, bunter, intensiver macht. Oder weil man möglicherweise etwas von ihr lernt. 

Es mag sich nicht sofort erschließen, aber ich lerne vor allem mit und wegen solcher Musik viel über mich selbst, über Menschen, über Liebe, Ängste, Demut. Über Schönheit. Und darüber, Schönheit zu erkennen, sie nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern sie zu verstärken und zu wertschätzen. Das geht fast immer ohne Worte, fast immer ohne darunter liegender Message, fast immer ohne Erklärung. Man fühlt diese Musik. Sie wird zu einem Baustein für das eigene Verständnis, einem Puzzleteil für die eigene Idee von Leben. 

Well, die Idee von Leben...manchmal ist da Chaos, manchmal ist da Einsamkeit, manchmal ist da Angst. Sind wir ehrlich: fast immer ist da Angst. Und plötzlich ist da inmitten dieses tosenden Sturms jene berühmte nächste Ebene in dieser Musik spürbar, denn das Gesetz der Anziehung gilt ja nicht nur für Licht und Liebe allein: ich habe sie gefunden. Das sind erhebende, aber leider sehr flüchtige Momente, in denen man vielleicht für wenige Sekunden mehr von diesem irren Ritt versteht, mehr von sich selbst, mehr von der Welt, mehr vom Universum, mehr von der eigenen Bedeutungslosigkeit - und stattdessen plötzlich alles über Einheit. 

Alles ist vergänglich. Nichts bleibt. 

“The things we love will one day disappear - first slow and then so quick.”
(Matthew Ryan) 

 



Erschienen auf Past Inside The Present, 2020 


25.02.2021

Best of 2020 ° Platz 13 ° 36 & zakè - Stasis Sounds For Long​-​Distance Space Travel




36 & zakè - STASIS SOUNDS FOR LONG-DISTANCE SPACE TRAVEL

"Just sitting around waiting for this world to end."
(JUD)


Covid-Lockdown-Soundtrack, Teil 1: als im März des letzten Jahres die Situation erstmals so richtig ungemütlich wurde, die Angst das Zepter in die Hand nahm und plötzlich alles aus den Fugen zu laufen schien, war ich emotional in keinem guten Zustand. An meiner eigenen, konkreten Lebensrealität gab es nur wenige wirklich spürbare Veränderungen, aber es machte den Eindruck, als würden die Ängste und Sorgen eines ganzen Landes sich mit den meinen verbinden - und alles wurde gleichzeitig größer und dunkler und unberechenbarer. Die Dynamik aus den Anfangstagen dessen, was gemeinhin unter dem Begriff  "Lockdown" bezeichnet wurde, zusammen mit den minütlich auf allen Kanälen abgefeuerten Informationen, sowie die daraus stets wahrnehmbare Verunsicherung, empfand ich als äußerst unangenehm. Mich beeindruckte das sehr, seelisch wie körperlich. 

"Stasis Sounds For Long​-​Distance Space Travel" war (und ist) Klang gewordener Balsam in jener Zeit und es hat den Anschein, als sei diese Musik für genau solche Situationen gemacht worden. Der ursprüngliche Gedanke des Albums, "intended for the listener to embrace moments of stillness, quietude and reflection", neben einem Sci-Fi-Plot mit der Idee der künstlichen Stase, einem Schlafzustand, in dem man sich durch Raum und Zeit bewegt, ohne Raum und Zeit wahrzunehmen, morphte mit der Angst, sich künftig mit den guten Gästehandtüchern den Hintern abzuwischen, denn die kapitalistische Entsolidarisierung macht eben auch vor Scheißhauspapier nicht Halt, in ein kosmisches Hintergrundrauschen, das beruhigte und die Reise ins Innere, "die Reise ans Ende des Verstandes - für viele von uns nur ein Kurzausflug" (Schmidt) tatsächlich mit Zuversicht und Trost untermalen konnte. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis ich das verstand - die kaum wahrnehmbare Schwingung, die minimalistische Dehnung in dieser Musik erscheinen zunächst blass, geglättet, sie fordern prima vista auch keine Emotionalität heraus. Erst über die Zeit erkannte ich die Tiefe in der Repetition, die Zuflucht in der Dürre, die Innigkeit des Nichts. 

Es ist überaus bemerkenswert, wie viel Macht Musik haben kann.


   


Erschienen auf Past Inside The Present, 2020.