Posts mit dem Label purl werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label purl werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

28.07.2024

Sonst noch was, 2023?! - Gesammelte Werke




"Nobody's mad at you
Nobody's mad at you
You're having a private experience
Nobody's mad at you
Nobody's mad at you
Nobody really gives a fuck"
(Neal Brennan)


Ich schwör': ein allerletztes Mal gibt's den Blick zurück ins Jahr 2023. 

Danach...ohjehmine und spoiler alert: geht er sogar noch ein paar Jahre weiter zurück. 


Machen wir also jetzt final den Deckel auf 2023, is' ja auch schon bald August. Grundgütiger.


---





EARTH HOUSE HOLD - HOW DEEP IS YOUR DEVOTION


Eigentlich war diese Werkschau von Brock van Wey's Earth House Hold-Projekt für lange Zeit meine Nummer 1 des Jahres 2023, bis ich mich schlussendlich dagegen entschied, eine Compilation in die Bestenliste zu wuchten, noch dazu auf die Spitzenposition. Dann ist es allerdings heute umso wichtiger, über "How Deep Is Your Devotion" zu sprechen. Während ich diese Zeilen schreibe, ist es 10 Uhr an einem Sonntag im Juli 2024. Es ist sonnig, aber glücklicherweise nicht zu warm. Das Fenster ist sperrangelweit offen und in Sossenheim herrscht eine Ruhe, wie ich sie als Kind von den sommerlichen Besuchen bei meinen Großeltern im pfälzischen Nirgendwo kenne. Man spürt das Nichts mehr, als dass man es hört. Es duftet nach schwarzem Kaffee mit einem Hauch Bergamotte. "How Deep Is Your Devotion" läuft, und ich wünsche mir, dass die Zeit stehenbleibt. Die Entwicklung zu verfolgen, die Brock über die vier EHH-Alben auf die muskalische Leinwand gezaubert hat, das Abdriften eines so oder so schon sehr speziellen Deep House-Ansatzes in eine immer weiter gedehnte, dekonstruierte, eigentlich sich in Auflösung befindliche Version mit solch skurriler Schönheit und mehr versteckten, vergrabenen, vernebelten Zwischentönen, als ich jemals hören könnte, ist das Eine. Das andere ist, dass man sich wünscht, diese Musik würde nie enden. Dieser Moment würde nie enden. 


 



Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2023.



---





FILM SCHOOL - FIELD


Shoegazing in LA. Das kalifornische Sextett um Bandgründer und Chef im Ring Greg Bertens fiel mir erstmals mit ihrem zweiten Album "Film School" im Jahr 2006 positiv auf, und ich bin hocherfreut, dass die Truppe über die ganzen Jahre durchgehalten hat - das gilt umso mehr, wenn noch so starke Platten wie "Field" in ihren Herzen und Köpfen schlummern. Wer vom aktuellen Slowdive-Album auch so enttäuscht wurde, darf schon mal entspannt das nächste Tütchen drehen: "Field" ist ultrakompakt komponiert, hat einen guten Drive und trotzdem soviel Tiefe, dass einem Songs wie "Up Spacecraft" oder "Don't You Ever" (mit einem 1995er Monster Magnet-Gedächtnisriff) sofort unter die Haut kriechen.


 



Erschienen auf Felte, 2023.



---





RAY ALDER - II


Soloalben sind immer so eine Sache. Eigentlich stehen sie schon ab dem Moment der Ankündigung ein paar Stufen unter dem Output der Hauptband. Das Solodebut von Fates Warning-Wundersänger Ray Alder "What The Water Wants" aus dem Jahr 2019 war im Rückblick und abgesehen von Alders gewohnt brillantem Gesang eine Enttäuschung. Zu zahm, zu oberflächlich, und irgendwie auch zu egal. Folglich waren meine an "II" geknüpften Erwartungen von leichter Unterkühlung geprägt, aber siehe da - "II" ist um Welten besser als das Debut, ist zu gleichen Teilen emotionaler als auch heavier. Insgesamt inszeniert Alder seine Musik natürlich gradliniger als im Kontext von Fates Warning, und sein immer noch vollkommen intaktes Gespür für einnehmende Gesangsmelodien im Zusammenspiel mit bisweilen satt tiefergelegtem Unterwasser-Riffing, erzeugen ein ums andere Mal echte Überraschungsmomente. Das gilt mittlerweile nicht mehr für Alders Gesangsleistung: man erwartet Übermenschliches - und das bekommt man dann auch. Weiß Gott keine Selbstverständlichkeit, aber das hat er nun davon, so fucking gut zu sein. SO FUCKING GUT!


 



Erschienen auf Inside Out, 2023. 



---





DANNY PAUL GRODY - ARC OF DAY


Und nochmal Kalifornien, dieses Mal San Francisco. Sein Album "In Search Of Light" aus dem Jahr 2011 hatte ich seinerzeit als "Sorgenbrecher" bezeichnet, und seine Musik ist auch 13 Jahre später noch immer genau das. Ich hatte es leider versäumt, über sein 2021er Werk "Furniture Music II" zu berichten, das mir in der Pandemie Hoffnung und Licht ins Sossenheimer Outback brachte, aber das passiert mir nicht nochmal. Die Ruhe und die Kontemplation, die vom inneren Kern von "Arc Of Day" ausstrahlt, macht mein Leben besser. Ich schmecke die Luft an der US-amerikanischen Nordwestküste, spüre den Sand zwischen den Zehen, die Sonne auf der Haut. Eigentlich ist das Psychotherapie, nur ohne Reden. Zuhören sollte man aber. 





Erschienen auf Three Lobed Recordings, 2023.



---





AYAAVAAKI & PURL - ANCIENT SKIES


Purl sagte kürzlich über "Ancient Skies", es sei eine der einzigartigsten Platten, die er je aufgenommen hat - und wer sich darüber im Klaren ist, wie viele Alben dieser Kosmopolit schon veröffentlichte und wie bescheiden er für gewöhnlich auftritt, mag erahnen, wie wichtig ihm ausgerechnet dieses Werk ist. Gleichzeitig kann der Eindruck entstehen, "Ancient Skies" sei ein wenig vom Radar der Ambientfans gerutscht und damit also unterschätzt und/oder übersehen - und das muss ich für meine Wenigkeit leider bestätigen. Es gibt einfach viel zu viel Musik und das Leben raubt mir viel zu viel Zeit - und dann legt Purl eben noch immer ein atemberaubendes Veröffentlichungstempo vor. Hinzu kommt: "Ancient Skies" ist in der (digitalen) Orginalfassung fast zweieinhalb Stunden lang, und einfach zu hören ist das nicht unbedingt. "Ancient Skies" ist einerseits dramatisch und opulent, andererseits spielt sich so viel unter den hörbaren Schwingungen dieser Musik ab, ist subtil, manchmal mystisch. Wenn der halbe westliche Planet damit beschäftigt zu sein scheint, das durchs Social Media-Dauerfeuer schön herangezüchtete ADHS zu füttern, erscheint es lohnenswerter denn je, sich einfach mal für zwei Stunden auszuklinken. 

Hinweis: die Doppel-LP hat lediglich acht (statt vierzehn) Songs in zum Vergleich zur digitalen Version editierten Fassungen.


  



Erschienen auf LILA लीला, 2023 




13.03.2021

Best of 2020 ° Platz 9 ° Purl - Renovatio



PURL - RENOVATIO

So tired of being nothing
When, when we should be everything
(The International Noise Conspiracy)


Im vergangenen Jahr beendete ich mein Review zu Purl's "Violante (Lost In A Dream)" mit der an den Erschaffer gerichteten und explizit anerkennenden Botschaft, er, Ludvig Cimbrelius (nebst seiner neun Aliasse, sind wir heute mal verschwenderisch), sei ein "fucking wizard". Seit 2015 kenne ich nun seine Musik, wenn auch nicht allumfassend, dafür ist das Volumen seines Oevres meinen Hör-Realitäten schlicht nicht angepasst, aber sie gehört mittlerweile sicherlich zu jener Musik, die aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken ist. 

Niemand klingt so wie Purl. Niemand malt solche Bilder aus Klang. Niemand sonst kann mit Tönen Deine Haut streicheln; so als wehe eine warme Brise über den Körper hinweg und verstrubbelt Haare, Herz und Seele. Niemand sonst kann so viele Türen öffnen, so viele lichtdurchflutete Räume schaffen. 

"Renovatio" schwebt wie eine weiße Feder in Richtung Sonne und man weiß nie so recht, ob sie angetrieben oder angezogen wird, von Licht, von Liebe, von Freiheit, einer Art Entgrenzung? Oder gar - vom Mangel von all dem? Wenn es ganz besonders dunkel wird, ist schließlich selbst der kleinste Funken, das kaum wahrnehmbare Flackern einer Reflektion, wortwörtlich jetzt: ein Hoffnungsschimmer. Das mag nun selbst für einen wie mich erschütternd trivial sein, aber die bloße Anerkennung eines Mangels, einer Lücke, setzt Mechanismen in Gang, damit diese Lücke geschlossen werden kann. Dafür (und daraus) ist "Renovatio" gemacht: für Einkehr, Entdeckung, Offenbarung, Nacktheit, Fülle, Schönheit, Schutzlosigkeit, Offenheit. Wer sich nicht nur mit dieser Platte, sondern im Grunde mit Ludvigs Gesamtwerk auseinandersetzt, findet all das im transzendentalen Bewusstsein seiner Musik, das so expansiv und verschwenderisch wie demütig und unschuldig ist. 

---

Dunkelheit ist einfach. Zynismus ist einfach. Profanität ist einfach. Sich aus diesem Kokon des Untergangs zu befreien und seinen stets so verlockenden Rufen zu widerstehen, die Fläche zu verlassen und stattdessen tiefer, in die Vertikalität zu gehen, zu suchen, die Introspektion umzukehren und sie expressiv ins Draußen zu tragen, ist eine Herkulesaufgabe. Ich kann nur erahnen, wie viel Kraft notwendig ist, um diesen süßen Duft dieser ultimativen Freiheit in Tönen zu manifestieren - die Glücksgefühle beim Hören sind dagegen äußerst gegenwärtig.


   


Erschienen auf Archives, 2020.