Als meine Wenigkeit vor fast exakt vier Jahren einen halbsteifen Beschwerdebrief in die eigenen vier Wände sandte, weil es beinahe unerklärlich sei, dass "Good Day" des britischen Songwriters nicht in der Liste der damaligen besten Platten des Jahres 2018 auftauchte - wo doch vor allem die Herzallerliebste einen regelrechten Narren an den so markanten wie zwanglosen Songs Jeremiahs gefressen hatte und wir "Good Day" also überdurchschnittlich oft (und gerne) hörten - ließ sich gleichfalls eine gewisse Ratlosigkeit in meinen Ausführungen nieder. Immer diese Stilfragen. Was ist das denn hier eigentlich? Und wo kommt es her?
Überzogen mit einer Patina aus den sechziger und siebziger Jahren, mit Orchester-Grandezza und manchmal gar einem Galabühnen-Vibe, aber andererseits unmittelbar, glänzend, frisch und modern. Irgendwie, und ich nehme jetzt allen Mut zusammen: hip! Wer nun obenrum möglicherwiese mit einer opulenteren Ausstattung protzen darf, wird derlei stilistische Lästigkeiten aus den tödlichen Fängen des Egos nicht weiter beachten und stattdessen einfach die Musik genießen. Aus welchen Gründen schreibt der Musikexpress denn auch sonst seine Rezensionen? Frage ich Sie!
Aber wir sind glücklicherweise nicht im mentalen Springer-Hochhaus und damit im Keller jeglicher Moral, sondern in fucking Sossenheim, bitches! Hier darf sich nach Herzenslust der gelbe Schmackes mit rostigen Nägeln aus der Hinrinde gekratzt und im Warum, Wieso, Weshalb regelrecht gebadet werden.
Im Vergleich mit "Good Day" erscheint mir "Horsepower For The Streets" tatsächlich stärker amerikanisch geprägt zu sein. Die "europäische Eleganz", die ich auf dem Vorgänger ausmachen (im Sinne von "identifizieren") konnte und die man auch als vornehme Zurückhaltung interpretieren darf, ist in meiner Wahrnehmung etwas in den Hintergrund getreten und hat jenem kalifornischen Weichzeichner mehr Raum überlassen, den ich gleichfalls bereits vor vier Jahren auf "Good Day" zu entdecken glaubte. Ein bisschen mehr Form über Funktion, ein bisschen mehr Pathos denn Ironie, ein bisschen mehr Vogelperspektive als Detailtiefe. Das zeigt sich auch im Sound, vor allem das Schlagzeug und die Arrangements der Chöre sind mittlerweile full blown Petula Clarke im Jahr 1965, wenn auch sicher mit deutlicher Moll-Färbung und mit all der neuen Komplexität, mit der sich ein Mittvierziger in heutigen Zeiten beschäftigen muss. "Horsepower For The Streets" ist insgesamt melancholischer und introvertierter als "Good Day", steht deutlicher im Sixties/Seventies-Soul, und wäre immer noch der passende Soundtrack für eine Autofahrt im Ami-Schlitten-Cabrio am Strand von San Diego. Ein bisschen Klischee muss sein.
Vinyl: Schönes, sehr ansprechend gestaltetes Gatefold-Cover mit tollem Foto auf der Innenseite. Die Pressung auf schwarzem Vinyl ist abgesehen von einigen No-Fills zu Beginn von "Sirens In The Silence", dem letzten Stück auf der B-Seite, fehlerfrei. (++++)
Über Blue Notes im Jahr 2019 gestartete Tone Poet-Reihe gäbe es genügend Gründe, um bis nächsten März durchzuschreiben und ich muss mich ein ganz kleines bisschen beherrschen, es nicht wirklich zu tun. Vielleicht braucht es demnächst an dieser Stelle mal etwas Ausführlicheres zu der ein oder anderen Platte.
Die in die Fußstapfen des eigentlich im Jahr 2018 gestoppten und im Jahr 2019 mit einem Verweis auf das neu eingesetzte SRX Vinyl, ausgeschrieben "Silent Running Xperience" - dafuq r u talkin' about?! - überraschend wieder gestarteten Music Matters-Projekts (Neupreis 75 Dollar pro Platte, natürlich alles längst ausverkauft) tretende Tone Poets-Serie soll vermutlich den Markt der Viertel- bis Halbstarken audiophilen Zielgruppe bedienen und bietet eine sich sehr wertig anfühlende und -hörende Schallplatte auf 180g schwerem Vinyl, gepresst von Record Technology Incorporated in Kalifornien, zu Hause in einem dicken Tip-On Gatefold-Cover mit eleganten und großformatigen Schwarzweiß-Fotografien.
Gemastert von Kevin Gray von den originalen Mastertapes unter der künstlerischen Aufsicht von Music Matters-Gründer Joe Harley soll sich Tone Poet hinsichtlich der Titelauswahl in erster Linie auf die eher unbekannten oder gar obskuren Alben aus dem Blue Note Katalog konzentrieren. Die erste Veröffentlichung im Februar 2019 war gleich ein solch obskurer Fall: Wayne Shorters "Etcetera" wurde ursprünglich 1965 aufgenommen, von den damaligen Verantwortlichen Blue Notes aber aus unbekannten Gründen bis ins Jahr 1980 in den Safe gesteckt und erst dann mit einem zu jener Zeit so typischen wie hässlichen Blue Note-Artwork herausgebracht. Ein Großteil der danach erschienenen Tone Poet-Editionen machen es dem Beobachter indes nicht ganz so leicht, einen roten Faden in der Auswahl der Titel zu entdecken. So ist mir auch der Hintergrund für "It's Time" nicht ganz klar. Das Album war bis in die 1980er Jahre hinein verfügbar und wurde erst 2016 für den europäischen Markt von Elemental Music (Spanien) lizenziert und mit einer ebenfalls als "audiophil" vermarkteten Pressung von GZ Media (lol) veröffentlicht. Unabhängig von den ganzen Fragezeichen über die unterschiedlichen Pressungen ist "It's Time" aber ein weiteres beachtenswertes und für die Zeit der Aufnahme sowohl typisches als auch untypisches McLean Album. Zwei der drei Tracks von Trompeter Charles Tolliver, hier auf seiner vermeintlich allerersten Plattenaufnahme überhaupt zu hören, wagen sich vor allem in den Solopassagen in den Bereich des Free Jazz vor, folgen dabei allerdings einer greifbareren Ästhetik als es McLean auf seinen ebenfalls freieren Alben jener Zeit wie "One Step Beyond" oder "Destination...Out" getan hat. Weniger tonale Überforderung als freigetupfte, windschiefe Arrangements (Grachan Moncur, Grachan Moncur, Grachan fucking Moncur!). Auf "It's Time" ist es vor allem Herbie Hancock zu verdanken, den Rest der Rasselbande nicht zu weit draußen wildern zu lassen; er knüpft das Band zum Hard Bop und hält es zumeist fest in der Hand. Das Quartett arbeitet also nicht selten in einer Art Zwischenwelt - und dort kannte sich McLean zu jener Zeit besonders gut aus.
Alles an dieser Veröffentlichung ist zum Heulen schön: die Musik, die Pressung, das Artwork - man möchte sich geradewegs reinlegen. Was nicht so schön ist, ist der in Europa sehr hohe Preis von knapp 40 Euro pro Exemplar der Tone Poet-Serie. Gemessen an den mittlerweile aufgerufenen Preisen für die bekannteren Titel der Music Matters Reihe ist das freilich ein Schnäppchen. Aber ich frage mich trotzdem die ganze Zeit: werde ich hier eigentlich kolossal verarscht? Und, viel schlimmer: Interessiert mich das wirklich?
Das war überfällig. Das niederländische Indielabel Hammerheart Records, in der Vergangenheit nicht immer mit blütenweißer Weste hinsichtlich (in)offizieller Veröffentlichungen unterwegs, hat sich mit den Doom Psychedelics Trouble geeinigt und über die vergangenen beiden Jahre einen großen Teil des umfangreichen Backkatalogs der Band neu aufgelegt.
"Manic Frustration" (1992) gehört neben dem Vorgänger "Trouble" (1990) zum heiligen Gral der Fangemeinde: beide Alben gelten für viele Anhänger als Sternstunden der Band aus Chicago, verstaubten allerdings über viele Jahre in den Notarbüros von Rick Rubins Def American-Label und waren daher seit Ewigkeiten nicht mehr auf Vinyl erhältlich. Die übrig gebliebenen Fans der Band dürfen sich nun über eine Neuauflage freuen, die in fast jeder Hinsicht perfekt umgesetzt wurde: das Remaster drischt die eh schon sehr lebendige Musik geradewegs in einen Jungbrunnen und präsentiert den Proto-Stoner-Sound des Quartetts in einer unnachahmlichen Frische - wofür allerdings das im direkten Vergleich charmant angegraute Klangbild des Originals mit der Ästhetik der 1970er Jahre auf der lässig-groovenden Strecke blieb. Das glossy Cover mit unverändertem Artwork und der Einleger mit Texten sind ansprechend, die Pressung auf (in meinem Fall) rotem Vinyl ist absolut fehlerfrei und klingt irre gut. Im besten Sinne "irre" ist auch die Preispolitik des Labels: das schwarze Vinyl gibt's im eigenen Shop bereits für 15,90 Euro.
Muss man haben.
Erschienen auf Def American Recordings/Hammerheart Records, 1992/2020.
Eine Bestenliste des letzten Jahrzehnts ohne diesen Meilenstein ist kaum vorstellbar. Auch auf die Gefahr hin, ein bisschen zu dick aufzutragen: "The Epic" hat die Welt verändert, praktisch aus dem Nichts. Und jeder, der es hörte, ahnte schon früh, dass die Ohren bitteschön zu spitzen seien.
Denn etwas Großes war im Gange, man möchte fast zum despektierlichen "Größenwahn" greifen: 180 Minuten Musik verteilt auf drei LPs beziehungsweise CDs, ein Orchester, ein Chor, überlange Songs, für deren Arrangements die Beschreibung "opulent" nichts weiter als ein abgeschmackter Euphemismus ist, ein ikonisches Coverartwork und eine inszenierte Sogwirkung, die in ihrer Begeisterung alles mitriss, was sich nicht in die hinterste Ecke des Jazzclubs zu den anderen Betonköpfen retten konnte, die seit 50 Jahren auf "Bitches Brew" herumquallen und dabei langsam zu Staub zerfallen.
"The Epic" wurde zum großen Vermittler und zur spirituellen Einigungsstelle und ja, "The Epic" hat die Welt zu einem besseren Ort gemacht. Das mag angesichts eines Irren, der nur 18 Monate später als herumstammelnde Hämorrhoide das Weiße Haus besetzen sollte, etwas schwer zu begreifen sein - aber wer diese Platte gehört hat, wird schon verstehen.
(Mehr Hintergrundinformationen gibt es in meinen alten Posts HIER und HIER)
Eine DER Entdeckungen des vergangenen Jahrzehnts, und es ist vor allem dieses umwerfende Debut der belgischen Sängerin, das mir über Gebühr den Kopf verdrehte.
"No Deal" ist nokturne Erotik zwischen Chansons und Jazz, selbstbewusst und lasziv, zu gleichen Teilen stark und zerbrechlich. Ein heruntergedimmtes, tiefrot pulsierendes Glühen in einer vernebelten Nacht, in der die Adern der Großstadt zu schlafen scheinen - und doch: im Untergrund brodelt es, der Puls ist erhöht, die durch die Dunkelheit treibenden Gestalten so anziehend wie abstoßend. Das Spiel mit dem Verbotenen, dem Gefährlichen, das Zögern und das Dehnen, die bittersüße Versuchung ziehen sich durch jede Sekunde von "No Deal", bis sich die daraus geformte ambivalente Spannung im Abschlusstrack "With All My Love" langsam entlädt - ein Stück, das auch sechs Jahre später nichts von der betörenden Intensität verloren hat.
Die minutenlang schwingende Erlösung zum Schluss war zweifellos einer der eindrücklichsten Momente des letzten Jahrzehnts.
Möglicherweise ist der Sound dieses Produzenten-Duos aus Neuseeland zu speziell und zu anspruchsvoll für den Mainstream - ich habe ansonsten keine Erklärung dafür, warum ganz besonders dieses Album so dermaßen unter jedem Radar blieb.
Seit ihrem im Untergrund gefeierten Debut aus dem Jahr 2010 mit prominenten Fürsprechern wie beispielsweise Gilles Peterson, warte ich eigentlich auf den ganz großen Durchbruch für Electric Wire Hustle - stattdessen ist es nach ihrem letzten Album "The 13th Sky" beunruhigend leise geworden. "Love Can Prevail" ist ein Geniestreich: die Mischung aus Soul, Broken Beats, Jazz und Electronica ist völlig einzigartig, Songs wie "Loveless", "Light Goes A Long Way" oder mein Favorit auf Lebenszeit "Blackwater" oszillieren zwischen visionärem Sounddesign und Pop-Appeal, und das Video zur Single "By & Bye" ist in der künstlerischen Eleganz in Verbindung mit einem rastlosem, nie so recht ankommen wollenden Arrangement das Beste, was in den letzten zehn Jahren zu Klang gedreht wurde.
Thinking Man's Urban Soul Party.
Erschienen auf Somethink Sounds, Okayplayer Records, 2014.
Urlaube waren dank unseres Haustierzoos rar in der letzten Dekade. Als es uns 2017 doch mal in die Ferne trieb, genauer gesagt zu einem Herbsturlaub an die stürmische Nordsee, machten wir zu später Stunde Gebrauch vom im Strandhaus befindlichen Kamin, öffneten eine Flasche Rotwein und versuchten, die sehr volatil arbeitende Heizung mit Decken und aneinandergekuschelten Körpern zu ignorieren. Es liest sich wie billigstes Klischee, aber der Chronist in mir verlangt nach Akkuratesse.
Jedenfalls: wir hörten Zara McFarlanes "If You Knew Her" bis in die frühen Morgenstunden und es wurde einer jener Momente, in denen aus einer sehr, sehr guten Platte eine wird, die man künftig nur selten auflegen mag, aus Angst, diesem magischen Moment etwas von seiner überwältigenden Romantik zu nehmen.
Der unten verlinkte Hit "Open Heart" darf als Blaupause für eine Platte gelten, die randvoll mit so subtil wie selbstbewusst inszeniertem Souljazz gepackt ist - urban und nokturn, zerbrechlich und mit einer nur selten gehörten Dringlichkeit.
DURAND JONES & THE INDICATIONS - AMERICAN LOVE CALL
Das selbstbetitelte Debut von Durand Jones & The Indications aus dem Jahr 2016 war bereits ein echter Hinhörer, für den die Musikpresse die große Schublade mit den Superlativen öffnete: das authentischste, oldschooligste, tiefgründigste Soulalbum seit Jahrzehnten sei geboren, der Heiland ist gekommen, usw. usf. - vielleicht hatte man aber auch einfach nur schon wieder das Debut von Charles Bradley vergessen. Natürlich hat es einen Grund, warum ich den 2017 verstorbenen Screaming Eagle Of Soul in diesem Zusammenhang erwähne, denn "American Love Call" ist tatsächlich die beste Soulplatte seit "No Time For Dreaming".
Zweifellos war das Debut des Quartetts aus Indiana eine gute Platte, aber pardon: das hier ist next level shit. Die Band hatte im Gegensatz zum etwas gehudelt aufgenommenen Erstling für "American Love Call" mehr Zeit und Geld, um die Songideen detaillierter und sorgfältiger auszuarbeiten, und es lässt sich zu jeder Sekunde hören. Die vorab ausgekoppelte Single "Morning In America" ist in meinem Buch längst ein echter Klassiker, der mir immer und immer wieder einen Schauer über den Rücken jagt - aber auch die übrigens Songs stehen dem kaum nach: Hits, Hits, Hits. Deep, romantisch, wahnsinnig gut produziert und mit einem schlicht umwerfenden Schlagzeugsound ausgestattet ("Listen To Your Heart"!!!!11elf!), virtuos und zugleich lässig gespielt. Dazu ein zeitlos-elegantes Songwriting, das der Vergangenheit freundlich-anerkennend zunickt, aber gleichzeitig frisch und modern klingt.
Es folgt ein Deppensatz, aber da "müssen" (Steinmeier) wir jetzt gemeinsam durch: Muss man gehört haben.
Erschienen auf Dead Oceans/Colemine Records, 2019.
Der sehr geschätzte und vor allem loyale Leser dieses Blogs weiß es: ich habe einen Narren an dieser Band gefressen. Seit ihrem "Cali Fever" Album aus dem Jahr 2010 verfolge ich die Wege des Funk-Kollektivs und belästige es auf allen verfügbaren Kanälen des Internets (bislang erfolglos) mit der unterwürfigen Bettelei, doch bitte endlich eine Tour durch Deutschland zu buchen. Stattdessen nehmen sie regelmäßig neue Platten auf, die in erster Linie als Standortbestimmung zu dienen scheinen, als Skizze des derzeitigen Entwicklungsstands. Seit einiger Zeit marschiert die Combo aus den noch etwas räudigen San Francisco-Funkbecken in den etwas smootheren Bereich der Bar, in dem die Sessel mit rotem Samt bezogen sind. Vielleicht steht man mittlerweile mit einem Bein sogar in den 1980er Jahren - und das nicht nur wegen der Extraportion Weichzeichner-Aura des Coverartworks: Was die Entwicklung für den Vorgänger "Beyond The Sun" bereits andeutete, zieht bei "Reasons" nun noch etwas weiter in Richtung Disco und California Rock durch. Und während ich noch die Stirn in Falten lege, ob das möglicherweise dieses Mal nicht vielleicht doch ein bisschen zu viel des Guten ist, überfällt mich der unwiderstehliche Groove dieser Götterband schon im Opener "All Good Things" wie eine amoklaufende Adrenalinspritze auf der Tanzfläche. Alles gekrönt von der immer noch atemberaubend singenden Queen Adryon de Leon, die die kalifornische Sonne in ihren Stimmbändern eingebrannt hat.
Süchtig machende Energie im Zeichen der Discokugel.
Auch Mitte des Jahres 2019 bin ich immer noch mit Aufräumarbeiten aus dem vorangegangenen Jahr beschäftigt, und ein Blick auf die DIE_LISTE beweist, dass immer noch viel zu viel ungesagt, manchmal so gar: ungehört ist. Ich kann ein halbes Jahr später auch wirklich nicht mehr sagen, warum es "Good Day" nicht in die Top 20 schaffte, zumal sogar die Herzallerliebste rare Momente voller Begeisterung zeigte und wiederholtes Abspielen einforderte. Es ist indes fast niemals zu spät, doch nochmal die schwach bloggende Hand zu heben und mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass "Good Day" eines der besten Alben 2018 ist.
Auf den ersten Blick erscheint die Frohlockung ungewöhnlich, weil der Typus des generischen Hipster-Sangesbarden nur selten Einzug in meine Hall Of Fame findet - Musiker wie der Norweger Thomas Dybdahl sind eher die Regel bestätigenden Ausnahmen. Tatsächlich würden wir alle ohne den mit einiger Vehemenz vorgetragenen Hinweis von Freund Jens ("Einfach kaufen, Bongo!") hier und heute nicht sitzen, stehen, laufen und irrlichternd über "Good Day" schreiben und lesen können, allerdings verließen mich meine sämtlichen über die Jahre aufgebauten Vorbehalte gegenüber der erwarteten Schunkelstunde alleine beim Anblick des wunderbar stilvollen und sogar optimistischen Cover Artworks - und das schneller als das Warenkörbchen "Vielen Dank für Ihre Bestellung, Herr Bongo!" ausspucken konnte.
Jeremiah sagt, er sei für "Good Day" vor allem von europäischen Pop der 1960er und 1970er Jahre beeinflusst worden, von Serge Gainsbourg und Jaques Brel. Aufgenommen im Analogstudio des The Kinks-Sängers Ray Davies, klingt die Platte aufgeraut und warm, irgendwo zwischen dem natürlichen Rauschen des Fahrtwinds auf dem Weg in den Sommerurlaub (Villa Elso, Riccione, 1983) und dem in der Ferne simmernden Glanz des Sonnenuntergangs am Meer. Ich kann Jeremiahs Musik eine gewisse europäische Eleganz nicht absprechen; eine Eleganz, die im Vergleich zu den oftmals eher zahmen Vertretern auf der anderen Seite des großen Teichs eindringlicher erscheint. Trotzdem erinnert mich "Good Day" vor allem ob seiner Streicherarrangements an den Kalifornier Jim Sullivan und dessen "U.F.O." Album aus dem Jahr 1969: Sullivan ist natürlich ein Gefangener seiner Zeit, trägt das Hippie-Stirnband nicht nur am, sondern auch vor allem im Kopf und hat diese typische Westküsten-Lässigkeit in seinem Sound. Jeremiah schafft es indes, jenen Vibe im regnerischen London des Jahres 2018 zu spiegeln und ihn ohne Patina und lästigem Imitationsdrang mit dem Geist eines aufgeräumten John Martyn zu verbinden.
"Good Day" ist trotz seines klaren Hangs zur Ästhetik der späten sechziger und frühen siebziger Jahre ein modern klingendes und zu gleichen Teilen optimistisches sowie melancholisches Album. Funktioniert sicher auch im Spätsommer 2019. Einfach kaufen, Bongo!
Resteverwertung 2018, Teil 2. Der Styler unter den Singer/Songwritern. Nur ein Jahr nach seinem Album "The Great Plains" stand auch schon "All These Things" vor der Tür - und weil damit so schnell wohl nicht zu rechnen war, schlief ich mal wieder den Schlaf der Gestressten. Nur durch einen puren Zufall bekam ich Wind von dieser Platte, aber da war es erstens schon Dezember 2018 und zweitens DIE_LISTE bereits final ausgeknobelt. Außerdem, und das ist bei "All These Things" durchaus a thing: es war Winter.
Denn Dybdahl hat sich dieses Mal in sunny California für die Aufnahmen niedergelassen, genauer gesagt im Kreativ-Viertel Echo Park in Los Angeles - und mit Verlaub: das hört man. Aus jeder Note dieser fantastisch klingenden Produktion strahlt die über dem Pazifik untergehende Sonne Kaliforniens, hinter jedem Beat haucht eine Brise über die den Sunset Boulevard säumenden Palmen hinweg, jede Silbe von Dybdahl's mehr gehauchter denn gesungener Poesie reißt selbst dem whitest cis-Mann alive den Mankini weg. Musik für den Blick über eine pulsierende Metropole in der Dämmerung.
Dem Sextett (mitunter dabei so außergewöhnliche Musiker wie Patrick Warren, David Baerwald oder Brian MacLeod) ging es unter Dybdahls Führung um den Spirit, die Fokussierung auf den Song. Tatsächlich erinnerten die Sessions an den berüchtigten Tuesday Night Music Club, einem Zusammenschluss verschiedener Musiker, Songwriter und Produzenten aus den frühen neunziger Jahren, aus dem 1993 das erfolgreiche und gleichnamige Solodebut von Sheryl Crow entstehen sollte. Warren, Baerwald und MacLeod waren bereits damals mit von der Partie, der vierte im Bunde war Larry Klein, der bereits Dybdahls 2014er Werk "What's Left Is Forever" produzierte und auch für "All These Things" an den Reglern saß. Die Band arbeitete an den Arrangements, spielte und übte die dann fertigen Kompositionen und nahm sie sogleich in den Redwood Studios auf.
Es sind die feinen Nuancen in der Musik, die jene besondere, sehnsuchtsvolle Atmosphäre erzeugen. die den Bildern plötzlich so viel Leben einhauchen: ein nachhallendes Pink Floyd-Gitarrenlick hier, ein funky angejazztes Highlight an den Keyboards da, dazu einer der besten Schlagzeugsounds, den ich jemals hörte. Musik für schweres, getäfeltes Holz, kräftigen Whisky, durchgewühlte Bettlaken und die selbstgedrehte Kippe danach. Mysteriös. Dunkel. Sexy.
Der weniger reflektierte "Flohihaan" (Jens W.) empfände diesen Moment wohl als einigermaßen angemessen, um mit tosender Vehemenz auf den eigenen Verzicht und die dafür benötigte Stärke und Disziplin zu verweisen, die aufzubringen sind, um die immer häufiger anzutreffenden LP-Preise von 40 Euro plux X mit einem Handstreich von sämtlichen virtuellen Einkaufslisten, Warenkörben und Merkzetteln zu entfernen, oder den darbenden Besitzer eines Tonträgerfachhandels mit einem stummen Kopfschütteln die kalte Schulter zu zeigen, weil man ja dank Evolution, weißem Glibber im Bregen und Sonnenblumen in der ehemals existenten Schambehaarung noch immerhin nicht derart abgestumpft ist und also das Niveau eines resignierten Zynikers erreicht hat, um dem Sammlerdrang einerseits und - in Anerkennung des durch Lohnarbeit zwar halbierten Lebensglücks, aber dafür verdoppeltem Kontostands - der puren Gelegenheit, vulgo: Disziplinlosigkeit andererseits nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, und sie stattdessen als Symptome der eigenen inneren Leere und emotionalen Taubheit anzuerkennen, deren Decouvrierung zwar bisweilen schmerzhaft und enttäuschend ist, aber selbst mit nur einem Hauch innerer Festigkeit und dem moralisch wünschenswerten aber orthopädisch katastrophalen aufrechten Gang in Schach gehalten werden kann.
Der aufklärerische "Floooriii" (Mama) hingegen, der zunächst sich selbst im Zentrum und also Wurzel allen Übels dieser Welt einordnet, weil Bequemlichkeit vom äußeren Ich ins innere Selbst wie Hundekacke am grobstolligen Gummistiefel ins Kaminzimmer hereingetragen wird und sich bei vollem Bewusstsein, wir sind ja immerhin nicht im Wachkoma, durch Nervenbahnen, Ganglien, Energieleitungen wie ein tödliches Geschwür in alle lebens- und fühlensnotwendige Bereiche hinein marodiert, und der sich nicht zuletzt deswegen beinahe so primagut entscheiden kann wie die deutsche Sozialdemokratie, ob sie Schröders Cohiba-Qualm lieber mit dem Arsch inhalieren oder den abgehängten Opfern ihrer Politik gleich lässig ins Gesicht blasen will, muss zerknirscht eingestehen, dass der Betäubungskonsum längst die eigenen auf immer ungezeugten Kinder aufgefressen hat. Angesichts der alleine im vergangenen Jahr heim ins Reich geholten Schallplatten "The Fragile" (55 Euro), "Splendor Solis" (45 Euro) und "Heaven And Earth" (50 Euro) ist der Zeiger für meine Disziplinsperformance schon seit langer Zeit auf dem Status "Bigotter Laberpimmel" eingerastet und -rostet. Auch "The Optimist" des US-amerikanischen Posaunisten Ryan Porter kostete mich im, natürlich: teuersten Plattenladen Kölns glatte 40 Taler, und weil ich absurde Ausflüchte so gerne leiden mag wie einen schönen Einlauf mit "bestem Olivenöl" (Alfred Biolek), wische ich die Schande einfach mit dem Verweis auf meinen an jenem Tag sich zum 41.Male jährenden Geburtstags von der Streckbank:"Ich habe heute Geburtstag, hier ist meine Kreditkarte, Sie Ficker!"
Immerhin handelt es sich bei "The Optimist" um ein 3-LP Set mit gleichfalls dreifach aufklappbaren Cover und übergroßen, schicken Fotos des Protagonisten. Und na klar: der oben erwähnte Nachfolger von "The Epic", Kamasi Washingtons leicht größenwahnsinniges "Heaven And Earth" hat sogar ganze 5 LPs. Da tänzelt man schon ein bisschen ungelenk auf dem Grat entlang, der "Ist halt so, suck it up!" und "Mache mir die Welt widdewiddewie sie mir gefällt." trennt. Und wo das gesagt ist - Achtung, Spoileralert: "Heaven And Earth" hat es nicht in meine diesjährige Top 20 geschafft. Ich versuche, die Trennschärfe zwischen der Distinktion der Ablehnung des wichtigen und mit "Spannung erwarteten" (Peter Illmann) Nachfolgers eines "modernen Klassikers" (Max Dax) und der durch die bizarre Erwartungshaltung, Washingtons neues Mammutwerk würde mich ähnlich auf Links drehen wie der Vorgänger, geformten klitzekleinen Enttäuschung sauber abzubilden. Für gewöhnlich finde ich Hypes für jene Musik, die ich schätze, eher begrüßenswert als störend - bei blanker und unerträglicher Granatenscheiße hingegen ist das ubiquitäre Tamtam Grund genug, sich zu wünschen, die Menschheit solle bitte sofort, umgehend, total und komplett elendig verrecken; und wenn es einen Unterschied zum Besseren mächte, würfe ich mich gar, frei nach Greg Graffin, als erster ins offene Messer. Daher ist weniger der Drang zur Abgrenzung im Falle von "Heaven And Earth" ein Thema, sondern eher der natürlicherweise ausbleibende Überraschungseffekt des alles überstrahlenden Vorgängers, sowie der im direkten Vergleich nochmals hochgefahrene Bombast sowie der seltsam weichgezeichnete Klang die Gründe für die sich weniger euphorisch darstellende Reaktion. Immer noch durchdrehende Jazzpuristen, die doch so gerne in ihrem elitären Streichelzoo unter sich bleiben würden, sind hingegen für mich natürlich immer noch der beste Grund, den Saxofon-Koloss bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den güldensten Himmel zu loben.
Dass der logische "Doooorian" (Frank B.) sich in etwas, das mal als Rezension zu "The Optimist" gedacht war und sich aber in der Absenz von allem was "heilig, recht und gut" (Ratzinger) ist, seit mindestens achteinhalb Minuten puren Leseglücks durch stilistisch wenigstens fragwürdige Bandwurmsätze zeilenweise über Kamasi Washington auslässt, hat indes Gründe: ich glaube, "The Optimist" hätte die Rolle spielen können, die "The Epic" vor vier Jahren einnahm. Und selbst das hat ebenfalls Gründe: Hier spielt das West Coast Get Down Kollektiv, das später durch die Führung Washingtons und die Beteiligung an den Blockbusters von Kendrick Lamar weltweite Aufmerksamkeit erhalten sollte. Die Jazztruppe aus Jazz, Hip Hop und Funkmusikern traf sich gegen Ende der Nuller Jahre regelmäßig in Kamasis "The Shack" genannten Proberaum, einer kreativen Keimzelle des neuen US-Westküstenjazz, und nahm die Arrangements Porters in verschiedenen und über zwei Jahre verteilt stattfindenen Sessions auf. Das Probe- und spätere Aufnahmestudio war dabei nicht nur für die Anzahl der teilnehmenden Musiker signifikant unterdimensioniert, sondern liegt bizarrerweise auch noch unter der Landebahn eines Flughafens, was bedeutete, dass die Fenster und Türen geschlossen werden mussten, wenn die Mikrofone offen waren. Porter wird in den Liner Notes mit "The heat was unbearable" zitiert und verweist außerdem darauf, dass jeder Musiker mit totaler Konzentration und Angst in den Knochen spielen musste, um jeden potentiellen Spielfehler zu vermeiden und alsbald wieder Luft in den mit acht Menschen heillos überfüllten Raum zu bekommen. Unter diesen Umständen entstand mit "The Optimist" ein rohes Album, das in Bezug auf die reine Klangqualität sicherlich hier und da Verbesserungspotential offenbart, dafür aber mit etwas Mut zum verbotenen Wort, durch und durch authentisch klingt: funkiger, treibender Fusionjazz mit pulsierenden Grooves, ungeschliffener Kraft und lebendiger Virtuosität, ohne doppelten Boden, ohne unerfüllte Versprechungen und ohne Allüren.
So ist "The Optimist" nicht nur ein fantastisches Stück Musik, es dokumentiert auch den Entwicklungsprozess des West Coast Get Down Kollektivs auf dem Weg zu "The Epic". Ähnlich meiner Faszination für alte Schallplatten und ihrer Geschichten, ihrer Besitzer, ihrer Hersteller (das älteste Exemplar meiner Sammlung, eine LP des Jazzpianisten Thelonious Monk, stammt aus dem Jahr 1955 und befand sich u.a. lange Jahre im Besitz einer nach New York ausgewanderten Stuttgarterin), die sich letzten Endes aus der Liebe für Hingabe, Leidenschaft und Kreativität speist, dient auch "The Optimist" als Geschichtenerzähler, als Zeitmaschine in eine Zeit der Unschuld und Naivität. Man hört den heute weltbekannten Kamasi Washington und seine bereits wuchernde Spiritualität, Miles Mosley's brodelndes Bassspiel (Solo-Plattentipp: "Uprising") und den allerorst gefeierten Pianisten Cameron Graves vor ihrer großen Zeit, unter Sauerstoffmangel eingesperrt in ein kleines unbelüftetes Loch in San Francisco - und wie sie alles in die Waagschale werfen, was sie bis in die hinterletzte Zelle ihres Körpers und Geistes finden konnten.
Ich glaube ja alleine schon wegen meiner eigenen Erfahrungen nicht an Sozialkompromisse wie "Geschmäcker", auf die man sich konfliktlos einigen kann und die so gerne mit schlichter Sozialisation verwechselt werden, weil's eben immer nur in Richtung des Offensichtlichen zu gehen hat und jedes Graben nach Ursachen schon wieder kultureller Linksfaschismus ist. "Jazz ist anstrengend", "Jazz ist prätentiös", "Jazz ist mir zu hoch", "Jazz ist einfach nicht mein Ding" - Ich schlage vor, dass die Schubladen heute mal geschlossen bleiben. Aber es wäre wirklich mal an der Zeit, stattdessen das Herz zu öffnen.
Pressung: +++ (Platten waren zwar trotz Originalverpackung verschmutzt, ließen sich aber mit einer OkkiNokki-Wäsche auf Hochglanz polieren. Alle drei Platten liegen flach auf dem Teller, keine Non-Fills, sehr selten kleinere Unannehmlichkeiten. Das Gefühl einer nicht ganz optimalen Pressqualität existiert, aber es gibt eigentlich keinen nachvollziehbaren Grund dafür)
Ausstattung: +++ (Ungefütterte und -bedruckte Standard-Inlays, dafür aber ein schönes Artwork, dreifach aufklappbares Gatefold, ästehetische Fotos, Linernotes, insgesamt stimmiges Design. Pappe etwas dünn. Wirkt alles etwas Low-Key, ist dafür aber vermutlich so ehrlich, wie es nur sein kann)
Erschienen auf World Galaxy Records/Alpha Pup Records, 2018.
Das schönste Coverartwork des Jahres. Ich sah Bilder von "Hundred Acres" in den Sommermonaten auf meinem Instagram-Feed und wusste sofort, dass ich es alleine wegen des Covers ungehört zum neuen Mitbewohner des Plattenregals machen muss - erst später fand ich heraus, dass es sich um das dritte Soloalbum des Bon Iver-Schlagzeugers Sean Carey handelt. Und man sieht's mir bitt'schön nach, dass ich bis hierhin weder einen Ton seiner (überaus erfolgreichen) Hauptband, noch seiner bisherigen Solowerke gehört habe. (Zu) vieles passiert dann eben doch noch unter meinem Radar, zumal ich auch nicht selten einen natürlichen Sicherheitsabstand zu populären Bands und Musikern einhalte. Hildebrandt, Fiegen, der alte Spruch.
"Hundred Acres" erzählt in seinen Texten vom einfachen Leben, vom neu entdeckten Blick auf sich selbst, von Rückzug und Einkehr, und Careys Musik greift diese Themen mit Entschleunigung, Ruhe und Weite auf: Akustische Gitarren, ein paar Streicher, eine vereinzelt auftauchende Steel Pedal, ein Contrabass und ein bisschen Schlagzeug/Percussion tragen die sparsam arrangierten Songs mit Careys behutsamen Gesang und sanft umarmenden Gesangsharmonien durch die Welt. Seine Melodien treffen besonders in den Schlüsselmomenten "Rose Petals", "True North", "More I See" und "Fool's Gold" sofort ins Herz, womit sich der deppertgrinsende und melancholietrunkene Blick auf's gelb gefärbte Feld im August ohne jede Einschränkung einstellen kann. Die August-Analogie kommt nicht von ungefähr: Wir hörten "Hundred Acres" vornehmlich in den immer noch viel zu heißen Abendstunden des letzten Sommers zum Gute Nacht-Kaffee, den ich mir natürlich auch bei 32°C nicht nehmen ließ. Und während angesichts von "Hundred Acres" alle Welt reflexartig die geliebten Klischees vom Winter, der warmen Decke und der Kanne Tee erwähnen muss, muss ich ebenso reflexartig natürlich vom Sommer, von freier Natur, goldgelbem Nachmittags-Sommerlicht, Strohhüten und Kaffee schwadronieren.
"Du bist so anders!" sagten mir schon vor 30 Jahren meine Rollkunstlauf-Kolleginnen, als ich zur Titelmelodie der Detektivserie "Magnum" in einem Glitzerfummel und hautengen Stretchhosen vor Erwachsenen Menschen den doppelten Rittberger tanzte.
Sag bloß!
Pressung: ++ (die Qualität des grünen Vinyl ist mit einigen Störgeräuschen (no fills) diskussionswürdig - insgesamt aber hörbar)
Ausstattung: ++++ (Tolles Artwork und Design, Gatefold Cover, single LP, grünes Vinyl, farbig bedrucktes Inlay mit Texten)
Ein tolles Video mit umwerfenden Versionen von "True North", "Yellowstone" und "Rose Petals" (Die Gesangsharmonien! DIE GESANGSHARMONIEN!):
Aus mir ehrlicherweise unbekannten Gründen schaffte es das Debutalbum "La Sombra" des britischen Flötisten Chip Wickham im vergangenen Jahr nicht mal in die künstlich aufgeprotzte Liste der 30 besten Alben des Jahres. Ich weiß manchmal ja auch nicht, was mit mir los ist.
"Shamal Wind" ist sowohl stilistisch als auch qualitativ nicht weit von "La Sombra" entfernt: Spiritual Jazz, Latin Funk, Hardbop, mal elegisch glänzend, seidig, mit viel Raum für atmosphärische Träumereien, mal mit furiosem Drive groovend und swingend. Der mittlerweile in Spanien lebende Musiker ist Teil der seit etwa fünf Jahren geradewegs explodierenden Jazzszene Englands und besonders der Keimzelle in London im Dunstkreis von Matthew Halsall und seinem Gondwana Label und dem von Tausendsassa Gilles Peterson gegründeten Brownswood Recordings mit seinen Vorzeigekünstlern Shabaka Hutchings, Maisha, Moses Boyd und Kokoroko, um nur ein paar Namen zu nennen. Wickhams Arbeiten sind stilvolle und vor allem zeitlose Exponate moderner Jazzkultur, die einerseits problemlos in den späten 1960ern und frühen bis mittleren 1970ern hätten erscheinen können, andererseits aber den Geist des Frischen und Wilden atmen und nicht mal ein Sekündchen nach tragischem Kellerclub klingen. Nach überstandener lebensbedrohlicher Krankheit hat Chip angekündigt, fünf Alben in ebenso vielen Jahren aufzunehmen - "Shamal Wind" ist Nummer 2 und ich freue mich auf die drei folgenden. Wer nicht mit seinen ollen Miles und Coltrane Alben begraben werden will, dem empfehle ich ein Eintauchen in die aktuell so pulsierende Jazzszene Englands.
Warum nicht mit "Shamal Wind" starten?
Pressung: +++ (ein paar non-fills auf dem ersten Track der B-Seite, die mich nicht sonderlich stören, ansonsten zufriedenstellend. Angaben beziehen sich auf die Standardversion, die auf 390 Stück limitierte 180g Ausführung kenne ich nicht)
Ausstattung: ++ (tolles Coverdesign, gefütterte Innenhülle, Danksagungen auf dem Backcover, aber keine Linernotes oder zusätzliche Features)
Andreas, Schlagzeug und alles andere spielende Tausendsassa,, u.a. Aushilfsbassist bei Blank When Zero (Abb. ähnlich)
Der Herr wünscht sich ausschließlich: Voivod.
VOIVOD - PHOBOS
Die kanadischen Sci-Fi-Thrasher Voivod hatten nach ihrem kommerziellen Höhepunkt Anfang der 90er Jahre mit dem zeitweisen Abgang mehrerer Originalmitglieder (Sänger Denis "Snake" Bélanger sowie Bassist Jean-Yves "Blacky" Thériault) sowie einem schleichenden Verlust an Relevanz zu kämpfen. Vielleicht auch als „jetzt erst recht“-Reaktion darauf, lehnen sich Voivod auf dem 1997 erschienenen „Phobos“ - dem zweiten Album mit Sänger/Bassist Eric Forrest - derart konsequent weit aus dem Fenster, dass es als die musikalische Apoapsis der Band gelten kann. Die meisterhaft arrangierten und gleichermaßen aggressiven wie verschrobenen Songs setzen mit „Otto Normalmetaller“ und „Progbert von Schönklang“ gleich zwei potentielle Voivod-Zielgruppen kurzerhand an der Weltraumraststätte aus und warten mit einem Sound auf, der zufällig in Hörweite anwesenden Geigerzählern die eine oder andere Erektion abnötigen dürfte. Angesichts der niedrigen Verkaufszahlen von „Phobos“, der stiefmütterlichen Behandlung der Songs in aktuellen Konzert-Setlisten sowie der wechselhaften Labelgeschichte Voivods („Phobos“ ist das einzige Album der Band, das auf Hypnotic Records erschienen ist) scheint eine Vinyl-Veröffentlichung recht unwahrscheinlich zu sein. Dabei ignorieren wir höflich die 2010 erschienene Zusammenstellung „Negatron/Phobos“, die sich auf eine Songauswahl aus den beiden Alben mit Eric Forrest beschränkt. Mein Wunsch für eine „richtige“ Vinyl-Erstausgabe: die beiden etwas überflüssig wirkenden Bonustracks „M-Body“ sowie das (für sich genommen schmissige) King Crimson-Cover „21st Century Schizoid Man“ entfallen oder werden als Single beigelegt, vor allem wenn sich das Album dadurch und mit etwas Fingerspitzengefühl auf eine einzelne Vinylplatte pressen ließe.
In meinem eigenen Blog hatte ich über dieses Album einer meiner absoluten Lieblingsbands, die ich mit dem Verfasser dieses Blogs teile, anlässlich des 25sten Jubiläums im Sommer schon mal was geschrieben, auf das man an dieser Stelle einfach mal verlinken kann anstatt sich groß zu wiederholen. 2017 erschienen bekanntlich Reissues der drei Noise Records VOIVOD Alben "Rrroooaaarrr" (1986), "Killing Technology" (1987) und "Dimension Hatröss" (1988). Umso heißer wartet so mancher Fan dafür jetzt allerdings auf Neupressungen der MCA Records Werke "Nothingface" (1989), "Angel Rat" (1991) und eben "The Outer Limits". Gerade für letzteres, das damals wohl in einer geringeren Stückzahl als LP erschien, werden nämlich mitunter schon Sammlerpreise in Monatsmietenhöhe aufgerufen. Ach ja, bevor es untergeht: Für die Kategorie der erstmaligen Pressung auf schwarzem Gold würde sich im Grunde genommen übrigens auch VOIVOD’s "Phobos" in richtig* als Wunschkandidat anbieten (*über diese komische Compilation-2LP von 2010 reden wir erst gar nicht), aber das nur nebenbei.
First Time Now, Schnakenhals:
THE YOUNG GODS - SUPER READY / FRAGMENTÉ
Dass die Frühwerke von THE YOUNG GODS in den Spätachtzigern und Frühneunzigern mächtig Eindruck bei anderen Künstlern von Mike Patton über The Edge (U2) bis zu David fuckin‘ Bowie hinterlassen hatten, das ist inzwischen ausreichend dokumentiert. Dass die Schweizer allerdings in den Jahren 2000 und 2007 mit "Second Nature" und "Super Ready/Fragmenté" noch mal zwei wirklich sehr, sehr gute Alben veröffentlichten, die ihren Signature-Stil, eine äußerst organisch pumpende Rhythm-Section mit Sampler-Sounds zu elektrischen Rocksongs zusammenzuführen, auf der Höhe der Zeit hielt (und sie außerdem nach wie vor eine wirklich geile Live-Band sind), das wurde an vielen Stellen der damals noch relevanten Musikpresse mal wieder eher verpennt.
Vom 2000er "Second Nature" gab’s zum fünfzehnjährigen Jubiläum des Teils immerhin ‘ne Picture-Disc-Version in normaler und Luxusausführung (plus Bonus-Disc) und auch das musikalisch zahmer ausgerichtete "Everybody Knows" von 2010 existiert als 2LP. "Super Ready/Fragmenté" jedoch erschien bisher nur als CD. Eine Lücke im Plattenregal, die man ja eigentlich gerne schließen können würde…
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Olli, Gitarrist bei Thyranay, Sieger im Kirk Windstein Lookalike Contest
Neuauflage bitte:
DJ KRUSH & TOSHINORI KONDO - KI-OKU
Kollaboration von DJ Krush (japanischer Hip-Hop Produzent und DJ, der ab Anfang der 90er zuerst bei Mo Wax überwiegend instrumentale Platten veröffentlichte) und dem japanischen Jazz-Trompeter Toshinori Kondō. Was gibt es zu hören? Verkürzt gesagt: Hip-Hop Beats mit Jazz-Trompete, böse Menschen bezeichnen das hier als Chill-Out, Downbeat und nutzen andere generische End-90er Begriffe, bei dem ein nicht unwesentlicher Teil der Mitmenschen mittlerweile (zu Recht) Brechreiz bekommt, da man dabei eher an minderbemittelte Fahrstuhl meets Ibizza-Musik denken muss. Während bei 99,99% der sonstigen Alben einfach billige Beats genommen wurden und der Schwippschwager aus dem Blasmusikverein genötigt wurde ein paar krächzende Töne einzuspielen, gibt es hier eine echte Kollaboration von "Könnern" (Alternativ geht auch eine der anderen diesbezüglichen Rezensionsplatitüden) zu hören, die gerade durch ihren Minimalismus zu begeistern weiß. Keine opulenten Jazz-Arrangements, stattdessen eher weite, eher karge Klanglandschaften inklusive eines sogar für mich funktionierenden Bob Marley-Covers. Um die LP scharwenzel ich immer wieder herum, allerdings liegt der Preis, je nach Erhaltungszustand bei mittlerweile rund 70-100€. Es soll 2014 einen Repress gegeben haben, aber der ist nicht einmal bei Discogs gelistet, weshalb ich daran meine Zweifel habe. Daher: Einmal Repress, bitte!
Noch nie auf Vinyl veröffentlicht:
UNIDA - SECOND ALBUM
Bei diesem Album muss man (leider) auch schreiben: überhaupt noch nicht offiziell veröffentlicht. Es existieren davon zwar (relativ hässliche und soundtechnisch eher durchwachsene) Bootlegs, die von CDs gezogen wurden, welche auf der letzten Unida-Tour verkauft wurden, aber das Album selbst wurde seitens des Labels nie veröffentlicht und verbleibt bis heute dort im Giftschrank. Warum. wieso, es bleibt für mich ein Rätsel. Insgesamt bleibt dieses Album, rein auf Garcia und seine Stimme bezogen, der Höhepunkt seiner Veröffentlichungen. Um so unverständlicher, dass sich an diesem Zustand bis heute, wo so gut wie jeder D-Klasse Dreck rereleased wird, weil "Kult", daran nichts geändert hat und wohl auch nichts ändern wird.
Warum nicht mal die anderen die ganze schöne Arbeit machen lassen? Warum nicht einfach mal ein paar Musiknerds, die einen im und durchs Leben begleiten, nach ihren geheimsten Wünschen und wildesten Träumen fragen, welche Platten sie am liebsten in einer Vinylversion in den Händen halten wollen? Gastbeiträge sind ja eigentlich die schönsten Beiträge - und das nicht nur, weil ich selber auf der faulen Haut liegen und das literarisch-audiophile Schauspiel aus der Ferne betrachten kann. Es bedeutet auch: Umarmung, Inklusion und gleichzeitig: Öffnung - immerhin Begriffe, die mir seit geradewegs Jahrzehnten völlig fremd sind. Und gäbe es einen besseren Zeitpunkt als den aktuell so besinnlichen und außerdem besinnungslosen Jahresausklang, um also die Pforten jenes Sossenheimer Allerlei weit aufzustoßen (Veganer Rollbraten, Rotkohl, Mango Lassi)? Und gab es jemals einen Absatz auf diesem Blog, der noch mehr Suggestivfragen zu stellen vermochte?
Nun haben sich ein paar nette Menschen also nicht nur Gedanken darüber gemacht:
1. Welche Platte braucht ganz dringend eine Wiederveröffentlichung auf Vinyl?
und
2. Welche Platte sollte es ganz dringend endlich und erstmals überhaupt auf Vinyl geben?
NEIN! Sie haben sogar noch etwas dazu geschrieben. Und das kann man jetzt hier sogar nachlesen.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen für die Mitarbeit bedanken. It means a lot.
(Zur besseren Lesbarkeit werden die Beiträge separiert und hier als Serie in den kommenden Tagen peu à peu veröffentlicht)
Al. Herzallerliebste. Est.1999. She Is Love.
Al hat sich für gleich zwei Vinylpremieren entschieden:
THE TEA PARTY - TRIPTYCH
Diese Band wird immer einen Platz in meinem Herzen finden, selbst wenn die letzten Releases so gar nicht mehr meinen Geschmack treffen. TRIPtych hat im Jahr 1999 in den Irrungen und Wirrungen der beginnenden Liebe zu dem unvergleichlichen Inhaber dieses Blogs einen Soundtrack geliefert, der es in sich hat. „These Living Arms“ wurde sogar als Tanzflächen-Opener auf unserer Hochzeit gespielt. Nicht dass wir nach der letzten Krebs-OP des Angetrauten dazu effektiv hätten tanzen können, aber darauf kam es wirklich nicht an. Der Weltklasse- und Weltmusik-Rock der drei Kanadischen Buben hat in Europa nie richtig Fuß fassen können. In Australien und Kanada ist das Following deutlich größer und loyaler - auch nach Auflösung und anschließender Reunion. Im kommenden Jahr wird eine ausführliche Tour durch Kanada rollen, mit kleinen Abstechern in US-amerikanische Gefilde. Im Vergleich zu den schwergewichtigen Vorgängern wirkt TRIPtych heller und leichter, weniger dicht instrumentiert. Naturverliebte, bluesige Sommerwanderungen im dramatischen Untergang der „Splendor Solis“ waren vorgestern, die mystischen „The Edges of Twilight“ sind verblasst und die drogenverseuchten, schwarzledernen Tage von „Transmission“ sind nunmehr duftigen, weißen Leinenhosen gewichen (höre: „Taking Me Away“ und „Gone“). Natürlich blitzt die schwarze Magie der alten Tage noch in einigen Tracks durch („Touch“). Mein persönlicher Favorit ist und bleibt die Intensitätswalze „The Halcyon Days“, die in meinen Augen viel von dem vereint, was The Tea Party zu bieten hat. Orientalische Instrumentierungen, detailverliebtes Songwriting und glanzvolle Poesie. Alles gepaart mit musikalischer Handwerkskunst, die ihresgleichen sucht.
Wäre doch schön, wenn wir dieses Album zu unseren Hochzeitsmemorabilien hinzufügen könnten.
IAMX – KINGDOM OF WELCOME ADDICTION
Sex, Drugs and Drama. Dieses Stückchen schwarze Glittermasse von 2009 hat genau DAS und genau so, wie ich es mag. Heiß, emotional und tanzbar. Chris Corner schwitzt kokett die dunkle Verzweiflung treffend in fließende Sounds und ich fühle mit ihm. Jedes Mal. Au. Masochismus im Audioformat. Seine Devotees lieben ihn nicht zuletzt wegen seiner unnachahmlichen Art, Realität und Traumbilder verschwimmen zu lassen. Das Verschwinden von Gendergrenzen, die Welt ist ein chaotischer Zirkus und das Leben eine obsessiv gearbeitete Kunstform. Die Sehnsucht nach Liebe, Schutz und der Erfüllung der geheimsten Wünsche schwingt immer mit und entlockt wenigstens mir schon wieder ein leises Stöhnen.
„Desire is a gift in life.”
Sollte dieses Teilchen jemals auf Vinyl veröffentlicht mein Haus erreichen, werde ich es persönlich ablecken und sorgsam auf dem Plattenteller in Form streicheln.
Zum gemeinsamen Trip die memorierte Linie hinab schart Herr Dreikommaviernull handverlesene Nutzer seiner audiophilen Literaten-Heimseite um sich - und (fast) alle machen mit. Schön. Da will ich auch mitmarschieren. Denn: Geili-Eili ist der beste Mann und außerdem hält Memorieren die Murmel frisch. Sagt man. Wenn die Erinnerungsorgie für Lausch-Geronten zudem charmant als Re- bzw. Firstpress-Hörsportaufgabe kaschiert wird, herrlich. Wie man hört, soll außerdem früher alles besser gewesen sein. Das ist natürlich völliger Blödsinn, aber zumindest war ich früher Student und in dieser Funktion ein halbes Jahr in der irischen Hauptstadt Dublin stationiert. Sie ahnen es, liebe Leserin, für diesen Text (auch: Stück) möchte ich den momentan äußerst populäre Storytelling-Ansatz wählen, um Sie aufs Herrlichste zu unterhalten und - weil’s so schön ist - gleichzeitig zu informieren. Alte Schule, große Kunst. Liest noch jemand mit? Nein? Egal. Also, Folgendes: Die Wintermonate in Irland (September bis Juli) sind nass, kalt und dunkel - und manchmal auch dunkel und nasskalt. Was hilft? Musik und Alkohol. Wissen die Iren seit Jahrhunderten und ich seit 1997. Kommen wir zur Sache:
1. Firstpress 'em all
THE DEVLINS - WAITING
Mit Bandnamen ist das so eine Sache. Ich persönlich würde meine Band eher nicht „The Devlins“ nennen. Klar, mein Familienname ist nicht Devlin und außerdem habe ich keinen Bruder. Colin und Peter Devlin schon. Jetzt könnte man sagen, dann macht ja alles Sinn und besser „The Devlins“ als „The Devlin Brothers“ oder auch „The Devlin Family“ - wäre Iren alles zuzutrauen. Tut aber eigentlich nichts zur Sache, denn auf die Musik kommt’s an und die ist - bitte schnallen Sie sich an - fabulös! 1993 haben die Gebrüder Devlin zusammen mit Mark Murphy und Guy Rickarby ihr hervorragendes (von Daniel Lanois produziertes) Debütalbum „Drift“ veröffentlicht. Vier Jahre später - als ich gerade im düsteren irischen Winter saß - erschien „Waiting“. Und auch wenn mir dieses wunderbare Album nicht das Leben gerettet hat (Claas Retolius würde speien), so ist es seither doch ein treuer Begleiter. Colin Devlins Stimme ist wie eine heiße Badewanne, wenn bei anderthalb Grad Außentemperatur der Regen gegen das Badezimmerfenster peitscht. Mitbürger mit Ohren, großen Herzen und einem Sinn für feines Songwriting dürfen gerne mal reinlauschen. Es lohnt - immer noch. Inzwischen gibt es „The Devlins“ nur noch ab und an. Bevorzugt an Weihnachten, wenn Colin Devlin, der inzwischen in LA lebt, die Familie besucht und zusammen mit Peter und den Buben in einem kleinen Pub in Dublin konzertiert. Vor vier Jahren hat er zwei Solo-Konzerte in Deutschland gegeben. Aber es war kalt und nass, mein Sofa zu gemütlich und der Weg nach Karlsruhe zu weit. Ich beiße mir seither in regelmäßigen Abständen in den Hintern. Aber es gibt Hoffnung: in diesem Jahr hat Colin Devlin ein Soloalbum veröffentlicht - und mir (zumindest auf Instagram) versprochen, auch mal wieder in Deutschland vorbeizuschauen. Ach ja, „Waiting“ hätte ich gerne auf Vinyl. Gab es nie - und wird es vermutlich nie geben.
2. Nachschlag, bitte:
MORCHEEBA - WHO CAN YOU TRUST?
Auch Morcheeba sind eine Badewanne. Und was für eine. Whirlpool, mindestens. Auf der Tour zu ihrem famosen Debütalbum „Who can you trust?“ machten sie in einer der schönsten Konzert-Locations dieser Erde halt: dem Olympia Theater in Dublin. Ein altes, plüschiges Theater - viele Balkone, überschaubar groß, wie gemacht für den lasziven Trip-Hop von Morcheeba. Die Band war mir bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt. Ich ließ mich von der Schwester einer Mitbewohnerin mitschleppen. Dafür gebührt ihr noch heute großer Dank. Auch wenn ich in den 20 Jahren seither einige Bands live gesehen habe, so beeindruckend schön war kaum ein Konzert. „Who can you trust?“ habe ich mir am nächsten Tag bei Tower Records geholt. Natürlich (und aus heutiger Sicht: leider) auf CD. In kleiner Stückzahl wurde damals eine Vinyl-Auflage gepresst, bei der allerdings das Cover-Foto der CD (huch, eine Cannabis-Blüte) entfernt und durch ein schmuckloses schwarzes Cover ersetzt wurde. Heute zahlt man für diese - bislang einzige - Vinyl-Version des Albums auf Discogs um die 70€. Morcheeba haben seither noch einige tolle Platten veröffentlicht. Vor allem „Big Calm“ und „Charango“ kann ich wärmstens empfehlen. So schön wie damals wurde es allerdings nie wieder. Früher war eben alles besser.
Kategorie: Sollte endlich mal wieder auf Vinyl kommen:
TOOL - LATERALUS
In dem Fall hatte ich ziemlich schnell, quasi sofort, eine Assoziation, und bei der ist es dann auch geblieben: „Lateralus“ von TOOL. Zum Album an sich muss man sicher nicht mehr allzu viel schreiben. Für mich fest steht, dass es ist nach wie vor eines der besten fünf Alben ist, die in diesem Jahrtausend erschienen sind. Vor X Jahren hat es hier mal eine Vinyl-Veröffentlichung gegeben, im fancy Hologramm-Cover in Hochglanz-Optik, die schon vom bloßen Angucken Fingerabdrücke bekommt. Und vor allem: Als Picture Disc. Das mag bei dem Artwork zwar Sinn ergeben, geht aber wohl dermaßen zu Lasten des Klangs, dass diese an sich ja perfekt produzierte Platte auf LP zahlreichen Reviews zufolge eher klingt wie ein Venom-Demo aus dem Proberaum von Bathory. Braucht also niemand, zumindest niemand der Platten auch hört und nicht nur angucken möchte. Dementsprechend (halbwegs) erschwinglich ist diese Version sogar noch gebraucht erhältlich – allein, wem nützt es? Mir jedenfalls nicht. Hocherfreut wäre ich daher, wenn „Lateralus“ (oder die Alben der Band mal ganz allgemein, for that matter) in einer vernünftigen Vinylversion veröffentlicht würde. 2019 kommt ja das neue Album (Hahaha, als ob…) - vielleicht wacht in diesem Zuge ja irgendein findiger Mensch mal auf.
Kategorie: Hier wäre eine Vinylversion überhaupt mal schön:
ARCHIVE - CONTROLLING CROWDS
Hier habe ich zwar etwas länger überlegt (also so 10 Minuten) und dabei festgestellt, dass das ein oder andere Album, das mir in den Sinn kam, inzwischen längst (wieder) auf Vinyl veröffentlicht wurde – letztlich lege ich mich hier aber fest auf „Controlling Crowds“ von ARCHIVE (2009). Eigentlich verwunderlich, dass es das offenbar wirklich nicht zu geben scheint, denn die späteren Alben der Band wurden ganz selbstverständlich sowohl auf CD als auch LP veröffentlicht. Dieses aber nicht. Eigentlich ist „Controlling Crowds“ kein ‚typisches‘ Vinyl-Album. Es ist ultralang, es verfügt über eine sehr unterkühlte, distanzierte und irgendwie modern-urbane Atmosphäre. Und dennoch wäre es für mich ein perfekter Kandidat für eine richtig schicke Doppel-LP, oder meinetwegen auch im Dreier-Verbund mit dem Nachfolger „Controlling Crowds Part IV“, den ich zwar auch mag, aber den ich trotzdem irgendwie eher als das Anhängsel wahrnehme, das er vermutlich auch ist. „Controlling Crowds“ hat Einflüsse aus Trip Hop, Art Rock, Pop, Progressive Rock, Hip Hop und was weiß ich noch allem, und es ist komplett großartig. Wie gesagt ist es ein sehr kühles und oft fast maschinell wirkendes Album – aber es hat eben auch eine menschliche Seite, die besonders durch die Performances der verschiedenen Sänger und Sängerinnen erzeugt wird und die einen wunderbaren Kontrast zur Musik bildet. Der Gesänge von Pollard Berrier, Dave Pen oder Maria Q sorgen oft für eine sehr persönliche, fast heimelige Atmosphäre und bringen die Emotionen in dieses Album. Denn wenn man hinhört, ist es eben dann doch nicht der glattkalte Monolith, der es auf den ersten Blick zu sein scheint, sondern es ist introvertiert, in sich gekehrt und wirkt teilweise sehr persönlich. Auch das schöne Artwork verdient endlich mal ein größeres Format als die lumpigen 12x12cm. Und darum wähle ich in dieser Kategorie das Meisterstück von ARCHIVE. Aber bitte nicht als fuckin‘ Picture Disc, zur Hölle!