27.09.2008

What Are You Made For?



Zugegeben, "Sufferboy" hatte es nicht leicht. Was als Rockprojekt der Berliner Fullbliss-Belegschaft um David Judson Clemmons begann und sogar mit einigen Gigs in Berlin bedacht wurde, entwickelte sich mit der Zeit zu einem Comeback, an das so mancher nicht mehr glauben wollte: JUD wollten es also tatsächlich nochmal wissen und kündigten Ende des letzten Jahres eine neue Platte an. Aufgenommen in der Besetzung, die bereits an den Arbeiten am Fullbliss-Oevre beteiligt war. Das überraschte wenig, da Clemmons' Headquarter in Berlin einerseits eine Spur zu weit entfernt war, um mit den ehemaligen Mitgliedern Steve Cordrey (Bass) und Hoss Wright (Drums) nochmal gemeinsame Sache zu machen, und andererseits bewiesen Jan Hampicke und James Schmidt (der sowieso schon das fantastische 98er Jud-Album "Chasing Califonia" eintrommelte) in mehreren Livegigs, dass sie die legendäre Intensität und die unbändige Kraft des Trios bestens fortführen können.

Zugegeben, "Sufferboy" hatte es nicht leicht. Weil die Alben "The Perfect Life" (2001) und das bereits erwähnte "Chasing California" über die Jahre hinweg zu mehr als nur zwei guten Freunden wurden und es mittlerweile geradezu undenkbar ist, ohne diese beiden Meisterwerke des verschrammelten Indierocks zu existieren, war neben all der Freude über die Wiederkehr auch Skepsis ein ständiger Begleiter. Hält "Sufferboy" wirklich das Niveau der Vorgänger? Die Frage war ja auch: mag ich das eigentlich wirklich noch hören? Und vor dieser Antwort hatte ich ehrlich gesagt weitaus mehr Angst. Als die Band das neue Stück "Drained" als Vorgschmack auf ihrer Homepage präsentierte, wurde ich indes wieder etwas ruhiger. Alles in Butter.

Zugegeben, "Sufferboy" macht es einem nicht leicht. Was Clemmons in einem Interview als "Fucking Mental Torture" beschreibt, sind wahrlich die wütendsten und härtesten Songs, die es wohl jemals von Jud zu hören gab. Alleine das Eröffnungsduo "Bright White Light" und "Drained" prasselt wie eine LKW-Ladung Bleikugeln auf einen nieder und auch "Asylum" (mit tonnenschwerem Doomriff) oder "Satisfy" sind Kaliber, mit denen man nicht unbedingt rechnen konnte. Auch Clemmons' Stimme passt sich dieser Ausrichtung an; er klingt in manchen Momenten derart zerstörerisch und aggressiv, dass ich mich durchaus frage, aus welchem Körperteil GENAU er sich diese Töne herauskratzt. Auf der anderen Seite stehen mit "Universal" oder "The Maggots" Songs auf dem Programm, die - entsprechend arrangiert - auch auf einem Fullbliss-Album stehen könnten. Apropos: das auf dem letzten Album "Yes Sir" befindliche "The Cowboy Song" gibt es auf "Sufferboy" in der breitbeinig rumstehen & lässig aussehen-Version und ist für mich das klare Highlight dieser Platte.

Zugegeben, "Sufferboy" macht es einem nicht leicht. Auf den ersten Blick (wohl auch aufgrund der Härte) ungewohnt sperrig und zerfahren, entwickelt sich das Album erst nach einigen Durchläufen zu einem wahren Koloss. Und wenn man erstmal durch die in typischer Clemmons-Manier angeschrägten und vor allem zeitgemäßen Riffmonster gegraben hat, die sich die drei Herren hier aus dem Ärmel schütteln, dann merkt man zum wiederholten Male, wie kriminell eigenständig diese Band eigentlich ist. Und hat damit wohl auch die Antwort auf die Frage gefunden, warum die Buben nicht schon längst drei, vier Stufen auf der Karriereleiter genommen haben. Ich für meinen Teil hätte gar nichts dagegen, wenn demnächst größere Hallen gebucht werden müssten...und "Sufferboy" könnte es ihnen eigentlich ganz leicht machen.



"Sufferboy" von JUD ist im August 2008 auf Noisolution erschienen.

21.09.2008

[zensiert]



Wenn du völlig übernächtigt, mit einer überdimensonalen Unlust gesegnet, geradewegs elf Stunden auf einer staubig-verdreckten Fläche Welt stehst; wenn dieser September so kalt und ungemütlich ist, dass die November-Depression schon zwei Monate zu früh unter die Bettdecke kriecht; wenn deine Knochen und deine Muskeln, ach was: jede verdammte Faser, jede Zelle deines Körpers dir von innen in dein Gesicht brüllt, dass alles, was du jetzt noch willst ein Bad in heißem, mit "wertvoller Mandelmilch veredeltem" Wasser ist, damit du nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder eine Hauch von dem spürst, was dir jedes Medienarschloch als "Entspannung" vor die Füße rotzt; wenn du dich in einer solchen Stunde nicht von einem sozial und physisch verwahrlosten Singer/Songwriter-Trauermops vollspeien lassen willst und darüber hinaus sowieso der Meinung bist, dass die furchtbar revolutionäre künstlerische Innovation in Form von Ergänzung klassischer Komponenten in moderne Rock-/Pop-/Tanz-Musik der allerallerallergrößte Irrwegscheiß ist, der deinem Sinn für Ästhetik seit Äonen zugemutet wurde, dann ist "Genesis" von Hiroshi Watanabe eine Platte, die dir in bestimmten Lebensmomenten so gut tut wie "fingerdick Nutella auf frischem Kastenweißbrot" (J.Schliemann).

Watanabes ausufernder, warmer und pompöser Ambient Techno-Sound ist durch und durch so harmonisch, dass er dir für Stunden die Seele massieren könnte, ohne dabei zu glatt, zu kitschig oder selbstverliebt zu sein: "Genesis" pusht und treibt, es hält dich auf eine wunderbar angenehme Art und Weise am Atmen, auch wenn um dich herum der dicke Staub des Wahnsinns schwebt und dir die Kehle und das Herz zudrückt. "Genesis" ist das Antidot.


"Genesis" von Hiroshi Watanabe ist im Jahr 2007 auf Klikrecords erschienen.




P.S.: ich hoffe auf eine wenig überraschende, dafür aber durchaus angemessene und entsprechend aussagekräftige Google-Zugriffstatistik in den kommenden Tagen.

Update 30.12.2008: Titel gelöscht. Mir gehen die Schmierfinken mittlerweile etwas auf den Zeiger. Aber keep goin'!

15.09.2008

Abends, am See....



Es gibt soviel unentdeckte Musik. Soviel spannende, höchst inspirierte, stimulierende und doch unentdeckte Musik. Auch "Drift" des Kölner Improvisationsduos sonargemeinschaft wäre mir wohl verborgen geblieben, hätte es das Schicksal nicht so gut mit mir gemeint. Gemeinsam mit dem britischen Gitarristen und Multiinstrumentalisten Fred Frith als Gast präsentieren sich Dirk Raulf am Saxofon und Frank Schulte (Electronics) auf einem Niveau, das mir tatsächlich nicht alle Tage vor die Ohren kommt.

Frei improvisierte Musik gleicht immer einem Drahtseilakt und für gewöhnlich entscheiden die ersten Augenblicke über Erfolg und Misserfolg eines gemeinsamen Weges. Damit ist nicht gemeint, dass sich ein Stück nicht entwickeln dürfe; das wäre aber erst der zweite Schritt. Der erste Schritt ist ein Hauch einer Ahnung, ein minmaler Impuls oder eine grotesk-winzige Information, die darüber entscheiden, ob das, was gerade die Synapsen umweht, Substanz und Leidenschaft hat. Das Bauchgefühl täuscht sich selten, sofern man gelernt hat, es erstens überhaupt wahr zu nehmen, und zweitens es auch zu begreifen.

Wenn drei Musiker (und hier ganz besonders Raulf und Schulte) in der Lage sind derart intensiv und geschlossen mit einer Stimme sprechen zu können, dass dieses knapp siebzigminütige, aus zwei Titeln bestehende und im Kölner Loft live aufgenommene Werk sich zu einer funkelnden, blitzenden und nachgerade - Achtung, das verbotene Wort: perfekten Momentaufnahme entwickelt, zeigt sich, dass es durchaus von Vorteil sein kann, wenn sich die Musiker nicht erst vier Minuten vor Konzertbeginn am Biertresen über die Füße gefallen sind: Dirk Raulf und Frank Schulte arbeiten seit 1995 unter dem gemeinsamen sonargemeinschaft-Banner, kennen ihre Wege, Ihre Gedanken, Ihre Stärken und Schwächen. All das wird auf "Drift" gebündelt auf die Bühne gebracht. Raulfs Saxofon, das mal barsch und geradewegs animalisch anmutet, nur um im nächsten Moment so pur und rein wie ein norwegischer Fjord zu klingen (hat hier eben gerade jemand Jan Garbarek geflüstert?), und Schultes elektronische Eskapaden, die es sogar hier und da fertig bringen, wie ein Ausschnitt einer Raster-Noton-Party zu klingen, nackt und skelettiert einen feinen, minimalen Groove entwickeln und sich darüber hinaus nicht nur in den Sound einbetten, sondern ihm ein eigenes Gesicht schenken, sind die Grundpfeiler einer Musik, die im zweiten Stück "All Aboard" mit der Gitarre von Fred Frith eine weitere Komponente, einen weiteren Bauteil erhält. Auch Frith scheint ein gutes Gespür dafür zu haben, was dieser 13.Dezember wirklich benötigte, und es ist sehr wohltuend zu hören, dass er, wie seine beiden Mitmusiker auch, es unterlässt diese Bühne zu seiner alleinigen Bühne zu machen.

Und wenn selbst das angesichts der kalten Jahreszeit im Hintergrund dezent vor sich hin hustende Publikum mit dazu beiträgt, dass "Drift" ein beeindruckendes Zeugnis eines Abends ist, an dem sich drei Musiker zu einem Klang verbunden hatten, ist wirklich alles gesagt.


"Drift" von sonargemeinschaft & Fred Frith ist am 30.5.2008 auf Poise erschienen.

08.09.2008

Lauschglück



Am kommenden Freitag, 12.9.2008 findet in der Bessunger Knabenschule zu Darmstadt ein ausgesprochen interessantes Konzert statt:

Michael Wertmüller
(Drums, u.a. Brötzmann, ), Rainer Lind (Gitarre, Künstler aus Darmstadt, u.a. Brötzmann) und Joe Sachse (Gitarre, u.a. John Tchicai, Brötzmann) stehen gemeinsam auf einer Bühne.

Beginn ist um 20:30 Uhr. 

Weitere Informationen gibt es HIER.