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08.04.2023

Best Of 2022 ° Platz 11: Felix Laband - The Soft White Hand




FELIX LABAND - THE SOFT WHITE HAND


Ich habe gelernt, dass "cringe" Jugendsprache ist, und da sich sowohl Körper als auch Geist von Yours Truly nicht nach Jugend, sondern eher nach einem seit 100 Jahren in der schimmligen Ecke eines feuchten Kellers in Rodgau-Jügesheim vergessenen Sacks alter Wäsche anfühlen, erlaube ich mir die Verwendung des guten deutschen Schrebergartenworts "PEINLICH", um das zu beschreiben, was gleich kommt: ein Pamphlet! Ein Pamphlet gegen...weiß ich noch nicht. Keine Ahnung. Aber wir machen das jetzt wie alle anderen Vollidioten auch: wir entwickeln das jetzt gemeinsam

Ich habe erwiesenermaßen von praktisch Nichts eine Ahnung. Ich könnte den Kanisterkopp Joe Rogan und seine Selbsteinschätzung zitieren und sagen "I'm just an idiot who occasionally remembers things." und läge damit auch für meinereiner nicht so irre falsch, wenn ich nicht mittlerweile auch immer häufiger alles vergäße...das Alter, das Leben, die Menschen, es ist einfach zum Heulen. Ich habe im Prinzip auch keine Ahnung von elektronischer Musik. Ich mag sie und ich höre sie, aber ich bin ganze Universen von irgendeiner "Szene" entfernt, habe von Geschichte und Entstehungsprozess fast keinen sitzen, bei "Clubkultur" denke ich an den bevorzugten, äh, FKK-Saunaclub oder irgendein Mate-Gesöff, das sich gegeelte Marketingfuzzis ausgedacht haben und, und das Schicksal teilt sie sich mit der guten alten Rockmusik, ich habe ganz oft keinerlei Interesse am alten Kanon, diesem Gewese von "Das MUSS man kennen!!!einself" und "Ohne diese Platte gäbe es keine [hier bitte Band, Genre, Unterhosenmarke einfügen]!". Ich lebe beispielsweise in einem Haushalt, der, und das sage ich durchaus mit einem kleinen Anflug von Stolz, frei von Beatles-, Hendrix-, Dylan- und Beach Boys-Platten ist. Ich kenne auch keine einzige Kraftwerk-LP. Es ist sicherlich nicht über Gebühr originell, den alten Hildebrandt-Spruch über die Fliegen und die Exkremente aus der Mottenkiste zu zerren, auch und vor allem dann nicht, wenn die Nirvana-Sammlung beinahe den kompletten Westflügel meines Anwesens einnimmt, aber ich finde, es ist speziell in solchen Fällen globaler Unterwürfigkeit gegenüber den heiligen Kühen immer vorteilhaft, einen angemessenen Sicherheitsabstand einzuhalten. Lassen Sie es mich auf den einzig gültigen, echten, wahren Punkt bringen: im Prinzip ist alles, was in den Top 50 Listen des Rolling Stone auftaucht, vollumfänglich und aus tiefstem Herzen abzulehnen. 

"Shush! Shush! Listen, I don't care." (Ricky Gervais)

So, und jetzt kommt's: dass da draußen immer noch dieser unsägliche, alte Scheiß gehört wird, aber einer wie Felix Laband, einer der originellsten und kreativsten Durchgeknallten, nur einer überschaubaren Gruppe bekannt zu sein scheint, ist doch ein Treppenwitz?! Und andererseits ist's eben komplett und total glasklar: wer aus der Reihe tanzt, hat keine Chance. "Das war doch schon immer so?!" (Friedrich "Fotzenfritz" Merz)

Laband veröffentlicht seit fast 25 Jahren Musik, seit 2004 gar exklusiv auf dem Münchner Label Compost, und nicht nur ist seine Kunst sehr partikular, auch nimmt er sich immer viel Zeit für ein neues Abum. Seit dem mittlerweile als kleinen Klassiker gehandelten "Dark Days Exit" aus dem Jahr 2004 erschienen bis 2022 gerade mal zwei weitere Werke des Südafrikaners. 

Ich bin hocherfreut zu berichten, dass seine Musik selbst 2022 noch immer so ambivalent, herausfordernd, träumerisch, brütend und von strahlender Ästhetik durchzogen ist wie eh und je. Möglicherweise hat er nach dem manchmal krawalligen und oftmals bedrückenden "Deaf Safari" ein paar Gänge heruntergeschaltet, was sowohl die Verwendung als auch die Inhalte von obskuren und verwirrenden Sprachsamples betrifft (auch wenn sie nach wie vor integraler Bestandteil seines Sounds sind), aber auch "The Soft White Hand" ist so erzählerisch wie visionär wie seine Vorgänger. Laband verbindet Einflüsse aus dem House, Jazz, Ambient, Downtempo und IDM mit der melodischen Aura klassischer Musik und strickt daraus etwas völlig Einzigartiges, eine spleenige Melange aus futuristischer Clubmusik und nostalgischer Poesie, zwischen naiver, unberührter Schönheit und eskalierenden Momenten großer Verletzlichkeit. Sehnsuchtsvolle Spieluhrensounds, die Kindheitserinnerungen wecken und wie ein Wundpflaster für die Verletzungen der Adoleszenz wirken, staubige Beats und jazzige Vibes für die gegenwärtige Introspektion, Reminiszenzen an verdrogte, durchgetanzte Sommernächte, an Abstürze, Momente großer Erregung, Momente des Rausches. Über all dem schweben Labands Werte, seine Gedanken, seine Politik, unausgesprochen und doch stets präsent:

“I have sampled a lot from documentaries from the 80s crack epidemic in impoverished African American communities and believe my work speaks unapologetically for the lost and marginalised, for those who are the forgotten casualties of the war on drugs. In the past, I have had my issues with substance abuse, and I know first-hand about the nightmares and fears, what it feels like to be isolated and abandoned.”


"The Soft White Hand" ist ein Gefühlswesen. 


Vinyl: Die Doppel-LP auf schwarzem Vinyl (hier gibt's keine Extravaganzen) im Gatefold-Cover kommt mit Labands Signature-Collagen Artwork mit Downloadcode, und die Pressung ist vollkommen fehlerfrei. Uneingeschränkte Empfehlung. (+++++) 


 


Erschienen auf Compost Records, 2022.