11.12.2024
Infinity Machine - The Lighthouse
17.11.2024
"Da lässt sich noch einer Zeit für Bilder."
DAS Hipsteralbum des Jahres 2021. und zugleich: DAS vereinende Musikalbum des Jahres 2021.
In Zeiten, in denen vornehmlich die Boomergeneration nur zu oft und - Distinktionsgewinn olé: zu gerne - den Abgesang auf die wahre, echte, schöne alte Musikwelt anstimmt, also die wahre, echte, schöne Auseinandersetzung mit wahrer, echter, schöner Musik in endlosen Kopfhörersessions im wahren, echten, schönen Ohrensessel, bei einer guten Flasche Eigenurin und einem guten Stück Haifischknorpel, weil die nachfolgenden Generationen alles, aber auch wirklich ALLES anders und damit, logo: schlechter machen als es die alten "Furzknoten" (Lagerfeld) es vor circa einer Billion Jahren taten, und das fragile Ego damit nun wirklich überhaupt nicht umgehen kann, produziert die Elektronik-Zaubermaus Sam Shepherd aka Floating Points mit dem Saxofonisten Pharoah Sanders wie es scheint mit links eine Jazz-, Ambient- und Klassik-Platte, deren Ankunft von Menschen jeder Altersgruppe wie der neue Heiland gefeiert wurde - und weiterhin wird. Selbst wenn jene Menschen mit Jazz, Ambient und Klassik zuvor soviel an der Frisur hatten wie H.P.Baxxter mit Atomphysik, Körperhygiene und Frauenrechten.
Über insgesamt neun sogenannte Movements spannt das Duo im Grunde ein einziges Motiv; das ist die Lebensader von "Promises". Und sowohl Sanders, als auch im weiteren Verlauf das London Symphony Orchestra, bleiben über die gesamte Spielzeit in ihrer Nähe, oszillieren, treiben, schweben, drehen und winden sich mit dieser kleinen, so unscheinbar wirkenden Welle aus gerade mal acht Tönen in ein minutenlang aufgeschichtetes Crescendo und sacken gemeinsam wieder ins nächste Diminuendo ab, bis die Intensität schnurstracks auf die Kernschmelze zukriecht.
Und wenn der Mythos tatsächlich stimmen sollte, dass heute also wirklich niemand mehr so richtig zuhört oder zuhören kann, weil die Aufmerksamkeitsspanne so gering und der Druck so mächtig sind, dann ist's vermutlich genau das: ein Mythos. Denn - Achtung, der Ohrensessel naht - im Prinzip kommt hier nur so richtig dahinter, wer sich auf "Promises" mit Haut und Haaren einlässt. Den Bewegungen folgt. Sich treiben lässt. Die Kontrolle verliert. Und langsam....ganz langsam...in Richtung Ausgang schwebt.
Angesichts des Erfolgs dieses Projekts, schweben vielleicht mehr im ergiebig-positiven Kontrollverlust umher, als das Narrativ der im Ausnahmezustand delirierenden Generation uns Glauben machen will.
Was ich sagen will: Hoffnung für Alle.
Vinyl: Die Erstpressung war sehr schnell ausverkauft, und weil davon irgendwie so ziemlich alle überrascht waren, dauerte es fast ein halbes Jahr, bis die nächste Edition in die Läden kam. Hübsches die-cut Cover, 12"-Inlay, schwarzes Vinyl. Es gibt viele gemischte Reaktionen zur Pressqualität, von "totalem Schrott" bis hin zur "bestklingenden Platte aller Zeiten" ist alles dabei, und ich möchte mich mit meinem Exemplar etwa in der Mitte platzieren. Ich bereue den Kauf natürlich nicht, aber "spektakulär" geht eventuell ein bisschen anders.
Erschienen auf Luaka Bop, 2021.
11.08.2024
Keno & Tristan De Liege - Transatlantyk
"Instrumental downbeat and lush electronica from David Hanke. Somewhere between Thievery Corporation, De-Phazz and Bonobo. Beautiful pressing made by Pallas on 140g vinyl. Alina says it makes you yearn for summer - but it also works well at the very beginning of spring with your first cup of coffee on a Sunday morning"
"If you like early 2000s relaxed downtempo tracks like from Bonobo or Blockhead, then you have to listen to this little secret."
19.05.2023
Best Of 2022 ° Platz 3: Lav - A New Landscape
LAV - A NEW LANDSCAPE
Ein Album wie ein Mikrokosmos.
Der schwedische Produzent Lav aka Christopher Landin ist auf diesem Blog bereits mehrfach mit überschwänglichem Lob bedacht worden. Das liegt vor allem an "A State Of Becoming", das mit Beteiligung von Purl aka Ludvig Cimbrelius entstandene Meisterwerk aus dem Jahr 2017, das in meinem Buch zu den drei besten Ambient-Alben aller Zeiten zählt. Nach einigen weiteren Veröffentlichungen auf so illustren Labels wie Dewtone, deren Homepage-Radio ich nur allerwärmstens empfehlen kann, Amone Recordings und natürlich A Strangely Isolated Place (das eigene 9128-Radio ist ebenfalls überaus lohnenswert), ist "A New Landscape" Lavs zweites vollständiges Album - und das erste ohne eine erweiterte Zusammenarbeit mit anderen Musikern.
Lav lebt mit seiner Familie auf der schwedischen Insel Gullholma und betreibt dort autarken okölogischen Landbau, über den er regelmäßig mittels Videoaufnahmen berichtet - jedenfalls glaube ich das, denn ich verstehe kein Wort: meine Kenntnisse über die schwedische Sprache sind überaus übersichtlich ausgebildet. Er könnte somit auch über Kartoffeldruck und Atomphysik sprechen, aber weil öfter Zucchinis als Brennstäbe im Bild zu sehen sind, gehe ich von Gemüseanbau aus. Darüber hinaus scheint ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Interesse für Pilze zu bestehen. Das Coverartwork von "A New Landscape" zeigt beispielsweise den Schleimpilz Badhamia utricularis, der in seiner Lebensweise Eigenschaften von Tieren und Pilzen gleichermaßen vereint, biologisch aber zu keiner der beiden Gruppen gehört. Das Foto wurde von Lav nur einige Gehminuten von seinem Haus entfernt gemacht.
In diesem Zusammenhang erscheint es klug, ihn selbst zu Wort kommen zu lassen:
"To me this album is about perception. Every day we pass over them, without seeing. Fungi, slime molds and other small beings issue an invitation to dwell for a time right at the limit of our ordinary perception. All it requires of us, is attentiveness. Look in a certain way and a whole new landscape can be revealed."
"A New Landscape" ist Natur. Ein kalter, feuchter Waldboden. Die Baumrinde jahrhundertealter Tannen. Der Blick über sich im Wind schaukelnde Baumwipfel. Das Panorama aufs offene Meer. Der Geschmack von Gebirgsluft. Die Sonne auf der Haut. Lavs organischer Ambient Techno, mal technisch nach vorne treibend wie in "Under The Microspope", mal rhythmisch verschachtelt und mehrdimensional wie in "Collaborative Survival", mal ohne jeden Beat und mit gröberer Auflösung operierend in "Below The Forest Floor", fordert und fördert Vergegenwärtigung, Empathie und Demut.
Das gelingt einerseits durch die Musik, also über den reinen Klang mit viel Atmosphäre und tief versunkenen Flächensounds und andererseits mittels der Bilder und Stimmungen, die auf der Reise ein- und ausgeblendet werden - es fühlt sich manchmal so an, als würde man mit dem Elektronenmikroskop in die Vergangenheit reisen und dem Leben beim Entstehen in Zeitlupe zuschauen. Oder wie mit beiden Händen in Mutterboden zu stecken und eine spirituelle Verbindung aus einer anderen Galaxie gechannelt zu bekommen. Die Auseinandersetzung mit dieser Musik entwickelt das ganz natürliche Bewusstsein, sich mit spielerischer Faszination diesen verborgenen Welten zu nähern, sie als Realität für andere Lebewesen wahrzunehmen und den eigenen Platz in dieser Welt zu erkennen, aufmerksam und -gerichtet zu sein. Die andauernde Lärmbelästigung, die Diarrhoe der Sensation, des Tumults, das ständige Bombardement der Empörung - "'s ist doch wurscht." (Schmidt) - braucht einen Krampflöser. Es wird Jahre brauchen, den Dreck aus unseren Systemen zu spülen.
Das braucht Ursprung. Nullpunkt. Reset.
Vinyl: Das stimmungsvolle Cover-Artwork ist eine Sensation und zusammen mit dem Vinyl in *checks notes* Marigold zum Dahinschmelzen schön. Ungefütterte Innenhülle, Bandcamp-Downloadcode. Die Pressung ist nicht perfekt, aber ordentlich. (++++)
Erschienen auf Past Inside The Present, 2022.
29.04.2023
Best Of 2022 ° Platz 6: Joachim Spieth - Terrain
23.04.2023
Best Of 2022 ° Platz 7: Pablo Bolivar & Sensual Physics - Details Am Rande
13.04.2023
Best Of 2022 ° Platz 9: Cool Maritime - Big Earth Energy
Erschienen auf Western Vinyl, 2022.
08.04.2023
Best Of 2022 ° Platz 11: Felix Laband - The Soft White Hand
“I have sampled a lot from documentaries from the 80s crack epidemic in impoverished African American communities and believe my work speaks unapologetically for the lost and marginalised, for those who are the forgotten casualties of the war on drugs. In the past, I have had my issues with substance abuse, and I know first-hand about the nightmares and fears, what it feels like to be isolated and abandoned.”
01.04.2023
Best Of 2022 ° Platz 12: Strië & Scanner - Struktura Revisited
"There is pleasure to be found in viewing or hearing something without a definite narrative, allowing the mind to wander and find its own meaning."
11.02.2023
Best Of 2022 ° Platz 21: Viul & Benoit Pioulard – Konec
04.02.2023
Best Of 2022 ° Platz 23: Carlos Ferreira - Before Memories Fade
“One of my strongest creative vectors is about meditating on “memory”. It fascinates me to imagine that every memory corresponds to a fragment that is not static - it changes throughout life, due to our maturation and recent experiences. “Before Memories Fade” is a reflection on this fundamental element of our existence. About eternalizing moments in an organic, live and unpredictable way.”
28.01.2023
Best Of 2022 ° Platz 24: Mundos Sutis - Quintessence
07.01.2023
2021 Revisited: Cynic - Ascension Codes
Ein Blick auf meine Musiksammlungsdatenbank aus Giga-Nerdhausen, vulgo: Discogs, verrät, dass ich im Jahr 2021 tatsächlich nur drei Platten gekauft habe, für die der Stempel "Rockmusik" passt. Neben Cassius Kings "Field Trip" (prima) und Quicksands "Distant Populations" (naja), war insbesondere die Anschaffung von Cynics "Ascension Codes" eine echte Herzensangelegenheit.
Zum einen bin ich seit fast dreißig Jahren Fan und finde ihre Musik selbst, oder besser: besonders nach den stilistischen Anpassungen über die letzten 15 Jahre einfach hoffnungslos attraktiv. Zum anderen bewundere ich Paul Masvidal, einen der kreativsten und eigenständigsten Musiker der Metal-Szene. Mutig und unerschrocken, offen, spirituell - und durch den unerwarteten Tod seiner beiden Freunde und ehemaligen Bandmitglieder Sean Reinert (Schlagzeug; Januar 2020) und Sean Malone (Bass, Dezember 2020) voller Trauer und Verzweiflung. Masvidals Beiträge auf seinem Instagram-Account geben Zeugnis von dem Schmerz, den er durch die kurz hintereinander erfolgten Verluste erleiden musste. Ebenfalls, und das soll nicht unerwähnt bleiben, ist Masvidal in meiner Wahrnehmung einer der verkanntesten Songschreiber des Heavy Metal. Warum ihm angesichts des Meisterwerks "Ascension Codes" nicht die halbe Metal-Welt die Tür einrennt, ist angesichts der sich zunächst zeigenden Sperrigkeit des Albums vielleicht nicht die allergrößte Überraschung - auch wenn sich die Komplexität mit ein bisschen Zeit und Eingewöhnung naturgemäß auflösen kann und wird. Aber ich habe durchaus Verständnisschwierigkeiten damit, warum nicht wenigstens die Anhänger des Progressive Rocks/Metals auf Knien angerutscht kommen, und zwar in Scharen.
Denn das hier sollte eigentlich exakt ihr Sound sein: verspielt, komplex, ultrakomprimiert und dennoch leichtfüßig und mühelos - im Prinzip die musikalische Entsprechung zum Spruch meines Vaters über den ehemaligen Eintracht-Stürmer Anthony Yeboah: "Der spielt dich in einer Telefonzelle schwindelig!". Spektakuläre technische Fähigkeiten, ein atemberaubendes Coverartwork und eine spirituelle Story über das Leben, das Universum, das Unsichtbare, das Mystische, das Außerweltliche - "Ascension Codes" ist die beste Cynic-Platte aller Zeiten und in ihrer emotionalen Ausrichtung und ihrer offen dargestellten Zerbrechlichkeit das Progressive Metal-Album, das ich mir im Jahr 2020 von Fates Warnings "Long Day Good Night" erhoffte, aber nicht bekam.
Ich möchte über Jahre in diesen Sounds versinken und mich verlieren. Masvidals Gitarre weist mir den Weg und mir ist im Grunde egal, wohin er mich führen wird.
Chuck Schuldiner prägte den Satz "Let the metal flow!" - Paul Masvidal hat nun die passenden Songs dafür geschrieben.
Vinyl: Das Mastering meiner Version auf türkisem Vinyl scheint die sowieso schon wahrnehmbare Kompression im Sounddesign noch weiter in den Vordergrund zu stellen; man merkt, dass es der Musik etwas schwer fällt, die Luft zum Atmen zu finden. Ich gehe davon aus, dass es sich hier um eine aktive Entscheidung im Entstehungsprozess des Albums handelt. Cynic Platten klingen nicht zum ersten Mal so. Die Pressung ist komplett fehlerfrei. Das wirklich atemberaubende und wertige Triple-Gatefold auf mattem, sich seidig anfühlendem Karton in Verbindung mit dem grandiosen Cover-Design von Künstlerin Martina Hoffmann ist nichts weniger als imposant.
Erschienen auf Seasons Of Mist, 2021.