24.02.2019

Best Of 2018 ° Platz 10 ° War On Women - Capture The Flag




WAR ON WOMEN - CAPTURE THE FLAG


Die beste Punkplatte des Jahres. Nicht, dass sich darauf irgendwer etwas einzubilden glaubt, schwer war es im vergangenen Jahr nicht, sich diesen Titel zu holen - ich habe sonst keine einzige aktuelle Punkplatte gehört. Oder, Achtung: Plot Twist! War es gerade unter diesen Voraussetzungen dann vielleicht nicht ganz besonders ruhmreich? 

Wenn's nicht so despiktierlich wäre, möchte ich am liebsten auch hier in die Welt hinausrufen: Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten, aber das hat diese Band nicht verdient. Ich habe das Quartett aus Baltimore schon seit ihrer ersten Deutschlandtournee im Vorprogramm von Propagandhi und der in der Kölner Essigfabrik gekauften ersten 10-Inch EP "Improvised Weapons" auf dem Zettel, empfand das selbstbetitelte Albumdebut als eine große Verbesserung zum noch etwas kruden Chaos auf der EP, freute mir den Arsch ab, als wir mit unserer Band den Supportkasper für das Konzert in Wiesbaden geben durften und bin nun angesichts von "Capture The Flag" ziemlich baff, denn das ist eindeutig bislang ihre beste Platte. 

Zweifellos haben sie die Kanten in ihrem Sound etwas geglättet. Der manchmal überdreht wirkende und arhythmisch gesetzte Gesang von Shawna Potter war bislang eine der Achillesversen der Band; die plakative Kratzbürstigkeit war einerseits Vehikel, um die feministische Message zu transportieren und lieferte andererseits die gewünschte Provokation für die nicht zuletzt durch Trumps Frauenfeindlichkeit aufgeputschten Stiernacken in der gegenüberliegenden Ringecke, die dann mit Schaum vor dem Mund und zur Schmerzverlagerung ihren eigenen Hodensack mit Fausthieben traktieren konnten. Um dieses Angstbeißen der rechten Arschlöcher beobachten zu können, nehme ich ja gerne ein bisschen Schmerz durch wilden Sirenengesang in Kauf. Shawna bringt mit ihren Texten und wie es scheint ihrer bloßer Existenz immer noch das halbe Macho-Nazi-Internet gegen sich auf, klingt nun aber kontrollierter und zeigt heuer noch offensichtlicher als früher ihre stimmlichen Fähigkeiten. 

Weiterhin beeindruckend ist die erneut verbesserte Symbiose aus Melodie und Drive. War auf dem Vorgänger der möglicherweise etwas von Propagandhi inspirierte Opener "Servilla" der beste Song des Albums, hat man das Konzept nun für weite Teile der neuen Platte übernommen, womit selbst die Midtempotracks ordentlich nach vorne gehen und ein signifikant höheres Energielevel auffahren als die Konkurrenz, die sich, das muss auch endlich mal gesagt werden, die lahme 4/4-Scheiße mit ihren uninspirierten dreieinhalb Schwiegermutterakkorden und peinlicher Befindlichkeitslyrik nebst tätowiertem Macho-Geröhre am Mikrofon, so ganz allmählich mal dahin schieben darf, wo's lustig riecht. Warum dieser zahme und komplett sacköde Schmockrock mittlerweile als Punk durchgeht, darf man mir bei Gelegenheit auch nochmal erklären. Und jetzt, wo ich es mir so recht überlege: bitte erklärt's mir nicht. 

Wer es sich darüber hinaus leisten kann, mit "Anarcha" einen der eindringlichsten Punksongs der letzten 15 Jahre im hinteren Viertel der Platte zu verstecken und dabei mit eindeutigen Texten und Aktionen rechtskonservative Redneck-Spackos gegen sich aufbringt, zumal in einem Klima, in dem sich die breite Masse sowohl auf als auch vor den Punkbühnen dieser Welt so unauffällig und angepasst wie nur möglich präsentiert, hat meine Unterstützung auch noch in Millionen Jahren verdient. 

Geile Band. Suck it up.


Pressung: +++++ (Die blaue Vinylversion ist einwandfrei. Es gibt noch eine dreifarbige Ausgabe, die ich nicht kenne)
Ausstattung: ++++ (Schönes Artwork, in Verbindung mit dem blauen Vinyl ein echter Hingucker. Lyricsheet liegt bei. Keine gefütterte Innenhülle)




Erschienen auf Bridge Nine Records, 2018.

22.02.2019

Best Of 2018 ° Platz 11 ° Submotion Orchestra - Kites




SUBMOTION ORCHESTRA - KITES


Es ist einigermaßen skandalös, dass "Kites" nicht zum endgültigen Durchbruch für dieses britische Kollektiv geführt hat. Auch nach ihrem heute als Klassiker bezeichneten Album "Finest Hour" von 2011, erschien mir die siebenköpfige Band immer etwas unterbewertet und selbst unter dem Radar der eigentlichen Zielgruppe umherirrend. Die Zielgruppe, die ist dabei Legion: alles, was sich in den letzten zehn Jahren zwischen dem eher gemäßigten Bereich des englischen Spezialistenlabels Ninja Tune, Bonobo, dem Cinematic Orchestra und Matthew Halsall's Gondwana Label hin- und herflippern ließ, muss bei "Kites" sogar sehr uneigentlich heiße Tränen der Freude und Liebe weinen - und das sind ja nun deutlich mehr als zwei Handvoll verwirrter Einzelkämpfer. "Kites" ist schwer, tief, melancholisch, ernst - und manchmal auch hörbar schmerzhaft:

"In the two years since ‘Colour Theory’ there have been a number of significant events for us all including new life and family death. We wanted to use these events as creative inspiration so we bought a disposable camera each and took photos based around these events, or the themes that they represented. Once developed, we selected 10 photos to be used as the inspiration for the 10 tracks on the album. Each track explores a different emotion, theme or event. All are honest, relevant and often hugely personal." (Tommy Evans)

"Jahaaa, dann ist's ja kein Wunder, dass die Leute hier nicht hinhören! Ernst, Melancholie, Schwermut, Introspektion - das will doch niemand hören! Die Leute wollen Parteueueueueu! Guck's Dir an: Trump ist Präsident. Klotzehohl, aber die Leute haben Spaß - selbst wenn sie ihn hassen." (Logger P. Eder, knapp zweistelliger IQ, mag Heringssalat aus der Dose)

Die Wahrheit indes lautet: "Kites" inspiriert. Macht den Blick weit, die Gedanken frei. Ist schwärmerisch, voller Wärme und Liebe. Bringt Dich durch die Kälte. 

Ein Breitbandemotikum

Eine meiner meistgehörten Platten des Jahres. 


Pressung: + (Furchtbar, wird dieser wunderbaren Platte nicht gerecht: durchgehende non-fills und Pops, kein sonderlich großes Vergnügen)
Ausstattung: + (Einzel-LP ohne Bilder, Texte, Liners. Keine gefütterten Inlays. Super low-budget, dafür aber relativ günstig zu haben - und mit "relativ" meine ich "Wäre vor 10 Jahren teuer gewesen.")




Erschienen auf SMO Recordings, 2018.

17.02.2019

Best Of 2018 ° Platz 12 ° Nik Bärtsch's Ronin - Awase




NIK BÄRTSCH'S RONIN - AWASE


"Awase" ist das erste Studioalbum Ronins seit "Llyria" aus dem Jahr 2010 und die erste Veröffentlichung der Band seit der 2012 erschienenen Liveplatte "Live". Seitdem hat sich einiges getan: der langjährige Perkussionist Andi Pupato hat die Band mittlerweile verlassen und folgte damit dem bereits zuvor ausgestiegenen Bassisten Björn Meyer (der 2018 sein fantastisches Solodebut "Provenence" veröffentlichte, dessen Vinylversion durch eine wirklich granatenschlechte Pressung seitens ECM jedoch völlig in den Sand gesetzt wurde). Pianist und Bandleader Nik Bärtsch sagt über die lange Pause, er wollte der Band "Frieden und Raum" für ihre Entwicklung geben, und sie nicht unter Druck setzen. Das ist dem Album anzuhören. 

Dabei ist nicht alles neu, was hier glänzt: "Modul 60" wurde bereits auf "Continuum", dem letzten Werk von Bärtsch's zweiter Formation Mobile, präsentiert. "Modul 36" stammt vom immer noch umwerfenden ECM-Debut "Stoa" und erhält zehn Jahre später eine Neubehandlung, auf der vor allem Neu-Basser Thomy Jordi mit toller Dynamik brilliert, "Modul 34" wurde bereits 2003/2004 geschrieben und wird auf "Awase" erstmals auf einem Tonträger veröffentlicht. Darüber hinaus darf noch eine weitere Neuerung beklatscht werden: erstmals lässt sich auf einem Ronin-Werk eine Komposition des Saxofonisten Sha finden, die dann auch gleich für einen bislang ungeahnten Emotionsausbruch sorgt. 

Die Grundstruktur ihres Sounds hat sich indes nicht verändert. Was Bärtsch schon ab den ersten Häutungen Ronins als "Ritual Groove Music" beschreibt, bleibt auch auf "Awase" eisernes Gesetz: kristallklar, dürr, asketisch in den Kopfnoten, während das Herz Bewegung, Licht, Humor aus hunderten purpur glühenden Kammern in die Lebensbahnen dieser Band pumpt und sich in der Basis mit Lust und Verlangen paart. Nach zehn Jahren mit ihrer Musik und drei erlebten Livehaftigkeiten dieser einzigartigen Formation sind die zentralen Gegensätze ihrer Musik auf "Awase" so gut spürbar wie noch nie: ihre raffinierte Subtilität, die sich in so feinem Nebel über alle Töne und Bewegungen setzt, kurz vor dem Verdampfen in die Ewigkeit auf der einen Seite und ihre Stärke und ihr Mut in der Ausführung auf der anderen Seite, die ganze Kathedralen zum Wanken bringen können. So mächtig und zugleich so diffizil, gespielt mit einer euphorisierten Lässigkeit in zwischenweltlichem Hochgefühl, die meine Ratio bis heute in ungläubiges Staunen versetzt, meinen Körper in einen reflexartig zuckenden Sack voller Schrauben verwandelt. 

Das unten eingebettete Video des live dargebotenen Albumhighlights "Modul 58" werden die besten 20 Minuten sein, die Du dieses Jahr gesehen und gehört hast. Höre, Staune, Siehe und Tanze.


Pressung: ++++ (Schrammt aufgrund eines etwa zehnsekündigen Kratzrauschens am allerletzten Ende auf Seite C haarscharf an der Höchstpunktzahl vorbei - perfekter Klang, tolles Mastering. Dürfen sich meinetwegen auch all die Weini-Weini-Nerdis mal anhören, die der Meinung sind, die Qualität nehme ab 8 oder 18 Minuten pro Vinylseite ab)
Ausstattung: ++++ (Gewohnt tolles ECM-Artwork und -Design, Gatefold, gefütterte Innenhüllen)




Erschienen auf ECM, 2018.

10.02.2019

Best Of 2018 ° Platz 13 ° Weedpecker - III




WEEDPECKER - III


Eine meiner meistgehörten Platten des Jahres. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie ich Freund Jens eines Nachts, nur Minuten nach Entdecken des Youtube-Clips, über einen virtuellen Kanal förmlich anschrie:"ALTER! WEEDPECKER! OCEANSIZE, PINK FLOYD UND JUD HABEN MITEINANDER GEVÖGELT! KANNST DU BLIND (UND TAUB) KAUFEN!" - Was er dann auch tat, allerdings bleibt seine Begeisterung so tragischer- wie auch unverständlicherweise ein bis zwei Wagenladungen Haschgift hinter meiner zurück. 

Es passiert nicht mehr oft, dass mich "neue", aktuelle Rockmusik (im weitesten Sinne) aus den Latschen bläst. Zum einen suche ich nicht mehr aktiv danach und bin daher auf persönliche Tipps von Freunden angewiesen. Zum anderen hat ebenjener Umstand auch meist einen Grund: ich komme zu gleichen Teilen weder mit dem "Höher, Schneller, Weiter"-Ansatz vieler moderner Rockbands, noch mit deren kreativer Mutlosigkeit klar. Die Produktionen allesamt steril, gleichförmig und aufgeplustert, ohne ein dB Raum für sowas wie einen Signaturesound übrig zu lassen. Stilistisch ein Versumpfen in der seit 50 Jahren vor sich hin simmernden Suppe, zu viel Breitbeinigkeit, zu viel Testosteron und zu schlechter Letzt nicht selten ein Sänger, der die Sache mit dem Singen für völlig überbewertet hält. Dass mein Rock-Radar trotzdem wenigstens ab und an noch funktioniert und mir damit demonstriert, dass es nicht mein abhanden gekommenes Gespür für Originalität, Stil und Ästhetik ist, das die Ambivalenz in meiner Wahrnehmung zusammenbastelt, zeigten 2018 die eher zufällig passierten Neuentdeckungen Hair Of The Dog (Schottisches Power-Trio im Classic Rock-Rausch) und eben Weedpecker aus Polen, die mit ihrem dritten Studioalbum beim Hamburger Label Stickman Records gelandet sind und damit durch die immer noch existierende Qualitätskontrolle der Norweger Motorpsycho gewunken wurden, die bei jedem neuen Labelsigning das letzte Wort haben. 

"III" ist ein faszinierendes Album - vor allem, weil keine der oben erwähnten Unzulänglichkeiten aktueller Rockmusik zum Zuge kommt. Es tut einfach so gut, diese Musik zu hören. Ihr Sound ist warm, breitbandig, tief - wie aus der Zeit gefallen. Weedpecker wollen nicht die härtesten, die groovigsten, die psychedelischchsten sein, sie entziehen sich den gängigen Mustern und Strukturen: es geht ihnen um die Stimmung, die Farben, die Bilder - die Atmosphäre im großen Ganzen. "III" ist fast durchgängig in Mellotron-Watte gepackt, die sowohl in den schimmernden Morgenstundensounds des umwerfenden Openers "Molecule" und gar bis in Herzhöhe der schweren Riffs und Grooves im knapp neunminütigen Intensitätssmonster "Embrace" alles verzaubert und mit Glitterkram überzuckert. 

Alles am richtigen Platz. Keine Chimären. Nur Musik. 


Pressung: ++ (Es gibt bisweilen leises Rauschen und Poppen in den Pausen zwischen den Songs, nichts Schwerwiegendes und nichts, was stört. Die B-Seite hat gegen Ende ein paar gröbere Probleme)
Ausstattung: ++++ (Tolles Coverartwork, Gatefold Cover, clear Vinyl. Kurios: ein Downloadcode liegt bei, aber an der Stelle des Papierschnipsels, an der eigentlich der Code stehen sollte, steht bei mir: Nichts.)




Erschienen auf Stickman Records, 2018. 


07.02.2019

Best Of 2018 ° Platz 14 ° Menagerie - The Arrow Of Time




MENAGERIE - THE ARROW OF TIME


Ich hatte "They Shall Inherit", das Vorgängeralbum dieses australischen Kollektivs, bereits vor über vier Jahren hier in diesem Blog präsentiert, damals noch mit der Anmerkung, die Platte zu spät für meine damaligen Jahrescharts entdeckt zu haben. Nochmal passiert mir das nicht! 

Dabei ist das keine Konzessionsentscheidung zugunsten des aktuellen Werks "The Arrow Of Time", denn die Platte steht mit ihrer Qualität für sich und wäre auch ohne das frühere Versäumnis bereit für die Top 20 des Jahres 2018 gewesen. Chef-Multitalent/-instrumentalist Lance Ferguson hat erneut nicht weniger als zehn weitere Musiker um sich geschart und um klassische Spiritual Jazz-Themen wie die Erforschung des Weltraums, die menschliche Entwicklung und, es darf ein großer Schluck aus der Pulle genommen werden: die Zukunft der Menschheit fünf Kompositionen gebastelt, die zwischen Space Funk, Spiritual und Modal Jazz zwar ohne den künstlerischen Größenwahn eines Kamasi Washington auskommen, aber dafür mehr in die Tiefe gehen als dessen etwas abgeschliffenen "Heaven & Earth" Brocken aus dem letzten Jahr. Herausragend vor allem der treibende Opener "Evolution" als einziger Vocal-Song mit dem predigerhaft agierenden Fallon Williams am Mikrofon, das funkig-peitschende und mit tollen Harmonien ausgestattete "Spiral", sowie der Abschluss "Nova", der dank des perlenden Pianothemas tatsächlich zunächst an moderne ECM Stars wie Nik Bärtsch erinnert, bevor ein an SunRa angelehntes Saxofon den Horizont erweitert. 

Ferguson betont, er sei in erster Linie von Labels wie Strata East, Tribe und Black Jazz inspiriert, wenn er Musik für Menagerie komponiert und beschreibt deren Sound auch über 40 Jahre nach deren Höhepunkten als noch immer zeitlos. Es gibt so oder so keine andere Musik als Jazz, dem die Zeit so gut wie nichts anhaben kann, und "The Arrow Of Time" ist in dieser Frage für die nächsten Jahrhunderte gewappnet: Frisch, deep, visionär. 


Pressung: ++++ (wahrscheinlich low-budget (1), aber ultraleise ohne Auffälligkeiten, kräftiger, voluminöser Sound, schwarzes Vinyl only)
Ausstattung: + (wahrscheinlich low budget (2): keine gefütterte Innenhülle, Cover nur schwarz/weiß, single LP, Texte auf dem Backcover)




Erschienen auf Freestyle Records, 2018.

02.02.2019

Best Of 2018 ° Platz 15 ° Metal Church - Damned If You Do




METAL CHURCH - DAMNED IF YOU DO


Mein Beitrag über "XI", dem letzten Metal Church Album aus dem Jahr 2016, war erstens wenig schmeichelhaft und zweitens im Rückblick auch noch ziemlich falsch. Und als ob das nicht schon reichen würde, um sich wenigstens ein bisschen zu schämen, war mein Ausblick, vermutlich kein weiteres Metal Church Album mit Mike Howe mehr zu hören, auch noch eine Fehleinschätzung. "Wrong, wrong and wrong." (Bill Maher)

Bevor ich auf "Damned If Yo Do" zu sprechen komme, darf ich kurz aufräumen: "XI" ist ein gutklassiges Metal Church- und Power Metal-Album mit überwiegend guten bis starken Songs und krankt aus meiner Sicht in erster Linie an der langen Spielzeit. Es hat etwas gedauert, bis ich das gepeilt hatte, und ich kann nicht sagen, dass der alte zynische Sack in mir, der gerne mal jede Rockmusik, die nicht älter als 20 Jahre ist, reflexartig als miesen, unterdurchschnittlichen Abklatsch 'runtersaut, dabei eine große Hilfe war. "XI" ist über Monate hinweg in meiner Gunst gestiegen und am Ende darf festgestellt werden, dass immerhin einige der neuen Kompositionen, werden sie mit den Klassikern im Rahmen eines Samplers zusammengepuzzelt, gar keine so schlechte Figur machen. 

Die früheren Anlaufschwierigkeiten blieben bei "Damned If You Do" beinahe gänzlich aus; tatsächlich wedelte ich schon beim vorab veröffentlichten Titelsong anerkennend nickend mit den Geldscheinen. Manchmal kann ich es auch nach den 41 Jahren, die ich es schon mit mir aushalte, nicht so recht erklären, wann mich etwas packt oder auf dem falschen Fuß erwischt. Aber selbst mit einer schlimmen Verengung des Frontallappens musste ich sehr zügig an die klassischen Riffs eines "The Human Factor" denken, bei "The Black Things" saust die Erinnerung an "Losers In The Games" am Langzeitgedächtnis entlang, "Revolution Underway" ist legendäres Kurdt Vanderhoof Songwriting im Stile eines "In Mourning". Angesichts der auch hier auf diesem Blog ständig vorgetragenen Verweise in die Vergangenheit, könnte jetzt freilich das große Krähen beginnen: Was sich im Jahre 2018 immer noch an alte Rotze aus den frühen Neunzigern 'ranschmeißt, wird automatisch selbst zu alter Rotze und ist daher prinzipiell zu verurteilen. Außerdem könnten jetzt wieder die Klassiker zum (immer noch und immer wieder untauglichen) Vergleich herangezogen werden, und dann wäre das hier alles sehr einfach und darüber hinaus auch schnell vorbei: lahm, langweilig, antik, irrelevant. Und es ließe sich auch darauf hinweisen, dass den alten Männern mittlerweile einfach das Feuer und die Leidenschaft fehlt. Könnte man machen, in a heartbeat. Sowas habe ich selbst schon oft geschrieben. 

Ich kann aber auch diesen ganzen Quatsch über "FRÜHER WAR'S VIEL GEILER!" in die Biotonne fliegen lassen und mich stattdessen darüber begeistern, dass es damals wie heute keine andere Band gibt, die diesen Sound so perfektioniert hat - oder ihn überhaupt immer noch spielt. Vor allem im Jahr 2018 ist ein Album wie "Damned If You Do" eine fucking Rarität. Wer klingt denn heute noch so? Wer schafft es denn, diesen ganzen "Drrrrrreck" (Georg Schramm), der sich seit 20 Jahren aus Gründen, die ich selbst mit einem dreifachen Hirnschlag nicht verstehen könnte, unwidersprochen Power Metal nennen darf, mit einer zügig durchgeschwungenen Rückhandfaust gegen die nächstbeste Wand zu schleudern? 

Ich habe mir beim Heimatlabel RatPak die US-amerikanische LP-Ausgabe bestellt. Zum einen sieht die auf 45rpm laufende Scheibe mit ihrem blau/weiß/schwarzem Splattervinyl in Verbindung mit dem Artwork fantastisch aus, zum anderen lockte das Mastering von der "Analogue Tape Source", sowie die zur Euro-LP und CD Version alternative Tracklist, die insgesamt stimmiger erscheint und sogar einen vormals eher irritierend rockigen Track wie "Monkey Finger" plötzlich in besserem Licht erscheinen lässt. Die Info-Banderole spricht davon, dass die Tracklist "specially chosen by Mike Howe" sei - ich glaube ja eher, dass die Anpassungen aus Platzgründen vorgenommen werden mussten, aber wenn's stimmen sollte, hat Howe ein glückliches Händchen gehabt. 

Ich darf also zusammenfassen: ich habe gerade viel Spaß mit "Damned If You Do". Der alte Zyniker ist derweil auf dem Gästeklo eingeschlossen. 


Pressung: +++++ (Mit einem Wort: flawless)
Ausstattung: +++++ (Sieht gut aus, riecht gut, schmeckt gut: Gatefold, bedruckte, aber ungefütterte Inlays, tolle, zum Artwork passende Vinylfarben)




Erschienen auf RatPak, 2018.