YAGYA - FADED PHOTOGRAPHS
ChatGPT is fast-tracking the commodification of the human spirit by mechanising the imagination
(Nick Cave)
Ich werde alt. Zugegeben, das ist bedeutend schöner, als nicht alt zu werden. Aber die Veränderungen, die ich im Zuge des Zerfalls, körperlich wie geistig, 's macht eh keinen Unterschied mehr, an mir beobachte, sind nicht immer Anlass für ausgelassene Freude. Im Falle von "Faded Photographs" ist's eine zweischneidige Medaille, quatsch: sind's zwei Seiten desselben Schwerts: vor zehn Jahren hätte ich diesem wachsweichen Kitsch keine zwei Durchläufe gegeben, bevor ich die Schublade mit den unterschätzten Gemüsesorten (Pastinaken!) geöffnet hätte. Reste jenes also eher ungnädigen Florians scheinen indes auch im Jahr 2023 noch immer auf der Spaßbadrutsche im Kleinhirn entlang zu schlittern, denn ich erinnere mich daran, im März des just abgelaufenen Jahres nicht gerade in euphorischer Umnachtung nackig auf ein Nagelbrett gesprungen zu sein, als sich das Album die ersten Male auf dem Plattenteller drehte. "Faded Photographs" wirkte unnatürlich harmonisch, dabei erschütternd undynamisch und folgerichtig: oberflächlich. Schlimmstenfalls, irgendwie...egal?!
Und man denkt sich: "Hurra! Ich habe noch Spuren von Integrität in mir, dieser Pop-Dreck kann sich ins Gehackte legen. Mit mir nicht, Freunde der Sonne! Das hier ist der letzte Wassergraben vor der ersten Reihe beim Helene Fischer-Konzert! Und ich habe nicht mal zum Sprung angesetzt! Wer sagt's denn?! Dum spiro, spero!"
(Weil es schließlich keine Zwischentöne mehr gibt - es gibt nur noch dafür oder dagegen. Entweder mit Helene ins Bett oder mit GG Allin Schore drücken, dazwischen passt kein bedrucktes Klopapier vom verfickten Springer-Verlag, klar.)
"...eine sehr ambivalente Person!" (Gerhard Polt)
Werte Leser*innen: wie Sie sehen können, haben sich die Zeiten geändert. Sie lesen diesen ganzen Kladderadatsch im Jahr 2024, und "Faded Photographs" ist locker in den Top 20 des vorangegangenen Scheißjahres gelandet. Und bevor ich gleich damit beginne, diesem Album die Rosenblüten ins Badewasser zu streuen, eine ganz kurze Einlassung zum Beginn dieses Reviews: ich hätt's ohne die "süße Milde" (Manuel Andrack) des Bluthochdrucks, der Angstzustände und des in spätestens fünf Jahren fälligen künstlichen Kniegelenks im Leben nicht erkannt. Man muss so dankbar sein. Fürs Altern, versteht sich.
Im Prinzip ist "Faded Photographs" der endlich gefundene Nachfolger zu "Details" von Richard Davis, vielleicht abzüglich dessen stärkere Konzentration auf die Kickdrum. Und um Missverständnisse zu vermeiden: that's a fucking good thing! Dieser übermelancholische Vibe, der sich zwischen den in blassrosa getauchten Zuckerwattewolken ausbreitet wie eine nicht letale Überdosis Ketamin im menschlichen Blutkreislauf, und der sich gleichzeitig zwischen stoischer Unterkühlung und substanzieller Überwärmung dehnende Vortrag von Sänger*innen wie Bandreas, Saint Sinner und Benoit Pioulard, haben meine Gegenwehr vollständig gebrochen. "Faded Photographs" klingt wie eine in Superzeitlupe gefilmte Kissenschlacht, von der man nicht weiß, ob die Protagonisten sich danach in brennender Leidenschaft vereinen oder sich traurig und enttäuscht voneinander entzweien werden. In diese Indifferenz platziert Yagya das entrückt klingende Saxofon von Óskar Guðjónsson und die elegischen Streicherarrangements von Pablo Hopenhayn und lässt damit einen Song wie "The Serpent" wie eine außerirdische Coverversion der frühen Dead Can Dance, den Abschlusstrack "My Own Worth" wie eine bizarre Laune der Natur aus den Cardigans und Björk klingen, während im Untergrund der unbeirrbare Dubtechno-Beat bedächtg vor sich hinblubbert.
Dass die Erwartungen der Zielgruppe mit "Faded Photopgraphs" nicht erfüllt wurden und die Gemeinde aus Technohausen ihre liebe Not mit der Platte hat, dabei die Vorbehalte in ähnlich verzweifelt-hilfloser Weise äußert wie die alten Knatterrochen aus dem Rockmusikzirkus - Titel meiner ungeschriebenen Doktorarbeit: "Anspruchsdenken und Erwartungshaltungen an Kulturschaffende. Eine Frage der Intelligenz?", gibt mir Gelegenheit, nochmal tief durchzuatmen: so alt werde ich hoffentlich nie.
Erschienen auf small plastic animals, 2023.