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01.06.2024

Sonst noch was, 2023?! - Radio Citizen - Lost & Found




RADIO CITIZEN - LOST & FOUND


„Ich habe nicht einen einzigen Sklaven in Katar g‘sehn. Die laufen alle frei ‘rum.“ (Franz Beckenbauer)


Fast aus dem Nichts erschien im Frühjahr 2023 diese Zusammenstellung von Niko Schabel's Radio Citizen Projekt, das von Mitte der nuller bis in die zehner Jahre hinein einigen Staub aufwirbeln konnte. Vor allem das umwerfende Debut "Radio Serengeti" aus dem Jahr 2006 (erschienen auf Ubiquity Records) mit den Hits "The Hop" und "Birds" versüßte mir so einige Tage und Nächte in meiner Wiesbadener Hood, und auch der Nachfolger "Hope And Despair"null war nach der sich aufgrund leicht angezogener Komplexität zeigenden Eingewöhnungszeit ein totales Highlight. Danach verlor ich Radio Citizen unerklärlicherweise aus den Augen, vielleicht einhergehend mit meinem sich immer stärker zeigenden Hang in Richtung Ambient und Dubtechno. Irgendwas rutscht ja immer vom Radar und hinterher hat man dann den Salat. 

Auf "Lost & Found" stehen zehn bislang unveröffentlichte Tracks, die sich an genau jenem Sound der ersten beide Alben orientieren: eine betörende, unwiderstehlich groovende Mischung aus krautigem Soul und Funk mit jazzigen Nuancen und einem freien, urbanen Electronica-Vibe. Wie schon auf den früheren Alben setzt Sängerin Bajka die prominentesten Akzente in diesem so breitbandig inszenierten, an allen Ecken und Enden brodelnden Sound: ihre an Jazzgrößen wie Nina Simone erinnernde Stimme hat soviel Tiefe und Charisma, ihre Phrasierung soviel Einzigartigkeit, dass sich damit praktisch jede gespielte Note in jene Sphären schrauben lässt, die üblicherweise nur von echten Legenden bewohnt werden. Auch die instrumentalen Songs wie beispielsweise "Mountains" lassen mich mit smarten Arrangements und den akzentuierten Dynamiken für verdiente Standing Ovations auf den Wohnzimmertisch klettern. "Lost & Found" ist eine der schönsten Überraschungen des letzten Jahres. Ich weiß nicht, ob man diesen Sound im Kontext der musikalischen Entwicklungen der letzten Jahre mittlerweile schon anachronistisch nennen darf, aber in meinem Buch klingen diese Songs - auch wenn sie einige Jahre auf dem Buckel haben dürften - immer noch frisch und sind mit ihrer funkensprühenden Lebendigkeit absolut zeitlos. 

Eigentlich bin ich geneigt zu sagen: wir brauchen heute mehr denn je genau diese Vibes. Herr Schabel, bitte übernehmen Sie. Ich bin bereit für mehr. 





Erschienen auf Rauschen Records, 2023.

13.05.2012

Dauerwerbesendung



UBIQUITY RECORDS

Das kalifornische Label Ubiquity Records hat mich in den letzten Jahren mehr als ein Mal mit Ihren unter Vertrag stehenden Bands und deren Platten begeistert. Ich denke nur an das Orgone-Kollektiv und dessen großartige "Cali Fever" Platte aus dem Jahr 2010, über die ich strenggenommen auch gerne mal ein paar Worte verlieren könnte. Oder die beiden Platten von Nico Schabels Radio Citizen, "Berlin Serengeti" und "Hope & Despair". Ubiquity halten besonders nach Acts in den Bereichen Soul, Jazz, Funk, Latin und den psychedelischen Zwischentönen Ausschau und ab und an taucht wie mit dem Duo Jed & Lucia auch mal ein angefolkter Singer/Songwriter-Entwurf in der Arschwacklerparade auf.

Das Ehepaar veröffentlicht im Juni sein neues Album “It’s A Wonder”, das wie bereits der primagute Vorgänger "Superhuman Heart" via Ubiquity erscheint. "Superhuman Heart" war geprägt von viel nerdigem Gefühl, von leiser Britzelelektronik und tollen, manchmal gar nicht so unpoppigen Nebelweltmelodien. Sowas hört man im Frühling oder im Sommer morgens im Bad, bevor man sich auf den Weg zur Arbeit macht.

Als Appetithäppchen für "It's A Wonder" gibt es nun für kurze Zeit den Titeltrack bei der Klangwolke zum kostenlosen Download. Ein kleines, windschiefes Liedchen mit einer überraschenden Dub-Note.



Freunde von Psych-Soul/Funk dürfen sich außerdem das Debutalbum der Monophonics aus der Bay Area auf die Einkaufszettel-App meißeln. Die Coverversion des alten Cher-Klassikers "Bang Bang" ist mir persönlich zwar eine Spur zu mellow und zu woodstocky (Copyright, again!), aber die erste Single "There's A Riot Going On" überzeugt auf ganzer Linie. Dem ein oder anderen mag indes der Bums fehlen, ich hingegen freue mich darauf, mit der Platte ein paar laue Sommernächte zu verbringen.






Zu guter Letzt veröffentlicht Ubiquity im Juni 2012 eine Vinylausgabe von "Ronn Forella...Moves!" des Broadway Musikers Thom Janusz; ein Album das in den 70er Jahren bei dem mittlerweile aufgelösten Hoctor Records erschien und in den letzten Jahren als begehrtes Sammlerstück galt - und wir reden hier von Preisen, die zwischen 500 und 700 Dollar pendeln.

Auf der Ubiquity Homepage gibt's das 6-Track-Album für schlappe 5,49 Dollar zum Download, wer vorher reinhören möchte, ist mit "Crystals" bestens bedient.

24.09.2007

"Oha!" im Sinne von "Uff!"




Es wird Zeit eine Platte zu erwähnen, die zu meinen großen Überraschungen dieses Jahres zählt. Niko Schabel, Jahrgang 1978 und gebürtiger Münchener, zog vor sieben Jahren nach Berlin, studierte dort Audio-Engineering und gründete ein Jazztrio, das bald zum "Niko Schabel Quartett" heranwuchs. Seit 2003 arbeitet er mit der indischen Sängerin Bajka an dem Projekt Radio Citizen, das im September 2006 auf dem amerikanischen Label Ubiquity das Debut "Berlin Serengeti" veröffentlichte.

"Berlin Serengeti" ist ein - Verzeihung - saucooles, stimmungsvolles Album zwischen Soul, Funk, Hip Hop, und Jazz der 60er Jahre. "Ich bin furchtbar gelangweilt von all dem öden Programming und dem Lounge-Overkill", sagt Schabel. Damit ist er wohl nicht alleine. Vor allem die stete Flut an seichter, belangloser Lounge Musik ist zu einem echten Ärgernis geworden. Radio Citizen haben damit nichts am Hut. Multiinstrumentalist Schabel legt Wert auf eine offene Ausrichtung seiner Musik, ohne jedoch den Fokus, das Ziel aus den Augen zu verlieren. Es scheint fast, als sei sein musikalisches Vorbild John Coltrane auf "Berlin Serengeti" als geistiger Mentor anwesend, als dirigiere er Schabel durch seine Tunes. Was er anpackt gelingt: "The Hop" ist ein derber, groovender Arschwackler-Hit, "Birds" ein dichter Latin-Lover, "Black Forest" huscht hektisch durchs Soundgestrüpp, "Championsound" ein Bananen-Smoothie mit Sahne, "Mondlicht" ein schwebendes Energieteilchen...ich könnte stundenlang so weitermachen.

Viele stilistisch ähnlich gelagerte Platten leiden oftmals an der zu seichten Umsetzung, an Ziellosigkeit, an den thematisierten Schlichtheiten. Schabels Debut ist anders. Dieses Album funktioniert immer, egal an welcher Stelle man den Laser auf die Reise schickt.

"Berlin Serengeti" ist immer und überall weit davon entfernt, banal oder oberflächlich zu sein. Stattdessen ist es mit Verlaub: völlig großartig.


"Berlin Serengeti" von RADIO CITIZEN ist im September 2006 auf Ubiquity erschienen.