WAR ON WOMEN - CAPTURE THE FLAG
Die beste Punkplatte des Jahres. Nicht, dass sich darauf irgendwer etwas einzubilden glaubt, schwer war es im vergangenen Jahr nicht, sich diesen Titel zu holen - ich habe sonst keine einzige aktuelle Punkplatte gehört. Oder, Achtung: Plot Twist! War es gerade unter diesen Voraussetzungen dann vielleicht nicht ganz besonders ruhmreich?
Wenn's nicht so despiktierlich wäre, möchte ich am liebsten auch hier in die Welt hinausrufen: Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten, aber das hat diese Band nicht verdient. Ich habe das Quartett aus Baltimore schon seit ihrer ersten Deutschlandtournee im Vorprogramm von Propagandhi und der in der Kölner Essigfabrik gekauften ersten 10-Inch EP "Improvised Weapons" auf dem Zettel, empfand das selbstbetitelte Albumdebut als eine große Verbesserung zum noch etwas kruden Chaos auf der EP, freute mir den Arsch ab, als wir mit unserer Band den Supportkasper für das Konzert in Wiesbaden geben durften und bin nun angesichts von "Capture The Flag" ziemlich baff, denn das ist eindeutig bislang ihre beste Platte.
Zweifellos haben sie die Kanten in ihrem Sound etwas geglättet. Der manchmal überdreht wirkende und arhythmisch gesetzte Gesang von Shawna Potter war bislang eine der Achillesversen der Band; die plakative Kratzbürstigkeit war einerseits Vehikel, um die feministische Message zu transportieren und lieferte andererseits die gewünschte Provokation für die nicht zuletzt durch Trumps Frauenfeindlichkeit aufgeputschten Stiernacken in der gegenüberliegenden Ringecke, die dann mit Schaum vor dem Mund und zur Schmerzverlagerung ihren eigenen Hodensack mit Fausthieben traktieren konnten. Um dieses Angstbeißen der rechten Arschlöcher beobachten zu können, nehme ich ja gerne ein bisschen Schmerz durch wilden Sirenengesang in Kauf. Shawna bringt mit ihren Texten und wie es scheint ihrer bloßer Existenz immer noch das halbe Macho-Nazi-Internet gegen sich auf, klingt nun aber kontrollierter und zeigt heuer noch offensichtlicher als früher ihre stimmlichen Fähigkeiten.
Weiterhin beeindruckend ist die erneut verbesserte Symbiose aus Melodie und Drive. War auf dem Vorgänger der möglicherweise etwas von Propagandhi inspirierte Opener "Servilla" der beste Song des Albums, hat man das Konzept nun für weite Teile der neuen Platte übernommen, womit selbst die Midtempotracks ordentlich nach vorne gehen und ein signifikant höheres Energielevel auffahren als die Konkurrenz, die sich, das muss auch endlich mal gesagt werden, die lahme 4/4-Scheiße mit ihren uninspirierten dreieinhalb Schwiegermutterakkorden und peinlicher Befindlichkeitslyrik nebst tätowiertem Macho-Geröhre am Mikrofon, so ganz allmählich mal dahin schieben darf, wo's lustig riecht. Warum dieser zahme und komplett sacköde Schmockrock mittlerweile als Punk durchgeht, darf man mir bei Gelegenheit auch nochmal erklären. Und jetzt, wo ich es mir so recht überlege: bitte erklärt's mir nicht.
Wer es sich darüber hinaus leisten kann, mit "Anarcha" einen der eindringlichsten Punksongs der letzten 15 Jahre im hinteren Viertel der Platte zu verstecken und dabei mit eindeutigen Texten und Aktionen rechtskonservative Redneck-Spackos gegen sich aufbringt, zumal in einem Klima, in dem sich die breite Masse sowohl auf als auch vor den Punkbühnen dieser Welt so unauffällig und angepasst wie nur möglich präsentiert, hat meine Unterstützung auch noch in Millionen Jahren verdient.
Geile Band. Suck it up.
Pressung: +++++ (Die blaue Vinylversion ist einwandfrei. Es gibt noch eine dreifarbige Ausgabe, die ich nicht kenne)
Ausstattung: ++++ (Schönes Artwork, in Verbindung mit dem blauen Vinyl ein echter Hingucker. Lyricsheet liegt bei. Keine gefütterte Innenhülle)
Erschienen auf Bridge Nine Records, 2018.
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