METAL CHURCH - XI
Dass ich großer Fan der Metal Church-Ära mit Mike Howe am Mikrofon war und bin, habe ich an anderer Stelle auf meinen 3,40qm schon mal ganz dezent erwähnt, und die Meldung, der sympathische Wunderknabe mit den goldenen Stimmbändern sei nach über 20 Jahren zur Band zurückgekehrt, ließ mich erwartungsgemäß das olle Metal Church-Shirt extrafein und -glatt bügeln. Für die frei Haus mitgelieferten Sorgenfalten auf meiner Stirn braucht's hingegen schon eher die Heißmangel, denn es gab in den letzten Jahren einfach zu viele Reunions, die an den Erwartungen einerseits und an der komplett veränderten Musiklandschaft andererseits scheiterten. Und natürlich an der ebenfalls immanenten Unfähigkeit so mancher alten Helden, immer noch packende, mitreißende Musik zu schreiben.
Metal Church haben in allen drei aufgezählten Kategorien ein denkbar schlechtes Blatt auf der Hand, besonders die Sache mit den mitreißenden Songs hat Hauptsongwriter Kurdt Vanderhoof in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr so richtig gut auf die Kette bekommen, unvergessen etwa die brutale Bauchlandung des 1999er "Masterpeace"-Albums mit dem mittlerweile verstorbenen Mark 1-Sänger David Wayne. Aber auch die Nachfolgealben mit Sänger Ronny Munroe sind mit medioker ausreichend euphemistisch umschrieben, dazu gab es nicht nur unzählige Line-Up Wechsel, sondern auch gefühlt mehr als nur ein Mal das alte "Split/Reunion"-Spielchen. Das klassische Line-Up mit den Gitarristen Graig Wells und Jon Marshall, dem Bassisten Duke Erikson und Drummer Kirk Arrington hat sich derweil längst in Luft aufgelöst. Macht die Rückkehr mit Sänger Mike Howe unter diesen Voraussetzungen und der ramponierten Marke Metal Church überhaupt noch Sinn? Zumal: Auch wenn Vanderhoof der hauptverantwortliche Songwriter war und ist, sollten die Beiträge besonders von Wells und Marshall nicht unterschätzt werden, hier kann ein Blick auf die Songwritingcredits des 1989er "Blessing In Disguise"-Albums helfen. Was ist also mit der alten Magie dieser einst so außergewöhnlichen Band? Hat die Zusammenarbeit mit Mike Howe Vanderhoof vielleicht beflügelt? Ihm neue Kreativität eingehaucht?
Nach zwei Handvoll Durchgängen des neuen Werks "XI" bin ich in Teilen ganz zaghaft geneigt, einen mit dünnem Pinselstrich geschwungenen grünen Haken hinter diese Fragen zu kleben, denn es gibt einige positive Merkmale zu notieren, mit denen nicht zu rechnen war. Erstens: Der Sound ist modern und druckvoll, aber nicht künstlich aufgeblasen - das ist ein großer Pluspunkt, den man heute nicht hoch genug bewerten kann. Zumindest in dieser Hinsicht wurde hörbar keinen Mist gebaut, was man von den nicht optimal gemixten Backing-Vocals nicht immer behauten kann. Trotzdem: es hätte donzdorfiger und damit unechter werden können. Ist es aber nicht, und das ist gut. Zweitens: Die beiden leicht epischen Tracks "Signal Path" und "Sky Falls In" erinnern nicht nur wegen der Arrangements, sondern tatsächlich auch qualitativ an die legendären Longtracks "Little Boy" und "End Of The Age" vom "Hanging In The Balance" Meisterwerk. Drittens gefallen mir besonders die seltenen Momente, bei denen sich die Truppe etwas vom Standard entfernt und damit die klassischen Metal Church in die Gegenwart zerrt: "Needle & Suture" und "Shadow" sind apart zusammengefügte Metalsongs mit nicht ganz alltäglichem Riffing und erfreulich unverbrauchten Melodien und Harmonien.
Es ist indes nicht alles Gold was glänzt: zum einen ist "XI" viel zu lang geraten - mindestens vier Songs hätten ganz lässig gestrichen werden können, ohne der Qualität des Albums zu schaden. Spätestens ab dem letzten Drittel muss ich mich regelrecht durch "XI" kämpfen. Zum anderen fehlt mir persönlich ein Songwritingeinfluss außerhalb des Vanderhoof'schen Gedankenkosmos, denn der Mann hat mit seinen Riffs und Ideen nicht durchgängig ein glückliches Händchen - und seinen Ansatz für die Stimmung des Albums konservativ zu nennen, wäre eine echte Untertreibung: "Blow Your Mind" ist ein sechseinhalbminütiger Totalausfall aus dem Hause Doppel-Null, "Soul Eating Machine" klingt wie ein müdes Outtake aus der Sockenschublade von Running Wilds Rock'n'Olaf, angesichts der Keyboards in "It Waits" lass' ich mir mein Feldsalat-Birnen-Gorgonzola-Frühstück nochmal durch den Kopf gehen und für uninspirierte Refrains wie in "No Tomorrow" und "Killing Your Time" fehlt mir jedes Verständnis - dass zudem der typische Groove eines Kirk Arrington vom Biedermann Jeff Plate nicht im Ansatz reproduzierbar ist, war zwar zu erwarten, das macht es aber nicht besser.
Und was macht eigentlich Mike Howe? Der singt strenggenommen nur seinen Stiefel runter, was am Ende dann doch eine Leistung ist, für die er sich allerdings nicht mal anstrengen muss: er schafft es, Metal Church endlich wieder nach Metal Church klingen zu lassen; eine Bewertung, die zumindest für diejenigen Fans positiv besetzt ist, die Metal Church in erster Linie mit seiner Stimme und seinem Namen verknüpfen. Darüber hinaus ist mir die Beurteilung von im Aufnahmestudio hörbar zurechtgebogenen Gesangslinien mittlerweile sehr egal - aber ich wäre sehr gespannt, wie seine Stimmbänder nach über 20 Jahren Gesangspause auf der Bühne klingen. Gemäß der im Netz aufgetauchten neuen Livevideos (z.B. "Gods Of Second Chance" beim 2016er Monsters Of Rock Cruise, bei dem er hörbare Probleme hat) hängt zumindest mir noch das ein oder andere Fragezeichen im Gesicht. Dass sowohl die Band auf, als auch die Zuschauer vor der Bühne mittlerweile die Aura einer Urologentagung versprühen - mei, wir werden alle nicht jünger.
Für den Moment halte ich "XI" für ein zwar in der Ausstrahlung insgesamt biederes, aber trotzdem solides Metalalbum, das in seinen guten Momenten tatsächlich ein paar Strahlen der alten Magie durch den alten Schleier aus zwanzig Jahren Irrelevanz durchlässt. Ich muss mir selbst eingestehen, dass ich besonders nach den vorab veröffentlichten Songs weniger erwartet habe. Insofern geht das gerade echt in Ordnung. In den weniger guten Momenten ist da andererseits eine unangenehme "Laissez-Faire"-Haltung der Band zu erkennen - da fehlt einfach jeder Elan, jeder Drang, aus einer durchschnittlichen Nummer trotzdem etwas Großes zu machen. Der unbedingte Wille, sich hier nochmal zu zerreißen. Sich alleine auf die Stimme Mike Howes zu verlassen, dass er also für die musikalischen Unzulänglichkeiten die Kohlen aus dem Feuer holt, ist vielleicht zu wenig. Nicht, dass ich das nicht verstehen könnte - das Feuer im Hintern kommt in dem Alter eher durch zu scharf gewürztes chinesisches Essen als durch eine Extraportion Doppel-Herz. Aber muss man dann wirklich noch neue Platten aufnehmen?
Was abschließend die Frage provoziert, was Metal Church und besonders Kurdt Vanderhoof mit dieser Fünftel-Reunion wirklich wollen? Die Antwort darauf erhalten wir in der Auseinandersetzung mit "XI" nicht, vermutlich ist es erst in ein paar Jahren soweit. Aber es würde mich ernsthaft überraschen, wenn wir noch ein weiteres Album von Metal Church mit Mike Howe am Mikrofon hören würden.
Und so ist's am Ende womöglich dann eben doch noch nur die übliche Metal-Reunion-Masche aus dem Grenzgebiet Halbgarhausen/Romanzenheim, über die sich die alten Fans nochmal freuen dürfen, während deren Nachwuchs draußen vor dem Club in der finanzierten Yuppieschüssel genervt darauf wartet, den von soviel positiven Erinnerungen und drei Pullen Beck's Gold angetrunkenen Erzeuger nach Hause zu kutschieren. It's more than a feeling, you know?!
Erschienen auf Nuclear Blast, 2016.
P.S.: Profi-Tipp: "Blow Your Mind", "Soul Eating Machine" und "It Waits" aus der Playlist entfernen, et voila: ein kürzeres und besseres Album. Bitte, Danke, Rechnung folgt.
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