Der Schweizer Pianist Nik Bärtsch schießt nun mit der dritten Platte in Folge in meine Jahresbestenliste, und ich hatte wenigstens in diesem Jahr ehrlicherweise nicht wirklich damit gerechnet. Während das ECM-Debut "Stoa" aus dem Jahr 2006 für mich zu den großen musikalischen Erweckungserlebnissen der jüngeren Vergangenheit zählt, war der Nachfolger "Holon" aus dem Jahr 2008 zwar qualitativ immer noch sehr gut, im Nachgang aber an der ein oder anderen Stelle einen Tacken zu straight, vielleicht zu klar. Außerdem langweile ich mich dummerweise sehr schnell, und das Grund-Korsett von Ronin ist nun nicht derart komplex geschnürt, als dass ich hiervon wirklich jede einzelne Veröffentlichung benötigen würde. Was tatsächlich und ausschließlich mein Problem ist und nicht das von Nik Bärtsch. Aber das nur am Rande.
Ich bereue es zu keiner Sekunde, denn Ronin hat mich wieder versöhnt, vorausgesetzt, es bestand überhaupt jemals Bedarf an einer Versöhnung. Die fünf Musiker haben wieder den großen Zeichenstift und den Superkleber herausgeholt. Mit letzterem fixieren sie die Zeit. Wer sich auf "Llyria" einlässt wird ineinen mehrdimensionalen Lichtkreisel hineingezogen, in dem alles im Fluss ist und gleichzeitig alles stillsteht. Diese Musik besteht aus mehreren Ebenen, alle sind miteinander verbunden und doch völlig autark. Jede Ebene hat ihre eigene Realität, ihre eigene Farbe, ihre eigene Struktur, sogar ihren eigenen Duft. Es erscheint wie ein blühendes, pulsierendes Vakuum, in dem die Regeln aufgehoben sind, in dem das Streben nach Entwicklung und Kontinuität sich selbst bekämpft. Den Zeichenstift benutzt die Band, um wie geistesabwesend und versunken ihre Vorstellung von klanglicher Architektur zum Leben zu erwecken. Der Beginn von "Modul 53" illustriert möglicherweise am besten, was ich meine: als stünden sie vor einer großen Leinwand, versunken in Winkeln, Ecken, Kammern, einfühlsam und dialogfreudig auf der einen, dabei aber so souverän und triumphierend selbstbewusst auf der anderen Seite. Und alle prüfen unentwegt das gezeichnete Bild, die Struktur, die Beweglichkeit und die Standfestigkeit, jeden einzelnen Milimeter dieses Entwurfs. Damit überprüfen sie logischerweise und in erster Linie sich selbst und die eigene Beweglichkeit. Und wie sie sich bewegen. Ronin würden selbst in Schuhen aus Blei den Rudolf Nurejew mit nie dagewesener Anmut und Leichtigkeit tanzen.
Erschienen auf ECM, 2010.
3 Kommentare:
"Wo ein Begeisterter steht ist der Gipfel dieser Welt."
Danke für diesen Bericht. Sachlich und engagiert bringt er auf den Punkt, was RONIN zu leisten vermag: fast unbeschreiblich gutes Handwerk paart sich da mit ausserordentlicher Spielfreude.
Unbedingt anhören, auch das ältere Material!
Und merken: RONIN spielen jeden Montag live im exil.cl. Über 320 Konzerte sind's allein in Zürich. Touren tun sie auf der ganzen Welt. Mit entsprechendem Erfolg. Siehe montags.com.
D....dann fahre ich wohl mal nach Zürich, was?
Ja, fahr' nach Zürich! Komme schon um 14 Uhr! Denn du musst wissen: RONIN's Nik Bärtsch lädt zum Workshop ein für 2 Stunden. Erfahre die Kunst in seiner Musik anhand einfacher Beispiele... Toll für MusikerInnen und Zen-Funk-Interessierte - da ist für alle etwas dabei! Abends um 21 Uhr bist du zum Konzert eingeladen. Dieses bietet RONIN für ca 11 Euro /15 Franken an. Ein Erlebnis, das mich längst süchtig gemacht hat: habe sie schon hundert mal live erlebt und immer Neues entdeckt!
Das zeichnet ihre Musik aus: wie sie diese live interpretieren und in Szene zu setzen vermögen. Die CD- resp.LP-Produktionen sind einfach ein Zeugnis davon: NO OVERDUBS!!! Just Music...
Keep on groovin'.
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