17.02.2015

2014 ° Platz 5 ° Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra - When The World Was One




Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra - 
When The World Was One

Wäre ich vor fünf, sechs Jahren zu meinen Vorlieben in Sachen Jazz gefragt worden, hätte ich ohne mit dem Hanfblatt zu zucken irgendwas diffuses von Free Jazz gefaselt, möglicherweise noch unter Erwähnung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Und es gäbe sogar einige Beweise auf meinem 3,40qm-Universum vorzulegen, beziehungsweise -lesen: Colemans "Free Jazz", Clifford Thornton und sein explodierendes "Ketchaoua"-Manifest oder auch die Schlachtenfummler-Exkursionen von Bassist William Parker. Im Gegenzug konnte ich die von vielen meiner Mitmenschen bevorzugten und von mir etwas despiktierlich genannten Kuscheljazzer nie so richtig verstehen und erfassen. Mir war das immer zu zahm, zu anschmiegsam und auf eine ganz klebrige Art ranschmeißerisch, was die deutschen Mainstream-Jazz-Postillen (for the record: Tautologie) in ihren ausgewählten Themen immer wieder bewiesen: je massenkompatibler, desto wertiger. Für die Auflage. Künstlerisch fand ich das fast immer sehr traurig und öde. 

Mittlerweile ist der Autor tatsächlich fünf, sechs Jahre älter geworden, und ich habe natürlich keine Ahnung, ob das Konzept von der Altersmilde wirklich existiert, aber ich muss unter Berücksichtigung der mir innewohnenden Offenheit, dass es also sicherlich nicht immer bis hin zu fast nie um ein "Entweder-Oder" gehen kann, soll, darf und muss, zugeben, dass ich diejenigen Stimmen, die an der Stelle von Chaos und Ungezügeltheit lieber Ton, Aura und Melodie hören wollten, mittlerweile besser verstehen kann. Es wird hoffentlich nie für Brönners Till reichen, aber für dieses fantastisch strahlende Album des britischen Trompeters Matthew Halsall gleich für die nächsten Jahre und Leben. 

"When The World Was One" war der höchste Neueinsteiger seit so ziemlich immer, praktisch von der 0 auf die 5, würde Der Dieter! Der Thomas! Der Heck! in seine sechs "Linie Aquavit" hineinsprotzen, die als Standgasportion hinter der Hitparadenkulisse auf ihn warteten. Es mag ganz bestimmt nicht der wildeste Ritt auf dem Rücken eines durchdrehenden Pferdes sein, aber ich habe in den letzten Jahren keine schönere und wärmendere Mischung aus modalem Jazz der 1960er und dem spirituellen Jazz der 1970er Jahre gehört, eine Mischung, die einerseits so unprätentiös, andererseits so selbstbewusst klingt, sodass nicht mal eine Sekunde Platz ist für eine ansonsten immanente Käsigkeit und den berüchtigten Muckerkitsch. "When The World Was One" ist eklektischer, nachdenklicher, moderner Jazz - hypnotisch und meditativ, nicht nur mit dem besten, was die britische Jazzszene gerade zu bieten hat - Taz Modi am Piano, Flötistin Lisa Mallett, Luke Flowers (u.a. Cinematic Orchestra) am Schlagzeug, Nat Birchall am Saxofon und Gavin Barras am Bass - sondern auch mit einer entsprechenden Instrumentenvielfalt ausgestattet: Rachael Gladwin setzt ihre Harfe unter anderem prominent und selbstverständlich beim Albumhighlight "Tribute To Alice Coltrane" ein, Keiko Kitamura spielt das japanische Koto, eine mit Seide bespannte Wölbbrett-Zither. 

Wer sich gerne mal ein halbes Fläschchen Tramal einbaut und die nächsten acht Tage ohne Toilettengang zugedeckt im Bett verbringt, weil's so schön entspannt und weil's außerdem ein heimlicher Traum von mir ist, oder morgens zum ersten Kaffee gleich den Lautsprecher ablecken will, weil's natürlich auch ein Traum von mir ist, aber wenigstens einer, der wegen dieser Platte mittlerweile in Erfüllung gegangen ist, der weiß, was jetzt zu tun ist. 





Erschienen auf Gondwana Records, 2014. 

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