13.07.2015

Vegan Christ Superstar



Sich Probleme zu machen, gehört zugegebenermaßen nicht nur zu meinen herausragenden Eigenschaften als zwischen Lohnarbeit und Teilzeitpunkrocker umherdackelnder Mensch des Web 2.0. Es gibt darüber hinaus praktisch nichts, was in meinem Leben einfacher zu erledigen wäre, denn Stoff für einen schönen Wutanfall gibt's en masse; und wenn alles zu dolle Licht und Liebe ist, dann genügt im Zweifel ein aufmerksam zur Kenntnis genommener Leserkommentar auf der virtuellen Heimat unserer Qualitätsmedien oder ein in vollem Bewusstsein angeschauter Werbeblock der fernsehmedialen Verblödungsanstalten, zu denen mir bisweilen nichts weiter einfällt, außer die eigene Denkvorrichtung mit größtmöglichem Schmackes auf die Kante des Wohnzimmertischs zu knallen, weil Schmerz bekämpft bekanntermaßen Schmerz und Feuer bekämpft Feuer - das kenne ich von der zweiten Platte der Intellektuellenband Metallica. 

Nun ist's aber geradewegs, wie so beinahe alles um uns herum, systemisch so fein eingedreht und ausgezwirbelt, dass any promotion tatsächlich good promotion ist, und wo es mindestens angebracht wäre, jedem, also wirklich jedem moralisch degenerierten Gehirnauszuzzler, der auch nur im mikroskopisch kleinsten Ansatz mit der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung des sogenannten und ausschließlich vom hinterletzten Zellgerumpel konsumierten "Pizzaburgers" zu tun hat, einem brutalstmöglich ausgefeilten Quadratsonderquatsch von Doofen für Doofe, denen man beiderseits mindestens 37 Stunden pro Tag einfach nur die Fresse polieren will, einfach für, äh - 37 Stunden pro Tag die Fresse zu polieren, und man das im Sinne der Aufklärung, der Mentalhygiene und der gesellschaftlichen Intellenzoptimierung (sic!) mit gigantomanischem Druck in den Volksschwellkörper hineinpressen will, damit das Leben für uns alle besser, schöner und toller wird, dann gibt's konsequenterweise in 9 von 10 Fällen die Frage "Pizzaburger? Issen ditte?" und am Ende fressen's den von echten Nihilisten ersonnenen Wohlstandsscheißdreck auch noch. Was wurde also erreicht? Die Twittertimeline wird in Folge geblockter und damit künftigen ex-Follower schmaler - was grundsätzlich zu begrüßen ist, aber die Marketingabteilung bei Dr.Doofkopp Oetker freut sich Ende des Jahres über 340% Boniausschüttung ein zweites Loch in den Pöter. 

"Theorien über Konsumkritik in der postkapitalistischen Gesellschaft", von Howard Carpendale und Sascha Hehn, Frankfurt, Brummsummsel Verlag, 2015. Bitte, Danke, Rechnung folgt. 

Ein ähnlich zu beobachtendes Phänomen ist die seit einigen Jahren andauernde Diskussion über den Star der wenigstens deutschsprachigen Veganerszene Attila Hildmann, der tatsächlich nicht erst seit gestern jedem, der auch nur mit einem Hauch Empathie und Klarsicht ausgestattet ist, durch permanenten Protz und despiktierliche Aussagen über diejenigen, die unverständlicherweise seine Bücher kauften, negativ auffiel. Nach seiner erfolgreichen Darstellung einer tief nach vorne gebeugten Werbehure für Porsche inklusive eines ultrapeinlichen, zweieinhalb quälende Minuten dauernden "Ich hab' den Längsten!"-Werbefilms - er will ja immerhin nach Hollywood und nicht etwa nur nach Castrop-Rauxel -  und vor allem angesichts seiner jeder Beschreibung spottenden "Vegangsta"-Videoreihe auf Youtube, merken ein paar Menschen mehr, dass sie möglicherweise seit Jahren von einem Schwachstromelektriker mit Vermarktungsdiplom an der Nase herumgeführt wurden. 

"Sex sells einfach." (A.Hildmann)

Als mein Zorn angesichts seiner flachen, in furchtbar peinlichem Englisch erzählten, latent sexistischen und mit Gewaltszenen kokettierenden "Vegangsta"-Videos und der bemitleidenswert naiven Rechtfertigung mittels des beliebten "Das ist ein Kunstprojekt und ihr seid eben alle zu doof und versteht das nicht!" - Arguments einen vorläufigen Höhepunkt erreichte, und ich am Frühstückstisch der Herzallerliebsten davon erzählte, dass man darüber doch mal locker schreiben könnte, wo nicht müsste, bekam ich den Kopf mit veganem Leberwurstersatz gewaschen: über so einen schreibe man nicht, vor allem würde man dann doch dieser ins Youtube-Bild gegossenen Superscheiße auch noch eine weitere Plattform geben, und könne ich es denn außerdem verantworten, dass vielleicht junge Menschen auf "Vegangsta" aufmerksam werden?

Disclaimer: folgendes Video verursacht Schmerzen.




Letzteres ist konkret in meinem Fall natürlich Kappes, denn ich habe keine jungen Leser, weil die jungen Leute außer ganzseitigen Werbeanzeigen für den Pizzaburger generell nichts mehr lesen, gar nichts, nada, niente - aber der Rest ist natürlich valide: was juckt's die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt? Ich lebe seit jetzt skandalösen 38 Jahren bestens ohne direkte Verbindung zu dem aufgepumpten Berliner Gernegroß, der neulich übrigens weitere Sympathiepunkte sammeln konnte, als er Jamie Oliver als zu fett bezeichnete, um uns Deutschen etwas von gesunder Ernährung zu erzählen, und habe meine zweieinhalb Jahre als Veganer ohne eines seiner megakomplizierten Rezepte ("Hier ist eine Pita, da tu' ich jetzt Tomatenmark und ein paar Champignons aus der Dose drauf, mhhhmmm, Pizza ist fertig!") verbracht. 

Es gibt primagute vegane Kochbücher von primaguten Menschen, ich brauche seine "Wieg'n Dschellensch" (Hildmann) ganz bestimmt nicht. Ist es das also wirklich wert?


Hildmann vertritt die vermeintlich dunkle Seite des Veganers: er legt vor allem wert auf Gesundheit und Fitness und verbindet diese beiden Schwerpunkte mit einer veganen Ernährung. Dafür lässt er sich regelmäßig mit Quellbizeps und Waschbrettbauch ablichten, bezeichnet die vegane Ernährung in erster Linie als "Diät" und hält von Fragen zur Ethik, zur Moral und zum gesellschaftlichen Umgang mit Tier und Umwelt nicht so irrsinnig viel, jedenfalls nicht im Vergleich mit seinem Kontostand. Das alleine bietet vor allem im emotional ordentlich aufgeheizten Milieu genügend Spielraum für Kritik, und dass da einer seit Jahren auf Veganerkönig macht, sich zeitgleich die Ledersitze in der klima- und ressourcenschonenden Studentenschüssel von Porsche vor Selbstgeilheit vollsabbert und Menschen, die aus den erwähnten ethischen Gründen die vegane Lebensweise bevorzugen, herabsetzend als "Müsli-Jürgen" und ungewaschene Waldmenschen bezeichnet, bringt mich auch an die Grenzen dessen, was ich in meinem Wertesystem noch unter jener Rubrik einsortieren würde, in der sich die verwirrten Unsympathen austoben dürfen. Die sind halt da, man hat Mitleid, aber lässt sie ansonsten links liegen. 

Auf der anderen Seite kann ich generös Hildmanns positiven Einfluss auf die vegane Szene (und die darüber hinaus) anerkennen - er hat zweifellos zu der guten Entwicklung beigetragen, wegen der sich Veganer heute nicht mehr nur mit Papiertüte über dem Kopf in ein Restaurant setzen müsssen. Und dass Erfolg nicht dazu führt, überall mit offenen Armen empfangen zu werden, ist auch klar. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Zudem habe ich selbst nicht zu selten die Erfahrung gemacht, von genau den Menschen, die sich über nichts und gleich drei Mal nichts Gedanken machen, verbal angeschissen zu werden, weil auf meiner vor 8 Jahren gekauften Laptoptasche das Herstellerlogo auf einen kleinen Lederriemen gedruckt wurde. Und weil man völlig verblendete Veganer mit Doppelmoral eben am einfachsten mit dieser eigenen Gewissensreinigung abkanzeln und decouvrieren kann, indem man also die Bewertung des eigenen Lebenswandels auf den Kopf und jene der anderen dafür ins Güllefass kippt, damit der Schmerz im Dachgeschoss nicht all zu unerträglich wird, ist das auch in meiner Realität ein oft beobachtetes Phänomen. Will ich mich wirklich auf die selbe Stufe mit diesen Typen stellen, die aus ihren 40qm Couchlandschaft immer alles sofort torpedieren, unfair argumentieren und selbst den Arsch nicht hochbekommen?

Nein, will ich nicht.

Aber muss man den Medialchaoten, den Lautsprechern, den Machos, den Aufgeblasenen, den Unaufrichtigen, den Denunzianten, den Respektlosen und den schmerzhaft Arroganten wirklich immer und überall alles kritiklos durchgehen lassen?





Ende Juni 2015 hat das Portal indyvegan.org die seit längerer Zeit kursierenden Gerüchte um Strongman Andreas Hordan aufgegriffen, wonach Hildmanns rechte Hand in Sachen "Vegangsta" nicht nur wegen seines "Ruhm & Ehre"-Tattoos, sondern auch wegen weiterer verbaler und relativ eindeutiger schriftlicher Ausfälle mehr als nur leichte Tendenzen und Kontakte zum Rechtsradikalismus pflegen soll. Der in den Videos von Hildmann als „Müsli-Jochen-Klatscher“ und später als „Hippie-Smasher“ auftretende Hordan darf mittlerweile und dank der detaillierten Recherche des Indievegan-Teams als überführt gelten, eindeutig rassistische, islamfeindliche und antisemitische Statements abgegeben zu haben. Zu seinem Vokabular gehören "widerlicher Musel" und "verfilzter Affe" als Bezeichnung für einen Moslem, sowie "Herr Affe" für US-Präsident Obama. Oh, "Gutmensch" lässt sich auch finden. 


"Aus dem Instrumentarium reaktionärer Ideologien ist fast alles dabei. Verschwörungsthesen, Rassismus, Xenophobie, Antisemitismus, Homophobie, Verteidigung von Reichsbürgerideologen und Ableism. Dass das Rechtspopulistinnen-Buzzword „Gutmenschen“ auch mehrfach dabei ist, wundert uns mit Blick auf Hordan und sein Umfeld nicht. Wir haben vergeblich nach Argumenten gesucht, dabei jedoch leider nur Kommentare gefunden, die Hordan gegen einen „Nazi“-Vorwurf verteidigen, der von uns nicht gemacht wurde. Zudem fanden sich eine Reihe von Beleidigungen gegen unsere Autorinnen." (Indyvegan.org)

Und schon könnte man wieder argumentieren, dass Hildmann den ganzen Wirbel selbst inszeniert hat, denn jedes halbwegs größere Klatschportal (u.a. Stern.de, siehe oben) schrieb über den vermeintlichen Skandal, "Vegangsta" war in aller, wenn auch schlechter Munde. Und außerdem muss ich auch völlig nüchtern das weiter oben erwähnte "Was juckt's die Eiche..." Zitat nochmal verwenden, nur dieses Mal in die andere Richtung: Hildmann ist nach wie vor der Vegan Christ Superstar, weiterhin sehr erfolgreich und hat immer noch Tausende loyal ergebener Fans - was wird's ihn jucken, dass ich hier mein virtuelles Wohnzimmer vollkotze?  

Inhaltlich bleibt sein Auftritt natürlich trotzdem auf jeder Ebene völlig inakzeptabel. 

Und darüber soll ich nicht schreiben? 

"Und das ist voll schlimm, dass so asoziale Typen so 'ne Asi-Lobby sich gebaut haben und man traut sich nicht mehr, was zu sagen." (Olli Schulz)

You wish!





12.07.2015

Gonna stab you in the eye with a foreign object




THE MOUNTAIN GOATS - BEAT THE CHAMP


Ein Konzeptalbum über Wrestling. Können wir also jetzt auch abhaken.

Der junge John Darnielle, immer noch der fast einzige aus der Riege aktueller Singer/Songwriter, den ich in meinen 3,40qm Luft, Liebe und Musik mehr als nur dulde, hatte mit dem jungen Florian nicht nur die Jugendliebe für den Heavy Metal gemein, wir teilten uns darüber hinaus auch die jugendliche Faszination für Wrestling. Inhaltliche Zusammenhänge zwischen diesen beiden Subkulturen können nicht ausgeschlossen werden.

Darnielle liegt nicht falsch, wenn er in den Liner Notes besonders den moralischen Aspekt des Wrestlings in den Vordergrund schiebt, wie er die Sehnsucht nach Gerechtigkeit betont und wie sie einer verlorener Seele Kraft und Trost spenden kann. Darnielles Wrestlingzeit endete, als er 13 war. Da begann ich gerade, mich nach Gerechtigeit zu sehnen. Um diese toll erzählten Geschichten hat das Trio Darnielle, Hughes und Wurster eine oftmals sehr introvertierte Musik gebastelt, ein Spürchen abwechslungsreicher als zuletzt, aber mit den üblichen zwei, drei Hits. 

Was dieses Mal vermutlich wegen der Story fehlt, ist die Weite in Darnielles Musik - dieses Gefühl, als schaue man einen amerikanischen Roadmovie, nach dem man ihn, sein Land und die Menschen, die er auf seinen Reisen trifft, besser kennt. Das wurde auf "Beat The Champ" gestrichen, aber immerhin mit manchmal pieksender, weil selbst bekannter Introspektion ersetzt.

Hier ist "The Legend Of Chavo Guerrero". And don't be afraid of pop music, 'cause it's good for you. 




Erschienen auf Merge Records, 2015.

07.07.2015

The Saint Is Back




ARMORED SAINT - WIN HANDS DOWN


Die Wiederentdeckung einer Legende. Das erste Album seit fünf Jahren scheint die Band aus Los Angeles geradewegs in jene Erfolgssphären zu führen, in welchen sie eigentlich schon seit knapp 30 Jahren zu Hause sein müsste - und das nicht nur bei zwei Handvoll "Piepels" (Schwiegermutter), die sowieso schon zur eingeweihten und loyalen Fanbase zählen. Es gibt praktisch niemanden, der "Win Hands Down" nicht wenigstens mit anerkennendem und wohlmeinendem Kopfnicken quittiert, die Regel sind indes geradewegs Begeisterungsstürme. Als hätten Metalfans jahrelang auf genau dieses Album gewartet. Ich kann es ihnen nachfühlen, aber dazu später mehr. Und selbst die Herzallerliebste protestiert bedeutend leiser, als sie es bei anderen Heavy Metal Bands für gewöhnlich tut (Nudelholz, Stabmixer, Androhung von Beischlafentzug).

Armored Saint haben sich schon vor über 20 Jahren von der Vorstellung verabschiedet, die ganz großen Erfolge zu feiern. Als der Fünfer nach ihren von Kritikern und Musikerkollegen gefeierten, aber von der breiteren Öffentlichkeit weitgehend ignorierten US Metalalben in den 1980er Jahren und vor allem der beeindruckenden Hitsammlung "Symbol Of Salvation" aus dem Jahr 1991 immer noch kein kommerziell verwertbares Bein auf den Boden bekam, nahm Sänger John Bush das lukrative Angebot der New Yorker Anthrax an, den kurz zuvor gefeuerten Joey Belladonna am Mikrofon zu ersetzen - und Armored Saint waren Geschichte. Das gute Comebackalbum "Revelation" aus dem Jahr 2000 muss im Rückblick als vermeintlich letztes Aufbäumen verstanden werden, was jedoch so schnell wie erfolglos wieder zu den Akten gelegt wurde. 

Zehn Jahre später, Bush war mittlerweile von den völlig desolaten Anthrax vor die Tür gesetzt worden, um gemeinsam mit dem Heimkehrer Belladonna der Nostalgie ein Ständchen zu blasen, erschien etwas überraschend "La Raza" - eine umwerfende und erholsam organisch produzierte Platte, die eine Band zeigte, die zwar den Drang, die großen Tofufleischtöpfe zu erreichen mittlerweile aufgab, aber dafür hörbar ohne jeden Druck groß aufspielte. Hauptsongwriter, Produzent und Bassist Joey Vera, der die Jahre zuvor unter anderem mit Fates Warning und Tribe After Tribe arbeitete, hatte seinen alten Kumpels ultralockere Metalsongs mit tonnenweise Hooklines und Feeling vorgelegt, die zu gleichen Teilen zwingend und unaufgeregt klangen. Große Teile der Szene zuckten auch für "La Raza" nur ratlos mit den Schultern, was unter dem Eindruck von klanglich heillos aufgepimpten Metalproduktionen, die die Hörgewohnheiten besonders der nachwachsenden Generation in den letzten 15 Jahren in eine phantasie- und seelenlose Ecke drängte, beinahe legitim erscheint: "La Raza" wurde vermutlich nicht nur gefühlt in Veras Schlafzimmer eingespielt und auf dem Gästeklo abgemischt, und wer seine Lauscher von dem ganzen sonstigen überproduzierten Dreck derart ausgiebig manipulieren ließ, konnte schon der Ansicht sein, dass der Platte etwas die Durchschlagskraft fehlt. Wer allerdings noch wusste, wie ein echtes Schlagzeug oder eine simpel vor sich hin brutzelnde E-Gitarre klingt, und außerdem noch die verblasste Erinnerung an Sänger hatte, die wirklich singen können, wer darüber hinaus große, offene Melodiebögen, klassisch-hochwertiges Songwriting und Groove nicht für cheesy, unnütz und veraltet hält, der warf sich für dieses wunderbare Album in den Staub. So tat's auch meine Wenigkeit, natürlich erst kerzengerade vier Jahre nach der Veröffentlichung, aber für ein solches Erlebnis hätte ich auch gerne doppelt so lange gewartet.

Fünf Jahre nach diesem Geniestreich erschien vor wenigen Wochen nun "Win Hands Down", dank einem Schippchen mehr Druck und Härte ein rassiges, zeitloses, modernes und zugleich klassisches Metalalbum, das nicht nur qualitativ zum großen Kultklassiker "Symbol Of Salvation" aufschließt, sondern auch hinsichtlich des Songwritings einige Parallelen aufweist: so ist "Muscle Memory" das "Last Train Home" des Jahres 2015, und "Dive" die moderne Variante der Ballade "Another Day". Der im Vordergrund stehende Star dieser Platte ist natürlich Sänger John Bush, der längst seine Kreise in jener Champions League Gruppe zieht, in der auch ein Bruce Dickinson, ein Ronnie James Dio und ein Ron Halford spielen. Trotzdem erscheint es falsch, nur den begnadeten Metalsänger Bush hervorzuheben, denn das siebte Studioalbum ist genau wie der Vorgänger in erster Linie eine Gemeinschaftsarbeit von fünf absoluten Könnern, die sowohl technisch als auch in der Interpretation und feiner Nuancierung ihrer Musik zu den ganz großen Ausnahmemusikern der Metalwelt zählen.

"Win Hands Down" macht zwei für mich ganz fundamentale Punkte klar: zum einen kenne ich keine andere Band, die ihren vermeintlichen Höhepunkt vor gut 30 Jahren hatte und auch heute noch soviel Feuer, Kraft und Leidenschaft versprüht wie diese taufrisch klingende Truppe. Man kann es Armored Saint nicht hoch genug anrechnen, dass sie trotz chronischer Erfolglosigkeit noch immer derart vehement für ihre Musik brennen. Man kann also auch mit 50 noch so geil klingen - und das macht außerdem Hoffnung für die eigene Bandkarriere.

Zum anderen: schon sehr lange frage ich mich angesichts meiner andauernden Ablehnung gegenüber aktuellem Metal, ob ich einfach so scheiße geworden bin und mich so verändert habe, dass ich diesen seelenlosen, billig hingeklatschten, überproduzierten, kalkulierten, risikoarmen Dreck, der seit mindestens 15 Jahren die Szene überschwemmt und verstopft und sich trotzdem immer noch verkauft wie preisreduziertes Klopapier aus naturbelassener Jute, nicht mehr ertragen kann. Oder ist es wirklich die Musik, die sich zu diesem seelenlosen, billig hingeklatschten, überproduzierten, kalkulierten, risikoarmen Dreck entwickelt hat, der sogar aus sicherer Entfernung so unerträglich erscheint wie eine neue Talkshow für Johannes "Bumsi" Kerner - und jetzt habe ich endlich die Antwort: Es ist die verkackte Musik! ES IST DIE VERKACKTE MUSIK! 

Dafür hat es einfach nur diese umwerfende, unfassbar viel Spaß machende, mit links und einem breiten Grinsen aus dem Ärmel geschüttelte Platte gebraucht.

In diesem Sinne ein ganz ernst gemeintes: Danke, Jungs!  




Erschienen auf Metal Blade, 2015.


05.07.2015

Rain Dance @ Silent Season


Eigentlich sollte hier heute Abend etwas über die neue Armored Saint LP stehen.

Wir verschieben das mal.

Tanzt für Regen. Los jetzt.






Mixed by Silent Season

04.07.2015

Die fundierte Kulturkritik (XIV)

Wenden wir uns für dreikommaviernull Minuten etwas wirklich Relevantem zu, "denn das Leben ist doch hart genug" (Rodgau Monotones):

Der Ghostwriter, Kaffeekocher und lesbische Schwulenkommunistennazi von Deinem Lieblingsblog "3,40qm" wirft mir und Dir gerade eine wichtige Information durch die 40,3°C Raumtemperatur rüber und im Zweifel kann ich's immer noch auf die Hitze schieben, aber er sagt, das sei eine total legitime und also auf- und vor allem richtige Feststellung, und das könne man schon mal machen, damit das hier nicht allzu süßlich und blümelich (sic!) und tralala wird, vor allem auch deshalb, weil Seeed in unangemessener Weise viel zu selten gedisst und heruntergeputzt werden:

Seeed ist eine Berliner Musikgruppe, die vor allem in den Genren Reggae und Dancehall tätig ist. Sie besteht aus elf Musikern und gewann dreimal den Echo.

Viel ekelhafter kann Musik und das dazugehörige "Bisinäss" (L.Matthäus) kaum mehr werden.

Schwerter zu Ventilatoren! Dildos zu Milchaufschäumern! Bock für Gärtner (beziehungsweise: zum)!

Warm es zu ist!

30.06.2015

Freedom Throughout The Universe




BLACK FIRE! NEW SPIRITS! 
Deep and Radical Jazz in the USA 1957-82



"Der in den späten fünfziger Jahren in den USA aufgekommene Free Jazz, der später auch in Europa eine spezifische Ausprägung fand, entstand als Ausbruch aus den vorgegebenen musikalischen Konventionen und reflektierte gleichzeitig den Befreiungskampf der afro-amerikanischen Bevölkerung." (Wolfgang Sterneck) 

Diese Ende 2014 auf Souljazz Records veröffentlichte Compilation war schon längere Zeit auf meinem Zettel, und um ein Haar hätte ich bei unserem Plattenladenbummel durch die Domstadt bei Parallel Records zugegriffen - ich entschied mich dann aber doch in buchstäblich letzter Sekunde für das Debut von Gil Scott Heron. Nun liegt das schwere 3-LP Set trotzdem auf meinem Tisch und Plattenspieler, nachdem meine beiden Bandjungs in einer heimtückischen Nacht- und Nebelaktion die Herzallerliebste meine 13 virtuell verteilten Wunschzettel durchwühlen ließen und es mir zum Geburtstagsgeschenk machten. Tränen der Rührung. Echt.

In Ermangelung technischer Kenntnisse über Jazz und der ipso facto ausbleibenden hysterischen Schreie über Tonleitern, Harmonielehre oder Geschwindigkeitsexzesse blieb mir ab meiner ersten Jazzerleuchtung via Coltranes "A Love Supreme", und man läute jetzt bitte hektisch die Klischeebimmel, nicht viel mehr als Atmosphäre, Zusammenspiel, Klang, Tiefe und für den Kontext: das Leben der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA der sechziger Jahre, die Civil Rights Bewegung, Black Panthers und Dr.Martin Luther King.

"During this phase of its history, jazz music was in a state of revolution. The music and lives of African-American artists radicalised at the start of the 1960s by the civil rights movement, Black Power and a new spiritual awakening, the consequences of which would be felt for many years." (S.Baker in den Liner Notes)

"Black Fire! New Spirits!" verteilt auf zwei CDs oder drei LPs insgesamt vierzehn Tracks aus den turbulenten Jahren der amerikanischen Jazzmusik und hält dabei eine gute Balance zwischen bekannteren Musikern wie Archie Shepp (hier zusammen mit Jeanne Lee), Yusef Lateef, Don Cherry, Joe Henderson und Grachan Moncur III und den obskuren und vergessenen Künstlern wie Tyron Washington, David Lee Jr. oder Pheeroan Aklaff. Die wie von Souljazz gewohnt ausführlichen Liner Notes zu jedem einzelnen Musiker setzen Stein für Stein das Mosaik der damaligen Zeit (und auch dieser Compilation) zusammen.

Es mag in diesem Zusammenhang überraschen, dass viele vertretene Musiker aus Detroit stammen. Baker schreibt dazu, dass die Motor City eine wichtige Rolle in der Radikalisierung des Jazz spielte. Angetrieben durch den experimentell ausgerichteten Detroit Artists Workshop in den 1960er Jahren wurden nicht nur Musikerkollektive und Plattenlabels wie Strata oder Tribe gefördert, der vom Jazzkritiker, White Panther-Aktivisten und späteren Manager der skandalträchtigen Rockband MC5 John Sinclair organisierte Free Jazz/Hard Rock Workshop brachte außerdem einige merkwürdige, aber interessante Zusammenstellungen ans Tageslicht: So war beispielsweise der Jazztrompeter Charles Moore für einige Zeit Bandmitglied bei den MC5.

Das intensivste Stück von "Black Fire! New Spirits!" ist sicherlich "Universal Spiritual Revolt" von Tyron Washington. Ein zunächst ausgelassen beginnender funky Jazztune, der urplötzlich in einen wilden Orkan mit Glocken, irrem Gebläse und "Freedom!, Freedom!" Geschrei umschlägt und am Ende wieder beschwingt in das Eingangsthema wechselt, als wäre nichts geschehen. "Universal Spiritual Revolt" hat eine unbändige Kraft, laut abgespielt kann man während dieser neun Minuten kaum stillsitzen. Washington nahm Ende 1967 sogar eine Platte für das Blue Note Label auf ("Natural Essence"), spielte Sessions mit Jackie McLean, Woody Shaw und Herbie Hancock - wenngleich die "Train Wreck Sessions" genannten Aufnahmen mit letztgenanntem nie offiziell veröffentlicht wurden - und verließ nach seiner letzten, 1974 erschienenen Platte "Do Right" und der Konvertierung zum Islam die Musikwelt.

Es sind solche Geschichten, die mich magisch anziehen. Und es sind auch solche Platten wie von Washington, dem Creative Arts Ensemble oder von Lloyd McNeill und Marshall Hawkins ("Tanner Suite", demnächst mehr), die mich faszinieren und mich in die Plattenläden treiben, sowohl die virtuellen als auch die letzten Überlebenden in unseren Städten.

"Kennzeichnend für einen beträchtlichen Teil der MusikerInnen war ein systemkritisches Bewußtsein. Schon der Free Jazz als musikalische Stilform an sich, setzte die Bereitschaft voraus, aus den gängigen gesellschaftlichen Konventionen auszubrechen und sich einer freieren, undogmatischen Ausdrucksform zu öffnen. Darüber hinausgehend kam oftmals es zu einem klaren Bekenntnis zu revolutionären Positionen. Der Saxophonist Archie Shepp faßte diese Haltung 1968 in einer plakativen Weise zusammen: ”Der Jazz gehört zu den gesellschaftlich und ästhetisch wichtigsten Beiträgen Amerikas. Er ist gegen den Vietnam-Krieg; er ist für Kuba; er ist für die Befreiung aller Völker. Das ist die Natur des Jazz, ohne daß man da allzu weit zu suchen brauchte. Warum? Weil der Jazz selber eine Musik ist, die aus der Unterdrückung, aus der Versklavung meines Volkes hervorgegangen ist.” (Wolfgang Sterneck)


Es gibt noch viel zu tun. Und viel zu hören. Und viel zu lernen.






Erschienen auf Souljazz Records, 2014.

27.06.2015

Üntergründ



AUDESSEY & A CAT CALLED FRITZ - 
BEATS PER MINUTE


Wäre "Beats Per Minute" nicht schon Ende 2013 digital, beziehungsweise im September 2014 auf Vinyl veröffentlicht worden, würden wir dieser schnuckligen LP ganz bestimmt in meinen Jahrescharts 2015 erneut begegnen. So darf ich erst hier und heute, ganz lässig und dennoch leicht erregt, auf eine Platte hinweisen, die das Zeug hat, sich zu einer primaguten Sommerplatte zu entwickeln.

Die Zusammenarbeit zwischen dem MC Audessey (u.a. Soundsci) und dem in Paris arbeitenden Produzenten A Cat Called Fritz konnte im Hip Hop Underground durchaus einigen Staub aufwirbeln und bietet klassischen, jazzigen Hip Hop mit dusty Vibes, verhuschten Beats und einem Audessey mit kristallklarer und punktgenauer Performance am Mic. Musikalisch erinnert das bisweilen an eine tiefenentspannte und leicht zugegraste Version des immer noch blendend funktionierenden "First Serve" Albums der beiden De La Soul MCs und der ebenfalls französischen Beatschnippler Chokolate und Khalid - in erster Linie, weil sich die Leichtfüßigkeit und Unaufgeregtheit des Sounds mit dem Drive und dem Flow der Beats und Rhymes ähnlich miteinander verbrüdern. 

Kein neumodisches Gebritzel, keine störenden Experimente - einfach sehr, sehr guter Hip Hop, der gleichzeitig nicht über Gebühr den Rückwärtsgang eingelegt hat, um sich bei alten Helden beziehungsweise deren Fans zu bedienen. 





Erschienen auf Slice Of Spice, 2013/2014.

24.06.2015

Four Tet - Morning / Evening




FOUR TET - MORNING / EVENING


Uuuuund der nächste heiße Kandidat für die Jahresbestenliste - was ist denn nur dieses Jahr los? - Kieran Hebdens Alter Ego Four Tet mit dem ersten Album seit dem 2013er "Beautiful Rewind"- Stahlwollenklumpen aus feinster geschlagener Jazz-Schlagsahne mit Sauerkrautdressing.

Hebden kokettiert ja nicht selten mit seinem selbstauferlegten Exil der virtuellen Vermarktung, andererseits: wer könnte es ihm übel nehmen? Der Mann ist seit Jahren als gefragter DJ nicht undick im Geschäft, während seine Platten auch nicht gerade wie drei Wochen alter Delfinsalat in den Regalen liegen - immerhin geschieht  das alles ohne den ganzen virtuellen Firlefanz aus Youtubehausen, Spotifykloake und iTunesirrsinn. Da kann man schon ein bisschen neidisch werden, ganz bestimmt lässt sich aber galant der Hut zu einem geplerrten "Chapeau!" lupfen. 

"Morning / Evening" ist spirituelles Four Tet-Futter für die immer noch stetig wachsende Fangemeinde, wie immer mit deutlichem Krauteinfluss unter dem (überraschend straighten) Technobeat, wie immer in der Gesamtanlage ein schräges Erlebnis und supergut dazu geeignet, den Home Office-Arbeitsraum mit Licht zu fluten, höre "Morning" mit seinen schlappen 20 Minuten Laufzeit. Die bösen Geister am Abend werden mit "Evening" vertrieben, die gerade mal eine halbe Minute kürzere B-Seite. Und trotz dessen, dass da oben skandalöserweise sogar zwei Mal "wie immer" steht, ist bei der gebliebenen Konsequenz alles ein bisschen anders, ein bisschen breiter, ein bisschen aufgeschlossener, ein bisschen tiefer. Vielleicht aber auch bloß noch ein bisschen zentraler auf dem Planeten Hebden platziert.

40 Minuten Seelenmassage. Für 6 Euro auf seiner und Deiner Lieblings-Ich-Unterstütze-Den-Musiker-Direkt-Auf-Bandcamp-Seite.


21.06.2015

This was your life





FELIX LABAND - DEAF SAFARI



Das Cover von Felix Labands erstem Album seit viel zu langen zehn Jahren hat mit einem bedeutungsvollen Nicken in Richtung des Artworks seiner 2005 erschienenen Platte "Dark Days Exit" zwar ordentlich Corporate Identity übergebügelt bekommen, sorgt im Hause Dreikommaviernull, und hier ganz besonders bei der Herzallerliebsten, für verstörte Blicke und deutlich wahrnehmbare atmosphärische Spannungen - und die LP-Version mit folgerichtig riesigem Cover kann dabei helfen, verstärkt auf die Plattenhygiene im Wohnzimmer zu achten, soll es nicht noch schlimmer werden.

Zu meiner eigenen Überraschung werden die erwähnten Differenzen beim Durchhören des Albums nicht nur nicht kleiner, sie werden beinahe zu einer echten Herausforderung. Ich twitterte es neulich bereits: beim epischen "The Devil Threatens Me" zeltet die Mitbewohnerin mental vor der Klagemauer und wirft mir alle paar Minuten ein "Was ist das denn für ein Scheiß?" vor meine qualmenden Ohren - hier könnte ich zur Verbesserung des Klimas glatt "Decade Of Aggression" der Thrashopas von Slayer auf den Player betonieren und die Anlage derart aufdrehen, dass die Bevölkerung in Uruguay noch etwas davon hätte.


"Deaf Safari" ist tatsächlich kein Easy Listening für den Sommer. Der südafrikanische Produzent ist hinsichtlich der kulturellen Verschmelzung elektronischer Tanzmusik mit der Musik und Kunst vor seiner Haustür, um das große Bild zu verwenden: seines Lebens, den berühmten Extraschritt nach vorne gehopst und nach eigener Aussage endlich in seiner Mitte angekommen. Laband hat mit Musik- und Sprachsamples aus seiner Heimat eine musikalische Collage kreiert, die zwar fast immer auf dem berüchtigten 4/4 House-Beat basiert, aber mehr als nur Flashbacks aus afrikanischer Tradition provoziert. Laband verweist hier besonders auf den Kwaito-House Südafrikas, einem Musikstil, der sich in den 1990er Jahren entwickelte und zum Symbol für die Veränderungen zwischen den Apartheid- und Post-Apartheid-Generationen wurde. Diesen zwischen Schwerelosigkeit und aufgeheiztem Bewegungsdrang umhertaumelnden Sound verziert Laband sehr prominent mit fast schmerzhaft intensiven Spachsamples aus Nachrichtensendungen, rituellem Zulu-Gesang und wildem Schamanistengeschrei, mit großer Perfektion ausgewählt und sorgfältig auf jeden passenden Beat getupft. Auffällig ist die Schwere, die die oftmals leichtfüßige Musik damit erhält, und wie stark sich der Fokus auf die Stimmen und die Worte konzentriert.

"Deaf Safari" ist Instrumentalmusik, nur mit Worten.    







Erschienen auf Compost, 2015.


14.06.2015

"Ist das ein ausländisches Shirt, Howard?"




MOTÖRHEAD - BASTARDS



"Bastards" ist ein auf mehreren Ebenen interessantes Motörhead-Album - ein musikalisch überdurchschnittliches noch dazu. Das kommt, zur besseren Einordnung, immerhin von einem Typen, der nicht gerade als der allergrößte Motörhead-Fan gilt und darüberhinaus die Vergötterung eines alten, kranken Mannes inklusive der Heroisierung seines Verfalls nicht so richtig verstehen mag. Und der nicht mal im Ansatz schnallt, was zur Jahrtausendwende passiert sein muss, um die Band aus dem kommerziellen Koma zu holen, in dem sie bis zum 2000er Album "We Are Motörhead" vor sich hin dämmerte. Ganz besonders zwischen 1993 und 1999 krähte fast kein Hahn nach neuer Musik des Trios, und plötzlich schoss man mit dem sechzehnten Studioalbum geradewegs durch die Decke. Ein Erfolg, der übrigens bis heute anhält.

"Bastards" erschien nach dem bitteren und von dem damaligen Label EPIC mutwillig herbeigeführten Flop "March Ör Die" auf ZYX Records, einem zu jener Zeit auf Dance und Techno spezialisierten Label aus dem hessischen Merenberg. Die Umstände dieses Deals sind in Lemmys Autobiografie zum Heulen schön beschrieben; wie es möglicherweise zu erwarten war, endete die Zusammenarbeit jedoch in einer Katastrophe. Zwar wuchteten ZYX eine satte halbe Million Dollar für die Aufnahme über den großen Teich, dafür verstanden die Labelmanager weder etwas vom amerikanischen Markt noch vom Vermarkten einer Motörhead-Platte. "Bastards" war außerhalb Deutschlands praktisch nicht erhältlich, erst später wurde das Album zusätzlich für den japanischen Markt lizenziert.

""Bastards" war eines der absolut besten Alben, die wir je machten, und es verschwand einfach im Nirgendwo." (Lemmy)

Aus musikalischer Sicht ging dem ein oder anderen wirklich etwas durch die Lappen, denn auch wenn "1916" mein Favorit der Quartettbesetzung ist und bleibt, läuft "Bastards" ziemlich knapp dahinter ins Ziel. Das Album überrascht vor allem mit den untypischen und melodischen Songs wie "Devils" "We Bring The Shake" oder "Lost In The Ozone", und natürlich mit der Ballade über Kindesmissbrauch "Don't Let Daddy Kiss Me", die Lemmy im Vorfeld schon Lita Ford und Joan Jett anbot, deren Managements aber kalte Füße bekamen. Auch die Stangenware enttäuscht nicht: der typische Motörhead Opener "On Your Feet, On Your Knees", das Doublebassungetüm "Burner" und der unvermeidliche Hit "Burn To Raise Hell" wirken etwas frischer und zwingender als üblich. Einen nicht zu kleinen Anteil daran dürfte auch die knackige Produktion Howard Bensons haben, der in den kommenden Jahren noch öfter mit der Band zusammenarbeiten sollte. Ein weiterer Aspekt, den man nicht zwangsläufig unter den Tisch fallen lassen muss: "Bastards" war das erste Album, bei dem der neue Drummer Mickey Dee am Songwriting beteiligt war. Dee spielte zwar schon den Großteil des Vorgängers ein, stieß aber erst zur Band, als die Songs bereits geschrieben waren.

"Bastards" ist qualitativ über weite Strecken bedeutend besser als die Alben, die davor erschienen - und besser als vieles, was danach kam sowieso.

Erschienen auf ZYX Records, 1993.

12.06.2015

BVDUB - A Step In The Dark




BVDUB - A STEP IN THE DARK


Hallo, hallo, hallo! Ihr seid auf dem inoffiziellen Werbeblog für Brock van Wey aka BVDUB und meine lilafarbenen und in die Hose gesteckten Olymp-Hemden flattern in der Flatulenz eines Riesenwarans. Der Grund: Weil! Und weil es eine neue Platte gibt. 

Das erste musikalische Lebenszeichen van Weys im Jahr 2015 und damit seit seinem letztjährigen "Tanto"-Meisterwerk, für das er übrigens kürzlich den eingenommenen Betrag von 2005,00 US-Dollar gleich wieder an Organisationen spendete, die an einem Heilmittel für die tödlich endende Katzenseuche FIP (Feline Infektiöse Peritonitis) arbeiten, an der seine Katze starb:
i'm extremely proud and grateful to have been able to make a $2,005 donation in Tanto's name to SOCK FIP and the UC Davis Center for FIP Research. all of this was made possible by all your amazing kindness and support of the album, the cause, and real and true love. as promised, 100% of my costs were also donated, i haven't taken or recouped a penny, and i never will. any and all future sales of the album, both physical and digital, will be donated as well. 
i would also like to add my thanks and respect to SOCK FIP (a completely non-profit volunteer organization who works with UC Davis solely on researching a cure for FIP) for their promise that 100% of the donation will go directly to research for a cure, rather than other, though necessary, satellite costs. 
thank you all for helping make this happen, and for honoring Tanto in the amazing way you have made possible. i'm forever in your debt. 
brock

"A Step In The Dark" erscheint offenbar exklusiv auf dem japanischen ANAY Label, auf dessen Website man das Album in der CD-Version inklusive Download, oder nur als Download sehr unkompliziert bestellen kann. Ich freue mich sehr darüber, denn es ist (natürlich) wieder großartig.

Einige Samples (grrrr) lassen sich auf Soundcloud finden - oder eben genau und jetzt: hier.





Erschienen auf ANAY, 2015.

10.06.2015

Beam me Jimmy one more time



JIM SULLIVAN - JIM SULLIVAN


Ein schneller Nachschlag über das gleichfalls verschollene zweite Album des US-amerikanischen Singer/Songwriters Jim Sullivan. Für alle Interessierten und so. 

"U.F.O." ist, wie angedeutet, nicht das einzige Album Sullivans. Drei Jahre nach dem Debut erschien das selbstbetitelte zweite Werk auf Playboy Records, dem zu Hugh Hefners Playboy-Konzern gehörenden Plattenlabel. Light In The Attic ist hier noch nicht mit einer weiteren Wiederveröffentlichung tätig geworden, was einerseits daran liegen könnte, dass die Sony mittlerweile über ihre Tochter Legacy Records den Playboy-Backkatalog verwaltet, und die Vertragssituation im besten Fall unübersichtlich ist, andererseits ist der Run auf das Original aus den siebziger Jahren nicht mit der Hysterie vergleichbar, die das Debut bei den Plattensammlern auslöste (und weiterhin auslöst). 

Auf Youtube ist das Album indes in voller Länge zu finden und überrascht mit einer etwas rockigeren Ausrichtung. Größtenteils lassen sich auch hier atemberaubende Songperlen finden ("Don't Let It Throw You", "Lonesome Picker", "Amos" und "I'll Be There"), manch anderes ist auf das erste Hören etwas ungewohnt, beispielsweise die beiden Remakes seiner Debutsongs "Sandman" in einer swingenden Barmusikversion mit Bluegrasseinflüssen und "Plain To See", das durch die Beatverschiebung irritierend viel Punch und Attack abbekommen hat. 

Irgendwie hat man das Gefühl, Sullivan wusste mit seinem zweiten Album aus musikalischer Sicht nicht so recht wohin; fast hat es den Anschein, als sei das nicht "sein" Werk. 





Erschienen auf Playboy Records, 1972.

07.06.2015

Purl - Stillpoint

2015 ist bislang ein ganz außerordentliches Jahr für neue Musik, und im Prinzip könnte ich nicht nur wegen der gegenwärtigen Temperaturen bis weit in den Oktober hinein auf eine Hose verzichten. Die kanadischen Spezialisten für Dub Techno und Ambient von Silent Season zerren, um beim Bild zu bleiben, momentan ganz kräftig am Beinkleid.

Es gibt traditionell nur Höhepunkte auf dem Imprint von Labelgründer Jamie McCue: naturverbundene, inspirierende Tonkunst, veröffentlicht in handgemachter, liebevoller Verpackung - und in der Regel schneller ausverkauft, als sich Herr Dreikommaviernull die Hose wieder hochziehen kann.

Womit die Tragik schon angemessen beschrieben ist, denn eine der wunderschön designten CDs zu ergattern - LPs gibt es nur in Ausnahmefällen, siehe zum Beispiel Segues "Pacifica" Meisterwerk - ist nahezu unmöglich.

Aktuell verdreht mir "Stillpoint" von Purl schwer den heuschnupfgeplagten Kopf: eine außergewöhnlich bildhafte, opulente Musik vom schwedischen Produzenten Ludvig Cimbrelius (Bandcamp).





Stillpoint
At the center of us is a focal point of consciousness
Perfectly still, yet vibrant with life
This is our natural state
Ever at peace, yet ever expanding
Ever at peace 
In knowing that being can never cease to be
Thus there is no death
Only eternal life
Ever expanding 
In knowing that eternity is never done
We are in continuous motion towards what lies beyond
Across endless new horizons

~ Ludvig Cimbrelius 2015 ~

Erschienen auf Silent Season, 2015.