ARMORED SAINT - WIN HANDS DOWN
Die Wiederentdeckung einer Legende. Das erste Album seit fünf Jahren scheint die Band aus Los Angeles geradewegs in jene Erfolgssphären zu führen, in welchen sie eigentlich schon seit knapp 30 Jahren zu Hause sein müsste - und das nicht nur bei zwei Handvoll "Piepels" (Schwiegermutter), die sowieso schon zur eingeweihten und loyalen Fanbase zählen. Es gibt praktisch niemanden, der "Win Hands Down" nicht wenigstens mit anerkennendem und wohlmeinendem Kopfnicken quittiert, die Regel sind indes geradewegs Begeisterungsstürme. Als hätten Metalfans jahrelang auf genau dieses Album gewartet. Ich kann es ihnen nachfühlen, aber dazu später mehr. Und selbst die Herzallerliebste protestiert bedeutend leiser, als sie es bei anderen Heavy Metal Bands für gewöhnlich tut (Nudelholz, Stabmixer, Androhung von Beischlafentzug).
Armored Saint haben sich schon vor über 20 Jahren von der Vorstellung verabschiedet, die ganz großen Erfolge zu feiern. Als der Fünfer nach ihren von Kritikern und Musikerkollegen gefeierten, aber von der breiteren Öffentlichkeit weitgehend ignorierten US Metalalben in den 1980er Jahren und vor allem der beeindruckenden Hitsammlung "Symbol Of Salvation" aus dem Jahr 1991 immer noch kein kommerziell verwertbares Bein auf den Boden bekam, nahm Sänger John Bush das lukrative Angebot der New Yorker Anthrax an, den kurz zuvor gefeuerten Joey Belladonna am Mikrofon zu ersetzen - und Armored Saint waren Geschichte. Das gute Comebackalbum "Revelation" aus dem Jahr 2000 muss im Rückblick als vermeintlich letztes Aufbäumen verstanden werden, was jedoch so schnell wie erfolglos wieder zu den Akten gelegt wurde.
Zehn Jahre später, Bush war mittlerweile von den völlig desolaten Anthrax vor die Tür gesetzt worden, um gemeinsam mit dem Heimkehrer Belladonna der Nostalgie ein Ständchen zu blasen, erschien etwas überraschend "La Raza" - eine umwerfende und erholsam organisch produzierte Platte, die eine Band zeigte, die zwar den Drang, die großen Tofufleischtöpfe zu erreichen mittlerweile aufgab, aber dafür hörbar ohne jeden Druck groß aufspielte. Hauptsongwriter, Produzent und Bassist Joey Vera, der die Jahre zuvor unter anderem mit Fates Warning und Tribe After Tribe arbeitete, hatte seinen alten Kumpels ultralockere Metalsongs mit tonnenweise Hooklines und Feeling vorgelegt, die zu gleichen Teilen zwingend und unaufgeregt klangen. Große Teile der Szene zuckten auch für "La Raza" nur ratlos mit den Schultern, was unter dem Eindruck von klanglich heillos aufgepimpten Metalproduktionen, die die Hörgewohnheiten besonders der nachwachsenden Generation in den letzten 15 Jahren in eine phantasie- und seelenlose Ecke drängte, beinahe legitim erscheint: "La Raza" wurde vermutlich nicht nur gefühlt in Veras Schlafzimmer eingespielt und auf dem Gästeklo abgemischt, und wer seine Lauscher von dem ganzen sonstigen überproduzierten Dreck derart ausgiebig manipulieren ließ, konnte schon der Ansicht sein, dass der Platte etwas die Durchschlagskraft fehlt. Wer allerdings noch wusste, wie ein echtes Schlagzeug oder eine simpel vor sich hin brutzelnde E-Gitarre klingt, und außerdem noch die verblasste Erinnerung an Sänger hatte, die wirklich singen können, wer darüber hinaus große, offene Melodiebögen, klassisch-hochwertiges Songwriting und Groove nicht für cheesy, unnütz und veraltet hält, der warf sich für dieses wunderbare Album in den Staub. So tat's auch meine Wenigkeit, natürlich erst kerzengerade vier Jahre nach der Veröffentlichung, aber für ein solches Erlebnis hätte ich auch gerne doppelt so lange gewartet.
Fünf Jahre nach diesem Geniestreich erschien vor wenigen Wochen nun "Win Hands Down", dank einem Schippchen mehr Druck und Härte ein rassiges, zeitloses, modernes und zugleich klassisches Metalalbum, das nicht nur qualitativ zum großen Kultklassiker "Symbol Of Salvation" aufschließt, sondern auch hinsichtlich des Songwritings einige Parallelen aufweist: so ist "Muscle Memory" das "Last Train Home" des Jahres 2015, und "Dive" die moderne Variante der Ballade "Another Day". Der im Vordergrund stehende Star dieser Platte ist natürlich Sänger John Bush, der längst seine Kreise in jener Champions League Gruppe zieht, in der auch ein Bruce Dickinson, ein Ronnie James Dio und ein Ron Halford spielen. Trotzdem erscheint es falsch, nur den begnadeten Metalsänger Bush hervorzuheben, denn das siebte Studioalbum ist genau wie der Vorgänger in erster Linie eine Gemeinschaftsarbeit von fünf absoluten Könnern, die sowohl technisch als auch in der Interpretation und feiner Nuancierung ihrer Musik zu den ganz großen Ausnahmemusikern der Metalwelt zählen.
"Win Hands Down" macht zwei für mich ganz fundamentale Punkte klar: zum einen kenne ich keine andere Band, die ihren vermeintlichen Höhepunkt vor gut 30 Jahren hatte und auch heute noch soviel Feuer, Kraft und Leidenschaft versprüht wie diese taufrisch klingende Truppe. Man kann es Armored Saint nicht hoch genug anrechnen, dass sie trotz chronischer Erfolglosigkeit noch immer derart vehement für ihre Musik brennen. Man kann also auch mit 50 noch so geil klingen - und das macht außerdem Hoffnung für die eigene Bandkarriere.
Zum anderen: schon sehr lange frage ich mich angesichts meiner andauernden Ablehnung gegenüber aktuellem Metal, ob ich einfach so scheiße geworden bin und mich so verändert habe, dass ich diesen seelenlosen, billig hingeklatschten, überproduzierten, kalkulierten, risikoarmen Dreck, der seit mindestens 15 Jahren die Szene überschwemmt und verstopft und sich trotzdem immer noch verkauft wie preisreduziertes Klopapier aus naturbelassener Jute, nicht mehr ertragen kann. Oder ist es wirklich die Musik, die sich zu diesem seelenlosen, billig hingeklatschten, überproduzierten, kalkulierten, risikoarmen Dreck entwickelt hat, der sogar aus sicherer Entfernung so unerträglich erscheint wie eine neue Talkshow für Johannes "Bumsi" Kerner - und jetzt habe ich endlich die Antwort: Es ist die verkackte Musik! ES IST DIE VERKACKTE MUSIK!
Dafür hat es einfach nur diese umwerfende, unfassbar viel Spaß machende, mit links und einem breiten Grinsen aus dem Ärmel geschüttelte Platte gebraucht.
In diesem Sinne ein ganz ernst gemeintes: Danke, Jungs!
Erschienen auf Metal Blade, 2015.
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