14.02.2015

2014 ° Platz 6 ° Deepchord - Lanterns



DEEPCHORD - LANTERNS


Herausragende Dub Techno-Alben sind rar. Auf das erste Hören drohen die meisten Veröffentlichungen nicht gerade vor Komplexität und Tiefe zu bersten, und wer nicht alle Ohren aufsperrt und die Auseinandersetzung sucht, dem wird grundsätzlich nicht besonders viel einfallen, was über das niederschmetternde Urteil "Fahrstuhlmusik" hinaus geht. Und selbst bei umfangreicher Beschäftigung bleibt oft ein fades Gefühl von Ideenlosigkeit zurück. Ich hatte vor einigen Wochen "Lanterns" als das beste Dub Techno-Album des abgelaufenen Jahres bezeichnet und bereits hektisch mit dem Zaunpfahl gewinkt, dass wir im Zuge der Rückschau einen ähnlichen Satz Anfang 2015 nochmal hier lesen werden. Was hiermit abgehakt werden kann. Denn "Lanterns" ist auf vielen Ebenen ein sehr erfreuliches Werk geworden.

Das kann aber aus meinem Musiksessel heraus nur deshalb abgehakt und hinaustrompetet werden, weil ich mich besonders in den letzten Tagen nochmal ausgiebig um "Lanterns" gekümmert habe. Die glitzernde Fassade, die das Londoner Label Astral Industries um diese Veröffentlichung aufgezogen hat, mag zunächst den Blick vernebeln: ein handgezeichnetes Cover im aufklappbaren, schweren Karton, ein großes Poster mit dem Artwork, zwei Vinylbrocken zu je 180g als Crystal-Edition mit blauen Schleiern auf der einen, und roten Schleiern auf der anderen Scheibe. Dazu gibt's handmasturbierte Exklusivität: es wird niemals einen Repress und niemals eine digitale Version von "Lanterns" geben, sagt das Label - neben MP3 beziehungsweise FLAC fallen also auch CDs flach. Dafür mussten satte 40 Euro gezahlt werden. Unter normalen Umständen packt man sich ja an den Kopf. 

Die Kopfschmerzen lassen nach, wenn der erste Durchgang von Rod Modells erster LP für Astral Industries durch die Denkvorrichtung gezogen ist. Ich höre "Lanterns" nun seit über einem halben Jahr regelmäßig und entdecke bei jeder Wiederholung etwas Neues in dem Kosmos von dürren Verästelungen und schwelenden Glutnestern, und jedes neu hinzukommende Element scheint die Dechiffrierung dieser Musik zu erschweren. Ich war schon oft auf der vermeintlich falschen Fährte, was gemessen an der Komplexität von "Lanterns" nicht weiter verwundert, aber die Endgültigkeit bleibt rätselhaft. Wo sich die ehemals erwähnten Alben von Voices From A Lake, Segue oder Conforce sehr bildhaft entwickeln und ihre Darstellung von Klang stets eng mit Erzählungen und Geschichten verbunden ist, erscheint mir "Lanterns" mittlerweile zwielichtig und in seiner unbeweglichen Morbidität beinahe unheimlich. Ich schrieb im November vom "ziellosen Weg durch den Untergrund der Großstadt", was das Gefühl nach wie vor angemessen beschreibt, das dazu passende Bild jedoch ist ausgegraut und an manchen Stellen schlicht erloschen. Ein Denkmal ohne Geschichte. 





Erschienen auf Astral Industries, 2014.

11.02.2015

2014 ° Platz 7 ° Taylor McFerrin - Early Riser



TAYLOR MCFERRIN - EARLY RISER


Wie der Vater, so der Sohn. Hatte ich auf diesem Blog im Jahr 2009 bereits den Klassiker "The Voice" von Bobby McFerrin lobend erwähnt, ist nun sein Sohn Taylor an der Reihe. "Early Riser" ist sein lange erwartetes und über den läppischen Zeitraum von nur sechs Jahren fertiggestelltes Debut, das im abgelaufenen Jahr auf Brainfeeder erschien, dem Label von Flying Lotus-Vorstand Steve Ellington also, und dabei dessen enttäuschendes "You're Dead"-Album ganz nonchalant und mit samtiger Verve gegen die nächste Wand batscht. 

'Nonchalance' ist dabei ein gutes Stichwort: "Early Riser"  ist, ganz dem Titel entsprechend, Guten-Morgen-Musik für den Winter - ob's für den Sommer genauso gilt, teste ich in ein paar Monaten aus. Wenn Herr Dreikommaviernull seine Tage im Home Office verbringt und morgens gegen 8 Uhr den ersten Kaffee des Tages in der Küche zusammenbraut, danach den Rechner hochfährt, um sich gleich anschließend schon über die ersten Mails zu ärgern, dann war diese Platte in den vergangenen Wochen meistens an seiner Seite und gab ihm trotz des Ärgers und des Stresses ein - Verzeihung für das Klischee: ein gutes Gefühl. Manche Wahrheiten sind eben so simpel.

Wie es bei den vorliegenden Genen nicht zwingend anders zu erwarten war, ist die Musik des Multiinstrumentalisten alles andere als "simpel". Dabei ist "Early Riser" nicht überkomplex, wenngleich die verschachtelten Arrangements nebst den zahlreichen musikalischen Fluchtpunkten und Layern, in denen sich die zwölf Kompositionen bewegen, nicht gerade für Mainstream-Pop stehen. Gleichfalls steht aber auch kein avantgardistisches, experimentelles Album auf dem Programm - viel mehr ist Taylors Debut mit seinem Mix aus Neo-Soul, Jazz, Hip Hop und zaghafter Electronica der Soundtrack für diffuses, zwischen transparenten Gardinen durchbrechendes Licht eines neuen Tages, für zurückgezogene Stunden, für ans Bett gebrachten, frischen Kaffee. Für Schneefall. Für ein heißes Bad. Für einen Bademanteltag. Für einen Kuschelsonntag im Bett mit einem Menschen, den man liebt. 





Erschienen auf Brainfeeder, 2014.

08.02.2015

2014 ° Platz 8 ° Electric Wire Hustle - Love Can Prevail



ELECTRIC WIRE HUSTLE - LOVE CAN PREVAIL


Geschlagene vier Jahren wartete ich auf Neuigkeiten vom anderen Ende der Welt und endlich hatte der Musikgeist 2014 ein Einsehen. Das mittlerweile zum Duo geschrumpfte und live von ex-The Mars Volta Drummer Thomas Pridgen unterstützte Projekt Electric Wire Hustle aus Neuseeland, in meiner 2010er Bestenliste mit ihrem selbstbetitelten Debut immerhin auf Platz 10 gelandet, veröffentlichte im vergangenen Herbst in aller Seelenruhe ihren fast noch besseren Nachfolger - der sich auch gerne weiter vorne im Feld hätte positionieren können, wäre die Konkurrenz nicht so arg groß gewesen. 

"Love Can Prevail" ist im Vergleich zum Debut etwas strukturierter und aufgeräumter, legt aber größeren Wert auf eine Art Progressive-Urban-Soul, der einen Track zwar nicht immer ohne Umwege zum Hit führt, aber eine beeindruckende Langzeitwirkung über das Album ausrollt. Bestes Beispiel ist das zunächst windschief erscheinende Arrangement von "Blackwater", das sich nach einigen Durchgängen so stimmig entfaltet, dass die fünf Minuten nicht nur endlich Sinn machen, sondern ich mich darüber hinaus und noch viel wichtiger an eine Zeit zurück erinnert fühle, in der ich auch die Songs, die nicht ausschließlich für Funk und Fernsehen erdacht wurden, in mein Herz schließen konnte - manchmal sogar mehr, als es bei den Hits der Fall war. Weil sie tiefer gingen, weil sie interessanter waren, vielschichtiger. Der Nerd in uns allen sprach früher von "Albumsongs". Wichtig für den Fluss oder die Story der Platte, aber eben kein "Direct Hit" (Eddie Argos). 

"Love Van Prevail" ist zum Entdecken gemacht, und da ist zwischen RnB, Jazz, Soul, Elektro und Hip Hop einiges zu hören, was es nicht an jeder Straßenecke gibt. 

Ich bin schwer in diese beiden Jungs verliebt. 

Ach so, Video des Jahres, natürlich:



Erschienen auf BBE, 2014.

06.02.2015

2014 ° Platz 9 ° Kelis - Food




KELIS - FOOD

Es wäre naheliegend, "Food" in erster Linie als Baby des Produzenten Dave Sitek zu bewerten, denn die Soundarchitektur, die das Gründungsmitglied der Indie-Stars TV On The Radio auf Kelis' sechstem Studioalbum zusammengebastelt hat, ist - im Fußball würde man sagen: spielbestimmend. Seine Vision trägt die komplette Platte zu jeder Sekunde, ist kohärent und jederzeit stimmig auf jeden Song und jede Performance der Sängerin geschneidert. Dabei, und das darf man bei aller Euphorie über eine große Produktionsleistung nicht vergessen, ist "Food" trotz der Opulenz der Arrangements, der Bläser, der Latin-Einflüsse und der Stilvielfalt erstaunlich bodenständig und unprätentiös. Und das liegt in der Hauptsache an Kelis selbst, die eben genau das ist: bodenständig und unprätentiös. Das erscheint mir der Schlüssel für ein Album zu sein, das im besten Sinne Pop ist, ohne sich dabei auf sensationslüsterne, aber letzten Endes substanzlose Illusionen aus Pomp, Glitter und Glamour zu verlassen. 

"Food" ist mutige und edle Songwritingkunst, in den richtigen Momenten gleichzeitig albern und heiter wie anspruchsvoll und eindringlich. Ich wäre nach "Food" ja sehr dafür, wenn das Team Kelis/Sitek noch für ein paar Platten zusammenbliebe und der Vier-Jahres-Rhytmus für die nächste Platte durchbrochen werden könnte. I want more. 




Erschienen auf Ninja Tune, 2014.

02.02.2015

2014 ° Platz 10 ° Slow Magic - How To Run Away



SLOW MAGIC - HOW TO RUN AWAY



Es war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass "How To Run Away" tatsächlich den Weg in meine Top Ten findet - trotz meiner Wertschätzung für Slow Magics Sound und Vision. Andererseits hat bereits das Debut "Triangle" einen immer noch deutlich hörbaren Nachhall in den letzten Jahren produziert, der mit voranschreitender Zeit immer lauter wurde. Auch daran war bei anfänglicher Beschäftigung nicht wirklich zu denken, aber der schwüle, gefühlvolle Elektro-/Dreampop dieser kleinen Platte entfaltete seine Wirkung bei jedem Durchgang in neuen Stimmungen und Farben.

"How To Run Away" macht das ganz ähnlich und auch hier trifft es mich an einem ganz wichtigen, freigelegten Nerv: die bisweilen süßliche Mischung aus Melancholie und Sehnsucht, gepaart mit Ausgelassenheit und Lebenslust malen Bilder meiner Jugend in der Sonne vor dem geistigen Auge. Warum diese Flashbacks ausgerechnet bei Slow Magics Musik erscheinen, so klar und deutlich und sich tief in mein Herz eindrehend, dass ich sie weder ignorieren noch erklären kann, finde ich vielleicht erst in ein paar Jahrzehnten heraus; für den Moment bleibt festzuhalten, dass Slow Magics Synthie-Pop viel mehr Tiefgang hat, als es nach den ersten Kontakten zu erwarten war. Eine Platte, mit der man bei Sonnenuntergang an einer romatischen Bucht in Südfrankreich auf das Meer schauen und sein Leben Revue passieren lassen kann. Wenn nicht sogar muss.




Erschienen auf Downtown Records, 2014.

01.02.2015

2014 ° Platz 11 ° Zara McFarlane - If You Knew Her



ZARA MCFARLANE - IF YOU KNEW HER


Auch bei Zara McFarlanes zweitem Album benötigte ich nur ein großartiges Cover und den Labelnamen, um einen beinahe umgehenden Kaufreflex auszulösen. Gilles Petersons Brownswood Recordings ist seit Jahren sehr stilsicher und eine todsichere Wette in Bezug auf neue, spannende Musik. Peterson mausert sich dabei immer mehr zum Nachfolger des verstorbenen John Peel, auch wenn sich ebenjener stilistisch zwischen alle Stühle setzte, während Peterson weitgehend nur im großen Electronica-, Soul-, Funk-, Jazz- und Downbeat-Becken unterwegs ist.

Ein Besuch bei Tommes Records in Stuttgart brachte mich dann schlussendlich zu "If You Knew Her". Inhaber Tommes, der gewöhnlicherweise nur sehr ausgewählte und exklusive Neuheiten im Programm hat und im Schaufenster präsentiert, hatte McFarlanes Platte tatsächlich prominent in der Auslage platziert und ich, der auch hier die sechs verschiedenen virtuellen Wunschzettel schon längst gefüttert, die Scheckkarte aber noch nicht gezückt hatte, forderte sofort ein Exemplar. Es war sein letztes. Mit einigem Leuchten in den Augen frohlockte Tommes (vermutlich) nicht nur über die frisch verdienten 22 Euro, sondern auch über diese Platte. Der Mann ist seit Jahrzehnten im Geschäft, logischerweise mittlerweile mit allen Wassern gewaschen und lässt sich folgerichtig nur selten aus der Reserve locken, aber hier schwärmte er, was das für eine tolle, tolle Platte sei. Überrascht ob dieses fast schon emotional zu bezeichnenden Ausbruchs, war ich andererseits sicher, dass auch ich viel Spaß mit "If You Knew Her" haben werde. 

Die Tochter jamaikanischer Eltern hat sich eine bemerkenswerte Mixtur aus traditionellem Jazz der Nina Simone-Ära und einem modernen Soul einer Jill Scott ausgedacht. Bemerkenswert, weil dieses Amalgam eine Unterscheidung oder gar Aufteilung beider Richtungen kaum ermöglicht. Dabei passt die Instrumentierung in ihrer Sparsamkeit eher zu einem dunklen, schummrigen Jazzclub. Hier sei besonders Pianist Peter Edwards erwähnt, der seine Töne und Akkorde wie Marmor-Denkmäler vergessener Jazzpianisten in von tagelangem Regen aufgeweichte Böden versinken lässt. Die deepe, angenehm angerauhte Stimme McFarlanes bekommt damit viel Auslauf geschenkt und bündelt die Einflüsse der mit Reggae und Musicals aufgewachsenen Londonerin zu einem dämmerigen, mit schwelenden Glutnestern gespickten Allround-Paket. Und mit dem Eröffnungssong "Open Heart" gibt es sogar noch einen kleinen Pop-Hit.

Erschienen auf Brownswood Recordings, 2014.

31.01.2015

2014 ° Platz 12 ° Jon Porras - Light Divide



JON PORRAS - LIGHT DIVIDE


Jon Porras ist seit Jahren ein regelmäßiger Gast in meinen Jahresbestenlisten, beziehungsweise in meinem Blog und selbst dann, wenn ich glaube, nun mittlerweile wirklich jede Facette seines Sounds zu kennen und der Illusion aufsitze, endgültig keine neue Platte mehr von ihm zu benötigen, weil sich das alles eben doch mehr oder minder immer wiederhole, dann kann ich an einem ganz speziellen Punkt der Versuchung doch nicht mehr widerstehen und lasse mich widerstandslos im Einkaufswagen an die Kasse schieben. In diesem Zusammenhang ist es ein mittelschwerer Skandal, sein 2012 erschienenes "Black Mesa"-Album nicht berücksichtigt zu haben. Die Erkenntnis ist schlussendlich das einzige, was wirklich bleibt: ich könnte falscher nicht liegen.

Die große Stärke der einen Hälfte des Experimental Duos Barn Owl ist seine Fähigkeit, unter seiner Wall Of Sound immer wieder den einen Moment, diesen einen besonderen Ton herauszupicken, um sein komplettes Klangkonstrukt zu verschieben. Es sind manchmal nur Mikrofrakturen, die er aus den Tiefen hervorzieht, um sie urplötzlich zu kitten und in die dirigierende Macht eines Werks in den Mittelpunkt zu stellen. "Light Divide" ist dabei in dieser Hinsicht der Höhepunkt seiner Solokarriere, weil es sich vor allem bei tiefgehender Auseinandersetzung von dem Großteil der stilisitischen Konkurrenz absetzt, obwohl die einzelnen Parameter sich nur unwesentlich unterscheiden mögen. Im großen Ambient-Becken zeitgenössicher Musik scheinen Alleinstellungsmerkmale Mangelware zu sein - ein bisschen Rauschen hier, ein bisschen Bassgebrummel da, irgendwer wird's schon goutieren, zum großen, güldenen Soufflé aufblasen, und wenn nicht alles schon zu spät ist, eine neue Genrebezeichnung draufkleben. Die Standards könnten meinetwegen gerne etwas hochgeschraubt werden. Jon Porras hat als einer der wenigen immer wieder den Schraubschlüssel in der Hand. Doppeldeutigkeit FTW!

Erschienen auf Thrill Jockey, 2014

25.01.2015

2014 ° Platz 13 ° Oddisee - Tangible Dream




ODDISEE - TANGIBLE DREAM


Glücklicherweise bin ich der Scheff hier. So kann ich es mir auch erlauben, dieses schon Ende 2013 erschienene Mixtape "Tangible Dream" unseres Lieblingsrappers in die aktuelle Jahresbestenliste aufzunehmen. "Tangible Dream" lag zunächst Oddisees Instrumentalalbum "The Beauty In All" als Download bei und wurde später noch als wunderschöne, schwarz-graue Vinylversion veröffentlicht. Alleine wegen der Farbe des Vinyls lohnt sich der Kauf. Ganz in echt. 

Die Erinnerung an Oddisees Gig im Frankfurter Bett aus dem November 2013 sorgt nicht nur bei mir noch immer für leuchtende Augen. Selbst Blank When Zero-Freund Simon, für gewöhnlich kein allzu großer Anhänger von Hip Hop, schwärmt noch heute von diesem Abend und fordert in diesem Zusammenhang fortwährend den Wunsch, der umtriebige Produzent aus Washington möge doch bitte endlich ein Livealbum mit der Besetzung dieser Tour veröffentlichen. Tatsächlich ist mir eine solche musikalische Kreativexplosion im Hip Hop der letzten 15 Jahre nicht untergekommen. 

"Tangible Dream is a mix-tape dedicated to the deconstruction of our traditional ideas of success & shedding light on the possibility of a sustainable rap life."

Qualitativ steht das Album der vor zwei Jahren veröffentlichten "People Hear What They See"-LP in nichts nach. Oddisee bezieht sich textlich auf den Conscious/Native Tongue Sound der frühen Neunziger ("These rappers [Rakim und A Tribe Called Quest] don't talk about drugs or murder, and I can relate more to their lyrics." - Oddisee) und behandelt konsequent politische oder soziale Themen, musikalisch kleidet er seinen Sound aber mit mehr Swing und Soul aus, mit mehr Licht und mehr Raum. 

Eine Platte, die in ihrer Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit wie ein Manifest für die Verwirklichung von Träumen unter dem Einfluss lebensfeindlicher Realitäten erscheint und damit ziemlich genau zumindest mein persönliches Lebensgefühl trifft. 

Erschienen auf Mello Music Group, 2013.

24.01.2015

2014 ° Platz 14 ° Fatima - Yellow Memories



FATIMA - YELLOW MEMORIES


Den ersten Kontakt mit der Musik Fatimas hatte ich vor einigen Jahren, als mich eine ihrer frühen Arbeiten, es war die "Follow You EP", im Dickicht aus Boomkat, A-Musik und HHV-Merkzetteln anstupste. In meiner Erinnerung war und ist das zaghaft avantgardistischer R'n'B, der, mit Elektro- und Hip Hop-Beats unterlegt, futuristischer, brüchiger und damit interessanter klang als das, was vom Restgenre üblicherweise präsentiert wird. Darüber hinaus hält sich Fatima erfreulich weit vom allgegenwärtigen Pastiche-Hype auf die Blues und Soulmusik der 1960er Jahre fern und wählt einen deutlich offeneren, variableren Ansatz. Das kann natürlich auch schön in die Hose gehen und die Grenze zur Unhörbarkeit überschreiten, wenn man den Beats'n'Clicks-Fummlern zuviel Zeit im Studio einräumt und statt zeitgemäßem Soul plötzlich ein hyperexperimenteller Grime-Verschnitt durch Londons Garagen stürmt.

Ausgehend von dieser Erfahrung hatte ich "Yellow Memories" zwar zunächst, logo, auf allen Wunschzetteln verteilt, war aber skeptisch, ob ich das wirklich hören wollte - eine weitere Version bemüht innovativ in Szene gesetztem Elektrosoul wollte ich auf keinen Fall im Schrank stehen haben. Erst Anfang November traute ich mich an einen Song des Albums heran, es war die wunderbare Ballade "Talk", und nachdem ich die langen und einsamen Autofahrten nach Lübeck mit diesem Song im Wiederholungsmodus hinter mich brachte, lösten sich meine Bedenken in Luft auf. "Yellow Memories" ist ein kuschliges, optimal in die Schnittstelle zwischen Moderne und Klassik produziertes Soulalbum geworden, das sich in den letzten fünf Wochen des Jahres ganz locker in die Top 20 gespielt hat. Unter dem Dach von erstklassigen Produzenten wie Floating Points, Computer Jay oder Flako, brodelt ein wärmendes und einnehmendes Süppchen feinster Schokolade durch die Ohrmuschel. Kann problemlos über Stunden auf Repeat laufen. Ich hab's getestet.

Erschienen auf Eglo, 2014.

18.01.2015

2014 ° Platz 15 ° Tumi Mogorosi - Project ELO



TUMI MOGOROSI - PROJECT ELO

Sollte es noch einen Beweis dafür benötigen, dass Coverartworks im Jahr 2014 im Hause Dreikommaviernull, bedingt durch das beinahe vollständige Fernhalten von Erzeugnissen der Musikjournaille, so wichtig wie selten zuvor sind, dann liegt mit dem Debut des 26-jährigen südafrikanischen Schlagzeugers Tumi Mogorosi ein solcher Beweis vor. Nicht der erste und ganz bestimmt nicht der letzte. Ich wäre ohne dieses herausragende Cover wohl nicht auf "Project ELO" aufmerksam geworden, da das Label aber auch noch Jazzman Records heißt, und ich aus der Erfahrung weiß, dass hier in erster Linie Qualitätsstoff auf die Musikjunkies wartet, war die Kaufentscheidung auch ohne vorangehendes und ödes Testhören sehr einfach.

Ich habe es - natürlich - nicht bereut. 

Aufgenommen an zwei Tagen in Johannesburg mit Mogorosis Band Sibusile Xaba (Gitarre), Malcolm Jiyane (Posaune), Mthunzi Mvubu (Alto Sax), Nhlanhla Mahlangu (Tenor Sax) und Bassist Thembinkosi Mavimbela, in erster Linie von den Ersparnissen des Schlagzeugers finanziert und nun mit Jazzman im Rücken mit einem weltweiten Vertrieb (und erwähntem neuen Cover) ausgestattet. Als Chor holte man sich außerdem noch Themba Maseko, Ntombi Sibeko, Mary Moyo und Motuba ins Studio und hat ein hymnenhaftes, modernes und spirituelles Jazzalbum eingespielt, das sowohl seine Betonung als auch seine Bedeutung auf dem Rythmus und dem Gefühl Mogorosis wachsen lässt. 

“The goal or the philosophy is about liberating the drum from the usual role of just keeping time.” (Tumi Mogorosi)

Aus diesem Ansatz heraus sind die fünf Stücke folgerichtig arrangiert, sie leben von dem Puls Mogorosis; die Band sorgt währenddessen für die Luft zum Atmen: weite, ausladende Melodien und Solopassagen (vor allem erwähnenswert ist Jiyanes Posaune in "Princess Gabi"), die mal an wilde Natur und ungezähmte Tiere erinnern, mal an einen Sonnenuntergang in den Bergen Südafrikas.  

Erschienen auf Jazzman Records, 2014.

14.01.2015

2014 ° Platz 16 ° Thievery Corporation - Saudade



THIEVERY CORPORATION - SAUDADE


"Saudade" war eine große Überraschung des Jahres 2014 - was bei einem Projekt wie der Thievery Corporation, das nicht unbedingt dafür bekannt ist, mit klanglicher Innovation oder auch nur Weiterentwicklung allzu verschwenderisch umzugehen, glatt als gewagte These durchgeht. Nichtsdestotrotz war mit einem mehr oder minder reinen Bossa Nova-Album des Duos Rob Garza und Eric Hilton nicht zu rechnen. Waren ihre letzten Werke vor allem mit viel politischer Kraft aufgeladen, die zwischen den geläufigen Dub- und Downbeat-Spielereien mit den Muskeln spielte, lassen die beiden Musiker auf "Saudade" im Grunde alles in sich zusammenfallen, um mit melancholischem Blick in den Sommerregen zu schauen. Ein Album zwischen Introspektion und Zurückgezogenheit auf der einen, und Romantik und Liebe für die Menschen und das Leben auf der anderen Seite. 

In seiner Tiefe ist "Saudade" für mich mittlerweile meilenweit von den Soundtrack-Klischees der Lounge-Bars entfernt, es liefert viel mehr die Musik in einer Strohhütte im Regenwald bei Nacht, in der das letzte noch atmende Feuer in seinen letzten Zügen noch für einen Schatten sorgt. 

Ich glaube, hier geht es um Liebe. 

Erschienen auf ESL Music, 2014.

13.01.2015

2014 ° Platz 17 ° Adrian Younge Presents: Souls Of Mischief - There Is Only Now



ADRIAN YOUNGE PRESENTS: 
SOULS OF MISCHIEF - THERE IS ONLY NOW


Das war alles ganz anders gedacht. 2015 begann mit einer Magen-Darm-Grippe, an deren Ausläufern ich immer noch herumstolpere. Deshalb geht es leider erst jetzt weiter, während mir immer noch - im übertragenen Sinne - ein Bein in der Kloschüssel herumhängt. Guten Appetit.

Nach der Rückkehr von De La Soul hat 2014 auch Produzent Adrian Younge die Souls Of Mischief wiederbelebt und eines der meist gehörten Alben im Hause Dreikommaviernull produziert. Der Multiinstrumentalist, der nicht nur die Musik komponierte, sondern die musikalischen Basics auf "There Is Only Now" im Alleingang einspielte, hat dabei sein Wort gehalten: das sechste Studioalbum der Truppe solle den Spirit der Frühneunziger Native Tongue/DAISY-Age-Clique heraufbeschwören, ließ sich Younge im Vorfeld der Veröffentlichung zitieren und erwähnte in diesem Zusammenhang A Tribe Called Quests "Low End Theory", "De La Soul Is Dead" und das legendäre Debut der Mischiefs "93 'Til Infinity" als mögliche Fixpunkte. Das Ergebnis ist genau das. Ein hochmusikalisches und pulsierendes Hip Hop Album mit viel Text, viel Jazz, viel Soul, viel Staub und vielen Ideen. Sehr überlegt, dabei aber nicht perfekt. Sehr detailreich, aber nicht chaotisch. Samples gibt es auf Younges Produktionen traditionell nicht und auch hier spielt der Wahnsinnige praktisch alles selbst: Schlagzeug, Bass, Piano, Orgel, Flöte, Gitarre, Vibraphon, Glockenspiel, Saxofon und sogar eine verdammte Sitar. 

Stilistisch ist diese Rückschau in die Welt von 1993 wie auch schon bei den Jungs von den Jazz Spastiks nicht so irre innovativ, und tatsächlich frage ich mich während mein Kopf im Takt mitwippt, ob im Hip Hop dieselben Unzulänglichkeiten wie in der Rockmusik herrschen, dass also der immer noch grassierende und nicht tot zu kriegende Retrohype jeden frischen Ansatz neuer Entwicklungen im Ansatz sabotiert. Selbst die Idee der Mischiefs, das Albumkonzept, eine Gangstergeschichte, die - logisch - auch in den Neunzigern spielt und dabei auch die Philosophie streift, im Rahmen einer Radiosendung zu präsentieren, dürfte dem ein oder anderen mit Hip Hop Affinität schon früher untergekommen sein. Ist das schon eine Schippe zuviel Rückschau? Persönlich gefällt mir der organische, warme und staubige Sound des Albums, und ich mag auch seine Musikalität, die kilometerweit über dem allgegenwärtigen dumpfen Beatgeschrubbe steht, das in heutigen Zeiten die Kanäle hipper Radiostationen verstopft. Ich lebe die letzten vier Monate mit "There Is Only Now" und entdecke bei jedem Durchgang etwas Neues - es könnte wirklich schlimmer sein. Außerdem: The past is an illusion, there is only now. 

Erschienen auf Linear Labs, 2014

05.01.2015

2014 ° Platz 18 ° Spain - Sargent Place



SPAIN - SARGENT PLACE


Im April 2014 beendete ich die Review zu Spains neuen Album mit dem Satz "Könnte eine der Platten des Jahres werden." und - tätätätätäääää - hier sind wir auch schon wieder. "Sargent Place" ist in den letzten acht Monaten kein Nanopünktchen schwächer geworden, viel mehr hat sich meine Faszination für ihren Sound noch vergrößert. Das liegt sicher auch daran, dass ich weite Teile des nächtlichen Sommers am offenen Fenster und im in Rotlicht getauchten Wohnzimmer mit eben jener Platte verbracht habe. Sowas prägt - und was bitte soll zu einem solchen Szenario besser passen als der glühende, romantische Schleicherblues von "The Fighter"? 

Aber Spain bewegen sich auf "Sargent Place" nicht durchgehend im Schneckentempo. Tatsächlich strecken die vielleicht schönsten Indie-Pop-Perlen des Jahres ihren Stecknadelkopf aus dem Samt & Seide-Musiktempel: "It Could Be Heaven" und "Sunday Morning" sind ungewohntes Terrain für die Band, die aber so wunderbar perlend und melancholisch durch die Nacht gleiten, dass man sie einfangen und nie wieder loslassen möchte. Weiteres Highlight ist das Liebeslied "You And I", ein leises und subtiles Kammer-Indie-Freudentränen-Monstrum. 

Und das Vinyl klingt außerdem einfach überragend. 

Erschienen auf Glitterhouse Records, 2014.