06.11.2016

Mr. President, you’ve done everything but ultimate fighting and amateur porn!




Bill Maher, Gastgeber von "Real Time With Bill Maher" im US-amerikanischen Fernsehen, Stand-Up Comedian, Schauspieler und immer öfter erfolgreich in der Selbstinszenierung als politischer Kommentator, hat im Januar diesen Jahres eine Petition gestartet, den noch amtierenden Präsidenten der USA im Rahmen seiner wöchentlichen Show interviewen zu können. Obama ist über seine achtjährige Amtszeit oft und gerne als Gast in ähnlichen Formaten aufgetreten: bei Stephen Colbert, Jimmy Fallon, Jimmy Kimmel, Letterman - ganz zu schweigen von Interviews mit den üblichen Verdächtigen der amerikanischen Medienlandschaft wie Chris Wallace, Anderson Cooper, Rachel Maddow, Keith Olbermann - selbst der rechtskonservative Bill O'Reilly hatte seine Redezeit mit Obama (und fiel ihm dabei mehrfach auf sehr respektlose Weise ins Wort).

Um Bill Maher machte Obama indes einen weiten Bogen und Bill fragte sich: kommt er nicht, weil ich bekennender Pothead bin? Oder weil ich gleichfalls bekennender Atheist bin? Nun ist Maher ein ausgewiesener Egozentriker. Einer, der sich selbst und sein Tun, diplomatisch formuliert: sehr wichtig nimmt. Und der sowas ganz und gar nicht auf sich sitzen lassen kann.

Hier ist der Clip über seine Ankündigung zum Start der Onlinepetition:






100.000 Unterschriften waren notwendig, um eine Antwort des Weißen Hauses zu erhalten. Innerhalb weniger Tage waren es über 300.000.





Nachdem sich das Weiße Haus in seiner Antwort zunächst sehr zurückhaltend äußerte, ist es nun tatsächlich doch passiert: Maher war im Weißen Haus, und er traf Obama - und damit immerhin den Mann, dem er im Wahlkampf 2012 eine Million Dollar als Spende zukommen ließ. Was ihn in Bezug zu dessen Real Time-Ignoranz zu dem legendären Satz "I gave Obama a million dollars and he treats me if I lent him a million dollars!" brachte.


Hier ist es nun, das Ergebnis seiner Mühen. 37 Minuten mit Barack Obama und Bill Maher.



05.11.2016

Devil In The Details




BVDUB - YOURS ARE STORIES OF SADNESS


Es gibt ein neues Album von Brock van Wey alias BVDUB, veröffentlicht vor wenigen Wochen via Bandcamp und dort als Download verfügbar. 

"Yours Are Stories Of Sadness" ist ein bemerkenswertes Stück Musik und ich verstehe jeden, der nun das Lesen dieses Artikels abbricht, denn "das schreibt der doch immer über BVDUB." Das stimmt. Es gibt nur ganz wenige Werke aus den letzten fünf Jahren, seitdem ich ihn mit "The Art Of Dying Alone" für mich entdeckte, die ich nicht mit den überkandideltsten Verehrungen versah, und jeder noch so redundante Kniefall vor seiner Musik war und ist immer aufrichtig und ehrlich. 

Der unvermeidbare Disclaimer: Ich bin nicht gekauft, und ich habe auch keine Verpflichtungen. Ich bekomme nichts geschenkt und nichts vergünstigt. Ist natürlich totaler Vollquatsch, das hier zu erwähnen - ein nerdiger Kunterbunt-Musikblog im Jahr 2016 interessiert ja im Prinzip keinen müden Arsch mehr. Aber mir ist's trotzdem wichtig. Get over it. 

Das einzige, was mich in dieser Hinsicht selbst von Zeit zu Zeit überrascht: es ist bekannt, dass mir relativ schnell ziemlich langweilig wird, und nicht wenige Musiker und Bands können in so fern ein Liedchen davon singen, als dass ihre Alben spätestens nach der zweiten Wiederholung nicht mehr den Weg in mein Plattenregal finden. Es gibt Ausnahmen, aber die sind selten. Brock van Weys Musik ist eine solche Ausnahme, obwohl die Veränderungen in seiner Musik über die letzten fünf Jahre, immerhin vollgepackt mit im Schnitt etwa vier Alben pro Jahr, nur mit gewisser Anstrengung wahrnehmbar waren. 

Aber es ist etwas in seiner Kunst, das mich tief berührt. Ich kann das nicht genau beschreiben (wenngleich ich es schon oft versucht habe). Es fühlt sich nach Heimat, Wärme, Verständnis und Liebe an; wohlwissend, dass Abstraktion uns hier nicht weiter hilft - mir bisweilen aber schon. Ryan Griffin von Elektronik- und Ambientlabel A Strangely Isolated Place beschreibt es auf seinem Blog wie folgt:

"His tracks are often intense and emotional, yet placed for positions of quiet and personal listening. Finding the right moment to listen to bvdub is one of the reasons I don't listen to his albums more - they become destined for very special occasions, intense emotional places, and I think that's why he manages to connect with so many people on a much deeper level than most. You don't listen to one track of his, you listen to an entire album, and you're his companion in time of need, stress, celebration or reflection. Be it a close death, a friendship, or in this instance, fragmented memories, Brock is brilliant at painting these vivid emotions."

Was ich eigentlich sagen wollte: "Yours Are Stories Of Sadness" ist anders - und das nicht nur, weil seine 19 Songs bei einer Spielzeit von 78 Minuten im Schnitt nur noch viereinhalb, und nicht wie gewohnt zwölf Minuten lang sind. "Yours Are Stories Of Sadness" ist ein zusammengeschnurrtes Emotionsdestillat von BVDUB, mit ungewöhnlichen Sounds und Arrangements. Ich kann nicht sagen, das Ergebnis sei fokussierter als sein vorangegangenes Oevre, aber es hat zweifellos eine andere Stimmung, ein anderes Licht. Ich weiß noch nicht, ob es mich emotional so mitnimmt wie beispielsweise "Tanto" oder "The Truth Hurts" - dass mich das Album trotzdem fast schon magisch anzieht, und ich es immer wieder hören muss, ist eine Beobachtung, die ich mit Euch teilen möchte. 





Erschienen in Eigenregie, 2016.

30.10.2016

Demo Für Alle, Hirn für Keinen

Bis vor wenigen Monaten konnte ich noch mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Durchgeknallten in Baden-Württemberg und deren Protest gegen den Bildungsplan der grün-roten Landesregierung deuten, die grünversifften Gutmenschenneger planten die "Frühsexualisierung" ihrer Kinder, die "Zerstörung der Ehe zwischen Mann und Frau als tragende Stütze unserer Gesellschaft" und außerdem die Einführung der Homo-Ehe für alle, so dass also auch demnächst das brave Christenwürschtel mit am Herd festgeketteten Eheweib einem seiner Geschlechtsgenossen vor dem Traualtar einen blasen muss, weil es das Gesetz eben so will; anders ist diese Komplettvernagelung des Dachgeschosses ja auch wirklich kaum zu erklären: "Wir planen die Einführung einer rechtsverbindlichen Spermainjektion und einer daraus resultierenden Oberschenkelschwangerschaft für alle männlichen Christen bis zum 45.Lebensjahr und wer nicht mitmacht, wird erschossen!" (Winfried "Kretsche" Kretschmann, Zitat ähnlich).

Mittlerweile ist der Lobotomierten-Virus aber auch auf Hessen übergesprungen, und das fühlt sich auch an einem eigentlich sonnigen und friedlichen Sonntag wirklich richtig ekelhaft an: Das Aktionsbündnis "Demo Für Alle" mit dem "Edler Vollquatsch in Nuss"-Motto

"Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder"

und geführt von der lückenlos formidabel benamten Hedwig Freifrau von Beverfoerde, einer konservativ-katholischen und in der CDU beheimateten Kaltmamsell, die sich nicht zu schade war, sich diesen frechdummen Quadratscheiß gemeinsam mit der pathologisch verrückten Mausausrutscherin Beatrix von Storch von der AFD auszuschnapsen; wohlgemerkt also mit einer Frau, die via Twitter, Facebook und Wolfsschanzen-Kutscher Andeutungen dergestalt machte, die Grenzen des großdeutschen Reichs notfalls auch mit dem ausgesprochenen Scheiß, pardon: Schießbefehl für und auf Frauen und Kinder zu sichern - denn wenn man nur die Männer abknallt, ist's nur halb so tragisch, wie es an der Empörungsskala der deutschen Qualitätspresse abzulesen und mehr oder minder frei interpretierbar ist:





In der Selbstbeschreibung von "Demo Für Alle" heißt es:

Veranstalter der DEMO FÜR ALLE ist ein Aktionsbündnis verschiedener Familienorganisationen, politischer Vereine, engagierter Einzelpersonen und Initiativen aus ganz Deutschland. Wir treten ein für Ehe und Familie, auf die unsere Gesellschaft seit Jahrtausenden gründet, und wenden uns gegen die alles durchdringenden Umerziehungsversuche gut organisierter Lobbygruppen und Ideologen.

Nun ist es gute Tradition konservativer Parteien, Vereine und Thinktanks, die Einnahme von Tabletten zur Behandlung von Halluzinationen früher abzusetzen als vom Onkel Doktor empfohlen, und die Ergebnisse sind immer die gleichen, wenn nicht selben: der Weltuntergang steht kurz bevor, weil Frauen sich gegenseitig die Mumu und Männer sich gegenseitig den Pumu lecken, der Pfarrer nur noch strukturellen Kindesmissbrauch betreiben aber immer seltener Mann und Frau trauen kann und weil ein politischer Bildungsplan eines Bundeslandes vorsieht, das Recht auf sexuelle Freiheit und das Ausleben derselben zu "akzeptieren" und nicht etwa zu "tolerieren". Ein progressiver Sexualkundeunterricht an deutschen Schulen ist "Indoktrination im Sinne des Gender-Mainstreaming", und die "Homo-Lobby" plant die "Aufhebung aller sexuellen Normen" im Rahmen ihrer "kulturrevolutionären Strategie". Die drei letzten Zitate stammen allesamt von Gabriele Kuby, einer Fundamentalisten-Furie aus Rechtsauslegerhausen, die sich die als Faltensack getarnte Denkvorrichtung noch nicht glattbügeln konnte, denn für Madame Kabelbrand ist Homosexualität nicht nur Sünde, sondern auch heilbar:












In Wiesbaden hat "Demo Für Alle" zum heutigen Sonntag zur großen "Anti-Indoktrinations-Demo" geladen, unterstützt vom Who-Is-Who christlich-konservativer Organisationen und Initiativen:




Während sich die hessische CDU offiziell vornehm zurückhält und der Demo weder beiwohnt noch sie unterstützt - schließlich hat sie das zur Diskussion stehende Papier ja in erster Linie zu verantworten - sehen das Arbeitskreise der Union und die ihr nahe stehenden politischen Gruppierungen ganz offensichtlich anders - und als ob wir wirklich noch einen zusätzlichen Grund benötigen würden, um sämtliche Gedanken, Ideen, Visionen in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus dem Umfeld dieser Partei und ihrer Wähler immer und immer wieder zu 100% abzulehnen: hier hätten wir ihn dann. Sicherer Begleiter solcher Argumentation ist das klägliche und überaus bedauernswerte Zurückziehen in die Opferrolle, samt Negierung sämtlicher Realitäten. So wird etwa von eingeschränkter und unterdrückter Meinungsfreiheit schwadroniert, von struktureller Diskreditierung, von politischen Verschwörungen. Die arme kleine unterdrückte, an den Rand gedrängte, zum Schweigen gebrachte Minderheit - die sich zum freien Demonstrieren jeden Sonntag auf irgendeinem Rathausplatz treffen darf - und sei die geist'ge Armut im Brägen noch so groß, die Gedanken noch so wirr und das Mikrofon noch so laut: das absurde Gefühl, man befinde sich in der Minderheit, werden diese Menschen nicht mehr los. Dabei wird andersrum ein Schuh draus, denn die Minderheit IST tatsächlich Opfer von Diskriminierung:

Eine Online-Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ermittelte 2013 für Deutschland unter anderem folgende Zahlen: 46 % der Befragten LGBT (von engl. lesbian, gay, bisexual, and transgender) fühlten sich in Deutschland im letzten Jahr diskriminiert, 68 % haben ihre sexuelle Identität oft oder immer während der Schulzeit versteckt. 6 % der LGBT wurden im letzten Jahr Opfer von physischer oder sexueller Gewalt. Nur 4 % der gleichgeschlechtlichen Paare wagen, sich Händchen haltend in der deutschen Öffentlichkeit zu bewegen, während dies 68 % der heterosexuellen Paare tun. (Wikipedia, Homosexualität in Deutschland)


Was wir hier beobachten sind letzten Endes verzweifelte Versuche, den eh schon bröckelnden Status Quo eines veralteten gesellschaftlichen Dogmas um jeden Preis am Leben zu erhalten, während der Rest von uns sich längst von einem reaktionären, altmodischen, Realitäten nicht anerkennenden Format des Zusammenlebens verabschiedet hat. Ich habe in den letzten Monaten so manch gelupfte Augenbraue präsentiert bekommen, als ich meine Hoffnung zum besten gab, die Welt und die Menschen befänden sich auf einem guten Weg: wie könne ich denn im Zeitalter des Untergangs und vor dem Hintergrund solch großer, existentieller Probleme der Menschheit davon reden, dass schon alles gut gehen würde; ich sei ja ein naiv-verblendeter "Hippiearsch" (Rodgau Monotones) und hätte wohl die Seiten gewechselt - weil wenn die Gegenseite schon aus bloßer Faulheit nicht differenziert, dann muss man es selbst schließlich auch nicht machen. 

Die Antwort lässt sich am oben beschriebenen Phänomen bestens illustrieren: weil wir als Gesellschaft solche bösartigen, reaktionären Sackgesichter hinter uns lassen und schon gelassen haben.

Sie spielen keine Rolle mehr. 

Sie sind egal.

Sie sind vergessen.

Die progressive Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind viele. Und bald sind wir alle. Und der Rest soll sich solange wegficken. 


24.10.2016

Blank When Zero - Taped! Das Review.

Ein flotter Nachtrag zu unserer neuen Platte: Tillman von Maeglins Blog hat "Taped!" in seinem Videokanal besprochen und einige sehr schöne Worte zu unserer Musik gesagt. Da geht einem schon so ein bisschen das Herz auf.






"Taped!" gibt es immer noch hier zu hören:






16.10.2016

Blank When Zero - Taped!




BLANK WHEN ZERO - TAPED!


Uns gibt es immer noch. 

Das dürfte, wenn wir alle drei ganz tief in uns hinein hören, tatsächlich die größte Überraschung sein, die mit dieser Band verbunden ist. Die Umstände sind widrig, keine Frage, und vielleicht ist das laufende 2016 sogar unser bislang schwierigstes Jahr, seitdem wir Ende 2009 uns dazu entschlossen, gemeinsam Musik zu machen. Wir werden nicht jünger: die Verpflichtungen gegenüber der Familie und auch der Arbeitswelt - und ich schätze, niemand von uns würde das in vollem Bewusstsein wirklich noch voneinander trennen wollen; talking about "Lohnarbeit & Verantwortung - Das Musical" - steigen, und auch der Körper schmeißt häufiger als früher das Handtuch, vorzugsweise, wenn das Stressniveau den Hypothalamus mit einer Schleifmaschine bearbeitet.

So gesehen ist es fast ein kleines Wunder, dass wir es immerhin noch versuchen, uns alle nach zwölf- oder gar vierundzwanzigstündigen Arbeitstagen, Kinderbespaßung, Ehefrauzuwinken und Haustierpflege in unserem Proberaum einzufinden. Manchmal sogar sehr regelmäßig. Trotz der knappen 150 Kilometer, die ich an jedem Probetag mit dem Auto zurücklegen muss, um von Frankfurt ins rheinland-pfälzische Outback und wieder zurück zu fahren, genieße ich unsere Treffen - vor allem jene in den warmen Sommermonaten, wenn die Gasflaschenheizung eingemottet ist, die Tage länger werden und der Blick aus unserem Regieraum auf die Nahe und den angrenzenen Garten der Sarmsheimer Mühle so kolossal opulent ist. Wenn wir nach unserer Probe ausgelaugt und verschwitzt über neue Platten, Konzerte oder Politik und Gesellschaft sprechen. Die freien Stunden sind rar. Und gleichzeitig wichtig. 

Nicht, dass es unbedingt notwendig wäre, aber: bräuchte man tatsächlich noch ein weiteres Indiz, um darzustellen, dass wir alle keine 18 mehr sind, dann könnte ich an dieser Stelle mitteilen, dass wir für die Aufnahmen und den Mix unserer neuen Platte "Taped!" sage und schreibe fast ein ganzes Jahr benötigten. Für 18 Minuten Musik. Und weil ich das um ein Haar nicht glauben konnte, musste ich mich mittels des selbst hochgeladenes Instagrams überzeugen: am 7.November 2015 begannen wir mit dem Einspielen des Schlagzeugs. Es folgten: Gitarre, Grippe, Bass, Antibiotika, Gesang, Schmerzmittel, noch mehr Gesang, noch mehr Schmerzmittel, Mix, Umzug, Bandscheibe. In dieser Reihenfolge. Von den Problemen, überhaupt Termine zu finden, will ich erst gar nicht sprechen.

"Es ist nicht schön, alt zu werden."(Simon)

Und bevor das hier endgültig zu einem unwürdigen Jammertal aus alten Tränen und Säcken wird - und ich befürchte, dafür ist es jetzt eigentlich eh schon zu spät - ist es lohnenswert, darauf hinzuweisen, dass wenigstens meinereiner tatsächlich ziemlich stolz auf diese Platte, ihre Songs und ja: auf diese Band und die beiden anderen Jungs ist. Und das sage ich, wo mir "Stolz" eigentlich völlig fremd, wenn nicht gleichzeitig auch ziemlich unsympathisch ist. Ich kenne das Gefühl praktisch gar nicht. Aber wir machen seit sieben Jahren zusammen Musik, gehen uns immer noch nicht auf den Sack, sind alle drei gemeinsam der Meinung, dass es wichtig ist, auch weiterhin gemeinsam Musik zu machen, haben diese verführerische Mischung aus einer ruhigen Gelassenheit und gleichzeitig einem immer noch durchaus hohen Anspruch an die eigene Musik, und gehen, ohne dass es uns glaube ich wirklich immer präsent und bewusst ist, immer einen kleinen Schritt weiter: hört man beispielsweise unsere ersten Aufnahmen aus dem Jahr 2010 und vergleicht sie mit dem, was wir nun mit "Taped!" aufgenommen haben, dann ist das ziemlich zweifelsfrei immer noch die gleiche Band, aber die Musik hat ebenso wie der Sound ein paar ganz ordentliche Entwicklungssprünge gemacht. Mir erscheinen die neueren Titel gleichzeitig komplexer als auch runder zu sein. Vor allem aber, und das freut mich ganz besonders, sind die Texte und ihre Aussage so eindeutig und klar wie vielleicht noch nie. "Endlosschleife", "Just A Ride" und "Herz & Gefühl" sprechen mir allesamt aus dem Herzen und als zusätzliches Glück tun sie das alle aus unterschiedlichen Blickwinkeln. 

Ich bin jedenfalls sehr glücklich mit "Taped!" und ich freue mich auf die letzten drei Konzerte in diesem Jahr in Mainz, Frankfurt und in Münster mit ein paar wirklich guten Leuten in ein paar wirklich guten Läden. Das werden nochmal echte Höhepunkte in diesem Jahr.

Saturday 12 November 2016
Blank When Zero
with Short, Broccoli Jelly, and 1 other
Rare Guitar, Münster, Germany

Monday 14 November 2016
Blank When Zero
with GBH
Au, Frankfurt, Germany

Saturday 10 December 2016
Blank When Zero
with Vandalism and Church Of Cycology
Haus Mainusch, Mainz, Germany



Wir werden außerdem Ende des Jahres eine kleine Tape-Edition mit den neuen Songs von "Taped!" als auch mit ein paar alten Gassenhauern auf der B-Seite veröffentlichen. Auch darüber wird es dann hier nochmal etwas zu lesen geben.

Bis dahin habt ihr vielleicht mit "Taped!" genau so viel Spaß wie wir. Der Download ist natürlich kostenlos.




Erschienen auf Keep It A Secret Records, 2016.



Was ich noch zu sagen hätte...

Ich möchte ganz persönlich zum Schluss noch ein großes "Danke!" an Simon und Marek schicken, die den ganzen Scheiß zwischen Kinderzimmer, Ehe, Hunde- und Katzenspaß und einem teilweise mehr als straffen Arbeitsalltag immer noch mitmachen und sich auf "Taped!" wirklich den Arsch abspielen.

Ein "Danke!" geht ebenfalls an unseren Produzenten Jörg, der während der Aufnahmen ganz vielleicht noch ein bisschen grauer geworden ist - und der aber wirklich seine beste Arbeit mit uns abgeliefert hat.

Ein großes Danke geht außerdem an Cornelius von Keep It A Secret (Facebook) der uns seit Jahren, praktisch eigentlich ab Tag Eins, so riesig unterstützt und uns nun sogar ein Eckchen in seinem Keep It A Secret Records-Stall hübsch gemacht hat. Cornelius ist womöglich einer der wichtigsten Menschen für diese Band, und ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich nicht weiß, ob es Blank When Zero in dieser Form noch gäbe, hätte Cornelius uns nicht regelmäßig zu seinen Veranstaltungen eingeladen, um auf die Bühnen in Mainz, Hanau und Frankfurt zu klettern. Und wenn Tillman nicht immer so gut kochen würde, wären wir auf im weniger übertragenen Sinn schon längst verhungert. 

Und natürlich eine extratiefe Verbeugung vor der Herzallerliebsten, die mir nicht nur jederzeit die Freiheit gibt, oft wegen dieser Band unterwegs zu sein, sondern die dann sogar auch noch im Aufnahmestudio steht und mitmacht. I love you. 


09.10.2016

Ist dieses Klischee glutenfrei?




INFINITY WINDOW - ARTIFICIAL MIDNIGHT


Eine jener Platten, über die ich seit mehreren Jahren schreiben will, und es trotz aller guten Vorsätze nie geschafft habe - sie ist damit nicht alleine, aber es ist eines jener Alben, das sehr prominent auf der im Schädel zusammengekritzelten Liste steht, weil ich es so überragend gut finde. In dieser Rubrik ebenfalls ganz weit vorne ist "Miles Away" von The Last Electro-Acoustic Space Jazz & Percussion Ensemble (hinter dem übrigens Hip Hop-Tausendsassa Madlib steckt) - eine meiner absoluten Lieblingsjazzplatten, wichtig, toll, richtig groß, aber ein Textlein darüber ist hier immer noch nicht zu finden. Entsprechende Onlinepetitionen werden vom Autor berücksichtigt, just sayin'.

Fassen wir uns also heute ein flottes Herz für "Artificial Midnight" - eine Platte, die in erster Linie deshalb so besonders ist, weil sie bereits nach wenigen Sekunden...naja: so besonders ist. Ich habe das schon mehr als nur einmal im Rahmen von Werken des Saarländers Stephan Mathieu gesagt, und es passt hier ebenfalls. Der eigentliche Klang, der Ton ist so speziell, so wohltuend schön und anders als der fast komplette Rest der vermeintlichen Konkurrenz, dass ich sofort die Ohren spitzen und aktiv zuhören muss. Letzteres macht hier so oder so Sinn: das Produzenten-Duo Taylor Richardson und Daniel Lopatin (u.a. Onohtrix Point Never) hatte sich das Ziel gesetzt, eine wolkigere, dichtere Version früher Kraut-Aesthetik zu erschaffen:

"Putting krautrock in a fog — it’s like taking the vibe of prog and divorcing it from all the bullshit wankery and cliche." (Lopatin)

Drei Tracks lassen sich auf "Artificial Midnight" finden, die von der ersten bis zur letzten Sekunde einen Stimmungsbogen zeichnen; eine echte, gewollte Entwicklung. Ist der Beginn mit "Sheets Of Face" noch dunkel und komprimiert, hellt es sich im weiteren Verlauf durch "Internal Compass" und ganz besonders im knapp zwölfminütigen "Skull Theft" bei aller weiter vorhandener Dramatik immer mehr auf. Optimismus. Licht. Synthiewände und -schleifen aus dem Kontext der freien Liebe, der Kommunen, dem Sauerkrautfass und Conrad Schnitzler. Denn niemand hat gesagt, dass ich keine Klischees verwenden dürfte. 

Für die Zielgruppe ist "Artificial Midnight" gerechterweise eines der besten Ambientalben der letzten 20 Jahre. 




Erschienen auf Arbor, 2009.

26.09.2016

The Republican party has actually nominated for president a man who...believes Belgium is a city




Keith Olbermann, der aus meiner Sicht leidenschaftlichste, bissigste und gleichzeitig rhetorisch eleganteste politische Kommentator der USA, hat nach einiger Abwesenheit von den Bildschirmen seit wenigen Wochen seine Rolle als "Special Reporter" bei GQ (Gentleman's Quarterly) eingenommen und macht dort das, was er am besten kann: ein komplexes, in Teilen gar anstrengendes, bis in detaillierteste Rechercheergebnisse nebst Mikroverästelungen hervor dringendes Dauerfeuer gegen das konservative Amerika - aktuell verkörpert von der republikanischen Partei und deren Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Olbermann hat sich nun, nach zahlreichen öffentlich ausgetragenen Fehden aus seiner Vergangenheit mit dem früheren Präsidenten George W. Bush und ganz besonders mit dem konservativen Rechtsausleger Bill O'Reilly vom Sender FOX - von Olbermann zärtlich Billo The Clown genannt - , Trump als Ziel seiner Attacken ausgesucht, und es ist erwartbar, dass er damit mindestens bis zur Wahl im November 2016 nicht aufhören wird. 

Olbermann ist kein Comedian. Olbermann ist Journalist und das ist nicht nur Teil seines Selbstverständnisses, das IST sein Selbstverständnis. Humor findet man in seinen Vorträgen allenfalls in der absurden Aneinanderreihung seiner Beschimpfungen und Beleidigungen oder aber in der bitteren und todernsten Gnadenlosigkeit seiner Einlassungen und Anschuldigungen. 

Seine über siebzehnminütige Rhetorik-Lawine mit dem akkuraten Titel "176 Shocking Things Donald Trump Has Done This Election" ist bereits ein kleiner Klassiker und liegt angesichts der überschaubaren Größe und Bekanntheit von "The Closer" mit über 1,5 Millionen Views weit über den Erwartungen. Der Erfolg hat Olbermann offenbar dazu inspiriert, nochmal nachzulegen: heute, und damit kurz vor dem ersten TV-Duell zwischen Donald "Drumpf" Trump und Hillary Clinton, erschien ein zehnminütiges Nachtreten mit dem erwartbaren Titel "74 Terrible Things Donald Trump Has Done...This Month". 

Ich möchte beide Ausgaben von "The Closer" hier mit Euch teilen und darüber hinaus auch die anderen bislang erschienenen Episoden empfehlen - ganz besonders aber das auf Youtube verfügbare Oevre aus alten Tagen - bevor Olbermann es sich mit Sendern, Produzenten und Regisseuren auf seinem langjährigen liberalen Heimatsender MSNBC verscherzte, im Wortsinn. Es heißt in diesem Zusammenhang, die Arbeit mit ihm sei "nicht einfach". Glaube ich aufs Wort. Aber ich liebe ihn. Irgendwie. 







25.09.2016

Sounds Like Shit - Deja Vu




WARRIOR SOUL - DESTROY THE WAR MACHINE 
(Vinyl Edition)


Was sich auf den ersten Blick wie ein Sympton einsetzender Demenz von Herrn Dreikommaviernull liest, "zumindestens" (Bruno Labbadia) für diejenigen Leserinnen und Leser, denen dieses Schicksal bislang erspart blieb, ist auf den zweiten Blick gar keine schnöde Wiederholung alter Fanboy-Herrlichkeit, sondern viel eher ein kurzes, vor Enttäuschungen warnendes Signalfeuer aus allen schreiberischen Rohren des Autors. Naja, aus fast allen.

Dass "Destroy The War Machine" (oder "Chinese Democracy", wie das Werk in der Originalversion hieß) ein extragutes, mächtig Drive und Seele versprühendes Warrior Soul Album war und ist, eingespielt von einer perfekten Rock'n'Roll Band und also der besten Begeitband, die Kory Clarke seit dem Ende jenes Line-Ups um sich versammelte, das die legendäre "Space Age Playboys" Platte einspielte, wissen wir hier alle - und wer es nicht weiß, soll nun um Himmels Willen nicht den Fehler machen, sich die auf 333 Stück limitierte und handnummerierte Version der Scheibe auf weißem Vinyl zu besorgen, die dieser Tage via der italienischen Wiederveröffentlichungsspezialisten Night Of The Vinyl Dead erscheint. Es sei denn, du hast einen ebenso monumentalen (sic!) Dachschaden wie ich und findest Gefallen an lediglich schön anzuschauenden Gimmicks. 




Denn außer sich an dem blütenweißen, von der jornalistischen Integrität einer Ilona Christen frisch durchgebimsten, hell funkelnden Vinyl zu erfreuen, bleibt hier von der ersten Begeisterung nicht mehr viel übrig - und ich rede dabei gar nicht in erster Linie von dem Fehldruck auf dem Inlay, auf dem die Texte von "Motor City" und "Don't Believe" gleich zwei Mal aufs Papier gezaubert wurden. 





Spätestens, wenn sich die Nadel ab der Plattenmitte jeder abspielbaren Seite unaufhörlich in Richtung Auslaufrille bewegt und von dem vollen, satten voluminösen Sound der Originalversion nur noch ein scheppernder, kratzender, verzerrter und übersteuert klingender Klangscheißdreck übrig bleibt, der sich also aus den Lautsprechern in Gehör, Gehirn und Geherz fräst, macht sich Enttäuschung breit.

Immerhin eine solch große Enttäuschung, dass ich entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten via Twitter mit den Machern des Labels Kontakt aufnahm, um zu fragen, ob das denn eine offizielle Night Of The Vinyl Dead-Version sei. Vielleicht hat auch ein...sagen wir...ein Eichhörnchen in einem Hinterhof die Platten auf zwei plattgdrückten und vom letzten Winterschlaf noch gehorteten Walnussschalen gepresst und illegal den Namen des eigentlich durchaus renommierten italienischen Labels aufs Cover gestempelt, weiß man's denn? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten - das sei alles 100% authentisch und von Warrior Soul-Chef Kory Clarke höchstpersönlich abgesegnet; was wie auf Kommando nach ein paar Tagen sogar via eines in die Twitterspähre hinaustrompeteten Fotos gezeigt wurde, auf dem Clarke, wahrscheinlich direkt nach dem Aussaufen eines Fasses von Gerhard Polts "Schwedischen Kaffee" abgelichtet, zusammen mit den beiden Labelchefs und einem Exemplar von "Destroy The War Machine" zu sehen ist. 




Eine Nachfrage beim Mailorder meines Vertrauens ergab, dass ich nicht der erste sei, der sich über die Pressqualität beschwert, Zitat:"Da hat der Cutter wohl total versagt."

Das hat er wohl.

Dabei ist "Destroy The War Machine" in Sachen unterirdischer Klang- und Pressqualität natürlich nicht alleine - vor allem die zur Plattenmitte zunehmende Verzerrung erlebe ich in schätzungsweise drei von zehn Fällen und ausschließlich bei Neuware, mal mehr, mal weniger schlimm. Freund Jens beklagt sich beispielsweise in erster Linie über die steigende Anzahl von Scheiben mit signifikantem Höhenschlag - und das auch nicht erst seit gestern. Dazu kommen klassische Pressfehler wie das unangenehme und so gar nicht charmante und "warme" Knistern. Der Vinylhype bringt also nicht nur Gutes wie schön gemachte und super klingende Schallplatten an die Oberfläche, er zeigt auch, wie Presswerke funktionieren (müssen), um der immer noch steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Die alten Könner, die Gurus des Schnitts und der Galvanisierung, die Mitte der 1980er Jahre auch mal dreißig Minuten pro Seite auf fast schon durchsichtiges Butterbrotvinyl knisterfrei zum Strahlen und Klingen brachten, sind in Rente, die jungen Nachfolger sind vielleicht noch nicht soweit, stehen dazu unter ständigem Stress - und verkacken es immer öfter. Warum die Anzahl der Rückläufer nicht bedeutend höher ist, beantworte ich im Prinzip in diesem Text an anderer Stelle, und es ist kein schmeichelhaftes Urteil mir gegenüber: ich bin eben zu doof. Anstatt den Krempel mit geharnischten Worten und einem geknödelten "Retuuuurn To Sendeeeer" auf den Lippen zurückzuschicken, freue ich mir trotzdem einen Ast, dass ich jetzt dieses weitgehend unhörbare Ding im Schrank stehen habe. Verrückterweise werde ich es auch künftig immer wieder mal auflegen, und wahrscheinlich immer noch öfter als die CD-Version. Ich bin eben einfach zu doof. 

Für die anderen kann ich im Prinzip nicht sprechen - aber der Grapevine bestätigt zumindest in Teilen meine Vermutung: die meisten Platten werden wohl einfach gar nicht gehört. Die Leute kaufen sich den Krempel als Gimmick, Wertanlange oder was auch immer, gehört wird aber gefälligst bequem über AldiLife (das gibt's ja tatsächlich?!) - mobil, Sound eh scheißegal, weil es die 400 Euro Kopfhörer ja wieder rausreißen - Stichwort Dachschaden, Einsendeschluss: der Tag, an dem Dein Lieblingsplattenladen schließt. Jedenfalls: die Preise steigen, die Qualität nimmt ab, das Exklusivitätsgewichse nimmt zu. Und die Ignoranz gleichermaßen. Was Night Of The Vinyl Dead mir zur Pressqualität von "Destroy The War Machine" sagten? 


Schade isses schon. 

Erschienen auf Night Of The Vinyl Dead, 2016.


22.09.2016

Astral hinters Licht




QLUSTER - ECHTZEIT


"Und wenn Keith Jarrett diese Platte hört, setzt er sich nie wieder an einen Flügel." schrub ich zu Beginn des Jahres 2013 über "Antworten", den dritten Teil der Qluster "Fragen" - "Rufen" - "Antworten"-Trilogie, und auch wenn der unerbittlich mit sich selbst ringende Schwerstarbeiter unter den Improvisierern diese ganz bemerkenswerte Platte ganz offensichtlich immer noch nicht gehört, oder jedenfalls wenigstens meinen Text noch nicht gelesen hat, empfehle ich hier und heute all' meinen dreikommavier Lesern, selbiges zu tun. Also sowohl das eine, als auch das andere. Stichwort: Jetzt erst recht.

"Echtzeit" ist mittlerweile bereits das sechste Werk von Hans-Joachim Roedelius, Onnen Bock und Armin Mentz und nach dem reinen Klavieropus "Tasten" aus dem letzten Jahr eine Rückkehr zu einer etwas elektronischeren Ausrichtung. Es ist auf jeder Ebene eine leise Rückkehr, was angesichts der bisherigen Alben des Trios indes nicht sonderlich überraschen mag: viel Raum, viel Ruhe. Wenig Bewegung. Aber darüber musste ich nachdenken - stimmt das denn überhaupt? Stillstand? Verharren? Schon alleine aufgrund der Musiker und ihrer Historie ist das eigentlich ein völlig absurder Gedanke, aber "Echtzeit" hat mich ein bisschen ausgetrickst. Qlusters Musik ist so zurückgezogen und so akkurat auf einen Mikrometer Hirnfläche ausgerollt, dass die eigentliche Bewegung, vor allem die in Richtung Herz-Chakra, sich in ein Flirren am Sommerhorizont aufzulösen scheint. Eine aurale Täuschung, die solange die Oberhand gewinnt, bis man "Echtzeit" selbst näher auf die Pelle rückt und den Zoom neu einstellt.

Tatsächlich sind Qluster in ständiger Bewegung und erschaffen unentwegt neue Ebenen und neue Richtungen. Manchmal, nicht oft, lässt sich ein kurzes, vermeitliches Zögern ausmachen, eine kurze Pause zur erneuten Wegbestimmung, zum wortlosen, aber dafür energetischen Gedankenaustausch, bevor wieder eine Idee vor und hinter die nächste und die letzte gesetzt wird. Meistens ist das Resultat solcher Orientierung eine bemerkenswerte, weil unerwartete Melodie. Am besten Nachzuhören auf "Beste Freunde" und "Weg Am Hang". 

Eine Bemerkung zum Abschluss: Zumindest die mir zugesandte Vinylausgabe von "Echtzeit" ging leider wieder in Richtung des Mailorders zurück - ein stetes Kratzen und Zischeln lässt auf eine misslungene Pressung schließen und ist auf einem Ambientwerk durchaus unangebracht. Hier empfehle ich also die CD oder den Download. Streaming kann mich mal. Immer noch. Und meinetwegen auch immer wieder.





Erschienen auf Bureau B, 2016.


17.09.2016

Tout Nouveau Tout Beau (18) - Schwanzrock Revisited



CYCLE SLUTS FROM HELL - CYCLE SLUTS FROM HELL


Die Cycle Sluts From Hell aus New York erhielten zu Beginn der neunziger Jahre sogar über die Grenzen ihrer Heimatstadt New York hinaus eine gewisse Aufmerksamkeit. Zum einen ging man mit Motörhead auf große Europatournee, zum anderen schloss sich der frisch bei Overkill ausgestiegene Bobby Gustafson der Frauenband an. Und weil die Cycle Sluts durch unzählige Konzerte im Großraum New York sich bereits ein großes Following erspielt hatten, wurde mit der Epic gar ein Majorlabel auf die Truppe aufmerksam - was nebenbei die Videosingle "I Wish You Were A Beer" mit entsprechender Heavy Rotation auf MTV zum kleinen Gassenhauer machte. Vielleicht war die Band mit Künstlernamen wie Venus Penis Crusher und Honey 1%er und Texten wie im erwähnten "I Wish You Were A Beer" oder "By The Balls" die erste richtige feministische Metalband. Als Begleitmusiker spielten übrigens mit Scott Duboys und Chris Moffett zwei Typen bei den Cycle Sluts, die später Warrior Soul in deren "Space Age Playboys"-Phase am Schlagzeug und an der Gitarre unterstützen sollten. Musikalisch ist das leider einzige Album der Cycle Sluts From Hell eine solide, punkige, straighte und teils rotzige Heavy Metal Platte. Macht Bock.




Erschienen auf Epic Records, 1990.








DOKKEN - UNDER LOCK AND KEY


Für viele das kompletteste und beste Dokken-Album aus einer ganzen Reihe starker Werke aus den 1980er Jahren und tatsächlich: "Under Lock And Key" ist bestes Hardrockfutter und selbst heute ist das Songwriting, ignoriert man die dezente Staubschicht, die bei solcher Musik eben auch dann anfällt, wenn man den Plattenschrank täglich aussaugt und abstaubt, in Sachen Dynamik und Melodik immer noch state of the art und ganz bestimmt auf einer Stufe mit den besten Alben der Konkurrenten von damals. Dabei macht es Sinn, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dokken hatten alleine wegen des Spiels von Gitarrenheld George Lynch, ähnlich wie beispielsweise Mark Kendall bei Great White, einen bluesigeren Ansatz und waren ganz besonders exzellent darin, starke Hooklines mit einem relaxten Sonnenuntergansdrive zu verbinden. Dokken waren nicht überdreht wie Poison oder Mötley Crüe, die die zumindest am Beginn der Karriere fehlende musikalische Substanz mit allerlei Schabernack auf und abseits der Bühne kompensieren mussten. Die Kehrseite der Medaille ist in diesem Zusammenhang eine dezent wahrzunehmende Spießigkeit der Band, aber 31 Jahre später bleibt eigentlich nur die herausragende Qualität dieser Songs übrig. Und apropos Great White: deren Genie Michael Lardie war am Mix von "Under Lock And Key" beteiligt und es ist daher auch nur ein bisschen seltsam, dass "The Hunter" ziemlich exakt nach Great White klingt. 




Erschienen auf Elektra, 1985.







L.A. GUNS - L.A. GUNS



Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten - das Debutalbum der L.A. Guns ist eigentlich keine große Sache: ein knappes Dutzend drei- bis vierminütige Hardrocksongs von der Stange, guter Drive, leicht rebellisch angehaucht. Eine jener Platten, wie sie zur damaligen Zeit an den Bäumen wuchsen. Angesichts der heutigen Ödnis im klassischen Hardrock, der Peinlichkeit von Ganzkörpervollidioten wie Steel Panther, Airbourne oder fucking Volbeat, erscheint "L.A. Guns" indes als beinahe lebensnotwendiges Gegengift. Dabei hatten die Jungs damals auch nicht mehr alle Latten am Zaun (und damit waren sie ganz sicher nicht alleine), bei Texten wie "Sex Action" windet sich der halbwegs mit wachem Geist ausgestattete Mensch gar vor schlimmen Schmerzen, trotzdem hat das alles viel mehr Charme als der heutige - Pardon! - Scheißdreck, und mit dreißig Jahren Abstand außerdem ein angemessenes Augenzwinkern. Ich hatte die Truppe um Tracii Guns schon im letzten Jahr wegen ihres "Hollywood Vampires" Albums in höchsten Tönen gelobt und bin versucht, es für das Debut schon wieder zu tun. Ich laufe hier wirklich nicht vor Begeisterung die Wände hoch, aber mit ein paar Gläsern Gin Tonic lässt sich ein Sommerabend mit der Platte ganz prima bestreiten. Again: no small mercies these days.

Am Wegesrande: ich habe die US-amerikanische Pressung auf ziemlich dünnem Labbervinyl und die klingt immer noch drölf Mal besser als so mancher 180g Repress aus 2016. Ich wollt's nur mal gesagt haben.




Erschienen auf Vertigo, 1988.



11.09.2016

Der Sound der großen weiten Welt




SAD & THE SOULDOGS - SLOW


Wenn sich auf dem Backcover einer Platte die Politik und das Kapital einklinken, mit der Abbildung des Stadt- und  Gemeindewappens oder dem Logo eines Handelskonzerns beispielsweise, wenn also darauf hingewiesen werden möchte, dass die Platte, die man gerade in den Händen hält, durch Politik und Förderwettbewerbe multinationaler Großkonzerne subventioniert wurde, dann muss ich sehr reflexhaft wenigstens mit den Augen rollen oder gleich über die nächste als kritischer Journalismus getarnte Apple-Werbung in unseren Tageszeitungen reihern. Im Punk und Hardcore ist das natürlich noch eine Spur witziger, wenn die tätowierten Superrebellen in Text und Interview gegen Staat, Bullen und Kapitalismus gröhlen, aber dann ein paar Schrauben aus der Halterung für's Weltbild fallen, wenn das Kulturdezernat der Gemeinde mit 200 Schleifen wedelt. Kann man ja auch mal drüber nachdenken.

Rapper und Produzent SAD dürfte hingegen noch alle Schrauben beisammen haben, und ich will ihm die aufgedruckten "Kultur Bern", "Migros Kulturprozent" und "Burgergemeinde Bern"-Logos nicht zwingend zum Nachteil auslegen. Es war und ist schwer für Musiker, und ein solches Projekt stemmt sich nicht mal eben so zwischen Lohnarbeit, Kindererziehung und dem Zurechtrücken der Baseballkappe. Dezent vorgespannt bin war ich aber trotzdem, als ich "Slow" auflegte. Man sieht's mir bitt'schön nach.

Glücklicherweise gibt es fast kein besseres Gegengift, um Spannungen, und seien es auf jeder denkbaren Weise nur die pubertären, zu lösen als "Slow", und ähnlich wie bei Kayos "A Thousand Months" hätte die Zielgruppe für solche Sounds bereits das Plattenpresswerk stürmen müssen. Ein extraentspannter Souljazz-Mix mit der tollen Stimme der Bieler Sängerin Djemeia und Raps von T3 und Young RJ von Slum Village aus Detroit (J Dilla, anyone?), eingespielt von einer echten Liveband, die sich aus der Riege der besten Musiker der lokalen Soul- und Funkszene zusammensetzt. Das liest sich nicht nur ausgesprochen verlockend, das hört sich auch so an; in den besten Momenten fallen mir gar die großen Namen der US-amerikanischen R'n'B Szene zu Songs wie dem sowohl brilliant gesungenen als auch gespielten "Hold Me Down" ein - sehr reduziert mit einer Wah Wah-Gitarre durchs balladeske Arrangement wabbelnd, dazu eine Familienportion Dramatik zum krönenden, aufgetürmten Ende. Die Raps von Slum Village, nebenbei: die Jungs machen hier bestimmt auch nicht nur für zwomarkfuffzich und einen Teller warmer Suppe mit, lockern "Slow" an den richtigen Stellen auf und geben dem Klangsmoothie den nötigen Biss. 

"Slow" kennt praktisch kein Mensch, aber daran kann man ja arbeiten. Eine feine, kleine und erfreulicherweise auch nicht zu lange Platte. Und irgendwie ist es ja recht ungewöhnlich, sowas aus der Schweiz auf den Plattenteller gelegt zu bekommen, aber wegen mir kann das genau so gerne weitergehen. 

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Erschienen auf Mouthwatering Records, 2016.


04.09.2016

Herzschlag




CHARLIE HADEN & ANTONIO FORCIONE - HEARTPLAY


Beeindruckende Momente der Tiefe, der Einkehr und der Schönheit. Auf diesem im Jahr 2006 aufgenommenen Album spielen sich Bassist Charlie Haden und Antonio Forcione an der Gitarre in einen waren Tiefenrausch. Wer mal die Zeit anhalten will, vorzugsweise nachts gegen drei Uhr bei einer Tasse Kaffee und in gedimmten Licht, der hört "Heartplay" - dessen Faszination umso größer wird, hört man den beiden Musikern aufmerksam zu. Das mag gespreizt und prätentiös klingen, aber wie so oft bei Jazz steigt jedenfalls meine beinahe extatische Begeisterung, wenn ich die Wege der Musiker genau verfolge, ihr Zusammenspiel, die Raffinesse, das Einfühlvermögen. In solchen Momenten erscheint plötzlich sehr vieles, was sich im heimischen Plattenschrank vor allem unter dem Moniker "Uff, Rockmusik!" tummelt als fad, eintönig und there I said it: stumpf. Das ist im Grunde kein Problem für mich, schließlich mag ich es auch gerne stumpf, genau genommen bin ich sogar schon stumpf aufgewachsen, "ich weiß, wovon ich rede."(Polt), jedenfalls: der Reichtum von "Heartbeat" wächst exponentiell mit der Aufmerksamkeit, die man ihm entgegenbringt. 

Forciones Talent für gleichzeitig in der emotionalen Ansprache üppige wie in der Ausführung sparsam eingesetzte Melodik konnte ich erstmal 1994 im Neuen Theater in Frankfurt-Höchst bewundern, als er mit seinem Partner Marcial Heredia unter dem Programm "Flamencomedy" eine abendfüllende Mischung aus Musik, Artistik und Humor präsentierte. 

Teil 1:





Teil 2:





Die an diesem Abend erstandene CD, Forciones "Acoustic Revenge", zählt seither zu den unumstößlichen Grundpfeilern meiner musikalischen Adoleszenz, ganz besonders zeigt der Abschlusstrack "Heart Beat" die ganze Palette seines Könnens. Forcione bearbeitet in seinem Spiel jeden Quadratzentimeter seiner Gitarre, nutzt Boden, Decke, Hals und selbst die Mechanik als perkussives Instrument und lässt gleichzeitig viel Raum für die Entfaltung von Melodien und Stimmungen. 






Über Kontrabasslegende Charlie Haden muss man indes nicht mehr so irre viele Worte verlieren. Der 2014 verstorbene Bassist war einer der einflussreichsten Musiker der letzten 50 Jahre, dazu ein kritischer, politischer, aktiver Geist, der nicht zuletzt mit seiner Beteiligung an Ornette Colemans "Free Jazz" und seinem Meilenstein nebst namengebendem Projekt "Liberaton Music Orchestra" stilprägend für folgende Musikergenerationen sein sollte. Außerdem ist mir sein Album "Nocturne" seit Jahren ein treuer Begleiter in warmen Sommernächten.






Acht Kompositionen stehen auf "Heartplay", vier davon stammen aus der Feder des italienischen Gitarristen, drei von Haden, dazu gesellt sich eine Coverversion von Fred Herschs "Child's Song". Hadens bekannte Stilistik, eine Mischung aus Verweigerung und Vereinfachung von Ton und Technik und dabei einer Haltung wie jener von Pianist Thelonious Monk nicht unähnlich, erhält hier eine neue Blaupause. Ganz besonders in Forciones Songs entwickelt Hadens fast schon stoisches Herumschlurfen einen ganz speziellen Puls, eine subtile, unterbewusst wahrnehmbare Rythmik - und Forcione reagiert darauf mit seinem ausgeprägten Gespür für Melodik und Raum. Die Ballade "Snow" und das folgende "Nocturne", die beide gegen Ende so leise und ätherisch werden, dass sie beinahe auseinanderfallen, sind Paradebeispiele für die Ausrichtung von "Heartplay". 

Ein weises, introvertiertes, sparsames Album für Nächte im flackernden Kerzenschein. Klischees my ass. 




Erschienen auf The Naim Label, 2015.


P.S.: Die Aufnahmen wurden in den Londonder Abbey Road Studios speziell für die Veröffentlichung auf Vinyl gemastert - leider ist die Pressung auf 180g Virgin Vinyl zumindest auf meinem Exemplar nicht frei von Problemen, was sich an durchgängigem, zwar sehr dezentem, aber eben doch wahrnehmbarem Knistern zeigt. Mich persönlich stört das nicht, manchmal gar ganz im Gegenteil, und ich würde die Langspielplatte auch nachwievor uneingeschränkt empfehlen, aber wer sich von der oben stehenden Lobhudelei genötigt fühlt, die LP-Version von "Heartplay" zu erstehen und dabei einen ausgeprägten Reinraum-Soundfimmel hat, ist hiermit leise vorgewarnt. 

27.08.2016

Kleini (1999 - 2016)



"...und wir müssen uns darauf einstellen, dass es irgendwann vorbei sein wird. Sie sind schon alt. Wie viele Jahre haben sie noch...vielleicht zwei, drei, wenn es gut geht?! Ich möchte gar nicht darüber nachdenken."

Und dann nickten wir uns mit Sorgenfalten auf der Stirn und zusammengepressten Lippen zu. Und 10 Minuten später, als wir die dunklen Gedanken zur Seite geschoben hatten, waren wir wieder im Hier und Jetzt, schauten uns um - und im 95qm großen Haus versammelten sich die beiden Katzen und der Hund auf den 3qm Sitz- und Liegefläche auf der Couch um einen herum. Kuscheln und schnurren, anlehnen, zusammen sein. Nähe spüren.

Seit heute Morgen ist ein großer Teil unseres gemeinsamen Lebens nicht mehr bei uns. Kleini war in den letzten zwei Wochen krank. Sie konnte nichts mehr essen und erbrach sich ständig. Die kleine runde Knutschkugel, eine herzensgute, unfassbar niedliche, stets vergnügte Katze veränderte sich - sieht man davon ab, dass sie immer noch mit unglaublicher Penetranz ihr Essen einforderte, obwohl sie es dann, als es vor ihr stand, nicht mehr essen wollte oder konnte.

Kleini begleitete uns 17 Jahre durch unser gemeinsames Leben. Alina bekam sie im August 1999, als sie noch in Nürnberg wohnte. Da kannten wir uns schon zwei Monate virtuell, aber wir hatten uns noch nicht gesehen. Seitdem ich sie im Dezember 1999 erstmals besuchte, kannte ich Kleini - und verliebte mich nicht nur in Alina, sondern auch in diese Katze. Eine Glückskatze. Zu der es unzählige Anekdoten zu erzählen gäbe, und wer Alina und mich persönlich kennt, kennt auch diese Geschichten. 

Wir haben immer gesagt, dass unsere Haustiere unsere Kinder sind. Heute früh ist eines unserer Kinder gestorben. 

Wir lieben und vermissen Dich, Kleini.