11.09.2016

Der Sound der großen weiten Welt




SAD & THE SOULDOGS - SLOW


Wenn sich auf dem Backcover einer Platte die Politik und das Kapital einklinken, mit der Abbildung des Stadt- und  Gemeindewappens oder dem Logo eines Handelskonzerns beispielsweise, wenn also darauf hingewiesen werden möchte, dass die Platte, die man gerade in den Händen hält, durch Politik und Förderwettbewerbe multinationaler Großkonzerne subventioniert wurde, dann muss ich sehr reflexhaft wenigstens mit den Augen rollen oder gleich über die nächste als kritischer Journalismus getarnte Apple-Werbung in unseren Tageszeitungen reihern. Im Punk und Hardcore ist das natürlich noch eine Spur witziger, wenn die tätowierten Superrebellen in Text und Interview gegen Staat, Bullen und Kapitalismus gröhlen, aber dann ein paar Schrauben aus der Halterung für's Weltbild fallen, wenn das Kulturdezernat der Gemeinde mit 200 Schleifen wedelt. Kann man ja auch mal drüber nachdenken.

Rapper und Produzent SAD dürfte hingegen noch alle Schrauben beisammen haben, und ich will ihm die aufgedruckten "Kultur Bern", "Migros Kulturprozent" und "Burgergemeinde Bern"-Logos nicht zwingend zum Nachteil auslegen. Es war und ist schwer für Musiker, und ein solches Projekt stemmt sich nicht mal eben so zwischen Lohnarbeit, Kindererziehung und dem Zurechtrücken der Baseballkappe. Dezent vorgespannt bin war ich aber trotzdem, als ich "Slow" auflegte. Man sieht's mir bitt'schön nach.

Glücklicherweise gibt es fast kein besseres Gegengift, um Spannungen, und seien es auf jeder denkbaren Weise nur die pubertären, zu lösen als "Slow", und ähnlich wie bei Kayos "A Thousand Months" hätte die Zielgruppe für solche Sounds bereits das Plattenpresswerk stürmen müssen. Ein extraentspannter Souljazz-Mix mit der tollen Stimme der Bieler Sängerin Djemeia und Raps von T3 und Young RJ von Slum Village aus Detroit (J Dilla, anyone?), eingespielt von einer echten Liveband, die sich aus der Riege der besten Musiker der lokalen Soul- und Funkszene zusammensetzt. Das liest sich nicht nur ausgesprochen verlockend, das hört sich auch so an; in den besten Momenten fallen mir gar die großen Namen der US-amerikanischen R'n'B Szene zu Songs wie dem sowohl brilliant gesungenen als auch gespielten "Hold Me Down" ein - sehr reduziert mit einer Wah Wah-Gitarre durchs balladeske Arrangement wabbelnd, dazu eine Familienportion Dramatik zum krönenden, aufgetürmten Ende. Die Raps von Slum Village, nebenbei: die Jungs machen hier bestimmt auch nicht nur für zwomarkfuffzich und einen Teller warmer Suppe mit, lockern "Slow" an den richtigen Stellen auf und geben dem Klangsmoothie den nötigen Biss. 

"Slow" kennt praktisch kein Mensch, aber daran kann man ja arbeiten. Eine feine, kleine und erfreulicherweise auch nicht zu lange Platte. Und irgendwie ist es ja recht ungewöhnlich, sowas aus der Schweiz auf den Plattenteller gelegt zu bekommen, aber wegen mir kann das genau so gerne weitergehen. 

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Erschienen auf Mouthwatering Records, 2016.


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