30.10.2016

Demo Für Alle, Hirn für Keinen

Bis vor wenigen Monaten konnte ich noch mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Durchgeknallten in Baden-Württemberg und deren Protest gegen den Bildungsplan der grün-roten Landesregierung deuten, die grünversifften Gutmenschenneger planten die "Frühsexualisierung" ihrer Kinder, die "Zerstörung der Ehe zwischen Mann und Frau als tragende Stütze unserer Gesellschaft" und außerdem die Einführung der Homo-Ehe für alle, so dass also auch demnächst das brave Christenwürschtel mit am Herd festgeketteten Eheweib einem seiner Geschlechtsgenossen vor dem Traualtar einen blasen muss, weil es das Gesetz eben so will; anders ist diese Komplettvernagelung des Dachgeschosses ja auch wirklich kaum zu erklären: "Wir planen die Einführung einer rechtsverbindlichen Spermainjektion und einer daraus resultierenden Oberschenkelschwangerschaft für alle männlichen Christen bis zum 45.Lebensjahr und wer nicht mitmacht, wird erschossen!" (Winfried "Kretsche" Kretschmann, Zitat ähnlich).

Mittlerweile ist der Lobotomierten-Virus aber auch auf Hessen übergesprungen, und das fühlt sich auch an einem eigentlich sonnigen und friedlichen Sonntag wirklich richtig ekelhaft an: Das Aktionsbündnis "Demo Für Alle" mit dem "Edler Vollquatsch in Nuss"-Motto

"Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder"

und geführt von der lückenlos formidabel benamten Hedwig Freifrau von Beverfoerde, einer konservativ-katholischen und in der CDU beheimateten Kaltmamsell, die sich nicht zu schade war, sich diesen frechdummen Quadratscheiß gemeinsam mit der pathologisch verrückten Mausausrutscherin Beatrix von Storch von der AFD auszuschnapsen; wohlgemerkt also mit einer Frau, die via Twitter, Facebook und Wolfsschanzen-Kutscher Andeutungen dergestalt machte, die Grenzen des großdeutschen Reichs notfalls auch mit dem ausgesprochenen Scheiß, pardon: Schießbefehl für und auf Frauen und Kinder zu sichern - denn wenn man nur die Männer abknallt, ist's nur halb so tragisch, wie es an der Empörungsskala der deutschen Qualitätspresse abzulesen und mehr oder minder frei interpretierbar ist:





In der Selbstbeschreibung von "Demo Für Alle" heißt es:

Veranstalter der DEMO FÜR ALLE ist ein Aktionsbündnis verschiedener Familienorganisationen, politischer Vereine, engagierter Einzelpersonen und Initiativen aus ganz Deutschland. Wir treten ein für Ehe und Familie, auf die unsere Gesellschaft seit Jahrtausenden gründet, und wenden uns gegen die alles durchdringenden Umerziehungsversuche gut organisierter Lobbygruppen und Ideologen.

Nun ist es gute Tradition konservativer Parteien, Vereine und Thinktanks, die Einnahme von Tabletten zur Behandlung von Halluzinationen früher abzusetzen als vom Onkel Doktor empfohlen, und die Ergebnisse sind immer die gleichen, wenn nicht selben: der Weltuntergang steht kurz bevor, weil Frauen sich gegenseitig die Mumu und Männer sich gegenseitig den Pumu lecken, der Pfarrer nur noch strukturellen Kindesmissbrauch betreiben aber immer seltener Mann und Frau trauen kann und weil ein politischer Bildungsplan eines Bundeslandes vorsieht, das Recht auf sexuelle Freiheit und das Ausleben derselben zu "akzeptieren" und nicht etwa zu "tolerieren". Ein progressiver Sexualkundeunterricht an deutschen Schulen ist "Indoktrination im Sinne des Gender-Mainstreaming", und die "Homo-Lobby" plant die "Aufhebung aller sexuellen Normen" im Rahmen ihrer "kulturrevolutionären Strategie". Die drei letzten Zitate stammen allesamt von Gabriele Kuby, einer Fundamentalisten-Furie aus Rechtsauslegerhausen, die sich die als Faltensack getarnte Denkvorrichtung noch nicht glattbügeln konnte, denn für Madame Kabelbrand ist Homosexualität nicht nur Sünde, sondern auch heilbar:












In Wiesbaden hat "Demo Für Alle" zum heutigen Sonntag zur großen "Anti-Indoktrinations-Demo" geladen, unterstützt vom Who-Is-Who christlich-konservativer Organisationen und Initiativen:




Während sich die hessische CDU offiziell vornehm zurückhält und der Demo weder beiwohnt noch sie unterstützt - schließlich hat sie das zur Diskussion stehende Papier ja in erster Linie zu verantworten - sehen das Arbeitskreise der Union und die ihr nahe stehenden politischen Gruppierungen ganz offensichtlich anders - und als ob wir wirklich noch einen zusätzlichen Grund benötigen würden, um sämtliche Gedanken, Ideen, Visionen in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus dem Umfeld dieser Partei und ihrer Wähler immer und immer wieder zu 100% abzulehnen: hier hätten wir ihn dann. Sicherer Begleiter solcher Argumentation ist das klägliche und überaus bedauernswerte Zurückziehen in die Opferrolle, samt Negierung sämtlicher Realitäten. So wird etwa von eingeschränkter und unterdrückter Meinungsfreiheit schwadroniert, von struktureller Diskreditierung, von politischen Verschwörungen. Die arme kleine unterdrückte, an den Rand gedrängte, zum Schweigen gebrachte Minderheit - die sich zum freien Demonstrieren jeden Sonntag auf irgendeinem Rathausplatz treffen darf - und sei die geist'ge Armut im Brägen noch so groß, die Gedanken noch so wirr und das Mikrofon noch so laut: das absurde Gefühl, man befinde sich in der Minderheit, werden diese Menschen nicht mehr los. Dabei wird andersrum ein Schuh draus, denn die Minderheit IST tatsächlich Opfer von Diskriminierung:

Eine Online-Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ermittelte 2013 für Deutschland unter anderem folgende Zahlen: 46 % der Befragten LGBT (von engl. lesbian, gay, bisexual, and transgender) fühlten sich in Deutschland im letzten Jahr diskriminiert, 68 % haben ihre sexuelle Identität oft oder immer während der Schulzeit versteckt. 6 % der LGBT wurden im letzten Jahr Opfer von physischer oder sexueller Gewalt. Nur 4 % der gleichgeschlechtlichen Paare wagen, sich Händchen haltend in der deutschen Öffentlichkeit zu bewegen, während dies 68 % der heterosexuellen Paare tun. (Wikipedia, Homosexualität in Deutschland)


Was wir hier beobachten sind letzten Endes verzweifelte Versuche, den eh schon bröckelnden Status Quo eines veralteten gesellschaftlichen Dogmas um jeden Preis am Leben zu erhalten, während der Rest von uns sich längst von einem reaktionären, altmodischen, Realitäten nicht anerkennenden Format des Zusammenlebens verabschiedet hat. Ich habe in den letzten Monaten so manch gelupfte Augenbraue präsentiert bekommen, als ich meine Hoffnung zum besten gab, die Welt und die Menschen befänden sich auf einem guten Weg: wie könne ich denn im Zeitalter des Untergangs und vor dem Hintergrund solch großer, existentieller Probleme der Menschheit davon reden, dass schon alles gut gehen würde; ich sei ja ein naiv-verblendeter "Hippiearsch" (Rodgau Monotones) und hätte wohl die Seiten gewechselt - weil wenn die Gegenseite schon aus bloßer Faulheit nicht differenziert, dann muss man es selbst schließlich auch nicht machen. 

Die Antwort lässt sich am oben beschriebenen Phänomen bestens illustrieren: weil wir als Gesellschaft solche bösartigen, reaktionären Sackgesichter hinter uns lassen und schon gelassen haben.

Sie spielen keine Rolle mehr. 

Sie sind egal.

Sie sind vergessen.

Die progressive Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind viele. Und bald sind wir alle. Und der Rest soll sich solange wegficken. 


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